12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Quellen der Verbiederung 127<br />

unser Dasein nun fast pausenlos in der Gesellschaft jener falschen<br />

Vertrauten, jener Phantomsklaven verbringen, die wir — denn die<br />

Alternative Schlafen und Wachen hat der von Schlafen und Radio -<br />

hören Platz gemacht — mit noch schlaftrunknera Griff als erstes<br />

Stück Welt zur Morgen-Audienz in unser Zimmer beordern, um<br />

von ihnen angeredet, angeblickt, angesungen, aufgemuntert, getröstet,<br />

weich oder scharf gemacht, den Tag zu beginnen, der nicht<br />

unser ist; und nichts, was die Selbstentfremdung so endgültig<br />

machte, wie unter der Aegide dieser Scheinfreunde den Tag fortzusetzen:<br />

denn auch dann, wenn wirkliche Gesellschaft erreichbar<br />

wäre, bleiben wir ja weiter und lieber in der Gesellschaft unserer<br />

portable chums, da wir diese eben nicht mehr als Ersatzmänner für<br />

wirkliche <strong>Menschen</strong> empfinden, sondern als unsere wahren Freunde.<br />

Als ich einmal im Pullmanabteil einer Gegenübersitzenden, die<br />

sich gerade einer, ihr offenbar sehr teuren, Männerstimme, die markig<br />

aus ihrem winzigen Apparat heraustönte, hingab, einen guten<br />

Morgen bot, zuckte die zusammen, so als sei nicht der Herr im<br />

Kasten das Phantom, sondern ich; und als hätte ich mich eines ungeheuerlichen<br />

Hausfriedensbruchs in ihre Wirklichkeit, nämlich<br />

in die ihres Liebeslebens, schuldig gemacht. Ich bin überzeugt davon,<br />

daß es heute zahllose <strong>Menschen</strong> gibt, die sich, konfiszierte man<br />

ihre Radios, grausamer gestraft fühlen würden als jene Häftlinge,<br />

denen man zwar ihre Freiheit konfisziert, aber ihre Apparate beläßt:<br />

diese dürfen sich ja weiter in blühender Extravertiertheit ausleben,<br />

ihre Welt und ihre Freunde stehen ihnen — was hat sich<br />

schon verändert? — zu weiterer Audienz zur Verfügung; während<br />

der arme seines Apparats Beraubte sofort von panischer Angst ergriffen<br />

sein würde, taub im Nichts zu stehen und vor Einsamkeit<br />

und Weltlosigkeit zu ersticken. Ich entsinne mich, wie in meiner<br />

New Yorker Zeit ein achtjähriger Puertorikaner verstört in die<br />

Wohnung unserer Zimmerwirtin gestürzt kam — sein Radio war<br />

aus irgendeinem Grunde plötzlich weltende-haft verstummt — um<br />

die geliebte Stimme eines seiner Phantomfreunde aus Los Angeles,<br />

die er auf keinen Fall versäumen durfte, aus ihrem Apparat zu erwischen;<br />

und der, als er mit einer einzigen Knopfdrehung die<br />

Stimme hatte — denn auf welcher Wellenlänge diese wohnte, wußte<br />

er nicht nur, er hatte die Adresse natürlich blind im Griff — nun

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!