12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

134 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

Dabei wäre an sich gegen die Verwischung der Grenze zwischen<br />

den zwei Gegenwarten nicht nur nichts einzuwenden, sie wäre sogar,<br />

wenn richtig durchgeführt, zu begrüßen. Denn es gibt ja<br />

heute viel zu vieles, was wir, obwohl es uns wirtlich betrifft und<br />

treffen (und von uns getroffen werden) kann; was also nostra res<br />

und konkreteste und bedrohlichste Gegenwart ist, zu Unrecht als<br />

„nur gleichzeitig", also als adiaphoron, fortschieben. <strong>Die</strong> Gefahr<br />

der Verprovinzialisierung ist nicht geringer als die der falschen<br />

Globalisierung. Techniken zur Erweiterung unseres, weit über<br />

unsern sinnlichen Umkreis hinaus in Evidenz zu haltenden, moralischen<br />

Gegenwartshorizontes wären also durchaus erforderlich.<br />

Aber diese Erweiterung leistet das Fernsehen eben nicht. Vielmehr<br />

weicht sie unseren Horizont so vollständig auf, daß wir echte Gegenwart<br />

überhaupt nicht mehr kennen; und selbst dem Geschehen,<br />

das uns wirklich angehen sollte, nur noch jenes scheinbare Interesse<br />

entgegenbringen, das aufzubringen wir von den uns ins Haus<br />

gelieferten Scheingegenwarten gelernt haben.<br />

Unnötig hinzuzufügen, daß die Zahl von Gegenwartsphantomen<br />

unbeschränkt ist. Da das Prinzip, das Konsumenten und Ereignis<br />

auf einen Nenner bringt, abstrakt und punktuell ist, eben im bloßen<br />

gemeinsamen Jetzt besteht, ist es auch universal. Ereignisse,<br />

die aus dem globalen Jetzt herausfallen, gibt es nicht; also auch<br />

nichts, was nicht in ein angeblich Anwesen<strong>des</strong> verwandelt werden<br />

könnte. Aber je mehr anwesend gemacht wird, <strong>des</strong>to weniger anwesend<br />

wird es gemacht. Unter den Radio- und Televisionsfans,<br />

die mir begegnet sind, wüßte ich keinen einzigen, der durch seine<br />

tägliche Portion an Simultaneitäten zum Weltfreund, oder auch<br />

nur zum Zeitgenossen, erzogen worden wäre. Dagegen so manchen,<br />

den diese seine tägliche Speise weltlos gemacht hat, beziehungslos<br />

und zerstreut: also zum bloßen Jetztgenossen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!