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Heimat-Rundblick Nr. 106 herbst 2013

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Herbst <strong>2013</strong><br />

Einzelpreis € 4,50<br />

3/<strong>2013</strong> · 26. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257 <strong>Nr</strong>. <strong>106</strong><br />

RUNDBLICK<br />

AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

INHALT<br />

unter anderem:<br />

„Knoops Park“<br />

Skulpturen am Bremer Dom<br />

Klostermühle in Lilienthal<br />

Historie der Wörpedorfer Mühle<br />

Die Meerforelle – Fisch des Jahres<br />

Dreißigjähriger Krieg in Teufelsmoor<br />

Angehende Lebensretter in Aktion<br />

Bauhüttengebäude<br />

auf dem Lilienhof<br />

Ein glücklicher Fund<br />

Paul Ernst Wilke<br />

INHALT


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Foto: Erwin Duwe<br />

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Titelbild:<br />

Haus Kränholm in seiner ganzen Pracht.<br />

Foto: Tim Wöbbeking


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Harald Steinmann<br />

Redaktionssitzung Seite 7<br />

Tim Wöbbeking<br />

Grasberger Industriearchitektur Seite 12<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Erstellung des Bauhütten-Gebäudes<br />

auf dem Lilienhof Seite 18 + 19<br />

Horst Plambeck<br />

Arbeitseinsätze des Internationalen<br />

Zivildienstes im Evangelischen<br />

Hospital Neuenkirchen Seite 26 – 28<br />

Termine der <strong>Heimat</strong>vereine Seite 30<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Rudolf Matzner<br />

Ein Rundgang durch<br />

„Knoops Park“ Seite 4 – 7<br />

Harald Steinmann<br />

Skulpturen am Bremer Dom Seite 8 + 9<br />

Rupprecht Knoop<br />

Die alte Klostermühle<br />

in Lilienthal Seite 10 – 12<br />

Heinrich Bücken<br />

Die Wörpedorfer Mühle Seite 13<br />

Wilhelm Berger<br />

Der Ort Teufelsmoor zur Zeit des<br />

Dreißigjährigen Krieges Seite 20 – 23<br />

Gerhard Behrens<br />

Ein glücklicher Fund Seite 30<br />

Natur<br />

Tim Wöbbeking<br />

Der Fisch des Jahres <strong>2013</strong> Seite 14 + 15<br />

Kultur<br />

Dr. Katja Pourshirazi<br />

Die Bremer Malerin<br />

Elisabeth Noltenius Seite 24 + 25<br />

Dr. Helmut Stelljes<br />

Kerteminde – Lieblingsort<br />

von Paul Ernst Wilke Seite 25<br />

Serie<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

Lach- und Torfgeschichten Seite 15<br />

Peter Richter<br />

Vor 100 Jahren Seite 16 + 17<br />

Birgit Lemmermann<br />

Jan Heinerich Seite 29<br />

Mareike Haunschild<br />

Jugendseite – Angehende<br />

Lebensretter in Aktion Seite 31<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 15. November <strong>2013</strong><br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG (haftungsbeschränkt),<br />

Scheeren 12, 28865 Lilienthal, Tel. 04298/46 99 09,<br />

Fax 04298/3 04 67, E-Mail info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer:<br />

Jürgen Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode<br />

202140.<br />

Redaktionsteam: Tim Wöbbeking, Lindenallee 25, 27726<br />

Worpswede, Telefon 04792/95 21 48, Wilko Jäger (Schwanewede),<br />

Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz<br />

(Teufelsmoor), Ilse Mehnert (Grasberg), Peter Richter (Lilienthal),<br />

Manfred Simmering (Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes<br />

(Worpswede).<br />

Beratung und ständige Mitarbeit: Gerhard Behrens<br />

(Worpswede), Prof. Dr. Hermann Cordes (Borgfeld), Hermann<br />

Giere (Schlußdorf), Jürgen Lodemann (Ritterhude), Siegfried<br />

Makedanz (Schwanewede), Rudolf Matzner (Bremen-Lesum),<br />

Dieter Meisner (Worpswede), Hans-Jürgen Paape (Bremen),<br />

Johannes Rehder-Plümpe (Borgfeld), Hans Siewert (Osterholz-<br />

Scharmbeck), Harald Steinmann (Lilienthal).<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird keine<br />

Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />

Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />

Korrektur: Helmut Strümpler, Harald Steinmann.<br />

Erscheinungsweise: Vierteljährlich.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />

frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen; bitte<br />

Scheck, Bargeld, oder Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />

Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />

Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse Lilienthal<br />

(BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 126 995, Volksbank Osterholz<br />

eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 731 778 600.<br />

Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />

Lilienthal (BLZ 291 523 00) Konto-<strong>Nr</strong>. 122 150, Volksbank<br />

Osterholz eG (BLZ 291 623 94) Konto-<strong>Nr</strong>. 732 737 400.<br />

Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />

Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist in Bremen in der Böttcherstraße/<br />

Ecke Andenkenladen zu bekommen, in Worpswede in der<br />

Buchhandlung Netzel, außerdem liegt er im Philine-Vogeler-<br />

Haus (Tourismus-Info) und dem Barkenhoff aus und ist im Fotoatelier<br />

Dieter Weiser erhältlich, natürlich auch im Verlagshaus<br />

Langenbruch in Lilienthal.<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

in Ausgabe <strong>106</strong> des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s<br />

berichten wir erstmalig über vier<br />

Figuren am Bremer Dom. Obwohl<br />

diese täglich von Tausenden von Passanten<br />

und Touristen beim Anblick des<br />

Doms gesehen werden, fanden sie in<br />

der Fachliteratur bisher keine Beachtung.<br />

Unser Redaktionsmitglied Harald<br />

Steinmann hat Recherchen angestellt<br />

und einige interessante Fakten für<br />

unsere Leser ans Tageslicht gebracht.<br />

Rudolf Matzner hat auf unserer letzten<br />

Redaktionssitzung einen spannenden<br />

Rundgang durch Knoops Park für uns<br />

organisiert. Auf drei Seiten möchten<br />

wir unseren Lesern diesen schönen<br />

Park gerne näher vorstellen, der über<br />

mehrere Herrenhäuser verfügt und auf<br />

dessen Gelände sich einst ein Schloss<br />

befand.<br />

Seit nunmehr 26 Jahren schreibt Helmut<br />

Stelljes erfolgreich am <strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong> mit und hat unzählige<br />

Künstler und Persönlichkeiten porträtiert<br />

und unseren <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

mit tollen Fotos bereichert. Sein Einsatz<br />

von der ersten bis zur vorliegenden<br />

<strong>106</strong>. Ausgabe ist von großer<br />

Bedeutung. Zu seinem 80. Geburtstag<br />

wünscht das Redaktionsteam Helmut<br />

Stelljes alles Gute und bedankt sich für<br />

seinen Fleiß, die Ideen, die Recherchen<br />

und das Gelingen und Wachsen des<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s.<br />

Wir wünschen allen Lesern viel Spaß<br />

beim Lesen und würden uns freuen,<br />

wenn Sie uns Ihre Meinung zum<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> per E-Mail oder<br />

Brief zukommen lassen würden. Wir<br />

möchten gerne wissen, welche Themen<br />

und Regionen Sie besonders<br />

interessieren und was wir ändern sollten.<br />

Gibt es etwas, über das Sie gerne<br />

mehr erfahren möchten?<br />

Für Ihre Aufmerksamkeit bedanke ich<br />

mich.<br />

Tim Wöbbeking<br />

Bauernregeln<br />

Oktober – November – Dezember<br />

Oktober<br />

Durch Oktobermücken<br />

lass dich nicht bedrücken.<br />

Wenn Simon und Judas (28. 10.) vorüber sind,<br />

kommen bald des Winters Frost und Wind.<br />

November<br />

Blüht im November Morgenrot,<br />

dann stets ein langer Regen droht.<br />

Kommt St. Martin (11. 11.) mit Sonnenschein,<br />

folgt ein strenger Winter drein.<br />

Dezember<br />

Kalter Dezember und fruchtbar Jahr<br />

sind vereinigt immerdar.<br />

Bis Weihnachten gibt es Speck und Brot,<br />

nachher kommen Kälte und Not.<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

3


Ein Rundgang durch „Knoops Park“<br />

Rudolf Matzner führte Teilnehmer der Redaktionssitzung durch die historische Grünanlage<br />

Bremen-St. Magnus. Wie bei den vierteljährlichen<br />

Redaktionssitzungen des<br />

„<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>“ üblich, finden die<br />

Zusammenkünfte immer an wechselnden<br />

Orten statt, wo zuvor stets von sachkundigen<br />

Zeitgenossen über Land und Leute der<br />

betreffenden Region berichtet wurde.<br />

Am 27. Juli <strong>2013</strong> tagte das Redaktionsteam<br />

im Vereinsheim der Wassersportabteilung<br />

von „TURA“ am Lesumhafen.<br />

Nichts war willkommener, als vorher einen<br />

Gang durch Knoops Park zu unternehmen,<br />

dem schönsten Park Bremens.<br />

Mit dieser Einleitung möchte ich deutlich<br />

machen, wie sehr diese wertvolle Parkanlage<br />

auch von auswärtigen Besuchern<br />

geschätzt wird. Nach mehreren Führungen<br />

durch Knoops Park war ich bereit,<br />

auch diese Gruppe durch den Park zu<br />

begleiten, zumal ich als Mitarbeiter dem<br />

Redaktionsteam angehöre.<br />

Die Führung begann am „Haus Kränholm“<br />

an der Straße „Auf dem Hohen<br />

Ufer“. Viel gibt es über dieses Haus zu<br />

berichten, das i. J. 1896 in der Nähe des<br />

Bahnhofs St. Magnus im Auftrag von<br />

Baron Ludwig Knoop für seine Tochter<br />

Emilie und deren Ehemann Willi Kulenkampff<br />

im englischen Landhausstil errichtet<br />

wurde.<br />

Treffen des Redaktionsteams am Haus Kränholm<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

Fast alles, was uns auf dem Rundgang<br />

begegnet – mit Ausnahme von „Haus Lesmona“<br />

– ist mit dem Namen Ludwig<br />

Knoop eng verbunden. Ab 1790 gab es im<br />

angrenzenden Lesum sieben nacheinander<br />

zugezogene Familien Kulenkampff,<br />

deren Vorfahre 1663 von Vegesack nach<br />

Bremen auswanderte. Die Einheimischen<br />

sprachen von den Kulenkampffs ihres<br />

Wohlstandes wegen, „das sind die mit der<br />

goldenen Nase“.<br />

Als die in St. Magnus lebende Familie<br />

das „Haus Kränholm“ aufgab, kaufte Bremen<br />

das Anwesen und richtete 1956 in<br />

den Räumen ein Seniorenwohnheim ein.<br />

Der Bau der Schnellstraße, jetzt BAB<br />

270, machte es notwendig, das Haus 1971<br />

abzutragen und am heutigen Standort<br />

1974 wieder aufzubauen. Allerdings<br />

wurde das Untergeschoss aus bautechnischen<br />

Gründen weggelassen, wodurch das<br />

Gesamtbild des Hauses an Wirkung eingebüßt<br />

hat. Der ehemalige Windfang wurde<br />

im Schloss Schönebeck eingepasst und die<br />

mit kunstvollen Schnitzereien versehene<br />

Treppe befindet sich jetzt im Schloss Blomendal<br />

in Blumenthal.<br />

„Haus Kränholm“ mit Untergeschoss in St.<br />

Magnus Maler: Prof. Ernst Müller-Scheeßel<br />

Haus Kränholm heute.<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

Hier am neuen Standort wurden das<br />

Gebäude und das dazugehörende<br />

Gelände von der Gartenbauabteilung des<br />

nordbremischen Bauamtes genutzt. Durch<br />

Zentralisierung der Behörde wurde „Haus<br />

Kränholm“ geräumt und die Zukunft des<br />

Gebäudes blieb lange Zeit fraglich. Es war<br />

ein Glücksfall, dass ein wohlhabender Bremer<br />

Unternehmer bereit war, viel Geld für<br />

den Umbau des Haupthauses, sowie für<br />

die Nebenbauten, aufzubringen. Gleichzeitig<br />

fand er hier eine Stätte, um seine<br />

Kunstsammlung, Skulpturen und Gemälde<br />

wirkungsvoll öffentlich auszustellen.<br />

Aus diesem Ensemble, bestehend aus<br />

„Haus Kränholm“, dem ehemaligen Gärtnerhaus<br />

und die für größere Veranstaltungen<br />

genutzte Scheune, ist seit 2012 ein<br />

Ort der gehobenen Gastronomie geworden.<br />

Dafür wurde der Begriff „Kultur,<br />

Kunst, Kulinarik“ gewählt.<br />

Der Name „Kränholm“ wurde von Ludwig<br />

Knoop in Erinnerung an den Standort<br />

seiner Textil-Fabriken auf der Flussinsel dieses<br />

Namens bei Narva in Estland bestimmt.<br />

Knoop vom Zaren in den<br />

Adelsstand erhoben<br />

In Anerkennung seiner Verdienste wurde<br />

Ludwig Knoop vom russischen Zar Alexander<br />

II anlässlich des 25-jährigen Fabrikjubiläums<br />

in den erblichen Adelsstand zum<br />

Baron erhoben. Es blieb jedoch ohne den<br />

zusätzlichen Titel „von“.<br />

Die zum großen Teil heute noch bewaldeten<br />

Flächen von der Bahnlinie bis zur<br />

Straße „Auf dem Hohen Ufer“ wurden als<br />

Knoops Wald bezeichnet. „Haus Kränholm“<br />

mit den dazugehörigen Gebäuden<br />

befinden sich also an der südwestlichen<br />

Seite des Waldstückes. Der ehemalige<br />

Bahnhof St. Magnus musste 1975 dem<br />

Bau der Schnellstraße in Richtung Vegesack<br />

weichen. 1984 war die Straßenverbindung<br />

fertig. Baron L. Knoop hat sowohl<br />

die in der Nähe ansässige Post – seit<br />

geraumer Zeit außer Betrieb – aber auch<br />

besonders den Bau des Bahnhofs mitfinanziert.<br />

Er war darauf bedacht, dass seine mit<br />

der Eisenbahn anreisenden Gäste vor<br />

einem repräsentativen Bahnhof empfangen<br />

werden, um sie dann in einer Kutsche<br />

zum Schloss bringen zu lassen.<br />

Auf der gegenüberliegenden Seite der<br />

Straße „Auf dem Hohen Ufer“, bei den beiden<br />

Torhäusem, begann unsere eigentliche<br />

Führung durch Knoops Park. In diesem<br />

70 Hektar großen Landschaftsareal sind<br />

7,5 km gut begehbare Wege angelegt.<br />

Schon 1859 begann Ludwig Knoop das<br />

erste Grundstück an der östlichen Seite<br />

von 4 Quadratkilometern Größe zu kaufen,<br />

um sich später hier einen Alterssitz einzurichten.<br />

Das „verrückte“ Dorf<br />

St. Magnus<br />

Und so beginnt die Geschichte über<br />

„das verrückte Dorf St. Magnus“. In der Tat<br />

hat der Baron im Laufe der folgenden Jahre<br />

weiteres Land zugekauft. Die Bauern<br />

Schütte, Mahlstedt und Hashagen wurden<br />

finanziell gut abgefunden, sodass die etwa<br />

28 Gebäude abgetragen und auf der anderen<br />

Straßenseite wieder aufgebaut werden<br />

konnten. So wurde im wahrsten Sinne des<br />

Wortes fast das halbe Dorf verrückt.<br />

4 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Doch zurück zu den beiden Pfortenhäusern<br />

am Parkeingang, deren Zufahrten zur<br />

ehemaligen „Albrechtsburg“ führten.<br />

Diese Häuser, die jeweils im Baustil an ein<br />

Schweizerhaus erinnern, dienten gleichzeitig<br />

als Wohnungen für den Pförtner und<br />

den Hofmeier.<br />

Im oberen Teil des linken Hauses, das<br />

auch als Turmhaus bezeichnet werden<br />

kann, befindet sich noch heute ein großer,<br />

genieteter Wassertank, der fast die<br />

gesamte Geschossfläche einnimmt.<br />

An der äußeren Ostseite des Hauses ist<br />

eine schwarz-weiße Messleiste ersichtlich,<br />

die den Wasserstand des Behälters anzeigt.<br />

Am Wanderweg an der Lesum befindet<br />

sich noch das Pumpenhaus, mit dessen<br />

Hilfe das Lesumwasser in den Behälter<br />

geleitet wurde.<br />

Unser Weg führte uns in die westliche<br />

Richtung zum Rosarium, das von R. A.<br />

Schröder entworfen wurde. Dabei ist auffallend,<br />

dass nur in diesem Bereich an der<br />

Straßenseite ein 1,70 m hoher Metallstaketenzaun<br />

noch vorhanden ist. Das war als<br />

Schutzmaßnahme vorgesehen, als „Haus<br />

Schotteck“ und „Haus Lesmona“ nach<br />

dem 2. Weltkrieg als Lungenheilstätten<br />

dienten.<br />

Am Anfang der zur Lesum führenden<br />

Straße „Am Kapellenberg“ befinden sich<br />

die aufwendig gestalteten Backsteinbauten<br />

als Toreinfahrt mit Pförtnerhaus und<br />

Remise, die zum „Haus Schotteck“ gehörten.<br />

Zeitweise war hier Ende des letzten<br />

Jahrhunderts ein Außenposten des Lesumer<br />

Polizeireviers stationiert. Auf der anderen<br />

Straßenseite „Am Kapellenberg“ lag<br />

hier zu Knoops Zeiten ein umfangreicher,<br />

dem Schloss angegliederter Landwirtschaftsbetrieb.<br />

Unser Weg führte uns zum „Haus Lesmona“.<br />

Dieses schöne Landhaus mit Park<br />

und herrlichem Lesumblick gehörte nicht<br />

zum Knoopschen Anwesen. Erst später,<br />

1939, wurde es nach Übernahme durch<br />

die Gemeinde hinzugefügt. Auch zu diesem<br />

Herrschaftshaus passte ein großes<br />

Wirtschaftsgebäude mit Wohnungen, Pferdestall<br />

und Remise. Im Jahre 1814 wurde<br />

dieses Grundstück von den Brüdern Anton<br />

und Heinrich Walte erworben, die ein klassisches<br />

Landhaus „Die Heinrichsburg“ darauf<br />

erbauen ließen.<br />

Die Gruppe vor Haus Lesmona<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

Stoff für Buch und Film<br />

„Sommer in Lesmona“<br />

1882 kaufte die Bremer Kaufmannsfamilie<br />

Melchers dieses Haus. Hier verbrachte<br />

Magdalene Melchers (1875-1970), Tochter<br />

eines wohlhabenden hanseatischen<br />

Kaufmanns, ihre Sommerzeit bei ihrem<br />

Onkel Herbert Melchers. In jungen Jahren,<br />

1894, traf sie hier ihren englischen Cousin<br />

Percy und es begann eine bezaubernde<br />

Liebesgeschichte, die sie in zahllosen Briefen<br />

ihrer in Bremen lebenden Freundin<br />

und Cousine Bertha Schellhaas mitteilte.<br />

Vierundvierzig Jahre später wurde ein<br />

Briefroman mit dem Titel „Sommer in Lesmona“<br />

daraus, der auch verfilmt und 1951<br />

als Buch veröffentlicht wurde. Die Hauptperson<br />

nannte sich nun Marga Berck.<br />

Das Anwesen wurde, nachdem es im<br />

Besitz der Stadt gelangt war, als Krankenhaus,<br />

danach als Mädchenheim und ab<br />

1955 als Sitz der Gartenbauabteilung des<br />

Bauamtes genutzt. Nach einer Brandstiftung<br />

1980 übernahm das Künstlerehepaar<br />

Birgit und Jürgen Waller den Wiederaufbau<br />

von „Haus Lesmona“ und hat dort eine<br />

Kunstgalerie eingerichtet. Die ehemals<br />

zum Krankenhaus gehörenden Liegehallen<br />

wurden erst i. J. <strong>2013</strong> abgerissen.<br />

Hinweise auf<br />

mittelalterlichen Adelssitz<br />

Auch Haus Schotteck blickt auf eine wechselvolle<br />

Geschichte zurück Foto: Tim Wöbbeking<br />

Es ist zu lesen, dass Carl Melchers an diesem<br />

Platz einen mittelalterlichen Adelssitz<br />

vermutete (Gräfin Emma von Lesum?).<br />

Darüber hinaus soll sich im Keller dieses<br />

Hauses eine Tür befunden haben, die zwar<br />

zugemauert war, aber einen Gang unter<br />

der Anhöhe zur Lesum ermöglicht habe.<br />

Am Admiral-Brommy-Weg wurde am<br />

19. Mai 2001 eine Bronzebüste der Magdalene<br />

Melchers im Beisein von Familienmitgliedern<br />

und zahlreichen offiziellen Vertretern<br />

eingeweiht. Geschaffen hat dieses<br />

Kunstwerk Claus Homfeld.<br />

Bleibt noch zu erwähnen, dass das zum<br />

früheren „Haus Lesmona“ gehörende<br />

Wirtschaftsgebäude bis vor wenigen Jahren<br />

von der Freiwilligen Ortsfeuerwehr<br />

nach einem Brand in Eigenhilfe als die<br />

schönste Feuerwache Bremens hergerichtet<br />

wurde. Durch Rationalisierungsmaßnahmen<br />

ist diese Feuerwehr aufgelöst worden.<br />

In diesem Bereich befand sich vermutlich<br />

die St. Magnus-Kapelle. Nach der<br />

Reformation wurde die Kirche verwüstet<br />

und die aus dem Jahre 1451 stammende<br />

Glocke wurde bei Nacht und Nebel mit<br />

einem „gehörnten Gespann“ nach Bremen-Horn<br />

geschafft. Dort läutet sie noch<br />

heute zum Gottesdienst. So die Überlieferung.<br />

Nach wenigen Schritten standen wir vor<br />

dem „Haus Schotteck“, das Baron Knoop<br />

von 1892 - 1894 für seine Tochter Adele<br />

und seinen Schwiegersohn, dem Bankier<br />

Georg Wolde, erbauen ließ. Der eigenartige<br />

Name soll angeblich darauf zurückzuführen<br />

sein, weil der Hausherr Wolde aus<br />

der Sicht seiner Bediensteten ein äußerst<br />

sparsamer Mann gewesen sei. So habe<br />

man gesagt, er sei geizig wie ein Schotte,<br />

wonach das Haus den Namen „Schotteck“<br />

erhielt. Ob das wohl stimmt? Das Haus ist<br />

in dem für die Jahre um die vorletzte Jahrhundertwende<br />

charakteristischen historischen<br />

Stil erbaut, obwohl R.A. Schröder,<br />

der häufig hier zu Gast war, das Gebäude<br />

als stilloses Haus bezeichnet hat. Oft und<br />

gern haben auch andere Geisteswissenschaftler<br />

die Gastfreundschaft der Familie<br />

Wolde genossen. Nach dem Tode der<br />

Adele Wolde 1932 richteten die damaligen<br />

Machthaber im „Haus Schotteck“ eine<br />

Parteischule ein. Nach dem 2. Weltkrieg<br />

diente dieses Haus mit seinem Park, wie<br />

auch „Haus Lesmona“ als TBC-Heilstätte.<br />

Kurze Zeit danach war hier auch eine<br />

Abteilung der Kinderpsychiatrie untergebracht<br />

und später wohnten im „Haus<br />

Schotteck“ junge behinderte Erwachsene.<br />

Vor wenigen Jahren wurde das Haus<br />

gründlich saniert und hochwertige Eigentumswohnungen<br />

eingerichtet.<br />

Knoop ermöglichte<br />

Bau eines mehrklassigen<br />

Schulgebäudes<br />

Doch kehren wir noch einmal zum Baubeginn<br />

von „Haus Schotteck“ zurück.<br />

Bevor Baron Knoop dieses Grundstück<br />

kaufen konnte, befand sich hier von 1820<br />

- 1885 die einklassige Volksschule des Dorfes<br />

St. Magnus. Knoop wurde sich mit dem<br />

Gemeinderat einig und zahlte die fürstliche<br />

Summe von 30 Ts. Mark für den Bau<br />

eines mehrklassigen Schulhauses in der<br />

heutigen Richthofenstraße. Die neue Bildungsstätte<br />

kostete jedoch nur 19 Ts.<br />

Mark, sodass die Gemeinde noch 11 Ts.<br />

Mark übrig hatte. Die Gemeindeverwaltungen<br />

waren gehalten, den Lehrkräften<br />

einen Mindestlohn zu zahlen. Den Bürgermeistern<br />

blieb es überlassen, je nach Kassenlage,<br />

guten Lehrern eine finanzielle<br />

Zulage zu gewähren.<br />

Schon ein Jahr nach Abriss der alten<br />

Schule konnte am 18. Juni 1886 die neue<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

