Neuregelung der Gesundheitsversorgung ab 2014 - Ärztekammer ...
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DAS PATIENTENMAGAZIN VON IHRER ÄRZTIN/IHREM ARZT NR. 02/13<br />
<strong>Neuregelung</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsversorgung</strong><br />
<strong>ab</strong> <strong>2014</strong>
BEST POINT<br />
OF SERVICE<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
Bessere Arbeitsbedingungen<br />
schaffen Zeit für Patienten<br />
Gesundheitszentren werden die Probleme nicht lösen<br />
02<br />
Ausschließlich die Arbeitsbedingungen<br />
<strong>der</strong> Ärzteschaft - und zwar un<strong>ab</strong>hängig<br />
ob als angestellte Ärztinnen und<br />
Ärzte o<strong>der</strong> in einer Ordination – sind<br />
verantwortlich dafür, dass Ärzte zu wenig<br />
Zeit für die Patientinnen und Patienten<br />
h<strong>ab</strong>en. Daher ist die Verbesserung<br />
dieser Bedingungen auch <strong>der</strong> einzige Lösungsansatz:<br />
Das beginnt bei einer Bürokratieentschlackung<br />
und geht über<br />
die ausreichende Besetzung von<br />
Ärzten im Krankenhaus sowie von<br />
Kassenstellen.<br />
Das <strong>der</strong>zeitige System mit nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Ärztinnen und<br />
Ärzten (im Kassen- und<br />
Wahlarztbereich) sowie<br />
Spitälern und einer<br />
Ergänzung durch geeignete<br />
ärztliche Kooperationsformen<br />
wäre<br />
ja bestens für eine optimale<br />
medizinische Versorgung geeignet.<br />
Wenn man die eigentlichen<br />
Schwachstellen beseitigen würde.<br />
Aber ersetzt man die bestehenden Versorgungsformen<br />
einfach nur durch neue,<br />
angeblich mo<strong>der</strong>ne Modelle, löst<br />
man keine Probleme. Man<br />
schafft <strong>ab</strong>er zusätzliche Probleme<br />
und auch Finanzierungsschwierigkeiten<br />
durch neue Schnittstellen<br />
und Bürokratieerfor<strong>der</strong>nisse.<br />
Die NÖ <strong>Ärztekammer</strong> bekennt sich zu „Best Point of<br />
Service“ für die Patientenschaft<br />
Wir in Nie<strong>der</strong>österreich bekennen uns zum „Best Point<br />
of Service“ für unsere Patientinnen und Patienten. Dieser<br />
kann nur bei den nie<strong>der</strong>gelassenen Allgemeinmedizinerinnen<br />
und Allgemeinmediziner liegen und keinesfalls bei<br />
zentralen Gesundheitszentren als Ersatz für die Primärversorgung,<br />
also die Basisversorgung, auf dem Land. Wir werden<br />
im Zuge <strong>der</strong> kommenden Gesundheitsreform daher<br />
so gut wie möglich darauf achten, dass die verantwortli-<br />
chen Politiker und Sozialversicherungsvertreter diese<br />
Reformen ausschließlich im Sinne <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
beschließen.<br />
Solange die Mehrgleisigkeit <strong>der</strong> Finanzierung<br />
nicht bundesweit <strong>ab</strong>gestellt wird und stattdessen<br />
noch zusätzliche „Zielsteuerungsebenen“ in jedem<br />
einzelnen Bundesland eingeführt werden, darf<br />
man sich nicht wun<strong>der</strong>n, wenn alles immer chaotischer<br />
und damit auch teurer wird. Die<br />
Politik ist jedoch zu feige für „echte“ Reformen<br />
und wird daher die bereits für alle<br />
Menschen deutlich zu spürende „Rationierungsschraube“<br />
weiter drehen. Einerseits<br />
soll kaum mehr Geld ausgegeben<br />
werden, an<strong>der</strong>erseits h<strong>ab</strong>en wir<br />
immer mehr ältere Menschen<br />
und die Medizin<br />
leistet immer mehr. Bei<br />
gleichbleibendem Budget<br />
sind Einschränkungen daher<br />
eine traurige, <strong>ab</strong>er logische<br />
Konsequenz.<br />
Limitierungen und Einschränkungen<br />
müssen <strong>ab</strong>gestellt werden<br />
Spürbare Beispiele gibt es schon jetzt: Limitierte<br />
Leistungen wie etwa die Nervenleitgeschwindigkeitsmessung<br />
o<strong>der</strong><br />
Herzultraschalluntersuchungen<br />
führen zu Wartezeiten auf einen<br />
Untersuchungstermin von mehreren<br />
Monaten in Nie<strong>der</strong>österreich.<br />
Rationierte Steigerungen <strong>der</strong> Fallzahlen<br />
bei Magnetresonanzuntersuchungen führen auch hier zu<br />
scheinbaren Engpässen, die <strong>ab</strong>er politisch bewusst herbeigeführt<br />
werden.<br />
Diese Verknappung und Beschränkung führen dazu, dass<br />
Ärztinnen und Ärzten vorgeworfen wird, sich zu wenig Zeit<br />
für die Patientinnen und Patienten zu nehmen o<strong>der</strong> etwa<br />
Medikamente o<strong>der</strong> Therapien nicht zu bewilligen, obwohl<br />
sie medizinisch notwendig sind. Wir Ärztinnen und Ärzte<br />
in Nie<strong>der</strong>österreich sind jedoch nicht länger bereit, uns dafür<br />
prügeln zu lassen, dass die Politik ihre Versprechen an<br />
die Bevölkerung nicht halten kann o<strong>der</strong> will.
Ab <strong>2014</strong> wird die <strong>Gesundheitsversorgung</strong><br />
neu geregelt<br />
Es könnte alles so einfach sein: Folgt man internationalen<br />
Studien, Rechnungshofberichten o<strong>der</strong> einfach dem<br />
gesunden Menschenverstand, müsste man die Finanzierung<br />
des Gesundheitssystems aus einer Hand umsetzen,<br />
sinnvolle Steuerungsmechanismen für die Patientinnen<br />
und Patienten einführen, den nie<strong>der</strong>gelassenen Bereich<br />
stark ausbauen, in Vorsorge investieren und eine Spitalsplanung<br />
un<strong>ab</strong>hängig von Landesgrenzen durchführen. Nur<br />
so ist hohe Qualität für alle auch künftig leistbar.<br />
Doch die von politischem Kräftemessen gestaltete Realität<br />
ist eine an<strong>der</strong>e: Statt Entschlackung werden zusätzliche Bürokratieebenen<br />
eingezogen. Statt <strong>der</strong> Finanzierung aus einer<br />
Hand werden zusätzliche Zielsteuerungskommissionen<br />
um‘s Geld streiten. Doch das Geld vermehrt sich nicht: Die<br />
Gesundheitsausg<strong>ab</strong>en dürfen außer <strong>der</strong> Inflation kaum<br />
steigen, verwaltungstechnische Monster wie ELGA werden<br />
voraussichtlich Milliarden vernichten. Die Bevölkerung<br />
wird immer älter und die Versorgung somit automatisch<br />
teurer. Ganz <strong>ab</strong>gesehen davon gibt es ständig medizinische<br />
Weiterentwicklungen, die uns das Leben leichter machen.<br />
Und natürlich Geld kosten. Wie soll das alles gehen?<br />
Der einzig mögliche Weg werden Leistungseinschränkungen<br />
für die Bevölkerung sein, die von <strong>der</strong> Politik allerdings<br />
nicht ausgesprochen werden. Sie schleichen sich still und<br />
heimlich ins bestehende System ein: Chefarztpflicht, Limitierungen,<br />
Wartezeiten, Rezeptgebühren etc. Doch das ist<br />
möglicherweise nur ein fa<strong>der</strong> Vorgeschmack dessen, was<br />
uns noch drohen könnte: Die Abschaffung <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Kassenärztinnen und -ärzte mit Einzelpraxen, über<br />
<strong>der</strong>en Beginn mittlerweile schon öffentlich diskutiert wird.<br />
Die möglichen Folgen werden in dieser Ausg<strong>ab</strong>e <strong>der</strong><br />
sprechstunde dargestellt: Lange Anfahrtswege zum nächsten<br />
„Versorgungszentrum“, noch längere Wartezeiten, keine<br />
Visiten, keine freie Arztwahl mehr. In Summe wird das<br />
jede einzelne Behandlung massiv verteuern. Und was bedeutet<br />
das bei gleichem Gesamtbudget? Die Kürzung <strong>der</strong><br />
medizinischen Leistungen. Um zu prüfen, ob sich das mit<br />
den Vorstellungen <strong>der</strong> Bevölkerung deckt, h<strong>ab</strong>en wir eine<br />
Umfrage durchgeführt und sie mit einer ähnlichen Umfrage<br />
