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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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146 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

dalöse, an dieser Situation besteht darin, daß es der Attrappenfamilie<br />

wirklich glückt, die wirkliche zu ersetzen; daß sie jene<br />

ausgehungerten mütterlichen und großmütterlichen Gefühle und<br />

Zärtlichkeiten, die im wirklichen Familienleben zu Recht bestünden,<br />

wirklich aufreizen, besetzen und befriedigen kann; daß sie<br />

andererseits, darin völlig „Bild", von der Existenz der Liebenden<br />

nicht im min<strong>des</strong>ten Kenntnis nimmt, also die ihr geltenden echten<br />

Gefühle (die sie in Massenproduktion herstellt, um sie solistisch<br />

konsumieren zu lassen) verhöhnt.<br />

„Warum nicht?" höre ich einwerfen, „warum sollte man den<br />

alten Damen so angenehme Gefühle mißgönnen? Ist Fühlen nicht<br />

etwas Gutes? Und sind es denn nicht gute Regungen, die sie empfinden?<br />

Und sind ihre Empfindungen denn auch Phantome oder<br />

Attrappen?" — Worauf man nur in altmodischer und durch nichts<br />

begründbarer Wahrheitsliebe erwidern kann, daß, wer in noch so<br />

wirklichen, noch so angenehmen oder guten Gefühlen lebt, die sich<br />

ins Leere ergießen, denen also nichts Wirkliches entspricht, noch<br />

gründlicher und schändlicher betrogen ist, als wer nur in lügenhaften<br />

Ansichten lebt; daß Lügen nicht dadurch besser werden,<br />

daß die Betrogenen sie, sogar in voller Wahrhaftigkeit, als Wahrheit<br />

nehmen; daß Lügen vielmehr nichts anderes beabsichtigen<br />

und darin grade ihr Ziel und ihren Triumph erreichen. — Betrogen<br />

aber sind diese Phantomanhängerinnen um ihr Mensch-sein,<br />

weil Subjektivität und Welt für sie endgültig auseinandergerissen<br />

sind. Und es ist schwer zu entscheiden, was dabei skandalöser ist:<br />

ob die Tatsache, daß hier Empfindungen, und zwar die gleiche Liebe<br />

zum gleichen Enkel, maschinell in Massenproduktion hergestellt<br />

und Millionen Frauen eingeflößt werden; oder die, daß alle diese<br />

Frauen dazu genötigt werden, letztlich statt „ihres" Enkels (da es<br />

diesen ja gar nicht gibt) nur ihre eigne Enkelliebe zu lieben, also<br />

empfindsam und sentimental zu werden.<br />

Der Unfug, der hier mit der <strong>Menschen</strong>würde <strong>des</strong> Gefühls getrieben<br />

wird, ist deprimierend; die Verwandlung von <strong>Menschen</strong><br />

aller Altersklassen in solistische Empfindler oder in Lauscher und<br />

Voyeurs widerwärtig; und vollends entmutigend ist es schließlich,<br />

daß die Kritik solcher Erscheinungen als Zeichen von Mißgunst<br />

gilt.

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