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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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575 Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit<br />

mung noch nicht verloren: wir sind noch, was wir gestern geglaubt<br />

hatten; mit den neuen, unter<strong>des</strong>sen angenommenen, Gedanken<br />

haben sich unsere Attitüden — denn auch zwischen diesen beiden<br />

besteht ein „Gefälle" — noch nicht synchronisieren können. —<br />

Vermutlich wäre keine Generation vor dem 18. Jahrhundert, also<br />

vor dem Triumphzug der Fortschrittstheorien, auf die Angst-Aufgabe,<br />

mit der wir konfrontiert sind, so schlecht vorbereitet gewesen,<br />

wie wir es heute sind. Denn für den Fortschrittsgläubigen war die<br />

Geschichte a priori Ende-los, da er in ihr ein fröhliches Verhängnis<br />

sah, einen unbeirrbar und unaufhaltsam vorwärtsgehenden Prozeß<br />

<strong>des</strong> immer-besser-Werdens. Sein Unendlichkeitsbegriff war das<br />

Kind <strong>des</strong> Komparativs und der Zuversicht. Bei einem Gericht (oder<br />

bei einer Holle*) konnte dieser Prozeß natürlich nicht landen, (ja,<br />

noch nicht einmal in einem Himmel, da dieser ja als Bestes der<br />

Feind <strong>des</strong> Besseren gewesen wäre und als Endzustand das Besserwerden<br />

sistiert hätte). Der Begriff <strong>des</strong> Negativen war also für den<br />

Fortschritts gläubigen unwirklich geworden, nicht anders als für den<br />

Theodizee-Gläubigen. Da nur der Komparativ galt, nur das Bessere,<br />

gab es weder „Gutes" noch „Schlechtes"; oder richtiger: sofern es<br />

Schlechtes gab, erschöpfte es sich darin, das noch-nicht-Bessere<br />

zu sein; damit etwas Uberholbares, und zwar ein solches, gegen<br />

<strong>des</strong>sen Üherholtwerden kein Kraut gewachsen war; mithin etwas<br />

Vergängliches; damit das morgen bereits Vergangene. Tatsächlich<br />

relegierte man auch alles, was man als „negativ" einräumte, in die<br />

Vergangenheit; wodurch man ihm seinen letzten Rest von Höllischkeit<br />

nahm. Kurz: Auf „schlechtes Ende" war man nicht eingestellt,<br />

weil es weder etwas Schlechtes noch ein Ende gab. <strong>Die</strong> Vorstellung<br />

„schlechtes Ende" fiel seelisch aus; sie war so wenig auffaßbar wie<br />

für uns etwa die Vorstellung eines räumlich endlichen Weltalls. —<br />

Daß das Negative dem 19. Jahrhundert gefehlt haben solle,<br />

klingt natürlich angesichts der immensen Rolle, die die Dialektik<br />

gespielt hat, befremdlich. Aber vergleicht man das in der „Dialektik"<br />

gemeinte Negative etwa mit dem im Höllenbegriff gemeinten,<br />

dann ist ja deutlich, daß es „positiviert", nämlich in ein Ferment<br />

verwandelt, ist. Da seine Kraft in der Provozierung neuer<br />

Belebung und Bewegung bestand, war es gewissermaßen als „rein<br />

negativ" von vornherein negiert. <strong>Die</strong> Goethesche Charakterisierung

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