<strong>der</strong> Sozialversicherungen verglichen.<br />
Foto: Raimo Rumpler<br />
Dr. Christoph Reisner,<br />
MSc<br />
www.wahlarzt.at<br />
Dr. Christoph Reisner, MSc<br />
Präsident <strong>der</strong> NÖ <strong>Ärztekammer</strong><br />
facebook.com/christoph.reisner<br />
EDITORIAL<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
03<br />
Inhalt<br />
Bessere Arbeitsbedingungen Seite 02<br />
Gesundheitszentren werden die Probleme nicht lösen<br />
Editorial Seite 03<br />
Von Präs. Dr. Christoph Reisner, MSc<br />
Zukunft Gesundheitsreform Seite 04<br />
Was soll sich <strong>ab</strong> <strong>2014</strong> än<strong>der</strong>n?<br />
ELGA wird kommen Seite 06<br />
Doch die Probleme sind noch lange nicht gelöst<br />
Medikamenten<strong>ab</strong>g<strong>ab</strong>e Seite 08<br />
Bei Spitalsentlassungen ist die Abg<strong>ab</strong>e noch immer<br />
unbefriedigend gelöst<br />
Ambulanzgebühr ist keine Lösung Seite 09<br />
Es kann nicht die Aufg<strong>ab</strong>e von Ärztinnen und Ärzten sein, den<br />
Zugang zur Medizin einzuschränken<br />
NÖ Landärzte Seite 10<br />
52 Prozent <strong>der</strong> NÖ Landärzte gehen spätestens in zehn Jahren<br />
in Pension<br />
Impressum Seite 10<br />
Was wollen Patienten? Seite 12<br />
Daten einer Studie des Hauptverbandes <strong>der</strong><br />
Sozialversicherungsträger sind eindeutig<br />
Medizinische Grundversorgung Seite 13<br />
Eine Umfrage <strong>der</strong> NÖ <strong>Ärztekammer</strong> rundet die<br />
Patientenbefragung des Hauptverbandes <strong>ab</strong><br />
Cordula Seite 14<br />
Vom grippalen Infekt zur Krankenhauseinweisung
REFORM<br />
<strong>2014</strong><br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
Zukunft Gesundheitsreform<br />
Was soll sich <strong>ab</strong> <strong>2014</strong> än<strong>der</strong>n?<br />
04<br />
In den kommenden Jahren soll die medizinische Versorgungslandschaft<br />
umgestellt werden. Sozialversicherungen<br />
und Politik h<strong>ab</strong>en hierbei den Auftrag, sich an Vorg<strong>ab</strong>en<br />
zu halten, die sie selbst zuvor in so genannten Zielsteuerungsvereinbarungen<br />
zusammengefasst h<strong>ab</strong>en. Das Schlagwort<br />
„Best Point of Service“ kommt darin häufig vor und<br />
wird so ausgelegt: „Die kurative Versorgung ist jeweils zum<br />
richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit optimaler medizinischer<br />
und pflegerischer Qualität gesamtwirtschaftlich<br />
möglichst kostengünstig zu erbringen.“ Doch was kann<br />
und wird das in <strong>der</strong> Praxis bedeuten?<br />
Verhandlungspartner sind in dieser Angelegenheit nur die<br />
so genannten „Zahler“, das sind <strong>der</strong> Bund, die Län<strong>der</strong> und<br />
die Sozialversicherungen. Dass die Patientinnen und Patienten<br />
allerdings im Endeffekt alles bezahlen und die Bundeslän<strong>der</strong><br />
und Sozialversicherungsträger nur die Verwalter<br />
des Geldes sind, scheint heutzutage bedeutungslos. Doch<br />
wo bleibt <strong>der</strong> Patient d<strong>ab</strong>ei? Im Folgenden soll ein (Horror)<br />
Szenario entwickelt und analysiert werden.<br />
VGZGZ als Zukunftsszenario?<br />
Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe keine nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag mehr. Stattdessen<br />
wäre die allgemeinmedizinische Erstversorgung durch jeweils<br />
ein VGZGZ (Von Größenwahn zielgesteuertes Gesundheitszentrum)<br />
pro Bezirk sichergestellt, an dem jeweils<br />
fünf AllgemeinmedizinerInnen ständig parallel anwesend<br />
sind und in einem Dienstrad rund um die Uhr arbeiten.<br />
Was würde das für den Best Point of Service im Sinne <strong>der</strong><br />
Gesundheitsreform bedeuten?<br />
Der richtige Zeitpunkt wäre gewährleistet, weil es eine<br />
Rund-um-die-Uhr-Versorgung gäbe. Randzeiten (zu denen<br />
erfahrungsgemäß kaum Patienten die Ordination aufsuchen<br />
wollen) wären ebenfalls besetzt. Der richtige Ort<br />
wäre ebenfalls gewährleistet, weil je<strong>der</strong> das Zentrum kennt<br />
und bei einer reinen Basiserstversorgung ohne Notfälle<br />
eventuelle weitere Anfahrtswege zumutbar wären. Die medizinische<br />
Qualität aus verwaltungstechnischer Sicht wäre<br />
gegeben, weil alle mo<strong>der</strong>nen Ansprüche an die Qualitätssicherung<br />
erfüllbar wären. Und gesamtwirtschaftlich möglichst<br />
kostengünstig zu sein, wäre ebenfalls gewährleistet,<br />
weil sich im Vergleich zur <strong>der</strong>zeitigen allgemeinmedizinischen<br />
Versorgung durch Kassenärztinnen und -ärzte eine<br />
geringfügig geringere Kostenbelastung ergäbe.<br />
Also wirklich <strong>der</strong> Best Point of Service, o<strong>der</strong>?<br />
Wo liegen die Schwächen dieses Best Point of Service aus<br />
Sicht <strong>der</strong> Patientinnen und Patienten? Für viele allgemeinmedizinische<br />
Patientinnen und Patienten wären solche<br />
VGZGZ schlicht und einfach schwierig zu erreichen. So<br />
gesehen könnte man dort schon ein Einsparungspotenzial<br />
sehen, weil Kranke dann nicht mehr behandelt werden<br />
können, da <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Behandlung nicht gut erreicht werden<br />
kann. Kommunizieren könnte man das <strong>ab</strong>er gut: „Auf<br />
Grund <strong>der</strong> besseren Qualität müssen weniger Patienten<br />
behandelt werden. Ein Erfolg auf <strong>der</strong> ganzen Linie.“ Für<br />
die vielen benötigten Visiten, die dann nicht mehr durchgeführt<br />
werden könnten, gilt sinngemäß das Gleiche.<br />
Wer es dennoch geschafft hat, ins VGZGZ zu kommen,<br />
weil er wirklich dringend behandelt werden muss und<br />
auch mobil genug war, <strong>der</strong> wird sich damit <strong>ab</strong>finden müssen,<br />
dass er möglicherweise unendlich lange Wartezeiten<br />
zu erdulden hat. Auch wenn er mitten in <strong>der</strong> Nacht eine<br />
Versorgung braucht.<br />
Was sich nach wenig anhört, erfor<strong>der</strong>t jedoch eine gewaltige<br />
Logistik. Für die beschriebene Versorgung in einem<br />
VGZGZ pro Bezirk würde man etwa genauso viele Allgemeinmedizinerinnen<br />
und Allgemeinmediziner brauchen<br />
wie <strong>der</strong>zeit als Kassenärztinnen und -ärzte pro Bezirk tätig<br />
sind. Und würde man die Anzahl <strong>der</strong> VGZGZs geringfügig<br />
vergrößern, dann hätte man schon wesentlich höhere Kosten<br />
als bisher und immer noch keine geeignete Basisversorgung<br />
im Sinne des Best Point of Service für den Patienten.<br />
Sind „von Größenwahn zielgesteuerte<br />
Gesundheitszentren“ nur Phantasie?<br />
So wie bei diesem krassen Beispiel sind die VGZGZs sicherlich<br />
o<strong>der</strong> zumindest hoffentlich eine Phantasie, <strong>der</strong><br />
Trend in diese Richtung ist jedoch unverkennbar. Seit<br />
Jahren wird die ärztliche Tätigkeit in den Ordinationen<br />
vorsätzlich erschwert, so als würde man geradezu darauf<br />
hinarbeiten, dass sich das Problem von alleine lösen möge,<br />
weil man keine Ärztinnen und Ärzte mehr findet, die einen<br />
Kassenvertrag als Allgemeinmediziner unterschreiben.<br />
So genannte Chefärzte entscheiden über Bewilligungen für<br />
Medikamente, ohne den Patienten je gesehen geschweige<br />
denn untersucht zu h<strong>ab</strong>en. Stattdessen spricht man heute<br />
bereits öffentlich davon, dass die Zukunft den wie auch immer<br />
gearteten Versorgungszentren gehört und Allgemeinmediziner<br />
als Einzelkämpfer als Auslaufmodell gelten.
