Heimat-Rundblick Nr. 106 herbst 2013
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Herbst <strong>2013</strong><br />
Einzelpreis € 4,50<br />
3/<strong>2013</strong> · 26. Jahrgang<br />
ISSN 2191-4257 <strong>Nr</strong>. <strong>106</strong><br />
RUNDBLICK<br />
AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />
GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />
INHALT<br />
unter anderem:<br />
„Knoops Park“<br />
Skulpturen am Bremer Dom<br />
Klostermühle in Lilienthal<br />
Historie der Wörpedorfer Mühle<br />
Die Meerforelle – Fisch des Jahres<br />
Dreißigjähriger Krieg in Teufelsmoor<br />
Angehende Lebensretter in Aktion<br />
Bauhüttengebäude<br />
auf dem Lilienhof<br />
Ein glücklicher Fund<br />
Paul Ernst Wilke<br />
INHALT
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Titelbild:<br />
Haus Kränholm in seiner ganzen Pracht.<br />
Foto: Tim Wöbbeking
Aus dem Inhalt<br />
Aktuelles<br />
Harald Steinmann<br />
Redaktionssitzung Seite 7<br />
Tim Wöbbeking<br />
Grasberger Industriearchitektur Seite 12<br />
Johannes Rehder-Plümpe<br />
Erstellung des Bauhütten-Gebäudes<br />
auf dem Lilienhof Seite 18 + 19<br />
Horst Plambeck<br />
Arbeitseinsätze des Internationalen<br />
Zivildienstes im Evangelischen<br />
Hospital Neuenkirchen Seite 26 – 28<br />
Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 30<br />
<strong>Heimat</strong>geschichte<br />
Rudolf Matzner<br />
Ein Rundgang durch<br />
„Knoops Park“ Seite 4 – 7<br />
Harald Steinmann<br />
Skulpturen am Bremer Dom Seite 8 + 9<br />
Rupprecht Knoop<br />
Die alte Klostermühle<br />
in Lilienthal Seite 10 – 12<br />
Heinrich Bücken<br />
Die Wörpedorfer Mühle Seite 13<br />
Wilhelm Berger<br />
Der Ort Teufelsmoor zur Zeit des<br />
Dreißigjährigen Krieges Seite 20 – 23<br />
Gerhard Behrens<br />
Ein glücklicher Fund Seite 30<br />
Natur<br />
Tim Wöbbeking<br />
Der Fisch des Jahres <strong>2013</strong> Seite 14 + 15<br />
Kultur<br />
Dr. Katja Pourshirazi<br />
Die Bremer Malerin<br />
Elisabeth Noltenius Seite 24 + 25<br />
Dr. Helmut Stelljes<br />
Kerteminde – Lieblingsort<br />
von Paul Ernst Wilke Seite 25<br />
Serie<br />
Johann (Jan) Brünjes<br />
Lach- und Torfgeschichten Seite 15<br />
Peter Richter<br />
Vor 100 Jahren Seite 16 + 17<br />
Birgit Lemmermann<br />
Jan Heinerich Seite 29<br />
Mareike Haunschild<br />
Jugendseite – Angehende<br />
Lebensretter in Aktion Seite 31<br />
Redaktionsschluss für die nächste<br />
Ausgabe: 15. November <strong>2013</strong><br />
Impressum<br />
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />
Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />
Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />
Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />
202140.<br />
Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />
Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />
Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />
(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />
Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />
(Worpswede).<br />
Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens<br />
(Worpswede), Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann<br />
Giere (Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried<br />
Makedanz (Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum),<br />
Dieter Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen),<br />
Johannes Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-<br />
Scharmbeck), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />
Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />
Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />
Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />
Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />
Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />
frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />
Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />
Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />
Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />
(BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 126 995, Volksbank Osterholz<br />
eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 731 778 600.<br />
Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />
Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 122 150, Volksbank<br />
Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 732 737 400.<br />
Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />
Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />
Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />
Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />
Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />
Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />
Langenbruch in Lilienthal.<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
in Ausgabe <strong>106</strong> des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s<br />
berichten wir erstmalig über vier<br />
Figuren am Bremer Dom. Obwohl<br />
diese täglich von Tausenden von Passanten<br />
und Touristen beim Anblick des<br />
Doms gesehen werden, fanden sie in<br />
der Fachliteratur bisher keine Beachtung.<br />
Unser Redaktionsmitglied Harald<br />
Steinmann hat Recherchen angestellt<br />
und einige interessante Fakten für<br />
unsere Leser ans Tageslicht gebracht.<br />
Rudolf Matzner hat auf unserer letzten<br />
Redaktionssitzung einen spannenden<br />
Rundgang durch Knoops Park für uns<br />
organisiert. Auf drei Seiten möchten<br />
wir unseren Lesern diesen schönen<br />
Park gerne näher vorstellen, der über<br />
mehrere Herrenhäuser verfügt und auf<br />
dessen Gelände sich einst ein Schloss<br />
befand.<br />
Seit nunmehr 26 Jahren schreibt Helmut<br />
Stelljes erfolgreich am <strong>Heimat</strong>-<br />
<strong>Rundblick</strong> mit und hat unzählige<br />
Künstler und Persönlichkeiten porträtiert<br />
und unseren <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
mit tollen Fotos bereichert. Sein Einsatz<br />
von der ersten bis zur vorliegenden<br />
<strong>106</strong>. Ausgabe ist von großer<br />
Bedeutung. Zu seinem 80. Geburtstag<br />
wünscht das Redaktionsteam Helmut<br />
Stelljes alles Gute und bedankt sich für<br />
seinen Fleiß, die Ideen, die Recherchen<br />
und das Gelingen und Wachsen des<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s.<br />
Wir wünschen allen Lesern viel Spaß<br />
beim Lesen und würden uns freuen,<br />
wenn Sie uns Ihre Meinung zum<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> per E-Mail oder<br />
Brief zukommen lassen würden. Wir<br />
möchten gerne wissen, welche Themen<br />
und Regionen Sie besonders<br />
interessieren und was wir ändern sollten.<br />
Gibt es etwas, über das Sie gerne<br />
mehr erfahren möchten?<br />
Für Ihre Aufmerksamkeit bedanke ich<br />
mich.<br />
Tim Wöbbeking<br />
Bauernregeln<br />
Oktober – November – Dezember<br />
Oktober<br />
Durch Oktobermücken<br />
lass dich nicht bedrücken.<br />
Wenn Simon und Judas (28. 10.) vorüber sind,<br />
kommen bald des Winters Frost und Wind.<br />
November<br />
Blüht im November Morgenrot,<br />
dann stets ein langer Regen droht.<br />
Kommt St. Martin (11. 11.) mit Sonnenschein,<br />
folgt ein strenger Winter drein.<br />
Dezember<br />
Kalter Dezember und fruchtbar Jahr<br />
sind vereinigt immerdar.<br />
Bis Weihnachten gibt es Speck und Brot,<br />
nachher kommen Kälte und Not.<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
3
Ein Rundgang durch „Knoops Park“<br />
Rudolf Matzner führte Teilnehmer der Redaktionssitzung durch die historische Grünanlage<br />
Bremen-St. Magnus. Wie bei den vierteljährlichen<br />
Redaktionssitzungen des<br />
„<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>“ üblich, finden die<br />
Zusammenkünfte immer an wechselnden<br />
Orten statt, wo zuvor stets von sachkundigen<br />
Zeitgenossen über Land und Leute der<br />
betreffenden Region berichtet wurde.<br />
Am 27. Juli <strong>2013</strong> tagte das Redaktionsteam<br />
im Vereinsheim der Wassersportabteilung<br />
von „TURA“ am Lesumhafen.<br />
Nichts war willkommener, als vorher einen<br />
Gang durch Knoops Park zu unternehmen,<br />
dem schönsten Park Bremens.<br />
Mit dieser Einleitung möchte ich deutlich<br />
machen, wie sehr diese wertvolle Parkanlage<br />
auch von auswärtigen Besuchern<br />
geschätzt wird. Nach mehreren Führungen<br />
durch Knoops Park war ich bereit,<br />
auch diese Gruppe durch den Park zu<br />
begleiten, zumal ich als Mitarbeiter dem<br />
Redaktionsteam angehöre.<br />
Die Führung begann am „Haus Kränholm“<br />
an der Straße „Auf dem Hohen<br />
Ufer“. Viel gibt es über dieses Haus zu<br />
berichten, das i. J. 1896 in der Nähe des<br />
Bahnhofs St. Magnus im Auftrag von<br />
Baron Ludwig Knoop für seine Tochter<br />
Emilie und deren Ehemann Willi Kulenkampff<br />
im englischen Landhausstil errichtet<br />
wurde.<br />
Treffen des Redaktionsteams am Haus Kränholm<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
Fast alles, was uns auf dem Rundgang<br />
begegnet – mit Ausnahme von „Haus Lesmona“<br />
– ist mit dem Namen Ludwig<br />
Knoop eng verbunden. Ab 1790 gab es im<br />
angrenzenden Lesum sieben nacheinander<br />
zugezogene Familien Kulenkampff,<br />
deren Vorfahre 1663 von Vegesack nach<br />
Bremen auswanderte. Die Einheimischen<br />
sprachen von den Kulenkampffs ihres<br />
Wohlstandes wegen, „das sind die mit der<br />
goldenen Nase“.<br />
Als die in St. Magnus lebende Familie<br />
das „Haus Kränholm“ aufgab, kaufte Bremen<br />
das Anwesen und richtete 1956 in<br />
den Räumen ein Seniorenwohnheim ein.<br />
Der Bau der Schnellstraße, jetzt BAB<br />
270, machte es notwendig, das Haus 1971<br />
abzutragen und am heutigen Standort<br />
1974 wieder aufzubauen. Allerdings<br />
wurde das Untergeschoss aus bautechnischen<br />
Gründen weggelassen, wodurch das<br />
Gesamtbild des Hauses an Wirkung eingebüßt<br />
hat. Der ehemalige Windfang wurde<br />
im Schloss Schönebeck eingepasst und die<br />
mit kunstvollen Schnitzereien versehene<br />
Treppe befindet sich jetzt im Schloss Blomendal<br />
in Blumenthal.<br />
„Haus Kränholm“ mit Untergeschoss in St.<br />
Magnus Maler: Prof. Ernst Müller-Scheeßel<br />
Haus Kränholm heute.<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
Hier am neuen Standort wurden das<br />
Gebäude und das dazugehörende<br />
Gelände von der Gartenbauabteilung des<br />
nordbremischen Bauamtes genutzt. Durch<br />
Zentralisierung der Behörde wurde „Haus<br />
Kränholm“ geräumt und die Zukunft des<br />
Gebäudes blieb lange Zeit fraglich. Es war<br />
ein Glücksfall, dass ein wohlhabender Bremer<br />
Unternehmer bereit war, viel Geld für<br />
den Umbau des Haupthauses, sowie für<br />
die Nebenbauten, aufzubringen. Gleichzeitig<br />
fand er hier eine Stätte, um seine<br />
Kunstsammlung, Skulpturen und Gemälde<br />
wirkungsvoll öffentlich auszustellen.<br />
Aus diesem Ensemble, bestehend aus<br />
„Haus Kränholm“, dem ehemaligen Gärtnerhaus<br />
und die für größere Veranstaltungen<br />
genutzte Scheune, ist seit 2012 ein<br />
Ort der gehobenen Gastronomie geworden.<br />
Dafür wurde der Begriff „Kultur,<br />
Kunst, Kulinarik“ gewählt.<br />
Der Name „Kränholm“ wurde von Ludwig<br />
Knoop in Erinnerung an den Standort<br />
seiner Textil-Fabriken auf der Flussinsel dieses<br />
Namens bei Narva in Estland bestimmt.<br />
Knoop vom Zaren in den<br />
Adelsstand erhoben<br />
In Anerkennung seiner Verdienste wurde<br />
Ludwig Knoop vom russischen Zar Alexander<br />
II anlässlich des 25-jährigen Fabrikjubiläums<br />
in den erblichen Adelsstand zum<br />
Baron erhoben. Es blieb jedoch ohne den<br />
zusätzlichen Titel „von“.<br />
Die zum großen Teil heute noch bewaldeten<br />
Flächen von der Bahnlinie bis zur<br />
Straße „Auf dem Hohen Ufer“ wurden als<br />
Knoops Wald bezeichnet. „Haus Kränholm“<br />
mit den dazugehörigen Gebäuden<br />
befinden sich also an der südwestlichen<br />
Seite des Waldstückes. Der ehemalige<br />
Bahnhof St. Magnus musste 1975 dem<br />
Bau der Schnellstraße in Richtung Vegesack<br />
weichen. 1984 war die Straßenverbindung<br />
fertig. Baron L. Knoop hat sowohl<br />
die in der Nähe ansässige Post – seit<br />
geraumer Zeit außer Betrieb – aber auch<br />
besonders den Bau des Bahnhofs mitfinanziert.<br />
Er war darauf bedacht, dass seine mit<br />
der Eisenbahn anreisenden Gäste vor<br />
einem repräsentativen Bahnhof empfangen<br />
werden, um sie dann in einer Kutsche<br />
zum Schloss bringen zu lassen.<br />
Auf der gegenüberliegenden Seite der<br />
Straße „Auf dem Hohen Ufer“, bei den beiden<br />
Torhäusem, begann unsere eigentliche<br />
Führung durch Knoops Park. In diesem<br />
70 Hektar großen Landschaftsareal sind<br />
7,5 km gut begehbare Wege angelegt.<br />
Schon 1859 begann Ludwig Knoop das<br />
erste Grundstück an der östlichen Seite<br />
von 4 Quadratkilometern Größe zu kaufen,<br />
um sich später hier einen Alterssitz einzurichten.<br />
Das „verrückte“ Dorf<br />
St. Magnus<br />
Und so beginnt die Geschichte über<br />
„das verrückte Dorf St. Magnus“. In der Tat<br />
hat der Baron im Laufe der folgenden Jahre<br />
weiteres Land zugekauft. Die Bauern<br />
Schütte, Mahlstedt und Hashagen wurden<br />
finanziell gut abgefunden, sodass die etwa<br />
28 Gebäude abgetragen und auf der anderen<br />
Straßenseite wieder aufgebaut werden<br />
konnten. So wurde im wahrsten Sinne des<br />
Wortes fast das halbe Dorf verrückt.<br />
4 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Doch zurück zu den beiden Pfortenhäusern<br />
am Parkeingang, deren Zufahrten zur<br />
ehemaligen „Albrechtsburg“ führten.<br />
Diese Häuser, die jeweils im Baustil an ein<br />
Schweizerhaus erinnern, dienten gleichzeitig<br />
als Wohnungen für den Pförtner und<br />
den Hofmeier.<br />
Im oberen Teil des linken Hauses, das<br />
auch als Turmhaus bezeichnet werden<br />
kann, befindet sich noch heute ein großer,<br />
genieteter Wassertank, der fast die<br />
gesamte Geschossfläche einnimmt.<br />
An der äußeren Ostseite des Hauses ist<br />
eine schwarz-weiße Messleiste ersichtlich,<br />
die den Wasserstand des Behälters anzeigt.<br />
Am Wanderweg an der Lesum befindet<br />
sich noch das Pumpenhaus, mit dessen<br />
Hilfe das Lesumwasser in den Behälter<br />
geleitet wurde.<br />
Unser Weg führte uns in die westliche<br />
Richtung zum Rosarium, das von R. A.<br />
Schröder entworfen wurde. Dabei ist auffallend,<br />
dass nur in diesem Bereich an der<br />
Straßenseite ein 1,70 m hoher Metallstaketenzaun<br />
noch vorhanden ist. Das war als<br />
Schutzmaßnahme vorgesehen, als „Haus<br />
Schotteck“ und „Haus Lesmona“ nach<br />
dem 2. Weltkrieg als Lungenheilstätten<br />
dienten.<br />
Am Anfang der zur Lesum führenden<br />
Straße „Am Kapellenberg“ befinden sich<br />
die aufwendig gestalteten Backsteinbauten<br />
als Toreinfahrt mit Pförtnerhaus und<br />
Remise, die zum „Haus Schotteck“ gehörten.<br />
Zeitweise war hier Ende des letzten<br />
Jahrhunderts ein Außenposten des Lesumer<br />
Polizeireviers stationiert. Auf der anderen<br />
Straßenseite „Am Kapellenberg“ lag<br />
hier zu Knoops Zeiten ein umfangreicher,<br />
dem Schloss angegliederter Landwirtschaftsbetrieb.<br />
Unser Weg führte uns zum „Haus Lesmona“.<br />
Dieses schöne Landhaus mit Park<br />
und herrlichem Lesumblick gehörte nicht<br />
zum Knoopschen Anwesen. Erst später,<br />
1939, wurde es nach Übernahme durch<br />
die Gemeinde hinzugefügt. Auch zu diesem<br />
Herrschaftshaus passte ein großes<br />
Wirtschaftsgebäude mit Wohnungen, Pferdestall<br />
und Remise. Im Jahre 1814 wurde<br />
dieses Grundstück von den Brüdern Anton<br />
und Heinrich Walte erworben, die ein klassisches<br />
Landhaus „Die Heinrichsburg“ darauf<br />
erbauen ließen.<br />
Die Gruppe vor Haus Lesmona<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
Stoff für Buch und Film<br />
„Sommer in Lesmona“<br />
1882 kaufte die Bremer Kaufmannsfamilie<br />
Melchers dieses Haus. Hier verbrachte<br />
Magdalene Melchers (1875-1970), Tochter<br />
eines wohlhabenden hanseatischen<br />
Kaufmanns, ihre Sommerzeit bei ihrem<br />
Onkel Herbert Melchers. In jungen Jahren,<br />
1894, traf sie hier ihren englischen Cousin<br />
Percy und es begann eine bezaubernde<br />
Liebesgeschichte, die sie in zahllosen Briefen<br />
ihrer in Bremen lebenden Freundin<br />
und Cousine Bertha Schellhaas mitteilte.<br />
Vierundvierzig Jahre später wurde ein<br />
Briefroman mit dem Titel „Sommer in Lesmona“<br />
daraus, der auch verfilmt und 1951<br />
als Buch veröffentlicht wurde. Die Hauptperson<br />
nannte sich nun Marga Berck.<br />
Das Anwesen wurde, nachdem es im<br />
Besitz der Stadt gelangt war, als Krankenhaus,<br />
danach als Mädchenheim und ab<br />
1955 als Sitz der Gartenbauabteilung des<br />
Bauamtes genutzt. Nach einer Brandstiftung<br />
1980 übernahm das Künstlerehepaar<br />
Birgit und Jürgen Waller den Wiederaufbau<br />
von „Haus Lesmona“ und hat dort eine<br />
Kunstgalerie eingerichtet. Die ehemals<br />
zum Krankenhaus gehörenden Liegehallen<br />
wurden erst i. J. <strong>2013</strong> abgerissen.<br />
Hinweise auf<br />
mittelalterlichen Adelssitz<br />
Auch Haus Schotteck blickt auf eine wechselvolle<br />
Geschichte zurück Foto: Tim Wöbbeking<br />
Es ist zu lesen, dass Carl Melchers an diesem<br />
Platz einen mittelalterlichen Adelssitz<br />
vermutete (Gräfin Emma von Lesum?).<br />
Darüber hinaus soll sich im Keller dieses<br />
Hauses eine Tür befunden haben, die zwar<br />
zugemauert war, aber einen Gang unter<br />
der Anhöhe zur Lesum ermöglicht habe.<br />
Am Admiral-Brommy-Weg wurde am<br />
19. Mai 2001 eine Bronzebüste der Magdalene<br />
Melchers im Beisein von Familienmitgliedern<br />
und zahlreichen offiziellen Vertretern<br />
eingeweiht. Geschaffen hat dieses<br />
Kunstwerk Claus Homfeld.<br />
Bleibt noch zu erwähnen, dass das zum<br />
früheren „Haus Lesmona“ gehörende<br />
Wirtschaftsgebäude bis vor wenigen Jahren<br />
von der Freiwilligen Ortsfeuerwehr<br />
nach einem Brand in Eigenhilfe als die<br />
schönste Feuerwache Bremens hergerichtet<br />
wurde. Durch Rationalisierungsmaßnahmen<br />
ist diese Feuerwehr aufgelöst worden.<br />
In diesem Bereich befand sich vermutlich<br />
die St. Magnus-Kapelle. Nach der<br />
Reformation wurde die Kirche verwüstet<br />
und die aus dem Jahre 1451 stammende<br />
Glocke wurde bei Nacht und Nebel mit<br />
einem „gehörnten Gespann“ nach Bremen-Horn<br />
geschafft. Dort läutet sie noch<br />
heute zum Gottesdienst. So die Überlieferung.<br />
Nach wenigen Schritten standen wir vor<br />
dem „Haus Schotteck“, das Baron Knoop<br />
von 1892 - 1894 für seine Tochter Adele<br />
und seinen Schwiegersohn, dem Bankier<br />
Georg Wolde, erbauen ließ. Der eigenartige<br />
Name soll angeblich darauf zurückzuführen<br />
sein, weil der Hausherr Wolde aus<br />
der Sicht seiner Bediensteten ein äußerst<br />
sparsamer Mann gewesen sei. So habe<br />
man gesagt, er sei geizig wie ein Schotte,<br />
wonach das Haus den Namen „Schotteck“<br />
erhielt. Ob das wohl stimmt? Das Haus ist<br />
in dem für die Jahre um die vorletzte Jahrhundertwende<br />
charakteristischen historischen<br />
Stil erbaut, obwohl R.A. Schröder,<br />
der häufig hier zu Gast war, das Gebäude<br />
als stilloses Haus bezeichnet hat. Oft und<br />
gern haben auch andere Geisteswissenschaftler<br />
die Gastfreundschaft der Familie<br />
Wolde genossen. Nach dem Tode der<br />
Adele Wolde 1932 richteten die damaligen<br />
Machthaber im „Haus Schotteck“ eine<br />
Parteischule ein. Nach dem 2. Weltkrieg<br />
diente dieses Haus mit seinem Park, wie<br />
auch „Haus Lesmona“ als TBC-Heilstätte.<br />
Kurze Zeit danach war hier auch eine<br />
Abteilung der Kinderpsychiatrie untergebracht<br />
und später wohnten im „Haus<br />
Schotteck“ junge behinderte Erwachsene.<br />
Vor wenigen Jahren wurde das Haus<br />
gründlich saniert und hochwertige Eigentumswohnungen<br />
eingerichtet.<br />
Knoop ermöglichte<br />
Bau eines mehrklassigen<br />
Schulgebäudes<br />
Doch kehren wir noch einmal zum Baubeginn<br />
von „Haus Schotteck“ zurück.<br />
Bevor Baron Knoop dieses Grundstück<br />
kaufen konnte, befand sich hier von 1820<br />
- 1885 die einklassige Volksschule des Dorfes<br />
St. Magnus. Knoop wurde sich mit dem<br />
Gemeinderat einig und zahlte die fürstliche<br />
Summe von 30 Ts. Mark für den Bau<br />
eines mehrklassigen Schulhauses in der<br />
heutigen Richthofenstraße. Die neue Bildungsstätte<br />
kostete jedoch nur 19 Ts.<br />
Mark, sodass die Gemeinde noch 11 Ts.<br />
Mark übrig hatte. Die Gemeindeverwaltungen<br />
waren gehalten, den Lehrkräften<br />
einen Mindestlohn zu zahlen. Den Bürgermeistern<br />
blieb es überlassen, je nach Kassenlage,<br />
guten Lehrern eine finanzielle<br />
Zulage zu gewähren.<br />
Schon ein Jahr nach Abriss der alten<br />
Schule konnte am 18. Juni 1886 die neue<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
5
„Albrechtsburg“ in St. Magnus, Ansichtskarte aus<br />
dem Jahre 1931<br />
Lehranstalt feierlich eingeweiht werden.<br />
Nebenbei bemerkt, hatte die Errichtung<br />
der alten Schule nur 1368 Taler gekostet.<br />
Nun hatten wir etwa die Hälfte unseres<br />
Rundganges erreicht und unsere Parkbesucher<br />
zeigten sich noch immer interessiert.<br />
Unweit von „Haus Schotteck“ stand in<br />
östlicher Richtung bis 1950 die sogenannte<br />
„Albrechtsburg“. Das eingangs<br />
erwähnte Torhaus und der Wasserturm<br />
waren also die Zufahrt zu dem Anwesen<br />
