12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

128 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

leise und erlöst vor sich hinzuwimmern begann, nicht anders als<br />

ein an den Strand geworfener Schiffbrüchiger, der, glücklich, wieder<br />

Grund unter seinen Füßen zu spüren, in Tränen ausbricht. <strong>Die</strong><br />

Zimmerwirtin oder gar mich eines Blickes zu würdigen, kam natürlich<br />

nicht in Betracht. Neben dem wiedergefundenen, nie gesehenen,<br />

Kumpan waren wir unwirklich. —<br />

§ 10<br />

Ob die Verfremdung noch ein Vorgang ist<br />

Vielleicht freilich ist mit der These, daß unsere Angewiesenheit<br />

auf die „angebiederten Freunde" und auf die „angebiederte<br />

Welt" uns Heutige uns selbst entfremde, doch etwas nicht in Ordnung.<br />

Nicht <strong>des</strong>halb, weil sie zu weit ginge, sondern weil sie sich<br />

nicht weit genug vortraut. Denn aus der Unterstellung, wir, ausschließlich<br />

mit Ersatz, Schablonen und Phantomen genährten Wesen<br />

wären noch Iche mit einem Selbst, könnten also noch davon<br />

abgehalten werden, „wir selbst" zu sein oder zu „uns selbst" zu kommen,<br />

spricht vielleicht ein heute nicht mehr gerechtfertigter Optimismus.<br />

Liegt nicht der Augenblick, in dem „Entfremdung" als Aktion<br />

und Vorgang noch möglich ist, bereits hinter uns? Min<strong>des</strong>tens<br />

in gewissen Ländern? Befinden wir uns nicht bereits in dem Zustand,<br />

in dem wir eben gar nicht mehr „wir selbst" sind, sondern<br />

nur noch dasjenige, was man täglich an Surrogaten in uns hineingelöffelt<br />

hat? Kann man den Beraubten berauben? Den Entkleideten<br />

entkleiden? Den Massenmenschen sich selbst noch entfremden?<br />

Ist die Entfremdung denn noch ein Vorgang? Oder ist sie<br />

nicht vielmehr ein fait accompli?<br />

Lange haben wir jene „Psychologien ohne Seele", in denen<br />

Kategorien wie „Ich" oder „Selbst" als lächerliche metaphysische<br />

Rudimente verhöhnt wurden, unsererseits als Verfälschungen <strong>des</strong><br />

<strong>Menschen</strong> verhöhnt. Aber hatten wir damit Recht? War unser<br />

Hohn nicht reine Sentimentalität? Waren es denn diese Psychologen,<br />

die den <strong>Menschen</strong> verfälscht hatten? Waren diese nicht<br />

bereits Psychologen <strong>des</strong> verfälschten <strong>Menschen</strong>, waren sie als Ro-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!