REFORM<br />
<strong>2014</strong><br />
Unserer Gesundheitspolitik fehlt auch lei<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mut,<br />
wirklich vernünftige Maßnahmen zu setzen und diese auch<br />
politisch zu vertreten. Stattdessen wird weiterhin reglementiert,<br />
limitiert und rationiert. Und wie bisher wären<br />
auch in einem VGZGZ die Ärztinnen und Ärzte die ersten<br />
Ansprechpartner für die Patientinnen und Patienten. Wer<br />
ist denn am Wochenende und in <strong>der</strong> Nacht für die Patientinnen<br />
und Patienten da, während die Angestellten <strong>der</strong><br />
Krankenkassen und Politiker schlafen?<br />
Ehrliche Zahlen sprechen eindeutig für den<br />
nie<strong>der</strong>gelassenen Allgemeinmediziner<br />
Man kann die Dinge drehen und wenden wie man will:<br />
Der nie<strong>der</strong>gelassene wohnortnahe Allgemeinmediziner ist<br />
<strong>der</strong> Best Point of Service im Sinne <strong>der</strong> Patientinnen und<br />
Patienten, wenn es um die Primärversorgung, also die Basisversorgung,<br />
geht. Und diese Primärversorgung macht<br />
rund drei Viertel <strong>der</strong> Tätigkeit eines Allgemeinmediziners<br />
aus. Große Teile Nie<strong>der</strong>österreichs sind <strong>der</strong>art ländlich,<br />
dass sich dort noch nicht einmal Gruppenpraxen als sinnvolle<br />
Institution erweisen.<br />
Wir brauchen daher keine Bundes- und auch keine neun<br />
Landes-Zielsteuerungskommissionen. Unsere Bevölkerung<br />
braucht Medizinerinnen und Mediziner, die in <strong>der</strong> Lage<br />
sind, bei den vorgegebenen Rahmenbedingungen noch<br />
ZEIT für Gespräche mit den Patienten zu bekommen,<br />
ZEIT, ihr Wissen bei <strong>der</strong> Begleitung <strong>der</strong> Menschen während<br />
ihrer Krankheit einzusetzen und damit zur möglichen<br />
Heilung beizutragen. Und die in <strong>der</strong> Lage sind mitzuhelfen,<br />
die Menschen in Würde altern zu lassen und vor allem<br />
auch in Würde bei ihrem letzten, unvermeidbaren Weg zu<br />
begleiten.<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
05
ELGA<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
Die elektronische Gesundheitsakte<br />
ELGA wird kommen<br />
Doch die Probleme sind noch lange nicht gelöst<br />
06<br />
m ELGA ist es ruhig geworden, dennoch steht sie unbarmherzig<br />
vor <strong>der</strong> Tür. Ab Jänner <strong>2014</strong> können Pa-<br />
U<br />
tientinnen und Patienten zwar theoretisch bekanntgeben,<br />
dass ihre Daten nicht sichtbar sein sollen, sie werden <strong>ab</strong>er<br />
dennoch gespeichert. Ab 2015 müssen dann die Krankenhäuser<br />
begonnen h<strong>ab</strong>en, die Befunde zu speichern. Ab<br />
Mitte 2016 wird ELGA in den Ordinationen verpflichtend.<br />
Ärztinnen und Ärzte wissen, was das bedeutet: Eine zunehmende<br />
Ansammlung an medizinischen Daten, von denen<br />
<strong>der</strong> Großteil jedoch lei<strong>der</strong> wertlos, ja sogar behin<strong>der</strong>nd<br />
sein wird, weil veraltet, zu viel und unsortiert.<br />
Ärztinnen und Ärzte sind <strong>der</strong> Meinung, dass sich Patientenanwälte<br />
und Patientenombudsmänner schützend vor<br />
die Patientinnen und Patienten stellen müssten und <strong>der</strong>en<br />
Rechte verteidigen müssten, denn die Patientenrechte<br />
sind massiv gefährdet. Es gibt sogar verfassungsrechtliche<br />
Bedenken. Aber warum lehnen sich Ärztinnen und Ärzte<br />
so massiv gegen ELGA auf? Für sie geht es darum sicherzustellen,<br />
dass die Bedienung von ELGA nicht mit ihrem<br />
Berufsrecht kollidiert.<br />
ELGA bringt Verunsicherung in die Ordinationen<br />
Stellen Sie sich einen Rechtsanwalt o<strong>der</strong> einen Steuerberater<br />
vor: Wenn ein Steuerberater mit einem neuen Steuerakt<br />
o<strong>der</strong> ein Rechtsanwalt mit einem neuen Gerichtsakt<br />
konfrontiert wird, muss dieser zunächst den neuen Akt genau<br />
studieren. Ein seriöses und mit <strong>der</strong>en Berufsrecht vereinbarendes<br />
Studium dieser Akten, egal ob auf Papier o<strong>der</strong><br />
elektronisch, kann Stunden dauern. Ungefähr vergleichbar<br />
ist <strong>der</strong> Aufwand bei einem Patientenakt. Ein erstmaliges<br />
Studium des Aktes beispielsweise eines älteren Patienten<br />
mit mehreren Krankheiten wird Stunden in Anspruch nehmen.<br />
Doch woher soll diese Zeit kommen?<br />
ELGA ist wie Internetrecherche ohne Google o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Suchmaschine<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass ELGA im Vergleich zu den<br />
elektronischen Hilfsmitteln von Rechtsanwälten und Steuerberatern<br />
sehr banal gehalten sein wird. Zunächst einmal<br />
ohne Suchfunktionen, welche die Arbeit massiv erleichtern<br />
würden. H<strong>ab</strong>en Sie schon einmal etwas im Internet<br />
gesucht, ohne Google o<strong>der</strong> irgendeine an<strong>der</strong>e Suchmaschine<br />
einzusetzen? Erst für 2018 ist eine entsprechende Datenstruktur<br />
vorgesehen, die aus heutiger Sicht zeitgemäß ist.<br />
Also zu einem Zeitpunkt, zu dem ELGA bereits enorm mit<br />
Daten befüllt sein wird. Die Erfahrung mit EDV-Systemen<br />
im öffentlichen Dienst hat uns auch gelehrt, dass die verwendeten<br />
Systeme meist nicht so schnell arbeiten, wie das<br />
ein privater EDV-Anwen<strong>der</strong> gewohnt ist. Die Folge wird<br />
eine unendliche Verschwendung von Ressourcen, nämlich<br />
ärztliche Arbeitszeit sein, die beim unnötigen, langsamen<br />
Suchen in Dokumenten verloren gehen wird, weil natürlich<br />
das ganze Datenmaterial durchsucht werden muss, um<br />
im Nachhinein festzustellen, dass 95 Prozent davon unnötig<br />
waren.<br />
ELGA kostet zweieinhalb Milliarden Euro pro Jahr an<br />
zusätzlicher Arbeitszeit<br />
Bei rund 120 Millionen Patientenkontakten pro Jahr<br />
in Österreich ergibt sich rund eine halbe Milliarde Euro<br />
Zusatzaufwand, wenn nur eine Minute Behandlungszeit<br />
durch ELGA zusätzlich gebraucht wird. Schätzt man durchschnittlich<br />
fünf Minuten <strong>ab</strong>, um sich als Arzt wenigstens<br />
halbwegs im rechtlich gedeckten Raum zu bewegen, dann<br />
erhält man rein rechnerisch 2,5 Milliarden Euro pro Jahr,<br />
die entwe<strong>der</strong> an Zusatzkosten anfallen o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Behandlung<br />
<strong>ab</strong>gehen.<br />
ELGA reduziert die Behandlungen um ein Viertel<br />
Wenn eine Behandlung in <strong>der</strong> Spitalsambulanz heute<br />
durchschnittlich beispielsweise 15 Minuten dauert, wird<br />
sich diese Dauer durch ELGA auf 20 Minuten erhöhen.<br />
Daher können pro Ärztin/Arzt nur noch drei statt bisher<br />
vier Patientinnen/Patienten pro Stunde behandelt werden.<br />
Spitäler und auch die angestellten Ärztinnen/Ärzte werden<br />
es sich aus berufsrechtlichen Gründen nicht erlauben können,<br />
auf die Benutzung von ELGA zu verzichten. Fazit: Es<br />
wird entwe<strong>der</strong> zu einem Viertel weniger Behandlungen bei<br />
gleicher Kapazität kommen. O<strong>der</strong> die ärztliche Belegschaft<br />
muss um ein Drittel aufgestockt werden. Letzteres ist wohl<br />
nicht zu erwarten, daher werden möglicherweise die Wartezeiten<br />
explodieren.<br />
Ein zweites Beispiel: Wenn eine Behandlung in <strong>der</strong> Ordination<br />
