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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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<strong>Die</strong> Nippesversion der Welt 153<br />

zigen Geräte, die solche Proportionsunlerschlagung begehen; Landkarten<br />

scheinen sich der gleichen Unterschlagung schuldig zu machen.<br />

Aber Landkarten treten schließlich ehrlich und deutlich als<br />

verkleinerte Übersichtsmodelle auf, während TV-Szenen, zugleich<br />

mit dem Geschehenen abrollend, vorgeben, die Ereignisse selbst<br />

zu sein. —<br />

Viel zu wenig betont man in der heutigen Kulturkritik, daß es<br />

neben dem, gewiß charakteristischen, Sensationalismus auch den,<br />

mit ihm aufs engste alliierten und nicht minder gefährlichen Antisensationalismus<br />

gibt, der wo jener falsch aufbauscht, falsch beschwichtigt;<br />

und wo jener jede Mücke zu einem Elefanten aufbläst,<br />

aus jedem Elefanten eine Mücke macht. Sitzt man vor dem Bildschirm,<br />

so ist es tatsächlich schwierig, sich der durch den Trick der<br />

Verkleinerung vollkommen gemachten Phantomisierung der Welt<br />

zu entziehen; und mühselig selbst für den, der den Vorgang durchschaut.<br />

Wer einmal das zweifelhafte Vergnügen gehabt hat, einem<br />

auf dem Bildschirm stattfindenden marionettenhaften Auto-Rennen<br />

beizuwohnen, wird nachher ungläubig festgestellt haben, daß selbst<br />

der tödliche Unglücksfall gar nicht so schlimm wirkte: zwar weiß<br />

man, daß, was man da soeben miterlebt hat, sich wirklich soeben,<br />

im selben Augenblick, da man es auf dem Schirm sah, abgespielt<br />

hat; aber man weiß es eben nur; das Wissen bleibt doch ganz unlebendig;<br />

das winzige Bild mit dem irgendwo dort hinten Geschehenden,<br />

das hiesige Jetzt mit dem dortigen in Kongruenz zu<br />

bringen; also das Jetzt als wirklich gemeinsames, als ein und dasselbe<br />

dort-und hier-Jetzt aufzufassen, gelingt nicht; also bleibt<br />

auch unsere Erschütterung klein und imaginär; beträchtlich kleiner<br />

sogar, als Erschütterungen, in die uns nur fiktive, auf der Bühne<br />

stattfindende Katastrophen versetzen.<br />

Aber diese Kongruenz soll ja auch gar nicht gelingen. Was gelingen<br />

soll und effektiv gelingt, ist vielmehr, daß wir durch das<br />

vorgespiegelte Bild der Fähigkeit beraubt werden, an dieses Wirkliche<br />

zu denken, ja überhaupt zu bedenken, daß „außerdem",<br />

außer dem gelieferten, auch noch das wirkliche Geschehen existiert.<br />

<strong>Die</strong> Absicht der Bild lieferung, ja die Lieferung <strong>des</strong> ganzen Weltbil<strong>des</strong>,<br />

besteht eben — hier greifen wir auf eine Formulierung aus<br />

dem Eröffnungsparagraphen zurück — darin, das Wirkliche ab-

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