der Knoop-Tochter Louise und Ehemann<br />
Georg Albrecht.<br />
Baron Ludwig Knoop war darauf<br />
bedacht, seine Töchter mit Familien in seiner<br />
Nähe zu wissen. Die „Albrechtsburg“<br />
wirkt rein äußerlich wie ein großzügig<br />
gestaltetes Patrizierhaus. „Haus Schotteck“<br />
dagegen hätte man als Schloss oder<br />
Burg mit seinem Turm bezeichnen können.<br />
Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident<br />
Ernst Albrecht war mit den<br />
Bewohnern dieses Hauses verwandtschaftlich<br />
verbunden. Nach Abriss der „Albrechtsburg“<br />
wurde hier in einfacher Bauweise<br />
ein Schwesternwohnheim für das<br />
Personal der Behelfs-Krankenhäuser Schotteck<br />
und Lesmona erbaut. Danach wird es<br />
übergangsweise als Asylanten-Wohnheim<br />
genutzt. Seit längerer Zeit steht das<br />
Gebäude leer und die konträr verlaufenden<br />
Verhandlungen lassen noch keine<br />
Lösung erkennen. Der Gedanke, ein Hotel<br />
an dieser Stelle zu errichten, fand keine<br />
Zustimmung.<br />
Wilhelm Benque<br />
gestaltete Park<br />
Der östliche Teil des Parks mit Hügeln …<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
Dieser Bereich weist einen schönen<br />
Bestand an vielerlei verschiedenen Nadelhölzern<br />
auf. Baron Knoop engagierte den<br />
hochgeschätzten Gartenarchitekten Wilhelm<br />
Benque, der auch den Bremer Bürgerpark<br />
gestaltet hat, um nun in St.<br />
Magnus auf dem Areal um Schloss<br />
Mühlental einen Park nach englischem<br />
Vorbild zu schaffen. Es entstanden Teiche,<br />
Grotten, ein hügeliges Gelände und ein<br />
kleiner Hafen mit Zufahrt zur Lesum. Kaufleute<br />
und Kapitäne brachten Pflanzen aus<br />
fremden Ländern als Geschenke mit. Am<br />
14. Juni 1985 sind im Park rund 90 Bäume<br />
einem Unwetter zum Opfer gefallen, darunter<br />
auch der wahrscheinlich größte<br />
Tulpenbaum. Dieses schlimme Naturereignis<br />
war auch die Geburtsstunde des „Fördervereins<br />
Knoops Park“, der sich seitdem<br />
in vorbildlicher Weise um die Pflege und<br />
Erhaltung dieser einzigartigen Parkanlage<br />
bemüht. Der tiefer liegende zur Lesum<br />
führende Weg „Auf dem Steinberg“ wird<br />
seit 1979 von einer Brücke überquert,<br />
sodass die beiden Parkhälften miteinander<br />
eng verbunden sind.<br />
Die Brücke hinter uns lassend, gelangen<br />
wir auf den nach rechts verlaufenden Weg,<br />
an den beiden Korkbäumen vorbei, zur<br />
Steinberghöhe. Diese Aussichtsplattform<br />
wird von einem Unterbau getragen, der<br />
aus einem großen Nischengewölbe<br />
besteht und einen Grotten-Charakter<br />
erkennen lässt.<br />
Im Winter herrliche<br />
Rodelbahn<br />
So sehr der Park in seiner Gesamtheit als<br />
Landschaftsdenkmal Anerkennung findet,<br />
so bestätigt der östliche Teil mit seinen<br />
Hügeln, Sichtachsen und dem freien Blick<br />
über die Lesum ins Werderland die besondere<br />
Gartenkunst dieser Anlage. Hier<br />
haben Kinder im Winter eine herrliche<br />
Rodelbahn.<br />
Wenige Meter entfernt, erreichten wir<br />
die Jünglingshöhe an der Südseite von<br />
Knoops Park. Der Name geht zurück auf<br />
die 5 aus Sandstein gefertigten Knabenfiguren,<br />
die früher auf der Steinbrüstung an<br />
der Kante gestanden haben.<br />
Einem Bericht des verstorbenen Arztes<br />
Dr. Ernst Schmidtmann zufolge, lag der<br />
Kurze Rast und jede Menge Sehenswertes<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
… und herrlichem Blick übers Werderland<br />
Foto: Tim Wöbbeking<br />
Park in der Zeit um 1935 eingezäunt und<br />
er war öffentlich noch nicht zugänglich.<br />
Die Jungen bemühten sich, die Zäune zu<br />
überwinden und sie empfanden den Park<br />
mit seinem Palmenhaus und seinen<br />
Gewächshäusern wie im Dornröschenschlaf.<br />
Durch Vandalismus ist vieles unwiederbringlich<br />
zerstört worden, so auch die<br />
Jünglingshöhe und die steinerne Brüstung.<br />
Der Zaun und weitere Metallteile wurden<br />
für Kriegszwecke eingeschmolzen. Die<br />
äußere Abgrenzung auf der Jünglingshöhe<br />
wurde mit einem metallenen Schutzgitter<br />
versehen, wobei die Kosten hierfür und für<br />
die untere offene Grottenwand rund 425<br />
Ts. DM gekostet haben. Viele Institutionen<br />
haben sich finanziell daran beteiligt.<br />
Unser Weg führte uns nun zu den 12<br />
Aposteln an der östlichen Parkseite. In ehemals<br />
sichtbarer Schlossnähe stehen heute<br />
noch 12 große, im Carree gepflanzte Lindenbäume.<br />
Unmittelbar daneben befand<br />
sich früher eine aufwendig gestaltete<br />
breite Treppe im italienischen Stil, in der<br />
man ins eigentliche Mühlenthal gelangte.<br />
Im oberen Bereich dieser Treppe beliebte<br />
es die Familie Knoop bei entsprechendem<br />
Wetter hier ihre Teestunde zu genießen.<br />
Übrig geblieben ist von der ganzen Pracht<br />
nur eine alte Ansichtskarte.<br />
Einst Standort von<br />
Schloss Mühlenthal<br />
Damit waren wir auch schon an dem<br />
Standort, wo sich bis 1933 das schöne, im<br />
Tudor-Stil mit einem achteckigen Turm<br />
errichtete Schloss Mühlenthal befand. Es<br />
war dem Wohlstand des Barons Knoop<br />
angemessen, ein Gebäude mit einem<br />
großen Festsaal und ca. 30 Räumen zu<br />
besitzen. Für die Bewirtschaftung von<br />
Schloss und Park wurden etwa 65 Bedienstete<br />
beschäftigt. Ausgeschiedene Mitarbeiter<br />
wurden vorzugsweise aus den eigenen<br />
Familien ersetzt.<br />
Das Schloss wurde in den Jahren 1868<br />
bis 1871 nach den Plänen des Bremer<br />
Architekten Gustav Runge erbaut. Kaisersöhne,<br />
Fürsten, Künstler, Wissenschaftler<br />
und hohe Militärs waren häufig zu Gast im<br />
„Schloss Mühlenthal“ und damit kehren<br />
wir noch einmal zur Jünglingshöhe zurück.<br />
Hier oben stehend soll der Generalfeld-<br />
6 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
„Schloss Mühlenthal“ in St. Magnus, Ansichtskarte<br />
aus dem Jahr 1931<br />
marschall Helmut von Moltke gesagt<br />
haben, dass man von dieser Stelle die Stadt<br />
Bremen gut beschießen könne, das war<br />
1873.<br />
Im Schloss hatte der Baron die Möglichkeit<br />
mit einer eigenen Telegrafenstation<br />
Verbindung mit seinem weit verzweigten<br />
Imperium zu halten. Ebenso besaß er eine<br />
eigene Gasanstalt. Ludwig Knoop war an<br />
rund 200 Unternehmen beteiligt.<br />
Etwas abseits vom Schloss, in Teichnähe,<br />
befanden sich der Pferdestall und die<br />
Remise für die Kutschen. Am früheren<br />
Standort des Schlosses ist auf dem Rasen<br />
der Grundriss des ehemaligen Hauses mit<br />
einer 3-reihigen, 180 m langen Pflastersteinreihe<br />
nachgezeichnet. Die Kosten von<br />
8 Ts. DM wurden vom Förderverein<br />
Knoops Park übernommen.<br />
Vom 2. 3. 1871 bis zum 16. 8. 1894 hat<br />
Baron Knoop in seinem schönen Schloss<br />
gelebt. Hier starb er 73-jährig, 4 Monate<br />
nach dem Tod seiner Frau Louise. Beide<br />
fanden auf dem Waller Friedhof in der<br />
Familiengruft ihre letzte Ruhe.<br />
Knoops 4 Söhne eiferten dem Erfolg<br />
ihres Vaters nach, ohne jedoch sein Format<br />
zu erreichen.<br />
Seit 1910 war „Schloss Mühlenthal“<br />
nicht mehr bewohnt. Die ehemalige Gesellschaftsdame,<br />
Fräulein von Harlem, stellte<br />
zwar stets frische Blumen in die Zimmer,<br />
falls die aushäusigen Angehörigen doch zu<br />
Besuch kämen, doch allein in dem großen<br />
Schloss zu leben, ängstigte sie sehr.<br />
Redaktionssitzung<br />
Bei strahlendem Sonnenschein trafen<br />
sich die Redakteure an einem Parkplatz Am<br />
Hohen Ufer in Lesum. Rudolf Matzner<br />
hatte eingeladen zu einem Spaziergang<br />
durch Knoops Park, eine wunderschöne<br />
und große Naturoase in Bremen-Nord.<br />
Keiner aus der Runde hatte diese Anlage<br />
bisher so wahrgenommen und die Einzelheiten<br />
so genau erklärt bekommen wie an<br />
diesem Nachmittag. In seinem Artikel ab<br />
Seite 4 beschreibt er die Einzelheiten, und<br />
so kann sich auch der Leser ein Bild<br />
Die Oktoberrevolution in Russland und<br />
die Inflation in Deutschland trugen dazu<br />
bei, dass die aufgelaufenen Steuerschulden<br />
und die notwendigen Reparaturkosten<br />
am Haus nicht mehr aufgebracht werden<br />
konnten. Möglicherweise bestand seitens<br />
der Familie wenig Interesse an der<br />
Erhaltung des Anwesens.<br />
Der damalige Bürgermeister Fritz Köster<br />
berichtete in einem schriftlichen Rückblick,<br />
dass das Landgut Mühlenthal unter<br />
Anrechnung der Steuerschulden für 200<br />
Ts. Reichsmark in den Besitz der Gemeinde<br />
Lesum gelangte.<br />
Der Bremer Künstler Claus Homfeld hat<br />
1995 unweit des Schlossteiches eine stehende<br />
Bronzefigur des Barons Ludwig<br />
Knoop geschaffen.<br />
Der Teich, in dem sich das Schloss spiegelte,<br />
ist am Rand mit einer Sitzgelegenheit<br />
ausgestattet, deren Hintergrund aus<br />
einer grottenähnlichen Tuffsteinwand<br />
besteht.<br />
Die beiden an der Straße „Auf dem<br />
Hohen Ufer“ befindlichen Pförtnerhäuser<br />
mit Parkwächter-Wohnungen sind noch<br />
gut erhalten und sie werden auch wieder<br />
Bronzefigur von Ludwig Knoop Foto: Tim Wöbbeking<br />
machen, mit welcher Liebe und Sorgfalt<br />
der Kaufmann Ludwig Knoop ab 1860 dieses<br />
Fleckchen Erde gestaltet hat.<br />
Zur eigentlichen Reaktionssitzung hatte<br />
man das Vereinsheim der Kanuten von<br />
TURA Bremen ausgesucht. Der Rückblick<br />
auf Heft <strong>Nr</strong>. 105 führte zu einer Unterhaltung<br />
über die Länge der Artikel. Doch der<br />
Hinweis auf den um acht Seiten erweiterten<br />
Umfang der Hefte ließ die Kritiker<br />
sofort verstummen.<br />
Horst Plambeck machte noch einmal<br />
deutlich, welche Auswirkungen das Internet<br />
auch auf den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> hat. So<br />
findet man bei WIKIPEDIA unter „Leberblümchen“<br />
auch den Verweis auf den in<br />
<strong>Nr</strong>. 104 erschienenen Artikel von Hermann<br />
bewohnt. Früher verschlossen große Eisentore<br />
die Zufahrt zum Schloss.<br />
Es wurde vom märchenhaften Aufstieg<br />
eines Bremer Jungen berichtet, der durch<br />
Wagemut und Glück zu Wohlstand und<br />
Ansehen gelangt ist.<br />
Mit diesem Bericht wurde der Versuch<br />
unternommen, die Rundgänge in Knoops<br />
Park nachzuzeichnen. Obwohl der Lebensweg<br />
des Ludwig Knoop nur bruchstückhaft<br />
und unvollständig geblieben ist, so<br />
würde ich mich doch freuen, wenn es<br />
gelungen wäre, die Vergangenheit der<br />
schönen Parkanlage und das Leben der<br />
damaligen Zeitgenossen in die Gegenwart<br />
zu rücken.<br />
Der bereits erwähnte „Förderverein<br />
Knoops Park“, die Stiftung Wohnliche<br />
Stadt, der Ortsamtsbeirat Burg-Lesum, die<br />
Behörde des Bremer Bausenators und zahlreiche<br />
Bürger haben sich finanziell an der<br />
Pflege und Erhaltung der Parkanlage beteiligt.<br />
Den unterschiedlichen Besuchergruppen<br />
danke ich für ihr Interesse und ihre<br />
Geduld.<br />
Rudolf Matzner<br />
Baron Ludwig Knoop<br />
Cordes, „Das Leberblümchen – die<br />
Blume des Jahres <strong>2013</strong>“. Die Tischrunde<br />
bedankte sich beim Kollegen Plambeck<br />
für dessen Zeit und Mühe, die er für den<br />
<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> im Internet aufwendet.<br />
Auf unterschiedliche Weise reichten die<br />
Verfasser ihre Artikel für das nächste Heft<br />
ein: USB-Stick und CD lagen auf dem<br />
Tisch, andere senden eine E-Mail an die<br />
Redaktion.<br />
Zur nächsten Redaktionssitzung<br />
trifft sich die Runde am 26. Oktober<br />
<strong>2013</strong> um 15.30 Uhr in der Baracke Wilhelmine<br />
in Neuenkirchen, aus besonderem<br />
Grund wird um verbindliche Anmeldung<br />
bis zum 12. Oktober <strong>2013</strong><br />
gebeten.<br />
Harald Steinmann<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
7
Skulpturen am Bremer Dom<br />
Vier Evangelisten, symbolisch dargestellt, vier Bauhandwerker als Konsolfiguren<br />
Der Bremer Dom soll als Europäisches<br />
Kulturerbe eingestuft werden, die Bewerbung<br />
für dieses Siegel hat der Bremer<br />
Senat auf 30 Seiten bei der Kultusministerkonferenz<br />
eingereicht. Unter diesem<br />
Gesichtspunkt wird der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
unseren Dom genauer in Augenschein<br />
nehmen.<br />
Betritt man den Bremer Dom,… – Wer<br />
über vier wunderschöne und aussagekräftige<br />
Skulpturen als Schmuck dieses Baudenkmals<br />
berichten möchte, der ist schon<br />
einige Schritte zu weit gegangen! Denn an<br />
der Schauseite des Doms, ab einer Höhe<br />
von ca. 12 m, rund um die Fensterrosette,<br />
die selbst einen Durchmesser von ca. 8 m<br />
hat, sieht man vier Skulpturen, deren<br />
Schönheit und Vielfältigkeit erst mit dem<br />
Fernglas deutlich wird. Man muss den<br />
Kopf schon in den Nacken legen, um in<br />
den Figuren die Symbole der vier Evangelisten<br />
zu erkennen. Jeder trägt sein von ihm<br />
verfasstes Evangelium in Buchform bei sich<br />
und ist „beflügelt“.<br />
Kaum beachtet<br />
Matthäus, Apostel, wird als „Mensch“ dargestellt.<br />
- Unter der Konsole: Der Steinmetz<br />
Nach der Ausarbeitung über die Skulpturen<br />
am Rathaus (<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>.<br />
102) bietet sich die Gelegenheit, diese hervorragend<br />
gefertigte Figurengruppe unseren<br />
Lesern vorzustellen. Vor dem Beginn<br />
des Artikels ist eine gründliche Recherche<br />
zum Thema und zu den Einzelheiten erforderlich,<br />
so auch in diesem Fall. Doch trotz<br />
eingehender Suche konnte keine Quelle<br />
ausfindig gemacht werden, die sich bereits<br />
mit diesem Werk beschäftigt hat. So blieb<br />
nur das Dommuseum und hier die Leiterin,<br />
Frau Dr. Weyh. Doch auch sie musste feststellen,<br />
dass es bisher keine Erklärung oder<br />
Magisterarbeit zum Thema gab. So bleibt<br />
nur ein völliger Neuanfang, der natürlich<br />
auf sehr dünnem Eis gebaut ist, eine Herausforderung.<br />
- Trotz gründlicher Suche<br />
konnte keine ähnliche Arbeit eines Bildhauers<br />
in unserem Bereich nachgewiesen<br />
werden.<br />
Es werden zwei unterschiedliche Formen<br />
für die Anordnung der Symbolfiguren<br />
aufgezeigt. Das Bremer Modell, wie man<br />
es z.B. bei der Kathedrale von Chartres<br />
[Frankreich] findet, sieht so aus:<br />
Johannes, ebenfalls Apostel, der „Adler“. - Unter<br />
ihm: Der Schmied<br />
Mensch<br />
Adler<br />
Markus, der sein Material von Petrus bekam, ist<br />
der „Löwe“. - Konsolfigur: Der Baumeister<br />
Löwe<br />
Stier<br />
Lukas, Arzt und Begleiter des Apostel Paulus, der<br />
„Stier“. - Darunter: Der Zimmermann<br />
8 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
[Die Sinnbilder der Evangelisten sind auf<br />
folgende biblische Bücher zurückzuführen:<br />
Ezechiel 1, 5 ff. und Offenbarung des<br />
Johannes (Apokalypse des Johannes) 4.6<br />
ff.]. Die Autoren der vier Evangelien<br />
beschrieben das Leben Jesu Christi, wie wir<br />
es im Neuen Testament nachlesen können.<br />
Wir legen unser Augenmerk auf die Konsolen,<br />
deren Ausführung denen unter den<br />
Skulpturen am Rathaus verblüffend ähnelt,<br />
jedoch eine Auswahl der am Bau beteiligten<br />
Handwerker zeigt. Drei der Konsolfiguren<br />
sind schnell und eindeutig an ihrem<br />
Werkzeug zu erkennen und einem Beruf<br />
aus der Baubranche zuzuordnen: Markus<br />
der Löwe mit dem Baumeister [Setzwaage,<br />
historischer Vorläufer der Wasserwaage];<br />
Matthäus der Mensch und der Steinmetz<br />
[Hammer und Meißel]; Johannes als Adler<br />
hat den Schmied unter sich [Zange und<br />
Hammer]; Lukas der Stier, er bereitete die<br />
größten Schwierigkeiten. Eine Beilaxt, die<br />
im Mittelalter der Zimmermann benutzte,<br />
wurde erst nach mehreren Versuchen<br />
erkannt. - Es sind naturgetreue Abbilder,<br />
mit denen der Bildhauer die am Bau beteiligten<br />
Handwerker ehrt. Stehen die Skulpturen<br />
wirklich im Mittelpunkt des Interesses,<br />
sind es die Konsolfiguren, die rätseln<br />
lassen?<br />
Vor 600 Jahren …<br />
Zum Alter der Skulpturen kann man<br />
zuerst die Feststellung treffen, dass sie in<br />
einer Zeit gefertigt wurden, als der Dom<br />
noch katholisch geführt wurde. Die vier<br />
Evangelisten in symbolischer Form darzustellen,<br />
passt nicht zum evangelischen<br />
Glauben. Die Reformation begann in Bremen<br />
im Jahre 1522 mit dem Besuch des<br />
Reformators Heinrich von Zütphen, dessen<br />
Rede vom Erzbischof stark kritisiert wurde.<br />
Ab 1524 wurden neben den katholischen<br />
Priestern an den Pfarrkirchen evangelische<br />
Prediger eingesetzt. Somit muss man feststellen,<br />
dass die Schaffung der vier Evangelisten<br />
vor dieser Zeit liegen muss. Denn<br />
solch ein Werk wäre von der Domfabrik<br />
nach der Reformation wohl kaum in Auftrag<br />
gegeben worden. Diese Annahme<br />
wird auch durch die Datierung von Kunstwerken<br />
zum Thema „Evangelisten in symbolischer<br />
Form“ untermauert.<br />
Emil Waldmann weist in seinem Buch<br />
„Die gotischen Skulpturen am Rathaus zu<br />
Bremen und ihr Zusammenhang mit kölnischer<br />
Kunst, 1908“ in einer Fußnote auf S.<br />
6 auf folgende Besonderheit hin: „Auch die<br />
Zahl der Standbilder war ursprünglich<br />
größer als heute. Es findet sich im Rechnungsbuch<br />
ein weiterer Posten für weitere<br />
vier Statuen (p.69. Z. 1), die vermutlich an<br />
der (nördlichen) Rückseite aufgestellt und<br />
wahrscheinlich ebenfalls von Meister<br />
Johannes gearbeitet waren. Aber es fehlt<br />
von ihnen jede Spur, literarisch weiß man<br />
sonst nichts von Ihnen, eine alte Abbildung<br />
von dieser Seite des Rathauses ist<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
Dom um 1910<br />
nicht bekannt, und so mögen sie im Lauf<br />
unserer Untersuchung übergangen werden.“<br />
– Übersetzt aus dem Rechnungsbuch<br />
Rathaus [Auszug]:<br />
„Von den 4 Bildern, die wir Hanse<br />
[Johannes] abkauften. Dem Hanse dem<br />
Bildhauer 92 Gulden für Bilder, Baldachin<br />
und Sockel, für jedes Bild 23 Gulden samt<br />
dem Zubehör.“<br />
In der Übersetzung zu diesem Text sind<br />
folgende Bemerkungen auffällig: „Das vorliegende<br />
Konto redet insbesondere von 4<br />
Steinbildern die Meister Johannes allein<br />
beschaffte; ihr Preis ist dem vorstehenden<br />
16 gleich. Es wurde dafür ein besonderer<br />
(oder mehr!?) Stein gebraucht, und scheint<br />
Meister Johannes zum dritten Male wegen<br />
Graustein fort gewesen zu sein. Auch hier<br />
ist keine Rede davon, wo derselbe gekauft<br />
und was er gekostet; nur der Transport<br />
vom Schiffe zur Werkstatt wird erwähnt.“<br />
Vier Skulpturen<br />
verschwunden<br />
Bild: Focke-Museum<br />
Man darf der so getroffenen Aussage<br />
entnehmen, dass diese 4 Skulpturen nicht<br />
von vornherein geplant waren! Denn das<br />
Heranschaffen des Materials war sehr zeitaufwendig,<br />
und Meister Johannes hätte<br />
die für diese 4 Skulpturen erforderliche<br />
Menge Stein mit seiner Erfahrung sicher<br />
beim vorherigen Kauf einschätzen können.<br />
Da der Einzelpreis der vier Skulpturen<br />
exakt dem der bereits gelieferten 16 „Bilder“<br />
entspricht, darf man davon ausgehen,<br />
dass Größe und Ausstattung aller<br />
Figuren in etwa gleich ist. Kommt man auf<br />
Emil Waldmann zurück, so ist verblüffend,<br />
dass diese am Dom befindliche Gruppe der<br />
vier Evangelisten von der Anzahl der Figuren<br />
genau der als verlustig angesehenen<br />
entspricht, die nicht aufzufinden sind.<br />
Doch Waldmann äußert auch den Verdacht,<br />
dass diese Skulpturen eventuell an<br />
der Rückseite des alten Rathauses bis zum<br />
Bau des neuen Rathauses angebracht<br />
waren. Die Planung des neuen Rathauses<br />
fällt in die Zeit ab 1898, die Arbeiten am<br />
Dom werden ab 1889 verwirklicht. Auf<br />
dem Entwurf von Max Salzmann sind die<br />
Skulpturen nicht zu finden, waren also<br />
nicht eingeplant. Auf einem Foto [Ausschnitt]<br />
um 1910 sind die 4 Evangelisten<br />
zu sehen, tragen aber bereits eine deutlich<br />
erkennbare Schicht dunkler Patina.<br />
Die genaue Betrachtung der Fotos der<br />
Dom-Schauseite fordert sofort einen Vergleich<br />
mit den Skulpturen und Konsolen<br />
am Rathaus heraus! Doch nur ein Zentimeter<br />
genauer Vergleich der Konsolplatten<br />
in Form eines begonnenen Achtecks<br />
könnte ein weiteres Indiz liefern, dass es<br />
sich um einen Bildhauer handelt, nämlich<br />
Meister Johannes, der sowohl die Skulpturen<br />
vom Rathaus als auch am Dom<br />
geschaffen hat.<br />
Diese neuen Erkenntnisse stellen eine<br />
Herausforderung für Studenten und deren<br />
Professoren der Bremer Hochschule für<br />
Kunst sowie der Bremer Universität dar,<br />
selbstverständlich bleibt der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />
an diesem spannenden Thema dran.<br />
- Beim Nachschauen, vergessen Sie bitte<br />
Ihr Fernglas nicht!<br />
Text und Fotos: Harald Steinmann<br />
„Landschaft Worpswede 2014“<br />
Frisch gedruckt kommt der Kalender<br />
„Landschaft Worpswede 2014“ von<br />
Horst Wöbbeking im Oktober in den<br />
Buchhandel. Mit 13 neuen Fotografien<br />
des Worpsweder Fotografen zeigt der<br />
Kalender die vielseitige Landschaft um<br />
Worpswede und das Teufelsmoor. Im Format<br />
45 x 50 cm ist so ein Landschaftsporträt<br />
entstanden, welches den Charme<br />
der Region zu allen Jahreszeiten zeigt.<br />
Erhältlich im Buchhandel und bei<br />
Horst Wöbbeking, Tel.: 04792 / 952148.<br />
9
Die alte Klostermühle in Lilienthal<br />
