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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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244 Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit<br />

Aber jeder hatte sich doch als sterblich innerhalb eines Größeren<br />

betrachtet; innerhalb der <strong>Menschen</strong>welt, die zwar niemand für<br />

ausdrücklich unsterblich gehalten hatte, aber eben doch für das<br />

Dauerhaftere, das einen überlebte. Und nur weil es diesen überlebenden<br />

Raum gegeben hatte, über <strong>des</strong>sen Tod oder Todlosigkeit<br />

man sich nicht weiter den Kopf zerbrach; diesen Raum, in dem.<br />

und in den hinein man starb, hatte es auch die merkwürdigen Bemühungen<br />

geben können, selbst zu überleben, also Unsterblichkeit<br />

durch Ruhm zu gewinnen. Gewiß, sehr erfolgreich waren diese<br />

Bemühungen auch nicht gewesen: denn sich bei selbst Unberühmten<br />

berühmt, und bei selbst Sterblichen unsterblich zu machen,<br />

stellt ja keine sehr reelle metaphysische Investition dar. Und so<br />

hatten selbst die Berühmten schon immer jenen Schiffspassagieren<br />

aus Tausend und Eine Nacht geglichen, die an Deck zwar höchste<br />

Reputation genossen, aber doch letztlich völlig anonym blieben,<br />

da das Schiff selbst auf dem Festland unbekannt war.<br />

Und dennoch: Im Vergleich zur heutigen Situation war die damalige<br />

noch immer tröstlich gewesen. Denn dem Sterblichen hatte<br />

eben der morgige Ruhm, den er „ewig" nannte, die Ewigkeit aufgewogen;<br />

und der Ruhm im Schiff den Ruhm <strong>des</strong> Schiffes. — Und<br />

um dieses Schiff ist er nun eben gebracht.<br />

Denn in wessen Munde er heute die Erinnerung an sich deponieren<br />

soll, da sich seine To<strong>des</strong>angst nun auf das Schiff selbst bezieht,<br />

auf die Menschheit als ganze, die, wenn sie unterginge, alle<br />

Erinnernden und alle möglichen Erinnernden von morgen und<br />

übermorgen mit ins Dunkel risse, ist unerfindlich. So daß es ihn<br />

nicht gegeben haben wird. Und nicht nur ihn nicht, sondern nichts,<br />

das nicht vergeblich gewesen wäre: kein Volk, keinen <strong>Menschen</strong>,<br />

keine Sprache, keinen Gedanken, keine Liebe, keinen Kampf, keinen<br />

Schmerz, keine Hoffnung, keinen Trost, kein Opfer, kein Bild,<br />

kein Lied, kurz: nichts, das nicht nur „gewesen" gewesen wäre.<br />

Selbst uns Heutigen, uns noch Lebendigen in der noch stehenden<br />

Welt, scheint das Gewesene, das nichts mehr ist als „gewesen",<br />

als tot. Aber selbst diesen Tod würde dieser Sturz nun<br />

mit sich hinabreißen und zwingen, seinen zweiten Tod zu ster-

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