heute im Durchschnitt fünf Minuten dauert, wird<br />
sich diese Dauer durch ELGA auf zehn Minuten durchschnittlich<br />
verdoppeln. Wer soll dann die vielen Patienten<br />
behandeln? Der Tag von Ärztinnen und Ärzte hat auch nur<br />
24 Stunden.
ELGA<br />
Wer anschafft, <strong>der</strong> zahlt!<br />
Wenn die Gesellschaft und die Politik ELGA wollen und<br />
die Ärztinnen und Ärzte berufsrechtlich gezwungen sind,<br />
damit zu arbeiten, dann ist <strong>der</strong> dadurch entstehende<br />
Zusatzaufwand - ob er sinnvoll ist o<strong>der</strong> nicht - auch zu<br />
ersetzen.<br />
Brauchen Steuerberater o<strong>der</strong> Rechtsanwälte auch eine<br />
Art ELGA?<br />
Wie gehen Juristen und Steuerberater mit <strong>der</strong> Problematik<br />
um? In diesen Berufen ist es üblich, dass das Erstgespräch,<br />
bei dem <strong>der</strong> Fachmann den gesamten Fall geschildet bekommt,<br />
zunächst einmal viel Wert ist und daher auch viel<br />
Geld kostet. Somit ist jedem Klienten klar, dass er sich<br />
einen Steuerberater beziehungsweise Rechtsanwalt sucht,<br />
<strong>der</strong> ihn gut kennt und von dem er sich ständig beraten<br />
lässt, <strong>der</strong> ihn gegebenenfalls bei Spezialproblemen an weitere<br />
Spezialisten verweist, die dann seine Spezialprobleme<br />
lösen. Dass alle Daten jedoch beim „Allroun<strong>der</strong>“ des Vertrauens<br />
gelagert und bearbeitet werden. Dieser ist dann –<br />
weil er von Beginn an Zugriff auf alles hat und auch die<br />
Geschichte kennt – und vor allem nur deshalb in <strong>der</strong> Lage,<br />
qualifizierte Auskunft in Minutenschnelle zu geben. Und<br />
zwar ohne gegen das eigene Berufsrecht zu verstoßen.<br />
Was bedeutet das für das Gesundheitssystem? Ärztinnen<br />
und Ärzte wünschen sich ein „Vertrauensarztmodell“,<br />
ähnlich unserem „Allroun<strong>der</strong>“ in obigem Beispiel. Wenn<br />
<strong>der</strong> Vertrauensarzt o<strong>der</strong> die Vertrauensärztin alle Befunde<br />
automatisch bekäme, könnte man die bereits heute bestehenden<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Datenspeicherung und –übermittlung<br />
perfekt und mit wesentlich günstigeren Kosten<br />
nutzen. Und die „Vertrauensärzte“ könnten schnell und<br />
effizient arbeiten, weil sie ja die Krankengeschichten schon<br />
kennen und sich nicht immer komplett neu einlesen müssen.<br />
Was ganz <strong>ab</strong>gesehen von <strong>der</strong> finanziellen Komponente<br />
auch lebensrettend sein kann.<br />
Einige Staaten hatten ähnliche Ideen wie Österreich, dann<br />
<strong>ab</strong>er erkannt, dass ein EDV-Moloch wie ELGA nicht finanzierbar<br />
ist und die Umsetzung gestoppt. Wer weiß, vielleicht<br />
ist das auch in Österreich möglich?<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
07
MEDIKA-<br />
MENTE<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
08<br />
Medikamenten<strong>ab</strong>g<strong>ab</strong>e bei<br />
Spitalsentlassungen noch immer<br />
unbefriedigend gelöst<br />
Enorme Probleme gibt es vor allem am Wochenende,<br />
weil sich Spitalsbetreiber und Sozialversicherungen nicht<br />
einig sind<br />
Die Medikamenten<strong>ab</strong>g<strong>ab</strong>e bei Spitalsentlassungen ist nach<br />
wie vor unbefriedigend gelöst, vor allem am Wochenende.<br />
Die Patientinnen und Patienten bekommen in <strong>der</strong> Regel<br />
keine Rezepte, son<strong>der</strong>n Entlassungsbriefe mit Vorschlägen<br />
für eine medikamentöse Therapie. Diese sind <strong>ab</strong>er nicht<br />
mit den Krankenkassen verrechenbar.<br />
So gibt es <strong>der</strong>zeit eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entwe<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Patient bezahlt den Privatpreis <strong>der</strong> Medikamente<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Apotheker gibt das Medikament unentgeltlich<br />
und vor allem ohne Rezept aus, was eigentlich sogar verboten<br />
ist. Dann bleibt ihm allerdings nur die Hoffnung, dass<br />
das Medikament auch von <strong>der</strong> Kasse bewilligt wird, was lei<strong>der</strong><br />
nicht selbstverständlich ist. Nie<strong>der</strong>gelassene Ärztinnen<br />
und Ärzten im Wochenendnotdienst sind nicht dazu da,<br />
Entlassungsbriefe auf Rezepte umzuschreiben.<br />
Ökonomierichtlinien machen Sinn, müssen <strong>ab</strong>er im ganzen<br />
System identisch und verbindlich gelten<br />
Es kann nicht sein, dass Ärzte und Apotheker für<br />
Verfehlungen des Systems angeschwärzt werden<br />
Eine mögliche Lösung wäre, dass im Krankenhaus bei Entlassungen<br />
am Wochenende genau so viel vom benötigten<br />
Medikament gleich mitgegeben wird, dass <strong>der</strong> Patient erst<br />
am nächstmöglichen Werktag zur Besprechung <strong>der</strong> Weiterbehandlung<br />
und Verschreibung <strong>der</strong> dafür notwendigen<br />
Medikation zum nie<strong>der</strong>gelassenen Arzt muss. Das wäre aus<br />
Sicht aller Beteiligten, vor allem aus Sicht <strong>der</strong> Patientinnen<br />
und Patienten das Beste. Von den Apothekerinnen und<br />
Apothekern kann jedenfalls keine Vorleistung verlangt werden,<br />
die dann möglicherweise nicht ersetzt wird.<br />
Die Sozialversicherungen und Spitalsbetreiber sind <strong>der</strong> Patientenschaft<br />
gegenüber verpflichtet. Und nicht die Berufsgruppen,<br />
die am Wochenende die Versorgung von Akutfällen<br />
übernehmen sollen. Es kann also nicht angehen, dass<br />
diensth<strong>ab</strong>ende Ärzte und Apotheker angeschwärzt und<br />
medial angeprangert werden, nur weil das dahinterliegende<br />
System seit Jahren keinen vernünftigen Lösungsansatz<br />
parat hat.<br />
Das eigentliche Problem beginnt jedoch früher. Während<br />
alle Ärztinnen und Ärzte mit Kassenvertrag zur kostengünstigen<br />
Verschreibung verpflichtet sind und diese auch<br />
vorbildlich durchführen, sind die Ärztinnen und Ärzte in<br />
den Spitälern an Medikamente gebunden, die von den<br />
Spitalsapotheken beschafft werden. Diese sind jedoch<br />
groteskerweise nicht den gleichen Ökonomierichtlinien<br />
verpflichtet, die im nie<strong>der</strong>gelassenen Bereich gelten. Das<br />
führt dazu, dass eben teure Medikamente zur Erstverschreibung<br />
an Spitäler verschenkt werden, die dann auch im<br />
nie<strong>der</strong>gelassenen Bereich weiterverordnet werden müssen,<br />
weil es medizinisch nicht mehr an<strong>der</strong>s geht.<br />
Die Folge sind benötigte chefärztliche Bewilligungen, die<br />
<strong>ab</strong>er nicht am Wochenende durchgeführt werden können.<br />
Die nie<strong>der</strong>gelassenen Ärztinnen und Ärzte sind an<br />
den Wochenenden zwar für medizinische Notfälle gerne<br />
im Einsatz, die Bewilligung von Medikamenten scheitert<br />
<strong>ab</strong>er schon daran, dass die so genannten Chefärzte am Wochenende<br />
keinen Dienst h<strong>ab</strong>en. Die Situation ist jedenfalls<br />
sehr unbefriedigend und das ausschließlich deshalb, weil<br />
sich die Landeskliniken-Holding, <strong>der</strong> alle Krankenhäuser<br />
in Nie<strong>der</strong>österreich unterstehen, seit Jahren nicht mit<br />
<strong>der</strong> Krankenkasse, die die Kosten <strong>der</strong> Medikamente übernimmt,<br />
über einen vernünftigen Modus einigen kann.<br />
Geeignete Lösungen im Sinne <strong>der</strong> Patientinnen und<br />
Patienten sind längst fällig<br />
Der Chef <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzte in Nie<strong>der</strong>österreich,<br />
Dr. Dietmar Baumgartner, und <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> NÖ <strong>Ärztekammer</strong>,<br />
Dr. Christoph Reisner, sind sich einig, dass solche<br />
Probleme im Zuge <strong>der</strong> bevorstehenden Gesundheitsreform<br />
gelöst werden müssen. Doch da hört man we<strong>der</strong> auf<br />
die Ärzte- noch die Apothekerschaft, da man alle an <strong>der</strong> Behandlung<br />
<strong>der</strong> Patientinnen und Patienten beteiligten Berufsgruppen<br />
von den Verhandlungen ausgeschlossen hat.<br />
Wir brauchen jedenfalls keine neu geschaffenen Landes-<br />
Zielsteuerungskommissionen und weiteren zusätzlichen<br />
Verwaltungs- und Bürokratiegremien. Wir brauchen stattdessen<br />
vernünftige Lösungen im Sinne <strong>der</strong> Patientinnen<br />
und Patienten. Wir werden daher als Ärztevertreter so gut<br />
wie möglich darauf achten, dass nur sinnvolle Reformansätze<br />
durchgeführt werden. Denn als Sündenböcke für Verfehlungen<br />
<strong>der</strong> Politik lassen wir unsere Berufsgruppe sicher<br />
nicht einspannen.