5


„Albrechtsburg“ in St. Magnus, Ansichtskarte aus<br />

dem Jahre 1931<br />

Lehranstalt feierlich eingeweiht werden.<br />

Nebenbei bemerkt, hatte die Errichtung<br />

der alten Schule nur 1368 Taler gekostet.<br />

Nun hatten wir etwa die Hälfte unseres<br />

Rundganges erreicht und unsere Parkbesucher<br />

zeigten sich noch immer interessiert.<br />

Unweit von „Haus Schotteck“ stand in<br />

östlicher Richtung bis 1950 die sogenannte<br />

„Albrechtsburg“. Das eingangs<br />

erwähnte Torhaus und der Wasserturm<br />

waren also die Zufahrt zu dem Anwesen<br />

der Knoop-Tochter Louise und Ehemann<br />

Georg Albrecht.<br />

Baron Ludwig Knoop war darauf<br />

bedacht, seine Töchter mit Familien in seiner<br />

Nähe zu wissen. Die „Albrechtsburg“<br />

wirkt rein äußerlich wie ein großzügig<br />

gestaltetes Patrizierhaus. „Haus Schotteck“<br />

dagegen hätte man als Schloss oder<br />

Burg mit seinem Turm bezeichnen können.<br />

Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident<br />

Ernst Albrecht war mit den<br />

Bewohnern dieses Hauses verwandtschaftlich<br />

verbunden. Nach Abriss der „Albrechtsburg“<br />

wurde hier in einfacher Bauweise<br />

ein Schwesternwohnheim für das<br />

Personal der Behelfs-Krankenhäuser Schotteck<br />

und Lesmona erbaut. Danach wird es<br />

übergangsweise als Asylanten-Wohnheim<br />

genutzt. Seit längerer Zeit steht das<br />

Gebäude leer und die konträr verlaufenden<br />

Verhandlungen lassen noch keine<br />

Lösung erkennen. Der Gedanke, ein Hotel<br />

an dieser Stelle zu errichten, fand keine<br />

Zustimmung.<br />

Wilhelm Benque<br />

gestaltete Park<br />

Der östliche Teil des Parks mit Hügeln …<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

Dieser Bereich weist einen schönen<br />

Bestand an vielerlei verschiedenen Nadelhölzern<br />

auf. Baron Knoop engagierte den<br />

hochgeschätzten Gartenarchitekten Wilhelm<br />

Benque, der auch den Bremer Bürgerpark<br />

gestaltet hat, um nun in St.<br />

Magnus auf dem Areal um Schloss<br />

Mühlental einen Park nach englischem<br />

Vorbild zu schaffen. Es entstanden Teiche,<br />

Grotten, ein hügeliges Gelände und ein<br />

kleiner Hafen mit Zufahrt zur Lesum. Kaufleute<br />

und Kapitäne brachten Pflanzen aus<br />

fremden Ländern als Geschenke mit. Am<br />

14. Juni 1985 sind im Park rund 90 Bäume<br />

einem Unwetter zum Opfer gefallen, darunter<br />

auch der wahrscheinlich größte<br />

Tulpenbaum. Dieses schlimme Naturereignis<br />

war auch die Geburtsstunde des „Fördervereins<br />

Knoops Park“, der sich seitdem<br />

in vorbildlicher Weise um die Pflege und<br />

Erhaltung dieser einzigartigen Parkanlage<br />

bemüht. Der tiefer liegende zur Lesum<br />

führende Weg „Auf dem Steinberg“ wird<br />

seit 1979 von einer Brücke überquert,<br />

sodass die beiden Parkhälften miteinander<br />

eng verbunden sind.<br />

Die Brücke hinter uns lassend, gelangen<br />

wir auf den nach rechts verlaufenden Weg,<br />

an den beiden Korkbäumen vorbei, zur<br />

Steinberghöhe. Diese Aussichtsplattform<br />

wird von einem Unterbau getragen, der<br />

aus einem großen Nischengewölbe<br />

besteht und einen Grotten-Charakter<br />

erkennen lässt.<br />

Im Winter herrliche<br />

Rodelbahn<br />

So sehr der Park in seiner Gesamtheit als<br />

Landschaftsdenkmal Anerkennung findet,<br />

so bestätigt der östliche Teil mit seinen<br />

Hügeln, Sichtachsen und dem freien Blick<br />

über die Lesum ins Werderland die besondere<br />

Gartenkunst dieser Anlage. Hier<br />

haben Kinder im Winter eine herrliche<br />

Rodelbahn.<br />

Wenige Meter entfernt, erreichten wir<br />

die Jünglingshöhe an der Südseite von<br />

Knoops Park. Der Name geht zurück auf<br />

die 5 aus Sandstein gefertigten Knabenfiguren,<br />

die früher auf der Steinbrüstung an<br />

der Kante gestanden haben.<br />

Einem Bericht des verstorbenen Arztes<br />

Dr. Ernst Schmidtmann zufolge, lag der<br />

Kurze Rast und jede Menge Sehenswertes<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

… und herrlichem Blick übers Werderland<br />

Foto: Tim Wöbbeking<br />

Park in der Zeit um 1935 eingezäunt und<br />

er war öffentlich noch nicht zugänglich.<br />

Die Jungen bemühten sich, die Zäune zu<br />

überwinden und sie empfanden den Park<br />

mit seinem Palmenhaus und seinen<br />

Gewächshäusern wie im Dornröschenschlaf.<br />

Durch Vandalismus ist vieles unwiederbringlich<br />

zerstört worden, so auch die<br />

Jünglingshöhe und die steinerne Brüstung.<br />

Der Zaun und weitere Metallteile wurden<br />

für Kriegszwecke eingeschmolzen. Die<br />

äußere Abgrenzung auf der Jünglingshöhe<br />

wurde mit einem metallenen Schutzgitter<br />

versehen, wobei die Kosten hierfür und für<br />

die untere offene Grottenwand rund 425<br />

Ts. DM gekostet haben. Viele Institutionen<br />

haben sich finanziell daran beteiligt.<br />

Unser Weg führte uns nun zu den 12<br />

Aposteln an der östlichen Parkseite. In ehemals<br />

sichtbarer Schlossnähe stehen heute<br />

noch 12 große, im Carree gepflanzte Lindenbäume.<br />

Unmittelbar daneben befand<br />

sich früher eine aufwendig gestaltete<br />

breite Treppe im italienischen Stil, in der<br />

man ins eigentliche Mühlenthal gelangte.<br />

Im oberen Bereich dieser Treppe beliebte<br />

es die Familie Knoop bei entsprechendem<br />

Wetter hier ihre Teestunde zu genießen.<br />

Übrig geblieben ist von der ganzen Pracht<br />

nur eine alte Ansichtskarte.<br />

Einst Standort von<br />

Schloss Mühlenthal<br />

Damit waren wir auch schon an dem<br />

Standort, wo sich bis 1933 das schöne, im<br />

Tudor-Stil mit einem achteckigen Turm<br />

errichtete Schloss Mühlenthal befand. Es<br />

war dem Wohlstand des Barons Knoop<br />

angemessen, ein Gebäude mit einem<br />

großen Festsaal und ca. 30 Räumen zu<br />

besitzen. Für die Bewirtschaftung von<br />

Schloss und Park wurden etwa 65 Bedienstete<br />

beschäftigt. Ausgeschiedene Mitarbeiter<br />

wurden vorzugsweise aus den eigenen<br />

Familien ersetzt.<br />

Das Schloss wurde in den Jahren 1868<br />

bis 1871 nach den Plänen des Bremer<br />

Architekten Gustav Runge erbaut. Kaisersöhne,<br />

Fürsten, Künstler, Wissenschaftler<br />

und hohe Militärs waren häufig zu Gast im<br />

„Schloss Mühlenthal“ und damit kehren<br />

wir noch einmal zur Jünglingshöhe zurück.<br />

Hier oben stehend soll der Generalfeld-<br />

6 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


„Schloss Mühlenthal“ in St. Magnus, Ansichtskarte<br />

aus dem Jahr 1931<br />

marschall Helmut von Moltke gesagt<br />

haben, dass man von dieser Stelle die Stadt<br />

Bremen gut beschießen könne, das war<br />

1873.<br />

Im Schloss hatte der Baron die Möglichkeit<br />

mit einer eigenen Telegrafenstation<br />

Verbindung mit seinem weit verzweigten<br />

Imperium zu halten. Ebenso besaß er eine<br />

eigene Gasanstalt. Ludwig Knoop war an<br />

rund 200 Unternehmen beteiligt.<br />

Etwas abseits vom Schloss, in Teichnähe,<br />

befanden sich der Pferdestall und die<br />

Remise für die Kutschen. Am früheren<br />

Standort des Schlosses ist auf dem Rasen<br />

der Grundriss des ehemaligen Hauses mit<br />

einer 3-reihigen, 180 m langen Pflastersteinreihe<br />

nachgezeichnet. Die Kosten von<br />

8 Ts. DM wurden vom Förderverein<br />

Knoops Park übernommen.<br />

Vom 2. 3. 1871 bis zum 16. 8. 1894 hat<br />

Baron Knoop in seinem schönen Schloss<br />

gelebt. Hier starb er 73-jährig, 4 Monate<br />

nach dem Tod seiner Frau Louise. Beide<br />

fanden auf dem Waller Friedhof in der<br />

Familiengruft ihre letzte Ruhe.<br />

Knoops 4 Söhne eiferten dem Erfolg<br />

ihres Vaters nach, ohne jedoch sein Format<br />

zu erreichen.<br />

Seit 1910 war „Schloss Mühlenthal“<br />

nicht mehr bewohnt. Die ehemalige Gesellschaftsdame,<br />

Fräulein von Harlem, stellte<br />

zwar stets frische Blumen in die Zimmer,<br />

falls die aushäusigen Angehörigen doch zu<br />

Besuch kämen, doch allein in dem großen<br />

Schloss zu leben, ängstigte sie sehr.<br />

Redaktionssitzung<br />

Bei strahlendem Sonnenschein trafen<br />

sich die Redakteure an einem Parkplatz Am<br />

Hohen Ufer in Lesum. Rudolf Matzner<br />

hatte eingeladen zu einem Spaziergang<br />

durch Knoops Park, eine wunderschöne<br />

und große Naturoase in Bremen-Nord.<br />

Keiner aus der Runde hatte diese Anlage<br />

bisher so wahrgenommen und die Einzelheiten<br />

so genau erklärt bekommen wie an<br />

diesem Nachmittag. In seinem Artikel ab<br />

Seite 4 beschreibt er die Einzelheiten, und<br />

so kann sich auch der Leser ein Bild<br />

Die Oktoberrevolution in Russland und<br />

die Inflation in Deutschland trugen dazu<br />

bei, dass die aufgelaufenen Steuerschulden<br />

und die notwendigen Reparaturkosten<br />

am Haus nicht mehr aufgebracht werden<br />

konnten. Möglicherweise bestand seitens<br />

der Familie wenig Interesse an der<br />

Erhaltung des Anwesens.<br />

Der damalige Bürgermeister Fritz Köster<br />

berichtete in einem schriftlichen Rückblick,<br />

dass das Landgut Mühlenthal unter<br />

Anrechnung der Steuerschulden für 200<br />

Ts. Reichsmark in den Besitz der Gemeinde<br />

Lesum gelangte.<br />

Der Bremer Künstler Claus Homfeld hat<br />

1995 unweit des Schlossteiches eine stehende<br />

Bronzefigur des Barons Ludwig<br />

Knoop geschaffen.<br />

Der Teich, in dem sich das Schloss spiegelte,<br />

ist am Rand mit einer Sitzgelegenheit<br />

ausgestattet, deren Hintergrund aus<br />

einer grottenähnlichen Tuffsteinwand<br />

besteht.<br />

Die beiden an der Straße „Auf dem<br />

Hohen Ufer“ befindlichen Pförtnerhäuser<br />

mit Parkwächter-Wohnungen sind noch<br />

gut erhalten und sie werden auch wieder<br />

Bronzefigur von Ludwig Knoop Foto: Tim Wöbbeking<br />

machen, mit welcher Liebe und Sorgfalt<br />

der Kaufmann Ludwig Knoop ab 1860 dieses<br />

Fleckchen Erde gestaltet hat.<br />

Zur eigentlichen Reaktionssitzung hatte<br />

man das Vereinsheim der Kanuten von<br />

TURA Bremen ausgesucht. Der Rückblick<br />

auf Heft <strong>Nr</strong>. 105 führte zu einer Unterhaltung<br />

über die Länge der Artikel. Doch der<br />

Hinweis auf den um acht Seiten erweiterten<br />

Umfang der Hefte ließ die Kritiker<br />

sofort verstummen.<br />

Horst Plambeck machte noch einmal<br />

deutlich, welche Auswirkungen das Internet<br />

auch auf den <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> hat. So<br />

findet man bei WIKIPEDIA unter „Leberblümchen“<br />

auch den Verweis auf den in<br />

<strong>Nr</strong>. 104 erschienenen Artikel von Hermann<br />

bewohnt. Früher verschlossen große Eisentore<br />

die Zufahrt zum Schloss.<br />

Es wurde vom märchenhaften Aufstieg<br />

eines Bremer Jungen berichtet, der durch<br />

Wagemut und Glück zu Wohlstand und<br />

Ansehen gelangt ist.<br />

Mit diesem Bericht wurde der Versuch<br />

unternommen, die Rundgänge in Knoops<br />

Park nachzuzeichnen. Obwohl der Lebensweg<br />

des Ludwig Knoop nur bruchstückhaft<br />

und unvollständig geblieben ist, so<br />

würde ich mich doch freuen, wenn es<br />

gelungen wäre, die Vergangenheit der<br />

schönen Parkanlage und das Leben der<br />

damaligen Zeitgenossen in die Gegenwart<br />

zu rücken.<br />

Der bereits erwähnte „Förderverein<br />

Knoops Park“, die Stiftung Wohnliche<br />

Stadt, der Ortsamtsbeirat Burg-Lesum, die<br />

Behörde des Bremer Bausenators und zahlreiche<br />

Bürger haben sich finanziell an der<br />

Pflege und Erhaltung der Parkanlage beteiligt.<br />

Den unterschiedlichen Besuchergruppen<br />

danke ich für ihr Interesse und ihre<br />

Geduld.<br />

Rudolf Matzner<br />

Baron Ludwig Knoop<br />

Cordes, „Das Leberblümchen – die<br />

Blume des Jahres <strong>2013</strong>“. Die Tischrunde<br />

bedankte sich beim Kollegen Plambeck<br />

für dessen Zeit und Mühe, die er für den<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> im Internet aufwendet.<br />

Auf unterschiedliche Weise reichten die<br />

Verfasser ihre Artikel für das nächste Heft<br />

ein: USB-Stick und CD lagen auf dem<br />

Tisch, andere senden eine E-Mail an die<br />

Redaktion.<br />

Zur nächsten Redaktionssitzung<br />

trifft sich die Runde am 26. Oktober<br />

<strong>2013</strong> um 15.30 Uhr in der Baracke Wilhelmine<br />

in Neuenkirchen, aus besonderem<br />

Grund wird um verbindliche Anmeldung<br />

bis zum 12. Oktober <strong>2013</strong><br />

gebeten.<br />

Harald Steinmann<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

7


Skulpturen am Bremer Dom<br />

Vier Evangelisten, symbolisch dargestellt, vier Bauhandwerker als Konsolfiguren<br />

Der Bremer Dom soll als Europäisches<br />

Kulturerbe eingestuft werden, die Bewerbung<br />

für dieses Siegel hat der Bremer<br />

Senat auf 30 Seiten bei der Kultusministerkonferenz<br />

eingereicht. Unter diesem<br />

Gesichtspunkt wird der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

unseren Dom genauer in Augenschein<br />

nehmen.<br />

Betritt man den Bremer Dom,… – Wer<br />

über vier wunderschöne und aussagekräftige<br />

Skulpturen als Schmuck dieses Baudenkmals<br />

berichten möchte, der ist schon<br />

einige Schritte zu weit gegangen! Denn an<br />

der Schauseite des Doms, ab einer Höhe<br />

von ca. 12 m, rund um die Fensterrosette,<br />

die selbst einen Durchmesser von ca. 8 m<br />

hat, sieht man vier Skulpturen, deren<br />

Schönheit und Vielfältigkeit erst mit dem<br />

Fernglas deutlich wird. Man muss den<br />

Kopf schon in den Nacken legen, um in<br />

den Figuren die Symbole der vier Evangelisten<br />

zu erkennen. Jeder trägt sein von ihm<br />

verfasstes Evangelium in Buchform bei sich<br />

und ist „beflügelt“.<br />

Kaum beachtet<br />

Matthäus, Apostel, wird als „Mensch“ dargestellt.<br />

- Unter der Konsole: Der Steinmetz<br />

Nach der Ausarbeitung über die Skulpturen<br />

am Rathaus (<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> <strong>Nr</strong>.<br />

102) bietet sich die Gelegenheit, diese hervorragend<br />

gefertigte Figurengruppe unseren<br />

Lesern vorzustellen. Vor dem Beginn<br />

des Artikels ist eine gründliche Recherche<br />

zum Thema und zu den Einzelheiten erforderlich,<br />

so auch in diesem Fall. Doch trotz<br />

eingehender Suche konnte keine Quelle<br />

ausfindig gemacht werden, die sich bereits<br />

mit diesem Werk beschäftigt hat. So blieb<br />

nur das Dommuseum und hier die Leiterin,<br />

Frau Dr. Weyh. Doch auch sie musste feststellen,<br />

dass es bisher keine Erklärung oder<br />

Magisterarbeit zum Thema gab. So bleibt<br />

nur ein völliger Neuanfang, der natürlich<br />

auf sehr dünnem Eis gebaut ist, eine Herausforderung.<br />

- Trotz gründlicher Suche<br />

konnte keine ähnliche Arbeit eines Bildhauers<br />

in unserem Bereich nachgewiesen<br />

werden.<br />

Es werden zwei unterschiedliche Formen<br />

für die Anordnung der Symbolfiguren<br />

aufgezeigt. Das Bremer Modell, wie man<br />

es z.B. bei der Kathedrale von Chartres<br />

[Frankreich] findet, sieht so aus:<br />

Johannes, ebenfalls Apostel, der „Adler“. - Unter<br />

ihm: Der Schmied<br />

Mensch<br />

Adler<br />

Markus, der sein Material von Petrus bekam, ist<br />

der „Löwe“. - Konsolfigur: Der Baumeister<br />

Löwe<br />

Stier<br />

Lukas, Arzt und Begleiter des Apostel Paulus, der<br />

„Stier“. - Darunter: Der Zimmermann<br />

8 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


[Die Sinnbilder der Evangelisten sind auf<br />

folgende biblische Bücher zurückzuführen:<br />

Ezechiel 1, 5 ff. und Offenbarung des<br />

Johannes (Apokalypse des Johannes) 4.6<br />

ff.]. Die Autoren der vier Evangelien<br />

beschrieben das Leben Jesu Christi, wie wir<br />

es im Neuen Testament nachlesen können.<br />

Wir legen unser Augenmerk auf die Konsolen,<br />

deren Ausführung denen unter den<br />

Skulpturen am Rathaus verblüffend ähnelt,<br />

jedoch eine Auswahl der am Bau beteiligten<br />

Handwerker zeigt. Drei der Konsolfiguren<br />

sind schnell und eindeutig an ihrem<br />

Werkzeug zu erkennen und einem Beruf<br />

aus der Baubranche zuzuordnen: Markus<br />

der Löwe mit dem Baumeister [Setzwaage,<br />

historischer Vorläufer der Wasserwaage];<br />

Matthäus der Mensch und der Steinmetz<br />

[Hammer und Meißel]; Johannes als Adler<br />

hat den Schmied unter sich [Zange und<br />

Hammer]; Lukas der Stier, er bereitete die<br />

größten Schwierigkeiten. Eine Beilaxt, die<br />

im Mittelalter der Zimmermann benutzte,<br />

wurde erst nach mehreren Versuchen<br />

erkannt. - Es sind naturgetreue Abbilder,<br />

mit denen der Bildhauer die am Bau beteiligten<br />

Handwerker ehrt. Stehen die Skulpturen<br />

wirklich im Mittelpunkt des Interesses,<br />

sind es die Konsolfiguren, die rätseln<br />

lassen?<br />

Vor 600 Jahren …<br />

Zum Alter der Skulpturen kann man<br />

zuerst die Feststellung treffen, dass sie in<br />

einer Zeit gefertigt wurden, als der Dom<br />

noch katholisch geführt wurde. Die vier<br />

Evangelisten in symbolischer Form darzustellen,<br />

passt nicht zum evangelischen<br />

Glauben. Die Reformation begann in Bremen<br />

im Jahre 1522 mit dem Besuch des<br />

Reformators Heinrich von Zütphen, dessen<br />

Rede vom Erzbischof stark kritisiert wurde.<br />

Ab 1524 wurden neben den katholischen<br />

Priestern an den Pfarrkirchen evangelische<br />

Prediger eingesetzt. Somit muss man feststellen,<br />

dass die Schaffung der vier Evangelisten<br />

vor dieser Zeit liegen muss. Denn<br />

solch ein Werk wäre von der Domfabrik<br />

nach der Reformation wohl kaum in Auftrag<br />

gegeben worden. Diese Annahme<br />

wird auch durch die Datierung von Kunstwerken<br />

zum Thema „Evangelisten in symbolischer<br />

Form“ untermauert.<br />

Emil Waldmann weist in seinem Buch<br />

„Die gotischen Skulpturen am Rathaus zu<br />

Bremen und ihr Zusammenhang mit kölnischer<br />

Kunst, 1908“ in einer Fußnote auf S.<br />

6 auf folgende Besonderheit hin: „Auch die<br />

Zahl der Standbilder war ursprünglich<br />

größer als heute. Es findet sich im Rechnungsbuch<br />

ein weiterer Posten für weitere<br />

vier Statuen (p.69. Z. 1), die vermutlich an<br />

der (nördlichen) Rückseite aufgestellt und<br />

wahrscheinlich ebenfalls von Meister<br />

Johannes gearbeitet waren. Aber es fehlt<br />

von ihnen jede Spur, literarisch weiß man<br />

sonst nichts von Ihnen, eine alte Abbildung<br />

von dieser Seite des Rathauses ist<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

