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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Musik als Beispiel 315<br />

ist von den gehörten „Stimmen" und von der Stimmigkeit <strong>des</strong><br />

„gegenständlichen" Ablaufes unablösbar. <strong>Die</strong> höchst artikulierte<br />

Form <strong>des</strong> „Gegenstan<strong>des</strong>", <strong>des</strong>sen Größe, <strong>des</strong>sen Spannungen, <strong>des</strong>sen<br />

Ablauf, <strong>des</strong>sen „Raum", <strong>des</strong>sen Tempo — all das nimmt der<br />

Musizierende oder Hörende ja effektiv an; er funktioniert ja „mit" :<br />

er wird also das Objekt. — Aber andererseits kommt auch dem<br />

Gegenstände selbst: eben der Musik, bereits all das zu, was man<br />

gewöhnlich nur dem Subjekt zuschreibt; so „Ausdruck", „Stimmung"<br />

und dgl. In anderen Worten: Subjekt und Objekt, Zustand<br />

und Gegenstand bilden eine Einheit; „subjektivistische Musikästhetik"<br />

und „objektivistische Musikästhetik" sind gleichermaßen<br />

unzulänglich, da beide eben die in der Musik gar nicht genuine<br />

Unterscheidung von Subjekt und Objekt als zuständig voraussetzen.<br />

Das alles braucht uns nicht in Erstaunen zu setzen, da wir ja<br />

aus anderen Künsten gewöhnt sind (z. B. aus dem Tanz), daß Subjekt<br />

und Objekt, Tänzer und Getanztes (ja sogar Spieler, Spielinstrument<br />

und gespieltes Werk), zusammenfallen: die Gabelung hat eben noch<br />

nicht stattgefunden. — Vollends töricht ist jene Variante der subjektivistischen<br />

Ästhetik, die im Kunstwerk nichts als die Spiegelung<br />

oder den „Ausdruck" eines ohnehin gefühlten Gefühles sieht; und<br />

die überhaupt nichts erklärt, da sie völlig im Dunkel läßt, warum<br />

Kunstwerke, wenn sie nur das „ohnehin Gefühlte" ausdrücken, uns<br />

derart erschüttern. Was der Komponist beim Komponieren seines<br />

Stückes fühlt, kann er nur vermittels dieses Stückes fühlen. Das<br />

heißt: die Kunstwerke erzeugen die Gefühle, und zwar solche sui<br />

generis; solche, die ohne die hergestellten Gegenstände sich gar<br />

nicht verwirklichen könnten; die unabhängig von der Struktur<br />

der Gegenstände, also als bloßes Zumutesein, bestandlos blieben.<br />

Auch die Zustände, in die uns Kunstwerke versetzen, sind eben<br />

künstlich; wenn man will: „Kunstwerke".<br />

Wie weit die Beispiele, zu denen wir eben abschweiften, von unserem<br />

Thema auch abzuliegen scheinen, für <strong>des</strong>sen Grundproblem<br />

zeigen sie doch Grundsätzliches: Daß sich nämlich der Mensch<br />

durchaus nicht mit der Mitgift von ein für alle Male fertigen<br />

Gefühlen abzufinden hat; daß er vielmehr immer neue Gefühle<br />

erfindet; und zwar auch solche, die das alltägliche Volumen seiner<br />

Seele durchaus übersteigen und die an deren Fassungskraft und

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