AMBULANZ-<br />
GEBÜHR<br />
Ambulanzgebühr ist für<br />
NÖ <strong>Ärztekammer</strong> keine Lösung<br />
Es kann nicht die Aufg<strong>ab</strong>e von Ärztinnen und Ärzten sein, den Zugang zur Medizin einzuschränken<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
Ende November ist <strong>der</strong> Ruf nach <strong>der</strong> vor etwa zehn Jahren<br />
<strong>ab</strong>geschafften Ambulanzgebühr wie<strong>der</strong> einmal laut<br />
geworden. Klar ist für uns in dieser Angelegenheit, dass wir<br />
Ärztinnen und Ärzte eine Leistungseinschränkung am Patienten<br />
nicht unterstützen dürfen und werden. Es ist nicht<br />
unsere Aufg<strong>ab</strong>e und kann auch nicht unsere Aufg<strong>ab</strong>e sein,<br />
den Zugang zur Medizin zu beschränken.<br />
Der Ruf nach einer Ambulanzgebühr ist daher aus unserer<br />
Sicht vollkommen ungeeignet und <strong>ab</strong>zulehnen. Wir<br />
als Ärztinnen und Ärzte dürfen die Patienten, die wir behandeln,<br />
nicht nach ihren finanziellen Möglichkeiten aussuchen.<br />
Darüber hinaus ist die logische Konsequenz, dass<br />
Zugangsbeschränkungen nicht bei den Spitalsambulanzen<br />
halt machen werden. Der nachfolgende Schritt wird <strong>der</strong><br />
Ruf nach einer Zugangsbeschränkung für Ordinationen<br />
sein, also eine Ordinationsgebühr o<strong>der</strong> ein Selbstbehalt,<br />
eine Zugangsgebühr zu Operationen und was wird dann<br />
am Ende sein?<br />
Wir Österreicherinnen und Österreicher dürfen uns glücklich<br />
schätzen, dass alle unsere Krankheiten und Leiden <strong>der</strong>zeit<br />
noch un<strong>ab</strong>hängig von gesellschaftlicher Stellung und<br />
finanziellem Hintergrund behandelt werden. Dieses Prinzip<br />
ist ein unvorstellbar hoher Wert und es ist kategorisch<br />
<strong>ab</strong>zulehnen, dies durch eine Ambulanzgebühr o<strong>der</strong> ähnliche<br />
Zugangsbeschränkungen zu demontieren.<br />
Foto: bil<strong>der</strong>box<br />
09<br />
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LANDÄRZTE<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
10<br />
52 Prozent <strong>der</strong> NÖ Landärzte<br />
spätestens in zehn Jahren in Pension<br />
Bund, Län<strong>der</strong> und Sozialversicherungen sollen<br />
ihren Auftrag ernst nehmen und für die<br />
Sicherung und den Ausbau <strong>der</strong> wohnortnahen<br />
medizinischen Versorgung sorgen<br />
Ohne wirksame Gegenmaßnahmen wird es in<br />
Nie<strong>der</strong>österreich schon bald zu ernsten Engpässen<br />
bei <strong>der</strong> medizinischen Versorgung auf dem<br />
Land kommen, weil <strong>der</strong> ärztliche Nachwuchs<br />
fehlt und leere Arztpraxen nicht nachbesetzt<br />
werden können. Harte Zahlen belegen diesen<br />
dramatischen Befund: Heute gibt es in Nie<strong>der</strong>österreich<br />
470 Landärztinnen und Landärzte.<br />
In den kommenden fünf Jahren werden etwa<br />
120 davon in Pension gehen, in den kommenden<br />
zehn Jahren bereits 240. Ob es möglich sein<br />
wird, diese Abgänge durch Nachbesetzungen<br />
auch wirklich zu ersetzen, ist allerdings mehr als<br />
fraglich.<br />
D<strong>ab</strong>ei bräuchte Nie<strong>der</strong>österreich angesichts <strong>der</strong> Bevölkerungsentwicklung<br />
nicht weniger, son<strong>der</strong>n immer mehr<br />
Ärzte auf dem Land. Fortschritt in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Medizin<br />
bedeutet mehr ärztliche Leistungen und einen Anstieg <strong>der</strong><br />
Behandlungszahlen. Dem müssen natürlich auch höhere<br />
Ärzte-Zahlen gegenüberstehen. Mehr Ärzte, nicht nur in<br />
ländlichen Regionen, ist eine Kernfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Österreichischen<br />
<strong>Ärztekammer</strong>: Überfällig ist österreichweit ein<br />
errechnetes Plus von 1.300 Kassenärztinnen und -ärzten,<br />
welches nötig ist, zukünftig die Versorgung optimal und<br />
wohnortnah zu sichern. Das umso mehr, als ein zentrales<br />
Element <strong>der</strong> aktuellen Gesundheitsreform eine Verlagerung<br />
von Gesundheitsleistungen vom Spital in den nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Bereich sein soll.<br />
Wohnortnahe Versorgung wird seit Jahrzehnten<br />
konsequent zurückgefahren<br />
Unzählige internationale Studien belegen, dass mit verbesserter<br />
wohnortnaher Versorgung durch nie<strong>der</strong>gelassene<br />
Ärztinnen und Ärzte einerseits die medizinische Versorgung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung an Qualität gewinnt und an<strong>der</strong>erseits<br />
die Kosten eingedämmt werden können. Speziell Allgemeinmedizinerinnen<br />
und Allgemeinmediziner könnten<br />
einen großen Teil <strong>der</strong> Behandlungen selbst in ihren Ordinationen<br />
durchführen. Wenn <strong>der</strong> politische Wille und<br />
die notwendigen Rahmenbedingungen vorhanden wären.<br />
Doch in Österreich wird die Zahl <strong>der</strong> Kassenärzte nicht<br />
etwa aufgestockt, son<strong>der</strong>n vielmehr zurückgefahren: Von<br />
etwa 8.500 im Jahr 2000 auf 7.600 im Jahr 2010, und das<br />
bei einer konstant steigenden Bevölkerungszahl. G<strong>ab</strong> es im<br />
Impressum<br />
Verleger, Herausgeber und Medieninh<strong>ab</strong>er: <strong>Ärztekammer</strong> für Nie<strong>der</strong>österreich – Körperschaft des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Präsidenten,<br />
Wipplingerstraße 2, 1010 Wien, Telefon: 01/537 51-0. Chefredakteur: Präs. Dr. Christoph Reisner, MSc, Dw. 241; Redaktionsleitung: Michael Dihlmann, Dw. 321,<br />
Mag. Birgit Jung, Dw. 623, presse@arztnoe.at; Layout/Produktion: Daniela Kotouc, MA, Dw. 633; Grafisches Konzept: Kotschever Kommunikationshaus, 2700 Wr. Neustadt;<br />
Druck: La Linea Druckereien Ges.mbH, 5020 Salzburg, UW-Nr. 857; Cover: Arno Moosleitner; Druckauflage: 22.700 Stück.<br />
Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Martina Hasenhündl; Prim. Dr. Angelika Karner-Nechvile, MBA, MSc; VP Dr. Gerrit Loibl, Msc.<br />
Gedruckt nach <strong>der</strong> Richtlinie „Druckerzeugnisse“<br />
des Österreichischen Umweltzeichens. UW-Nr. 857<br />
Die „sprechstunde“ ist ein Medium <strong>der</strong> <strong>Ärztekammer</strong> für Nie<strong>der</strong>österreich, in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Österreichischen Apothekerkammer -<br />
Landesgeschäftsstelle Nie<strong>der</strong>österreich, dessen grundlegende Richtung in <strong>der</strong> Information <strong>der</strong> Ärzte und Patienten in Nie<strong>der</strong>österreich<br />
über die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange <strong>der</strong> Ärzteschaft besteht. Alle Texte in „sprechstunde“ wurden nach bestem<br />
Wissen recherchiert. Irrtümer sind vorbehalten. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Verlag und Medieninh<strong>ab</strong>er<br />
keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler.