Dom um 1910<br />

nicht bekannt, und so mögen sie im Lauf<br />

unserer Untersuchung übergangen werden.“<br />

– Übersetzt aus dem Rechnungsbuch<br />

Rathaus [Auszug]:<br />

„Von den 4 Bildern, die wir Hanse<br />

[Johannes] abkauften. Dem Hanse dem<br />

Bildhauer 92 Gulden für Bilder, Baldachin<br />

und Sockel, für jedes Bild 23 Gulden samt<br />

dem Zubehör.“<br />

In der Übersetzung zu diesem Text sind<br />

folgende Bemerkungen auffällig: „Das vorliegende<br />

Konto redet insbesondere von 4<br />

Steinbildern die Meister Johannes allein<br />

beschaffte; ihr Preis ist dem vorstehenden<br />

16 gleich. Es wurde dafür ein besonderer<br />

(oder mehr!?) Stein gebraucht, und scheint<br />

Meister Johannes zum dritten Male wegen<br />

Graustein fort gewesen zu sein. Auch hier<br />

ist keine Rede davon, wo derselbe gekauft<br />

und was er gekostet; nur der Transport<br />

vom Schiffe zur Werkstatt wird erwähnt.“<br />

Vier Skulpturen<br />

verschwunden<br />

Bild: Focke-Museum<br />

Man darf der so getroffenen Aussage<br />

entnehmen, dass diese 4 Skulpturen nicht<br />

von vornherein geplant waren! Denn das<br />

Heranschaffen des Materials war sehr zeitaufwendig,<br />

und Meister Johannes hätte<br />

die für diese 4 Skulpturen erforderliche<br />

Menge Stein mit seiner Erfahrung sicher<br />

beim vorherigen Kauf einschätzen können.<br />

Da der Einzelpreis der vier Skulpturen<br />

exakt dem der bereits gelieferten 16 „Bilder“<br />

entspricht, darf man davon ausgehen,<br />

dass Größe und Ausstattung aller<br />

Figuren in etwa gleich ist. Kommt man auf<br />

Emil Waldmann zurück, so ist verblüffend,<br />

dass diese am Dom befindliche Gruppe der<br />

vier Evangelisten von der Anzahl der Figuren<br />

genau der als verlustig angesehenen<br />

entspricht, die nicht aufzufinden sind.<br />

Doch Waldmann äußert auch den Verdacht,<br />

dass diese Skulpturen eventuell an<br />

der Rückseite des alten Rathauses bis zum<br />

Bau des neuen Rathauses angebracht<br />

waren. Die Planung des neuen Rathauses<br />

fällt in die Zeit ab 1898, die Arbeiten am<br />

Dom werden ab 1889 verwirklicht. Auf<br />

dem Entwurf von Max Salzmann sind die<br />

Skulpturen nicht zu finden, waren also<br />

nicht eingeplant. Auf einem Foto [Ausschnitt]<br />

um 1910 sind die 4 Evangelisten<br />

zu sehen, tragen aber bereits eine deutlich<br />

erkennbare Schicht dunkler Patina.<br />

Die genaue Betrachtung der Fotos der<br />

Dom-Schauseite fordert sofort einen Vergleich<br />

mit den Skulpturen und Konsolen<br />

am Rathaus heraus! Doch nur ein Zentimeter<br />

genauer Vergleich der Konsolplatten<br />

in Form eines begonnenen Achtecks<br />

könnte ein weiteres Indiz liefern, dass es<br />

sich um einen Bildhauer handelt, nämlich<br />

Meister Johannes, der sowohl die Skulpturen<br />

vom Rathaus als auch am Dom<br />

geschaffen hat.<br />

Diese neuen Erkenntnisse stellen eine<br />

Herausforderung für Studenten und deren<br />

Professoren der Bremer Hochschule für<br />

Kunst sowie der Bremer Universität dar,<br />

selbstverständlich bleibt der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong><br />

an diesem spannenden Thema dran.<br />

- Beim Nachschauen, vergessen Sie bitte<br />

Ihr Fernglas nicht!<br />

Text und Fotos: Harald Steinmann<br />

„Landschaft Worpswede 2014“<br />

Frisch gedruckt kommt der Kalender<br />

„Landschaft Worpswede 2014“ von<br />

Horst Wöbbeking im Oktober in den<br />

Buchhandel. Mit 13 neuen Fotografien<br />

des Worpsweder Fotografen zeigt der<br />

Kalender die vielseitige Landschaft um<br />

Worpswede und das Teufelsmoor. Im Format<br />

45 x 50 cm ist so ein Landschaftsporträt<br />

entstanden, welches den Charme<br />

der Region zu allen Jahreszeiten zeigt.<br />

Erhältlich im Buchhandel und bei<br />

Horst Wöbbeking, Tel.: 04792 / 952148.<br />

9


Die alte Klostermühle in Lilienthal<br />

Auch in Lilienthal klapperte einst die Mühle am rauschenden Bach<br />

Lilienthal. Es war die alte Kloster-Wassermühle<br />

des von 1262 bis 1651 in Lilienthal<br />

beheimateten Zisterzienser Nonnenklosters<br />

„Vallis Liliorum“, die noch,<br />

wenn auch in verändertem Aussehen, bis<br />

1951 die Wasserkraft der Wörpe nutzte, um<br />

anfangs für das Kloster und die Meierhöfe<br />

sowie später, nach der Säkularisation und<br />

Auflösung des Mahlzwangs, für die Bauern<br />

der Umgebung das Getreide zu mahlen.<br />

Obwohl der Umlaufs-Kanal, ein Teilstück<br />

des heutigen Verlaufs der Wörpe durch Lilienthal,<br />

mit den Klappstaus zur Erleichterung<br />

der Torfschifffahrt, bereits 1851<br />

angelegt wurde, so floss bis 1964 immer<br />

noch ein Teilstück des zur Klosterzeit<br />

gegrabenen Wörpearms, an dem auch das<br />

große Mühlrad klapperte, zwischen dem<br />

früheren Murken`schen Wirtshaus „Stadt<br />

Bremen“ und dem früheren Amtshaus,<br />

dem heutigen Rathaus an der Klosterstraße,<br />

hindurch.<br />

Heute erinnert nur noch der „Mühlenweg“<br />

und der Weg „Am Mühlenbach“ an<br />

den früheren Verlauf der Wörpe und an die<br />

Idylle vergangener Zeiten.<br />

Leider ist aus der Klosterzeit nur wenig<br />

Schriftgut über die alte Klostermühle überliefert,<br />

sodass nicht nachweisbar ist, wann<br />

eine derartige Mühle errichtet wurde. Es ist<br />

jedoch anzunehmen, dass wohl aus der<br />

Notwendigkeit heraus bereits beim Bau<br />

der Klostergebäude in Lilienthal auch eine<br />

durch Naturkräfte angetriebene Getreidemühle<br />

vorgesehen war, um den großen<br />

Klosterhaushalt mit all seinen Bediensteten<br />

sowie der eigenen Vieh- und Ackerwirtschaft<br />

den notwendigen Lebensunterhalt<br />

zu bieten. Somit steht auch wohl zweifelsfrei<br />

fest, dass es sich bei der alten Wassermühle<br />

in Lilienthal, die 1951 von der Wasserkraft<br />

auf elektrischen Betrieb umgestellt<br />

und 1975 gänzlich abgerissen wurde,<br />

tatsächlich noch um ein unwiederbringliches<br />

historisches Denkmal aus der Klosterzeit<br />

Lilienthals handelte.<br />

Wie bei vielen alten Wassermühlen mit<br />

geringerem Wassergefälle, so wurde auch<br />

diese Mühle durch ein mittelschlächtiges<br />

Wasserrad angetrieben. Dabei fließt das<br />

Wasser in einer Art Kanalführung nahezu<br />

mittig auf das Wasserrad und setzt es<br />

damit über die häufig aus Holz am Umfang<br />

angebrachten Schaufeln in Bewegung. Die<br />

Obrigkeit zu Lilienthal und dem dortigen<br />

Müller Philipp Arps, dessen Vorgänger Peter<br />

Meyer gewesen war, geschlossen, in dem sich<br />

„Ihro Hochfürstliche Durchlaucht“ – die<br />

Landgräfin Eleonora Katharina von Hessen-<br />

Eschwege, welche vom 17. Februar 1651 bis<br />

zum 3. März 1692 die Landesherrin von Lilienthal<br />

war - verpflichtete die Mühle, welche<br />

nur einen „Gründel“ / Mahlgang hatte, aus<br />

den Amtsmitteln „in gutem baulichen<br />

Stande“ zu erhalten, sie mit guten Mühlsteinen<br />

zu versehen, auch den „Mühlenstrom“<br />

durch die „Amtsmeyer“ zu rechter Zeit reinigen<br />

zu lassen und dem Müller zu gewähren,<br />

daß er zwei Kühe im Sommer frei in der<br />

Klosterweide und im Winter auf dem Stall des<br />

Vorwerks haben dürfe, sowie außerdem, daß<br />

ihm etwas Torf zu nothdürftiger Feuerung<br />

gereicht werde, dieses Alles aber auch noch<br />

neben dem ihm ebenfalls zukommenden<br />

freien Aalfang. Dafür habe der Müller Philipp<br />

Arps eine jährliche Pacht von „Einhundert<br />

und Sechzig Reichsthalern“ jeweils vierteljährlich<br />

zu Ostern, Johanni, Michaeli und<br />

Weihnachten zu pränumerieren, d.h. im voraus<br />

zu zahlen. Weiterhin habe der Müller alle<br />

an Driften, Kammrad, Gründel und anderen<br />

Teilen der Mühle anfallenden Arbeiten selber<br />

ohne Entgeld zu rechter Zeit zu besorgen.“<br />

Klostermühle vor 1908<br />

Kanalführung soll verhindern, dass das<br />

Wasser seitlich und unterhalb des Rades<br />

unkontrolliert abfließt, damit auch die<br />

größtmöglichste Leistung des Wasserstroms<br />

genutzt werden kann.<br />

Nach dem 30-jährigen Krieg 1648 wurden<br />

die Klöster mit allem Zubehör säkularisiert,<br />

d.h. verstaatlicht. Damit hatte<br />

der Staat auch alle Vorrechte der<br />

Klöster auf sich übertragen lassen.<br />

In einem Artikel der WÜMME-Zeitung<br />

vom September 1883 heißt es: „In den heiligen<br />

Ostern von 1689“ wurde ein Heuervertrag/Pachtvertrag,<br />

betreff der Mühle, zwischen<br />

dem Amtmann Thile, als Vertreter der<br />

Mühle in Lilienthal war<br />

Nutznießerin der Wörpe<br />

Bis zum Jahre 1751 war die Wassermühle<br />

in Lilienthal ohne besondere Auflagen<br />

die unumschränkte Nutznießerin der<br />

Wörpe. Erst mit der Gründung weiterer<br />

Moordörfer und der dazu notwendigen<br />

Entwässerung und Kultivierung der Moore<br />

wurde dem Müller, als Gegenleistung zur<br />

Wasserkraftnutzung, die Pflicht auferlegt,<br />

den jeweiligen Wasserstand der Oberwörpe<br />

durch Ziehen oder Setzen der<br />

Mühlenschotte zu regulieren. Bis 1851<br />

bestand für die Kahnschifffahrt, die auch<br />

mit der Besiedlung weiterer Moordörfer<br />

zugenommen hatte, der sogenannte<br />

„Overtog“ bei der Mühle. Eine Einrichtung,<br />

über die die Kähne hinüberrutsch-<br />

10 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


ten, wenn sie von der Oberwörpe kommend<br />

in die Unterwörpe fuhren, oder<br />

umgekehrt, mit großem Aufwand durch<br />

Pferdekraft wieder heraufgezogen werden<br />

mussten, wenn die Fahrt flussaufwärts verlief.<br />

Der „Overtog“ wurde durch den<br />

Schleifbaum, auf dem der von der Oberwörpe<br />

kommende Kahn aufsetzte, durch<br />

ein Pfahlbauwerk gehalten. Ein Lehmbelag<br />

auf dem Schleifbaum ermöglichte dann<br />

das Hinübergleiten der häufig schwer beladenen<br />

Kähne. Balancierte der Kahn auf<br />

dem Kamm des „Overtogs“, stand er auf<br />

einer Wippe und rutschte dann auf der<br />

Böschung des „Overtogs“ in die bis zu<br />

2 bis 3 Meter tiefer liegende Unterwörpe.<br />

Dabei passierte es häufig genug, dass der<br />

Kahn unkontrolliert herunterrutschte und<br />

nur mit Hilfe des Schiffers, ohne Schaden<br />

zu nehmen, durch einen der beiden Bögen<br />

der alten Klosterbrücke gesteuert werden<br />

konnte; oder schlimmstenfalls das<br />

Brückenmauerwerk rammte. Auf dem<br />

Rückweg musste der Kahn dann von Pferden<br />

über den „Overtog“ stromaufwärts<br />

gezogen werden.<br />

Umsetzen der Kähne war<br />

eine gute Einnahmequelle<br />

Für den Gastwirt Georg Murken, der die<br />

Pferde und den Schifferknecht stellte, war<br />

das eine gute Einnahmequelle, denn für<br />

jeden stromaufwärts fahrenden Kahn<br />

erhielt er einen Bremer Groten. Er hatte<br />

allerdings davon jährlich 330 Taler in Gold<br />

an die Schifffahrtsinteressenkasse zu zahlen.<br />

Dennoch muss es wohl, bei der Vielzahl<br />

der Kahnfahrten, ein gutes Geschäft<br />

gewesen sein. Dieser „Overtog-Betrieb“,<br />

der dem Müller auch zusätzliche Verpflichtungen<br />

auferlegte, wurde nach der Einweihung<br />

des Umlaufs-Kanals am 1. März 1851<br />

nicht mehr benutzt. Er wurde, auch wenn<br />

die Moorbauern anfangs gegen den Bau<br />

des Umlaufkanals gestimmt hatten, stillgelegt<br />

und verfiel so nach und nach. Für den<br />

Müller oder genauer für den Staumeister<br />

bestand jedoch nach wie vor die Verpflichtung,<br />

die Wörpe zu regulieren und bei<br />

Niedrigwasser die Mühle sogar stillzulegen,<br />

um die Kahnschifffahrt aufrechtzuerhalten<br />

oder im umgekehrten Fall einer<br />

Überschwemmung vorzubeugen.<br />

Für die Meierhöfe des ehemaligen<br />

Klosters aus dem Kirchspiel St. Jürgen und<br />

den Ortschaften Trupe, Feldhausen,<br />

Hoege, Falkenberg, Lilienthal, Butendiek,<br />

Truperdeich, Moorhausen, Trupermoor<br />

und Klostermoor bestand noch bis 1855<br />

ein Mahlzwang. Erst danach war ein Freikauf<br />

von dem Mahlzwang durch Zahlung<br />

einer festgesetzten Ablössumme möglich.<br />

Wie aus einer Anekdote hervorgeht, soll<br />

nach althergebrachter Weise den von weither<br />

kommenden Bauern, wenn sie ihr Korn<br />

zum Mahlen brachten, zur Erquickung<br />

nach dem langen Weg, durch ein kleines<br />

Fenster in der Mühlenwand, sogar ein<br />

Schnaps und ein Hering gereicht worden<br />

sein.<br />

1858 wurde die Mühle, die bis dahin fiskalisch<br />

betrieben wurde, an den Müller J.F.<br />

Klostermühle Gesamtansicht<br />

Maas aus Lilienthal für 36 000 Mark mit<br />

allen Rechten und Pflichten verkauft.<br />

Wasserrad mit<br />

6,5 m Durchmesser<br />

Wie ebenfalls in der Wümme-Zeitung<br />

vom Oktober 1897 zu lesen ist, erfolgte im<br />

Sommer und Herbst des betreffenden Jahres<br />

ein größerer Umbau der alten Wassermühle.<br />

Das alte Wasserrad, das über Jahrhunderte<br />

die Mühle angetrieben hatte,<br />

wurde nach dem zur damaligen Zeit letzten<br />

Stand der Technik gegen ein neues<br />

eisernes mittelschlächtiges Wasserrad von<br />

6,50 Meter Durchmesser und 1,50 Meter<br />

Breite mit 48 Schaufeln ausgetauscht. Der<br />

Radstuhl und das Gehäuse sind dabei neu<br />

in Beton und Stein ausgeführt worden.<br />

Auch das innere Mühlengetriebe wurde<br />

nahezu vollständig erneuert. Das Hauptgebäude<br />

ist hingegen im Äußeren erhalten<br />

geblieben.<br />

Nach der Berechnung soll nach dem<br />

Umbau die jährliche Nutzleistung, abhängig<br />

von dem jeweiligen Wasserstand / 6<br />

Monate 20,6 PS, 5 Monate 16 PS und<br />

einen Monat 12 PS / hochgerechnet ca.<br />

114 000 Kilowattstunden/Jahr betragen.<br />

Postkartenausschnitt 1906<br />

Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob<br />

die Mühle um 1900 einzig und allein nur<br />

durch die Wasserkraft angetrieben wurde,<br />

denn im Briefkopf des Müllers J.F. Maas<br />

steht u.a. „Wasser- und Dampfmühle“.<br />

Und in dem Ausschnitt einer Postkarte<br />

von 1906 ist dazu noch ein Maschinenhaus<br />

und ein höherer Schornstein auf dem<br />

Mühlengrundstück zu sehen, der erst später<br />

abgetragen wurde.<br />

Klostermühle D. Murken<br />

Im Jahre 1910 erwarb der spätere<br />

Gemeindevorsteher und Bürgermeister,<br />

Zimmermannsmeister Dietrich Murken,<br />

die Mühle, mit ebenfalls allen noch bestehenden<br />

Rechten und Pflichten, für<br />

115 000 Mark. Wann nach der Übernahme<br />

der Mühle durch Dietrich Murken der<br />

Umbau des Mühlengebäudes mit dem<br />

angrenzenden Wohngebäude vorgenommen<br />

wurde, ist nicht bekannt. Nach verschiedenen<br />

vorliegenden Fotos könnte der<br />

Umbau um 1920 erfolgt sein.<br />

1951 Umbau zur elektrisch<br />

betriebenen Motormühle<br />

Bis 1945 wurde die Mühle durch Dietrich<br />

Murken mit Fremdhilfe betrieben.<br />

Danach übernahm der durch die Wirren des<br />

Krieges aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten<br />

nach Lilienthal vertriebene Müllermeister<br />

Walter Dittmer als Pächter bis 1957<br />

den Mühlenbetrieb. Durch die zunehmende<br />

Industrialisierung, die besonders<br />

den kleineren älteren Mühlenbetrieben die<br />

Existenzgrundlage nahm, erfolgte 1951<br />

durch Diedrich Murken der Umbau von der<br />

Wassermühle zu einer elektrisch betriebenen<br />

Motormühle. Dabei wurde die alte<br />

Mühle nahezu vollständig entkernt, das<br />

Gebäude aufgestockt und die Betriebseinrichtungen<br />

so modernisiert, dass aus der<br />

alten Kloster-Wassermühle, wenn auch nur<br />

für kurze Zeit, eine der fortschrittlichsten<br />

Mühlen weit und breit wurde. Auch der<br />

große, alte Generator, der zum späteren<br />

Zeitpunkt über viele Jahre in Verbindung<br />

mit dem Wasserantrieb von 20 bis 25 PS die<br />

Mühle und anfangs noch weitere in der<br />

näheren Umgebung liegende Betriebe mit<br />

Strom versorgte, hatte ausgedient und<br />

wurde entfernt. Über 3 Stockwerke sowie<br />

dem Erdgeschoss erstreckte sich nun die<br />

gesamte Mühlentechnik. Der Müllermeister<br />

und seine Gehilfen waren nun mehr<br />

oder weniger nur noch Kontrolleure der<br />

ganzen Apparatur. Wo früher Säcke treppauf<br />

und treppab geschleppt wurden, übernahmen<br />

nach der Modernisierung große<br />

und weit verzweigte Fördereinrichtungen<br />

nahezu automatisch den Betrieb. Dennoch<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

11


Klostermühle nach dem Umbau 1951<br />

war der Arbeitsanfall durch den schnelleren<br />

Durchlauf bei der Verarbeitung der verschiedenen<br />

Getreidesorten und durch die<br />

Vielfalt der Mühlenprodukte erheblich<br />

mehr geworden.<br />

Ab 1957 übernahm der Müllermeister<br />

Heinz Murken, ein Enkel von Dietrich Murken,<br />

den Betrieb. Leider nur für einige<br />

Jahre, denn der Konkurrenzdruck durch<br />

die Großbetriebe war härter geworden<br />

und ließ, auch nach der Modernisierung<br />

des Mühlenbetriebes, ein wirtschaftliches<br />

Führen des kleineren Lilienthaler Mühlenbetriebes<br />

kaum noch zu. Was letztendlich<br />

auch dazu führte, um einen Zusammenbruch<br />

zu verhindern, den Mühlenbetrieb<br />

bereits 1970 gänzlich stillzulegen und die<br />

Mühlengebäude 1975, nach dem Verkauf,<br />

vollständig abzureißen.<br />

Auch das Teilstück der Wörpe, der<br />

Mühlengraben, an dem sich über nahezu<br />

750 Jahre das große Mühlenrad drehte,<br />

wurde 1964 im Rahmen der Wörperegulierung<br />

zugeschüttet. Und der frühere<br />

Umlaufs-Kanal, über den schon seit 1851<br />

die gesamte Wörpeschifffahrt verlief, ist<br />

jetzt ein Teilstück des Wörpeflusses durch<br />

Lilienthal. Mit diesen Veränderungen war<br />

die über Jahrhunderte bestehende<br />

Mühlenromantik auch für Lilienthal für<br />

immer verloren gegangen.<br />

Was heute bleibt, ist nur noch die Erinnerung<br />

an die<br />

„Einst in Lilienthal klappernde Mühle am<br />

rauschenden Bach,<br />

Und an den Müller, der bei Tag und bei<br />

Nacht stets wach.<br />

Er mahlte das Korn uns zu kräftigem Brot,<br />

und haben wir solches, so haben wir keine<br />

Not.“<br />

Fotos: Archiv <strong>Heimat</strong>verein Lilienthal<br />

Text: Rupprecht Knoop<br />

Grasberger Industriearchitektur<br />

– auf Leinwand festgehalten von Heide Banck<br />

Fast vergessen ist die Zeit, als die Wörpedorfer<br />

Mühle in Grasberg das Ortsbild<br />

prägte. Kaum ansehnlich, mit Spuren der<br />

Zeit und riesengroß ist das Gebäude gewesen,<br />

das auf seltsame Weise immer wieder<br />

die Betrachter in seinen Bann gezogen hat.<br />

Während der Wartezeiten an der damals<br />

noch vorhandenen Ampelkreuzung von<br />

vielen Autofahrern immer wieder mit dem<br />

Auge „abgegrast“, bot die Mühle den<br />

Betrachtern immer wieder neue Details.<br />

Besonders angetan von dem üppigen<br />

Bauwerk ist nach wie vor die in Grasberg<br />

lebende Malerin Heide Banck, welche die<br />

letzten Tage des Kolosses fotografisch und<br />

auf Leinwand festgehalten hat. So entstand<br />

eine interessante Sammlung von Kunstwerken<br />

auf Leinwand und Fotopapier, die hierzulande<br />

nur selten anzutreffen ist, während<br />

sich amerikanische und englische Künstler<br />

schon länger von der Industriearchitektur<br />

inspirieren lassen und diese in ihren Werken<br />

festhalten.<br />

Tim Wöbbeking<br />

12 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Die Wörpedorfer Mühle<br />

