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Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert

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vornehmlich der Bildung zugänglich, auch von daher ist das Denkmal Denkmal<br />

der Kulturnation.<br />

In der Auswahl der Großen, die Ludwig unter dem E<strong>in</strong>fluß Johannes von<br />

Müllers vorgenommen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigenen Schrift kommentiert hat, ist kaum<br />

e<strong>in</strong> durchgehendes Pr<strong>in</strong>zip zu entdecken: es waltet hier e<strong>in</strong> eigentümlicher Historismus,<br />

der nicht an lebendige Traditionen anknüpft, sondern auf e<strong>in</strong>e<br />

Sammlung gleichsam objektiver Größe überhaupt aus ist. Der Begriff des<br />

Deutschen ist weit gefaßt, deutsche Geburt oder Tätigkeit <strong>im</strong> deutschen Sprachraum<br />

ist ausschlaggebend, die Schweiz, die Niederlande <strong>und</strong> das Baltikum<br />

gehören auch über das 16. Jh. h<strong>in</strong>aus zu diesem Sprachraum, so kommen Wilhelm<br />

von Oranien <strong>und</strong> Kathar<strong>in</strong>a 11. von Rußland, der russische Feldmarschall<br />

Barclay de Tolly, e<strong>in</strong> Balte schottischer Abkunft, <strong>und</strong> Moritz von Sachsen,<br />

"<strong>im</strong> Handeln <strong>und</strong> Denken" "e<strong>in</strong> Franzos", <strong>in</strong> die Walhalla, auch die Helden<br />

der germanischen Frühzeit gelten als Deutsche. Der e<strong>in</strong>zige politisch gravierende<br />

Verstoß gegen die angestrebte Objektivität ist der Ausschluß der Reformatoren,<br />

<strong>in</strong>sbesondere der Ausschluß Luthers, dessen Büste ~~11ön 1831 angefertigt<br />

worden war, - e<strong>in</strong>e monarchisc1ie~°'Subjektivität zur Zeit des KQ.i~iJeugungsstreites,<br />

die damals viel kritisiert worden ist <strong>und</strong> die Ludwig später ;evidiert<br />

hat. Hier waren Spannungen <strong>in</strong> der Nation auch durch museale Summierung<br />

der Großen noch nicht ausgeglichen.<br />

Der S<strong>in</strong>n des Denkmals war Erbauung des Besuchers. Ruhm <strong>und</strong> Ehre der<br />

Gesamtnation s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihren Großen präsent, <strong>und</strong> ihre Vergegenwärtigung soll<br />

den Betrachter mit Stolz auf die Herrlichkeit <strong>und</strong> Größe se<strong>in</strong>er Nation erfüllen,<br />

soll ihm die E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> Solidarität der Nation darstellen <strong>und</strong> das Gefühl<br />

der Identität mit se<strong>in</strong>er Nation tiefer bewußt machen. Ludwig formuliert diese<br />

Intention so: "Rühmlich ausgezeichneten Teutschen steht als [!] Denkmal <strong>und</strong><br />

darum Walhalla, auf daß teutscher der Teutsche aus ihr trete, besser als er gekommen",<br />

<strong>und</strong> bei der E<strong>in</strong>weihung: "Möchte Walhalla förderlich se<strong>in</strong> der Erstarkung<br />

<strong>und</strong> Vermehrung deutschen S<strong>in</strong>ns. Möchten alle Deutschen, welchen<br />

Stammes sie auch seien, <strong>im</strong>mer fühlen, wie sehr sie e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Vaterland<br />

haben ... auf das sie stolz se<strong>in</strong> können, <strong>und</strong> jeder trage b~l:söVieC;;vermag,<br />

zu dessen Verherrlichung."73 Bei den Denkmalsfesten wird auf die Walhalla<br />

als e<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerungs- <strong>und</strong> Mahnzeichen zu deutscher E<strong>in</strong>tracht <strong>und</strong> E<strong>in</strong>heit abgestellt.<br />

Aber diese E<strong>in</strong>heit ist über den Bereich der Kultur h<strong>in</strong>aus nichts anderes<br />

als die staatenbündische E<strong>in</strong>heit des Deutschen B<strong>und</strong>es. Die e<strong>in</strong>zig politische<br />

Darstellung am Tempel, der zweite Giebelfries zeigt eben auf ausdrücklichen<br />

Wunsch des Königs die Begründung des Deutschen B<strong>und</strong>es 1815. Auch die vorgesehenen<br />

Neuaufnahmen sollten e<strong>in</strong>e Angelegenheit des Deutschen B<strong>und</strong>es<br />

se<strong>in</strong> 74 . Die Nation, die <strong>in</strong> diesem Denkmal repräsentiert war, sollte also auf<br />

Kult1:lEo_~nd Gesi~_Il:~Il:gJ?y~!;Jlr.~!l:kt bleiben, politisch erfüllte <strong>und</strong> erschöpfte sie<br />

sich <strong>in</strong> d~r~ETnt;acht <strong>und</strong> Harmonie der Fürsten <strong>und</strong> Stämme. Das "Teutscherwerden"<br />

der" Teutschen" blieb pqJiJ!soChi!l.1l Status quo orientiert. Das <strong>Nationaldenkmal</strong><br />

der Kulturnation ist eben auchd~;Ot)enk11lal e<strong>in</strong>es mittelstaatlichen<br />