LANDÄRZTE<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
11<br />
Foto: Corbis<br />
Jahr 2000 pro 943 Bewohner einen Arzt mit Kassenvertrag,<br />
sind es heute schon über 1.100. Solche Zahlen machen den<br />
Bedarf an mehr Ärzten mehr als deutlich.<br />
Gründe dafür, warum es oft schwierig ist, Nachfolger für in<br />
Pension gehende Landärzte zu finden, gibt es viele. Der Beruf<br />
des Landarztes sei zwar befriedigend, <strong>ab</strong>er oft sehr hart.<br />
Ein Landarzt muss regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen<br />
arbeiten. Dieser Dienst mündet in aller Regel direkt<br />
in die normale Ordinationszeit am nächsten Tag. Wochenarbeitszeiten<br />
von 70 Stunden und mehr sind deshalb keine<br />
Seltenheit, das kann mit <strong>der</strong> Zeit an die Substanz gehen.<br />
Dazu kommen aufgrund <strong>der</strong> großen Einzugsgebiete die größeren<br />
Distanzen in ländlichen Regionen, oft müssen für<br />
Hausbesuche viele Kilometer zurückgelegt werden.<br />
Ärztliche Kooperationsformen müssen schlank,<br />
unkompliziert und bedarfsorientiert sein<br />
Doch wie schafft man es, dass sich junge Ärztinnen und<br />
Ärzte wie<strong>der</strong> verstärkt für den landärztlichen Beruf interessieren?<br />
Abhilfe schaffen können unter an<strong>der</strong>em eine bessere<br />
Ermöglichung längerer Öffnungszeiten, beispielsweise<br />
durch geeignete ärztliche Kooperationsformen, die Beseitigung<br />
rechtlicher Hürden für Hausapotheken und familienfreundliche<br />
Arbeitsbedingungen für Hausärztinnen und<br />
Hausärzte. Doch dazu brauchen wir den politischen Willen<br />
und auch die starke Unterstützung durch die Politiker. Beispielsweise<br />
bei <strong>der</strong> Ermöglichung ärztlicher Kooperationsformen:<br />
Der Gesetzgeber hat zwar grundsätzlich Gruppenpraxen<br />
ermöglicht, diese sind <strong>ab</strong>er in aller Regel gerade für<br />
landärztliche Ordinationen ungeeignet. Gebraucht werden<br />
schlanke, unkomplizierte und bedarfsorientierte Modelle<br />
des gemeinsamen Arbeitens mehrerer Ärzte, damit auch<br />
Stoßzeiten wie beispielsweise Grippewellen o<strong>der</strong> auch Visiten<br />
und Nachtdienste besser <strong>ab</strong>gewickelt werden können.<br />
Wenn wir Landärztinnen und Landärzte wollen, dann<br />
müssen wir auch dafür sorgen, dass diese ihren Beruf ohne<br />
Einschränkungen ausüben können. Dazu gehört auch,<br />
dass die rasche und unbürokratische Versorgung mit Medikamenten<br />
sichergestellt ist. Die ärztliche Hausapotheke<br />
ist ein wichtiger Beitrag zu einer wohnortnahen medizinischen<br />
und medikamentösen Betreuung. Landärzte sollen<br />
deshalb das uneingeschränkte und zeitlich unbegrenzte<br />
Recht auf das Führen einer Hausapotheke h<strong>ab</strong>en. Das<br />
Nachwuchsproblem in <strong>der</strong> Landmedizin muss jedenfalls<br />
unbedingt gelöst werden. Wenn hier nichts passiert, droht<br />
bereits in naher Zukunft eine massive medizinische Versorgungskrise<br />
in den ländlichen Regionen. Das wäre ein<br />
medizinisch, ethisch und gesundheitspolitisch unhaltbarer<br />
Zustand. Wir Ärztinnen und Ärzte können nur auf den<br />
sich <strong>ab</strong>zeichnenden Versorgungsnotstand aufmerksam<br />
machen und vor den riskanten Folgen für die Gesundheit<br />
warnen. Gefor<strong>der</strong>t ist hier die Gesundheitspolitik, die bei<br />
dieser negativen Entwicklung nicht tatenlos zusehen darf.<br />
Wir werden die Politik konsequent daran erinnern, dass<br />
sie sich zu einer Stärkung des nie<strong>der</strong>gelassenen Bereiches<br />
verpflichtet hat, zu dem natürlich auch die medizinische<br />
Versorgung auf dem Land gehört.
STUDIE<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
Was wollen die Patienten?<br />
Daten einer Studie des Hauptverbandes <strong>der</strong> Sozialversicherungsträger sind eindeutig<br />
12<br />
Die Verhandlungen über die Gesundheitsreform h<strong>ab</strong>en<br />
begonnen. Doch bereits heute hinken einige Verhandlungspartner<br />
hinterher. Wen wun<strong>der</strong>t es, sind doch die jeweiligen<br />
Interessen sehr unterschiedlich, eine nachhaltige<br />
Gesundheitsreform ehrlich umzusetzen. Wie auch immer,<br />
die Län<strong>der</strong> h<strong>ab</strong>en gemeinsam mit den regionalen Sozialversicherungsträgern<br />
den Auftrag, diese Reform auszuarbeiten.<br />
Gehen wir doch einmal davon aus, dass bei dieser Reform<br />
die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen<br />
sollten. Doch was wollen die Patienten? Wir h<strong>ab</strong>en uns<br />
eine Studie angesehen, die von GfK Austria im Auftrag<br />
des Hauptverbandes <strong>der</strong> Sozialversicherungsträger durchgeführt<br />
wurde.<br />
Hoher Zufriedenheitsgrad mit <strong>der</strong><br />
bestehenden wohnortnahen Versorgung<br />
Die Umfrage befasste sich – natürlich in Anlehnung an<br />
den Auftraggeber – überwiegend mit <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong><br />
Patientinnen und Patienten zum Kassensystem. 83 Prozent<br />
<strong>der</strong> Befragten sind sehr zufrieden o<strong>der</strong> eher zufrieden mit<br />
den Leistungen <strong>der</strong> Krankenkassen beim Besuch <strong>der</strong> Allgemeinmediziner<br />
und Fachärzte. Unterschieden nach <strong>der</strong> Art<br />
des Sozialversicherungsträgers fällt auf, dass bei den nicht<br />
bei <strong>der</strong> Gebietskrankenkasse Versicherten ein um etwa<br />
20 Prozent höherer Anteil sehr zufrieden mit den Leistungen<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Krankenkasse ist.<br />
93 Prozent <strong>der</strong> Befragten geben jedenfalls an, einen Hausarzt<br />
zu h<strong>ab</strong>en. 45 Prozent wünschen sich mehr Zeit für Gespräche,<br />
nur 24 Prozent wünschen sich längere Öffnungszeiten<br />
bei den Hausärztinnen und Hausärzten, sogar nur<br />
acht Prozent wünschen sich Nachtdienste. 64 Prozent <strong>der</strong><br />
Befragten halten eine medizinische Begleitung durch den<br />
Hausarzt für sinnvoll, 54 Prozent wünschen sich mehr medizinische<br />
Behandlungen durch den Hausarzt und dadurch<br />
weniger Überweisungen zum Facharzt.<br />
Die bestehenden Öffnungszeiten entsprechen den<br />
Bedürfnissen<br />
75 Prozent aller Befragten halten die Anzahl <strong>der</strong> Allgemeinmediziner<br />
in ihrer Wohnumgebung für ausreichend,<br />
52 Prozent die <strong>der</strong> Fachärzte. In Nie<strong>der</strong>österreich liegen<br />
diese Zahlen bei 70 beziehungsweise 44 Prozent. Für<br />
81 Prozent aller Befragten bieten die Ärztinnen und Ärzte<br />
in <strong>der</strong> jeweiligen Wohnumgebung Öffnungszeiten an, die<br />
den Bedürfnissen entsprechen.<br />
Vermehrte Öffnungszeiten in <strong>der</strong> Früh, nachts o<strong>der</strong> an<br />
Wochenenden und Feiertagen sind für die Befragten kein<br />
Anliegen, eher gewünscht sind alle Wochentage sowie<br />
Abendordinationen. Die grundsätzliche Einstellung zu<br />
Gruppenpraxen ist mit 96 Prozent positiv o<strong>der</strong> eher positiv<br />
gegeben. 92 Prozent würden sich Gruppenpraxen in ihrer<br />
Umgebung wünschen.<br />
Was sagen diese Zahlen aus?<br />
Die Menschen h<strong>ab</strong>en ein sehr gutes Gefühl dafür, welche<br />
Versorgungsformen Sinn h<strong>ab</strong>en und auch realistisch<br />
sind. Ein Großteil <strong>der</strong> Befragten hat eine Hausärztin/<br />
einen Hausarzt und ist im Großen und Ganzen auch mit<br />
den Öffnungszeiten zufrieden. Einige wünschen sich mehr<br />
Ärztinnen und Ärzte und mehr Zeit für Gesprächsmedizin<br />
und ärztliche Koordination. Aus unserer Sicht könnten<br />
daher viele <strong>der</strong> bestehenden Probleme durch eine Aufstockung<br />
<strong>der</strong> Hausärztinnen und Hausärzte gelöst werden,<br />
wenn man gleichzeitig geeignete Steuerungsmechanismen<br />
einführt und die Umschichtung <strong>der</strong> Finanzierung lösen<br />
würde.<br />
Versorgungszentren sind <strong>der</strong> Anfang vom Ende <strong>der</strong><br />
wohnortnahen Versorgung<br />
Die Dass Patienten Gruppenpraxen positiv sehen, ist für<br />
uns wenig verwun<strong>der</strong>lich, schließlich würden diese eine<br />
sinnvolle Ergänzung zum alleine arbeitenden Arzt darstellen.<br />
Und auch die Politik möchte eine Versorgung in Gruppenpraxen<br />
o<strong>der</strong> Versorgungszentren. Was <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
jedoch verschwiegen wird, ist, dass in Summe gesehen nicht<br />
mehr Geld als bisher verwendet werden darf. Für Gruppenpraxen<br />
und Versorgungszentren werden also Einzelpraxen<br />
sterben müssen: Und zwar etwa zehn Einzelpraxen für ein<br />
vernünftig besetztes Versorgungszentrum.<br />
Die Folgen für Nie<strong>der</strong>österreich wären fatal: Ein Ende <strong>der</strong><br />
wohnortnahen Versorgung durch nie<strong>der</strong>gelassene Ärztinnen<br />
und Ärzte. In <strong>der</strong> Folge hieße das eine Verringerung<br />
des medizinischen Angebotes, weil große Versorgungseinheiten<br />
keinesfalls billiger als Einzelordinationen arbeiten.<br />
Aus unserer Sicht macht das we<strong>der</strong> medizinisch noch ökonomisch<br />
Sinn. Und dass die Bevölkerung das nicht will, ist<br />
ganz klar auch aus dieser Umfrage herauszulesen.