Ein Grasberger Wahrzeichen, das mittlerweile der Vergangenheit angehört<br />

Grasberg. Man kann darüber streiten, ob<br />

es nun schöne oder hässliche oder einfach<br />

nur einem bestimmten Zweck dienende<br />

funktionelle Industriebauten waren. Aber sie<br />

waren immerhin über einhundert Jahre lang<br />

am Ortseingang von Grasberg ein nicht zu<br />

übersehendes Wahrzeichen, dieser Komplex<br />

aus Silos und Mühlengebäuden, der einfach<br />

zum Ortsbild gehörte. Für die Grasbergerin<br />

Heide Banck war denn auch der Abriss im<br />

Jahre 2011 ein Anlass, zu Fotoapparat und<br />

Pinsel zu greifen und ein wenig davon im Bild<br />

festzuhalten, vor allem auch Details, die so<br />

nicht immer für jedermann sichtbar waren.<br />

Die lange Geschichte der Mühle begann<br />

im Jahre 1904, als der Großvater von Hermann<br />

Gieschen, dem heutigen Besitzer, aus<br />

einer Konkursmasse ein altes Mühlengebäude<br />

kaufte und damit den Grundstein für<br />

ein stetig wachsendes Geschäft legte: die<br />

Versorgung der im Umland von Grasberg<br />

lebenden und arbeitenden Bauern mit Futtermitteln<br />

vor allem für die Schweinemast.<br />

Schon in den ersten Jahrzehnten nach der Firmengründung<br />

nahm dieser Handel mit Futtermitteln<br />

und dann auch mit Getreide und<br />

später dazu Düngemitteln, Holz und Kohlen<br />

stetig zu. Bereits im Jahre 1925 bekam die<br />

Mühle einen eigenen Gleisanschluss der<br />

Jahn-Reiners-Bahn, um die bis dahin mit<br />

Pferd und Wagen im Bremer Hafen angelandeten<br />

Produkte anzuliefern. Die Weltwirtschaftskrise<br />

wurde gut überstanden.<br />

Nach dem Tod des ersten Firmeninhabers<br />

übernahm sein Sohn Heinrich Gieschen die<br />

Firma und baute sie weiter aus. Im Jahre 1936<br />

baute er den ersten Getreidesilo, mit einem<br />

für damalige Verhältnisse enorm großen Fassungsvermögen<br />

von 400 Tonnen.<br />

1954 starb Heinrich Gieschen und nach<br />

einer Interimszeit von vier Jahren, in der seine<br />

erst achtzehnjährige Tochter den Betrieb lei-<br />

Eine der letzten Aufnahmen von der Grasberger Mühle kurz vor dem Abriss<br />

tete, übernahm dann nach beendeter Ausbildung<br />

als Müller sein Sohn Hermann den<br />

Betrieb. 1962 gab er das Feinmehlgeschäft<br />

auf und widmete sich von da an ausschließlich<br />

der Produktion von Futtermitteln, vor allem<br />

inhaltsvollem Kraftfutter. Die Entwicklung in<br />

der Landwirtschaft machte dies erforderlich,<br />

da außer Schweinemast in zunehmendem<br />

Maße Milchwirtschaft betrieben wurde.<br />

1962 weitete Gieschen sein Angebot für<br />

die Landwirtschaft durch den Bau einer<br />

hochmodernen Getreidetrocknungsanlage<br />

weiter aus und wurde dadurch auch für Kunden<br />

aus dem weiteren Umkreis bis Rotenburg<br />

und Hambergen interessant. Etwa zehn<br />

Jahre später erfolgte dann der Zusammenschluss<br />

mit weiteren privaten Futtermittelanbietern,<br />

um mit gemeinsamem Einkauf und<br />

weiteren gemeinsamen Aktivitäten wie EDV,<br />

Ausbildung, Anlagenentwicklung, Transporte<br />

und Werbung eine bessere Position im<br />

Wettbewerb mit anderen, vor allem genossenschaftlichen<br />

Anbietern, einnehmen zu<br />

können. Deswegen brachte Hermann<br />

Gieschen dann auch im Jahre 1973 seine<br />

Firma in den Hansa Landhandel Lahde KG-<br />

Verbund ein, dessen Silotransporter in der<br />

gelb-orangen Farbe auch heute immer wieder<br />

in Grasberg zu sehen sind.<br />

Zu einer Katastrophe kam es im Februar<br />

1999, als ein Großbrand weite Teile des<br />

Mühlenkomplexes zerstörte und einen Schaden<br />

in Millionenhöhe verursachte. Gieschen<br />

konnte danach zwar den Betrieb mit Einschränkungen<br />

weiterführen, verlegte aber<br />

den Schwerpunkt seiner Aktivitäten auf seine<br />

Niederlassungen in Mulmshorn und Wilstedt<br />

sowie auf ein weiteres eigenes modernes<br />

Werk im Bremer Hafen. Da die Wörpedorfer<br />

Mühlenanlage nicht mehr den modernen<br />

Ansprüchen genügte, wurde sie in zunehmendem<br />

Maße überflüssig; deshalb entschloss<br />

sich Hermann Gieschen im Jahr 2011,<br />

den traditionsreichen Komplex an der Wörpedorfer<br />

Kreuzung abzureißen.<br />

Text: Heinrich Bücken<br />

Fotos: Heide Banck<br />

Die letzten Tage …<br />

… und die letzte Stunde der Mühle<br />

Jede Menge interessante Details<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

13


Der Fisch des Jahres <strong>2013</strong>: Die Meerforelle<br />

Von der gelungenen Wiederansiedlung der Meerforelle in Wümme und Wörpe<br />

Die wohl bekannteste Fischart in heimischen<br />

Gewässern ist die Forelle, welche je<br />

nach Lebensweise als Bachforelle, Seeforelle<br />

und Meerforelle bezeichnet wird.<br />

Die Meerforelle im Kiesbett<br />

Unter dem Namen Ostseelachs, Strandlachs,<br />

Weißforelle, Silberlachs, Breden und<br />

Trump hat sich die Meerforelle an den<br />

Küsten Nordeuropas einen Namen<br />

gemacht. Dieser eindrucksvolle Fisch, der<br />

vom Nordmeer bis zur Biskaya vertreten<br />

ist, gleicht vom Verhalten und von der<br />

Lebensweise dem atlantischen Lachs. Riesige<br />

Wanderungen sind für diese Fische<br />

kein Problem.<br />

Vom Meer zurück<br />

in die Wörpe<br />

Vom Meer zieht sich die Meerforelle<br />

zum Laichen in Flüsse zurück, die sie durch<br />

lange „Wanderungen“ von bis zu 40 km<br />

Länge am Tag erreicht. Stark geschwächt<br />

und abgemagert wandern diese Fische<br />

nach dem Ablaichen wieder zurück ins<br />

Meer, wo sie sich erholen. Ein Massensterben<br />

wie beim Lachs findet nicht statt.<br />

Unter günstigen Bedingungen kann die<br />

Meerforelle (Salmo Trutta Trutta) eine<br />

Größe von 130 cm Länge und ein Gewicht<br />

von 20 kg erreichen. Die Durchschnittsgröße<br />

liegt bei stattlichen 60 cm Länge.<br />

Foto: © F. Hecker<br />

Der Fischerei- und Gewässerschutzverein<br />

Lilienthal und Umgebung e.V. hat<br />

1997 nach etlichen Prüfungen der Gewässer<br />

damit begonnen, ca. 2500 Meerforelleneier<br />

in der Wörpe auszubringen. Dazu<br />

musste nicht nur die Wasserqualität stimmen,<br />

sondern die Gewässer über geeignete<br />

Ablaichmöglichkeiten wie Kiesbett und<br />

natürliche Uferzonen verfügen. Nach etlichen<br />

Renaturierungsmaßnahmen wurden<br />

nicht nur Kieszonen angelegt, sondern<br />

auch der alte Flusslauf wieder nachgeahmt.<br />

1998 konnte Martin Schüppel, Vorsitzender<br />

des Fischerei- und Gewässerschutzverein<br />

Lilienthal und Umgebung e.V., rund 40.000<br />

Eier der Meerforelle aussetzen. In den folgenden<br />

Jahren ging man dazu über, 3-4<br />

Wochen alte Brütlinge (bereits geschlüpfte<br />

Meerforellen) in die Wörpe einzubringen.<br />

Für diese sehr aufwendige Nachzucht<br />

wurde extra ein Bruthaus mit Haltebecken<br />

gebaut. Hier wird in einem speziellen Verfahren<br />

die Zucht der Forellen betrieben.<br />

Dafür werden die Meerforellen mittels<br />

Elektrofischen gefangen. Im Anschluss<br />

erholen sich die Tiere in Wannen und kleinen<br />

Becken vom Keschern. Mit leichten<br />

Betäubungsmitteln pflanzlicher Art, welches<br />

in die Wannen gegeben wird, werden<br />

die Fische betäubt, um das Abstreifen der<br />

Eier zu ermöglichen. Dies geschieht<br />

sowohl bei den Weibchen als auch bei den<br />

Männchen. Nachdem die Eier zusammengeführt<br />

werden, erfolgt die Befruchtung<br />

der Eier in einer Ruhezeit. Anschließend<br />

kommen die Schalen mit den Eiern in spezielle<br />

Brutschränke, in denen sich dann<br />

schon bald kleine Meerforellen tummeln.<br />

Die Elterntiere werden bereits kurz nach<br />

dem Abstreifen wieder in die Freiheit entlassen<br />

und begeben sich erneut auf die<br />

lange Wanderschaft ins Meer.<br />

Warum die Wörpe?<br />

Sicherlich wird sich unser Leser fragen,<br />

warum für dieses Vorhaben gerade die<br />

Wörpe ausgesucht wurde. Der Grund<br />

dafür ist ganz einfach: Die Wörpe fließt in<br />

die Wümme, welche später mit der<br />

Hamme zusammenfließt und zur Lesum<br />

wird. Die Lesum führt in die Weser, ohne<br />

dass eine Schleuse der Wanderung der<br />

Meerforellen im Wege steht. Nachdem<br />

auch andere Hindernisse in der Wörpe entfernt<br />

waren, konnte sich der Fluss aufgrund<br />

der Renaturierungsmaßnahmen gut<br />

erholen und eine deutliche Steigerung der<br />

Wasserqualität erreicht werden. Die Selbstreinigungskraft<br />

der Wörpe galt als weitestgehend<br />

wiederhergestellt und bot der<br />

Meerforelle fortan einen attraktiven<br />

Lebensraum in diesem Gewässer, das seinen<br />

Ursprung in der Nähe des Ortes Steinfeld<br />

hat. Dort, in den Wiesenlandschaften<br />

mit Resten von Buchenwäldern, wo naturbedingt<br />

keine landwirtschaftliche Nutzung<br />

möglich ist, entsteht die Wörpe und<br />

wächst schnell zu einem rasant fließenden<br />

Gewässer. Diese Fließgeschwindigkeit des<br />

Wassers führt dazu, dass sich das Flussbett<br />

Ca. vier Wochen alte Meerforellen Martin Schüppel im Bruthaus Die Wörpe mit Kiesbett nahe Wilstedt<br />

