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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Gefälschte Gegenwart 133<br />

genwart?" Benützen wir nicht die Tatsache, daß das Wort zufällig<br />

zwischen zwei Bedeutungen schillert, um imaginäre Probleme<br />

hervorzurufen? Denn offenbar verwenden wir es ja in<br />

zweierlei Sinne; Einmal, um konkrete Gegenwart zu bezeichnen;<br />

also die Situation, in der sich Mensch und Mensch, oder Mensch<br />

und Welt in tatsächlicher Tuchfühlung befinden, und, einander<br />

angehend, treffend und betreffend, zur „Situation" zusammenwachsen<br />

(— concrescunt); und dann, um die bloß formale Simultaneita't<br />

anzuzeigen; also die Tatsache, daß Mensch und je<strong>des</strong> beliebige<br />

Ereignis, auf der Nadelspitze <strong>des</strong>selben Jetztpunktes stehend,<br />

den Weltaugenblick teilen. — Aber daß dem Wort diese<br />

Doppelbedeutung zukommt — und nicht nur im Deutschen — ist<br />

eben kein Zufall. Vielmehr gründet diese Doppelbedeutung darin,<br />

daß die Grenze, an der ein Ereignis oder ein Stück Welt uns nur<br />

noch so wenig angeht, daß es nun „gegenwärtig" nur noch im<br />

Sinne der Simultaneität ist, wirklich nicht ziehen läßt. Das Gegenwärtige<br />

geht ins nur Simultane über; dieses ist der Grenzfall; es<br />

ist dasjenige, was mich am wenigsten angeht, also das Fernste;<br />

aber was, da es sich noch nicht in „Ungegebenheit" zurückzieht,<br />

andererseits beweist, daß es mich doch noch angeht.*<br />

Aber selbst wenn sich eine Grenze zwischen den zwei Bedeutungen<br />

ziehen ließe: nicht wir sind es, die mit dieser Doppelbedeutung<br />

spielen; vielmehr tut das eben die Television. Ja, dieses Spiel<br />

ist geradezu Prinzip der Sendung; denn deren Leistung besteht<br />

eben darin, das nur oder beinahe nur Gleichzeitige so zuzustellen,<br />

daß es ah echte Gegenwart wirke; dem nur formal Gegenwärtigen<br />

den Schein konkreter Gegenwart zu verleihen; die an sich schon<br />

undeutliche Grenzlinie zwischen den zwei „Gegenwarten", damit<br />

zwischen dem Relevanten und dem Irrelevanten, vollends zu löschen.<br />

Jede Bildsendung spricht, und zwar mit Recht: „Jetzt bin<br />

ich — und nicht nur ich, die Sendung; sondern ich, das gesendete<br />

Ereignis." Und durch dieses „jetzt bin ich", durch diese Aktualität,<br />

macht sie sich zu einem Phänomen, das über alles rein Bildhafte<br />

hinausgeht; macht sie sich also, da sie ein wirklich Gegenwärtiges<br />

ja gleichfalls nicht ist, zu einem Zwischending; zu jenem Zwischenring<br />

zwischen Sein und Schein, das wir eben, als wir von der<br />

Rundfunksendung sprachen, „Phantom" nannten. —

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