Auch in Lilienthal klapperte einst die Mühle am rauschenden Bach<br />
Lilienthal. Es war die alte Kloster-Wassermühle<br />
des von 1262 bis 1651 in Lilienthal<br />
beheimateten Zisterzienser Nonnenklosters<br />
„Vallis Liliorum“, die noch,<br />
wenn auch in verändertem Aussehen, bis<br />
1951 die Wasserkraft der Wörpe nutzte, um<br />
anfangs für das Kloster und die Meierhöfe<br />
sowie später, nach der Säkularisation und<br />
Auflösung des Mahlzwangs, für die Bauern<br />
der Umgebung das Getreide zu mahlen.<br />
Obwohl der Umlaufs-Kanal, ein Teilstück<br />
des heutigen Verlaufs der Wörpe durch Lilienthal,<br />
mit den Klappstaus zur Erleichterung<br />
der Torfschifffahrt, bereits 1851<br />
angelegt wurde, so floss bis 1964 immer<br />
noch ein Teilstück des zur Klosterzeit<br />
gegrabenen Wörpearms, an dem auch das<br />
große Mühlrad klapperte, zwischen dem<br />
früheren Murken`schen Wirtshaus „Stadt<br />
Bremen“ und dem früheren Amtshaus,<br />
dem heutigen Rathaus an der Klosterstraße,<br />
hindurch.<br />
Heute erinnert nur noch der „Mühlenweg“<br />
und der Weg „Am Mühlenbach“ an<br />
den früheren Verlauf der Wörpe und an die<br />
Idylle vergangener Zeiten.<br />
Leider ist aus der Klosterzeit nur wenig<br />
Schriftgut über die alte Klostermühle überliefert,<br />
sodass nicht nachweisbar ist, wann<br />
eine derartige Mühle errichtet wurde. Es ist<br />
jedoch anzunehmen, dass wohl aus der<br />
Notwendigkeit heraus bereits beim Bau<br />
der Klostergebäude in Lilienthal auch eine<br />
durch Naturkräfte angetriebene Getreidemühle<br />
vorgesehen war, um den großen<br />
Klosterhaushalt mit all seinen Bediensteten<br />
sowie der eigenen Vieh- und Ackerwirtschaft<br />
den notwendigen Lebensunterhalt<br />
zu bieten. Somit steht auch wohl zweifelsfrei<br />
fest, dass es sich bei der alten Wassermühle<br />
in Lilienthal, die 1951 von der Wasserkraft<br />
auf elektrischen Betrieb umgestellt<br />
und 1975 gänzlich abgerissen wurde,<br />
tatsächlich noch um ein unwiederbringliches<br />
historisches Denkmal aus der Klosterzeit<br />
Lilienthals handelte.<br />
Wie bei vielen alten Wassermühlen mit<br />
geringerem Wassergefälle, so wurde auch<br />
diese Mühle durch ein mittelschlächtiges<br />
Wasserrad angetrieben. Dabei fließt das<br />
Wasser in einer Art Kanalführung nahezu<br />
mittig auf das Wasserrad und setzt es<br />
damit über die häufig aus Holz am Umfang<br />
angebrachten Schaufeln in Bewegung. Die<br />
Obrigkeit zu Lilienthal und dem dortigen<br />
Müller Philipp Arps, dessen Vorgänger Peter<br />
Meyer gewesen war, geschlossen, in dem sich<br />
„Ihro Hochfürstliche Durchlaucht“ – die<br />
Landgräfin Eleonora Katharina von Hessen-<br />
Eschwege, welche vom 17. Februar 1651 bis<br />
zum 3. März 1692 die Landesherrin von Lilienthal<br />
war - verpflichtete die Mühle, welche<br />
nur einen „Gründel“ / Mahlgang hatte, aus<br />
den Amtsmitteln „in gutem baulichen<br />
Stande“ zu erhalten, sie mit guten Mühlsteinen<br />
zu versehen, auch den „Mühlenstrom“<br />
durch die „Amtsmeyer“ zu rechter Zeit reinigen<br />
zu lassen und dem Müller zu gewähren,<br />
daß er zwei Kühe im Sommer frei in der<br />
Klosterweide und im Winter auf dem Stall des<br />
Vorwerks haben dürfe, sowie außerdem, daß<br />
ihm etwas Torf zu nothdürftiger Feuerung<br />
gereicht werde, dieses Alles aber auch noch<br />
neben dem ihm ebenfalls zukommenden<br />
freien Aalfang. Dafür habe der Müller Philipp<br />
Arps eine jährliche Pacht von „Einhundert<br />
und Sechzig Reichsthalern“ jeweils vierteljährlich<br />
zu Ostern, Johanni, Michaeli und<br />
Weihnachten zu pränumerieren, d.h. im voraus<br />
zu zahlen. Weiterhin habe der Müller alle<br />
an Driften, Kammrad, Gründel und anderen<br />
Teilen der Mühle anfallenden Arbeiten selber<br />
ohne Entgeld zu rechter Zeit zu besorgen.“<br />
Klostermühle vor 1908<br />
Kanalführung soll verhindern, dass das<br />
Wasser seitlich und unterhalb des Rades<br />
unkontrolliert abfließt, damit auch die<br />
größtmöglichste Leistung des Wasserstroms<br />
genutzt werden kann.<br />
Nach dem 30-jährigen Krieg 1648 wurden<br />
die Klöster mit allem Zubehör säkularisiert,<br />
d.h. verstaatlicht. Damit hatte<br />
der Staat auch alle Vorrechte der<br />
Klöster auf sich übertragen lassen.<br />
In einem Artikel der WÜMME-Zeitung<br />
vom September 1883 heißt es: „In den heiligen<br />
Ostern von 1689“ wurde ein Heuervertrag/Pachtvertrag,<br />
betreff der Mühle, zwischen<br />
dem Amtmann Thile, als Vertreter der<br />
Mühle in Lilienthal war<br />
Nutznießerin der Wörpe<br />
Bis zum Jahre 1751 war die Wassermühle<br />
in Lilienthal ohne besondere Auflagen<br />
die unumschränkte Nutznießerin der<br />
Wörpe. Erst mit der Gründung weiterer<br />
Moordörfer und der dazu notwendigen<br />
Entwässerung und Kultivierung der Moore<br />
wurde dem Müller, als Gegenleistung zur<br />
Wasserkraftnutzung, die Pflicht auferlegt,<br />
den jeweiligen Wasserstand der Oberwörpe<br />
durch Ziehen oder Setzen der<br />
Mühlenschotte zu regulieren. Bis 1851<br />
bestand für die Kahnschifffahrt, die auch<br />
mit der Besiedlung weiterer Moordörfer<br />
zugenommen hatte, der sogenannte<br />
„Overtog“ bei der Mühle. Eine Einrichtung,<br />
über die die Kähne hinüberrutsch-<br />
10 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
ten, wenn sie von der Oberwörpe kommend<br />
in die Unterwörpe fuhren, oder<br />
umgekehrt, mit großem Aufwand durch<br />
Pferdekraft wieder heraufgezogen werden<br />
mussten, wenn die Fahrt flussaufwärts verlief.<br />
Der „Overtog“ wurde durch den<br />
Schleifbaum, auf dem der von der Oberwörpe<br />
kommende Kahn aufsetzte, durch<br />
ein Pfahlbauwerk gehalten. Ein Lehmbelag<br />
auf dem Schleifbaum ermöglichte dann<br />
das Hinübergleiten der häufig schwer beladenen<br />
Kähne. Balancierte der Kahn auf<br />
dem Kamm des „Overtogs“, stand er auf<br />
einer Wippe und rutschte dann auf der<br />
Böschung des „Overtogs“ in die bis zu<br />
2 bis 3 Meter tiefer liegende Unterwörpe.<br />
Dabei passierte es häufig genug, dass der<br />
Kahn unkontrolliert herunterrutschte und<br />
nur mit Hilfe des Schiffers, ohne Schaden<br />
zu nehmen, durch einen der beiden Bögen<br />
der alten Klosterbrücke gesteuert werden<br />
konnte; oder schlimmstenfalls das<br />
Brückenmauerwerk rammte. Auf dem<br />
Rückweg musste der Kahn dann von Pferden<br />
über den „Overtog“ stromaufwärts<br />
gezogen werden.<br />
Umsetzen der Kähne war<br />
eine gute Einnahmequelle<br />
Für den Gastwirt Georg Murken, der die<br />
Pferde und den Schifferknecht stellte, war<br />
das eine gute Einnahmequelle, denn für<br />
jeden stromaufwärts fahrenden Kahn<br />
erhielt er einen Bremer Groten. Er hatte<br />
allerdings davon jährlich 330 Taler in Gold<br />
an die Schifffahrtsinteressenkasse zu zahlen.<br />
Dennoch muss es wohl, bei der Vielzahl<br />
der Kahnfahrten, ein gutes Geschäft<br />
gewesen sein. Dieser „Overtog-Betrieb“,<br />
der dem Müller auch zusätzliche Verpflichtungen<br />
auferlegte, wurde nach der Einweihung<br />
des Umlaufs-Kanals am 1. März 1851<br />
nicht mehr benutzt. Er wurde, auch wenn<br />
die Moorbauern anfangs gegen den Bau<br />
des Umlaufkanals gestimmt hatten, stillgelegt<br />
und verfiel so nach und nach. Für den<br />
Müller oder genauer für den Staumeister<br />
bestand jedoch nach wie vor die Verpflichtung,<br />
die Wörpe zu regulieren und bei<br />
Niedrigwasser die Mühle sogar stillzulegen,<br />
um die Kahnschifffahrt aufrechtzuerhalten<br />
oder im umgekehrten Fall einer<br />
Überschwemmung vorzubeugen.<br />
Für die Meierhöfe des ehemaligen<br />
Klosters aus dem Kirchspiel St. Jürgen und<br />
den Ortschaften Trupe, Feldhausen,<br />
Hoege, Falkenberg, Lilienthal, Butendiek,<br />
Truperdeich, Moorhausen, Trupermoor<br />
und Klostermoor bestand noch bis 1855<br />
ein Mahlzwang. Erst danach war ein Freikauf<br />
von dem Mahlzwang durch Zahlung<br />
einer festgesetzten Ablössumme möglich.<br />
Wie aus einer Anekdote hervorgeht, soll<br />
nach althergebrachter Weise den von weither<br />
kommenden Bauern, wenn sie ihr Korn<br />
zum Mahlen brachten, zur Erquickung<br />
nach dem langen Weg, durch ein kleines<br />
Fenster in der Mühlenwand, sogar ein<br />
Schnaps und ein Hering gereicht worden<br />
sein.<br />
1858 wurde die Mühle, die bis dahin fiskalisch<br />
betrieben wurde, an den Müller J.F.<br />
Klostermühle Gesamtansicht<br />
Maas aus Lilienthal für 36 000 Mark mit<br />
allen Rechten und Pflichten verkauft.<br />
Wasserrad mit<br />
6,5 m Durchmesser<br />
Wie ebenfalls in der Wümme-Zeitung<br />
vom Oktober 1897 zu lesen ist, erfolgte im<br />
Sommer und Herbst des betreffenden Jahres<br />
ein größerer Umbau der alten Wassermühle.<br />
Das alte Wasserrad, das über Jahrhunderte<br />
die Mühle angetrieben hatte,<br />
wurde nach dem zur damaligen Zeit letzten<br />
Stand der Technik gegen ein neues<br />
eisernes mittelschlächtiges Wasserrad von<br />
6,50 Meter Durchmesser und 1,50 Meter<br />
Breite mit 48 Schaufeln ausgetauscht. Der<br />
Radstuhl und das Gehäuse sind dabei neu<br />
in Beton und Stein ausgeführt worden.<br />
Auch das innere Mühlengetriebe wurde<br />
nahezu vollständig erneuert. Das Hauptgebäude<br />
ist hingegen im Äußeren erhalten<br />
geblieben.<br />
Nach der Berechnung soll nach dem<br />
Umbau die jährliche Nutzleistung, abhängig<br />
von dem jeweiligen Wasserstand / 6<br />
Monate 20,6 PS, 5 Monate 16 PS und<br />
einen Monat 12 PS / hochgerechnet ca.<br />
114 000 Kilowattstunden/Jahr betragen.<br />
Postkartenausschnitt 1906<br />
Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob<br />
die Mühle um 1900 einzig und allein nur<br />
durch die Wasserkraft angetrieben wurde,<br />
denn im Briefkopf des Müllers J.F. Maas<br />
steht u.a. „Wasser- und Dampfmühle“.<br />
Und in dem Ausschnitt einer Postkarte<br />
von 1906 ist dazu noch ein Maschinenhaus<br />
und ein höherer Schornstein auf dem<br />
Mühlengrundstück zu sehen, der erst später<br />
abgetragen wurde.<br />
Klostermühle D. Murken<br />
Im Jahre 1910 erwarb der spätere<br />
Gemeindevorsteher und Bürgermeister,<br />
Zimmermannsmeister Dietrich Murken,<br />
die Mühle, mit ebenfalls allen noch bestehenden<br />
Rechten und Pflichten, für<br />
115 000 Mark. Wann nach der Übernahme<br />
der Mühle durch Dietrich Murken der<br />
Umbau des Mühlengebäudes mit dem<br />
angrenzenden Wohngebäude vorgenommen<br />
wurde, ist nicht bekannt. Nach verschiedenen<br />
vorliegenden Fotos könnte der<br />
Umbau um 1920 erfolgt sein.<br />
1951 Umbau zur elektrisch<br />
betriebenen Motormühle<br />
Bis 1945 wurde die Mühle durch Dietrich<br />
Murken mit Fremdhilfe betrieben.<br />
Danach übernahm der durch die Wirren des<br />
Krieges aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten<br />
nach Lilienthal vertriebene Müllermeister<br />
Walter Dittmer als Pächter bis 1957<br />
den Mühlenbetrieb. Durch die zunehmende<br />
Industrialisierung, die besonders<br />
den kleineren älteren Mühlenbetrieben die<br />
Existenzgrundlage nahm, erfolgte 1951<br />
durch Diedrich Murken der Umbau von der<br />
Wassermühle zu einer elektrisch betriebenen<br />
Motormühle. Dabei wurde die alte<br />
Mühle nahezu vollständig entkernt, das<br />
Gebäude aufgestockt und die Betriebseinrichtungen<br />
so modernisiert, dass aus der<br />
alten Kloster-Wassermühle, wenn auch nur<br />
für kurze Zeit, eine der fortschrittlichsten<br />
Mühlen weit und breit wurde. Auch der<br />
große, alte Generator, der zum späteren<br />
Zeitpunkt über viele Jahre in Verbindung<br />
mit dem Wasserantrieb von 20 bis 25 PS die<br />
Mühle und anfangs noch weitere in der<br />
näheren Umgebung liegende Betriebe mit<br />
Strom versorgte, hatte ausgedient und<br />
wurde entfernt. Über 3 Stockwerke sowie<br />
dem Erdgeschoss erstreckte sich nun die<br />
gesamte Mühlentechnik. Der Müllermeister<br />
und seine Gehilfen waren nun mehr<br />
oder weniger nur noch Kontrolleure der<br />
ganzen Apparatur. Wo früher Säcke treppauf<br />
und treppab geschleppt wurden, übernahmen<br />
nach der Modernisierung große<br />
und weit verzweigte Fördereinrichtungen<br />
nahezu automatisch den Betrieb. Dennoch<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
11
Klostermühle nach dem Umbau 1951<br />
war der Arbeitsanfall durch den schnelleren<br />
Durchlauf bei der Verarbeitung der verschiedenen<br />
Getreidesorten und durch die<br />
Vielfalt der Mühlenprodukte erheblich<br />
mehr geworden.<br />
Ab 1957 übernahm der Müllermeister<br />
Heinz Murken, ein Enkel von Dietrich Murken,<br />
den Betrieb. Leider nur für einige<br />
Jahre, denn der Konkurrenzdruck durch<br />
die Großbetriebe war härter geworden<br />
und ließ, auch nach der Modernisierung<br />
des Mühlenbetriebes, ein wirtschaftliches<br />
Führen des kleineren Lilienthaler Mühlenbetriebes<br />
kaum noch zu. Was letztendlich<br />
auch dazu führte, um einen Zusammenbruch<br />
zu verhindern, den Mühlenbetrieb<br />
bereits 1970 gänzlich stillzulegen und die<br />
Mühlengebäude 1975, nach dem Verkauf,<br />
vollständig abzureißen.<br />
Auch das Teilstück der Wörpe, der<br />
Mühlengraben, an dem sich über nahezu<br />
750 Jahre das große Mühlenrad drehte,<br />
wurde 1964 im Rahmen der Wörperegulierung<br />
zugeschüttet. Und der frühere<br />
Umlaufs-Kanal, über den schon seit 1851<br />
die gesamte Wörpeschifffahrt verlief, ist<br />
jetzt ein Teilstück des Wörpeflusses durch<br />
Lilienthal. Mit diesen Veränderungen war<br />
die über Jahrhunderte bestehende<br />
Mühlenromantik auch für Lilienthal für<br />
immer verloren gegangen.<br />
Was heute bleibt, ist nur noch die Erinnerung<br />
an die<br />
„Einst in Lilienthal klappernde Mühle am<br />
rauschenden Bach,<br />
Und an den Müller, der bei Tag und bei<br />
Nacht stets wach.<br />
Er mahlte das Korn uns zu kräftigem Brot,<br />
und haben wir solches, so haben wir keine<br />
Not.“<br />
Fotos: Archiv <strong>Heimat</strong>verein Lilienthal<br />
Text: Rupprecht Knoop<br />
Grasberger Industriearchitektur<br />
– auf Leinwand festgehalten von Heide Banck<br />
Fast vergessen ist die Zeit, als die Wörpedorfer<br />
Mühle in Grasberg das Ortsbild<br />
prägte. Kaum ansehnlich, mit Spuren der<br />
Zeit und riesengroß ist das Gebäude gewesen,<br />
das auf seltsame Weise immer wieder<br />
die Betrachter in seinen Bann gezogen hat.<br />
Während der Wartezeiten an der damals<br />
noch vorhandenen Ampelkreuzung von<br />
vielen Autofahrern immer wieder mit dem<br />
Auge „abgegrast“, bot die Mühle den<br />
Betrachtern immer wieder neue Details.<br />
Besonders angetan von dem üppigen<br />
Bauwerk ist nach wie vor die in Grasberg<br />
lebende Malerin Heide Banck, welche die<br />
letzten Tage des Kolosses fotografisch und<br />
auf Leinwand festgehalten hat. So entstand<br />
eine interessante Sammlung von Kunstwerken<br />
auf Leinwand und Fotopapier, die hierzulande<br />
nur selten anzutreffen ist, während<br />
sich amerikanische und englische Künstler<br />
schon länger von der Industriearchitektur<br />
inspirieren lassen und diese in ihren Werken<br />
festhalten.<br />
Tim Wöbbeking<br />
12 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Die Wörpedorfer Mühle<br />
Ein Grasberger Wahrzeichen, das mittlerweile der Vergangenheit angehört<br />
Grasberg. Man kann darüber streiten, ob<br />
es nun schöne oder hässliche oder einfach<br />
nur einem bestimmten Zweck dienende<br />
funktionelle Industriebauten waren. Aber sie<br />
waren immerhin über einhundert Jahre lang<br />
am Ortseingang von Grasberg ein nicht zu<br />
übersehendes Wahrzeichen, dieser Komplex<br />
aus Silos und Mühlengebäuden, der einfach<br />
zum Ortsbild gehörte. Für die Grasbergerin<br />
Heide Banck war denn auch der Abriss im<br />
Jahre 2011 ein Anlass, zu Fotoapparat und<br />
Pinsel zu greifen und ein wenig davon im Bild<br />
festzuhalten, vor allem auch Details, die so<br />
nicht immer für jedermann sichtbar waren.<br />
Die lange Geschichte der Mühle begann<br />
im Jahre 1904, als der Großvater von Hermann<br />
Gieschen, dem heutigen Besitzer, aus<br />
einer Konkursmasse ein altes Mühlengebäude<br />
kaufte und damit den Grundstein für<br />
ein stetig wachsendes Geschäft legte: die<br />
Versorgung der im Umland von Grasberg<br />
lebenden und arbeitenden Bauern mit Futtermitteln<br />
vor allem für die Schweinemast.<br />
Schon in den ersten Jahrzehnten nach der Firmengründung<br />
nahm dieser Handel mit Futtermitteln<br />
und dann auch mit Getreide und<br />
später dazu Düngemitteln, Holz und Kohlen<br />
stetig zu. Bereits im Jahre 1925 bekam die<br />
Mühle einen eigenen Gleisanschluss der<br />
Jahn-Reiners-Bahn, um die bis dahin mit<br />
Pferd und Wagen im Bremer Hafen angelandeten<br />
Produkte anzuliefern. Die Weltwirtschaftskrise<br />
wurde gut überstanden.<br />
Nach dem Tod des ersten Firmeninhabers<br />
übernahm sein Sohn Heinrich Gieschen die<br />
Firma und baute sie weiter aus. Im Jahre 1936<br />
baute er den ersten Getreidesilo, mit einem<br />
für damalige Verhältnisse enorm großen Fassungsvermögen<br />
von 400 Tonnen.<br />
1954 starb Heinrich Gieschen und nach<br />
einer Interimszeit von vier Jahren, in der seine<br />
erst achtzehnjährige Tochter den Betrieb lei-<br />
Eine der letzten Aufnahmen von der Grasberger Mühle kurz vor dem Abriss<br />
tete, übernahm dann nach beendeter Ausbildung<br />
als Müller sein Sohn Hermann den<br />
Betrieb. 1962 gab er das Feinmehlgeschäft<br />
auf und widmete sich von da an ausschließlich<br />
der Produktion von Futtermitteln, vor allem<br />
inhaltsvollem Kraftfutter. Die Entwicklung in<br />
der Landwirtschaft machte dies erforderlich,<br />
da außer Schweinemast in zunehmendem<br />
Maße Milchwirtschaft betrieben wurde.<br />
1962 weitete Gieschen sein Angebot für<br />
die Landwirtschaft durch den Bau einer<br />
hochmodernen Getreidetrocknungsanlage<br />
weiter aus und wurde dadurch auch für Kunden<br />
aus dem weiteren Umkreis bis Rotenburg<br />
und Hambergen interessant. Etwa zehn<br />
Jahre später erfolgte dann der Zusammenschluss<br />
mit weiteren privaten Futtermittelanbietern,<br />
um mit gemeinsamem Einkauf und<br />
weiteren gemeinsamen Aktivitäten wie EDV,<br />
Ausbildung, Anlagenentwicklung, Transporte<br />
und Werbung eine bessere Position im<br />
Wettbewerb mit anderen, vor allem genossenschaftlichen<br />
Anbietern, einnehmen zu<br />
können. Deswegen brachte Hermann<br />
Gieschen dann auch im Jahre 1973 seine<br />
Firma in den Hansa Landhandel Lahde KG-<br />
Verbund ein, dessen Silotransporter in der<br />
gelb-orangen Farbe auch heute immer wieder<br />
in Grasberg zu sehen sind.<br />
Zu einer Katastrophe kam es im Februar<br />
1999, als ein Großbrand weite Teile des<br />
Mühlenkomplexes zerstörte und einen Schaden<br />
in Millionenhöhe verursachte. Gieschen<br />
konnte danach zwar den Betrieb mit Einschränkungen<br />
weiterführen, verlegte aber<br />
den Schwerpunkt seiner Aktivitäten auf seine<br />
Niederlassungen in Mulmshorn und Wilstedt<br />
sowie auf ein weiteres eigenes modernes<br />
Werk im Bremer Hafen. Da die Wörpedorfer<br />
Mühlenanlage nicht mehr den modernen<br />
Ansprüchen genügte, wurde sie in zunehmendem<br />
Maße überflüssig; deshalb entschloss<br />
sich Hermann Gieschen im Jahr 2011,<br />
den traditionsreichen Komplex an der Wörpedorfer<br />
Kreuzung abzureißen.<br />
Text: Heinrich Bücken<br />
Fotos: Heide Banck<br />
Die letzten Tage …<br />
… und die letzte Stunde der Mühle<br />
Jede Menge interessante Details<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
13
Der Fisch des Jahres <strong>2013</strong>: Die Meerforelle<br />
Von der gelungenen Wiederansiedlung der Meerforelle in Wümme und Wörpe<br />
Die wohl bekannteste Fischart in heimischen<br />
Gewässern ist die Forelle, welche je<br />
nach Lebensweise als Bachforelle, Seeforelle<br />
und Meerforelle bezeichnet wird.<br />
Die Meerforelle im Kiesbett<br />
Unter dem Namen Ostseelachs, Strandlachs,<br />
Weißforelle, Silberlachs, Breden und<br />
Trump hat sich die Meerforelle an den<br />
Küsten Nordeuropas einen Namen<br />
gemacht. Dieser eindrucksvolle Fisch, der<br />
vom Nordmeer bis zur Biskaya vertreten<br />
ist, gleicht vom Verhalten und von der<br />
Lebensweise dem atlantischen Lachs. Riesige<br />
Wanderungen sind für diese Fische<br />
kein Problem.<br />
Vom Meer zurück<br />
in die Wörpe<br />
Vom Meer zieht sich die Meerforelle<br />
zum Laichen in Flüsse zurück, die sie durch<br />
lange „Wanderungen“ von bis zu 40 km<br />
Länge am Tag erreicht. Stark geschwächt<br />
und abgemagert wandern diese Fische<br />
nach dem Ablaichen wieder zurück ins<br />
Meer, wo sie sich erholen. Ein Massensterben<br />
wie beim Lachs findet nicht statt.<br />
Unter günstigen Bedingungen kann die<br />
Meerforelle (Salmo Trutta Trutta) eine<br />
Größe von 130 cm Länge und ein Gewicht<br />
von 20 kg erreichen. Die Durchschnittsgröße<br />
liegt bei stattlichen 60 cm Länge.<br />
Foto: © F. Hecker<br />
Der Fischerei- und Gewässerschutzverein<br />
Lilienthal und Umgebung e.V. hat<br />
1997 nach etlichen Prüfungen der Gewässer<br />
damit begonnen, ca. 2500 Meerforelleneier<br />
in der Wörpe auszubringen. Dazu<br />
musste nicht nur die Wasserqualität stimmen,<br />
sondern die Gewässer über geeignete<br />
Ablaichmöglichkeiten wie Kiesbett und<br />
natürliche Uferzonen verfügen. Nach etlichen<br />
Renaturierungsmaßnahmen wurden<br />
nicht nur Kieszonen angelegt, sondern<br />
