12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

280 Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit<br />

auch seinem eigenen Ende blickt er nicht ins Auge, kann er nicht<br />

ins Auge blicken; er unterschlägt seinen Tod. Das ist durchaus<br />

folgerichtig, denn die Versuche, Fortschritt und die Blamage <strong>des</strong><br />

Sterbens unter einen Hut zu bringen, sind zum Scheitern verurteilt.<br />

Natürlich, daß "weitergestorben wird, kann er nicht verhindern<br />

; aber was ihm möglich ist, ist doch, dem Tod seinen Stachel<br />

zu nehmen, und die Schande <strong>des</strong> Sterbens zu vertuschen; positiv<br />

ausgedrückt: eine Welt herzustellen, deren Posivität so nahtlos ist,<br />

daß sie keine Ritzen für peinliche Fragen über den Tod offenläßt;<br />

eine Welt, die durch keines ihrer Elemente an die Blamage mahnt;<br />

so daß auch nur möglichst Wenige, und diese Wenigen auch nur<br />

so selten wie möglich, an den Tod erinnert werden.*<br />

Zwei völlig beliebig herausgegriffene Beispiele mögen illustrieren,<br />

wie diese Unterschlagung <strong>des</strong> To<strong>des</strong> vor sich geht. 1. Von den<br />

Vereinigten Staaten kann man behaupten, daß dort der Tod bereits<br />

unauffindbar geworden sei. Da nur dasjenige als „wirklich<br />

seiend" gilt, was besser und besser wird, kann man mit dem Tode<br />

„nichts anfangen", es sei denn, man hänge ihn irgendwo an, wo er<br />

an dem universellen Gesetz der Qualitätssteigerung indirekt teilnimmt.<br />

Und das tut man. Über die unaufhaltsamen Fortschritte in<br />

der Anlegung von Friedhöfen hat Evelyn Waugh das Erforderliche<br />

ja berichtet; und daß man heute netter stirbt, als vor fünfzig<br />

Jahren, ist unbestreitbar. Was auf diesen Friedhöfen begraben<br />

wird, ist eben nicht der Tote, sondern der Tod; da man den<br />

Toten ja schminkt und hübsch herrichtet, mithin als Lebenden behandelt.<br />

— Da freilich ganz nicht geleugnet werden kann, daß eine<br />

gewisse Veränderung mit ihm vor sich gegangen ist, schickt man<br />

ihn fort. Und zwar — aus dem französischen „partir c'est mourir<br />

im peu" ist ein „mourir c'est partir un peu" geworden — an einen<br />

Platz, der, was landschaftliche Reize und bequeme Erreichbarkeit<br />

betrifft, nicht anders beschrieben wird als irgendein hübscher Ferienort;<br />

und <strong>des</strong>sen verlockende Vorzüge kennenzulernen, der<br />

moriturus durch die Friedhofsreklame auf Autostraßen und in<br />

subways reichlich Gelegenheit gehabt hatte. Aber der Ausdruck<br />

„moriturus" ist eben falsch. Denn — und das ist der springende<br />

Punkt — der Lebende ist kein moriturus, vielmehr gilt der Verstorbene<br />

als einer, der nach einem gewissen „change of residence"

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!