14 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


ständigen Veränderungen unterziehen<br />

muss.<br />

Wörpe bietet idealen<br />

Lebensraum<br />

Der kiesige, stellenweise auch sandige<br />

Grund der Wörpe mit nur geringen<br />

schlammigen Stellen bietet so einen idealen<br />

Lebensraum für die Meerforelle, welche<br />

ihre Eier gern in kiesigem Untergrund<br />

ablegt. Durch künftige Uferbeschattung<br />

entlang der Wörpe wird die Qualität des<br />

„Lebensraums Wörpe“ nochmals gesteigert<br />

und bietet dem Raubfisch „Meerforelle“<br />

nun ausreichend Nahrungsquellen.<br />

Im Jahr 2000 ergab eine Elektrobefischung<br />

der Wörpe, die für die Fische<br />

unschädlich ist und diese nur kurzzeitig<br />

betäubt, dass ca. 200 Meerforellen von 3<br />

cm bis zu 30 cm Länge in der Wörpe vertreten<br />

waren. Nachdem 1913 der letzte<br />

große Lachs gefangen wurde, ist diese<br />

Wiederansiedlung der Meerforelle ein<br />

wichtiger Schritt, der durch die Initiative<br />

des Fischerei- und Gewässerschutzvereins<br />

Lilienthal und Umgebung e.V. ermöglicht<br />

wurde.<br />

Text und Fotos Seite 14: Tim Wöbbeking<br />

Weitere Informationen im Internet<br />

unter www.die-woerpe.de<br />

1913: Der letzte Lachs aus der Wümme<br />

Lach- und Torfgeschichten<br />

„Trudje“ – een tierische Vogelgeschichte<br />

Drööf eck mi bekanntmoken? Eck heet<br />

Trudje un bin een, so seggt Bine un Jan<br />

datt, prachtvulle, witte un geelbruune<br />

Sleieruul. In eer ole Buernhus an de lüttje<br />

Reeg in’n Dorp Düwelsmoor wohn eck up<br />

den groten Hauböön. Vor eenige Johr’n is<br />

datt Dack neet mookt worn, domols hett<br />

mien Husherr Jan sülvst een grotet<br />

Uulenlock in datt Dreeck ünner de Peerköpp<br />

utsoogt. Unnen in us Hus leevt mien<br />

beiden Husherrschaften, de heet mit<br />

Nomen Sabine un Jan. Jan hett mie in’n<br />

letzten Johr mienen Nomen „Trudje“<br />

geben. De Geschichte dorto mutt eck ju<br />

nu gau vortellen. Wenn eck doran denk,<br />

denn lopp mie datt jümmers noch iskolt<br />

ober de Feddern.<br />

Datt posseer vor een Johr in de Tied, de<br />

mien Husherren Advent oder Wiehnachten<br />

nöömt. Se doot denn allerlei putzige Sooken<br />

un sünt gräsig veel unnerwegs. Toon<br />

Bispill sleept se veele bunte Kortons int Hus<br />

un holt sick lüttje Dannenbööm ut de<br />

Schonung. Wenn datt düster word, hebbt<br />

se veele helle Lichter ann Hus un in de lüttjen<br />

Bööm. Datt sütt jo fein ut, eck mach<br />

ober leeber wenn datt düster is. Loot in de<br />

Nacht kööm eck trüch von mien Beuteflug.<br />

Eenige Müüs wörn mien Obenbrot wesen.<br />

Dör datt Uulenlock suus eck ob den<br />

Hauböön. Bomms, rumms, düster! Eck<br />

knall gegen een Dackpapp un weer benaut<br />

un benüsselt. Nu rassel eck jümmer deeper<br />

no unnen twüschen de Sporren un Dacklatten.<br />

Boben ann Sparren harr sick een<br />

von de Platten lööst, un eck suus no unnen<br />

in datt enge, düstere Kaschott. Eck kunn<br />

nich no vorn un nich torüch. Inspeert weer<br />

eck, dor kööm eck so nich woller ruut.<br />

Ganz lies wör datt un eck kunn mie nich<br />

rögen.<br />

Angst, Angst, un nochmol Angst hebb<br />

eck in disse Nacht utstoon. Annern Morgen<br />

hör eck miene Husherren unnen op de<br />

Deel romentern un snacken. Wie dull un<br />

unkloog hebb eck mett mien Flunken<br />

kratzt un schuppert, datt weer een heel<br />

Specktokel. Jümmer un jümmer woller, bitt<br />

eck nich mehr kunn. Eck hör, wie Jan to<br />

sien Sabine seggt: „Dor up de Hilln ünnern<br />

Dack, dor sitt doch watt fast, eck glöf datt<br />

is wol een Katt!“ Nu mööt wie ober gau los<br />

toon Inköpen, anners hebbt wie upn Heiligobend<br />

nix to eten. Een Wiehnachtsboom<br />

mööt wie uck noch holen, so loot<br />

wörn wie jo noch nie dran. Eck kiek dor<br />

noher noch mol op de Hilln. De Deelendör<br />

klapp to, datt Auto brumm un weg wörn<br />

se. Datt wört! Eck hebb mien Ogen dicht<br />

mookt, eck kunn mie nich mehr rögen,<br />

mien Enn wör besiegelt. Miene beiden<br />

Husherren harrn doch bloots eer<br />

Wiehnachten inn Kopp. De Tied wer lang,<br />

oon Enn. De Deeldör klappt, de beiden<br />

snacken unnen op de Deel, se weern woller<br />

dor. Mett mien letzte Kraft flatter eck<br />

um mien Leben.<br />

Direktemang vor mie fangt datt an to<br />

brummen un to sogen. Jan wör dor un reet<br />

de Platten no Sied. He lück mett een helle<br />

Lampen. Eck blinker mett mien groten<br />

Ogen in dat helle Licht un mutt utseen<br />

hebben att een Koh wenn datt donnert un<br />

blitzt. Twee grote, warme Han’n holen mie<br />

ut mien enge Kaschott un setten mie op<br />

een Hauballen. Mett grote Ogen hebbt<br />

wie us ankeken. „Du bist mie jo eene,<br />

Trudje, wie bist du dor denn rinkomen?“,<br />

seggt Jan. Ganz langsam hebb eck mien<br />

breden Kopp hen un herdreit un mien<br />

Flunken bewegt. „Trudje, du hest nu jümmer<br />

to Wiehnachten Geburtsdag“, meen<br />

Jan. Eck keek em dankbor an un dach ober<br />

Wiehnachten no, dor harr eck mie jo noch<br />

nie um kümmert. Bloot wenn du nich vor<br />

un trüch mehr kannst un denkst, nu is alls<br />

toon Enn, un denn kummt een hellet Licht<br />

un warme Han’n! Eck kunn woller datt<br />

Uulenlock seen. So watt, datt mutt<br />

Wiehnachten wesen! Jan meen: „So,<br />

Trudje, nu fleeg man woller los.“ Eck flatter<br />

hoch toon Uulenlock, keek in’t Licht un<br />

schweef no buten in de Freeheit. Bitt ton<br />

Obend hebb eck mie in een von de groten<br />

Ecken sett un mie vorholt. Bien Düsterweern<br />

schweef eck ganz lies ober datt<br />

Düwelsmoor. Oberall in de Fenstern wörn<br />

de lüttjen Bööm mett de hellen Lichter to<br />

seen. Datt weer een ganz egenortige un<br />

liese Stimmung.<br />

Nu much eck op eenmol uck all de veelen<br />

Lichter. Datt wör Heiligobend, wie Jan<br />

seggt harr. Up den Husdamm vorpetten<br />

Bine un Jan sick nochmol de Been. Eck<br />

schweef een pormool ober jemm henweg.<br />

Se winkten un lachten: „Alles Gode,<br />

Trudje, schöne Wiehnachten!“<br />

Eck wohn jümmer noch bi de beiden, un<br />

datt is all bald woller Wiehnachten.<br />

„Trudje“<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

15


Vor 100<br />

Jahren ...<br />

<strong>Heimat</strong>rückblick:<br />

Presseberichte von<br />

Juli bis September 1913<br />

Wieder einmal können heutige Leser der<br />

damaligen Zeitungsausgaben das Erstaunen<br />

der Menschen in jener Zeit über für sie<br />

noch Ungewohntes und Neues nachvollziehen.<br />

Allein vier Berichte über die noch<br />

junge Fliegerei (wobei die Namen der Piloten<br />

ebenso erwähnt werden wie die Startund<br />

Landeplätze!) beinhalten Ereignisse,<br />

die uns heute so geläufig sind, dass sie keiner<br />

Erwähnung mehr bedürfen. Zwei<br />

Berichte dazu unterstreichen aber auch die<br />

Bedeutung, die der Verfasser der damaligen<br />

Texte dieser neuen Entwicklung beimisst.<br />

Von Veränderungen in jenen Tagen,<br />

ob Weservertiefung, Verlegung des Bremer<br />

Freimarktes oder auch in der Mode, wird<br />

ebenso berichtet, wie das, was unsere Vorfahren<br />

aus dem Leben ihrer Zeitgenossen<br />

erfahren, auch über die nicht immer rechtmäßig<br />

handelnden….<br />

Weservertiefung erregt<br />

Widerspruch<br />

Landkreis. „Der Plan des Bremer Staates,<br />

die Weser wieder um mehrere Meter<br />

zu vertiefen, hat unter den Grundbesitzern<br />

hiesiger Gegend allgemein Widerspruch<br />

erregt. Sie befürchten von der Tieferlegung<br />

des Weserbetts, die den Grundwasserstand<br />

weiter senken würde, eine Schädigung<br />

ihres größtenteils in Wiesenland<br />

bestehenden Grundbesitzes. Bekanntlich<br />

hat die vor Jahren erfolgte Begradigung<br />

und Vertiefung der Weser schon eine<br />

wesentliche Veränderung der Wasserverhältnisse<br />

in hiesiger Gegend herbeigeführt.<br />

Um über die gegen den neuen Plan<br />

erhobenen Einsprüche zu verhandeln,<br />

fand heute im Murkenschen Gasthause in<br />

Lilienthal unter Vorsitz des Landrats eine<br />

Versammlung der Landwirte des Truper<br />

und St. Jürgenslandes statt, an welcher<br />

Vertreter des Bremer Staats und der Regierung<br />

in Stade teilnahmen. Auch die<br />

Wörpe-Schifffahrtsgenossenschaft, welcher<br />

die Ausführung des Planes neue Opfer<br />

durch Tieferlegung der Unterwörpe auferlegt,<br />

und andere Beteiligte waren in der<br />

Versammlung vertreten. Die Einsprüche<br />

aller Beteiligten wurden zu Protokoll<br />

genommen. Sie verlangen, im Falle daß<br />

die Weser vertieft wird, Schadenersatz und<br />

den Bau einer Schleuse in der unteren<br />

Wümme, die den Wasserstand regelt. Die<br />

Bremer Vertreter verhielten sich diesen Forderungen<br />

nicht sehr entgegenkommend.<br />

Es wird wohl noch langwieriger Verhandlungen<br />

bedürfen, ehe diese Frage zur<br />

Befriedigung aller Beteiligten gelöst ist.“<br />

Staunen über fliegende<br />

Maschinen und „Aviatiker“<br />

Osterholz-Scharmbeck. „Eine freudige<br />

Überraschung wurde am Dienstagmorgen<br />

kurz nach 1/2 11 Uhr vielen hiesigen Einwohnern,<br />

die in der Hammeniederung<br />

beim Heuen beschäftigt waren, zuteil. In<br />

das Geräusch der arbeitenden Maschinen<br />

mischte sich plötzlich ein anderes, stärkeres,<br />

und als man in die Höhe sah, bemerkte<br />

man eine Flugmaschine mit großer<br />

Geschwindigkeit aus der Richtung von<br />

Worpswede kommen. Der Apparat befand<br />

sich immerhin noch einige hundert Meter<br />

hoch, machte aber durch das heftige<br />

Geräusch seines Propellers Pferde und Rinder<br />

auf der Weide scheu. Nach verhältnismäßig<br />

kurzer Zeit war der Aeroplan den<br />

Blicken der Beobachter entschwunden.<br />

Auch in Ritterhude und Burglesum sah<br />

man den Eindecker in großer Höhe bei<br />

voller Fahrt auf Bremen zu verschwinden.<br />

Es handelt sich vermutlich um den<br />

berühmten französischen Aviatiker Brindejonc,<br />

der, von Kopenhagen kommend, in<br />

früher Morgenstunde in Hamburg eine<br />

Zwischenlandung vornahm, aber nach<br />

kurzer Pause wieder zur Weiterfahrt aufstieg.“<br />

Im August ist zu diesen in jener Zeit<br />

noch „aufregenden“ Beobachtungen Folgendes<br />

zu lesen:<br />

Bremen. „Bremen wird jetzt fast täglich<br />

von Fliegern besucht. Die beiden Militärflieger<br />

Leutnant Engwer und Oberleutnant<br />

Braemer sind heute morgen vom Neuenlander<br />

Feld wieder aufgestiegen und<br />

nach dem Lockstedter Lager zurückgeflogen,<br />

wo sie kurz vor 8 Uhr eintrafen. Am<br />

Sonntag wurden mehrere französische<br />

Flieger erwartet, die von Paris nach Berlin<br />

fliegen wollten. Zwischen 7 und 8 Uhr<br />

abends wurde über Lankenau auch ein<br />

Flugzeug gesichtet, das von Südwesten<br />

kam, aber bald im Nordosten wieder verschwand.<br />

Das Flugzeug hat auf einer Wiese<br />

in Teufelsmoor eine Notlandung vornehmen<br />

müssen. Es soll leicht beschädigt sein.<br />

Der Flieger, ein Franzose, der sich mit den<br />

herzueilenden Landleuten nicht verständigen<br />

konnte, ist Sonntagabend mit der<br />

Bahn nach Bremen gefahren, um dort zu<br />

übernachten.“<br />

Von Gaunern<br />

und Lebensrettern<br />

Hagen. „Daß man trotz der hohen<br />

Lederpreise auch noch billig Schuhe kaufen<br />

kann, zeigten vor ein paar Tagen drei<br />

junge Burschen, die sich als Handelsleute<br />

ausgaben, in Dorfhagen. Sie boten bis herunter<br />

zu 1,50 Mark Stiefel an, die sonst den<br />

10fachen Betrag kosten. Den Einwohnern<br />

fiel der billige Preis auf, denn die Leute<br />

sahen nicht so aus, als wenn sie hexen<br />

16 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


konnten, somit mußten sie die Schuhe<br />

irgendwo gestohlen haben. Telegraphisch<br />

wurde der Gendarmerie-Wachtmeister<br />

herbeigerufen, und der eine der billigen<br />

Leute, welcher getrennt von den anderen<br />

arbeitete, festgehalten. Er wurde mit angelegten<br />

Handschellen in das Spritzenhaus<br />

gesteckt, der besseren Sicherheit wegen<br />

auch noch angebunden. Inzwischen<br />

machten sich der Wachtmeister sowie<br />

einige handfeste Einwohner auf die Suche<br />

nach den anderen, die in Richtung Bremerhaven<br />

gegangen waren. Zwischen<br />

Börsten und Hahnenknoop ereilte sie<br />

ahnungslos das Schicksal. Als sie die Uniform<br />

hinter sich sahen, war es höchste<br />

Zeit, querfeldein zu biegen, jedoch zu<br />

spät; der Packen mit den Schuhen, den sie<br />

auch nicht gerne im Stich lassen wollten,<br />

hinderte sie zu sehr am Fortkommen,<br />

somit konnte sie nichts mehr davor<br />

bewahren, ins Gefängnis zu wandern.<br />

Inzwischen hatte sich jedoch das Spritzenhaus<br />

als nicht genügend sicher herausgestellt.<br />

Der Vogel war ausgeflogen; er wird<br />

sich wieder um ein paar andere Komplizen<br />

bekümmern müssen, denn seine bisherigen<br />

werden, da es sich um einen Einbruch<br />

im Kreise Syke handelt, nicht so schnell<br />

wieder fortkommen. Den Entflohenen hat<br />

man bis jetzt noch nicht wiedergefunden.“<br />

Teufelsmoor. „Vom sicheren Tode errettet<br />

wurde am Sonntag gegen Abend ein<br />

Einwohner aus Hüttenbusch, der auf der<br />

Hamme in seinem Schiff Heu nach Hause<br />

fuhr. Als er mit dem vollbeladenen Schiff in<br />

der Nähe der hiesigen Brücke war, verlor er<br />

beim Staken plötzlich den Halt und stürzte<br />

kopfüber in das Wasser. Ein junger Mann,<br />

der den Vorfall von der Brücke aus beobachtete<br />

und bemerkte, daß der Mann<br />

nicht mehr an die Oberfläche kam, sprang<br />

kurzentschlossen nach und es gelang ihm,<br />

den Verunglückten, der mit dem Oberkörper<br />

in zähen Schlamm geraten war, zu retten.<br />

Der Mann war bereits dem Tode nahe.<br />

Die Wiederbelebungsversuche hatten alsbald<br />

Erfolg.“<br />

Worpswede, 6. August. „Der letzte<br />

Sonntag war für die Kleinbahn Bremervörde-Osterholz<br />

sehr aufregend. Der um<br />

9.36 Uhr auf hiesigem Bahnhof von Osterholz<br />

eintreffende Zug war voll besetzt. Der<br />

Aufenthalt hier, der nur mit einer Minute<br />

vorgesehen ist, ist zu kurz und gibt oft zu<br />

großem Gedränge für die aus- und einstei-<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

genden Fahrgäste Veranlassung, so auch<br />

am Sonntag. Die Hälfte der hier aussteigenden<br />

Passagiere mochte den Wagen<br />

verlassen haben, als sich plötzlich der Zug<br />

in Bewegung setzte. Von zwei gerade aussteigenden<br />

hiesigen Einwohnern kam der<br />

eine noch gut auf die Erde, der nachfolgende<br />

stürzte aber und wäre unbedingt<br />

unter die Räder der Wagen geraten, hätte<br />

der vorher ausgestiegene Herr nicht die<br />

Geistesgegenwart gehabt, ihn aus der<br />

gefährlichen Lage zurückzureißen. Der<br />

abgedampfte Zug hielt wieder, als er gut<br />

das Bahnhofsterrain verlassen hatte, in<br />

freiem Felde und nun wurden die noch<br />

hier im Zuge befindlichen Gäste aufgefordert<br />

auszusteigen. Doch hierzu weigerten<br />

sich diese, und wohl oder übel mußte der<br />

Zug rückwärts zur Station dampfen, um<br />

die entführten Passagiere ordnungsgemäß<br />

abzuliefern. – Kommentar überflüssig!“<br />

Feier zur Befreiung von der<br />

französischen Besetzung<br />

Borgfeld. „Auch in unserer Gemeinde<br />

wird am 18. Oktober eine Jahrhundertfeier<br />

in großem Umfange veranstaltet werden.<br />

Der Kriegerverein hat sich mit den übrigen<br />

hiesigen Vereinen, Männergesangverein,<br />

Gesangverein ´Eintracht`, Turnverein und<br />

Gesangverein Timmersloh, mit der Schule,<br />

dem Schulvorstand und Kirchenvorstand<br />

in Verbindung gesetzt, um eine allgemeine<br />

Volksfeier am Abend des 18. Oktober zu<br />

begehen. Das Programm liegt im großen<br />

und ganzen schon vor. Nach einem Gottesdienste<br />

in der Kirche wird zum Fackelzuge<br />

angetreten, an dem sich sämtliche<br />

Vereine und die Schule beteiligen werden,<br />

an dem aber auch alle übrigen Einwohner<br />

gern teilnehmen können. Der Zug wird<br />

sich nach der Flutbrücke, von da nach<br />

Katrepel und zurück nach der kleinen<br />

Wümmebrücke bewegen. Hier wird auf<br />

einer Weide an der Wümme ein Freudenfeuer<br />

abgebrannt. Nachher wird die Feier<br />

auf dem C. Petersschen Saale fortgesetzt.<br />

Ein eigens für diesen Zweck gedichtetes<br />

Festspiel wird uns in die Zeit vor 100 Jahren<br />

(Anmerkung: der Befreiung von der<br />

französischen Besetzung) in Borgfeld<br />

zurückversetzen.“<br />

Neue Mode: Ohne Hut –<br />

Verlegung des Bremer<br />

Freimarktes<br />

Bremen. „Der Spaziergang ohne Kopfbedeckung<br />

findet in den Großstädten, so<br />

auch in Bremen, viele Anhänger. Überall<br />

sieht man jüngere und ältere Passanten<br />

ohne Kopfbedeckung. Wie stets, tauchen<br />

natürlich auch Gegner dieser Bewegung<br />

auf. Dieser Tage ging ein Anhänger des<br />

,Ohne Hut´ in Bremen spazieren, ein Passant<br />

(bestimmt ein Hutmacher!) rief ihm<br />

nach: ,Helm ab zum Gebet!´ Dieser Ruf<br />

wiederholte sich dreimal, worauf hinterher<br />

das Lied erklang: ,Ich bete an die blanken<br />

Köppe!...´ und da soll einer nicht lachen.“<br />

Bremen. „Die Bürgerschaft beschloß<br />

mit 56 gegen 51 Stimmen, vom Jahre<br />

1914 ab den Freimarkt aus der Altstadt<br />

nach dem Gelände des ehemaligen Hamburger<br />

Bahnhofs zu verlegen. Es ist ins<br />

Auge gefaßt, den Bahnhof der Kleinbahn<br />

(Anm.: Bremen-Tarmstedt) an die Ecke<br />

Schlachthofstraße/Gustav-Deetjen-Allee<br />

zu verlegen. Über das freie Gelände ist<br />

sodann eine einseitig mit Wohnhäusern<br />

bebaute Diagonalstraße vorgesehen, die<br />

von dem neuen Bahnhof der Kleinbahn zur<br />

Mitte der Holler-Allee zwischen Gustav-<br />

Deetjen-Allee und Findorffstraße führt.<br />

Das Restgrundstück unmittelbar an der<br />

Ecke, an dem heute der Bahnhof der Kleinbahn<br />

steht, ist für den Freimarkt vorgesehen,<br />

für den auf diese Weise ein Terrain<br />

von 33 500 Quadratmetern bleibt. Das ist<br />

das 1 1/2fache der Plätze, die heute dem<br />

Markte zur Verfügung stehen.“<br />

Peter Richter<br />

Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins<br />

Lilienthal<br />

17


Erstellung des Bauhütten-Gebäudes<br />

auf dem Lilienhof<br />

Ein Projekt der „Oll´n Handwarkers ut Worphusen un annere Dörper e.V.“:<br />

Gefördert aus dem „EU-Förderprogramm zur Entwicklung im ländlichen Raum“ -„Leader-Programm“<br />

Lilienthal-Worphausen. Auf dem<br />

„Lilienhof“ in Lilienthal-Worphausen entsteht<br />

seit einigen Wochen ein neues<br />

Gebäude. Die „Oll´n Handwarkers ut<br />

Worphusen“ erstellen eine „Bauhütte“,<br />

eine Museumswerkstatt.<br />

Im Handwerkermuseum auf dem „Lilienhof“<br />

sind die räumlichen Kapazitäten<br />

erschöpft. Die dort ausgestellten Gewerke<br />

können nicht erweitert werden und es gibt<br />

noch viele Werkzeuge, Maschinen und<br />

auch ganze Werkstätten, vom Verein<br />

gesammelt und gesichert, die heute noch<br />

an verschiedenen Orten im Umkreis von<br />

30 km um den „Lilienhof“ lagern und nicht<br />

präsentiert werden können.<br />

Zudem sind in den letzten beiden Jahren<br />

im Rahmen der vielfältigen Aktivitäten des<br />

Vereins, wie beispielsweise den Gewerke-<br />

Schautagen, etliche Exponate hinzugekommen<br />

und etliche wurden offeriert.<br />

Auch diese müssen gesichert, aufbereitet,<br />

restauriert und dann präsentiert werden.<br />

Dazu zählen z.B. eine Malerwerkstatt, eine<br />

Druckerei, Exponate der ehemals in Lilienthal<br />

ansässigen Firma Otto Zimmermann<br />

und insbesondere das im Mai des letzten<br />

Jahres gesicherte technische Innenleben<br />

der inzwischen abgerissenen Falkenberger<br />

Mühle. (siehe <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> 101,<br />

Frühjahr 2012)<br />

Bei den mit der Gemeinde Lilienthal,<br />

dem Landkreis Osterholz und mit dem<br />

Amt für Landentwicklung Bremerhaven<br />

und der Förderung aus dem „Leader-Programm“<br />

der Europäischen Union, diskutierten<br />

Vorhaben der „Oll`n Handwarkers“<br />

ging es um die Projekte „Wiederaufbau<br />

Falkenberger Mühle“ und „Aufbau einer<br />

Schmiedescheune“.<br />

Die „Bauhütte“ im Werden – im Juli <strong>2013</strong><br />

Deutlich wurde dabei, dass auf dem<br />

„Lilienhof“ die dafür „notwendige Infrastruktur“,<br />

die vor allem durch das Projekt<br />

Falkenberger Mühle notwendig wurde,<br />

nicht vorhanden war. Es fehlten dem Verein<br />

und seinem Handwerkermuseum dauerhafte,<br />

wettergeschützte Lager-, Abstellund<br />

Werkstattflächen neben ebenfalls<br />

dringend erforderlichen zusätzlichen Präsentations-<br />

und Ausstellungsflächen.<br />

Ein solcher Bereich musste geschaffen<br />

werden und das wird nunmehr mit einem<br />

in sich abgeschlossenen, sinnvollen (im<br />

Sinne der Absicherung und Weiterentwicklung<br />

des Handwerkermuseums) und dauerhaften<br />

Bauprojekt, dem der „Bauhütte“,<br />

geschehen.<br />

Das „Bauhütten“–Gebäude entsteht in<br />

der Nordwestecke vom „Lilienhof“ auf<br />

einer hier vorhandenen Wiesenfläche in<br />

unmittelbarer Nähe des Handwerkermuseums.<br />

In dem neu geschaffenen „Bauhütten“-<br />

Gebäude wird dann auch eine Präsentation<br />

der gesicherten und aufbereiteten<br />

Teile der einstigen Elektromühle und<br />

früheren Dampfmühle und die Dokumentation<br />

der Historie der Falkenberger Mühle<br />

erfolgen.<br />

Das Projekt „Aufbau einer Schmiedescheune“<br />

mit einer historischen Schmiede,<br />

einer Wagner- und Stellmacherwerkstatt<br />

und einer alten Schnapsbrennerei wurde<br />

vorerst zurückgestellt.<br />

Bauantragszeichnung „Bauhütte“ – Ansichten und Schnitt …<br />

… sowie Grundriss oberes und unteres Geschoss<br />

18 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


„sammeln bewahren<br />

forschen dokumentieren<br />

ausstellen vermitteln“<br />

Um diesem Grundsatz des Museums für<br />

die Zukunft gerecht werden zu können,<br />

wurde eine Museumswerkstatt mit einer<br />

Aufbau-, Präsentations- und Ausstellungsfläche<br />

und eine zusammenhängende<br />

Abstell- und Lagerfläche auf dem „Lilienhof“<br />

in der Nähe des Handwerkermuseums<br />

notwendig. Die neuen Räumlichkeiten<br />

sollen in der Tradition des historischen<br />

Bauhüttenwesens in einem Werkstattverbund<br />

unterschiedlichster alter Handwerke<br />

genutzt werden. Dort soll auch der historische<br />

Handwerks- und Baubetrieb mit seinen<br />

überlieferten Regeln gezeigt werden<br />

mit den Möglichkeiten, handwerkliche<br />

und technische Fertigkeiten, Techniken<br />

und Wissen, das ansonsten verloren zu<br />

gehen droht, weiterzugeben.<br />

Gebäude historischer Bauhütten waren<br />

meistens ein länglicher Holzbau mit zwei<br />

Geschossen. Diese entstanden am Bauplatz<br />

eines Gebäudes und in diesen organisierten<br />

die am Bau beteiligten Handwerker<br />

den Bauablauf über die gesamte, oft<br />

jahrzehntelange Bauzeit.<br />

Im unteren Geschoss befanden sich die<br />

Werkstätten der verschiedenen Handwerker,<br />

im oberen Geschoss das Zeichen- und<br />

Schreibbüro und der Reißboden. Unter<br />

dem Dach einer Bauhütte arbeiteten<br />

„Meister, Parliere, Laubbauer (Künstler),<br />

Kunstdiener, Gesellen, Lehrlinge, Werkleute“.<br />

Die Arbeiten wurden bei Einbruch<br />

des Winters beendet und im Frühjahr wieder<br />

aufgenommen, wie wir es auch bis<br />

heute noch aus der Bauwirtschaft kennen.<br />

Das Gebäude der „Bauhütte“ auf dem<br />

„Lilienhof“ wird neu erstellt. In den Außenmaßen<br />

von 10,00 x 17,50 m und einem<br />

überdachten Vorplatz von etwa 2,50 x<br />

18,00 m entsteht eine Gebäudegrundfläche<br />

von etwa 220 qm. Die Nutzfläche<br />

im unteren Geschoss beträgt etwa 180 qm<br />

und im oberen Geschoss mehr als 100 qm.<br />

Im unteren Geschoss werden Flächen für<br />

Ausstellung und Präsentation, für Werkstätten<br />

und Lager, im oberen Geschoss<br />

Flächen für Reißboden, Zeichen- und<br />

Schreibstube, Magazin- und Lagerflächen<br />

geschaffen. Für die Anlieferung von Exponaten<br />

erhält das Gebäude eine Einfahrt<br />

und Durchfahrt für größere Transportfahrzeuge.<br />

Das Gebäude ist, entgegen aller bislang<br />

auf dem „Lilienhof“ erstellten Gebäude,<br />

ein Neubau in Anlehnung an landwirtschaftliche<br />

Nutzgebäude. Die Grundkonstruktion<br />

besteht aus Stahl- und Holzbauteilen.<br />

Das Dach ist mit Ziegelpfannen eingedeckt<br />

und die Wandverkleidungen in<br />

Holzdeckelschalung aus Lärchenholz ausgeführt.<br />

Für eine gute Belichtung des<br />

Gebäudeinneren erhält das Gebäude<br />

großzügige Fenster-, Tür- und Torflächen<br />

und einige Lichtbänder in der Dachfläche.<br />

Durch die später in „grauer Patina“ sich<br />

zeigende Lärchenholzverkleidung, den aus<br />

Lärchenholz bestehenden Fenstern und<br />

Türen, dem roten Sockelmauerwerk und<br />

der ziegelroten Dachfläche fügt sich das<br />

Gebäude der „Bauhütten“ schon jetzt gut<br />

in die historische Baukulisse des „Lilienhofes“<br />

mit der Bauernhofanlage und dem<br />

Handwerkermuseum ein.<br />

Nachbemerkung:<br />

Mit der „Bauhütte“–Museumswerkstatt<br />

des Handwerkermuseums, einschließlich<br />

der darin enthaltenen Lager- und Abstellflächen,<br />

können in Zukunft mit den vorhandenen<br />

Kapazitäten und Möglichkeiten der<br />

„Oll´n Handwarkers“ von dem Verein gesicherte<br />

Dokumente und Exponate der regionalen<br />

Handwerks- und Firmengeschichte<br />

und der vor- und/oder klein-industriellen<br />

Entwicklung in der Region aufbewahrt und<br />

dauerhaft oder zeitlich begrenzt gezeigt<br />

werden. Es können Exponate für die Lagerung<br />

im Museumsmagazin vorbereitet werden<br />

und in den Räumlichkeiten sind auch die<br />

vorhandenen und geplanten Aktionen mit<br />

Kindergärten und Schulen, mit der Kinderakademie,<br />

mit Berufsschulen besser möglich,<br />

ebenso wie das Angebot von Praktika<br />

etc.. Das alles kann unabhängig von der Witterung<br />

und ohne Zeitdruck, dem teilweise<br />

fortgeschrittenem Alter der alten Handwerker<br />

angemessen, umgesetzt werden.<br />

In Zukunft wird eine Zusammenarbeit<br />

mit den Jugendbauhütten der Deutschen<br />

Stiftung Denkmalschutz und mit in der<br />

jüngsten Vergangenheit neu gegründeten<br />

Bauhütten vor allem im kirchlichen Bereich,<br />

ebenso eine Kooperation mit dem Landschaftsverband<br />

Stade, dem Museumsverband<br />

und anderen Museumswerkstätten,<br />

angestrebt.<br />

Text und Fotos: Johannes Rehder-Plümpe<br />

Quellen:<br />

Johannes Rehder-Plümpe, Projektskizze<br />

Erstellung des „Bauhütten-Gebäudes“ 2010<br />

Johannes Rehder-Plümpe, Begründung +<br />

Beschreibung, Bauantrag 2011<br />

Lesenswertes<br />

Die Henne und ihre Entenkinder – eine wahre Geschichte ...<br />

... wie sie das<br />

Leben schreibt.<br />

Mit seinem Buch<br />

„Die Henne und<br />

ihre Entenkinder“<br />

hat Helmut Stelljes<br />

ein Kinderbuch<br />

herausgebracht,<br />

welches<br />

auch Erwachsene<br />

in seinen<br />

Bann zieht.<br />

Das Buch ist<br />

dabei faszinierend<br />

und spannend zugleich,<br />

denn der aus Worpswede stammende<br />

Autor erzählt hier, wie das noch ungeborene<br />

Leben von Enten zuerst durch Menschenhand<br />

und später von Hühnern gerettet<br />

wird. Dass die Hühner sich tatsächlich<br />

der Enteneier annehmen und an-<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

schließend die geschlüpften Entenküken<br />

aufziehen, ist eine tolle Begebenheit. In<br />

diesem Buch, das Helmut Stelljes nicht nur<br />

für Kinder, sondern für die ganze Familie<br />

geschrieben hat, sind zahlreiche Fotos zu<br />

sehen, welche die tierische „Patchworkfamilie“<br />

aus Hühnern und Enten zeigt. Wie<br />

liebevoll und gewissenhaft die Enten von<br />

den Hühnern aufgezogen und umsorgt<br />

werden, ist an den zahlreichen Illustrationen<br />

gut zu erkennen. Den Werdegang der<br />

Enten zu verfolgen ist mit Sicherheit ein<br />

guter Weg, die Kinder mit einheimischen<br />

Tieren vertrauter zu machen.<br />

Gestaltet ist das Buch so, dass es von<br />

Kindern gut zu lesen ist. Die Fotos und Illustrationen<br />

dazu sorgen für Abwechslung<br />

beim Lesen und dokumentieren diese von<br />

Menschenhand begonnene und von den<br />

Hühnern erfolgreich vollendete Rettungsaktion.<br />

Gedruckt wurde dieses Buch in der<br />

Region auf umweltfreundlichem Papier.<br />

Erschienen ist es im Druckerpresse-Verlag<br />

UG, Lilienthal, und erhältlich zum Preis<br />

von 15,95 im Buchhandel, beim Verlag<br />

und beim Autoren.<br />

ISBN 978-3-9815264-1-7<br />

Tim Wöbbeking<br />

19


Der Ort Teufelsmoor zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges<br />