auch der alte Flusslauf wieder nachgeahmt.<br />
1998 konnte Martin Schüppel, Vorsitzender<br />
des Fischerei- und Gewässerschutzverein<br />
Lilienthal und Umgebung e.V., rund 40.000<br />
Eier der Meerforelle aussetzen. In den folgenden<br />
Jahren ging man dazu über, 3-4<br />
Wochen alte Brütlinge (bereits geschlüpfte<br />
Meerforellen) in die Wörpe einzubringen.<br />
Für diese sehr aufwendige Nachzucht<br />
wurde extra ein Bruthaus mit Haltebecken<br />
gebaut. Hier wird in einem speziellen Verfahren<br />
die Zucht der Forellen betrieben.<br />
Dafür werden die Meerforellen mittels<br />
Elektrofischen gefangen. Im Anschluss<br />
erholen sich die Tiere in Wannen und kleinen<br />
Becken vom Keschern. Mit leichten<br />
Betäubungsmitteln pflanzlicher Art, welches<br />
in die Wannen gegeben wird, werden<br />
die Fische betäubt, um das Abstreifen der<br />
Eier zu ermöglichen. Dies geschieht<br />
sowohl bei den Weibchen als auch bei den<br />
Männchen. Nachdem die Eier zusammengeführt<br />
werden, erfolgt die Befruchtung<br />
der Eier in einer Ruhezeit. Anschließend<br />
kommen die Schalen mit den Eiern in spezielle<br />
Brutschränke, in denen sich dann<br />
schon bald kleine Meerforellen tummeln.<br />
Die Elterntiere werden bereits kurz nach<br />
dem Abstreifen wieder in die Freiheit entlassen<br />
und begeben sich erneut auf die<br />
lange Wanderschaft ins Meer.<br />
Warum die Wörpe?<br />
Sicherlich wird sich unser Leser fragen,<br />
warum für dieses Vorhaben gerade die<br />
Wörpe ausgesucht wurde. Der Grund<br />
dafür ist ganz einfach: Die Wörpe fließt in<br />
die Wümme, welche später mit der<br />
Hamme zusammenfließt und zur Lesum<br />
wird. Die Lesum führt in die Weser, ohne<br />
dass eine Schleuse der Wanderung der<br />
Meerforellen im Wege steht. Nachdem<br />
auch andere Hindernisse in der Wörpe entfernt<br />
waren, konnte sich der Fluss aufgrund<br />
der Renaturierungsmaßnahmen gut<br />
erholen und eine deutliche Steigerung der<br />
Wasserqualität erreicht werden. Die Selbstreinigungskraft<br />
der Wörpe galt als weitestgehend<br />
wiederhergestellt und bot der<br />
Meerforelle fortan einen attraktiven<br />
Lebensraum in diesem Gewässer, das seinen<br />
Ursprung in der Nähe des Ortes Steinfeld<br />
hat. Dort, in den Wiesenlandschaften<br />
mit Resten von Buchenwäldern, wo naturbedingt<br />
keine landwirtschaftliche Nutzung<br />
möglich ist, entsteht die Wörpe und<br />
wächst schnell zu einem rasant fließenden<br />
Gewässer. Diese Fließgeschwindigkeit des<br />
Wassers führt dazu, dass sich das Flussbett<br />
Ca. vier Wochen alte Meerforellen Martin Schüppel im Bruthaus Die Wörpe mit Kiesbett nahe Wilstedt<br />
14 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
ständigen Veränderungen unterziehen<br />
muss.<br />
Wörpe bietet idealen<br />
Lebensraum<br />
Der kiesige, stellenweise auch sandige<br />
Grund der Wörpe mit nur geringen<br />
schlammigen Stellen bietet so einen idealen<br />
Lebensraum für die Meerforelle, welche<br />
ihre Eier gern in kiesigem Untergrund<br />
ablegt. Durch künftige Uferbeschattung<br />
entlang der Wörpe wird die Qualität des<br />
„Lebensraums Wörpe“ nochmals gesteigert<br />
und bietet dem Raubfisch „Meerforelle“<br />
nun ausreichend Nahrungsquellen.<br />
Im Jahr 2000 ergab eine Elektrobefischung<br />
der Wörpe, die für die Fische<br />
unschädlich ist und diese nur kurzzeitig<br />
betäubt, dass ca. 200 Meerforellen von 3<br />
cm bis zu 30 cm Länge in der Wörpe vertreten<br />
waren. Nachdem 1913 der letzte<br />
große Lachs gefangen wurde, ist diese<br />
Wiederansiedlung der Meerforelle ein<br />
wichtiger Schritt, der durch die Initiative<br />
des Fischerei- und Gewässerschutzvereins<br />
Lilienthal und Umgebung e.V. ermöglicht<br />
wurde.<br />
Text und Fotos Seite 14: Tim Wöbbeking<br />
Weitere Informationen im Internet<br />
unter www.die-woerpe.de<br />
1913: Der letzte Lachs aus der Wümme<br />
Lach- und Torfgeschichten<br />
„Trudje“ – een tierische Vogelgeschichte<br />
Drööf eck mi bekanntmoken? Eck heet<br />
Trudje un bin een, so seggt Bine un Jan<br />
datt, prachtvulle, witte un geelbruune<br />
Sleieruul. In eer ole Buernhus an de lüttje<br />
Reeg in’n Dorp Düwelsmoor wohn eck up<br />
den groten Hauböön. Vor eenige Johr’n is<br />
datt Dack neet mookt worn, domols hett<br />
mien Husherr Jan sülvst een grotet<br />
Uulenlock in datt Dreeck ünner de Peerköpp<br />
utsoogt. Unnen in us Hus leevt mien<br />
beiden Husherrschaften, de heet mit<br />
Nomen Sabine un Jan. Jan hett mie in’n<br />
letzten Johr mienen Nomen „Trudje“<br />
geben. De Geschichte dorto mutt eck ju<br />
nu gau vortellen. Wenn eck doran denk,<br />
denn lopp mie datt jümmers noch iskolt<br />
ober de Feddern.<br />
Datt posseer vor een Johr in de Tied, de<br />
mien Husherren Advent oder Wiehnachten<br />
nöömt. Se doot denn allerlei putzige Sooken<br />
un sünt gräsig veel unnerwegs. Toon<br />
Bispill sleept se veele bunte Kortons int Hus<br />
un holt sick lüttje Dannenbööm ut de<br />
Schonung. Wenn datt düster word, hebbt<br />
se veele helle Lichter ann Hus un in de lüttjen<br />
Bööm. Datt sütt jo fein ut, eck mach<br />
ober leeber wenn datt düster is. Loot in de<br />
Nacht kööm eck trüch von mien Beuteflug.<br />
Eenige Müüs wörn mien Obenbrot wesen.<br />
Dör datt Uulenlock suus eck ob den<br />
Hauböön. Bomms, rumms, düster! Eck<br />
knall gegen een Dackpapp un weer benaut<br />
un benüsselt. Nu rassel eck jümmer deeper<br />
no unnen twüschen de Sporren un Dacklatten.<br />
Boben ann Sparren harr sick een<br />
von de Platten lööst, un eck suus no unnen<br />
in datt enge, düstere Kaschott. Eck kunn<br />
nich no vorn un nich torüch. Inspeert weer<br />
eck, dor kööm eck so nich woller ruut.<br />
Ganz lies wör datt un eck kunn mie nich<br />
rögen.<br />
Angst, Angst, un nochmol Angst hebb<br />
eck in disse Nacht utstoon. Annern Morgen<br />
hör eck miene Husherren unnen op de<br />
Deel romentern un snacken. Wie dull un<br />
unkloog hebb eck mett mien Flunken<br />
kratzt un schuppert, datt weer een heel<br />
Specktokel. Jümmer un jümmer woller, bitt<br />
eck nich mehr kunn. Eck hör, wie Jan to<br />
sien Sabine seggt: „Dor up de Hilln ünnern<br />
Dack, dor sitt doch watt fast, eck glöf datt<br />
is wol een Katt!“ Nu mööt wie ober gau los<br />
toon Inköpen, anners hebbt wie upn Heiligobend<br />
nix to eten. Een Wiehnachtsboom<br />
mööt wie uck noch holen, so loot<br />
wörn wie jo noch nie dran. Eck kiek dor<br />
noher noch mol op de Hilln. De Deelendör<br />
klapp to, datt Auto brumm un weg wörn<br />
se. Datt wört! Eck hebb mien Ogen dicht<br />
mookt, eck kunn mie nich mehr rögen,<br />
mien Enn wör besiegelt. Miene beiden<br />
Husherren harrn doch bloots eer<br />
Wiehnachten inn Kopp. De Tied wer lang,<br />
oon Enn. De Deeldör klappt, de beiden<br />
snacken unnen op de Deel, se weern woller<br />
dor. Mett mien letzte Kraft flatter eck<br />
um mien Leben.<br />
Direktemang vor mie fangt datt an to<br />
brummen un to sogen. Jan wör dor un reet<br />
de Platten no Sied. He lück mett een helle<br />
Lampen. Eck blinker mett mien groten<br />
Ogen in dat helle Licht un mutt utseen<br />
hebben att een Koh wenn datt donnert un<br />
blitzt. Twee grote, warme Han’n holen mie<br />
ut mien enge Kaschott un setten mie op<br />
een Hauballen. Mett grote Ogen hebbt<br />
wie us ankeken. „Du bist mie jo eene,<br />
Trudje, wie bist du dor denn rinkomen?“,<br />
seggt Jan. Ganz langsam hebb eck mien<br />
breden Kopp hen un herdreit un mien<br />
Flunken bewegt. „Trudje, du hest nu jümmer<br />
to Wiehnachten Geburtsdag“, meen<br />
Jan. Eck keek em dankbor an un dach ober<br />
Wiehnachten no, dor harr eck mie jo noch<br />
nie um kümmert. Bloot wenn du nich vor<br />
un trüch mehr kannst un denkst, nu is alls<br />
toon Enn, un denn kummt een hellet Licht<br />
un warme Han’n! Eck kunn woller datt<br />
Uulenlock seen. So watt, datt mutt<br />
Wiehnachten wesen! Jan meen: „So,<br />
Trudje, nu fleeg man woller los.“ Eck flatter<br />
hoch toon Uulenlock, keek in’t Licht un<br />
schweef no buten in de Freeheit. Bitt ton<br />
Obend hebb eck mie in een von de groten<br />
Ecken sett un mie vorholt. Bien Düsterweern<br />
schweef eck ganz lies ober datt<br />
Düwelsmoor. Oberall in de Fenstern wörn<br />
de lüttjen Bööm mett de hellen Lichter to<br />
seen. Datt weer een ganz egenortige un<br />
liese Stimmung.<br />
Nu much eck op eenmol uck all de veelen<br />
Lichter. Datt wör Heiligobend, wie Jan<br />
seggt harr. Up den Husdamm vorpetten<br />
Bine un Jan sick nochmol de Been. Eck<br />
schweef een pormool ober jemm henweg.<br />
Se winkten un lachten: „Alles Gode,<br />
Trudje, schöne Wiehnachten!“<br />
Eck wohn jümmer noch bi de beiden, un<br />
datt is all bald woller Wiehnachten.<br />
„Trudje“<br />
Johann (Jan) Brünjes<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
15
Vor 100<br />
Jahren ...<br />
<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />
Presseberichte von<br />
Juli bis September 1913<br />
Wieder einmal können heutige Leser der<br />
damaligen Zeitungsausgaben das Erstaunen<br />
der Menschen in jener Zeit über für sie<br />
noch Ungewohntes und Neues nachvollziehen.<br />
Allein vier Berichte über die noch<br />
junge Fliegerei (wobei die Namen der Piloten<br />
ebenso erwähnt werden wie die Startund<br />
Landeplätze!) beinhalten Ereignisse,<br />
die uns heute so geläufig sind, dass sie keiner<br />
Erwähnung mehr bedürfen. Zwei<br />
Berichte dazu unterstreichen aber auch die<br />
Bedeutung, die der Verfasser der damaligen<br />
Texte dieser neuen Entwicklung beimisst.<br />
Von Veränderungen in jenen Tagen,<br />
ob Weservertiefung, Verlegung des Bremer<br />
Freimarktes oder auch in der Mode, wird<br />
ebenso berichtet, wie das, was unsere Vorfahren<br />
aus dem Leben ihrer Zeitgenossen<br />
erfahren, auch über die nicht immer rechtmäßig<br />
handelnden….<br />
Weservertiefung erregt<br />
Widerspruch<br />
Landkreis. „Der Plan des Bremer Staates,<br />
die Weser wieder um mehrere Meter<br />
zu vertiefen, hat unter den Grundbesitzern<br />
hiesiger Gegend allgemein Widerspruch<br />
erregt. Sie befürchten von der Tieferlegung<br />
des Weserbetts, die den Grundwasserstand<br />
weiter senken würde, eine Schädigung<br />
ihres größtenteils in Wiesenland<br />
bestehenden Grundbesitzes. Bekanntlich<br />
hat die vor Jahren erfolgte Begradigung<br />
und Vertiefung der Weser schon eine<br />
wesentliche Veränderung der Wasserverhältnisse<br />
in hiesiger Gegend herbeigeführt.<br />
Um über die gegen den neuen Plan<br />
erhobenen Einsprüche zu verhandeln,<br />
fand heute im Murkenschen Gasthause in<br />
Lilienthal unter Vorsitz des Landrats eine<br />
Versammlung der Landwirte des Truper<br />
und St. Jürgenslandes statt, an welcher<br />
Vertreter des Bremer Staats und der Regierung<br />
in Stade teilnahmen. Auch die<br />
Wörpe-Schifffahrtsgenossenschaft, welcher<br />
die Ausführung des Planes neue Opfer<br />
durch Tieferlegung der Unterwörpe auferlegt,<br />
und andere Beteiligte waren in der<br />
Versammlung vertreten. Die Einsprüche<br />
aller Beteiligten wurden zu Protokoll<br />
genommen. Sie verlangen, im Falle daß<br />
die Weser vertieft wird, Schadenersatz und<br />
den Bau einer Schleuse in der unteren<br />
Wümme, die den Wasserstand regelt. Die<br />
Bremer Vertreter verhielten sich diesen Forderungen<br />
nicht sehr entgegenkommend.<br />
Es wird wohl noch langwieriger Verhandlungen<br />
bedürfen, ehe diese Frage zur<br />
Befriedigung aller Beteiligten gelöst ist.“<br />
Staunen über fliegende<br />
Maschinen und „Aviatiker“<br />
Osterholz-Scharmbeck. „Eine freudige<br />
Überraschung wurde am Dienstagmorgen<br />
kurz nach 1/2 11 Uhr vielen hiesigen Einwohnern,<br />
die in der Hammeniederung<br />
beim Heuen beschäftigt waren, zuteil. In<br />
das Geräusch der arbeitenden Maschinen<br />
mischte sich plötzlich ein anderes, stärkeres,<br />
und als man in die Höhe sah, bemerkte<br />
man eine Flugmaschine mit großer<br />
Geschwindigkeit aus der Richtung von<br />
Worpswede kommen. Der Apparat befand<br />
sich immerhin noch einige hundert Meter<br />
hoch, machte aber durch das heftige<br />
Geräusch seines Propellers Pferde und Rinder<br />
auf der Weide scheu. Nach verhältnismäßig<br />
kurzer Zeit war der Aeroplan den<br />
Blicken der Beobachter entschwunden.<br />
Auch in Ritterhude und Burglesum sah<br />
man den Eindecker in großer Höhe bei<br />
voller Fahrt auf Bremen zu verschwinden.<br />
Es handelt sich vermutlich um den<br />
berühmten französischen Aviatiker Brindejonc,<br />
der, von Kopenhagen kommend, in<br />
früher Morgenstunde in Hamburg eine<br />
Zwischenlandung vornahm, aber nach<br />
kurzer Pause wieder zur Weiterfahrt aufstieg.“<br />
Im August ist zu diesen in jener Zeit<br />
noch „aufregenden“ Beobachtungen Folgendes<br />
zu lesen:<br />
Bremen. „Bremen wird jetzt fast täglich<br />
von Fliegern besucht. Die beiden Militärflieger<br />
Leutnant Engwer und Oberleutnant<br />
Braemer sind heute morgen vom Neuenlander<br />
Feld wieder aufgestiegen und<br />
nach dem Lockstedter Lager zurückgeflogen,<br />
wo sie kurz vor 8 Uhr eintrafen. Am<br />
Sonntag wurden mehrere französische<br />
Flieger erwartet, die von Paris nach Berlin<br />
fliegen wollten. Zwischen 7 und 8 Uhr<br />
abends wurde über Lankenau auch ein<br />
Flugzeug gesichtet, das von Südwesten<br />
kam, aber bald im Nordosten wieder verschwand.<br />
Das Flugzeug hat auf einer Wiese<br />
in Teufelsmoor eine Notlandung vornehmen<br />
müssen. Es soll leicht beschädigt sein.<br />
Der Flieger, ein Franzose, der sich mit den<br />
herzueilenden Landleuten nicht verständigen<br />
konnte, ist Sonntagabend mit der<br />
Bahn nach Bremen gefahren, um dort zu<br />
übernachten.“<br />
Von Gaunern<br />
und Lebensrettern<br />
Hagen. „Daß man trotz der hohen<br />
Lederpreise auch noch billig Schuhe kaufen<br />
kann, zeigten vor ein paar Tagen drei<br />
junge Burschen, die sich als Handelsleute<br />
ausgaben, in Dorfhagen. Sie boten bis herunter<br />
zu 1,50 Mark Stiefel an, die sonst den<br />
10fachen Betrag kosten. Den Einwohnern<br />
fiel der billige Preis auf, denn die Leute<br />
sahen nicht so aus, als wenn sie hexen<br />
16 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
konnten, somit mußten sie die Schuhe<br />
irgendwo gestohlen haben. Telegraphisch<br />
wurde der Gendarmerie-Wachtmeister<br />
herbeigerufen, und der eine der billigen<br />
Leute, welcher getrennt von den anderen<br />
arbeitete, festgehalten. Er wurde mit angelegten<br />
Handschellen in das Spritzenhaus<br />
gesteckt, der besseren Sicherheit wegen<br />
auch noch angebunden. Inzwischen<br />
machten sich der Wachtmeister sowie<br />
einige handfeste Einwohner auf die Suche<br />
nach den anderen, die in Richtung Bremerhaven<br />
gegangen waren. Zwischen<br />
Börsten und Hahnenknoop ereilte sie<br />
ahnungslos das Schicksal. Als sie die Uniform<br />
hinter sich sahen, war es höchste<br />
Zeit, querfeldein zu biegen, jedoch zu<br />
spät; der Packen mit den Schuhen, den sie<br />
auch nicht gerne im Stich lassen wollten,<br />
hinderte sie zu sehr am Fortkommen,<br />
somit konnte sie nichts mehr davor<br />
bewahren, ins Gefängnis zu wandern.<br />
Inzwischen hatte sich jedoch das Spritzenhaus<br />
als nicht genügend sicher herausgestellt.<br />
Der Vogel war ausgeflogen; er wird<br />
sich wieder um ein paar andere Komplizen<br />
bekümmern müssen, denn seine bisherigen<br />
werden, da es sich um einen Einbruch<br />
im Kreise Syke handelt, nicht so schnell<br />
wieder fortkommen. Den Entflohenen hat<br />
man bis jetzt noch nicht wiedergefunden.“<br />
Teufelsmoor. „Vom sicheren Tode errettet<br />
wurde am Sonntag gegen Abend ein<br />
Einwohner aus Hüttenbusch, der auf der<br />
Hamme in seinem Schiff Heu nach Hause<br />
fuhr. Als er mit dem vollbeladenen Schiff in<br />
der Nähe der hiesigen Brücke war, verlor er<br />
beim Staken plötzlich den Halt und stürzte<br />
kopfüber in das Wasser. Ein junger Mann,<br />
der den Vorfall von der Brücke aus beobachtete<br />
und bemerkte, daß der Mann<br />
nicht mehr an die Oberfläche kam, sprang<br />
kurzentschlossen nach und es gelang ihm,<br />
den Verunglückten, der mit dem Oberkörper<br />
in zähen Schlamm geraten war, zu retten.<br />
Der Mann war bereits dem Tode nahe.<br />
Die Wiederbelebungsversuche hatten alsbald<br />
Erfolg.“<br />
Worpswede, 6. August. „Der letzte<br />
Sonntag war für die Kleinbahn Bremervörde-Osterholz<br />
sehr aufregend. Der um<br />
9.36 Uhr auf hiesigem Bahnhof von Osterholz<br />
eintreffende Zug war voll besetzt. Der<br />
Aufenthalt hier, der nur mit einer Minute<br />
vorgesehen ist, ist zu kurz und gibt oft zu<br />
großem Gedränge für die aus- und einstei-<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
genden Fahrgäste Veranlassung, so auch<br />
am Sonntag. Die Hälfte der hier aussteigenden<br />
Passagiere mochte den Wagen<br />
verlassen haben, als sich plötzlich der Zug<br />
in Bewegung setzte. Von zwei gerade aussteigenden<br />
hiesigen Einwohnern kam der<br />
eine noch gut auf die Erde, der nachfolgende<br />
stürzte aber und wäre unbedingt<br />
unter die Räder der Wagen geraten, hätte<br />
der vorher ausgestiegene Herr nicht die<br />
Geistesgegenwart gehabt, ihn aus der<br />
gefährlichen Lage zurückzureißen. Der<br />
abgedampfte Zug hielt wieder, als er gut<br />
das Bahnhofsterrain verlassen hatte, in<br />
freiem Felde und nun wurden die noch<br />
hier im Zuge befindlichen Gäste aufgefordert<br />
auszusteigen. Doch hierzu weigerten<br />
sich diese, und wohl oder übel mußte der<br />
Zug rückwärts zur Station dampfen, um<br />
die entführten Passagiere ordnungsgemäß<br />
abzuliefern. – Kommentar überflüssig!“<br />
Feier zur Befreiung von der<br />
französischen Besetzung<br />
Borgfeld. „Auch in unserer Gemeinde<br />
wird am 18. Oktober eine Jahrhundertfeier<br />
in großem Umfange veranstaltet werden.<br />
Der Kriegerverein hat sich mit den übrigen<br />
hiesigen Vereinen, Männergesangverein,<br />
Gesangverein ´Eintracht`, Turnverein und<br />
Gesangverein Timmersloh, mit der Schule,<br />
dem Schulvorstand und Kirchenvorstand<br />
in Verbindung gesetzt, um eine allgemeine<br />
Volksfeier am Abend des 18. Oktober zu<br />
begehen. Das Programm liegt im großen<br />
und ganzen schon vor. Nach einem Gottesdienste<br />
in der Kirche wird zum Fackelzuge<br />
angetreten, an dem sich sämtliche<br />
Vereine und die Schule beteiligen werden,<br />
an dem aber auch alle übrigen Einwohner<br />
gern teilnehmen können. Der Zug wird<br />
sich nach der Flutbrücke, von da nach<br />
Katrepel und zurück nach der kleinen<br />
Wümmebrücke bewegen. Hier wird auf<br />
einer Weide an der Wümme ein Freudenfeuer<br />
abgebrannt. Nachher wird die Feier<br />
auf dem C. Petersschen Saale fortgesetzt.<br />
Ein eigens für diesen Zweck gedichtetes<br />
Festspiel wird uns in die Zeit vor 100 Jahren<br />
(Anmerkung: der Befreiung von der<br />
französischen Besetzung) in Borgfeld<br />
zurückversetzen.“<br />
Neue Mode: Ohne Hut –<br />
Verlegung des Bremer<br />
Freimarktes<br />
Bremen. „Der Spaziergang ohne Kopfbedeckung<br />
findet in den Großstädten, so<br />
auch in Bremen, viele Anhänger. Überall<br />
sieht man jüngere und ältere Passanten<br />
ohne Kopfbedeckung. Wie stets, tauchen<br />
natürlich auch Gegner dieser Bewegung<br />
auf. Dieser Tage ging ein Anhänger des<br />
,Ohne Hut´ in Bremen spazieren, ein Passant<br />
(bestimmt ein Hutmacher!) rief ihm<br />
nach: ,Helm ab zum Gebet!´ Dieser Ruf<br />
wiederholte sich dreimal, worauf hinterher<br />
das Lied erklang: ,Ich bete an die blanken<br />
Köppe!...´ und da soll einer nicht lachen.“<br />
Bremen. „Die Bürgerschaft beschloß<br />
mit 56 gegen 51 Stimmen, vom Jahre<br />
1914 ab den Freimarkt aus der Altstadt<br />
nach dem Gelände des ehemaligen Hamburger<br />
Bahnhofs zu verlegen. Es ist ins<br />
Auge gefaßt, den Bahnhof der Kleinbahn<br />
(Anm.: Bremen-Tarmstedt) an die Ecke<br />
Schlachthofstraße/Gustav-Deetjen-Allee<br />
zu verlegen. Über das freie Gelände ist<br />
sodann eine einseitig mit Wohnhäusern<br />
bebaute Diagonalstraße vorgesehen, die<br />
von dem neuen Bahnhof der Kleinbahn zur<br />
Mitte der Holler-Allee zwischen Gustav-<br />
Deetjen-Allee und Findorffstraße führt.<br />
Das Restgrundstück unmittelbar an der<br />
Ecke, an dem heute der Bahnhof der Kleinbahn<br />
steht, ist für den Freimarkt vorgesehen,<br />
für den auf diese Weise ein Terrain<br />
von 33 500 Quadratmetern bleibt. Das ist<br />
das 1 1/2fache der Plätze, die heute dem<br />
Markte zur Verfügung stehen.“<br />
Peter Richter<br />
Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins<br />
Lilienthal<br />
17
Erstellung des Bauhütten-Gebäudes<br />
auf dem Lilienhof<br />
Ein Projekt der „Oll´n Handwarkers ut Worphusen un annere Dörper e.V.“:<br />
Gefördert aus dem „EU-Förderprogramm zur Entwicklung im ländlichen Raum“ -„Leader-Programm“<br />
Lilienthal-Worphausen. Auf dem<br />
„Lilienhof“ in Lilienthal-Worphausen entsteht<br />
seit einigen Wochen ein neues<br />
Gebäude. Die „Oll´n Handwarkers ut<br />
Worphusen“ erstellen eine „Bauhütte“,<br />
eine Museumswerkstatt.<br />
Im Handwerkermuseum auf dem „Lilienhof“<br />
sind die räumlichen Kapazitäten<br />
erschöpft. Die dort ausgestellten Gewerke<br />
können nicht erweitert werden und es gibt<br />
noch viele Werkzeuge, Maschinen und<br />
auch ganze Werkstätten, vom Verein<br />
gesammelt und gesichert, die heute noch<br />
