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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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118 <strong>Die</strong> Welt als Phantom und Matrize<br />

Soll diese Du-auf-Du-Beziehung in Gang kommen, soll ich<br />

etwas zum duzen haben, so müssen die Bilder mit dem Duzen anfangen.<br />

In der Tat gibt es keine Sendung, der diese Du-Qualität<br />

fehlte; kein ins Haus geliefertes Wesen, das sie nicht ausstrahlte.<br />

Schalte ich den Präsidenten ein, so sitzt er, obwohl tausend Meilen<br />

von mir entfernt, plötzlich neben mir am Kamin, um mit mir zu<br />

plaudern. (Daß er die gesendete Gemütlichkeit in Millionen Exemplaren<br />

ausstreut, nur am Rande.) Erscheint die Fernsehansagerin<br />

auf dem Schirm, dann gewährt sie mir, in absichtlich unabsichtlicher<br />

Zu-Neigung, die tiefsten Einblicke, so als hätte sie etwas mit<br />

mir. (Daß sie es mit allen Männern hat, nur am Rande.) Beginnt<br />

die Radiofamilie ihre Sorgen auszubreiten, so zieht sie mich ins<br />

Vertrauen, als sei ich ihr Nachbar, Hausarzt oder Pfarrer. (Daß<br />

sie jedermann ins Vertrauen zieht, daß sie da ist, um ins Vertrauen<br />

zu ziehen, daß sie d i e Nachbarsfamilie schlechthin ist, nur am<br />

Rande.) Sie alle kommen also als intime oder indiskrete Besucher,<br />

sie alle erreichen mich also in bereits vorverbiedertem Zustande.<br />

Unter denen, die mir ins Haus fliegen, gibt es keinen, dem noch<br />

ein Stäubchen von Fremdheit anhinge. Und nicht nur von den gesendeten<br />

<strong>Menschen</strong> gilt das, sondern von allem in der Welt; von<br />

der Welt als ganzer. <strong>Die</strong> Zauberkraft der Verbiederung ist so unwiderstehlich,<br />

der Spielraum ihrer Metamorphoseleistung so breit,<br />

daß nichts sich ihr entziehen kann. Ob Dinge, Plätze, Ereignisse<br />

oder Situationen, alle werden verwandelt, um mit spießgesellenhaftem<br />

Lächeln, mit einem vulgären tatwamasi auf den Lippen bei<br />

uns anzukommen; so daß wir nun letztlich sogar mit den Sternen<br />

im Himmel auf nicht weniger vertrautem Fuß stehen, als mit den<br />

Sternen am Filmfirmamente; und von „good old Cassiopeia" mit<br />

ebensoviel Recht reden dürften wie von Myrna oder Rita. Was<br />

nicht als Scherz gemeint ist. Denn wenn es heute in der Öffentlichen,<br />

ja in der akademischen Diskussion der Untertassen nicht nur<br />

als möglich, sondern als wahrscheinlich gilt, daß die angeblichen<br />

Bewohner anderer Planeten gleichfalls und gleichfalls gerade heute<br />

keine anderen Sorgen haben als interplanetarische Raumschiffahrt<br />

und dergleichen, so beweist das ja, daß man alle und alles als<br />

„unsereins" auffaßt; einen Anthropomorphismus also, neben dem<br />

die Anthropomorphismen der sogenannten „primitiven" Kulturen

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