12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Phantome sind keine Bilder 131<br />

sisch erreicht. — Außerdem aber befinden wir uns, es sei denn es<br />

werde ein Kunstwerk (etwa ein Drama) einschließlich seines Scheincharakters<br />

übertragen, als Zuhörer in einer nichts weniger als<br />

ästhetischen Haltung: Wer den Fußballmatch abhört, tut es als<br />

erregter Parteigänger, meint ihn als wirklich stattfindenden und<br />

weiß nichts vom „Als ob" der Kunst.<br />

Nein, der Zwischenruf er hat unrecht. Bloße Bilder sind es nicht,<br />

was wir empfangen. Wirklich gegenwärtig beim Wirklichen sind<br />

wir aber gleichfalls nicht. <strong>Die</strong> Frage: „Sind wir anwesend oder<br />

abwesend?" ist tatsächlich gegenstandslos. Aber eben nicht <strong>des</strong>halb,<br />

weil die Antwort „Bild" (und damit „abwesend") sich von selbst<br />

verstünde; sondern weil das Eigentümliche der durch die Übertragung<br />

geschaffenen Situation in deren ontologischen Zweideutigkeit<br />

besteht; weil die gesendeten Ereignisse zugleich gegenwärtig<br />

und abwesend, zugleich wirklich und scheinbar, zugleich da und<br />

nicht da, kurz: weil sie Phantome sind. —<br />

§ 12<br />

Bild und Abgebildetes im T. V. sind synchron.<br />

Synchronie ist die Verkümmerungsform der Gegenwart<br />

„Aber", wird der Zwischenrufer fortfahren, „was für Hör-Sendungen<br />

gilt, gilt doch nicht ohne weiteres für Television. Daß diese<br />

uns Bilder liefern, kann doch wohl nicht bestritten werden."<br />

Kaum. Und doch, „Bilder" im herkömmlichen Sinne sind auch<br />

sie nicht. Zum Wesen <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> hatte es nämlich in der Geschichte<br />

<strong>des</strong> menschlichen Bildens bis heute grundsätzlich gehört, daß es<br />

zwischen diesem und dem von ihm abgebildeten Gegenstand eine,<br />

wenn auch unausdrücklich bleibende, Zeitdifferenz, ein „Zeitgefälle"'<br />

gebe. <strong>Die</strong>ses Gefälle wird im Deutschen sinnvoll<br />

durch ein „nach" ausgedrückt: entweder malt man ein Bild nach<br />

einem Modell; oder ein Wirkliches ist nach einem Modell hergestellt.<br />

Entweder war also das Bild seinem Sujet gefolgt, als<br />

Nachbild oder Denkmal, um <strong>des</strong>sen Vergangenheit zurückzurufen,<br />

<strong>des</strong>sen Vergänglichkeit zu widerrufen, also, um es zu retten und

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!