an verschiedenen Orten im Umkreis von<br />
30 km um den „Lilienhof“ lagern und nicht<br />
präsentiert werden können.<br />
Zudem sind in den letzten beiden Jahren<br />
im Rahmen der vielfältigen Aktivitäten des<br />
Vereins, wie beispielsweise den Gewerke-<br />
Schautagen, etliche Exponate hinzugekommen<br />
und etliche wurden offeriert.<br />
Auch diese müssen gesichert, aufbereitet,<br />
restauriert und dann präsentiert werden.<br />
Dazu zählen z.B. eine Malerwerkstatt, eine<br />
Druckerei, Exponate der ehemals in Lilienthal<br />
ansässigen Firma Otto Zimmermann<br />
und insbesondere das im Mai des letzten<br />
Jahres gesicherte technische Innenleben<br />
der inzwischen abgerissenen Falkenberger<br />
Mühle. (siehe <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> 101,<br />
Frühjahr 2012)<br />
Bei den mit der Gemeinde Lilienthal,<br />
dem Landkreis Osterholz und mit dem<br />
Amt für Landentwicklung Bremerhaven<br />
und der Förderung aus dem „Leader-Programm“<br />
der Europäischen Union, diskutierten<br />
Vorhaben der „Oll`n Handwarkers“<br />
ging es um die Projekte „Wiederaufbau<br />
Falkenberger Mühle“ und „Aufbau einer<br />
Schmiedescheune“.<br />
Die „Bauhütte“ im Werden – im Juli <strong>2013</strong><br />
Deutlich wurde dabei, dass auf dem<br />
„Lilienhof“ die dafür „notwendige Infrastruktur“,<br />
die vor allem durch das Projekt<br />
Falkenberger Mühle notwendig wurde,<br />
nicht vorhanden war. Es fehlten dem Verein<br />
und seinem Handwerkermuseum dauerhafte,<br />
wettergeschützte Lager-, Abstellund<br />
Werkstattflächen neben ebenfalls<br />
dringend erforderlichen zusätzlichen Präsentations-<br />
und Ausstellungsflächen.<br />
Ein solcher Bereich musste geschaffen<br />
werden und das wird nunmehr mit einem<br />
in sich abgeschlossenen, sinnvollen (im<br />
Sinne der Absicherung und Weiterentwicklung<br />
des Handwerkermuseums) und dauerhaften<br />
Bauprojekt, dem der „Bauhütte“,<br />
geschehen.<br />
Das „Bauhütten“–Gebäude entsteht in<br />
der Nordwestecke vom „Lilienhof“ auf<br />
einer hier vorhandenen Wiesenfläche in<br />
unmittelbarer Nähe des Handwerkermuseums.<br />
In dem neu geschaffenen „Bauhütten“-<br />
Gebäude wird dann auch eine Präsentation<br />
der gesicherten und aufbereiteten<br />
Teile der einstigen Elektromühle und<br />
früheren Dampfmühle und die Dokumentation<br />
der Historie der Falkenberger Mühle<br />
erfolgen.<br />
Das Projekt „Aufbau einer Schmiedescheune“<br />
mit einer historischen Schmiede,<br />
einer Wagner- und Stellmacherwerkstatt<br />
und einer alten Schnapsbrennerei wurde<br />
vorerst zurückgestellt.<br />
Bauantragszeichnung „Bauhütte“ – Ansichten und Schnitt …<br />
… sowie Grundriss oberes und unteres Geschoss<br />
18 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
„sammeln bewahren<br />
forschen dokumentieren<br />
ausstellen vermitteln“<br />
Um diesem Grundsatz des Museums für<br />
die Zukunft gerecht werden zu können,<br />
wurde eine Museumswerkstatt mit einer<br />
Aufbau-, Präsentations- und Ausstellungsfläche<br />
und eine zusammenhängende<br />
Abstell- und Lagerfläche auf dem „Lilienhof“<br />
in der Nähe des Handwerkermuseums<br />
notwendig. Die neuen Räumlichkeiten<br />
sollen in der Tradition des historischen<br />
Bauhüttenwesens in einem Werkstattverbund<br />
unterschiedlichster alter Handwerke<br />
genutzt werden. Dort soll auch der historische<br />
Handwerks- und Baubetrieb mit seinen<br />
überlieferten Regeln gezeigt werden<br />
mit den Möglichkeiten, handwerkliche<br />
und technische Fertigkeiten, Techniken<br />
und Wissen, das ansonsten verloren zu<br />
gehen droht, weiterzugeben.<br />
Gebäude historischer Bauhütten waren<br />
meistens ein länglicher Holzbau mit zwei<br />
Geschossen. Diese entstanden am Bauplatz<br />
eines Gebäudes und in diesen organisierten<br />
die am Bau beteiligten Handwerker<br />
den Bauablauf über die gesamte, oft<br />
jahrzehntelange Bauzeit.<br />
Im unteren Geschoss befanden sich die<br />
Werkstätten der verschiedenen Handwerker,<br />
im oberen Geschoss das Zeichen- und<br />
Schreibbüro und der Reißboden. Unter<br />
dem Dach einer Bauhütte arbeiteten<br />
„Meister, Parliere, Laubbauer (Künstler),<br />
Kunstdiener, Gesellen, Lehrlinge, Werkleute“.<br />
Die Arbeiten wurden bei Einbruch<br />
des Winters beendet und im Frühjahr wieder<br />
aufgenommen, wie wir es auch bis<br />
heute noch aus der Bauwirtschaft kennen.<br />
Das Gebäude der „Bauhütte“ auf dem<br />
„Lilienhof“ wird neu erstellt. In den Außenmaßen<br />
von 10,00 x 17,50 m und einem<br />
überdachten Vorplatz von etwa 2,50 x<br />
18,00 m entsteht eine Gebäudegrundfläche<br />
von etwa 220 qm. Die Nutzfläche<br />
im unteren Geschoss beträgt etwa 180 qm<br />
und im oberen Geschoss mehr als 100 qm.<br />
Im unteren Geschoss werden Flächen für<br />
Ausstellung und Präsentation, für Werkstätten<br />
und Lager, im oberen Geschoss<br />
Flächen für Reißboden, Zeichen- und<br />
Schreibstube, Magazin- und Lagerflächen<br />
geschaffen. Für die Anlieferung von Exponaten<br />
erhält das Gebäude eine Einfahrt<br />
und Durchfahrt für größere Transportfahrzeuge.<br />
Das Gebäude ist, entgegen aller bislang<br />
auf dem „Lilienhof“ erstellten Gebäude,<br />
ein Neubau in Anlehnung an landwirtschaftliche<br />
Nutzgebäude. Die Grundkonstruktion<br />
besteht aus Stahl- und Holzbauteilen.<br />
Das Dach ist mit Ziegelpfannen eingedeckt<br />
und die Wandverkleidungen in<br />
Holzdeckelschalung aus Lärchenholz ausgeführt.<br />
Für eine gute Belichtung des<br />
Gebäudeinneren erhält das Gebäude<br />
großzügige Fenster-, Tür- und Torflächen<br />
und einige Lichtbänder in der Dachfläche.<br />
Durch die später in „grauer Patina“ sich<br />
zeigende Lärchenholzverkleidung, den aus<br />
Lärchenholz bestehenden Fenstern und<br />
Türen, dem roten Sockelmauerwerk und<br />
der ziegelroten Dachfläche fügt sich das<br />
Gebäude der „Bauhütten“ schon jetzt gut<br />
in die historische Baukulisse des „Lilienhofes“<br />
mit der Bauernhofanlage und dem<br />
Handwerkermuseum ein.<br />
Nachbemerkung:<br />
Mit der „Bauhütte“–Museumswerkstatt<br />
des Handwerkermuseums, einschließlich<br />
der darin enthaltenen Lager- und Abstellflächen,<br />
können in Zukunft mit den vorhandenen<br />
Kapazitäten und Möglichkeiten der<br />
„Oll´n Handwarkers“ von dem Verein gesicherte<br />
Dokumente und Exponate der regionalen<br />
Handwerks- und Firmengeschichte<br />
und der vor- und/oder klein-industriellen<br />
Entwicklung in der Region aufbewahrt und<br />
dauerhaft oder zeitlich begrenzt gezeigt<br />
werden. Es können Exponate für die Lagerung<br />
im Museumsmagazin vorbereitet werden<br />
und in den Räumlichkeiten sind auch die<br />
vorhandenen und geplanten Aktionen mit<br />
Kindergärten und Schulen, mit der Kinderakademie,<br />
mit Berufsschulen besser möglich,<br />
ebenso wie das Angebot von Praktika<br />
etc.. Das alles kann unabhängig von der Witterung<br />
und ohne Zeitdruck, dem teilweise<br />
fortgeschrittenem Alter der alten Handwerker<br />
angemessen, umgesetzt werden.<br />
In Zukunft wird eine Zusammenarbeit<br />
mit den Jugendbauhütten der Deutschen<br />
Stiftung Denkmalschutz und mit in der<br />
jüngsten Vergangenheit neu gegründeten<br />
Bauhütten vor allem im kirchlichen Bereich,<br />
ebenso eine Kooperation mit dem Landschaftsverband<br />
Stade, dem Museumsverband<br />
und anderen Museumswerkstätten,<br />
angestrebt.<br />
Text und Fotos: Johannes Rehder-Plümpe<br />
Quellen:<br />
Johannes Rehder-Plümpe, Projektskizze<br />
Erstellung des „Bauhütten-Gebäudes“ 2010<br />
Johannes Rehder-Plümpe, Begründung +<br />
Beschreibung, Bauantrag 2011<br />
Lesenswertes<br />
Die Henne und ihre Entenkinder – eine wahre Geschichte ...<br />
... wie sie das<br />
Leben schreibt.<br />
Mit seinem Buch<br />
„Die Henne und<br />
ihre Entenkinder“<br />
hat Helmut Stelljes<br />
ein Kinderbuch<br />
herausgebracht,<br />
welches<br />
auch Erwachsene<br />
in seinen<br />
Bann zieht.<br />
Das Buch ist<br />
dabei faszinierend<br />
und spannend zugleich,<br />
denn der aus Worpswede stammende<br />
Autor erzählt hier, wie das noch ungeborene<br />
Leben von Enten zuerst durch Menschenhand<br />
und später von Hühnern gerettet<br />
wird. Dass die Hühner sich tatsächlich<br />
der Enteneier annehmen und an-<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
schließend die geschlüpften Entenküken<br />
aufziehen, ist eine tolle Begebenheit. In<br />
diesem Buch, das Helmut Stelljes nicht nur<br />
für Kinder, sondern für die ganze Familie<br />
geschrieben hat, sind zahlreiche Fotos zu<br />
sehen, welche die tierische „Patchworkfamilie“<br />
aus Hühnern und Enten zeigt. Wie<br />
liebevoll und gewissenhaft die Enten von<br />
den Hühnern aufgezogen und umsorgt<br />
werden, ist an den zahlreichen Illustrationen<br />
gut zu erkennen. Den Werdegang der<br />
Enten zu verfolgen ist mit Sicherheit ein<br />
guter Weg, die Kinder mit einheimischen<br />
Tieren vertrauter zu machen.<br />
Gestaltet ist das Buch so, dass es von<br />
Kindern gut zu lesen ist. Die Fotos und Illustrationen<br />
dazu sorgen für Abwechslung<br />
beim Lesen und dokumentieren diese von<br />
Menschenhand begonnene und von den<br />
Hühnern erfolgreich vollendete Rettungsaktion.<br />
Gedruckt wurde dieses Buch in der<br />
Region auf umweltfreundlichem Papier.<br />
Erschienen ist es im Druckerpresse-Verlag<br />
UG, Lilienthal, und erhältlich zum Preis<br />
von 15,95 im Buchhandel, beim Verlag<br />
und beim Autoren.<br />
ISBN 978-3-9815264-1-7<br />
Tim Wöbbeking<br />
19
Der Ort Teufelsmoor zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges<br />
Siedlungs- und Bevölkerungsstruktur<br />
Karten unterschiedlichster Art sind für<br />
uns heute selbstverständlich; der Atlas<br />
gehört zum Standard in der Schulausbildung.<br />
Karten finden wir zu den unterschiedlichsten<br />
Themen und in verschiedenen<br />
Maßstäben. So fällt es nicht schwer,<br />
genau die gesuchte Karte zu finden, sei es<br />
eine Straßenkarte oder eine Darstellung zur<br />
Wirtschaft oder Bevölkerung. Wir setzen<br />
voraus, dass wir uns auf die Aussagen einer<br />
Karte verlassen können und erwarten demzufolge<br />
ein hohes Maß an Genauigkeit.<br />
Sucht man kartographische Darstellungen<br />
für länger zurückliegende Zeiten, ist<br />
das Angebot deutlich geringer, und man<br />
merkt schnell, dass sich das Vermessungsund<br />
Kartierwesen mit seinen Normen erst<br />
entwickeln musste. So sind wir es<br />
gewohnt, dass in Karten Norden „oben“<br />
ist und Entfernungen in Metern bzw. Kilometern<br />
angegeben werden. Und jede<br />
Karte verfolgt einen bestimmten Zweck,<br />
d. h.: Sie entsteht aufgrund einer konkreten<br />
Aufgabenstellung.<br />
Sucht man für das Dorf Teufelsmoor<br />
nach historischen Karten, so stößt man z.<br />
B. bei Menkhoff 1 ) und bei Lilienthal 2 ) auf<br />
die folgende Karte.<br />
Lilienthal schreibt dazu: „Den jahrzehntelangen<br />
Streitigkeiten über den Gebrauch<br />
des ungeteilten Teufelsmoorer<br />
Torfstichgebietes machte ein Vergleich<br />
vom 9. September 1642 ein Ende….Diesen<br />
Bemühungen verdanken wir den hier<br />
folgenden Riß und das ihm beigefügte<br />
Stellenverzeichnis (von Knust 1668).“ 3 )<br />
Die Art der Kartendarstellung und v. a. die<br />
verwendeten Schriftarten lassen an dieser<br />
Formulierung zweifeln. Vielmehr macht die<br />
Karte den Eindruck, dass sie in der Zeit vor<br />
oder kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden<br />
ist, evtl. als Zeichnung zur Verwendung im<br />
heimatkundlichen Schulunterricht.<br />
Tatsächlich taucht sie bereits einige<br />
Jahre vorher bei dem Scharmbecker Lehrer<br />
Hermann Fitschen auf. 4 ) Er schreibt u. a.<br />
dazu: „Am 9. September 1642 versammelten<br />
sich die beiderseitigen Abgesandten<br />
[zum einen i. A. von Probst, Domina<br />
und Convent des Klosters Osterholz sowie<br />
der Herren von der Hude, zum anderen<br />
des Rates zu Bremen] …Es wurde die Teilung<br />
des Moores beschlossen… Der Ingenieur<br />
Johannes von Folterbach wurde mit<br />
der Vermessung und der Verteilung beauftragt…1668<br />
prüfte Johann Knust, wohl ein<br />
Landmesser, die vom Ingenieur v. Folterbach<br />
verfertigte Ausmessung… Es ist anzunehmen,<br />
daß Johann Knust auch die<br />
„Rechte Beschriefung des Düfelsmohres,<br />
einen Afris“ anfertigte, dessen Nachbildung<br />
hierunter folgt.“ 5 )<br />
Man sieht deutlich, dass Lilienthal sich<br />
auf Fitschen bezieht (ohne dies anzugeben)<br />
und dass Fitschen zwar von einer<br />
Nachbildung spricht, aber auch keine<br />
Angabe zum Ursprung dieser Karte macht.<br />
Der Urheber hat sich mit der Abkürzung<br />
„Lbg.“ in der rechten unteren Ecke verewigt;<br />
seine Identität bleibt jedoch unklar.<br />
Original-Karte gefunden<br />
Wenn nun aber klar ist, dass die obige<br />
Karte nicht das Original ist, stellt sich<br />
natürlich die Frage, ob dieses wohl noch<br />
existiert. Im Staatsarchiv Stade konnte<br />
diese Frage positiv beantwortet werden, es<br />
gibt das Original tatsächlich noch! (St.-<br />
Arch. Stade Neu <strong>Nr</strong>. 12988)<br />
Diese bisher unbekannte Karte soll nun<br />
hier – soweit bekannt – erstmals publiziert<br />
und beschrieben werden.<br />
Im Verzeichnis des Staatsarchivs werden<br />
ihre Maße mit 46 x 33 cm angegeben; ein<br />
Maßstab ist nicht vermerkt. Das Kartenmaterial<br />
ist Papier und außergewöhnlich<br />
gut erhalten.<br />
Die o. g. Nachbildung ist etwas vereinfacht,<br />
enthält aber den Titel der Karte<br />
sowie die Namen der Stelleninhaber sowie<br />
benachbarter Ortschaften. Beide Karten<br />
sind nahezu nach Norden ausgerichtet.<br />
Jedoch gibt es auch einige Abweichungen.<br />
So steht im Titel der Nachbildung „ums<br />
Jahr 1668“; diese Angabe fehlt im Original.<br />
Neben ein paar Fehlern bei der Übernahme<br />
der Rechtschreibung fällt noch auf,<br />
dass in der Nachbildung rechts oben zwischen<br />
H und H drei Streifen eingetragen<br />
sind, im Original dagegen nur zwei; hingegen<br />
fehlt in der Nachbildung links oben<br />
nach dem ersten K ein Streifen.<br />
Inhaltlich zeigen uns die Karten das Dorf<br />
Teufelsmoor, gelegen zwischen Beek und<br />
Ham, an keiner Stelle diese Flüsse überschreitend.<br />
Der Zusammenfluss ist besonders<br />
hervorgehoben; hier befand sich eine<br />
Umschlagstelle für Torf und eine Anlegestelle<br />
für Torfschiffe, die das Brennmaterial<br />
hammeabwärts Richtung Bremen transportierten.<br />
Ungewöhnliche<br />
Hofnummerierung<br />
Eingezeichnet sind 22 Hofstellen, die –<br />
anders als für die Folgezeit geläufig – von<br />
Ost nach West durchnummeriert sind. Zu<br />
diesen 22 Hofstellen gehören aber nur 19<br />
Besitzer (Stelle <strong>Nr</strong>. 15 gehört zu <strong>Nr</strong>. 17, <strong>Nr</strong>.<br />
16 zu <strong>Nr</strong>. 14 und <strong>Nr</strong>. 20 zu <strong>Nr</strong>. 18). In der<br />
beigefügten Tabelle sind die Hofbesitzer<br />
mitsamt den Größen ihrer Besitzparzellen<br />
angegeben. Ferner finden sich die Buchstaben<br />
H und K. Diese geben die Abhängigkeiten<br />
der Bauern von ihren jeweiligen<br />
Gutsherren an. Sämtliche Bauern sind<br />
bemeiert, d. h. einem Gutsherren gegenüber<br />
abgabenpflichtig. Bei zweien sind es<br />
die Herren von der Hude (<strong>Nr</strong>. 8 und 11),<br />
bei dreien das Kloster Osterholz (<strong>Nr</strong>. 13, 15<br />
und 18), während die Mehrzahl (13) bei<br />
20 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Bisher vermutlich erstmalig veröffentlichte Karte<br />
der Stadt Bremen bemeiert ist. Einen Sonderfall<br />
stellt der Bauer Carsten Schriffer<br />
dar: Mit seinem Stück <strong>Nr</strong>. 16 ist er nur der<br />
Stadt Bremen gegenüber bemeiert, mit<br />
seinem Stück <strong>Nr</strong>. 14 hingegen Bremen und<br />
dem Kloster Osterholz.<br />
Nach Osten, jedoch durch einen Damm<br />
o. a. abgegrenzt, schließen sich noch<br />
einige weitere Parzellen an, die aber weder<br />
bebaut noch als Besitz einzelner Bauern<br />
ausgewiesen sind. Von den 22 Besitzstücken<br />
sind auch zwei (<strong>Nr</strong>. 15 und 16)<br />
nicht bebaut; bei den übrigen ist die<br />
Bebauung sehr unterschiedlich eingetragen.<br />
Neben stattlichen Gebäuden finden<br />
sich auch sehr schlicht und klein gehaltene<br />
Häuser, ein Hinweis auf die offenbar sehr<br />
unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
im Dorf zu jener Zeit. Eine besondere<br />
Funktion im Dorf nimmt der Besitzer von<br />
<strong>Nr</strong>. 12 ein: Johan Hoppe wird als Vogt<br />
gekennzeichnet. Zwischen <strong>Nr</strong>. 11 und 12<br />
befindet sich ein keilförmiges Landstück,<br />
das als de müdste bezeichnet wird und vier<br />
Bauern gemeinsam gehört.<br />
Die Höfe befinden sich allesamt aufgereiht<br />
entlang der südlichen Seite eines<br />
Dammes, der im W die Beek quert. Auf der<br />
gegenüberliegenden Seite finden wir in<br />
zentraler Position – in Höhe des Hofes <strong>Nr</strong>.<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
12 (Vogt Hoppe) – die Schole. Westlich<br />
von ihr sind 5, östlich 6 Hausstellen eingetragen.<br />
Nach Norden hin sind verschieden<br />
breite Streifen, z. T. mit H bzw. K beschriftet,<br />
eingezeichnet.<br />
Kartierwesen noch<br />
in den Anfängen<br />
Wie lassen sich nun diese Befunde deuten,<br />
in einen Zusammenhang bringen und<br />
im Hinblick auf die Frage nach dem Zweck<br />
der Karte einbringen?<br />
Bei der Karte selbst muss man zunächst<br />
feststellen, dass Vermessungs- und Kartierwesen<br />
noch nicht in der Form ausgebildet<br />
waren, wie wir es heute gewohnt<br />
sind, sondern noch in den Anfängen steckten.<br />
So ist z. B. die Orientierung nach den<br />
Himmelsrichtungen nicht korrekt, ebenso<br />
wie das Verhältnis Länge zu Breite des Dorfes.<br />
Häuser und Bäume sind eher naturgetreu<br />
eingezeichnet; es waren noch keine<br />
entsprechenden Signaturen entwickelt.<br />
Nachdem für das 14. Jh. einige Urkundentexte<br />
beigebracht werden konnten<br />
und daraus Schlussfolgerungen zur Entstehung<br />
der Siedlung Teufelsmoor abgeleitet<br />
wurden, finden sich zunächst einmal keine<br />
weiteren auf den Ort bezogenen schriftlichen<br />
Überlieferungen. Erst 1518 wird<br />
berichtet, dass die Heckers-Wiese auf dem<br />
Teufelsmoor verkauft worden ist. 6 ) 1616<br />
und 1641 taucht Teufelsmoor in Bezug auf<br />
Jagdrechte in den Urkunden noch einmal<br />
auf. 7 ) Sehr wahrscheinlich beziehen sich<br />
auch die Urkunden von 1398 (wysch uppe<br />
dem Klenen Becke), 2x 1472 (unse hele stuecke,belegen<br />
by der Westerbekinge Wische,<br />
an der Hamme up went in den moer); (unser<br />
Westerbekinge Damm, …strecket sick van<br />
der Hamme went in den moer) und 2x 1473<br />
(unse heele stuecke by der Westerbeckinge<br />
Wysche belegen, und den Westerbeckinge<br />
Damm); (unse wisch, gelegen uppe dem<br />
Becke) 8 ) auf den Ort.<br />
Erste Auflistung<br />
sämtlicher Bauleute<br />
Für das Jahr 1536 hat Müller-Brauel aus<br />
einem damaligen Steuerregister die Stelleninhaber<br />
des Dorfes aufgelistet. Dort<br />
heißt es:<br />
Up dem More<br />
Hermen Badeker<br />
B<br />
Hynrich Wellebrokes<br />
B<br />
Geuerdt Segelken<br />
B<br />
Johan Tynken<br />
B<br />
Marten Willebrokes<br />
B<br />
21
Johan Beneken<br />
B<br />
Johan Frudynges<br />
B<br />
Dyrich Schmunsze (?)<br />
B<br />
Hynrich Lammeken<br />
B<br />
Johan Lammeken<br />
B<br />
Marten Wessels<br />
B<br />
Clawes Gerken<br />
B<br />
Abelke Mertens<br />
(ist durchstrichen und Dyrich Vyncken darüber<br />
notiert, die Ab. Mertens hat also D. V.<br />
geheiratet)<br />
Lutke up dem More<br />
B<br />
Marten Dule<br />
B<br />
Dyrich van Osen thor Wulseborch<br />
(ist von anderer Scheiberhand nachnotiert,<br />
dann aber durchstrichen)<br />
Hynrich Wessels<br />
B<br />
Dyrich Otten<br />
B<br />
Albert up der Semmeken B 9 )<br />
B = Bur (ein voller Bauer)<br />
Lässt man den Besitzer der Wulfsburg<br />
außer Acht, so zählen wir für das Dorf Teufelsmoor<br />
18 Vollbauern-Stellen; dies ist in<br />
dieser Form schon eine Besonderheit, dass<br />
ein Dorf eine derartig einheitliche Struktur<br />
(ohne halbe Stellen, Kötner o. ä.) aufweist.<br />
Eine Zuordnung der Namen zu den einzelnen<br />
Hofstellen ist aus der Auflistung heraus<br />
kaum möglich. Beim Vergleich mit der<br />
Tabelle in der Karte zeigt sich, dass nur<br />
wenige Namen wieder auftauchen, z. B.<br />
Gerken, etliche aber verschwunden und<br />
durch neue ersetzt worden sind.<br />
Lagebeschreibungen<br />
anlässlich Inspektionsreise<br />
Gerichtseinteilung des Erzstifts Bremen im Spätmittelalter<br />
Das gilt auch bereits für die nächste Auflistung,<br />
die nur knapp 50 Jahre später<br />
erfolgt ist. Fitschen zitiert hierbei aus<br />
einem Bericht des Jahres 1581, der anlässlich<br />
einer Besichtigung des Dorfes erstellt<br />
worden ist, um „der Meyer auf dem Teufels-Mohr<br />
Gerechtigkeiten“ festzustellen.<br />
10<br />
) Hier wird jedoch die Lage der Besitzstücke<br />
angegeben, beginnend mit Gevert<br />
Wellbrocks Land, auf dem Brinke, über die<br />
Brücke, sodass in dieser Aufstellung eine<br />
Reihenfolge – von W nach NO – gegeben<br />
ist. Als Lageangabe taucht häufig auf anne<br />
denn Beek, sowohl für Landstücke wie auch<br />
für Wohnstätten. V. a. bei den Höfen, aber<br />
auch bei den Landstreifen kann damit<br />