UMFRAGE<br />
Wie stellen sich die Patienten die<br />
medizinische Grundversorgung vor?<br />
Umfrage <strong>der</strong> NÖ <strong>Ärztekammer</strong> rundet Befragung des Hauptverbandes <strong>ab</strong><br />
Die Umfrage des Hauptverbandes vom Sommer 2013<br />
gibt schon ein sehr gutes Bild über die Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Patientinnen und Patienten in Sachen <strong>Gesundheitsversorgung</strong><br />
<strong>ab</strong>. Doch sie hat auch ihre Schwächen. So sollen<br />
93 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung Gruppenpraxen gegenüber<br />
aufgeschlossen sein. Das jetzt als Zuspruch zur Umwandlung<br />
<strong>der</strong> bestehenden Struktur von vielen Einzelordinationen<br />
in Richtung wenige Gruppenpraxen zu werten wäre<br />
falsch, weil <strong>der</strong> Patient ja nicht gefragt wurde, ob er einer<br />
Umwandlung von Strukturen gegenüber offen wäre. Er<br />
wertet die Frage <strong>ab</strong>er automatisch als Frage nach einem<br />
möglichen ZUSÄTZLICHEN Angebot, daher ist die Antwort<br />
mit großer Zustimmung auch nachvollziehbar. Würde<br />
die Frage realitätsnah gestellt, das heißt, Streichung von<br />
Einzelordinationen für eine Gruppenpraxis, dann würde<br />
auch die Antwort realitätsnah ausfallen.<br />
Um diese Ergebnisse noch zu vervollständigen,<br />
hat die NÖ <strong>Ärztekammer</strong><br />
ebenfalls eine Umfrage durchgeführt.<br />
Bei den Antwortmöglichkeiten wurden<br />
jedoch aus Gründen <strong>der</strong> Realitätsnähe<br />
überwiegend verschiedene<br />
Varianten als Alternative vorgegeben.<br />
Also nicht „ich wünsche mir zusätzlich“,<br />
son<strong>der</strong>n „ich entscheide mich<br />
für eine <strong>der</strong> Auswahlmöglichkeiten“.<br />
Nachdem die Kostensteigerung für<br />
die öffentliche <strong>Gesundheitsversorgung</strong> in Zukunft begrenzt<br />
sein wird, ist das auch ein Abbild <strong>der</strong> Realität. Gefragt wurden<br />
jedenfalls 1.000 Patientinnen und Patienten aus zehn<br />
Ordinationen von Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern,<br />
die in Orten unterschiedlicher Größe in<br />
allen Vierteln unseres Bundeslandes betrieben werden.<br />
98 Prozent wollen sich<br />
ihren Hausarzt selbst<br />
aussuchen und 96 Prozent<br />
halten Visiten für sinnvoll.<br />
Eine klare Entscheidung<br />
FÜR den Hausarzt.<br />
Nur sechs Prozent <strong>der</strong> Befragten wären damit einverstanden,<br />
wenn sie eine Ärztin/ein Arzt nach genauen fix vorgegebenen<br />
Leitlinien behandeln müssen, die vom Gesundheitsministerium<br />
vorgegeben werden. Hingegen 94 Prozent<br />
sind <strong>der</strong> Ansicht, dass eine Ärztin/ein Arzt in Bezug auf die<br />
Behandlung frei nach medizinischen Kriterien entscheiden<br />
können sollte, und zwar ohne Vorg<strong>ab</strong>en durch Politik und/<br />
o<strong>der</strong> Verwaltung.<br />
90 Prozent sind mit den <strong>der</strong>zeitigen Öffnungszeiten<br />
zufrieden<br />
Zehn Prozent <strong>der</strong> betroffenen Bevölkerung hätte gerne<br />
erweiterte Öffnungszeiten beispielsweise in Ärztezentren,<br />
und würde dafür auch in Kauf nehmen,<br />
unter Umständen etwas weiter fahren zu müssen.<br />
90 Prozent hätten hingegen gerne eine<br />
möglichst wohnortnahe Versorgung<br />
durch Allgemeinmedizinerinnen und<br />
Allgemeinmedizinern und nimmt das<br />
<strong>der</strong>zeitige System gerne in Kauf, bei<br />
dem die Ordinationen nicht an jedem<br />
Wochentag von 7:00 bis 19:00 Uhr geöffnet<br />
sind.<br />
Und schließlich halten es 90 Prozent<br />
für sinnvoll, dass eine Ärztin/ein Arzt<br />
ihres Vertrauens ihre Vorsorge, Gesundheit, Behandlungen,<br />
Reh<strong>ab</strong>ilitation, Hauskrankenpflege etc. koordiniert.<br />
Lediglich zehn Prozent sehen sich in <strong>der</strong> Lage, alle ihre<br />
gesundheitlichen Angelegenheiten selbst, mit Familienmitglie<strong>der</strong>n<br />
o<strong>der</strong> Freunden zu regeln und benötigen dafür keine<br />
Hilfe bei <strong>der</strong> Koordination von ihrem Vertrauensarzt.<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
13<br />
96 Prozent wollen Arzt des Vertrauens<br />
Zu den Ergebnissen: 98 Prozent <strong>der</strong> Patientinnen und Patienten<br />
wollen sich ihre Hausärztin/ihren Hausarzt selbst<br />
aussuchen können. 96 Prozent halten es für sinnvoll, wenn<br />
es Möglichkeiten gibt, Visiten zuhause zu erhalten. Nur<br />
vier Prozent hätten kein Problem damit, wenn sie immer<br />
wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Ärztinnen/Ärzte untersuchen und behandeln<br />
würden. So halten es 96 Prozent für sinnvoll, wenn<br />
sie die Möglichkeit h<strong>ab</strong>en, eine langjährige Beziehung zwischen<br />
ihnen und einer Ärztin/einem Arzt ihres Vertrauens<br />
aufbauen zu können, da dieses gute Kennen und Vertrauen<br />
in eine Behandlung einbezogen werden kann.<br />
Zusammenfassung<br />
Dieses Ergebnis braucht nicht detaillierter kommentiert zu werden. Verbunden mit<br />
den Ergebnissen des Hauptverbandes lässt sich zusammenfassen: Die Bevölkerung<br />
wünscht sich ein wohnortnahes Basisversorgungsmodell mit freiberuflichen, nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern in Einzelordinationen,<br />
die sie sich selbst aussuchen können. Diese sollen im Rahmen eines „Vertrauensarztmodells“<br />
arbeiten und alle Belange rund um die Grundversorgung inklusive Visiten <strong>ab</strong>decken.<br />
Ein Bedürfnis nach elektronischer Gesundheitsakte o<strong>der</strong> Versorgungszentren<br />
o<strong>der</strong> erweiterten Öffnungszeiten in Einzelpraxen lässt sich nicht <strong>ab</strong>leiten.
