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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Das Wirkliche — das Bild seiner Bilder 191<br />

hen, wie sie geschehen, damit sie als Sendungen brauchbar seien; ja<br />

solche, die Überhaupt nur <strong>des</strong>halb geschehen, weil sie ah Sendungen<br />

erwünscht oder benötigt sind. Wo in solchen Fällen die Realität aufhört<br />

und das Spiel anhebt, ist nicht mehr zu beurteilen. „Wenn<br />

Richter, Zeugen und Anwälte . . . ihre Tätigkeit im Bewußtsein<br />

der Tatsache ausüben müssen, daß vielleicht zehn Millionen <strong>Menschen</strong><br />

ihnen zusehen, dann muß die Versuchung, Theater zu spielen,<br />

allmächtig werden." (Ausspruch <strong>des</strong> Judge Medina, zitiert<br />

nach New York Herald, 15. Sept. 1954.) Ja, die Frage, wo die<br />

Wirklichkeit aufhöre und der Schein anhebe, ist bereits falsch gestellt:<br />

denn Radio und Bildschirm und der Phantomkonsum sind<br />

selbst soziale Realitäten von solcher Massivität, daß sie mit den<br />

meisten anderen Realitäten von heute den Kampf aufnehmen<br />

können, daß sie, „was wirklich ist", „wie es wirklich passiert",<br />

selbst bestimmen. <strong>Die</strong> Karl Kraus'schen Zeilen, in denen er bereits<br />

einen Skandal zu geißeln glaubte:<br />

„Im Anfang war die Presse,<br />

und dann erschien die Welt"<br />

sind also bereits harmlos geworden. Denn heute müßte es heißen:<br />

„Im Anfang war die Sendung,<br />

für sie geschieht die Welt."<br />

Völlig unbekannt ist uns dieses invertierte, um nicht zu sagen<br />

pervertierte, Verhältnis von Modell und Reproduktion freilich<br />

nicht: neben ihren tausend Projektionen gelten die Modelle: die<br />

wirklichen Filmstars, nichts; und wie sie, die „wirklichen", in<br />

Hollywood als Fleisch und Blut herumlaufen, sind sie eigentlich<br />

auch nur noch die erbärmlichen Gespenster ihrer Reproduktionen;<br />

Gespenster, die vergeblich versuchen, ihren Großaufnahmen gewachsen<br />

zu bleiben.<br />

Weitgehend gleichen ihnen heute bereits viele Ereignisse: die<br />

Fußballmatches, Gerichtsverhandlungen, ja politischen Demonstrationen,<br />

die eigentlich bereits, im Vergleich zu ihren millionenfach<br />

gehörten und gesehenen Übertragungen, unscheinbar und<br />

unwirklich geworden sind; dies jedenfalls wären, wenn nicht eben<br />

ihre Faktur bereits dadurch bestimmt wäre, daß sie reproduziert<br />

und übertragen werden. Statt für die angeblichen Originalbeteiligten<br />

und Originalzuhörer sind sie schon von vornherein für die

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