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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Der Zeitbrei 225<br />

mit er sagen will: <strong>Die</strong> Zeitstrecke, die uns von Godot trennt, wird<br />

dadurch etwas kurzer. In der Tat besteht das tröstlichste Mittel,<br />

um die Windstille zu ertragen, in der Aktivierung <strong>des</strong> Beisammenseins,<br />

in der immer neuen Wiederaufnahme der Chance, daß sie<br />

das Sinnlose zu zweien bestehen- Ohne ihre rührende und verzweifelte<br />

gegenseitige Anhänglichkeit, ohne den Leerlauf ihrer<br />

Unterhaltung, ohne ihr sich-Streiten, sich-Verlassen, sich-Wiederfinden,<br />

das ja Zeit in Anspruch nimmt, wären sie tatsächlich verloren.<br />

Daß Beckett uns ein Paar vorführt, ist also nicht nur technisch<br />

motiviert, hat nicht nur darin seinen Grund, daß das Stück<br />

eines Robinsons der Erwartung zum bloßen Bilde gerinnen müßte,<br />

sondern darin, daß es zeigen will, daß jeder <strong>des</strong> anderen Zeitvertreib<br />

ist; daß die Geselligkeit über die Sinnlosigkeit <strong>des</strong> Daseins<br />

hinweghilft, diese min<strong>des</strong>tens verdeckt. Freilich, eine absolute<br />

Bürgschaft für das Weiterfließen der Zeit ist auch sie nicht; nur<br />

Hilfe hie und da. Und wenn auf die Frage: „Was habe ich mit<br />

meiner Pfeife getan?" der Partner repliziert: „Reizender Abend",<br />

dann gleichen die monologischen Stichworte und Repliken den<br />

Stoßen zweier blinder Duellanten, die, solistisch irgendwo ins<br />

Dunkel hineinstechend, sich ein Duell einzureden versuchen.<br />

Daß es „Zeitvertreibung" auch im „normalen Dasein" gibt,<br />

wahrend der Freizeit-Intermezzos, wird niemand leugnen. Der<br />

geläufige Ausdruck „Zeitvertreib" weist ja darauf hin, daß wir<br />

durch das Spielen von Tätigkeit, also durch Spiele, die Zeit, die<br />

sonst zu stagnieren droht, fort- min<strong>des</strong>tens vorwärtszutreiben suchen.<br />

Aber das tun wir doch, wird man einwenden, nur in der Freizeit<br />

— Ernst und Spiel sind schließlich säuberlich geschieden; wahrend<br />

es eben den Ernst, min<strong>des</strong>tens die Misere und, gemessen an<br />

der Realität, die abstruse Irrealität <strong>des</strong> Estragonschen und Wladimirschen<br />

Lebens ausmache, daß sie die Zeit pausenlos in Gang<br />

halten, daß sie pausenlos spielen müssen. — Aber ist diese Unterscheidung<br />

zwischen ihnen und uns denn wirklich gerechtfertigt?<br />

Existiert denn wirklich noch eine erkennbare Grenzlinie zwischen<br />

unserem Ernst und unserem Spiel? —<br />

Wir glauben nicht. Der jämmerliche Kampf, den die beiden um<br />

15 Anders

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