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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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182 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

Sein". — Befände sich unter diesen Magiern — was freilich sehr<br />

unwahrscheinlich ist, denn Photographieren und Philosophieren<br />

scheinen einander auszuschließen — einer, der nicht nur mittäte,<br />

sondern der sich im Klaren darüber wäre, was er täte, er würde sein<br />

mit Knipsen verbrachtes Leben so rechtfertigen: „Da ich je<strong>des</strong> Gewesene<br />

in eine Reproduktion und damit in ein physisches Objekt<br />

verwandelt habe; die meisten schwarz auf weiß, einige bunt, und<br />

ein paar sogar in Bewegung nach Hause getragen habe, so daß ich<br />

sie nun immer weiter haben kann, ist nichts in meinem Leben vergeblich,<br />

nichts vergeudet, nichts unprofitabel gewesen. Je<strong>des</strong> ist<br />

nun, weil es bleibt; je<strong>des</strong> ist nun, weil es Bild ist." „Sein" bedeutet<br />

also: Gewesensein und Reproduziertsein und Bildsein und Eigentum<br />

sein. —<br />

Der engen Beziehung, die zwischen der Reproduktionstechnik<br />

und der (nicht zu Unrecht „reproduzierend" genannten) Erinnerung<br />

besteht, weiter nachzugehen, würde zu weit führen. Hier nur<br />

soviel, daß sie zweideutig ist: Einerseits werden wir durch Photos<br />

zwar erinnert; aber andererseits — und das ist wichtiger — haben<br />

die zu Dingen gewordenen Souvenirs das Erinnern als Stimmung<br />

oder als Leistung zum Verkümmern gebracht und ersetzt. Sofern<br />

der Zeitgenosse überhaupt noch Wert darauf legt, sich als „Leben"<br />

aufzufassen, ein autobiographisches Bild seiner selbst zu gewinnen,<br />

setzt er dieses aus den Photos zusammen, die er geknipst hat. Berufen<br />

zu werden brauchen die Bilder <strong>des</strong> Gewesenen nicht mehr: sie<br />

werden aufgeschlagen; und aufzusteigen haben sie nicht nötig;<br />

höchstens aus der Tiefe <strong>des</strong> Albums. Dort und dort allein liegt seine<br />

Vergangenheit, nicht anders als die Marcuskirche. Nur mit Hilfe<br />

der dort eingeklebten und dadurch unverlierbaren Momentaufnahmen<br />

rekonstruiert er seine Vergangenheit; nur in dieser Album-<br />

Form führt er Tagebuch. — Daß sich sein so rekonstruiertes Leben<br />

fast ausschließlich aus Ausflügen und Reisen zusammensetzt, und<br />

alles andere als „Leben" nicht zu rechnen scheint, nur am Rande. —<br />

Im Grunde genommen ist es das Museums-Prinzip, das nun als<br />

autobiographisches Prinzip triumphiert hat: jedem begegnet sein<br />

eigenes Leben in Form einer Bilder-Serie, als eine Art von „autobiographischer<br />

Galerie"; damit aber eigentlich auch nicht mehr als<br />

ein Gewesenes, da alles Gewesene in die eine Ebene <strong>des</strong> verfügbaren

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