nicht der Fluss gemeint sein, sondern ein<br />
Damm, der ab der Beek-Brücke die Siedlung<br />
durchzieht (der später als Querdamm<br />
bezeichnet wird).<br />
Bei den in den Urkunden dokumentierten<br />
Verkäufen klangen die Lagebezeichnungen<br />
ganz ähnlich. Diese Namens-Ähnlichkeit<br />
mag dafür sprechen, die o. g.<br />
Urkunden von 1398, 1472 und 1473 in<br />
der Siedlung Teufelsmoor zu verorten.<br />
Genannt werden auch Wüste Länder,<br />
wohl die Stellen <strong>Nr</strong>. 3, 4, 6 und 7, die aber<br />
im Besitz von Bauern aus dem Ort sind. Insgesamt<br />
umfasst die Liste 13 Punkte. Zu<br />
einigen Punkten finden sich mehrere<br />
Namen, andererseits tauchen Namen doppelt<br />
auf. Die Gesamtzahl der Stellen<br />
(einschließlich der wüst gefallenen)<br />
beträgt demnach 27, die Zahl der Hofbesitzer<br />
20. 11 )<br />
Auffällig bei der Lagebeschreibung ist<br />
auch, dass bei etlichen Besitzern gesagt<br />
wird, dass ihre Ländereien sich über die<br />
Hamme hinweg erstrecken, unter <strong>Nr</strong>. 7<br />
und 8 steht z. B. „bis an die Meven See<br />
oder Middels-Mohr“, unter <strong>Nr</strong>. 9 und 10<br />
„biß an den Abel-Hüttenberg“.<br />
Karte älter als<br />
angenommen<br />
Ausführliche Informationen speziell über<br />
das 17. Jh. enthält eine Acta betreffend<br />
gesammelte Nachrichten über das Teufelsmohr<br />
12 ) Dort findet man weitere Höfelisten<br />
(von 1619, 1626, 1642, 1663, 1668 und<br />
1679). Sieht man sich die Namen in diesen<br />
Listen an, so stellt man fest, dass die Liste<br />
von 1642 mit der Tabelle in der Karte übereinstimmt.<br />
Das heißt also, dass die Karte<br />
den Stand von 1642 wiedergibt und nicht<br />
den von 1668; für 1668 finden sich ganz<br />
andere Hofbesitzer. 13 ) Die Karte ist demnach<br />
26 Jahre älter als bisher angenommen!<br />
Über die Anlässe zur Verfertigung dieser<br />
Karte gibt Fitschen ausführlich Auskunft. 14 )<br />
Es ging – kurz gesagt – um unerlaubtes<br />
Torfgraben im wilden Moor. Um hier für<br />
die Zukunft geregelte Zustände zu bekommen,<br />
sollte eine Teilung vorgenommen<br />
werden entsprechend den gegenwärtigen<br />
Besitzgrößen. Dazu benötigte man einen<br />
Ingenieur, der die Vermessung des Moores<br />
vornehmen und einen Abriss, also eine<br />
Karte, herstellen könnte. Dieser wurde mit<br />
Johannes von Folterbach gefunden, der<br />
damit ganz offensichtlich Urheber unserer<br />
Karte ist.<br />
Vogt Hoppe soll schlichten<br />
Entscheidend mitgewirkt hat bei den<br />
Bestrebungen zur Konfliktbereinigung der<br />
verzeichnete Vogt Johan Hoppe (auf <strong>Nr</strong>.<br />
XII). Über ihn und seine Arbeit informiert<br />
uns Fitschen in seinem Aufsatz ausführlich.<br />
Johan Hoppe war als Vogt in einer herausgehobenen<br />
Stellung. Berufen wurde er<br />
durch die Bremer Ratsherren und Drosten<br />
zu Blumenthal Wilhelm von Bentheimb<br />
und Gottfried Wencke, um im Auftrag der<br />
Stadt Bremen für Ordnung unter den Ratsmeiern<br />
zu sorgen. Er war also nur zuständig<br />
für die Bauern, die der Stadt Bremen<br />
zugehörten. Bremen war an diesen Besitz<br />
gekommen, nachdem die Stadt 1436 die<br />
Burg Blumenthal (ursprünglich im Besitz<br />
derer von Aumund) erobert hatte. 15 ) So<br />
war durch Schiedsspruch des Erzbischofs<br />
Balduin II. der Besitz einschließlich der Teufelsmoorer<br />
Meier an die Stadt Bremen<br />
gelangt, die ab 1608 ihre Einkünfte durch<br />
einen Vogt einziehen ließ. 16 )<br />
Johan Hoppe war in Teufelsmoor ansässig,<br />
bereits vordem für das Dorf tätig und<br />
hatte somit eine Vertrauensstellung erworben.<br />
Er wurde am 3. September 1624 mit<br />
seinen Aufgaben betraut 17 ), die er mit<br />
großer Sorgfalt wahrgenommen hat. So<br />
wurde er 1638 zusätzlich noch zum Vogt<br />
und Verwalter des Hauses Blumenthal<br />
ernannt. Dies blieb er bis 1652, seinem<br />
Todesjahr (?).<br />
Umfangreiche Berichte liefert er über<br />
diverse Streitfälle im Dorf. Hier kam es des<br />
Öfteren zu Zwischenfällen, deren Regelung<br />
nicht immer einfach war, weil die Gerichtsbarkeit<br />
den Gutsherren unterstand und<br />
durch die Verhältnisse im Ort verschiedenen<br />
Gerichtsherren unterstand. 18 )<br />
Es handelt sich bei den vorliegenden<br />
Berichten aber stets nur um zivile Angelegenheiten;<br />
von militärischen finden sich<br />
keine Nachrichten, der Dreißigjährige Krieg<br />
scheint also weit weg gewesen zu sein.<br />
Von den Leistungen Hoppes seien hier<br />
nur erwähnt der Neubau der Brücke über<br />
die Beek sowie der Bau eines Dammes von<br />
1/2 Meile Länge durch das ganze Moor.<br />
Gemeint sein muss hierbei der Querdamm,<br />
der bereits vorhanden war, aber<br />
neu aufgeschüttet oder erhöht werden<br />
musste, möglicherweise eine Folge der<br />
verheerenden Sturmflut vom Oktober<br />
1634, die als (zweite) Grote Mandränke<br />
Küstenbereiche zerstört und viele tausend<br />
Tote gefordert hat. Bei diesem Umfang ist<br />
anzunehmen, dass sie auch bis Teufelsmoor<br />
vorgedrungen ist.<br />
Vermutlich auch ein Werk unter Hoppes<br />
Leitung ist die Schule, von der es nur heißt:<br />
„Am 9. September 1642 versammelten<br />
sich die Abgesandten bei der neuerbauten<br />
Schule, die Johann Hoppes Haus gegenüber<br />
lag.“ 19 ) Wir finden sie ziemlich mittig<br />
im Dorf, jedoch auf der nördlichen Seite<br />
des Dammes, der auf der Seite von einer<br />
Baumreihe gesäumt zu sein scheint. Eine<br />
Dorfschule in der Zeit stellt sicher eine<br />
Besonderheit dar, denn von einer allgemeinen<br />
Schulpflicht konnte damals längst<br />
noch nicht die Rede sein.<br />
Dorferweiterung durch<br />
Häuslingsstellen<br />
Auf einigen Parzellen, fünf westlich und<br />
sechs östlich der Schule, sind kleinere<br />
Gebäude verzeichnet; das müssen die<br />
ersten Häuslingsstellen sein, die von den<br />
22 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Bauleuten des Dorfes angesiedelt worden<br />
sind, um Hilfskräfte für die Erschließung<br />
der zur Beek hin gelegenen Hochmoorgebiete<br />
und den dort betriebenen Torfstich<br />
zu haben. Die Namen dieser untergeordneten<br />
Siedler sind nicht angegeben, es<br />
mögen nicht erbberechtigte Kinder oder<br />
auch Zuzügler dort ihren Platz gefunden<br />
haben. 20 )<br />
Dass dieses Moor nicht mehr unberührt<br />
war, zeigen die Grenzlinien sowie die<br />
Zuordnung zu den alteingesessenen Besitzern.<br />
Damit erschließt sich denn auch der<br />
Grund für die Anfertigung der Karte. Fitschen<br />
berichtet von jahrzehntelangen Streitereien<br />
über Hutungs- und Torfstichrechte,<br />
wobei die Zugehörigkeit der Meier zu den<br />
verschiedenen Grundherren die Sache<br />
nicht gerade einfacher machte. 21 ) Nur<br />
durch eine genaue Vermessung und evtl.<br />
Teilung des strittigen Moorgebietes glaubte<br />
man, den Übelstand beseitigen zu können.<br />
So erhielt J. v. Folterbach den Auftrag, und<br />
dadurch sind wir im Besitz dieses einzigartigen<br />
historischen Karten-Dokuments.<br />
Wilhelm Berger<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
) Reelf Menkhoff, Chronik von Osterholz-<br />
Scharmbeck, Band I; Osterholz-Scharmbeck<br />
2004; hier S. 48<br />
2<br />
) Karl Lilienthal, Jürgen Christian Findorffs<br />
Erbe; Lilienthal 1982 (Nachdruck der Erstausgabe<br />
von 1931); hier S. 69<br />
3<br />
) ebd., S. 67<br />
4<br />
) Hermann Fitschen, Das Dorf Teufelsmoor<br />
im 16. und 17. Jahrhundert; in: <strong>Heimat</strong>bote<br />
<strong>Nr</strong>. 23 – 26/1926; hier <strong>Nr</strong>. 25, S. 98<br />
5<br />
) ebd., S. 97, 98<br />
6<br />
) Hans-Heinrich Jarck, Urkundenbuch des<br />
Klosters Osterholz; Hildesheim 1982, S.<br />
315<br />
7<br />
) ebd., S. 415 und 455<br />
8<br />
) ebd., S. 207; die Anmerkung Hodenbergs<br />
beschreibt die örtlichen Gegebenheiten<br />
jedoch falsch; S. 269, 270, 271<br />
9<br />
) Hans Müller-Brauel, Das älteste Einwohnerverzeichnis<br />
des Kreises Osterholz; in:<br />
<strong>Heimat</strong>bote <strong>Nr</strong>. 19/1926, S. 75/76<br />
10<br />
) H. Fitschen, a. a. O., S. 90. Die Namensliste<br />
findet sich auch in verkürzter Form<br />
bei Menkhoff, a. a. O., S. 31<br />
11<br />
) Menkhoff nennt hier die Zahl 19; im Text<br />
bei Fitschen finden sich unter Punkt 13<br />
aber sechs Namen (Albert Semken,<br />
Johann Kück, Dirch Finke, Henrich Segelken,<br />
Johann Monsees und Johann Monsees).<br />
Dass es offenbar 2 Bauleute<br />
namens Johann Monsees gab, wird im folgenden<br />
bekräftigt, wenn es heißt: „alle 6<br />
nacheinander folgend“.<br />
12<br />
) Staatsarchiv Stade Rep 5a Fach 443 <strong>Nr</strong>.<br />
35<br />
13<br />
) Das bedeutet, dass die Auflistung bei<br />
Menkhoff, a. a. O., S. 47 ebenfalls falsch<br />
datiert ist, richtig wäre auch hier 1642<br />
14<br />
) H. Fitschen, a. a. O.; S. 97/98<br />
15<br />
) Hans-Eckhard Dannenberg und Heinz-<br />
Joachim Schulze (Hrsg.), Geschichte des<br />
Landes zwischen Elbe und Weser Band II;<br />
Stade 1995, S. 214<br />
16<br />
) H. Fitschen, a. a. O., S. 93; Arthur von<br />
Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze<br />
im Herzogtum Bremen; Stade 1938, S. 175<br />
17<br />
) H. Fitschen, a. a. O., S. 94<br />
18<br />
) Kartenausschnitt aus: Hans G. Trüper, Ritter<br />
und Knappen zwischen Weser und<br />
Elbe; Stade 2000, S. 459. Von den Ziffern<br />
seien erläutert die Dammgerichte (mit ?)<br />
<strong>Nr</strong>. 2 = Ritterhude, 3 = Schönebeck und 4<br />
= Sandbeck; das Bördegericht <strong>Nr</strong> 34 =<br />
Scharmbeck sowie die Vogtei Ottersberg,<br />
deren Grenze zu Scharmbeck die Hamme<br />
markiert.<br />
19<br />
) H. Fitschen, a. a. O., S. 97<br />
20<br />
) Fliedner (Dietrich Fliedner, Die Kulturlandschaft<br />
der Hamme-Wümme-Niederung;<br />
Göttingen 1970) gibt an (auf S. 145),<br />
dass bereits im Jahr 1586 in Teufelsmoor<br />
15 Häuslingskaten existiert haben.<br />
21<br />
) H. Fitschen, a. a. O., S. 97<br />
Lesenswertes<br />
Johann Hieronymus Schroeters<br />
ungewöhnliche Erfolgs- und<br />
Familiengeschichte<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
Die Bedeutung des Lilienthaler Astronomen<br />
und seine nicht alltägliche Familiensaga<br />
werden in einem neuen Buch dokumentiert<br />
und beleuchtet.<br />
Ein Wunder? So könnte es schon<br />
genannt werden. Denn auch die eifrigsten<br />
Schroeter-Forscher rechneten nicht mehr<br />
damit, Neues über den Lilienthaler Oberamtmann<br />
und seine Nachkommen zu<br />
erfahren.<br />
Doch vor zwei Jahren meldeten sich<br />
direkte Nachfahren (Dr. Heide Bittner aus<br />
Deutschland und bald danach aus Amerika<br />
Carol Page und Herbert F. Schroeter), und<br />
der Schleier der Ungewissheit konnte<br />
gelüftet werden.<br />
Zwischenzeitlich ist viel geschehen: Verwandte<br />
des wohl berühmtesten Bürgers<br />
Lilienthals wandelten auf den Spuren ihres<br />
Vorfahren und tauschten mit Mitgliedern<br />
des <strong>Heimat</strong>vereins Dokumente, Bilder,<br />
Urkunden und eine Menge Geschichtsmaterial<br />
aus.<br />
All` diese neuen Erkenntnisse wurden<br />
jetzt in einem spannenden Buch zusammengefasst,<br />
welches Einblick in die ungewöhnliche<br />
Familiengeschichte des<br />
bekannten Astronomen und Amtmanns<br />
Schroeter gibt. Wie bekannt, wurde sein<br />
leiblicher Sohn, Johann Friedrich Schroeter,<br />
von der armen Bauerntocher Ahlke<br />
Lankenau in St. Jürgen geboren, die er,<br />
wahrscheinlich wegen des Standesunterschiedes,<br />
nie heiratete.<br />
Ein Novum: Zum ersten Mal befassen<br />
sich auch Nachfahren in interessanten<br />
Beiträgen aus ihrer persönlichen Sicht mit<br />
Johann Hieronymus Schroeters Leben und<br />
seinem Ansehen als Astronom.<br />
Die Autoren des Buches, Peter Richter<br />
und Harald Kühn, möchten die Bedeutung<br />
Schroeters als einen der größten Astronomen<br />
seiner Zeit herausstellen, der sowohl<br />
in der astronomischen Fachwelt als auch in<br />
der Weltliteratur Anerkennung fand. Doch<br />
auch die außerordentlich faszinierende<br />
Familiengeschichte wird, gemeinsam mit<br />
den Nachfahren Dr. Heide Bittner, Carol<br />
Page und Herbert F. Schroeter, lebendig<br />
und eindrucksvoll dokumentiert.<br />
Dieses heimatgeschichtliche Buch hat<br />
bewusst nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen<br />
Abhandlung, sondern wurde<br />
mit vielen neuen Erkenntnissen und Beiträgen<br />
sowie mit erstmals veröffentlichten Bildern<br />
und Dokumenten als spannende,<br />
abwechslungsreiche Lektüre konzipiert.<br />
Die Vorstellung des Buches erfolgt am<br />
Sonnabend, 2. November <strong>2013</strong>, um 16.00<br />
Uhr, im Schroeter-Saal von Murkens Hof in<br />
Lilienthal. Gäste sind herzlich willkommen.<br />
Harald Kühn<br />
Vorne v.l.: Jean Sigler, Sophia und George Schroeter,<br />
Chuck Sigler, Herb Schroeter jr.<br />
Hinten v.l.: Margie (Schroeter) Sigler, Charlie Sigler,<br />
Herb Schroeter sr.<br />
23
„Sehnsuchtsvoll nach dem vollen ganzen Leben“<br />
Die Bremer Malerin Elisabeth Noltenius (1888–1964)<br />
Das bewegte Leben der Bremer Malerin<br />
Elisabeth Noltenius (1888-1964) ist ein faszinierendes<br />
Stück Bremer Zeitgeschichte.<br />
Im „3-Kaiser-Jahr“ wurde sie als Tochter<br />
eines Rechtsanwalts geboren und wuchs<br />
mit drei Geschwistern in großbürgerlicher<br />
Atmosphäre auf. Ihr Talent zeigte sich früh,<br />
Elisabeth Noltenius<br />
doch die Kunstakademien in Deutschland<br />
gewährten Frauen keinen Zutritt, und so<br />
ließ sich Elisabeth Noltenius zur Zeichenlehrerin<br />
ausbilden – ein Beruf, der Frauen<br />
eher zugestanden wurde. Sie wusste wohl<br />
Unterricht bei<br />
Hans am Ende und<br />
Clara Rilke-Westhoff<br />
von Anfang an, dass ihr das nicht genügte,<br />
nahm Unterricht im Radieren bei Hans am<br />
Ende und lernte Bildhauern bei Clara Rilke-<br />
Westhoff. 1911 zog sie nach München, um<br />
an der dortigen „Damenakademie“ Kunst<br />
zu studieren. In einer Zeit, in der Universitäten<br />
und Akademien Frauen kategorisch<br />
vom Studium ausschlossen, war eine<br />
Damenakademie die einzige Möglichkeit<br />
für Frauen, sich systematisch auf den Beruf<br />
der bildenden Künstlerin vorzubereiten.<br />
Doch nur die wenigsten Absolventinnen<br />
übten ihn anschließend auch wirklich aus:<br />
Noch immer galt eine Ausbildung für bürgerliche<br />
Frauen vor allem als Zeitvertreib,<br />
um die Jahre bis zur Heirat sinnvoll zu überbrücken.<br />
Elisabeth Noltenius hatte andere<br />
Pläne: Sie genoss das Studium, die Anregungen<br />
der Großstadt und die Freiheiten<br />
eines selbstständigen Lebens fern von<br />
zuhause.<br />
Der Erste Weltkrieg, den sie in München<br />
erlebte, brachte ihr tragische Verluste:<br />
Beide Brüder fielen im Krieg, ihre Schwester<br />
starb, als sie im Lazarett Soldaten<br />
pflegte. 1919 wurde ihr Verlobter in der<br />
Münchner Räterepublik als Geisel erschossen,<br />
zeitgleich starb ihr Vater. Elisabeth<br />
Noltenius kehrte nach Bremen zurück und<br />
musste von nun an allein für sich und ihre<br />
Mutter sorgen, indem sie mit ihrer Kunst<br />
Geld verdiente.<br />
Lebensunterhalt mit<br />
Kunst verdient<br />
Mit beeindruckendem Lebensmut und<br />
unbedingtem Willen zur Kunst behauptete<br />
sich die junge Malerin trotz der Schicksalsschläge:<br />
Sie richtete sich in Bremen am<br />
Osterdeich ein eigenes Atelier ein und<br />
begann, sich mit Auftragsarbeiten als Porträtistin<br />
ihr Geld zu verdienen. Zwei Jahre<br />
später entdeckte sie bei Radfahrten in der<br />
Bremer Umgebung den kleinen Ort Meyenburg<br />
in der Nähe von Schwanewede für<br />
sich – hier fand sie die Ruhe und Nähe zur<br />
Natur, die sie zum Malen brauchte, und<br />
mietete sich ein Atelier. In den folgenden<br />
Jahren schuf sie unzählige Bilder: Landschaftsgemälde,<br />
deren Motive sie in und<br />
um Meyenburg fand, aber auch Stillleben<br />
und Porträts. Ihre Werke zeugen von ihrer<br />
intensiven Auseinandersetzung mit zeitgenössischen<br />
Kunstströmungen, aber<br />
auch von ihrer Liebe zur norddeutschen<br />
Landschaft.<br />
Die Sehnsucht nach dem Leben lockte<br />
sie aber auch in die Ferne: In den 1920er<br />
Spanische Landschaft<br />
Elisabeth Noltenius: Selbstporträt<br />
und 1930er Jahren reiste sie nach Italien<br />
und Spanien, nach Ungarn und Norwegen.<br />
Meist reiste sie allein, was in dieser<br />
Zeit alles andere als selbstverständlich für<br />
Frauen war. Sie vertiefte sich in die Kunstschätze<br />
vor Ort, verbrachte Stunden in<br />
Museen und Kirchen, schaute, zeichnete<br />
und führte ein Tagebuch, in dem sie ihre<br />
oft leidenschaftlichen, oft aber auch kritischen<br />
Beobachtungen festhielt. Sie nahm<br />
Unterricht bei Willi Jäckel in Berlin und studierte<br />
einige Zeit in Paris, um sich künstlerisch<br />
weiterzuentwickeln. Um als unverheiratete<br />
Frau ihr Auskommen zu sichern,<br />
musste sie auch Zeichenunterricht und<br />
Kunstgeschichtskurse geben und vor allem<br />
Porträtaufträge annehmen.<br />
Vielbeschäftigte Porträtistin<br />
Dass sie zur gefragten Porträtistin<br />
wurde, war Fluch und Segen zugleich:<br />
Zwar bescherten ihr die Aufträge, die sie<br />
durch ganz Deutschland und bis in die<br />
Schweiz führten, ein mehr oder weniger<br />
regelmäßiges Einkommen, aber oft genug<br />
waren künstlerische Zugeständnisse an die<br />
Auftraggeber erforderlich, und die Porträtmalerei<br />
kostete viel Zeit und Kraft, die ihr<br />
für die eigene künstlerische Arbeit fehlte.<br />
Nach 1933 setzte sich Elisabeth Noltenius<br />
wiederholt für ihre Freundin und<br />
Kollegin, die jüdische Malerin Dora Bromberger<br />
ein. Sie organisierte mehrfach Ausstellungen<br />
in ihrem Atelier mit den Bildern<br />
der Freundin und intervenierte – vergeblich<br />
– bei der Gestapo, als Dora Bromberger<br />
mit ihrer Schwester in ein Lager<br />
abtransportiert werden sollte. Im November<br />
1939 schrieb sie in ihr Tagebuch über<br />
24 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
die Ausgangssperre und die vielen anderen<br />
Gesetze gegen jüdische Mitbürger:<br />
„Nichts als Schikane, – es ist eine Schande<br />
für uns!“ Den Zweiten Weltkrieg erlebte sie<br />
in Bremen, dokumentierte die knapper<br />
werdenden Lebensmittel, die Bombennächte,<br />
den Tod der Mutter und die<br />
täglichen Sorgen in ihrem Tagebuch.<br />
Großteil der Bilder<br />
vernichtet<br />
Als ihr Atelier in der Buchtstraße 1944<br />
bei einem Bombenangriff völlig zerstört<br />
wurde, wurde auch ein großer Teil ihrer<br />
Bilder vernichtet. „Nach Verlust der Buchtstr.<br />
16 am 6. Okt. bin ich ohne jede<br />
Arbeitsmöglichkeit. Die Aufträge […] müssen<br />
abgesagt werden, da weder Pinsel,<br />
noch Farben, noch Stifte vorhanden“,<br />
notierte sie nüchtern in ihrem Tagebuch.<br />
Doch sie ließ sich nicht entmutigen: Nach<br />
dem Krieg erfüllte sie sich einen lang<br />
gehegten Traum und baute sich 1949 in<br />
Meyenburg ihr eigenes Atelier. Mühsam<br />
mussten die einzelnen Baustoffe herangeschafft<br />
– und zuvor erst einmal durch Porträtaufträge<br />
verdient! – werden, aber<br />
umso mehr genoss sie die folgenden Jahre<br />
in der dörflichen Abgeschiedenheit. Bis zu<br />
ihrem Tod 1964 entstanden hier zahlreiche<br />
Bilder von arbeitenden Bauern auf den Feldern,<br />
Landschaftsstudien, aber auch ihr<br />
letztes großes Selbstporträt.<br />
Obwohl sie schon zu Lebzeiten vielfach<br />
ausgestellt und sich als Malerin einen<br />
Namen gemacht hatte, geriet Elisabeth<br />
Noltenius nach ihrem Tod in Vergessenheit<br />
– wie so viele Künstlerinnen ihrer Generation.<br />
Anlässlich ihres 125. Todestages ist es<br />
nun Zeit für eine Wiederentdeckung: Die<br />
Retrospektive „Sehnsuchtsvoll nach dem<br />
vollen ganzen Leben!“ im Overbeck-<br />
Museum in Bremen vom 20. Oktober<br />
<strong>2013</strong> bis zum 12. Januar 2014 soll dazu<br />
beitragen. Begleitend erscheint ein reich<br />
bebilderter Katalog zur Ausstellung, in<br />
dem ihr Leben und Werk ausführlich vorgestellt<br />
und erstmals auch Auszüge aus<br />
ihren Tagebüchern publiziert werden.<br />
Dr. Katja Pourshirazi<br />
Kerteminde<br />
„Lieblingsort“ für den Maler, Zeichner und Grafiker Paul Ernst Wilke (1894–1971)<br />
Die Große Kunstschau Worpswede<br />
zeigte in der Zeit vom 16. Juni bis zum 15.<br />
September <strong>2013</strong> die Ausstellung „Begegnungen<br />
– Malerinnen aus der Künstlerkolonie<br />
Kerteminde und Worpswede“. Die<br />
Präsentation ist im Rahmen der Sommerausstellung<br />
„Malerinnen im Aufbruch“ in<br />
den Museen des Worpsweder Museumsverbundes<br />
durchgeführt worden.<br />
An dieser Stelle wollen wir unseren Blick<br />
auf die dänische Kleinstadt Kerteminde<br />
richten. Sie liegt auf der Ostseeinsel Fünen<br />
am Großen Belt. Hier gründete die<br />
Malergruppe der „fünischen Schule“ in<br />
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
eine Künstlerkolonie. Zu den „fünischen<br />
Malern“ zählten unter anderem Johannes<br />
Larsen, Peter Hansen, Fritz Syberg und die<br />
Ehefrauen Anna Syberg sowie Alhed Larsen.<br />
Die Kunstströmung dieser Gruppe<br />
war im Wesentlichen vom Impressionismus<br />
geprägt. Sie übte einen nachhaltigen<br />
Einfluss auf die dänische Malerei des<br />
20. Jahrhunderts aus.<br />
Kerteminde war für den Worpsweder<br />
Maler, Zeichner und Grafiker Paul Ernst<br />
Wilke ein „Lieblingsort“. Der Künstler, der<br />