ARZT IM<br />
FOKUS<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
14<br />
ag einmal, was würdest Du von jemandem<br />
halten, <strong>der</strong> einer alten Frau<br />
„S<br />
verspricht, sie über eine vielbefahrene Straße<br />
zu führen, sie <strong>ab</strong>er dann auf einer Verkehrsinsel<br />
zwischen den Fahrspuren stehen<br />
lässt?“ wandte sich Cordula an ihre Freundin,<br />
die Spitals- und Wahlärztin Marlen,<br />
nachdem sie das letzte Stück von dem guten<br />
Heidelbeerkuchen genossen hatte. Die<br />
beiden Freundinnen hatten sich, wie jede<br />
Woche, in <strong>der</strong> Konditorei zum Plau<strong>der</strong>n<br />
getroffen.<br />
„Das wäre wirklich nicht nett. Was meinst<br />
Du damit?“, wollte Marlen wissen. „So etwas<br />
Ähnliches ist jedenfalls meiner Tante<br />
passiert, als sie neulich krank wurde.“ –<br />
„Was war denn los? Erzähl mal!“ Marlen<br />
war eine engagierte Ärztin und interessierte<br />
sich immer für Probleme im Bereich <strong>der</strong><br />
Gesundheitspolitik.<br />
Vom grippalen Infekt zur<br />
Krankenhauseinweisung<br />
Cordula begann zu berichten: „Tante Auguste<br />
lebt ja seit dem Tod ihres Mannes<br />
ganz allein in ihrem einschichtigen Bauernhof<br />
im Wechselgebiet. Glücklicherweise ist sie ja noch sehr<br />
rüstig und war in den letzten Jahren eigentlich nie krank.<br />
Jetzt hat sie sich bei dem extrem kalten Wetter vorige Woche<br />
doch verkühlt und es ist ihr wirklich schlecht gegangen,<br />
sodass sie ihren Hausarzt anrufen wollte. Erst da hat<br />
sie bemerkt, dass <strong>der</strong> ja im vergangenen Jahr in Pension<br />
gegangen ist, und Nachfolger gibt es noch keinen.“ – „Ja,<br />
wir h<strong>ab</strong>en mittlerweile in vielen Gebieten große Probleme,<br />
Stellen für Allgemeinmediziner zu besetzen, es gibt einfach<br />
keine Ärzte mehr, die sich das antun wollen!“ beklagte Marlen<br />
die aktuelle Entwicklung. „Wie ist es weiter gegangen?“<br />
Cordula fuhr fort: „Sie hat mich angerufen und mir ihr<br />
Leid geklagt, und da h<strong>ab</strong> ich gleich die neue Arztsuche-<br />
App ausprobiert, die ich ja auf deinen Rat hin auf meinem<br />
neuen Smartphone installiert h<strong>ab</strong>e. Und wirklich, es war<br />
überhaupt kein Problem, den nächsten zuständigen Arzt<br />
zu finden, das heißt, eigentlich war es eine Ärztin. Ich h<strong>ab</strong>e<br />
sie gleich selbst angerufen, ihr alles erklärt und sie war so<br />
nett und ist nach <strong>der</strong> Vormittagsordination sofort zu ihr<br />
hinauf gefahren.“ – „Dann hat ja alles hervorragend geklappt!“<br />
Marlen freute sich, dass <strong>der</strong> Freundin ihr Tipp mit<br />
<strong>der</strong> Arztsuche-App geholfen hatte.<br />
Welchen Sinn macht <strong>der</strong> beste Hausbesuch, wenn <strong>der</strong><br />
Patient dann doch hinaus muss, um die Medikamente zu<br />
besorgen? Immer mehr Ärztinnen und Ärzte in ländlichen<br />
Regionen verlieren ihre Hausapotheken und dürfen keine<br />
Medikamente mehr ausgeben. Die <strong>Ärztekammer</strong> versucht<br />
zwar dagegen vorzugehen, <strong>ab</strong>er den Politikern ist das<br />
offenbar egal. Das Problem h<strong>ab</strong>en dann die Patientinnen<br />
und Patienten, die trotz ihrer Erkrankung lange und<br />
beschwerliche Wege auf sich nehmen müssen.
ARZT IM<br />
FOKUS<br />
02/13<br />
SPRECHSTUNDE<br />
„Ja, zuerst natürlich schon, die Tante wurde untersucht,<br />
und es stellte sich heraus, dass sie eine<br />
schwere Angina hatte und Antibiotika brauchte<br />
und auch etwas gegen die Schmerzen und das<br />
Fieber. Und jetzt kam das Problem!“ – Marlen<br />
runzelte die Stirne, sie konnte sich schon vorstellen,<br />
was sie jetzt hören würde und sie behielt<br />
recht.<br />
Cordula fuhr fort: „Die Ärztin war wirklich sehr<br />
freundlich und auch kompetent, <strong>ab</strong>er sie hatte<br />
keine Medikamente mit, sie konnte uns nur ein<br />
Rezept geben und fuhr dann weiter zum nächsten<br />
Krankenbesuch.– „Ja, das ist das Problem.<br />
Immer mehr Apotheken sperren auf und dann<br />
verlieren die Ärzte in diesen Regionen ihre<br />
Hausapotheken und dürfen keine Medikamente<br />
mehr ausgeben. Die <strong>Ärztekammer</strong> versucht zwar<br />
dagegen vorzugehen, <strong>ab</strong>er den Politikern ist das<br />
offenbar egal. Die Apotheker h<strong>ab</strong>en offenbar<br />
eine mächtigere Lobby! Was hat deine Tante<br />
dann gemacht?“ – „Naja, zuerst hat sie bei ihrem<br />
Nachbarn angerufen um ihn zu bitten, die Medikamente<br />
zu holen, <strong>ab</strong>er den konnte sie nicht<br />
erreichen. Dann hat sie sich einfach angezogen und wollte<br />
mit dem Auto hinunter fahren, <strong>ab</strong>er wegen <strong>der</strong> Kälte ist es<br />
nicht angesprungen. Und jetzt kommt‘s! Setzt sie sich doch<br />
einfach auf ihren alten offenen Traktor und fährt durch<br />
den Schneesturm 15 Kilometer in die Stadt zur nächsten<br />
Apotheke. Den Tod hätte sie sich d<strong>ab</strong>ei holen können. Vor<br />
<strong>der</strong> Apotheke hat sie dann glücklicherweise zufällig meine<br />
Cousine getroffen und die hat sie einfach in ihr Auto gepackt<br />
und ins Krankenhaus gebracht, so schlecht hat sie<br />
ausgesehen. Im Krankenhaus h<strong>ab</strong>en sie dann eine Lungenentzündung<br />
festgestellt. Der Traktor steht übrigens immer<br />
noch in <strong>der</strong> Kurzparkzone vor <strong>der</strong> Apotheke. Der Hausbesuch<br />
wäre ja an sich wirklich eine große Hilfe und ich finde<br />
es toll, dass so etwas sogar in den Bergen funktioniert,<br />
<strong>ab</strong>er welchen Sinn macht <strong>der</strong> beste Hausbesuch, wenn <strong>der</strong><br />
Patient dann doch hinaus muss, um die Medikamente zu<br />
besorgen.“ Marlen machte ein resigniertes Gesicht: „Diese<br />
Frage, liebe Cordula, musst Du, so wie viele an<strong>der</strong>e Fragen<br />
zum Gesundheitssystem, wohl den zuständigen Politikern<br />
stellen!“<br />
Foto: bil<strong>der</strong>box<br />
15<br />
Foto: bil<strong>der</strong>box<br />
Foto: bil<strong>der</strong>box
99 %<br />
<strong>der</strong> Kassenärztinnen<br />
und Kassenärzte<br />
halten die<br />
Kassentarife für<br />
zu niedrig.<br />
Ambulanzbehandlung<br />
ist<br />
dreimal so teuer<br />
wie Ordinationsbehandlung.<br />
Pro Jahr<br />
werden in<br />
Nie<strong>der</strong>österreich über<br />
500.000 Visiten durch<br />
unsere Hausärztinnen und<br />
Hausärzte<br />
durchgeführt.<br />
3.000 Österreichische Ärztinnen und<br />
Ärzte sind alleine schon nach Deutschland<br />
ausgewan<strong>der</strong>t. Deren Ausbildung hat den<br />
Staat <strong>ab</strong>er jeweils schon mehr als eine<br />
Million Euro gekostet.<br />
98 %<br />
<strong>der</strong> Patienten<br />
wollen freie<br />
Arztwahl.<br />
Die nie<strong>der</strong>gelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzte in NÖ<br />
leisten jedes Wochenende<br />
rund 7.000 Stunden<br />
Rund-um-die-Uhr-<br />
Wochenenddienst <strong>ab</strong>.<br />
Es gibt<br />
schon mehr<br />
Wahl- als<br />
Kassenärzte.<br />
In ganz Nie<strong>der</strong>österreich<br />
werden in Summe<br />
16 Millionen Behandlungen<br />
pro Jahr in den Ordinationen<br />
und Spitälern durchgeführt.<br />
90 % <strong>der</strong><br />
Patienten sind mit<br />
Erreichbarkeit von<br />
Ärzten zufrieden.<br />
Der Bürokratieanteil<br />
an Arbeitszeit <strong>der</strong><br />
nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzte liegt<br />
bei 18 %. Das bedeutet<br />
bundesweit eine<br />
Verschwendung ärztlicher<br />
Arbeitszeit von mehr als<br />
400 Millionen Euro.<br />
Unsere Ärztinnen und Ärzte in Nie<strong>der</strong>österreich...<br />
Eine deutliche Mehrheit <strong>der</strong> Kassenärztinnen<br />
und -ärzte sind dafür den Gesamtvertrag<br />
zu kündigen, wenn sich die Rahmenbedingungen<br />
bei <strong>der</strong> Ausübung ihrer<br />
Tätigkeit weiter verschlechtern.<br />
In<br />
Nie<strong>der</strong>österreichs<br />
Ordinationen sind etwa<br />
6.400 MitarbeiterInnen<br />
angestellt.<br />
Von den rund 200 Lehrpraxen in<br />
Nie<strong>der</strong>österreich sind gerade einmal knapp<br />
20 Stück mit Lehrpraktikanten besetzt.<br />
Der Grund: Bund, Län<strong>der</strong> und Sozialversicherungen<br />
können sich seit Jahren nicht<br />
über die Modalitäten und die Finanzierung<br />
dieser enorm wichtigen Ausbildungsstellen<br />
einigen.<br />
In je<strong>der</strong><br />
Kassenpraxis<br />
werden im Schnitt<br />
12.500 Behandlungen<br />
pro Jahr<br />
durchgeführt.<br />
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