Siedlungs- und Bevölkerungsstruktur<br />

Karten unterschiedlichster Art sind für<br />

uns heute selbstverständlich; der Atlas<br />

gehört zum Standard in der Schulausbildung.<br />

Karten finden wir zu den unterschiedlichsten<br />

Themen und in verschiedenen<br />

Maßstäben. So fällt es nicht schwer,<br />

genau die gesuchte Karte zu finden, sei es<br />

eine Straßenkarte oder eine Darstellung zur<br />

Wirtschaft oder Bevölkerung. Wir setzen<br />

voraus, dass wir uns auf die Aussagen einer<br />

Karte verlassen können und erwarten demzufolge<br />

ein hohes Maß an Genauigkeit.<br />

Sucht man kartographische Darstellungen<br />

für länger zurückliegende Zeiten, ist<br />

das Angebot deutlich geringer, und man<br />

merkt schnell, dass sich das Vermessungsund<br />

Kartierwesen mit seinen Normen erst<br />

entwickeln musste. So sind wir es<br />

gewohnt, dass in Karten Norden „oben“<br />

ist und Entfernungen in Metern bzw. Kilometern<br />

angegeben werden. Und jede<br />

Karte verfolgt einen bestimmten Zweck,<br />

d. h.: Sie entsteht aufgrund einer konkreten<br />

Aufgabenstellung.<br />

Sucht man für das Dorf Teufelsmoor<br />

nach historischen Karten, so stößt man z.<br />

B. bei Menkhoff 1 ) und bei Lilienthal 2 ) auf<br />

die folgende Karte.<br />

Lilienthal schreibt dazu: „Den jahrzehntelangen<br />

Streitigkeiten über den Gebrauch<br />

des ungeteilten Teufelsmoorer<br />

Torfstichgebietes machte ein Vergleich<br />

vom 9. September 1642 ein Ende….Diesen<br />

Bemühungen verdanken wir den hier<br />

folgenden Riß und das ihm beigefügte<br />

Stellenverzeichnis (von Knust 1668).“ 3 )<br />

Die Art der Kartendarstellung und v. a. die<br />

verwendeten Schriftarten lassen an dieser<br />

Formulierung zweifeln. Vielmehr macht die<br />

Karte den Eindruck, dass sie in der Zeit vor<br />

oder kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden<br />

ist, evtl. als Zeichnung zur Verwendung im<br />

heimatkundlichen Schulunterricht.<br />

Tatsächlich taucht sie bereits einige<br />

Jahre vorher bei dem Scharmbecker Lehrer<br />

Hermann Fitschen auf. 4 ) Er schreibt u. a.<br />

dazu: „Am 9. September 1642 versammelten<br />

sich die beiderseitigen Abgesandten<br />

[zum einen i. A. von Probst, Domina<br />

und Convent des Klosters Osterholz sowie<br />

der Herren von der Hude, zum anderen<br />

des Rates zu Bremen] …Es wurde die Teilung<br />

des Moores beschlossen… Der Ingenieur<br />

Johannes von Folterbach wurde mit<br />

der Vermessung und der Verteilung beauftragt…1668<br />

prüfte Johann Knust, wohl ein<br />

Landmesser, die vom Ingenieur v. Folterbach<br />

verfertigte Ausmessung… Es ist anzunehmen,<br />

daß Johann Knust auch die<br />

„Rechte Beschriefung des Düfelsmohres,<br />

einen Afris“ anfertigte, dessen Nachbildung<br />

hierunter folgt.“ 5 )<br />

Man sieht deutlich, dass Lilienthal sich<br />

auf Fitschen bezieht (ohne dies anzugeben)<br />

und dass Fitschen zwar von einer<br />

Nachbildung spricht, aber auch keine<br />

Angabe zum Ursprung dieser Karte macht.<br />

Der Urheber hat sich mit der Abkürzung<br />

„Lbg.“ in der rechten unteren Ecke verewigt;<br />

seine Identität bleibt jedoch unklar.<br />

Original-Karte gefunden<br />

Wenn nun aber klar ist, dass die obige<br />

Karte nicht das Original ist, stellt sich<br />

natürlich die Frage, ob dieses wohl noch<br />

existiert. Im Staatsarchiv Stade konnte<br />

diese Frage positiv beantwortet werden, es<br />

gibt das Original tatsächlich noch! (St.-<br />

Arch. Stade Neu <strong>Nr</strong>. 12988)<br />

Diese bisher unbekannte Karte soll nun<br />

hier – soweit bekannt – erstmals publiziert<br />

und beschrieben werden.<br />

Im Verzeichnis des Staatsarchivs werden<br />

ihre Maße mit 46 x 33 cm angegeben; ein<br />

Maßstab ist nicht vermerkt. Das Kartenmaterial<br />

ist Papier und außergewöhnlich<br />

gut erhalten.<br />

Die o. g. Nachbildung ist etwas vereinfacht,<br />

enthält aber den Titel der Karte<br />

sowie die Namen der Stelleninhaber sowie<br />

benachbarter Ortschaften. Beide Karten<br />

sind nahezu nach Norden ausgerichtet.<br />

Jedoch gibt es auch einige Abweichungen.<br />

So steht im Titel der Nachbildung „ums<br />

Jahr 1668“; diese Angabe fehlt im Original.<br />

Neben ein paar Fehlern bei der Übernahme<br />

der Rechtschreibung fällt noch auf,<br />

dass in der Nachbildung rechts oben zwischen<br />

H und H drei Streifen eingetragen<br />

sind, im Original dagegen nur zwei; hingegen<br />

fehlt in der Nachbildung links oben<br />

nach dem ersten K ein Streifen.<br />

Inhaltlich zeigen uns die Karten das Dorf<br />

Teufelsmoor, gelegen zwischen Beek und<br />

Ham, an keiner Stelle diese Flüsse überschreitend.<br />

Der Zusammenfluss ist besonders<br />

hervorgehoben; hier befand sich eine<br />

Umschlagstelle für Torf und eine Anlegestelle<br />

für Torfschiffe, die das Brennmaterial<br />

hammeabwärts Richtung Bremen transportierten.<br />

Ungewöhnliche<br />

Hofnummerierung<br />

Eingezeichnet sind 22 Hofstellen, die –<br />

anders als für die Folgezeit geläufig – von<br />

Ost nach West durchnummeriert sind. Zu<br />

diesen 22 Hofstellen gehören aber nur 19<br />

Besitzer (Stelle <strong>Nr</strong>. 15 gehört zu <strong>Nr</strong>. 17, <strong>Nr</strong>.<br />

16 zu <strong>Nr</strong>. 14 und <strong>Nr</strong>. 20 zu <strong>Nr</strong>. 18). In der<br />

beigefügten Tabelle sind die Hofbesitzer<br />

mitsamt den Größen ihrer Besitzparzellen<br />

angegeben. Ferner finden sich die Buchstaben<br />

H und K. Diese geben die Abhängigkeiten<br />

der Bauern von ihren jeweiligen<br />

Gutsherren an. Sämtliche Bauern sind<br />

bemeiert, d. h. einem Gutsherren gegenüber<br />

abgabenpflichtig. Bei zweien sind es<br />

die Herren von der Hude (<strong>Nr</strong>. 8 und 11),<br />

bei dreien das Kloster Osterholz (<strong>Nr</strong>. 13, 15<br />

und 18), während die Mehrzahl (13) bei<br />

20 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Bisher vermutlich erstmalig veröffentlichte Karte<br />

der Stadt Bremen bemeiert ist. Einen Sonderfall<br />

stellt der Bauer Carsten Schriffer<br />

dar: Mit seinem Stück <strong>Nr</strong>. 16 ist er nur der<br />

Stadt Bremen gegenüber bemeiert, mit<br />

seinem Stück <strong>Nr</strong>. 14 hingegen Bremen und<br />

dem Kloster Osterholz.<br />

Nach Osten, jedoch durch einen Damm<br />

o. a. abgegrenzt, schließen sich noch<br />

einige weitere Parzellen an, die aber weder<br />

bebaut noch als Besitz einzelner Bauern<br />

ausgewiesen sind. Von den 22 Besitzstücken<br />

sind auch zwei (<strong>Nr</strong>. 15 und 16)<br />

nicht bebaut; bei den übrigen ist die<br />

Bebauung sehr unterschiedlich eingetragen.<br />

Neben stattlichen Gebäuden finden<br />

sich auch sehr schlicht und klein gehaltene<br />

Häuser, ein Hinweis auf die offenbar sehr<br />

unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

im Dorf zu jener Zeit. Eine besondere<br />

Funktion im Dorf nimmt der Besitzer von<br />

<strong>Nr</strong>. 12 ein: Johan Hoppe wird als Vogt<br />

gekennzeichnet. Zwischen <strong>Nr</strong>. 11 und 12<br />

befindet sich ein keilförmiges Landstück,<br />

das als de müdste bezeichnet wird und vier<br />

Bauern gemeinsam gehört.<br />

Die Höfe befinden sich allesamt aufgereiht<br />

entlang der südlichen Seite eines<br />

Dammes, der im W die Beek quert. Auf der<br />

gegenüberliegenden Seite finden wir in<br />

zentraler Position – in Höhe des Hofes <strong>Nr</strong>.<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

12 (Vogt Hoppe) – die Schole. Westlich<br />

von ihr sind 5, östlich 6 Hausstellen eingetragen.<br />

Nach Norden hin sind verschieden<br />

breite Streifen, z. T. mit H bzw. K beschriftet,<br />

eingezeichnet.<br />

Kartierwesen noch<br />

in den Anfängen<br />

Wie lassen sich nun diese Befunde deuten,<br />

in einen Zusammenhang bringen und<br />

im Hinblick auf die Frage nach dem Zweck<br />

der Karte einbringen?<br />

Bei der Karte selbst muss man zunächst<br />

feststellen, dass Vermessungs- und Kartierwesen<br />

noch nicht in der Form ausgebildet<br />

waren, wie wir es heute gewohnt<br />

sind, sondern noch in den Anfängen steckten.<br />

So ist z. B. die Orientierung nach den<br />

Himmelsrichtungen nicht korrekt, ebenso<br />

wie das Verhältnis Länge zu Breite des Dorfes.<br />

Häuser und Bäume sind eher naturgetreu<br />

eingezeichnet; es waren noch keine<br />

entsprechenden Signaturen entwickelt.<br />

Nachdem für das 14. Jh. einige Urkundentexte<br />

beigebracht werden konnten<br />

und daraus Schlussfolgerungen zur Entstehung<br />

der Siedlung Teufelsmoor abgeleitet<br />

wurden, finden sich zunächst einmal keine<br />

weiteren auf den Ort bezogenen schriftlichen<br />

Überlieferungen. Erst 1518 wird<br />

berichtet, dass die Heckers-Wiese auf dem<br />

Teufelsmoor verkauft worden ist. 6 ) 1616<br />

und 1641 taucht Teufelsmoor in Bezug auf<br />

Jagdrechte in den Urkunden noch einmal<br />

auf. 7 ) Sehr wahrscheinlich beziehen sich<br />

auch die Urkunden von 1398 (wysch uppe<br />

dem Klenen Becke), 2x 1472 (unse hele stuecke,belegen<br />

by der Westerbekinge Wische,<br />

an der Hamme up went in den moer); (unser<br />

Westerbekinge Damm, …strecket sick van<br />

der Hamme went in den moer) und 2x 1473<br />

(unse heele stuecke by der Westerbeckinge<br />

Wysche belegen, und den Westerbeckinge<br />

Damm); (unse wisch, gelegen uppe dem<br />

Becke) 8 ) auf den Ort.<br />

Erste Auflistung<br />

sämtlicher Bauleute<br />

Für das Jahr 1536 hat Müller-Brauel aus<br />

einem damaligen Steuerregister die Stelleninhaber<br />

des Dorfes aufgelistet. Dort<br />

heißt es:<br />

Up dem More<br />

Hermen Badeker<br />

B<br />

Hynrich Wellebrokes<br />

B<br />

Geuerdt Segelken<br />

B<br />

Johan Tynken<br />

B<br />

Marten Willebrokes<br />

B<br />

21


Johan Beneken<br />

B<br />

Johan Frudynges<br />

B<br />

Dyrich Schmunsze (?)<br />

B<br />

Hynrich Lammeken<br />

B<br />

Johan Lammeken<br />

B<br />

Marten Wessels<br />

B<br />

Clawes Gerken<br />

B<br />

Abelke Mertens<br />

(ist durchstrichen und Dyrich Vyncken darüber<br />

notiert, die Ab. Mertens hat also D. V.<br />

geheiratet)<br />

Lutke up dem More<br />

B<br />

Marten Dule<br />

B<br />

Dyrich van Osen thor Wulseborch<br />

(ist von anderer Scheiberhand nachnotiert,<br />

dann aber durchstrichen)<br />

Hynrich Wessels<br />

B<br />

Dyrich Otten<br />

B<br />

Albert up der Semmeken B 9 )<br />

B = Bur (ein voller Bauer)<br />

Lässt man den Besitzer der Wulfsburg<br />

außer Acht, so zählen wir für das Dorf Teufelsmoor<br />

18 Vollbauern-Stellen; dies ist in<br />

dieser Form schon eine Besonderheit, dass<br />

ein Dorf eine derartig einheitliche Struktur<br />

(ohne halbe Stellen, Kötner o. ä.) aufweist.<br />

Eine Zuordnung der Namen zu den einzelnen<br />

Hofstellen ist aus der Auflistung heraus<br />

kaum möglich. Beim Vergleich mit der<br />

Tabelle in der Karte zeigt sich, dass nur<br />

wenige Namen wieder auftauchen, z. B.<br />

Gerken, etliche aber verschwunden und<br />

durch neue ersetzt worden sind.<br />

Lagebeschreibungen<br />

anlässlich Inspektionsreise<br />

Gerichtseinteilung des Erzstifts Bremen im Spätmittelalter<br />

Das gilt auch bereits für die nächste Auflistung,<br />

die nur knapp 50 Jahre später<br />

erfolgt ist. Fitschen zitiert hierbei aus<br />

einem Bericht des Jahres 1581, der anlässlich<br />

einer Besichtigung des Dorfes erstellt<br />

worden ist, um „der Meyer auf dem Teufels-Mohr<br />

Gerechtigkeiten“ festzustellen.<br />

10<br />

) Hier wird jedoch die Lage der Besitzstücke<br />

angegeben, beginnend mit Gevert<br />

Wellbrocks Land, auf dem Brinke, über die<br />

Brücke, sodass in dieser Aufstellung eine<br />

Reihenfolge – von W nach NO – gegeben<br />

ist. Als Lageangabe taucht häufig auf anne<br />

denn Beek, sowohl für Landstücke wie auch<br />

für Wohnstätten. V. a. bei den Höfen, aber<br />

auch bei den Landstreifen kann damit<br />

nicht der Fluss gemeint sein, sondern ein<br />

Damm, der ab der Beek-Brücke die Siedlung<br />

durchzieht (der später als Querdamm<br />

bezeichnet wird).<br />

Bei den in den Urkunden dokumentierten<br />

Verkäufen klangen die Lagebezeichnungen<br />

ganz ähnlich. Diese Namens-Ähnlichkeit<br />

mag dafür sprechen, die o. g.<br />

Urkunden von 1398, 1472 und 1473 in<br />

der Siedlung Teufelsmoor zu verorten.<br />

Genannt werden auch Wüste Länder,<br />

wohl die Stellen <strong>Nr</strong>. 3, 4, 6 und 7, die aber<br />

im Besitz von Bauern aus dem Ort sind. Insgesamt<br />

umfasst die Liste 13 Punkte. Zu<br />

einigen Punkten finden sich mehrere<br />

Namen, andererseits tauchen Namen doppelt<br />

auf. Die Gesamtzahl der Stellen<br />

(einschließlich der wüst gefallenen)<br />

beträgt demnach 27, die Zahl der Hofbesitzer<br />

20. 11 )<br />

Auffällig bei der Lagebeschreibung ist<br />

auch, dass bei etlichen Besitzern gesagt<br />

wird, dass ihre Ländereien sich über die<br />

Hamme hinweg erstrecken, unter <strong>Nr</strong>. 7<br />

und 8 steht z. B. „bis an die Meven See<br />

oder Middels-Mohr“, unter <strong>Nr</strong>. 9 und 10<br />

„biß an den Abel-Hüttenberg“.<br />

Karte älter als<br />

angenommen<br />

Ausführliche Informationen speziell über<br />

das 17. Jh. enthält eine Acta betreffend<br />

gesammelte Nachrichten über das Teufelsmohr<br />

12 ) Dort findet man weitere Höfelisten<br />

(von 1619, 1626, 1642, 1663, 1668 und<br />

1679). Sieht man sich die Namen in diesen<br />

Listen an, so stellt man fest, dass die Liste<br />

von 1642 mit der Tabelle in der Karte übereinstimmt.<br />

Das heißt also, dass die Karte<br />

den Stand von 1642 wiedergibt und nicht<br />

den von 1668; für 1668 finden sich ganz<br />

andere Hofbesitzer. 13 ) Die Karte ist demnach<br />

26 Jahre älter als bisher angenommen!<br />

Über die Anlässe zur Verfertigung dieser<br />

Karte gibt Fitschen ausführlich Auskunft. 14 )<br />

Es ging – kurz gesagt – um unerlaubtes<br />

Torfgraben im wilden Moor. Um hier für<br />

die Zukunft geregelte Zustände zu bekommen,<br />

sollte eine Teilung vorgenommen<br />

werden entsprechend den gegenwärtigen<br />

Besitzgrößen. Dazu benötigte man einen<br />

Ingenieur, der die Vermessung des Moores<br />

vornehmen und einen Abriss, also eine<br />

Karte, herstellen könnte. Dieser wurde mit<br />

Johannes von Folterbach gefunden, der<br />

damit ganz offensichtlich Urheber unserer<br />

Karte ist.<br />

Vogt Hoppe soll schlichten<br />

Entscheidend mitgewirkt hat bei den<br />

Bestrebungen zur Konfliktbereinigung der<br />

verzeichnete Vogt Johan Hoppe (auf <strong>Nr</strong>.<br />

XII). Über ihn und seine Arbeit informiert<br />

uns Fitschen in seinem Aufsatz ausführlich.<br />

Johan Hoppe war als Vogt in einer herausgehobenen<br />

Stellung. Berufen wurde er<br />

durch die Bremer Ratsherren und Drosten<br />

zu Blumenthal Wilhelm von Bentheimb<br />

und Gottfried Wencke, um im Auftrag der<br />

Stadt Bremen für Ordnung unter den Ratsmeiern<br />

zu sorgen. Er war also nur zuständig<br />

für die Bauern, die der Stadt Bremen<br />

zugehörten. Bremen war an diesen Besitz<br />

gekommen, nachdem die Stadt 1436 die<br />

Burg Blumenthal (ursprünglich im Besitz<br />

derer von Aumund) erobert hatte. 15 ) So<br />

war durch Schiedsspruch des Erzbischofs<br />

Balduin II. der Besitz einschließlich der Teufelsmoorer<br />

Meier an die Stadt Bremen<br />

gelangt, die ab 1608 ihre Einkünfte durch<br />

einen Vogt einziehen ließ. 16 )<br />

Johan Hoppe war in Teufelsmoor ansässig,<br />

bereits vordem für das Dorf tätig und<br />

hatte somit eine Vertrauensstellung erworben.<br />

Er wurde am 3. September 1624 mit<br />

seinen Aufgaben betraut 17 ), die er mit<br />

großer Sorgfalt wahrgenommen hat. So<br />

wurde er 1638 zusätzlich noch zum Vogt<br />

und Verwalter des Hauses Blumenthal<br />

ernannt. Dies blieb er bis 1652, seinem<br />

Todesjahr (?).<br />

Umfangreiche Berichte liefert er über<br />

diverse Streitfälle im Dorf. Hier kam es des<br />

Öfteren zu Zwischenfällen, deren Regelung<br />

nicht immer einfach war, weil die Gerichtsbarkeit<br />

den Gutsherren unterstand und<br />

durch die Verhältnisse im Ort verschiedenen<br />

Gerichtsherren unterstand. 18 )<br />

Es handelt sich bei den vorliegenden<br />

Berichten aber stets nur um zivile Angelegenheiten;<br />

von militärischen finden sich<br />

keine Nachrichten, der Dreißigjährige Krieg<br />

scheint also weit weg gewesen zu sein.<br />

Von den Leistungen Hoppes seien hier<br />

nur erwähnt der Neubau der Brücke über<br />

die Beek sowie der Bau eines Dammes von<br />

1/2 Meile Länge durch das ganze Moor.<br />

Gemeint sein muss hierbei der Querdamm,<br />

der bereits vorhanden war, aber<br />

neu aufgeschüttet oder erhöht werden<br />

musste, möglicherweise eine Folge der<br />

verheerenden Sturmflut vom Oktober<br />

1634, die als (zweite) Grote Mandränke<br />

Küstenbereiche zerstört und viele tausend<br />

Tote gefordert hat. Bei diesem Umfang ist<br />

anzunehmen, dass sie auch bis Teufelsmoor<br />

vorgedrungen ist.<br />

Vermutlich auch ein Werk unter Hoppes<br />

Leitung ist die Schule, von der es nur heißt:<br />

„Am 9. September 1642 versammelten<br />

sich die Abgesandten bei der neuerbauten<br />

Schule, die Johann Hoppes Haus gegenüber<br />

lag.“ 19 ) Wir finden sie ziemlich mittig<br />

im Dorf, jedoch auf der nördlichen Seite<br />

des Dammes, der auf der Seite von einer<br />

Baumreihe gesäumt zu sein scheint. Eine<br />

Dorfschule in der Zeit stellt sicher eine<br />

Besonderheit dar, denn von einer allgemeinen<br />

Schulpflicht konnte damals längst<br />

noch nicht die Rede sein.<br />

Dorferweiterung durch<br />

Häuslingsstellen<br />

Auf einigen Parzellen, fünf westlich und<br />

sechs östlich der Schule, sind kleinere<br />

Gebäude verzeichnet; das müssen die<br />

ersten Häuslingsstellen sein, die von den<br />

22 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Bauleuten des Dorfes angesiedelt worden<br />

sind, um Hilfskräfte für die Erschließung<br />

der zur Beek hin gelegenen Hochmoorgebiete<br />

und den dort betriebenen Torfstich<br />

zu haben. Die Namen dieser untergeordneten<br />

Siedler sind nicht angegeben, es<br />

mögen nicht erbberechtigte Kinder oder<br />

auch Zuzügler dort ihren Platz gefunden<br />

haben. 20 )<br />

Dass dieses Moor nicht mehr unberührt<br />

war, zeigen die Grenzlinien sowie die<br />

Zuordnung zu den alteingesessenen Besitzern.<br />

Damit erschließt sich denn auch der<br />

Grund für die Anfertigung der Karte. Fitschen<br />

berichtet von jahrzehntelangen Streitereien<br />

über Hutungs- und Torfstichrechte,<br />

wobei die Zugehörigkeit der Meier zu den<br />

verschiedenen Grundherren die Sache<br />

nicht gerade einfacher machte. 21 ) Nur<br />

durch eine genaue Vermessung und evtl.<br />

Teilung des strittigen Moorgebietes glaubte<br />

man, den Übelstand beseitigen zu können.<br />

So erhielt J. v. Folterbach den Auftrag, und<br />

dadurch sind wir im Besitz dieses einzigartigen<br />

historischen Karten-Dokuments.<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen<br />

