Heimat-Rundblick Nr. 106 herbst 2013
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„Nicht Worte, sondern Taten“<br />
Arbeitseinsätze und Lager des Service Civil International bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />
im Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
Schwanewede-Neuenkirchen. Vor<br />
65 Jahren, im Sommer 1948, fand im<br />
damaligen Evangelischen Hospital in<br />
„Neuenkirchen bei Farge“ ein internationales<br />
Arbeitslager statt, das vom internationalen<br />
Hilfs- und Freiwilligendienst Service<br />
Civil International (SCI) bzw. vom<br />
Internationalen Zivildienst (IZD), dem<br />
damals so benannten deutschen Zweig<br />
des SCI, durchgeführt wurde. Es war das<br />
erste Lager des IZD in dem nahe von Bremen-Farge<br />
gelegenen Hospital, das 1947<br />
aus einem Marinehospital hervorgegangen<br />
und in einem ehemaligen Barackenlager<br />
aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />
eingerichtet worden war. Das Hospital lag<br />
auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen<br />
Gemeinde Neuenkirchen, die<br />
heute eine Ortschaft von Schwanewede<br />
ist. Träger des Evangelischen Hospitals<br />
Neuenkirchen, zu dem unter anderen ein<br />
Krankenhaus und ein Altersheim gehörten,<br />
war die Innere Mission der evangelischen<br />
Kirche.<br />
In den 1950er Jahren und Anfang der<br />
1960er folgten dann noch zahlreiche weitere<br />
Arbeitseinsätze und Lager des IZD in<br />
Neuenkirchen, die mit dem Anfang 1963<br />
erfolgten Umzug des Hospitals nach Lilienthal<br />
endeten. Neben dem IZD waren im<br />
Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
auch andere internationale Hilfs- und Freiwilligenorganisationen<br />
tätig.<br />
Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
kam nun erstmals eine Gruppe von<br />
Freiwilligen des SCI bzw. IZD aus aller Welt<br />
nach Neuenkirchen, um im Evangelischen<br />
Hospital Aufbau- und Versöhnungsarbeit<br />
nach all dem Grauen<br />
des Krieges zu leisten.<br />
„Nicht Worte, sondern<br />
Taten“ lautete der<br />
damalige Wahlspruch<br />
des Service Civil International<br />
wie auch des<br />
Logo des IZD (von Internationalen Zivildienstes.<br />
Das „Nicht<br />
1946 bis 1957)<br />
Worte“ war keineswegs<br />
abschließend gemeint, der internationale<br />
Freiwilligendienst wollte vor allem durch<br />
seine „Taten“ in Form von harter Arbeit<br />
überzeugen. Nach eigener Aussage des<br />
SCI schloss dies jedoch keineswegs aus, „in<br />
den Abendstunden und an den Wochenenden<br />
die Probleme der Welt gemeinsam<br />
zu diskutieren und sich Vorträge<br />
anzuhören etc.“<br />
An dem ersten Lager des IZD in Neuenkirchen<br />
im Juli und August 1948 nahmen<br />
insgesamt vierzig Freiwillige aus fünf Ländern<br />
teil, die getreu dem Leitbild der heute<br />
noch bestehenden Organisation einen<br />
Service Civil International<br />
Der Service Civil International<br />
(SCI) ist eine gemeinnützige internationale<br />
und nichtstaatliche Organisation,<br />
die sich laut ihren Statuten durch<br />
Freiwilligenarbeit für Frieden, gewaltfreie<br />
Konfliktlösung, soziale Gerechtigkeit,<br />
nachhaltige Entwicklung und<br />
interkulturellen Austausch einsetzt. Der<br />
SCI organisiert Hilfs- und Friedensdienste<br />
auf freiwilliger Basis und bietet insbesondere<br />
internationale Workcamps<br />
und längerfristige Freiwilligendienste<br />
an. Die Vereinigung wurde 1920 vom<br />
Schweizer Ingenieur Pierre Ceresole<br />
gegründet und ist eine der ältesten Friedens-<br />
und Freiwilligenorganisationen.<br />
