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Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert

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komitee, vornehmlich aus nationalliberalen <strong>und</strong> freikonservativen Honoratioren,<br />

Bennigsen <strong>und</strong> Hohenlohe-Schill<strong>in</strong>gsfürst waren die Vorsitzenden, nahm<br />

die Sache des Denkmals "für die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches" Cl)<br />

<strong>in</strong> die Hand 98 • Die Gelder s<strong>in</strong>d zum großen Teil durch Sammlungen, zum al<br />

von Gesang-, Turn- <strong>und</strong> Kriegervere<strong>in</strong>en, von Schülern <strong>und</strong> Studenten aufgebracht,<br />

der Rest durch Spenden der Fürsten <strong>und</strong> Zuschüsse des Reiches. 1877<br />

wurde nach langen Diskussionen über Standort <strong>und</strong> Entwürfe der Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong><br />

gelegt, am 28.9. 1883 ist das Denkmal von Wilhelm 1. <strong>in</strong> Anwesenheit fast aller<br />

deutschen Fürsten unter Anteilnahme e<strong>in</strong>er großen Volksmenge e<strong>in</strong>geweiht<br />

worden. Der Versuch der Anarchisten, Fürsten <strong>und</strong> Denkmal <strong>in</strong> die Luft zu<br />

sprengen, scheiterte, <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Menetekel für das Fest nationaler Selbstvergewisserung<br />

<strong>in</strong> der Epoche e<strong>in</strong>es sich verschärfenden Klassenkampfes.<br />

E<strong>in</strong>e historisch-politische Erörterung muß von der fatalen künstlerischen<br />

Unzulänglichkeit des Denkmals, der Theatralik der Figur, dem Mißglücken der<br />

Fernwirkung - e<strong>in</strong>e Folge der Platzwahl <strong>und</strong> des Entschlusses zum plastischen,<br />

nicht-architektonischen Denkmal - absehen: die Stillosigkeit der Zeit<br />

steht mit dem Problem des nationalen Kultes <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em aufweisbaren Zusammenhang.<br />

Das Denkmal ist wiederum Bergdenkmal, es s<strong>in</strong>d gerade die Laien<br />

gewesen, die diesen Ort gegen die Künstler durchgesetzt haben, das entsprach<br />

der populären Vorstellung von e<strong>in</strong>em <strong>Nationaldenkmal</strong>. Die Nation, die sich<br />

<strong>im</strong> Denkmal f<strong>in</strong>det, ist zunächst die Nation des Krieges von 1870/71, die Nation<br />

der Wacht am Rhe<strong>in</strong>, daher der Ort, daher das Relief am Sockel: der<br />

Rhe<strong>in</strong>vater überreicht der Mosel das Wächterhorn, die Verse des Liedes s<strong>in</strong>d<br />

r<strong>und</strong>herum angeschrieben, der Kehrre<strong>im</strong> besonders herausgehoben; daher das<br />

Mittelrelief, die deutschen Heere, symbolisch repräsentiert <strong>in</strong> den Portraits der<br />

regierenden Fürsten, bedeutender Generale <strong>und</strong> e<strong>in</strong>iger begeisterter Soldaten,<br />

weiter zur Seite Reliefs mit Auszug <strong>und</strong> He<strong>im</strong>kehr der Krieger; daher das Anbr<strong>in</strong>gen<br />

der Schlachtennamen, daher der Blick der schwertgerüsteten Germania<br />

nach Westen. Aber das kriegerische Element ist doch ke<strong>in</strong>eswegs dom<strong>in</strong>ierend.<br />

Die Wacht am Rhe<strong>in</strong> ist eher defensiv als aggresiv verstanden, als Resultat<br />

des Sieges ersche<strong>in</strong>t nicht die Macht, sondern der Friede; <strong>in</strong> der Darstellung<br />

der ausziehenden <strong>und</strong> der he<strong>im</strong>kehrenden Krieger überwiegt fast die Trauer, es<br />

s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Krieger <strong>im</strong> Kampf <strong>und</strong> Angriff dargestellt, wie z. B. auf dem Siegesdenkmal<br />

<strong>in</strong> Freiburg <strong>im</strong> Breisgau; das Schwert der Germania ist, anders als<br />

be<strong>im</strong> Hermann auf dem Teutoburger Wald, nicht geschwungen, sondern zur<br />

Ruhe gestellt, "den von ihr erkämpften Frieden andeutend"99; ihr Blick ist ke<strong>in</strong>eswegs<br />

drohend nach Westen gerichtet, sondern unklar versonnen <strong>in</strong> die Ferne<br />

schweifend. In e<strong>in</strong>er zeitgenössischen Festschrift wird ausdrücklich das Fehlen<br />

von Triumphgebärden <strong>und</strong> Chauv<strong>in</strong>ismus betont <strong>und</strong> die mögliche These vom<br />

Erbfe<strong>in</strong>d abgewiesen: das Reich soll als Friedensreich dargestellt werden 10o •<br />

Schwierig ist es aber, das Verhältnis der nationalmonarchischen <strong>und</strong> der nationaldemokratischen<br />

Momente <strong>in</strong> der Auffassung der Nation, die <strong>im</strong> Denkmal<br />

Gestalt gewonnen hat, zu klären. Das Denkmal ist, wie die Inschrift sagt, errichtet<br />

"zum Andenken an die e<strong>in</strong>mütige <strong>und</strong> siegreiche Erhebung des deut-<br />