1<br />

) Reelf Menkhoff, Chronik von Osterholz-<br />

Scharmbeck, Band I; Osterholz-Scharmbeck<br />

2004; hier S. 48<br />

2<br />

) Karl Lilienthal, Jürgen Christian Findorffs<br />

Erbe; Lilienthal 1982 (Nachdruck der Erstausgabe<br />

von 1931); hier S. 69<br />

3<br />

) ebd., S. 67<br />

4<br />

) Hermann Fitschen, Das Dorf Teufelsmoor<br />

im 16. und 17. Jahrhundert; in: <strong>Heimat</strong>bote<br />

<strong>Nr</strong>. 23 – 26/1926; hier <strong>Nr</strong>. 25, S. 98<br />

5<br />

) ebd., S. 97, 98<br />

6<br />

) Hans-Heinrich Jarck, Urkundenbuch des<br />

Klosters Osterholz; Hildesheim 1982, S.<br />

315<br />

7<br />

) ebd., S. 415 und 455<br />

8<br />

) ebd., S. 207; die Anmerkung Hodenbergs<br />

beschreibt die örtlichen Gegebenheiten<br />

jedoch falsch; S. 269, 270, 271<br />

9<br />

) Hans Müller-Brauel, Das älteste Einwohnerverzeichnis<br />

des Kreises Osterholz; in:<br />

<strong>Heimat</strong>bote <strong>Nr</strong>. 19/1926, S. 75/76<br />

10<br />

) H. Fitschen, a. a. O., S. 90. Die Namensliste<br />

findet sich auch in verkürzter Form<br />

bei Menkhoff, a. a. O., S. 31<br />

11<br />

) Menkhoff nennt hier die Zahl 19; im Text<br />

bei Fitschen finden sich unter Punkt 13<br />

aber sechs Namen (Albert Semken,<br />

Johann Kück, Dirch Finke, Henrich Segelken,<br />

Johann Monsees und Johann Monsees).<br />

Dass es offenbar 2 Bauleute<br />

namens Johann Monsees gab, wird im folgenden<br />

bekräftigt, wenn es heißt: „alle 6<br />

nacheinander folgend“.<br />

12<br />

) Staatsarchiv Stade Rep 5a Fach 443 <strong>Nr</strong>.<br />

35<br />

13<br />

) Das bedeutet, dass die Auflistung bei<br />

Menkhoff, a. a. O., S. 47 ebenfalls falsch<br />

datiert ist, richtig wäre auch hier 1642<br />

14<br />

) H. Fitschen, a. a. O.; S. 97/98<br />

15<br />

) Hans-Eckhard Dannenberg und Heinz-<br />

Joachim Schulze (Hrsg.), Geschichte des<br />

Landes zwischen Elbe und Weser Band II;<br />

Stade 1995, S. 214<br />

16<br />

) H. Fitschen, a. a. O., S. 93; Arthur von<br />

Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze<br />

im Herzogtum Bremen; Stade 1938, S. 175<br />

17<br />

) H. Fitschen, a. a. O., S. 94<br />

18<br />

) Kartenausschnitt aus: Hans G. Trüper, Ritter<br />

und Knappen zwischen Weser und<br />

Elbe; Stade 2000, S. 459. Von den Ziffern<br />

seien erläutert die Dammgerichte (mit ?)<br />

<strong>Nr</strong>. 2 = Ritterhude, 3 = Schönebeck und 4<br />

= Sandbeck; das Bördegericht <strong>Nr</strong> 34 =<br />

Scharmbeck sowie die Vogtei Ottersberg,<br />

deren Grenze zu Scharmbeck die Hamme<br />

markiert.<br />

19<br />

) H. Fitschen, a. a. O., S. 97<br />

20<br />

) Fliedner (Dietrich Fliedner, Die Kulturlandschaft<br />

der Hamme-Wümme-Niederung;<br />

Göttingen 1970) gibt an (auf S. 145),<br />

dass bereits im Jahr 1586 in Teufelsmoor<br />

15 Häuslingskaten existiert haben.<br />

21<br />

) H. Fitschen, a. a. O., S. 97<br />

Lesenswertes<br />

Johann Hieronymus Schroeters<br />

ungewöhnliche Erfolgs- und<br />

Familiengeschichte<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

Die Bedeutung des Lilienthaler Astronomen<br />

und seine nicht alltägliche Familiensaga<br />

werden in einem neuen Buch dokumentiert<br />

und beleuchtet.<br />

Ein Wunder? So könnte es schon<br />

genannt werden. Denn auch die eifrigsten<br />

Schroeter-Forscher rechneten nicht mehr<br />

damit, Neues über den Lilienthaler Oberamtmann<br />

und seine Nachkommen zu<br />

erfahren.<br />

Doch vor zwei Jahren meldeten sich<br />

direkte Nachfahren (Dr. Heide Bittner aus<br />

Deutschland und bald danach aus Amerika<br />

Carol Page und Herbert F. Schroeter), und<br />

der Schleier der Ungewissheit konnte<br />

gelüftet werden.<br />

Zwischenzeitlich ist viel geschehen: Verwandte<br />

des wohl berühmtesten Bürgers<br />

Lilienthals wandelten auf den Spuren ihres<br />

Vorfahren und tauschten mit Mitgliedern<br />

des <strong>Heimat</strong>vereins Dokumente, Bilder,<br />

Urkunden und eine Menge Geschichtsmaterial<br />

aus.<br />

All` diese neuen Erkenntnisse wurden<br />

jetzt in einem spannenden Buch zusammengefasst,<br />

welches Einblick in die ungewöhnliche<br />

Familiengeschichte des<br />

bekannten Astronomen und Amtmanns<br />

Schroeter gibt. Wie bekannt, wurde sein<br />

leiblicher Sohn, Johann Friedrich Schroeter,<br />

von der armen Bauerntocher Ahlke<br />

Lankenau in St. Jürgen geboren, die er,<br />

wahrscheinlich wegen des Standesunterschiedes,<br />

nie heiratete.<br />

Ein Novum: Zum ersten Mal befassen<br />

sich auch Nachfahren in interessanten<br />

Beiträgen aus ihrer persönlichen Sicht mit<br />

Johann Hieronymus Schroeters Leben und<br />

seinem Ansehen als Astronom.<br />

Die Autoren des Buches, Peter Richter<br />

und Harald Kühn, möchten die Bedeutung<br />

Schroeters als einen der größten Astronomen<br />

seiner Zeit herausstellen, der sowohl<br />

in der astronomischen Fachwelt als auch in<br />

der Weltliteratur Anerkennung fand. Doch<br />

auch die außerordentlich faszinierende<br />

Familiengeschichte wird, gemeinsam mit<br />

den Nachfahren Dr. Heide Bittner, Carol<br />

Page und Herbert F. Schroeter, lebendig<br />

und eindrucksvoll dokumentiert.<br />

Dieses heimatgeschichtliche Buch hat<br />

bewusst nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen<br />

Abhandlung, sondern wurde<br />

mit vielen neuen Erkenntnissen und Beiträgen<br />

sowie mit erstmals veröffentlichten Bildern<br />

und Dokumenten als spannende,<br />

abwechslungsreiche Lektüre konzipiert.<br />

Die Vorstellung des Buches erfolgt am<br />

Sonnabend, 2. November <strong>2013</strong>, um 16.00<br />

Uhr, im Schroeter-Saal von Murkens Hof in<br />

Lilienthal. Gäste sind herzlich willkommen.<br />

Harald Kühn<br />

Vorne v.l.: Jean Sigler, Sophia und George Schroeter,<br />

Chuck Sigler, Herb Schroeter jr.<br />

Hinten v.l.: Margie (Schroeter) Sigler, Charlie Sigler,<br />

Herb Schroeter sr.<br />

23


„Sehnsuchtsvoll nach dem vollen ganzen Leben“<br />

Die Bremer Malerin Elisabeth Noltenius (1888–1964)<br />

Das bewegte Leben der Bremer Malerin<br />

Elisabeth Noltenius (1888-1964) ist ein faszinierendes<br />

Stück Bremer Zeitgeschichte.<br />

Im „3-Kaiser-Jahr“ wurde sie als Tochter<br />

eines Rechtsanwalts geboren und wuchs<br />

mit drei Geschwistern in großbürgerlicher<br />

Atmosphäre auf. Ihr Talent zeigte sich früh,<br />

Elisabeth Noltenius<br />

doch die Kunstakademien in Deutschland<br />

gewährten Frauen keinen Zutritt, und so<br />

ließ sich Elisabeth Noltenius zur Zeichenlehrerin<br />

ausbilden – ein Beruf, der Frauen<br />

eher zugestanden wurde. Sie wusste wohl<br />

Unterricht bei<br />

Hans am Ende und<br />

Clara Rilke-Westhoff<br />

von Anfang an, dass ihr das nicht genügte,<br />

nahm Unterricht im Radieren bei Hans am<br />

Ende und lernte Bildhauern bei Clara Rilke-<br />

Westhoff. 1911 zog sie nach München, um<br />

an der dortigen „Damenakademie“ Kunst<br />

zu studieren. In einer Zeit, in der Universitäten<br />

und Akademien Frauen kategorisch<br />

vom Studium ausschlossen, war eine<br />

Damenakademie die einzige Möglichkeit<br />

für Frauen, sich systematisch auf den Beruf<br />

der bildenden Künstlerin vorzubereiten.<br />

Doch nur die wenigsten Absolventinnen<br />

übten ihn anschließend auch wirklich aus:<br />

Noch immer galt eine Ausbildung für bürgerliche<br />

Frauen vor allem als Zeitvertreib,<br />

um die Jahre bis zur Heirat sinnvoll zu überbrücken.<br />

Elisabeth Noltenius hatte andere<br />

Pläne: Sie genoss das Studium, die Anregungen<br />

der Großstadt und die Freiheiten<br />

eines selbstständigen Lebens fern von<br />

zuhause.<br />

Der Erste Weltkrieg, den sie in München<br />

erlebte, brachte ihr tragische Verluste:<br />

Beide Brüder fielen im Krieg, ihre Schwester<br />

starb, als sie im Lazarett Soldaten<br />

pflegte. 1919 wurde ihr Verlobter in der<br />

Münchner Räterepublik als Geisel erschossen,<br />

zeitgleich starb ihr Vater. Elisabeth<br />

Noltenius kehrte nach Bremen zurück und<br />

musste von nun an allein für sich und ihre<br />

Mutter sorgen, indem sie mit ihrer Kunst<br />

Geld verdiente.<br />

Lebensunterhalt mit<br />

Kunst verdient<br />

Mit beeindruckendem Lebensmut und<br />

unbedingtem Willen zur Kunst behauptete<br />

sich die junge Malerin trotz der Schicksalsschläge:<br />

Sie richtete sich in Bremen am<br />

Osterdeich ein eigenes Atelier ein und<br />

begann, sich mit Auftragsarbeiten als Porträtistin<br />

ihr Geld zu verdienen. Zwei Jahre<br />

später entdeckte sie bei Radfahrten in der<br />

Bremer Umgebung den kleinen Ort Meyenburg<br />

in der Nähe von Schwanewede für<br />

sich – hier fand sie die Ruhe und Nähe zur<br />

Natur, die sie zum Malen brauchte, und<br />

mietete sich ein Atelier. In den folgenden<br />

Jahren schuf sie unzählige Bilder: Landschaftsgemälde,<br />

deren Motive sie in und<br />

um Meyenburg fand, aber auch Stillleben<br />

und Porträts. Ihre Werke zeugen von ihrer<br />

intensiven Auseinandersetzung mit zeitgenössischen<br />

Kunstströmungen, aber<br />

auch von ihrer Liebe zur norddeutschen<br />

Landschaft.<br />

Die Sehnsucht nach dem Leben lockte<br />

sie aber auch in die Ferne: In den 1920er<br />

Spanische Landschaft<br />

Elisabeth Noltenius: Selbstporträt<br />

und 1930er Jahren reiste sie nach Italien<br />

und Spanien, nach Ungarn und Norwegen.<br />

Meist reiste sie allein, was in dieser<br />

Zeit alles andere als selbstverständlich für<br />

Frauen war. Sie vertiefte sich in die Kunstschätze<br />

vor Ort, verbrachte Stunden in<br />

Museen und Kirchen, schaute, zeichnete<br />

und führte ein Tagebuch, in dem sie ihre<br />

oft leidenschaftlichen, oft aber auch kritischen<br />

Beobachtungen festhielt. Sie nahm<br />

Unterricht bei Willi Jäckel in Berlin und studierte<br />

einige Zeit in Paris, um sich künstlerisch<br />

weiterzuentwickeln. Um als unverheiratete<br />

Frau ihr Auskommen zu sichern,<br />

musste sie auch Zeichenunterricht und<br />

Kunstgeschichtskurse geben und vor allem<br />

Porträtaufträge annehmen.<br />

Vielbeschäftigte Porträtistin<br />

Dass sie zur gefragten Porträtistin<br />

wurde, war Fluch und Segen zugleich:<br />

Zwar bescherten ihr die Aufträge, die sie<br />

durch ganz Deutschland und bis in die<br />

Schweiz führten, ein mehr oder weniger<br />

regelmäßiges Einkommen, aber oft genug<br />

waren künstlerische Zugeständnisse an die<br />

Auftraggeber erforderlich, und die Porträtmalerei<br />

kostete viel Zeit und Kraft, die ihr<br />

für die eigene künstlerische Arbeit fehlte.<br />

Nach 1933 setzte sich Elisabeth Noltenius<br />

wiederholt für ihre Freundin und<br />

Kollegin, die jüdische Malerin Dora Bromberger<br />

ein. Sie organisierte mehrfach Ausstellungen<br />

in ihrem Atelier mit den Bildern<br />

der Freundin und intervenierte – vergeblich<br />

– bei der Gestapo, als Dora Bromberger<br />

mit ihrer Schwester in ein Lager<br />

abtransportiert werden sollte. Im November<br />

1939 schrieb sie in ihr Tagebuch über<br />

24 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


die Ausgangssperre und die vielen anderen<br />

Gesetze gegen jüdische Mitbürger:<br />

„Nichts als Schikane, – es ist eine Schande<br />

für uns!“ Den Zweiten Weltkrieg erlebte sie<br />

in Bremen, dokumentierte die knapper<br />

werdenden Lebensmittel, die Bombennächte,<br />

den Tod der Mutter und die<br />

täglichen Sorgen in ihrem Tagebuch.<br />

Großteil der Bilder<br />

vernichtet<br />

Als ihr Atelier in der Buchtstraße 1944<br />

bei einem Bombenangriff völlig zerstört<br />

wurde, wurde auch ein großer Teil ihrer<br />

Bilder vernichtet. „Nach Verlust der Buchtstr.<br />

16 am 6. Okt. bin ich ohne jede<br />

Arbeitsmöglichkeit. Die Aufträge […] müssen<br />

abgesagt werden, da weder Pinsel,<br />

noch Farben, noch Stifte vorhanden“,<br />

notierte sie nüchtern in ihrem Tagebuch.<br />

Doch sie ließ sich nicht entmutigen: Nach<br />

dem Krieg erfüllte sie sich einen lang<br />

gehegten Traum und baute sich 1949 in<br />

Meyenburg ihr eigenes Atelier. Mühsam<br />

mussten die einzelnen Baustoffe herangeschafft<br />

– und zuvor erst einmal durch Porträtaufträge<br />

verdient! – werden, aber<br />

umso mehr genoss sie die folgenden Jahre<br />

in der dörflichen Abgeschiedenheit. Bis zu<br />

ihrem Tod 1964 entstanden hier zahlreiche<br />

Bilder von arbeitenden Bauern auf den Feldern,<br />

Landschaftsstudien, aber auch ihr<br />

letztes großes Selbstporträt.<br />

Obwohl sie schon zu Lebzeiten vielfach<br />

ausgestellt und sich als Malerin einen<br />

Namen gemacht hatte, geriet Elisabeth<br />

Noltenius nach ihrem Tod in Vergessenheit<br />

– wie so viele Künstlerinnen ihrer Generation.<br />

Anlässlich ihres 125. Todestages ist es<br />

nun Zeit für eine Wiederentdeckung: Die<br />

Retrospektive „Sehnsuchtsvoll nach dem<br />

vollen ganzen Leben!“ im Overbeck-<br />

Museum in Bremen vom 20. Oktober<br />

<strong>2013</strong> bis zum 12. Januar 2014 soll dazu<br />

beitragen. Begleitend erscheint ein reich<br />

bebilderter Katalog zur Ausstellung, in<br />

dem ihr Leben und Werk ausführlich vorgestellt<br />

und erstmals auch Auszüge aus<br />

ihren Tagebüchern publiziert werden.<br />

Dr. Katja Pourshirazi<br />

Kerteminde<br />

„Lieblingsort“ für den Maler, Zeichner und Grafiker Paul Ernst Wilke (1894–1971)<br />

Die Große Kunstschau Worpswede<br />

zeigte in der Zeit vom 16. Juni bis zum 15.<br />

September <strong>2013</strong> die Ausstellung „Begegnungen<br />

– Malerinnen aus der Künstlerkolonie<br />

Kerteminde und Worpswede“. Die<br />

Präsentation ist im Rahmen der Sommerausstellung<br />

„Malerinnen im Aufbruch“ in<br />

den Museen des Worpsweder Museumsverbundes<br />

durchgeführt worden.<br />

An dieser Stelle wollen wir unseren Blick<br />

auf die dänische Kleinstadt Kerteminde<br />

richten. Sie liegt auf der Ostseeinsel Fünen<br />

am Großen Belt. Hier gründete die<br />

Malergruppe der „fünischen Schule“ in<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

eine Künstlerkolonie. Zu den „fünischen<br />

Malern“ zählten unter anderem Johannes<br />

Larsen, Peter Hansen, Fritz Syberg und die<br />

Ehefrauen Anna Syberg sowie Alhed Larsen.<br />

Die Kunstströmung dieser Gruppe<br />

war im Wesentlichen vom Impressionismus<br />

geprägt. Sie übte einen nachhaltigen<br />

Einfluss auf die dänische Malerei des<br />

20. Jahrhunderts aus.<br />

Kerteminde war für den Worpsweder<br />

Maler, Zeichner und Grafiker Paul Ernst<br />

Wilke ein „Lieblingsort“. Der Künstler, der<br />

1939 nach Worpswede übergesiedelt war,<br />

hatte Kerteminde 1955 für sich als einen<br />

malerischen Ort entdeckt. Dort verbrachte<br />

er bis 1963 zusammen mit seiner Familie<br />

und mit Freunden aus Worpswede wiederholt<br />

eine kreative Urlaubszeit.<br />

Ostsee-Landschaft<br />

eindrucksvoll festgehalten<br />

Die Landschaft an der Ostsee mit den<br />

historischen Fischerhäusern von Kerteminde<br />

hat der Künstler in vielen Zeichnungen<br />

und Gemälden eindrucksvoll festgehalten.<br />

In seinem künstlerischen Schaffen ließ<br />

Paul Ernst Wilke seine große Verehrung für<br />

den deutschen und für den französischen<br />

Impressionismus zeitlebens erkennen. Wie<br />

die Maler des Impressionismus war er in<br />

seiner Kunst ein „ausgesprochener Augenmensch“,<br />

der die Stimmungen und die<br />

Schönheiten der Natur vor allem als Freilichtmaler<br />

zeichnete und malte. Mit seinem<br />

sensiblen Farbempfinden konnte er<br />

stets aufs Neue aus der interessanten Landschaft<br />

an der Wasserkante schöpferische<br />

Impulse empfangen. Und es ist verständlich,<br />

dass der Künstler Paul Ernst Wilke die<br />

maritime Atmosphäre von Kerteminde als<br />

einen besonderen „Lieblingsort“ erlebte.<br />

Dr. Helmut Stelljes<br />

Literatur:<br />

Stelljes, Helmut: „Auf Motivsuche von der<br />

Nordsee bis zum Mittelmeer. Der Maler und<br />

Zeichner Paul Ernst Wilke 1894 – 1971, Bremerhaven/Worpswede“.<br />

Worpswede, 1986.<br />

Schwabe, Nora/ Weber, Heinz (Freundeskreis<br />

Paul Ernst Wilke): „Paul Ernst Wilke 1894 –<br />

1971, Maler und Zeichner, Bremerhaven,<br />

Worpswede – und halb Europa. Verlag H.M.<br />

Hauschild, Bremen 1997.<br />

Paul Ernst Wilke an seiner Staffelei in Kerteminde<br />

1955 Foto: Privatarchiv<br />

„Schuppen für Fischernetze in Kerteminde“<br />

Gemälde: Privatarchiv<br />

Sillestrand in Kerteminde<br />

Foto: Privatarchiv<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

25


„Nicht Worte, sondern Taten“<br />

Arbeitseinsätze und Lager des Service Civil International bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />

im Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />

Schwanewede-Neuenkirchen. Vor<br />

65 Jahren, im Sommer 1948, fand im<br />

damaligen Evangelischen Hospital in<br />

„Neuenkirchen bei Farge“ ein internationales<br />

Arbeitslager statt, das vom internationalen<br />

Hilfs- und Freiwilligendienst Service<br />

Civil International (SCI) bzw. vom<br />

Internationalen Zivildienst (IZD), dem<br />

damals so benannten deutschen Zweig<br />

des SCI, durchgeführt wurde. Es war das<br />

erste Lager des IZD in dem nahe von Bremen-Farge<br />

gelegenen Hospital, das 1947<br />

aus einem Marinehospital hervorgegangen<br />

und in einem ehemaligen Barackenlager<br />

aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />

eingerichtet worden war. Das Hospital lag<br />

auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen<br />

Gemeinde Neuenkirchen, die<br />

heute eine Ortschaft von Schwanewede<br />

ist. Träger des Evangelischen Hospitals<br />

Neuenkirchen, zu dem unter anderen ein<br />

Krankenhaus und ein Altersheim gehörten,<br />

war die Innere Mission der evangelischen<br />

Kirche.<br />

In den 1950er Jahren und Anfang der<br />

1960er folgten dann noch zahlreiche weitere<br />

Arbeitseinsätze und Lager des IZD in<br />

Neuenkirchen, die mit dem Anfang 1963<br />

erfolgten Umzug des Hospitals nach Lilienthal<br />

endeten. Neben dem IZD waren im<br />

Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />

auch andere internationale Hilfs- und Freiwilligenorganisationen<br />

tätig.<br />

Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

kam nun erstmals eine Gruppe von<br />

Freiwilligen des SCI bzw. IZD aus aller Welt<br />

nach Neuenkirchen, um im Evangelischen<br />

Hospital Aufbau- und Versöhnungsarbeit<br />

nach all dem Grauen<br />

des Krieges zu leisten.<br />

„Nicht Worte, sondern<br />

Taten“ lautete der<br />

damalige Wahlspruch<br />

des Service Civil International<br />

wie auch des<br />

Logo des IZD (von Internationalen Zivildienstes.<br />

Das „Nicht<br />

1946 bis 1957)<br />

Worte“ war keineswegs<br />

abschließend gemeint, der internationale<br />

Freiwilligendienst wollte vor allem durch<br />

seine „Taten“ in Form von harter Arbeit<br />

überzeugen. Nach eigener Aussage des<br />

SCI schloss dies jedoch keineswegs aus, „in<br />

den Abendstunden und an den Wochenenden<br />

die Probleme der Welt gemeinsam<br />

zu diskutieren und sich Vorträge<br />

anzuhören etc.“<br />

An dem ersten Lager des IZD in Neuenkirchen<br />

im Juli und August 1948 nahmen<br />

insgesamt vierzig Freiwillige aus fünf Ländern<br />

teil, die getreu dem Leitbild der heute<br />

noch bestehenden Organisation einen<br />

Service Civil International<br />

Der Service Civil International<br />

(SCI) ist eine gemeinnützige internationale<br />

und nichtstaatliche Organisation,<br />

die sich laut ihren Statuten durch<br />

Freiwilligenarbeit für Frieden, gewaltfreie<br />

Konfliktlösung, soziale Gerechtigkeit,<br />

nachhaltige Entwicklung und<br />

interkulturellen Austausch einsetzt. Der<br />

SCI organisiert Hilfs- und Friedensdienste<br />

auf freiwilliger Basis und bietet insbesondere<br />

internationale Workcamps<br />

und längerfristige Freiwilligendienste<br />

an. Die Vereinigung wurde 1920 vom<br />

Schweizer Ingenieur Pierre Ceresole<br />

gegründet und ist eine der ältesten Friedens-<br />

und Freiwilligenorganisationen.<br />

Aktuelles Logo des SCI, mit Schriftzug<br />

Die Organisation hat Beraterstatus<br />

beim Europarat und ist Mitglied bei verschiedenen<br />

Dachorganisationen. 1987<br />

wurde dem SCI durch die Vereinten<br />

Nationen die Auszeichnung Messenger<br />

of Peace verliehen. Der SCI hat Zweige<br />

in weltweit über 35 Ländern. Das internationale<br />

Sekretariat des SCI befindet<br />

sich inzwischen in Antwerpen in Belgien.<br />

Der deutsche Zweig wurde nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg als Internationaler<br />