1939 nach Worpswede übergesiedelt war,<br />
hatte Kerteminde 1955 für sich als einen<br />
malerischen Ort entdeckt. Dort verbrachte<br />
er bis 1963 zusammen mit seiner Familie<br />
und mit Freunden aus Worpswede wiederholt<br />
eine kreative Urlaubszeit.<br />
Ostsee-Landschaft<br />
eindrucksvoll festgehalten<br />
Die Landschaft an der Ostsee mit den<br />
historischen Fischerhäusern von Kerteminde<br />
hat der Künstler in vielen Zeichnungen<br />
und Gemälden eindrucksvoll festgehalten.<br />
In seinem künstlerischen Schaffen ließ<br />
Paul Ernst Wilke seine große Verehrung für<br />
den deutschen und für den französischen<br />
Impressionismus zeitlebens erkennen. Wie<br />
die Maler des Impressionismus war er in<br />
seiner Kunst ein „ausgesprochener Augenmensch“,<br />
der die Stimmungen und die<br />
Schönheiten der Natur vor allem als Freilichtmaler<br />
zeichnete und malte. Mit seinem<br />
sensiblen Farbempfinden konnte er<br />
stets aufs Neue aus der interessanten Landschaft<br />
an der Wasserkante schöpferische<br />
Impulse empfangen. Und es ist verständlich,<br />
dass der Künstler Paul Ernst Wilke die<br />
maritime Atmosphäre von Kerteminde als<br />
einen besonderen „Lieblingsort“ erlebte.<br />
Dr. Helmut Stelljes<br />
Literatur:<br />
Stelljes, Helmut: „Auf Motivsuche von der<br />
Nordsee bis zum Mittelmeer. Der Maler und<br />
Zeichner Paul Ernst Wilke 1894 – 1971, Bremerhaven/Worpswede“.<br />
Worpswede, 1986.<br />
Schwabe, Nora/ Weber, Heinz (Freundeskreis<br />
Paul Ernst Wilke): „Paul Ernst Wilke 1894 –<br />
1971, Maler und Zeichner, Bremerhaven,<br />
Worpswede – und halb Europa. Verlag H.M.<br />
Hauschild, Bremen 1997.<br />
Paul Ernst Wilke an seiner Staffelei in Kerteminde<br />
1955 Foto: Privatarchiv<br />
„Schuppen für Fischernetze in Kerteminde“<br />
Gemälde: Privatarchiv<br />
Sillestrand in Kerteminde<br />
Foto: Privatarchiv<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
25
„Nicht Worte, sondern Taten“<br />
Arbeitseinsätze und Lager des Service Civil International bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />
im Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
Schwanewede-Neuenkirchen. Vor<br />
65 Jahren, im Sommer 1948, fand im<br />
damaligen Evangelischen Hospital in<br />
„Neuenkirchen bei Farge“ ein internationales<br />
Arbeitslager statt, das vom internationalen<br />
Hilfs- und Freiwilligendienst Service<br />
Civil International (SCI) bzw. vom<br />
Internationalen Zivildienst (IZD), dem<br />
damals so benannten deutschen Zweig<br />
des SCI, durchgeführt wurde. Es war das<br />
erste Lager des IZD in dem nahe von Bremen-Farge<br />
gelegenen Hospital, das 1947<br />
aus einem Marinehospital hervorgegangen<br />
und in einem ehemaligen Barackenlager<br />
aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />
eingerichtet worden war. Das Hospital lag<br />
auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen<br />
Gemeinde Neuenkirchen, die<br />
heute eine Ortschaft von Schwanewede<br />
ist. Träger des Evangelischen Hospitals<br />
Neuenkirchen, zu dem unter anderen ein<br />
Krankenhaus und ein Altersheim gehörten,<br />
war die Innere Mission der evangelischen<br />
Kirche.<br />
In den 1950er Jahren und Anfang der<br />
1960er folgten dann noch zahlreiche weitere<br />
Arbeitseinsätze und Lager des IZD in<br />
Neuenkirchen, die mit dem Anfang 1963<br />
erfolgten Umzug des Hospitals nach Lilienthal<br />
endeten. Neben dem IZD waren im<br />
Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
auch andere internationale Hilfs- und Freiwilligenorganisationen<br />
tätig.<br />
Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
kam nun erstmals eine Gruppe von<br />
Freiwilligen des SCI bzw. IZD aus aller Welt<br />
nach Neuenkirchen, um im Evangelischen<br />
Hospital Aufbau- und Versöhnungsarbeit<br />
nach all dem Grauen<br />
des Krieges zu leisten.<br />
„Nicht Worte, sondern<br />
Taten“ lautete der<br />
damalige Wahlspruch<br />
des Service Civil International<br />
wie auch des<br />
Logo des IZD (von Internationalen Zivildienstes.<br />
Das „Nicht<br />
1946 bis 1957)<br />
Worte“ war keineswegs<br />
abschließend gemeint, der internationale<br />
Freiwilligendienst wollte vor allem durch<br />
seine „Taten“ in Form von harter Arbeit<br />
überzeugen. Nach eigener Aussage des<br />
SCI schloss dies jedoch keineswegs aus, „in<br />
den Abendstunden und an den Wochenenden<br />
die Probleme der Welt gemeinsam<br />
zu diskutieren und sich Vorträge<br />
anzuhören etc.“<br />
An dem ersten Lager des IZD in Neuenkirchen<br />
im Juli und August 1948 nahmen<br />
insgesamt vierzig Freiwillige aus fünf Ländern<br />
teil, die getreu dem Leitbild der heute<br />
noch bestehenden Organisation einen<br />
Service Civil International<br />
Der Service Civil International<br />
(SCI) ist eine gemeinnützige internationale<br />
und nichtstaatliche Organisation,<br />
die sich laut ihren Statuten durch<br />
Freiwilligenarbeit für Frieden, gewaltfreie<br />
Konfliktlösung, soziale Gerechtigkeit,<br />
nachhaltige Entwicklung und<br />
interkulturellen Austausch einsetzt. Der<br />
SCI organisiert Hilfs- und Friedensdienste<br />
auf freiwilliger Basis und bietet insbesondere<br />
internationale Workcamps<br />
und längerfristige Freiwilligendienste<br />
an. Die Vereinigung wurde 1920 vom<br />
Schweizer Ingenieur Pierre Ceresole<br />
gegründet und ist eine der ältesten Friedens-<br />
und Freiwilligenorganisationen.<br />
Aktuelles Logo des SCI, mit Schriftzug<br />
Die Organisation hat Beraterstatus<br />
beim Europarat und ist Mitglied bei verschiedenen<br />
Dachorganisationen. 1987<br />
wurde dem SCI durch die Vereinten<br />
Nationen die Auszeichnung Messenger<br />
of Peace verliehen. Der SCI hat Zweige<br />
in weltweit über 35 Ländern. Das internationale<br />
Sekretariat des SCI befindet<br />
sich inzwischen in Antwerpen in Belgien.<br />
Der deutsche Zweig wurde nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg als Internationaler<br />
Freiwilliger Dienst für den Frieden<br />
(IFDF) wiedergegründet. Die Anfänge<br />
reichen zurück bis zum Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts, auf deutscher Seite<br />
waren dabei Mitglieder der Jugendbewegung<br />
beteiligt.<br />
1947 wurde der Name des deutschen<br />
Zweigs entsprechend dem internationalen<br />
Gebrauch in Internationaler<br />
Zivildienst (IZD) geändert. 1968 bzw.<br />
offiziell 1974 erfolgte eine weitere<br />
Namensänderung, seitdem wird der<br />
Name Service Civil International –<br />
Deutscher Zweig verwendet.<br />
Aktuelles Logo des SCI – Deutscher Zweig, mit<br />
Initialen<br />
Der SCI – Deutscher Zweig e. V. hat<br />
heute seinen Sitz in Bonn, wo sich auch<br />
dessen Geschäftsstelle befindet.<br />
Text : Baracke Wilhelmine<br />
Quellen: Websites des SCI und SCI –<br />
Deutscher Zweig<br />
wahrlich umfangreichen und körperlich<br />
anstrengenden Arbeitseinsatz erbrachten.<br />
So waren sie während des achtwöchigen<br />
Lagers vor allem bei der Instandsetzung<br />
der „von Schlaglöchern übersäten“<br />
Zufahrtstraße zum Hospitalgelände tätig,<br />
wobei sie mehrere hundert Tonnen Schotter<br />
verbauten. Außerdem leisteten sie Hilfsarbeiten<br />
im Hospital.<br />
Einsatzort: Evangelisches<br />
Hospital Neuenkirchen<br />
Das Evangelische Hospital Neuenkirchen<br />
war eine Zweigeinrichtung der Evangelischen<br />
Fürsorge- und Krankenanstalten<br />
„Birkenhof“ in Hannover und gehörte<br />
damit zur Inneren Mission der Hannoverschen<br />
Landeskirche. Das Hospital befand<br />
sich in der Neuenkirchener Heide, auf dem<br />
Gelände des ehemaligen Marinegemeinschaftslagers,<br />
das während der NS-Zeit als<br />
Barackenlager für militärische Großprojekte<br />
wie zwei Großtanklager und den Bau<br />
der U-Boot-Bunkerwerft „Valentin“ in<br />
Farge/Rekum gedient hatte. Mehr als<br />
10.000 Häftlinge, Kriegsgefangene und<br />
andere Zwangsverpflichtete waren von<br />
den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit<br />
an den beiden Tanklagern und zuletzt an<br />
dem Bunker „Valentin“ herangezogen<br />
worden; mindestens 1.800 von ihnen<br />
waren dabei infolge der unmenschlichen<br />
Lebens- und Arbeitsbedingungen ums<br />
Leben gekommen.<br />
Nach Aufgabe der Bunker-Baustelle aufgrund<br />
der alliierten Luftangriffe gegen<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs und der Räumung<br />
des Marinegemeinschaftslagers<br />
hatte der Landkreis Osterholz im<br />
März/April 1945 in den meist massiv<br />
gebauten Baracken auf dem Lagergelände<br />
ein provisorisches Teilkrankenhaus eingerichtet.<br />
Als die britischen Truppen Ende<br />
April 1945 Bremen besetzten, übernahmen<br />
sie das Krankenhaus und richteten<br />
dort ein Marinehospital ein, das dann im<br />
Toreinfahrt zum Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
– mit der schotterbefestigten Zufahrtstraße,<br />
die im Jahr 1948 von IZD-Freiwilligen instandgesetzt<br />
wurde (Foto von etwa Ende der 1950er Jahre)<br />
26 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Zuge der Übernahme der Enklave Bremen<br />
ab Mai 1945 von der US Army weitergeführt<br />
wurde. 1946 ging die Zuständigkeit<br />
an den Landkreis Osterholz über und<br />
Anfang Februar 1947 übernahm schließlich<br />
die Innere Mission das vormalige<br />
Marinehospital.<br />
(Siehe dazu auch den Artikel „Vom NS-<br />
Barackenlager zum Hospital. Die Historie des<br />
Marinegemeinschaftslagers II und späteren<br />
Marinehospitals in Neuenkirchen (Zeitraum<br />
1935–1947)“ im HEIMAT-RUNDBLICK <strong>Nr</strong>.<br />
100, Ausgabe Frühjahr 2012, S. 26/27.)<br />
In den auf dem vormaligen Lagergelände<br />
befindlichen 32 Massivbau-<br />
Baracken fanden über 1.300 Menschen<br />
eine neue <strong>Heimat</strong>. Zahlreiche Patienten<br />
wurden im Krankenhaus und Altersheim<br />
des Hospitals ärztlich versorgt und<br />
gepflegt. Ende 1962 musste das Evangelische<br />
Hospital jedoch seinen Standort in<br />
Neuenkirchen aufgeben und zog nach Lilienthal,<br />
da das Neuenkirchener Hospitalgelände<br />
von der Bundeswehr übernommen<br />
und zu einer Kaserne ausgebaut<br />
wurde. Dabei wurden die meisten<br />
Baracken abgerissen. Die später so<br />
benannte Weser-Geest-Kaserne wurde<br />
dann im Rahmen der Truppenreduzierungen<br />
Anfang 2004 aufgelöst, seitdem wird<br />
das Kasernengelände als Gewerbepark<br />
genutzt.<br />
Heute dokumentiert die „Baracke Wilhelmine“,<br />
die sich in einem historischen<br />
Barackengebäude des ehemaligen Marinegemeinschaftslagers<br />
befindet, als kleines<br />
regionales Museum die wechselvolle<br />
Geschichte der Nutzung des Geländes und<br />
erinnert als Gedenkstätte an das Leiden der<br />
Häftlinge und Zwangsarbeiter und an die<br />
Opfer der NS-Zeit.<br />
Arbeitseinsätze des IZD<br />
in Neuenkirchen<br />
IZD-Lager vom August 1953: Freiwillige bei der<br />
Kultivierung von Ödland auf dem ehemaligen<br />
Marinetanklager-Gelände; die „Sanddünen“ im<br />
Hintergrund entstanden beim Bau des Tanklagers<br />
wie u. a. beim Aushub der Ölbunker<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
Flugblatt des IZD (um 1948)<br />
Im internationalen Archiv des Service<br />
Civil International in der Schweiz sind<br />
mehrere Dokumente archiviert, aus denen<br />
Einzelheiten über die Arbeitseinsätze des<br />
Internationalen Zivildienstes im Evangelischen<br />
Hospital in Neuenkirchen hervorgehen.<br />
In der Ausschreibung des IZD für das<br />
erste Lager im Sommer 1948 hieß es u. a.:<br />
„Die über 3 km lange Zufahrtstraße zum<br />
Hospital hat so schwere Schlaglöcher, daß<br />
die Krankenwagen der Umgebung sich<br />
weigern, Patienten nach Neuenkirchen zu<br />
bringen. Diese Schlackenstraße, für die<br />
infolge des politischen Zusammenbruchs<br />
niemand verantwortlich zeichnet (reichseigene<br />
Straße), muß gründlich instandgesetzt<br />
werden. Die Arbeit ist schwer und<br />
verlangt vor allem männliche Freiwillige.“<br />
Das IZD-Lager 1948 in Neuenkirchen<br />
wurde organisiert von Herbert Böttger,<br />
dem damaligen Sekretär des deutschen<br />
Zweigs der Hilfs- und Freiwilligenorganisation,<br />
der damals in Mühlheim an der Ruhr<br />
seinen Sitz hatte. Es war eines von fünf<br />
Erwachsenendiensten, die der IZD im<br />
Sommer 1948 in Deutschland durchführte.<br />
An dem Lager nahmen insgesamt<br />
40 Freiwillige teil, je zur Hälfte Männer und<br />
Frauen. Die Teilnehmer wechselten<br />
während der achtwöchigen Lagerzeit, die<br />
Lagerstärke schwankte zwischen 15 und<br />
30 Personen. Die Freiwilligen kamen aus<br />
fünf Ländern, und zwar aus Dänemark,<br />
Deutschland, Frankreich, Großbritannien<br />
und den USA. Das Alter der Teilnehmer<br />
reichte von 15 bis zu 40 Jahren, die meisten<br />
waren 20 bis 30 Jahre alt. Lagerleiter<br />
waren die Studenten Cleon White aus<br />
Großbritannien, Gerhart Abel aus Hamburg<br />
und Thomas Shipley aus Philadelphia<br />
in den USA. Die Freiwilligen, die 48 Stunden<br />
pro Woche arbeiteten, versorgten sich<br />
selbst; für die Küche waren abwechselnd<br />
die deutschen Abiturientinnen Wiltrud<br />
Weiß und Almuth Eitel als jeweilige „Headsister“<br />
zuständig.<br />
Während der ersten beiden Wochen im<br />
Juli 1948 wurde von den IZD-Freiwilligen<br />
das Lager eingerichtet, ein Lokomotivschuppen<br />
abgebrochen, mehrere Bombentrichter<br />
eingeebnet und Hilfsarbeiten<br />
im Hospital erbracht. In der dritten bis<br />
sechsten Lagerwoche wurde dann vor<br />
allem an der Zufahrtstraße gearbeitet; es<br />
wurden circa 750 Meter Graben ausgehoben,<br />
der Fußweg auf einer Gesamtstrecke<br />
von 1,6 Kilometern planiert sowie mit den<br />
Arbeiten an der Straßendecke begonnen,<br />
wie Aufreißen, Säubern der Packlage und<br />
Auftragen einer zusätzlichen Packlage aus<br />
„Steinschlag“ (Schotter). Während der<br />
letzten beiden Lagerwochen im August<br />
1948 wurde hauptsächlich die 3 Meter<br />
breite Straße auf einer Strecke von rund<br />
300 Metern mit 300 Tonnen Steinschlag<br />
befestigt.<br />
Aus den archivierten „Lagerberichten“<br />
von 1948 geht hervor, dass infolge von<br />
Regenwetter mehrmals keine Außenarbeiten<br />
erbracht werden konnten. Außerdem<br />
sahen die Lagerleiter die Zusammensetzung<br />
des Lagers wegen des jeweils hohen<br />
Anteils an Frauen und Jugendlichen „für<br />
eine derart schwere Arbeit [als] absolut<br />
ungeeignet“ an. So fielen denn auch<br />
einige Freiwillige durch „Erkältung und<br />
Überarbeitung“ aus. Außerdem traten<br />
Behinderungen der Arbeit durch „verzögerte<br />
Ankunft von Motorwalze und Fahrzeugen<br />
zum Transport der Baustoffe“ auf.<br />
Als gemeinsame Freizeitgestaltung wurden<br />
den wechselnden Teilnehmern des<br />
ersten IZD-Lagers im Sommer 1948 in<br />
Neuenkirchen zahlreiche Angebote<br />
gemacht. So gehörten zu den Freizeitaktivitäten<br />
unter anderen Singabende, Besichtigungen<br />
der gesamten Hospitalanlage,<br />
Gespräche und Aussprachen („Housemeetings“)<br />
wie zum Beispiel über „Demokratie“<br />
oder „Pazifismus“, Ausflüge nach Bremen<br />
und Worpswede, Vorträge und Diskussionen<br />
wie über „Arbeit und Grundlagen<br />
des SCI und verwandter Institutionen“,<br />
die „Christliche Kirche in Deutschland“<br />
oder „Ansichten der Ausländer über<br />
Deutschland“, sowie ein gemeinsamer<br />
Abend mit Altersheim-Insassen und Personal<br />
des Hospitals. Die Vorträge wurden<br />
meist von externen Gästen gehalten.<br />
Das nächste IZD-Lager im Evangelischen<br />
Hospital in Neuenkirchen fand dann erst<br />
fünf Jahre später, im August 1953 statt.<br />
Material- und Gerättransporte erfolgten bei der<br />
Ödland-Kultivierung per Pferdefuhrwerk eines ortsansässigen<br />
Landwirts und wurden von den IZD-<br />
Freiwilligen gerne als willkommene „Mitfahrmöglichkeit“<br />
genutzt (August 1953)<br />
27
Von 13 Freiwilligen aus Hawaii, Indonesien,<br />
den USA, Frankreich, England, der<br />
Schweiz und Deutschland wurde vor allem<br />
Ödland auf dem Gelände des ehemaligen<br />
Marinetanklagers kultiviert. Die Freiwilligen<br />
warfen niedrige Sanddämme auf und<br />
schufen Rieselfelder, die später mit Abwässern<br />
berieselt wurden. So wurden in den<br />
Folgejahren mehrere Hektar Ödland, auf<br />
denen noch einige der von den Alliierten<br />
nach dem Krieg gesprengten Ölbunker<br />
standen, zu fruchtbarem Acker. Die Felder<br />
dienten dann zunächst dem Hospital zum<br />
Kartoffel-, Gemüse- und Getreideanbau<br />
zur Eigenversorgung und wurden später<br />
Flüchtlingsbauern übergeben.<br />
Im April 1954 führte der IZD sein drittes<br />
Lager in Neuenkirchen durch; es war dort<br />
zugleich das erste Jugendlager. Die<br />
Jugendlichen, die aus mehreren Ländern<br />
kamen, kultivierten ebenfalls Ödland für<br />
das Hospital. Im Oktober des gleichen Jahres<br />
folgte ein weiteres Lager des IZD in<br />
Neuenkirchen; diesmal halfen die Freiwilligen<br />
bei der Kartoffelernte für das Hospital.<br />
Weitere Lager des Internationalen Zivildienstes<br />
in Neuenkirchen fanden unter<br />
anderen im April und im August 1957<br />
sowie im Juli 1961 statt. An dem Lager im<br />
August 1957 nahmen 20 Freiwillige aus<br />
sechs Ländern teil; sie „retteten die Erbsenund<br />
Bohnenernte“ des landwirtschaftlichen<br />
Eigenbetriebs des Hospitals in Neuenkirchen,<br />
die infolge von nassem Wetter<br />
zu verderben drohte. Aufgrund des „Wirtschaftswunder“-Booms<br />
in Westdeutschland<br />
hatte das Hospital keine zusätzlichen<br />
Arbeitskräfte für die Ernte gewinnen können<br />
und deshalb den IZD um Hilfe gebeten.<br />
Das letzte IZD-Lager in Neuenkirchen<br />
fand im Herbst 1962 statt; die Freiwilligen<br />
halfen wiederum bei der Kartoffelernte<br />
sowie bei der Pflege und Versorgung von<br />
geriatrischen Patienten des Hospitals. Zu<br />
den Teilnehmern gehörte auch der damals<br />
20-jährige Teilnehmer David Palmer aus<br />
England, der danach längere Zeit beim SCI<br />
aktiv war und bei Arbeitseinsätzen in verschiedenen<br />
Ländern mitwirkte. Er<br />
beschreibt in seinen Erinnerungen, die in<br />
der 2008 vom SCI herausgegebenen, englisch-<br />
und französischsprachigen Anthologie<br />
„Breaking Down Barriers 1945–1975“<br />
mit veröffentlicht wurden, die Freiwilligenarbeit<br />
im Neuenkirchener Hospital wie<br />
folgt:<br />
„Most of our work was dirty, and in<br />
some way or other, hard on one’s nervous<br />
system. Though officially called a ‘hospital’<br />
it was much more like a ‘hospice’.”<br />
(Deutsch: „Der Großteil unserer Arbeit<br />
war eine sehr schmutzige, die in der einen<br />
oder anderen Weise hart an unseren Nerven<br />
zerrte. Obwohl offiziell als ‘Hospital’<br />
bezeichnet, war es eher so etwas wie ein<br />
‘Hospiz’.“)<br />
Von 1948 bis 1962 führte der Internationale<br />
Zivildienst insgesamt 16 Lager im<br />
Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />
durch; hinzu kamen einige Langzeit-<br />
Arbeitseinsätze von einzelnen Freiwilligen.<br />
Neben dem IZD waren im Neuenkirchener<br />
Hospital auch noch andere internationale<br />
Hilfsorganisationen tätig, die in der Nachkriegszeit<br />
in mehreren europäischen Ländern<br />
Hilfs- und Arbeitsprojekte kostenlos<br />
ausführten, wie zum Beispiel aus den USA<br />
der zivile Friedensdienst der Quäker, das<br />
American Friends Service Committee<br />
(AFSC), oder die Brethren Church Commission,<br />
die der Church of Brethren<br />
(deutsch „Kirche der Brüder“) angehörte.<br />
„Auf den Spuren<br />
der Vorgänger“<br />
Mit der Erntehilfe von 1962 endeten die<br />
Arbeitseinsätze des Service Civil International<br />
(SCI) bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />
in Neuenkirchen. Mehr als 50<br />
Jahre danach – und genau 65 Jahre nach<br />
dem ersten Arbeitseinsatz des Freiwilligendienstes<br />
in der Neuenkirchener Heide –<br />
besuchte im Juli <strong>2013</strong> eine Gruppe von<br />
Freiwilligen des SCI den Einsatzort „ihrer<br />
Vorgänger“. Bei den 13 jungen Frauen und<br />
Männer aus acht Ländern handelte es sich<br />
um Teilnehmer eines internationalen<br />
Workcamps, die für zwei Wochen auf dem<br />
Gelände des Bunkers „Valentin“ im<br />
benachbarten Bremen-Farge arbeiteten.<br />
Die Freiwilligen aus Deutschland, Spanien,<br />
Holland, der Tschechischen Republik, Serbien,<br />
der Republik Moldau, Russland und<br />
Taiwan legten auf dem Außengelände des<br />
Bunkers eine verschüttete ehemalige<br />
Beton-Mischanlage frei, um so Spuren der<br />
Zwangsarbeit auf der ehemaligen U-Boot-<br />
Bunkerwerft sichtbar zu machen.<br />
Organisiert wurde das Workcamp von<br />
der im Aufbau befindlichen Gedenkstätte<br />
Denkort Bunker Valentin in Zusammenarbeit<br />
mit dem Freiwilligendienst Service<br />
Civil International (SCI – Deutscher Zweig)<br />
und der Bremer Landesarchäologie. Das<br />
von den Workcamp-Teilnehmern bearbeitete<br />
Projekt ist Teil eines Rundweges, der<br />
zurzeit erstellt wird. Der Denkort Bunker<br />
Teilnehmer eines jüngsten SCI-Workcamps beim<br />
Denkort Bunker Valentin in Bremen-Farge bei<br />
ihrem Besuch der Gedenkstätte Baracke Wilhelmine<br />
im benachbarten Schwanewede-Neuenkirchen<br />
(Juli <strong>2013</strong>)<br />
Valentin will 22 Stationen an dem Betonkoloss<br />
schaffen, die ab 2015 den Besuchern<br />
der Farger Gedenkstätte die<br />
Geschichte des Bunkerbaus und der<br />
Menschen, die dafür leiden und sterben<br />