Monarchen.<br />

150<br />

Die Idee e<strong>in</strong>es nationalkulturellen Denkmals nach Art der Walhalla aber<br />

blieb auch abgesehen von diesem Bau lebendig. Ludwig hat unmittelbar nach<br />

der Vollendung der Walhalla mit dem Bau e<strong>in</strong>er "bayerischen Walhalla" begonnen,<br />

der "Ruhmeshalle" auf der Sendl<strong>in</strong>ger Höhe, "e<strong>in</strong> für Bayern merkwürdiger<br />

Boden, der mit dem treuen Blut der Landleute getränkt ist, die sich<br />

für ihre Fürsten totschlagen ließen"75. Politisch enthält das Denkmal freilich<br />

e<strong>in</strong>e viel konkretere Aussage als die Walhalla: es ist betont monarchisches<br />

Denkmal, "Errichtet von Ludwig I. von Bayern als Anerkennung bayerischen<br />

Verdienstes <strong>und</strong> Ruhmes", <strong>und</strong> es ist <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne der bayerisch-zentralistischen<br />

<strong>Nationalidee</strong> des <strong>19.</strong> Jh.s e<strong>in</strong>e gesamtbayerische Aneignung der regional fränkischen,<br />

schwäbischen <strong>und</strong> reichsstädtischen Vergangenheit der neubayerischen<br />

Gebiete, der Versuch e<strong>in</strong>er partikularstaatlichen Integration <strong>im</strong> Denkmal; <strong>und</strong><br />

auch die Bavaria, vor der Ruhmeshalle <strong>und</strong> ihr zugehörig, muß <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne<br />

verstanden werden.<br />

A. Hallmann hae B 1842 <strong>in</strong> eigenartiger Abwandlung der Walhalla-Idee<br />

e<strong>in</strong>e "National-Geschichtshalle" als Mittelpunkt der Baukomplexe der preußischen<br />

M<strong>in</strong>isterien entworfen, e<strong>in</strong>en "Tempel der Bürokratie", wie er spätere<br />

Kritik vorweg ironisierend sagt. - 1871 wird statt der Siegesdenkmäler e<strong>in</strong>e<br />

neue Walhalla gefordert 77 , gegen die S~esallee wird e<strong>in</strong>e "Walhalla aller derer,<br />

die <strong>in</strong> der Geschichte <strong>und</strong> <strong>im</strong> Herzen des deutschen Volkes leben", von<br />

Barbarossa über Hans Sachs <strong>und</strong> Karl Maria von Weber bis zu Werner Siemens<br />

vorgeschlagen 78 . Schließlich hat Hermann Gr<strong>im</strong>m 1896 noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e<br />

ähnliche Idee geäußere 9 • Er wollte den Tempel von Olympia bei Berl<strong>in</strong> als<br />

deutsches Pantheon aufbauen, se<strong>in</strong> Inneres sollte den Dichtern <strong>und</strong> Denkern<br />

geweiht se<strong>in</strong>, denn: "In der geistigen Arbeit s<strong>in</strong>d wir uns unserer Zusammengehörigkeit<br />

am re<strong>in</strong>sten bewußt. Wie die Griechen e<strong>in</strong>st .... England hat se<strong>in</strong>e<br />

Westm<strong>in</strong>ster-Abtei, Frankreich se<strong>in</strong> Pantheon ..." Aber diese Idee war nur<br />

noch ei~-N achklang der Bildungsreliglo"i;~der Klassik <strong>und</strong> ihrer Synthese von<br />

Griechentum <strong>und</strong> Nation, war e<strong>in</strong> später Versuch, den E<strong>in</strong>klang von Geist,<br />

Kultur <strong>und</strong> Nation s<strong>in</strong>nfällig zu machen. Im Reich von 1871, <strong>im</strong> realistischen<br />

nationalen Machtstaat, hatten solche Vorstellungen ke<strong>in</strong>e Aussichten auf Verwirklichung<br />

mehr.<br />

,,,,,,_.~."-,~.-'<<br />

Noch e<strong>in</strong>e wichtige andere Ausformung dieses Denkmalstypus ist aber zu berühren:<br />

es s<strong>in</strong>d die, vornehmlich von Bürgern errichteten Individualdenkmäler<br />

für e<strong>in</strong>zell15!, große Männer des deuts~hen Geisteslebens, die mit dem Durch- -,<br />

dr<strong>in</strong>gen de; PersÖnlichkeitskultes seit den 30er Jahren <strong>im</strong>mer zahlreicher wurden.<br />

Wenn solche Denkmäler durch Sammlungen der ganzen Nation zustande<br />

kamen, hießen sie auch Nationaldenkmäler 80 , vor allem aber haben e<strong>in</strong>ige dieser<br />

Denkmäler bis <strong>in</strong> die 50er Jahre h<strong>in</strong> die Funktion von Nationaldenkmälern<br />

beansprucht <strong>und</strong> gehabt. Der <strong>in</strong> der Welt des Geistes Große galt als Repräsentant<br />

der e<strong>in</strong>heitlichen deutschen <strong>und</strong> bürgerlichen Nation, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Feier<br />

ihrer Identität gewiß werden konnte; <strong>und</strong> wenn sich die Nation dabei auch<br />

vornehmlich von der E<strong>in</strong>heit ihrer Kultur her verstand, so wurden daran doch<br />

zugleich politische Hoffnungen <strong>und</strong> Wünsche geknüpft.<br />

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