158<br />

schen Volkes <strong>und</strong> die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches 1870/71".<br />

Zwar s<strong>in</strong>d <strong>im</strong> Denkmal auch die deutschen Stämme <strong>und</strong> Staaten - <strong>in</strong> den Fürsten<br />

des Hauptreliefs <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Wappen e<strong>in</strong>es dritten Sockelfeldes _ vertreten,<br />

aber die bündisch gee<strong>in</strong>te Nation, die Nation des B<strong>und</strong>es der deutschen<br />

Fürsten, ist nicht die Nation des Denkmals, das ist vielmehr das deutsche<br />

Volk als Ganzes, wie es <strong>in</strong> der Germania - mit Märchen- <strong>und</strong> Symbolgestalten<br />

auf dem Mantel - symbolisiert ist. Die Germania nun steht vor dem<br />

Thron <strong>in</strong> ihrem Rücken <strong>und</strong> hält e<strong>in</strong>e Krone vor sich h<strong>in</strong>, mit unentschlossen<br />

abgew<strong>in</strong>keltem Arm, ihr Blick ruht nicht auf der Krone, sondern ist, wie gesagt,<br />

unklar <strong>in</strong> die Ferne gerichtet. Sie ist die Krönende, aber es bleibt unklar,<br />

wen sie krönt: ob sich selbst, so hatte es Schill<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Entwurf vorgesehen,<br />

dafür spricht auch der Thron <strong>im</strong> H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, aber dagegen sche<strong>in</strong>en<br />

jetzt der Lorbeer- oder Eichenkranz <strong>in</strong> ihrem Haar, der Blick <strong>und</strong> die Armhaltung<br />

zu sprechen 101 ; oder e<strong>in</strong>en anderen, den Kaiser, der doch <strong>im</strong> Denkmal<br />

nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihrem Blick gegenwärtig ist. E<strong>in</strong>e solche Krönung des Kaisers<br />

durch Germania, selbst wenn man sie zur Geme<strong>in</strong>schaft der Fürsten umdeuten<br />

würde, ist wie die Selbstkrönung der Germania e<strong>in</strong>e merkwürdige Umdeutung<br />

der Kaiserproklamation nach dem Sieg der deutschen Heere. Auch die Me<strong>in</strong>ung<br />

der Zeitgenossen gibt ke<strong>in</strong>en Aufschluß über die politische Intention, sie<br />

geht vielfältig ause<strong>in</strong>ander. Die politische Aussage zielt jedenfalls auf den<br />

KomPL~iß nationalmonarchischer <strong>und</strong> nationaldemokratischer Pr<strong>in</strong>zipien,<br />

aber sie ist künstle~},~E, gänzlich mißlungen. Bei den Denkmalsfesten kommt<br />

das Komprorniß nur ganz vage zum Ausdruck, die "e<strong>in</strong>mütige Erhebung des<br />

deutschen Volkes", die E<strong>in</strong>igung der deutschen Stämme, die Treue zu Kaiser<br />

<strong>und</strong> Reich, die Harmonie von Fürsten <strong>und</strong> Volk - das geht, ohne politisch<br />

näher artikuliert zu werden, <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander über. Obwohl es zu den geplanten patriotischen<br />

Festen <strong>im</strong> Bereich des Denkmals nicht gekommen ist <strong>und</strong> das Denkmal<br />

zum Ausflugspunkt wurde, behielt es e<strong>in</strong>e gewisse nationale Repräsentanz:<br />

<strong>im</strong> Mayerschen Lexikon heißt es 1909 unter <strong>Nationaldenkmal</strong> lapidar: "siehe<br />

Niederwald", <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Briefmarke mit der Germania hat bis 1922 Gültigkeit<br />

gehabt.<br />

Schließlich gehört <strong>in</strong> diesen Zusammenhang das Hermanns-Denkmal <strong>im</strong><br />

Teutoburger Wald, e<strong>in</strong> Werk se<strong>in</strong>es monomanen Erbauers Ernst v. Bandel' <strong>in</strong><br />

der pG~~?lgs- <strong>und</strong> Baugeschichte von 1819 bis 1875 spiegeln sich vielfäl~ige<br />

Faktoren d~s deutschen Nationalbewußtse<strong>in</strong>s des Jahrh<strong>und</strong>erts. Auch die Idee<br />

des Hermanns-Denkmals ist e<strong>in</strong> Resultat der nationalen Erregung der Freiheitskriege<br />

102 ; Arndt hat damals e<strong>in</strong> solches Denkmal propagiert, Sch<strong>in</strong>kel hat<br />

e<strong>in</strong>en Entwurf angefertigt 103 • Und Bandel, der sich seit 1819 mit Plänen für<br />

dieses Denkmal befaßte, ist, 1799 als Sohn e<strong>in</strong>es altpreußischen Beamten <strong>in</strong><br />

Ansbach geboren, Zeit se<strong>in</strong>es Lebens von traumatischen K<strong>in</strong>dheitserfahrungen<br />

mit der französischen Besatzung <strong>und</strong> - bee<strong>in</strong>flußt durch se<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong>schaft<br />

mit dem Jahn-Schüler H. K. Maßmann - dem "teutonischen" Nationalgefühl<br />

der ersten Jahre nach 1815 best<strong>im</strong>mt gewesen. 1838 beg<strong>in</strong>nt er mit dem Bau<br />

<strong>und</strong> wendet sich gleichzeitig mit Spendenaufrufen an das deutsche Volk, es<br />

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