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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Musik als Beispiel 313<br />

Aber auch die spezielle Metamorphose, die hier vorgeschlagen<br />

wird: die willentliche Erweiterung <strong>des</strong> Fassungs-Volumens unseres<br />

Fühlens, ist kein Novum. Vielmehr wäre es ein leichLes, eine lange<br />

Reihe von geschichtlichen Erweiterungs-Beispielen zusammenzustellen,<br />

namentlich aus der Geschichte magischer und religiöser<br />

Praktiken und aus der Mystik. Aber in solche Fernen zu schweifen,<br />

ist nicht nötig. Denn auch unser Leben kennt Erweiterungstechniken;<br />

nur werden sie niemals als solche erkannt und niemals mit<br />

diesem Ausdruck belegt. <strong>Die</strong> Technik, auf die ich anspiele, und<br />

die ich hier als Illustration für die Möglichkeiten von willentlicher<br />

Gefühlserweiterung benutzen werde, ist die Musik. Will man das<br />

nun folgende Beispiel verstehen, dann wird man gut daran tun,<br />

das übliche Musikvokabular einmal vorübergehend zu vergessen. —<br />

Beispiel: Wir lauschen einer Bruckner-Symphonie.<br />

<strong>Die</strong> „Bruckner-Welt", die sich durch das musikalische Geschehen<br />

der Symphonie aufbaut, ist von einer Breite und Voluminosität,<br />

neben der die Breite und Voluminosität unserer Alltagswelt verschwindet.<br />

Im Augenblick, da wir uns diesem breiten und voluminösen<br />

Geschehen öffnen, oder durch <strong>des</strong>sen Gewalt geöffnet werden,<br />

strömt dieses Geschehen in uns ein, füllt es uns aus; wir „fassen"<br />

es, wir „fassen es auf". In anderen Worten: unsere Seele wird<br />

ausgedehnt, sie nimmt eine Fassungsweile an, die wir selbst ihr<br />

gar nicht verleihen könnten. Daß uns ein solches Erlebnis der<br />

„Über-Spanntheit" oft kaum erträglich, also als Überforderung,<br />

vorkommt, ist kein Wunder. —<br />

Aber was heißt: „wir selbst" könnten unserer Seele diese Voluminosität<br />

nicht verleihen.<br />

Schließlich ist die Symphonie ein Werk von Bruckner. Also etwas<br />

Menschgemachtes. In gewissem Sinne also auch etwas „von uns"<br />

Gemachtes.<br />

Betrachten wir sie so, dann nimmt sie ein völlig neues Aussehen<br />

an: Dann erscheint sie als ein von uns selbst gemachtes Gerät, mit<br />

<strong>des</strong>sen Hilfe wir die Kapazität unserer Seele ausdehnen.

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