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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Analphabeten der Angst 265<br />

die nicht nur in jeder auf Bütten geschöpften Zeitschrift erscheint,<br />

sondern (da heute nichts exoterischer geworden ist als das<br />

Esoterische) auch und mit der gleichen Selbstverständlichkeit in<br />

den Schlafmittelreklamen von Provinzblättern —• kurz: Angst<br />

genügt heute, um sich das Gefühl zu verschaffen, up to date zu sein<br />

und, wo auch immer, „dazuzugehören". —<br />

Heute im Zeitalter der Bombe, ist die Redensart also nicht nur<br />

unwahr, sie ist auch unwahrhaftig geworden. Auf das jämmerliche<br />

bißchen Angst, das wir gelegentlich, und zumeist nur dann, wenn<br />

wir gestoßen werden, aufbringen, sollten wir uns nichts einbilden.<br />

Den Zeitgenossen, über dem die Sturzwelle der Bedrohung zusammengeschlagen<br />

wäre, und der von ihr betäubt worden wäre,<br />

den habe ich noch nicht gesehen. Im besten Falle Einige, die erschraken:<br />

aber eigentlich nicht sosehr vor Angst, sondern weil sie<br />

plötzlich einsahen, wie ohnmächtig zur Angst sie blieben; und<br />

einige Wenige, die sich schämten, daß sie, nachdem sie im Anlauf<br />

zur Angst steckengeblieben waren, und die Zeitung fortgelegt<br />

hatten, sich auch schon wieder gehen lassen konnten; oder eben<br />

nichts anderes konnten, als sich gehen zu lassen, das heißt: in die<br />

ihnen gewohnten Größenverhältnisse und in die Sorgen von morgen<br />

und übermorgen zurückzukehren.<br />

Nein; gemessen an dem Quantum an Angst, das uns ziemte,<br />

das wir eigentlich aufzubringen hätten, sind wir einfach Analphabeten<br />

der Angst. Und wenn man unsere Zeit durchaus mit einem<br />

Kennwort versehen muß, dann sollte man es am besten das „'Leitalter<br />

der Unfähigkeit zur Angst" nennen.<br />

Freilich der Augenblick, in dem die Bombe auftauchte, der war,<br />

wenn man so sagen darf, der regiemäßig ungünstigste, der dafür<br />

hatte gewählt werden können. Denn es war eben gerade jener<br />

Augenblick in der Abschlußphase <strong>des</strong> Krieges, in dem sich die<br />

aktuelle Angst, die Diktatur und Krieg mit sich gebracht hatten,<br />

zum ersten Male zu entspannen begann; der Augenblick, in dem<br />

Millionen sich nach Jahren zum ersten Male wieder ohne Angst<br />

vor Polizei oder Nachtangriff schlafen zu legen wagten; der Augenblick,<br />

in dem man sich, in weniger mitgenommenen Teilen der<br />

Welt, zum ersten Male wieder daran machte, „good old life" erneut<br />

aufzunehmen. Und in diesem Momente <strong>des</strong> Aufatmens hätte

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