Aktuelles Logo des SCI, mit Schriftzug<br />
Die Organisation hat Beraterstatus<br />
beim Europarat und ist Mitglied bei verschiedenen<br />
Dachorganisationen. 1987<br />
wurde dem SCI durch die Vereinten<br />
Nationen die Auszeichnung Messenger<br />
of Peace verliehen. Der SCI hat Zweige<br />
in weltweit über 35 Ländern. Das internationale<br />
Sekretariat des SCI befindet<br />
sich inzwischen in Antwerpen in Belgien.<br />
Der deutsche Zweig wurde nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg als Internationaler<br />
Freiwilliger Dienst für den Frieden<br />
(IFDF) wiedergegründet. Die Anfänge<br />
reichen zurück bis zum Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts, auf deutscher Seite<br />
waren dabei Mitglieder der Jugendbewegung<br />
beteiligt.<br />
1947 wurde der Name des deutschen<br />
Zweigs entsprechend dem internationalen<br />
Gebrauch in Internationaler<br />
Zivildienst (IZD) geändert. 1968 bzw.<br />
offiziell 1974 erfolgte eine weitere<br />
Namensänderung, seitdem wird der<br />
Name Service Civil International –<br />
Deutscher Zweig verwendet.<br />
Aktuelles Logo des SCI – Deutscher Zweig, mit<br />
Initialen<br />
Der SCI – Deutscher Zweig e. V. hat<br />
heute seinen Sitz in Bonn, wo sich auch<br />
dessen Geschäftsstelle befindet.<br />
Text : Baracke Wilhelmine<br />
Quellen: Websites des SCI und SCI –<br />
Deutscher Zweig<br />
wahrlich umfangreichen und körperlich<br />
anstrengenden Arbeitseinsatz erbrachten.<br />
So waren sie während des achtwöchigen<br />
Lagers vor allem bei der Instandsetzung<br />
der „von Schlaglöchern übersäten“<br />
Zufahrtstraße zum Hospitalgelände tätig,<br />
wobei sie mehrere hundert Tonnen Schotter<br />
verbauten. Außerdem leisteten sie Hilfsarbeiten<br />
im Hospital.<br />
Einsatzort: Evangelisches<br />
Hospital Neuenkirchen<br />
Das Evangelische Hospital Neuenkirchen<br />
war eine Zweigeinrichtung der Evangelischen<br />
Fürsorge- und Krankenanstalten<br />
„Birkenhof“ in Hannover und gehörte<br />
damit zur Inneren Mission der Hannoverschen<br />
Landeskirche. Das Hospital befand<br />
sich in der Neuenkirchener Heide, auf dem<br />
Gelände des ehemaligen Marinegemeinschaftslagers,<br />
das während der NS-Zeit als<br />
Barackenlager für militärische Großprojekte<br />
wie zwei Großtanklager und den Bau<br />
der U-Boot-Bunkerwerft „Valentin“ in<br />
Farge/Rekum gedient hatte. Mehr als<br />
10.000 Häftlinge, Kriegsgefangene und<br />
andere Zwangsverpflichtete waren von<br />
den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit<br />
an den beiden Tanklagern und zuletzt an<br />
dem Bunker „Valentin“ herangezogen<br />
worden; mindestens 1.800 von ihnen<br />
waren dabei infolge der unmenschlichen<br />
Lebens- und Arbeitsbedingungen ums<br />
Leben gekommen.<br />
Nach Aufgabe der Bunker-Baustelle aufgrund<br />
der alliierten Luftangriffe gegen<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs und der Räumung<br />
des Marinegemeinschaftslagers<br />
hatte der Landkreis Osterholz im<br />
März/April 1945 in den meist massiv<br />
gebauten Baracken auf dem Lagergelände<br />
ein provisorisches Teilkrankenhaus eingerichtet.<br />
Als die britischen Truppen Ende<br />
April 1945 Bremen besetzten, übernahmen<br />
sie das Krankenhaus und richteten<br />
dort ein Marinehospital ein, das dann im<br />
Toreinfahrt zum Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
– mit der schotterbefestigten Zufahrtstraße,<br />
die im Jahr 1948 von IZD-Freiwilligen instandgesetzt<br />
wurde (Foto von etwa Ende der 1950er Jahre)<br />
26 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>