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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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142<br />

§14<br />

Alles Wirkliche wird phantomhaft, alles Fiktive wirklich<br />

<strong>Die</strong> betrogenen Großmütter häkeln für Phantome und werden zur<br />

Idolatrie erzogen<br />

Kehren wir nun nach diesem langen, aber nicht überflüssigen<br />

Exkurs über die „Dividiertheit" <strong>des</strong> zerstreuten <strong>Menschen</strong> wieder<br />

zu unserem engeren Gegenstande: zu der Gefährdung <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong><br />

durch Rundfunk und Fernsehen, zurück.<br />

Wie wir ausgefunden hatten, bleibt das dem <strong>Menschen</strong> ins Haus<br />

„gesendete" Etwas ontologisch so zweideutig, daß wir die Frage,<br />

ob wir es als anwesend oder abwesend, als Wirkliches oder Bildliches<br />

ansprechen sollten, nicht entscheiden konnten. Wir hatten<br />

dem Zweideutigen <strong>des</strong>halb einen eigenen Namen gegeben und es<br />

„Phantom" genannt.<br />

Nun war aber diese Zweideutigkeits-These durch einen Zwischenrufer<br />

bestritten worden. Nach dem Sinn von „An- oder Abwesenheit"<br />

zu fragen, hatte der behauptet, sei <strong>des</strong>halb müßig,<br />

weil die Sendungen „ästhetischer Schein" seien, wir mithin in ästhetischer<br />

Attitüde; und weil das Problem <strong>des</strong> Scheins in der Ästhetik<br />

längst zur Zufriedenheit formuliert worden sei.<br />

Aber so argumentieren heißt neuen Wein in alte Schläuche<br />

füllen. <strong>Die</strong> alten Kategorien leisten es nicht mehr. Niemand, der<br />

unbefangen beobachtet, in welcher Haltung er vor seinem Apparat<br />

sitzt, wird auf die Idee kommen, zu behaupten, er genieße „ästhetischen<br />

Schein". Das tut er schon <strong>des</strong>halb nicht, weil er es nicht<br />

kann; d. h.; weil das Eigentümliche und eigentümlich Beunruhigende<br />

der Sendungen eben gerade darin besteht, daß sie sich um<br />

die Alternative „Sein oder Schein" drücken. So wahr es ist, daß<br />

Ereignisse, wenn gesendet, phantomhaft werden, so unwahr ist es,<br />

daß sie dadurch den als-ob-Charakter der Kunst annehmen. <strong>Die</strong><br />

Haltung, in der wir einer gesendeten politischen Gerichtsverhandlung<br />

beiwohnen, unterscheidet sich grundsätzlich von der, die wir<br />

etwa bei der Aufführung der Gerichtsszene in Büchners „Danton"<br />

einnehmen. Sie unzweideutig zu beschreiben ist nicht nur <strong>des</strong>halb<br />

schwierig, weil unsere theoretischen Begriffe der neuen Wirklichkeit

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