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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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<strong>Die</strong> Welt wird verbiedert 117<br />

seil Vorgang der Pseudofamiliarisierung, der (aus Gründen, die im<br />

nächsten Paragraphen deutlich werden) keinen Namen hat, nennen<br />

wir die „Verbiederung der Welt" — „Verbiederung" und nicht<br />

„Anbiederung", weil, was sich abspielt, nicht darin besteht, daß<br />

wir uns Fremdem oder Frem<strong>des</strong>tem an den Hals würfen; sondern<br />

darin, daß man uns fremde <strong>Menschen</strong>, Dinge, Ereignisse und Situationen<br />

so liefert, als wären sie Vertrautes; also in bereits „verbiedertem"<br />

Zustande.*<br />

Illustrationen: Während (um zwei beliebige Verfremdungsbeispiele<br />

voranzustellen) unser Verwenden und unser Machen auseinandergerissen<br />

sind (da, was wir verwenden, immer schon fertig<br />

ist, die Bewandtnis <strong>des</strong>sen dagegen, was wir mitherstellend herstellen,<br />

uns entweder undurchsichtig oder unserem Leben fremd<br />

bleibt) . . . während unser Wohnungsnachbar, <strong>des</strong>sen Etagentür<br />

wir täglich Jahre hindurch passieren, uns gewöhnlich nicht kennt<br />

und die Entfernung zwischen sich und uns nicht überbrückt —<br />

präsentieren sich uns jene Filmstars, jene fremden girls, die wir<br />

zwar in persona niemals treffen oder treffen werden, die wir aber<br />

doch unzählige Male gesehen haben, und deren physische und seelische<br />

Details wir besser kennen als die unserer Kolleginnen, als<br />

alte Bekannte, als „chums"; so daß wir automatisch mit ihnen auf<br />

dem Duzfuß stehen und sie, wenn wir von ihnen sprechen, bei<br />

ihrem Vornamen, Rita oder Myrna, nennen. Das Gelieferte ist also<br />

distanzlos gemacht, wir ihm gegenüber gleichfalls, die Kluft ist<br />

abgeschafft. Welche Bedeutung man der Abschaffung der Kluft<br />

beimißt, beweist ja auch der 3D-Film, <strong>des</strong>sen Erfindung und Einführung<br />

nicht etwa nur dem Interesse an technischer Verbesserung<br />

oder etwa nur dem Konkurrenzkampf (gegen TV) entsprang, sondern<br />

eben dem Wunsche, der Distanzlosigkeit zwischen Geliefertem<br />

und Beliefertem ein Höchstmaß an sinnlich-räumlicher Glaubwürdigkeit<br />

zu verschaffen. Wäre es technisch möglich — und wer<br />

könnte voraussagen, was uns bei der Rasanz heutiger Kunstfortschritte<br />

noch bevorsteht? — so würde man uns wohl auch mit „telehaptischen<br />

Effekten" beglücken, durch die wir dann die Kinnhaken<br />

auf unseren Kiefern auch taktil genießen könnten. Erst das wäre ja<br />

eine wirkliche Nähe. Aber auch heute verspricht ja der 3D-Film<br />

bereits: „You are with them, they are with you."

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