mussten, vor Augen führen.<br />
Während ihres Aufenthalts besichtigten<br />
die Workcamp-Teilnehmer verschiedene<br />
Gedenkstätten und weitere Orte der NS-<br />
Zwangsarbeit in Bremen und der Region<br />
und tauschten sich mit Initiativen aus. So<br />
besuchten sie auch den Dokumentationsund<br />
Lernort Baracke Wilhelmine, der sich<br />
auf dem ehemaligen Lager-, Hospital- und<br />
Kasernengelände in Schwanewede-Neuenkirchen<br />
befindet, und informierten sich<br />
bei einer Führung durch die Ausstellungsräume<br />
der Gedenkstätte über die<br />
Geschichte der Region und des Areals<br />
einschließlich der Historie des Neuenkirchener<br />
Hospitals.<br />
Beim anschließenden Gedankenaustausch<br />
mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern<br />
der Baracke Wilhelmine präsentierten<br />
diese der internationalen Besuchergruppe<br />
das Ergebnis der eigens vorgenommenen<br />
kleinen Recherche nach den früheren<br />
Arbeitseinsätzen des Service Civil International<br />
bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />
im ehemaligen Evangelischen Hospital<br />
Neuenkirchen. Die jungen Teilnehmer des<br />
SCI-Workcamps vom Juli <strong>2013</strong> in Bremen-<br />
Farge zeigten sich beeindruckt von der<br />
eigenen Ortsgeschichte ihrer Freiwilligenorganisation<br />
und waren durchaus stolz auf<br />
die Leistungen ihrer Vorgänger.<br />
Text: Dokumentations- und Lernort Baracke<br />
Wilhelmine / Horst Plambeck<br />
Standort:<br />
An der Kaserne 122,<br />
Schwanewede-Neuenkirchen<br />
Führungen nach Absprache, Termine können<br />
unter Tel. 04 21 - 68 34 99 oder mobil<br />
01 62 - 973 13 38 (Harald Grote) vereinbart<br />
werden.<br />
Website: www.baracke-wilhelmine.de<br />
Abbildungen:<br />
Logos, Flugblatt und historische Fotos – SCI<br />
bzw. IZD: SCI Archives<br />
Historisches Foto – Ev. Hospital Neuenkirchen:<br />
Archiv der Baracke Wilhelmine<br />
Farbfoto – SCI-Workcamp <strong>2013</strong>: Landeszentrale<br />
für politische Bildung Bremen/Denkort<br />
Bunker Valentin<br />
Quellenangabe:<br />
Websites des SCI und des SCI – Deutscher<br />
Zweig (www.sci-d.de)<br />
Dokumente zu IZD-Lagern etc. bei SCI Archives<br />
(www.archives.sciint.org)<br />
SCI (Hrsg.), Olivier Bertrand (Bearb.): “Breaking<br />
Down Barriers 1945–1975. 30 years of<br />
voluntary service for peace with Service Civil<br />
International”. SCI, 2009<br />
Digitales Zeitungsarchiv der Bremer Tageszeitung<br />
„Weser-Kurier“<br />
Archivunterlagen der Baracke Wilhelmine<br />
28 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Siet mien Keerl dootgahn is, hebb ik Tiet. Faak<br />
sitt ik hier, op sienen Stohl bi ‘t Finster, de nu<br />
mien Stohl is, in de lüürlütte Kamer, de mienen<br />
Keerl tohöört hett, buten warrt dat schummern.<br />
Bald, heel bald, is ‘t düster. Achter mi sitt dat ole<br />
Schapp vun Swiegermudder, Rüster, Arvstück,<br />
un swiggt. Selten steiht de Klapp noch open,<br />
afsloten hebb ik, un jüst so rare Tieten polier ik<br />
dat feine Holt. Ik tööv op de pickswatte Nacht.<br />
Blangen den Bus, de de Gören na School hen<br />
kutscheert, hett uns Gemeenraat, un dor sünd<br />
sogors twee Gröne binnen, dörsett, dat de Bussen<br />
ok twüschendör na de Stadt hen gaht, för<br />
Pendlers, un to’n Inköpen. De Grönen sünd vun<br />
Huus to Huus marscheert, un hebbt de Vördelen<br />
verklaart: Laat dien Auto stahn, föhr Bus!<br />
De modernen Tieten künnt nich ganz ut uns<br />
Dörp afhollen warrn.<br />
Aver Sprit insparen doot blots de olen Trutschen<br />
ut’ Dörp, de woso keen Auto hebbt. De Börgermeester<br />
sitt ok nich in den Bus, ofschoonst<br />
sien Partei, de Swatten, mitmaakt hett, bi den<br />
Bus. Weer Wahltiet. De Grönen hebbt dat Geld,<br />
wat in de Parteikass keem, rinsteken in enen<br />
düren Drahtesel för den Börgermeester, dat he<br />
ok hier, direktemang in uns Dörp, as Vöörbild<br />
vöran un so…. Aver op sitten, op dat düre<br />
Swatte, dat deit de Swatte egens nich, ofschoonst<br />
he in dat Kääsblatt, glieks vörn op,<br />
goot utseeg, blangen dat Rad.<br />
Dree junge Froonslüüd ut den Oosten hett uns<br />
Dörp. De nehmt den Bus un koomt wedder<br />
torüch mit Tüten un Büdels. Rosa T-Shirts mit<br />
Blinkersteens, un mit grote Finsters, dat de<br />
Utlaag goot to sehn is, rosa Puschels op hooghackte<br />
Pantuffels, de blauen Sateng-Titt-Fasthollers,<br />
de dat bi den Textilmarkt in ‘t Anbeden<br />
geev.<br />
Een vun disse Oostwunners arbeidt an de Kass<br />
vun den Drogeriemarkt, de treckt sik jümmers<br />
de wullen Jack över ehren Puckel, wiel dat vun<br />
achtern kole Luft geven deit, wenn enen de<br />
Döör open maakt. De frische Luft puust en Wulk<br />
ut Sweet un Eau de Klo ümut; dat Finster vörn<br />
blifft open, kenen kolen Wind vun dor.<br />
So an'n Avend kannst jo in ‘t Nadenken komen.<br />
In den Bus, de vun uns lütte Dörpen kummt, is<br />
egens noog Platz binnen, man de Lüüd blievt<br />
lever vörn an, de Sittens sünd dicht beleggt, un<br />
stiggt en ne’en Fahrgast in, steiht en annern för<br />
em op un stellt sik in den Gang, de vuller warrt<br />
un warmer.<br />
De Fro vun den Finanzbeamten puust sik de<br />
Trepp rin, Jahreskaart, kummt jüst even bit vör<br />
de eerste Sittens, böögt sik hendaal, un „Hest<br />
du al höört, dat segg ik blots di…..“ wannert<br />
dör de Regen, tohopknepen Lippen nickköppt,<br />
en Grienen maakt sik breed, un liesen lööst sik<br />
de Stau in den Gang, de Lüüd schuuvt sik wieter<br />
na achtern dör un sett sik daal, glieks is de<br />
Bus in de Stadt.<br />
Jan Heinerich: „in uns lütt Dörp“<br />
In uns lütt Dörp dünkt sik veel noch so as sik dat höört. De Welt is in de Reeg.<br />
Wenn de Lüüd vun de Arbeit wedder bi Huus<br />
sünd, s’avends, sluut sik na un na de Döörns, ok<br />
in den groten Klinkerkasten, de en Spekulanten<br />
ut Hamborch dor hen sett hett, wo vördem de<br />
groten Linnenbööm wachten. Dor, wo de ole<br />
Gasthoff stünn, den aver keenenen köpen wull, as<br />
de Kröger allens versopen harr, un de so denn jo<br />
afbrennen müss, dor kunnen ok dree Füerwehren<br />
nix an doon, laat in de Nacht.<br />
Dat dat Tohuus kommodig warrt, dor doot de<br />
Lüüd wat an, in uns Dörp. Wiel uns Dörp schöner<br />
warrn schull, hebbt en paar vun de Lüüd, de<br />
Karaasch hebbt, bi de<br />
Totrocken ut de Stadt den<br />
Tuun in de Nacht witt anmaalt,<br />
Blau passt nicht in dit Dörp. Ahn<br />
Geld, klaar, un ahn Naam, de<br />
Lüüd sünd en beten torüchhollern,<br />
dat schickt sik so.<br />
Veel is in uns Dörp noch so,<br />
as dat jümmers weer. De<br />
Lüüd freit sik op dat Schützenfest,<br />
Schomakers Deern kriggt wat Lütt’s, ok<br />
vun dor, un dit Jahr hebbt de Scheeters den Grönen,<br />
de jo egens nich för Gewalt is oder för Scheten,<br />
de Schiev mit de Löcker in de Midden wiest,<br />
un bams weer he de König. Hebbt de ganze<br />
Nacht fiert, de Keerls. Sien Elke nich.<br />
Man de Lüüd helpt sik. De Slachter hett en frisch<br />
Snitzel vörbibröcht, för dat blaue Oog vun den<br />
Grönen, wat he vun siene Elke harr.<br />
Buten geiht de Sünn ünner, in de Wohnstuven<br />
gaht de Lichten an, un de Kiekkastens. Ik bruuk<br />
keen Licht. Ik kann goot noog kieken in ‘t<br />
Düstern.<br />
Dat Geld för de Gemeen weer al weg mit dat<br />
Busprojekt för de Groten, keen Discobus in Sicht,<br />
nu is Drapen för de jungen Lüüd jümmers in dat<br />
lütte Bushuus, denn wenn du in uns lütte Dörp in<br />
dat <strong>Heimat</strong>huus wull, muttst du tominnst föfftig<br />
ween.<br />
Een Bank steiht dor, in dat Bushuus, wat avends<br />
de Versammeln vun de Jungen afgifft, dor sitt<br />
kenen drop, wiel de Buddels dor al staht. Buten<br />
vör, en beten wat na achtern to, drückt sik de, de<br />
knutschen wüllt. Kann ik bi de Düsternis nich kennen,<br />
keen dat is.<br />
Kiek ik de Straat hendaal, warrt de eersten Stratenlichtens<br />
jüst utpeddt, enen kummt op en<br />
Fahrrad anjaagt, de kann wiss nich mehr bremsen.<br />
Bi den Keerl vun ‘t Finanazamt geiht de Kasten in<br />
sien Arbeitszimmer an, he luurt kort na de Wohnstuuv<br />
to, siene Fro sitt op ‘t Sofa, un telefoneert,<br />
op de Lüüd is Verlaat in uns lütt Dörp.<br />
Navers Kim kriggt den drüdden Lichterpahl to<br />
faten, ut. An dat Bushuus scheppert dat un knallt,<br />
dat weer woll dat Rad vun unsen Börgermeester.<br />
Jo, dat weer ‘t.<br />
De Lüüd helpt sik in uns Dörp, ok wenn dat maal<br />
nich ganz so eenfach is. As Wischen-Albert de Fro<br />
dootbleven is, hebbt em de neegsten Navers en<br />
Fro schickt, de den Huushalt versorgen kunn.<br />
Un disse Fro hett tokeken, dat ut ehr Land een<br />
Nichte komen kunn, Albert to helpen. Albert is<br />
teihn Jahr jünger nu, denn Natascha, de Nicht,<br />
eerst tweeunveertig, de lett Albert mit ehre<br />
Kaninken spelen, un hett ehren Keerl wiet weg<br />
in dat anner Land. Un wenn Albert maal in de<br />
Stadt mutt, na siene Doktors, denn is se jümmers<br />
paraat, em to föhren, mit ehren blauen<br />
BMW, Tweesitter, den he ehr köfft hett.<br />
Siene Rent kann Albert woso nich alleen kort<br />
maken.<br />
Kiek ik en beten wieter na de rechte Hand to, so<br />
even noch to erkennen in dit tweedüüster Licht,<br />
sleekt sik jüst Naver Kuddel ut sien Goornhuus<br />
rut, de Rosenscheer an de Siet klemmt, af na<br />
den Grönen sien Wille- Rosen-Vogelparadies-<br />
Welt-in-Ornen-Brummerberenheck-Brennettelun-Distel-Klümpenkraam,<br />
un maakt nu even<br />
dissen minn, - üm nich to seggen: kort un weg.<br />
An sien Siet. Dor, woneem ok Kuddels Kater de<br />
Vogelnesten al all utnohmen hett. Wat de<br />
Gröne jüst so nich wies weer. De Lüüd maakt<br />
jüm ehre Saken mit Bedacht un Ümsicht in uns<br />
Dörp.<br />
Wischen-Albert slöppt al deep un flaneert in<br />
siene Droomwischen üm un üm, vull mit weke<br />
Kaninken in satengblaue Hollers; bi Natascha<br />
föhrt jüst even en Auto vun’n Hoff, mit en Kennteken<br />
vun wieter weg, dat maakt dat Licht eerst<br />
an, as de Kark links liggen blifft, un verpasst<br />
even un even de leddige Buddel, de ut de<br />
Düsternis vun ‘t Bushuus rutflegen deit.<br />
Auto Nummer dree, dat is noch fröh an’n<br />
Avend, de Arbeit, wo du bi liggen kannst, fangt<br />
jüst an¸Natascha mutt noch en beten.<br />
Fro Finanz telefoneert noch munter, ehr strammen<br />
Fööt liggt op den Disch bi ‘t Sofa, Dienstag<br />
is vundaag, Kunjak-Dag; Maandags gifft dat<br />
Poort. De Lüüd hebbt Smack in mien Dörp.<br />
Bi em, in sien Arbeitsstuuv, kann ik beter sehn,<br />
wat löppt, nu, dat dat richtig düster worrn is. Mi<br />
dünkt, wenn ik en beten sharper kieken do,<br />
kann ik op de Mattschiev Sateng wies warrn un<br />
rosa Kaninken över hooghackte Puschels…<br />
„Ik bün so froh, dat ik di heff“, heff ik to mien<br />
Geerd noch seggt, as of ik al ahnen kunn, dat<br />
dat sien letzt Boortsdag ween schull. Un mien<br />
letzte Koken. An’n neegsten Morgen al weer he<br />
doot. Allemann weern se bi den Karkhoff; de<br />
Lüüd staht sik bi in mien lütt Dörp, keenenen<br />
blifft alleen.<br />
Martin hett den Sarg dragen, vörn rechts, und<br />
at regen düchtig in dat open Graff. Martin, mit<br />
siene starken Schullern, mit siene warmen, groten<br />
Hannen.<br />
Klock elven. Laat noog. Denn will ik man foorts<br />
los. Warrt Tiet. Allens op Steed in dat lütte Dörp.<br />
Pickswatte Nacht. De Lüüd gaht na Bett. Martin<br />
un ik ok.<br />
Birgit Lemmermann<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
29
Ein glücklicher Fund<br />
Foto: Hermann Röttjer<br />
Einfach nur suchen und dann auf einen<br />
großen Fund stoßen, dieses Glück hatte<br />
der Vorsitzende des <strong>Heimat</strong>vereins Iselersheim,<br />
Hermann Röttjer. Beim Stöbern im<br />
Internet entdeckte er bei Ebay im Angebot<br />
eines Antikhändlers aus Mülhausen in<br />
Thüringen ein gemaltes Porträt des Moorkommissars<br />
Jürgen Christian Findorff.<br />
Das im Jahr 1780 gegründete Iselersheim<br />
ist eines der unter der Leitung von<br />
Findorff entstandenen Moordörfer. Der<br />
dortige <strong>Heimat</strong>verein hat in der Nähe der<br />
Kirche ein ehemaliges Häuslingshaus wieder<br />
aufgebaut und im Obergeschoss eine<br />
Ausstellung zum Moorkommissar und seinem<br />
Werk eingerichtet. Selbstverständlich<br />
hatte der Verein großes Interesse an dem<br />
Erwerb des Bildes. Die Bremervörder Historikerin<br />
Dr. Elfriede Bachmann bestätigte<br />
die Echtheit des Gemäldes. Es ähnelte dem<br />
Gemälde im Bachmann-Museum Bremervörde.<br />
Maler beider Bilder ist Günther Bornemann,<br />
geboren in Göttingen und zeitweise<br />
wohnhaft in Hamburg.<br />
Allerdings war Röttjer nicht der einzige<br />
Bieter und so ging der Preis hoch. Bei 696<br />
Euro bekam Röttjer den Zuschlag und dem<br />
Verein gehörte das gute Stück.<br />
Gern hätte man gewusst, wer der vorherige<br />
Eigentümer war, doch der Verkäufer<br />
durfte keine Auskunft geben. Der <strong>Heimat</strong>forscher<br />
Karl Lilienthal schrieb 1931, dass<br />
sich bei einer Familie Kalkmann in Bremen<br />
Gemälde von Jürgen Christian und<br />
Johann(?) Findorff befinden. (J.C.Findorffs<br />
Neffe Friedrich war in zweiter Ehe mit<br />
Dorothea Kalkmann aus Bremen verheiratet)<br />
Die Frage, ob es sich dabei um das<br />
ersteigerte Bild handelt, bleibt offen.<br />
Das erworbene Bild wies etliche Schäden<br />
auf. Die Worpsweder Diplom-Restauratorin<br />
Sonja Toeppe musste es reinigen,<br />
Fehlstellen retuschieren und es mit einem<br />
neuen Rahmen versehen, bis es im Haus<br />
des Vereins der Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht werden konnte.<br />
Ein weiteres Findorff-Porträt, und zwar<br />
mit Perücke, ebenfalls von Bornemann,<br />
Hermann Röttjer und Sonja Töppe mit Findorff-<br />
Gemälde Foto: R. Klöfkorn/Bremervörder Zeitung<br />
hängt in der Museumsanlage Osterholz-<br />
Scharmbeck. Das im Eigentum der Kirchengemeinde<br />
Worpswede befindliche<br />
Bild von Findorff stammt von dem malenden<br />
Müller Johann Friedrich Schröder aus<br />
Hüttenbusch. Hierbei dürfte es sich um<br />
eine Kopie des Osterholz-Scharmbecker<br />
Porträts handeln, denn Schröder ist erst<br />
1821, also 29 Jahre nach Findorffs Tod,<br />
geboren, und es gleicht diesem Gemälde<br />
bis auf kleine Unterschiede.<br />
Das <strong>Heimat</strong>haus Iselersheim ist übrigens<br />
von Mai bis Oktober jeweils am 1. Sonntag<br />
des Monats von 14 bis 17 Uhr geöffnet.<br />
Gerhard Behrens<br />
Quellen:<br />
Bremervörder-Zeitung<br />
Karl Lilienthal, Jürgen Christians Findorffs<br />
Erbe<br />
Jürgen Teumer, Die Mühle auf dem Rattenberg<br />
Termine der<br />
<strong>Heimat</strong>vereine<br />
Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />
Findorff-Hof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />
Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />
Tel.: 04208 / 12 44<br />
Sonntag, 27. Oktober <strong>2013</strong><br />
15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />
Hof Grasberg<br />
Sonnabend, 17. November <strong>2013</strong><br />
12.00 Uhr, Steckrübenessen, Findorff-Hof<br />
Grasberg<br />
Sonntag, 25. August <strong>2013</strong><br />
14.00 Uhr, Tag der offenen Tür, Findorff-<br />
Hof Grasberg<br />
Sonntag, 8. Dezember <strong>2013</strong><br />
14.00 Uhr, Kaffeenachmittag zum<br />
Weihnachtsmarkt, mit den Kindern der<br />
Kreismusikschule, Findorff-Hof Grasberg<br />
<strong>Heimat</strong>- und Bürgerverein Ritterhude e.V.<br />
Hannelore und Gerhard Monsees<br />
Tel.: 04292 / 27 15<br />
Sonnabend, 12. Oktober <strong>2013</strong><br />
13.00 Uhr, Nachmittagsfahrt / Rundfahrt<br />
durch Bremen<br />
Sonnabend, 16. November <strong>2013</strong><br />
15.00 Uhr, Dia-Nachmittag Usedomfahrt<br />
Sonntag, 1. Dezember <strong>2013</strong><br />
15.00 Uhr, Weihnachtsfeier in der Mühle<br />
Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />
Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />
Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />
Freitag, 4. Oktober <strong>2013</strong><br />
18.30 Uhr, Laternenumzug, ab Lilienhof<br />
Sonntag, 8. Oktober <strong>2013</strong><br />
10.00 Uhr, Plattdeutscher Gottesdienst,<br />
Lilienhof<br />
Freitag, 18. Oktober <strong>2013</strong><br />
20.00 Uhr, Plattdeutsche Kulturtage,<br />
Theater auf dem Flett, Lilienhof<br />
Sonnabend, 19. Oktober <strong>2013</strong><br />
15.00 Uhr, Plattdeutsche Kulturtage,<br />
Theater auf dem Flett, Lilienhof<br />
Sonnabend, 26. Oktober <strong>2013</strong> und<br />
Sonntag, 27. Oktober <strong>2013</strong><br />
11.00 – 18.00 Uhr, Textilwerkstatt, Lilienhof<br />
Sonntag, 1. Dezember <strong>2013</strong><br />
15.00 Uhr, Adventsfeier, besinnlicher<br />
Nachmittag am 1. Advent bei Kaffee und<br />
Kuchen, Lilienhof<br />
Um diese Rubrik immer auf dem<br />
neuesten Stand zu haben, sind wir<br />
auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />
Wir bitten deshalb um Ihre<br />
Mithilfe.<br />
Melden Sie doch bitte die Termine<br />
bis Redaktionsschluss an den Verlag.<br />
Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten<br />
entweder per Telefax<br />
(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />
(info@heimat-rundblick.de).<br />
Die Redaktion<br />
30 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>
Jugendseite<br />
Die Jugendfeuerwehr Lilienthal besteht<br />
dieses Jahr seit 50 Jahren – ein Grund zum<br />
Feiern. Doch wer verbirgt sich überhaupt<br />
hinter der Jugendfeuerwehr Lilienthal?<br />
Was machen die eigentlich genau?<br />
In der Jugendfeuerwehr kann jeder<br />
Jugendliche, der Lust hat, die nötige Motivation<br />
mitbringt und zwischen 10 und 16<br />
Jahren alt ist, mitmachen. Ab 16 Jahren<br />
kann in den aktiven Feuerwehrdienst<br />
gewechselt werden, aber natürlich nur,<br />
wer möchte. Um darauf schon möglichst<br />
gut vorbereitet zu sein, wird in der Jugendfeuerwehr<br />
eine Mischung aus feuerwehrtechnischer<br />
Ausbildung, Sport und Spaß<br />
angeboten. Im Sommer trifft man sich<br />
wöchentlich, im Winter alle zwei Wochen.<br />
Im Moment hat die Jugendfeuerwehr<br />
mehr als 30 Mitglieder! Wer ebenfalls Mitglied<br />
werden möchte, kann einfach dienstags<br />
um 18.00 Uhr am Feuerwehrhaus in<br />
der Edisonstraße vorbeikommen und<br />
schnuppern. „Wohl eine der sinnvollsten<br />
Freizeitbeschäftigungen, die es gibt!“<br />
1963 gegründet<br />
Doch wie begann eigentlich die<br />
Geschichte der Jugendfeuerwehr Lilienthal/Falkenberg?<br />
Im Jahre 1963 wurde auf<br />
der Jahreshauptversammlung der Feuerwehr<br />
beschlossen, eine Jugenfeuerwehr ins<br />
Leben zu rufen. Dies geschah nach aufkommendem<br />
Interesse der Jugendlichen.<br />
Dem Aufruf in der Tageszeitung am 2.<br />
März 1963 folgten auch tatsächlich ein<br />
paar junge Motivierte und gründeten am<br />
30. März 1963 mit insgesamt neun<br />
Jugendlichen die damals zweite Jugendfeuerwehr<br />
im Landkreis Osterholz. Nach<br />
einigen Jahren und vielen spannenden<br />
Zeltlagern in den unterschiedlichsten<br />
Gebieten, werden 1991 die Ortsfeuerwehren<br />
Lilienthal und Falkenberg zusammen-<br />
Angehende Lebensretter<br />
in Aktion<br />
Die Jungendfeuerwehr Lilienthal<br />
Die zahlreichen Mitglieder der Jugendfeuerwehr vor den Einsatzfahrzeugen<br />
gelegt, daraus resultiert dann auch der<br />
neue Name der Jugendfeuerwehr Lilienthal/Falkenberg.<br />
2005 erhält die Jugendfeuerwehr<br />
ihr erstes eigenes Fahrzeug,<br />
finanziert durch Sponsoren. 2010 wurde<br />
dann die erste Kinderfeuerwehr im Landkreis<br />
Osterholz gegründet.<br />
Höchste Auszeichnung:<br />
die Leistungsspange<br />
Die Jugendfeuerwehr trainiert den<br />
Umgang mit feuerwehrtechnischer Ausrüstung<br />
und übt Erste-Hilfe-Maßnahmen. In<br />
regelmäßigen Abständen finden Wettkämpfe<br />
mit anderen Jugendfeuerwehren<br />
des Landkreises statt. Bei diesen werden<br />
u.a. der Ausbildungsstand, die Sportlichkeit,<br />
die Geschicklichkeit und die Kreativität<br />
in der Gruppe geprüft. Wer bestimmte Leistungen<br />
erreicht, sei es als Einzelner oder in<br />
der Gruppe, erhält verschiedene Auszeichnungen.<br />
Die höchste Auszeichnung ist die<br />
Leistungsspange. Neben Wettbewerben<br />
und Zeltlagern werden auch Ausflüge in<br />
Freizeitparks und gemeinsame Grillabende<br />
geplant. „Hier haben alle Gruppenmitglieder<br />
die beste Gelegenheit, sich intensiv kennenzulernen<br />
und die Gemeinschaft untereinander<br />
zu stärken.“ Nun wird diese Institution<br />
50 Jahre alt. Sie hat sich im Laufe der<br />
Zeit zu einem sehr wichtigen Standbein der<br />
Ortsfeuerwehr entwickelt, denn ohne die<br />
Arbeit der Jugendfeuerwehr würde es heute<br />
70 % der aktiven Mitglieder in der Feuerwehr<br />
nicht geben.<br />
Am Samstag, den 15. Juni <strong>2013</strong> wurde<br />
das 50-jährige Jubiläum mit zahlreichen<br />
Gästen aus Politik, Gründungsmitgliedern<br />
und „benachbarten“ Jugendfeuerwehren<br />
im Feuerwehrhaus gefeiert. Ein typisches<br />
Zeltlager und verschiedene Reden von z. B.<br />
der Kreisjugendfeuerwehrwartin rundeten<br />
die Feier ab. Auch hier standen wieder<br />
Spiele zu Geschicklichkkeit und Wissen auf<br />
dem Programm!<br />
Text: Mareike Haunschild<br />
Fotos: Feuerwehr Lilienthal<br />
Übung unter realen Bedingungen<br />
RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />
Teamgeist und sorgfältige Ausbildung<br />
31
32 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>