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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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126 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

Daß die Verfremdung diese Operation der Selbstverleugnung<br />

heimlich durchführt, daß sie sich noch nicht einmal durch einen<br />

eigenen Namen in Erinnerung bringt, ist nun allerdings nicht erstaunlich.<br />

Was sollte denn jenen Mächten, die unsere Welt verfremden<br />

daran liegen, unsere Blicke auf sich zu lenken? Und uns, auch<br />

nur durch Einführung eines Terminus, darauf aufmerksam zu machen<br />

daß sie es nötig haben, ihre Verfremdung durch Lieferung von<br />

Surrogatbildern zu verdecken, und daß sie das mit Erfolg tun? Erstaunlich<br />

ist freilich, daß es ihnen wirklich gelingt, eine Alltagserscheinung<br />

von so ungeheurer Verbreitung und Öffentlichkeit<br />

wie die „Verbiederung" allein dadurch, daß sie sie namenlos lassen<br />

in solcher Heimlichkeit zu lassen. Aber daß es so ist, ist unbestreitbar-<br />

Darum liefern sie ihre Bilder, aber verschweigen die Bewandtnis<br />

ihrer Lieferung. Was sie um so unbesorgter tun können,<br />

als wir, die Belieferten, uns eben wirklich betrügen lassen und uns<br />

als Betrogene durch und durch gesund fühlen. Es ist, als waren wir,<br />

durch die Verfremdung verwundet, unfähig gemacht, zu bemerken<br />

daß wir unter der Droge der Verbiederung stehen; und von<br />

der Droge zu stark betäubt, um noch zu spüren, daß wir verwundet<br />

sind: also, als höben die zwei Zustände einander auf.<br />

Aber gesetzt selbst, die Verbiederung entstünde nicht durch die<br />

Tarn- und Betrugsoperation der Verfremdung, unbestreitbar bleibt,<br />

daß sie- selbst verfremdet. Ja, auch sie. Ob man nämlich, wie es die<br />

Verfremdung gewöhnlich tut, das Nahe fern macht, oder, wie die<br />

Verbiederung das Ferne intim — der Effekt der Neutralisierung<br />

ist in beiden Fällen der gleiche; in beiden Fällen ist durch diese<br />

Neutralisierung die Welt und die Stellung <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> in ihr<br />

verzerrt, da es eben zur Struktur <strong>des</strong> In der Welt-Seins gehört, daß<br />

sich die Welt in konzentrischen Nähe- und Fernekreisen um den<br />

<strong>Menschen</strong> herum staffelt; und weil derjenige, dem alles gleichermaßen<br />

nah und fern ist, derjenige, den alles gleichermaßen angeht,<br />

entweder ein indifferenter Gott oder ein völlig denaturierter Mensch<br />

ist. Aber von stoischen Göttern ist hier ja nicht die Rede.<br />

In der Tat gibt es nichts, was uns uns selbst und der Welt auf<br />

verhängnisvollere Weise entfremdete als die Tatsache, daß wir

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