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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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<strong>Die</strong> Metamorphose 205<br />

V. war zwar immer sehr stolz auf ihr durchaus einmaliges Aussehen<br />

gewesen, aber ihre Gier nach der Phantom-Karriere stellte<br />

sich als ungleich vehementer heraus. Unter Aufbietung der letzten<br />

finanziellen Reserven ihrer langst vergessenen Familie und ihrer<br />

seit langem schon verleumdeten Ex-Freunde, unter Hintansetzung<br />

jeder Lebensfreude, mit asketischster Ausschließlichkeit machte<br />

sie sich damals also an ihre Umpräge-Arbeit. Und zwar nahm sie<br />

— denn allein kann das niemand — die Hilfe all jener kunstgewerblichen<br />

Spezialisten (sie bilden hier eine ganze Berufsgruppe) in Anspruch,<br />

die den wirklichen <strong>Menschen</strong> als ein schlechtes und verbesserungsbedürftiges<br />

Material, das Phantom dagegen als das Gesollte<br />

betrachten; also all jener, die aus der Differenz zwischen<br />

Wirklichkeit und Phantom ihr täglich Brot machen, und die ihr<br />

Geschäft auf der tollen Gier jener, die sich, wie V., diese Differenz<br />

fortoperieren zu lassen wünschen, aufgebaut haben. V. begann<br />

also, vom Schönheitssalon zum Masseur, vom Masseur zum Schönheitssalon<br />

zu laufen; lieferte sich Reduktionsanstalten und Augenwinkelfaltenspezialisten<br />

aus, selbst Chirurgen ans Messer — zu<br />

ihrem Verderben, wie ich schwor, und zu deren Gedeih; ließ sich<br />

von außen und innen, von vorne und von hinten bearbeiten; schlief<br />

nach der Uhr im Schweiße ihres Angesichts Pflichtstunden, einmal<br />

in dieser, einmal in jener Lage; wog, statt es sich schmecken zu<br />

lassen, Salatblätter ab; lächelte, statt mir, dem Spiegel zu; statt aus<br />

Vergnügen aus Pflicht — kurz: so schwer hatte sie ihr Lebtag noch<br />

nicht gearbeitet; und daß die Initiationsriten, die die Jungfrauen<br />

der Weddas zu absolvieren hatten, grausamer gewesen sind als<br />

die, denen V. sich zwecks feierlicher Aufnahme in die Phantomwelt<br />

zu unterziehen hatte, ist mir zweifelhaft. Kein Wunder,<br />

daß sie bald nervös wurde, um nicht zu sagen unausstehlich,<br />

daß sie, so als hätte sie bereits die Privilegien eines Phantoms, sich<br />

an der Mitwelt zu rächen begann, uns eigentlich bereits als Luft<br />

behandelte, wenn auch als Luft, die ein- und auszuatmen sie je<strong>des</strong><br />

Recht hatte. Nachdem sie dieses Leben ein halbes Jahr geführt und<br />

ihren alten Adam oder ihre alte Eva so hatte bearbeiten lassen, bis<br />

von dieser wirklich nichts mehr da war; und als nun in ungeahntem<br />

Glänze der neue Mensch: das Phantom, aus ihr aufgestiegen<br />

war — die Epiphanie trat etwa vor vierzehn Tagen ein — da machte

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