Freiwilliger Dienst für den Frieden<br />

(IFDF) wiedergegründet. Die Anfänge<br />

reichen zurück bis zum Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts, auf deutscher Seite<br />

waren dabei Mitglieder der Jugendbewegung<br />

beteiligt.<br />

1947 wurde der Name des deutschen<br />

Zweigs entsprechend dem internationalen<br />

Gebrauch in Internationaler<br />

Zivildienst (IZD) geändert. 1968 bzw.<br />

offiziell 1974 erfolgte eine weitere<br />

Namensänderung, seitdem wird der<br />

Name Service Civil International –<br />

Deutscher Zweig verwendet.<br />

Aktuelles Logo des SCI – Deutscher Zweig, mit<br />

Initialen<br />

Der SCI – Deutscher Zweig e. V. hat<br />

heute seinen Sitz in Bonn, wo sich auch<br />

dessen Geschäftsstelle befindet.<br />

Text : Baracke Wilhelmine<br />

Quellen: Websites des SCI und SCI –<br />

Deutscher Zweig<br />

wahrlich umfangreichen und körperlich<br />

anstrengenden Arbeitseinsatz erbrachten.<br />

So waren sie während des achtwöchigen<br />

Lagers vor allem bei der Instandsetzung<br />

der „von Schlaglöchern übersäten“<br />

Zufahrtstraße zum Hospitalgelände tätig,<br />

wobei sie mehrere hundert Tonnen Schotter<br />

verbauten. Außerdem leisteten sie Hilfsarbeiten<br />

im Hospital.<br />

Einsatzort: Evangelisches<br />

Hospital Neuenkirchen<br />

Das Evangelische Hospital Neuenkirchen<br />

war eine Zweigeinrichtung der Evangelischen<br />

Fürsorge- und Krankenanstalten<br />

„Birkenhof“ in Hannover und gehörte<br />

damit zur Inneren Mission der Hannoverschen<br />

Landeskirche. Das Hospital befand<br />

sich in der Neuenkirchener Heide, auf dem<br />

Gelände des ehemaligen Marinegemeinschaftslagers,<br />

das während der NS-Zeit als<br />

Barackenlager für militärische Großprojekte<br />

wie zwei Großtanklager und den Bau<br />

der U-Boot-Bunkerwerft „Valentin“ in<br />

Farge/Rekum gedient hatte. Mehr als<br />

10.000 Häftlinge, Kriegsgefangene und<br />

andere Zwangsverpflichtete waren von<br />

den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit<br />

an den beiden Tanklagern und zuletzt an<br />

dem Bunker „Valentin“ herangezogen<br />

worden; mindestens 1.800 von ihnen<br />

waren dabei infolge der unmenschlichen<br />

Lebens- und Arbeitsbedingungen ums<br />

Leben gekommen.<br />

Nach Aufgabe der Bunker-Baustelle aufgrund<br />

der alliierten Luftangriffe gegen<br />

Ende des Zweiten Weltkriegs und der Räumung<br />

des Marinegemeinschaftslagers<br />

hatte der Landkreis Osterholz im<br />

März/April 1945 in den meist massiv<br />

gebauten Baracken auf dem Lagergelände<br />

ein provisorisches Teilkrankenhaus eingerichtet.<br />

Als die britischen Truppen Ende<br />

April 1945 Bremen besetzten, übernahmen<br />

sie das Krankenhaus und richteten<br />

dort ein Marinehospital ein, das dann im<br />

Toreinfahrt zum Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />

– mit der schotterbefestigten Zufahrtstraße,<br />

die im Jahr 1948 von IZD-Freiwilligen instandgesetzt<br />

wurde (Foto von etwa Ende der 1950er Jahre)<br />

26 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Zuge der Übernahme der Enklave Bremen<br />

ab Mai 1945 von der US Army weitergeführt<br />

wurde. 1946 ging die Zuständigkeit<br />

an den Landkreis Osterholz über und<br />

Anfang Februar 1947 übernahm schließlich<br />

die Innere Mission das vormalige<br />

Marinehospital.<br />

(Siehe dazu auch den Artikel „Vom NS-<br />

Barackenlager zum Hospital. Die Historie des<br />

Marinegemeinschaftslagers II und späteren<br />

Marinehospitals in Neuenkirchen (Zeitraum<br />

1935–1947)“ im HEIMAT-RUNDBLICK <strong>Nr</strong>.<br />

100, Ausgabe Frühjahr 2012, S. 26/27.)<br />

In den auf dem vormaligen Lagergelände<br />

befindlichen 32 Massivbau-<br />

Baracken fanden über 1.300 Menschen<br />

eine neue <strong>Heimat</strong>. Zahlreiche Patienten<br />

wurden im Krankenhaus und Altersheim<br />

des Hospitals ärztlich versorgt und<br />

gepflegt. Ende 1962 musste das Evangelische<br />

Hospital jedoch seinen Standort in<br />

Neuenkirchen aufgeben und zog nach Lilienthal,<br />

da das Neuenkirchener Hospitalgelände<br />

von der Bundeswehr übernommen<br />

und zu einer Kaserne ausgebaut<br />

wurde. Dabei wurden die meisten<br />

Baracken abgerissen. Die später so<br />

benannte Weser-Geest-Kaserne wurde<br />

dann im Rahmen der Truppenreduzierungen<br />

Anfang 2004 aufgelöst, seitdem wird<br />

das Kasernengelände als Gewerbepark<br />

genutzt.<br />

Heute dokumentiert die „Baracke Wilhelmine“,<br />

die sich in einem historischen<br />

Barackengebäude des ehemaligen Marinegemeinschaftslagers<br />

befindet, als kleines<br />

regionales Museum die wechselvolle<br />

Geschichte der Nutzung des Geländes und<br />

erinnert als Gedenkstätte an das Leiden der<br />

Häftlinge und Zwangsarbeiter und an die<br />

Opfer der NS-Zeit.<br />

Arbeitseinsätze des IZD<br />

in Neuenkirchen<br />

IZD-Lager vom August 1953: Freiwillige bei der<br />

Kultivierung von Ödland auf dem ehemaligen<br />

Marinetanklager-Gelände; die „Sanddünen“ im<br />

Hintergrund entstanden beim Bau des Tanklagers<br />

wie u. a. beim Aushub der Ölbunker<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

Flugblatt des IZD (um 1948)<br />

Im internationalen Archiv des Service<br />

Civil International in der Schweiz sind<br />

mehrere Dokumente archiviert, aus denen<br />

Einzelheiten über die Arbeitseinsätze des<br />

Internationalen Zivildienstes im Evangelischen<br />

Hospital in Neuenkirchen hervorgehen.<br />

In der Ausschreibung des IZD für das<br />

erste Lager im Sommer 1948 hieß es u. a.:<br />

„Die über 3 km lange Zufahrtstraße zum<br />

Hospital hat so schwere Schlaglöcher, daß<br />

die Krankenwagen der Umgebung sich<br />

weigern, Patienten nach Neuenkirchen zu<br />

bringen. Diese Schlackenstraße, für die<br />

infolge des politischen Zusammenbruchs<br />

niemand verantwortlich zeichnet (reichseigene<br />

Straße), muß gründlich instandgesetzt<br />

werden. Die Arbeit ist schwer und<br />

verlangt vor allem männliche Freiwillige.“<br />

Das IZD-Lager 1948 in Neuenkirchen<br />

wurde organisiert von Herbert Böttger,<br />

dem damaligen Sekretär des deutschen<br />

Zweigs der Hilfs- und Freiwilligenorganisation,<br />

der damals in Mühlheim an der Ruhr<br />

seinen Sitz hatte. Es war eines von fünf<br />

Erwachsenendiensten, die der IZD im<br />

Sommer 1948 in Deutschland durchführte.<br />

An dem Lager nahmen insgesamt<br />

40 Freiwillige teil, je zur Hälfte Männer und<br />

Frauen. Die Teilnehmer wechselten<br />

während der achtwöchigen Lagerzeit, die<br />

Lagerstärke schwankte zwischen 15 und<br />

30 Personen. Die Freiwilligen kamen aus<br />

fünf Ländern, und zwar aus Dänemark,<br />

Deutschland, Frankreich, Großbritannien<br />

und den USA. Das Alter der Teilnehmer<br />

reichte von 15 bis zu 40 Jahren, die meisten<br />

waren 20 bis 30 Jahre alt. Lagerleiter<br />

waren die Studenten Cleon White aus<br />

Großbritannien, Gerhart Abel aus Hamburg<br />

und Thomas Shipley aus Philadelphia<br />

in den USA. Die Freiwilligen, die 48 Stunden<br />

pro Woche arbeiteten, versorgten sich<br />

selbst; für die Küche waren abwechselnd<br />

die deutschen Abiturientinnen Wiltrud<br />

Weiß und Almuth Eitel als jeweilige „Headsister“<br />

zuständig.<br />

Während der ersten beiden Wochen im<br />

Juli 1948 wurde von den IZD-Freiwilligen<br />

das Lager eingerichtet, ein Lokomotivschuppen<br />

abgebrochen, mehrere Bombentrichter<br />

eingeebnet und Hilfsarbeiten<br />

im Hospital erbracht. In der dritten bis<br />

sechsten Lagerwoche wurde dann vor<br />

allem an der Zufahrtstraße gearbeitet; es<br />

wurden circa 750 Meter Graben ausgehoben,<br />

der Fußweg auf einer Gesamtstrecke<br />

von 1,6 Kilometern planiert sowie mit den<br />

Arbeiten an der Straßendecke begonnen,<br />

wie Aufreißen, Säubern der Packlage und<br />

Auftragen einer zusätzlichen Packlage aus<br />

„Steinschlag“ (Schotter). Während der<br />

letzten beiden Lagerwochen im August<br />

1948 wurde hauptsächlich die 3 Meter<br />

breite Straße auf einer Strecke von rund<br />

300 Metern mit 300 Tonnen Steinschlag<br />

befestigt.<br />

Aus den archivierten „Lagerberichten“<br />

von 1948 geht hervor, dass infolge von<br />

Regenwetter mehrmals keine Außenarbeiten<br />

erbracht werden konnten. Außerdem<br />

sahen die Lagerleiter die Zusammensetzung<br />

des Lagers wegen des jeweils hohen<br />

Anteils an Frauen und Jugendlichen „für<br />

eine derart schwere Arbeit [als] absolut<br />

ungeeignet“ an. So fielen denn auch<br />

einige Freiwillige durch „Erkältung und<br />

Überarbeitung“ aus. Außerdem traten<br />

Behinderungen der Arbeit durch „verzögerte<br />

Ankunft von Motorwalze und Fahrzeugen<br />

zum Transport der Baustoffe“ auf.<br />

Als gemeinsame Freizeitgestaltung wurden<br />

den wechselnden Teilnehmern des<br />

ersten IZD-Lagers im Sommer 1948 in<br />

Neuenkirchen zahlreiche Angebote<br />

gemacht. So gehörten zu den Freizeitaktivitäten<br />

unter anderen Singabende, Besichtigungen<br />

der gesamten Hospitalanlage,<br />

Gespräche und Aussprachen („Housemeetings“)<br />

wie zum Beispiel über „Demokratie“<br />

oder „Pazifismus“, Ausflüge nach Bremen<br />

und Worpswede, Vorträge und Diskussionen<br />

wie über „Arbeit und Grundlagen<br />

des SCI und verwandter Institutionen“,<br />

die „Christliche Kirche in Deutschland“<br />

oder „Ansichten der Ausländer über<br />

Deutschland“, sowie ein gemeinsamer<br />

Abend mit Altersheim-Insassen und Personal<br />

des Hospitals. Die Vorträge wurden<br />

meist von externen Gästen gehalten.<br />

Das nächste IZD-Lager im Evangelischen<br />

Hospital in Neuenkirchen fand dann erst<br />

fünf Jahre später, im August 1953 statt.<br />

Material- und Gerättransporte erfolgten bei der<br />

Ödland-Kultivierung per Pferdefuhrwerk eines ortsansässigen<br />

Landwirts und wurden von den IZD-<br />

Freiwilligen gerne als willkommene „Mitfahrmöglichkeit“<br />

genutzt (August 1953)<br />

27


Von 13 Freiwilligen aus Hawaii, Indonesien,<br />

den USA, Frankreich, England, der<br />

Schweiz und Deutschland wurde vor allem<br />

Ödland auf dem Gelände des ehemaligen<br />

Marinetanklagers kultiviert. Die Freiwilligen<br />

warfen niedrige Sanddämme auf und<br />

schufen Rieselfelder, die später mit Abwässern<br />

berieselt wurden. So wurden in den<br />

Folgejahren mehrere Hektar Ödland, auf<br />

denen noch einige der von den Alliierten<br />

nach dem Krieg gesprengten Ölbunker<br />

standen, zu fruchtbarem Acker. Die Felder<br />

dienten dann zunächst dem Hospital zum<br />

Kartoffel-, Gemüse- und Getreideanbau<br />

zur Eigenversorgung und wurden später<br />

Flüchtlingsbauern übergeben.<br />

Im April 1954 führte der IZD sein drittes<br />

Lager in Neuenkirchen durch; es war dort<br />

zugleich das erste Jugendlager. Die<br />

Jugendlichen, die aus mehreren Ländern<br />

kamen, kultivierten ebenfalls Ödland für<br />

das Hospital. Im Oktober des gleichen Jahres<br />

folgte ein weiteres Lager des IZD in<br />

Neuenkirchen; diesmal halfen die Freiwilligen<br />

bei der Kartoffelernte für das Hospital.<br />

Weitere Lager des Internationalen Zivildienstes<br />

in Neuenkirchen fanden unter<br />

anderen im April und im August 1957<br />

sowie im Juli 1961 statt. An dem Lager im<br />

August 1957 nahmen 20 Freiwillige aus<br />

sechs Ländern teil; sie „retteten die Erbsenund<br />

Bohnenernte“ des landwirtschaftlichen<br />

Eigenbetriebs des Hospitals in Neuenkirchen,<br />

die infolge von nassem Wetter<br />

zu verderben drohte. Aufgrund des „Wirtschaftswunder“-Booms<br />

in Westdeutschland<br />

hatte das Hospital keine zusätzlichen<br />

Arbeitskräfte für die Ernte gewinnen können<br />

und deshalb den IZD um Hilfe gebeten.<br />

Das letzte IZD-Lager in Neuenkirchen<br />

fand im Herbst 1962 statt; die Freiwilligen<br />

halfen wiederum bei der Kartoffelernte<br />

sowie bei der Pflege und Versorgung von<br />

geriatrischen Patienten des Hospitals. Zu<br />

den Teilnehmern gehörte auch der damals<br />

20-jährige Teilnehmer David Palmer aus<br />

England, der danach längere Zeit beim SCI<br />

aktiv war und bei Arbeitseinsätzen in verschiedenen<br />

Ländern mitwirkte. Er<br />

beschreibt in seinen Erinnerungen, die in<br />

der 2008 vom SCI herausgegebenen, englisch-<br />

und französischsprachigen Anthologie<br />

„Breaking Down Barriers 1945–1975“<br />

mit veröffentlicht wurden, die Freiwilligenarbeit<br />

im Neuenkirchener Hospital wie<br />

folgt:<br />

„Most of our work was dirty, and in<br />

some way or other, hard on one’s nervous<br />

system. Though officially called a ‘hospital’<br />

it was much more like a ‘hospice’.”<br />

(Deutsch: „Der Großteil unserer Arbeit<br />

war eine sehr schmutzige, die in der einen<br />

oder anderen Weise hart an unseren Nerven<br />

zerrte. Obwohl offiziell als ‘Hospital’<br />

bezeichnet, war es eher so etwas wie ein<br />

‘Hospiz’.“)<br />

Von 1948 bis 1962 führte der Internationale<br />

Zivildienst insgesamt 16 Lager im<br />

Evangelischen Hospital Neuenkirchen<br />

durch; hinzu kamen einige Langzeit-<br />

Arbeitseinsätze von einzelnen Freiwilligen.<br />

Neben dem IZD waren im Neuenkirchener<br />

Hospital auch noch andere internationale<br />

Hilfsorganisationen tätig, die in der Nachkriegszeit<br />

in mehreren europäischen Ländern<br />

Hilfs- und Arbeitsprojekte kostenlos<br />

ausführten, wie zum Beispiel aus den USA<br />

der zivile Friedensdienst der Quäker, das<br />

American Friends Service Committee<br />

(AFSC), oder die Brethren Church Commission,<br />

die der Church of Brethren<br />

(deutsch „Kirche der Brüder“) angehörte.<br />

„Auf den Spuren<br />

der Vorgänger“<br />

Mit der Erntehilfe von 1962 endeten die<br />

Arbeitseinsätze des Service Civil International<br />

(SCI) bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />

in Neuenkirchen. Mehr als 50<br />

Jahre danach – und genau 65 Jahre nach<br />

dem ersten Arbeitseinsatz des Freiwilligendienstes<br />

in der Neuenkirchener Heide –<br />

besuchte im Juli <strong>2013</strong> eine Gruppe von<br />

Freiwilligen des SCI den Einsatzort „ihrer<br />

Vorgänger“. Bei den 13 jungen Frauen und<br />

Männer aus acht Ländern handelte es sich<br />

um Teilnehmer eines internationalen<br />

Workcamps, die für zwei Wochen auf dem<br />

Gelände des Bunkers „Valentin“ im<br />

benachbarten Bremen-Farge arbeiteten.<br />

Die Freiwilligen aus Deutschland, Spanien,<br />

Holland, der Tschechischen Republik, Serbien,<br />

der Republik Moldau, Russland und<br />

Taiwan legten auf dem Außengelände des<br />

Bunkers eine verschüttete ehemalige<br />

Beton-Mischanlage frei, um so Spuren der<br />

Zwangsarbeit auf der ehemaligen U-Boot-<br />

Bunkerwerft sichtbar zu machen.<br />

Organisiert wurde das Workcamp von<br />

der im Aufbau befindlichen Gedenkstätte<br />

Denkort Bunker Valentin in Zusammenarbeit<br />

mit dem Freiwilligendienst Service<br />

Civil International (SCI – Deutscher Zweig)<br />

und der Bremer Landesarchäologie. Das<br />

von den Workcamp-Teilnehmern bearbeitete<br />

Projekt ist Teil eines Rundweges, der<br />

zurzeit erstellt wird. Der Denkort Bunker<br />

Teilnehmer eines jüngsten SCI-Workcamps beim<br />

Denkort Bunker Valentin in Bremen-Farge bei<br />

ihrem Besuch der Gedenkstätte Baracke Wilhelmine<br />

im benachbarten Schwanewede-Neuenkirchen<br />

(Juli <strong>2013</strong>)<br />

Valentin will 22 Stationen an dem Betonkoloss<br />

schaffen, die ab 2015 den Besuchern<br />

der Farger Gedenkstätte die<br />

Geschichte des Bunkerbaus und der<br />

Menschen, die dafür leiden und sterben<br />

mussten, vor Augen führen.<br />

Während ihres Aufenthalts besichtigten<br />

die Workcamp-Teilnehmer verschiedene<br />

Gedenkstätten und weitere Orte der NS-<br />

Zwangsarbeit in Bremen und der Region<br />

und tauschten sich mit Initiativen aus. So<br />

besuchten sie auch den Dokumentationsund<br />

Lernort Baracke Wilhelmine, der sich<br />

auf dem ehemaligen Lager-, Hospital- und<br />

Kasernengelände in Schwanewede-Neuenkirchen<br />

befindet, und informierten sich<br />

bei einer Führung durch die Ausstellungsräume<br />

der Gedenkstätte über die<br />

Geschichte der Region und des Areals<br />

einschließlich der Historie des Neuenkirchener<br />

Hospitals.<br />

Beim anschließenden Gedankenaustausch<br />

mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern<br />

der Baracke Wilhelmine präsentierten<br />

diese der internationalen Besuchergruppe<br />

das Ergebnis der eigens vorgenommenen<br />

kleinen Recherche nach den früheren<br />

Arbeitseinsätzen des Service Civil International<br />

bzw. des Internationalen Zivildienstes<br />

im ehemaligen Evangelischen Hospital<br />

Neuenkirchen. Die jungen Teilnehmer des<br />

SCI-Workcamps vom Juli <strong>2013</strong> in Bremen-<br />

Farge zeigten sich beeindruckt von der<br />

eigenen Ortsgeschichte ihrer Freiwilligenorganisation<br />

und waren durchaus stolz auf<br />

die Leistungen ihrer Vorgänger.<br />

Text: Dokumentations- und Lernort Baracke<br />

Wilhelmine / Horst Plambeck<br />

Standort:<br />

An der Kaserne 122,<br />

Schwanewede-Neuenkirchen<br />

Führungen nach Absprache, Termine können<br />

unter Tel. 04 21 - 68 34 99 oder mobil<br />

01 62 - 973 13 38 (Harald Grote) vereinbart<br />

werden.<br />

Website: www.baracke-wilhelmine.de<br />

Abbildungen:<br />

Logos, Flugblatt und historische Fotos – SCI<br />

bzw. IZD: SCI Archives<br />

Historisches Foto – Ev. Hospital Neuenkirchen:<br />

Archiv der Baracke Wilhelmine<br />

Farbfoto – SCI-Workcamp <strong>2013</strong>: Landeszentrale<br />

für politische Bildung Bremen/Denkort<br />

Bunker Valentin<br />

Quellenangabe:<br />

Websites des SCI und des SCI – Deutscher<br />

Zweig (www.sci-d.de)<br />

Dokumente zu IZD-Lagern etc. bei SCI Archives<br />

(www.archives.sciint.org)<br />

SCI (Hrsg.), Olivier Bertrand (Bearb.): “Breaking<br />

Down Barriers 1945–1975. 30 years of<br />

voluntary service for peace with Service Civil<br />

International”. SCI, 2009<br />

Digitales Zeitungsarchiv der Bremer Tageszeitung<br />

„Weser-Kurier“<br />

Archivunterlagen der Baracke Wilhelmine<br />

28 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Siet mien Keerl dootgahn is, hebb ik Tiet. Faak<br />

sitt ik hier, op sienen Stohl bi ‘t Finster, de nu<br />

mien Stohl is, in de lüürlütte Kamer, de mienen<br />

Keerl tohöört hett, buten warrt dat schummern.<br />

Bald, heel bald, is ‘t düster. Achter mi sitt dat ole<br />

Schapp vun Swiegermudder, Rüster, Arvstück,<br />

un swiggt. Selten steiht de Klapp noch open,<br />

afsloten hebb ik, un jüst so rare Tieten polier ik<br />

dat feine Holt. Ik tööv op de pickswatte Nacht.<br />

Blangen den Bus, de de Gören na School hen<br />

kutscheert, hett uns Gemeenraat, un dor sünd<br />

sogors twee Gröne binnen, dörsett, dat de Bussen<br />

ok twüschendör na de Stadt hen gaht, för<br />

Pendlers, un to’n Inköpen. De Grönen sünd vun<br />

Huus to Huus marscheert, un hebbt de Vördelen<br />

verklaart: Laat dien Auto stahn, föhr Bus!<br />

De modernen Tieten künnt nich ganz ut uns<br />

Dörp afhollen warrn.<br />

Aver Sprit insparen doot blots de olen Trutschen<br />

ut’ Dörp, de woso keen Auto hebbt. De Börgermeester<br />

sitt ok nich in den Bus, ofschoonst<br />

sien Partei, de Swatten, mitmaakt hett, bi den<br />

Bus. Weer Wahltiet. De Grönen hebbt dat Geld,<br />

wat in de Parteikass keem, rinsteken in enen<br />

düren Drahtesel för den Börgermeester, dat he<br />

ok hier, direktemang in uns Dörp, as Vöörbild<br />

vöran un so…. Aver op sitten, op dat düre<br />

Swatte, dat deit de Swatte egens nich, ofschoonst<br />

he in dat Kääsblatt, glieks vörn op,<br />

goot utseeg, blangen dat Rad.<br />

Dree junge Froonslüüd ut den Oosten hett uns<br />

Dörp. De nehmt den Bus un koomt wedder<br />

torüch mit Tüten un Büdels. Rosa T-Shirts mit<br />

Blinkersteens, un mit grote Finsters, dat de<br />

Utlaag goot to sehn is, rosa Puschels op hooghackte<br />

Pantuffels, de blauen Sateng-Titt-Fasthollers,<br />

de dat bi den Textilmarkt in ‘t Anbeden<br />

geev.<br />

Een vun disse Oostwunners arbeidt an de Kass<br />

vun den Drogeriemarkt, de treckt sik jümmers<br />

de wullen Jack över ehren Puckel, wiel dat vun<br />

achtern kole Luft geven deit, wenn enen de<br />

Döör open maakt. De frische Luft puust en Wulk<br />

ut Sweet un Eau de Klo ümut; dat Finster vörn<br />

blifft open, kenen kolen Wind vun dor.<br />

So an'n Avend kannst jo in ‘t Nadenken komen.<br />

In den Bus, de vun uns lütte Dörpen kummt, is<br />

egens noog Platz binnen, man de Lüüd blievt<br />

lever vörn an, de Sittens sünd dicht beleggt, un<br />

stiggt en ne’en Fahrgast in, steiht en annern för<br />

em op un stellt sik in den Gang, de vuller warrt<br />

un warmer.<br />

De Fro vun den Finanzbeamten puust sik de<br />

Trepp rin, Jahreskaart, kummt jüst even bit vör<br />

de eerste Sittens, böögt sik hendaal, un „Hest<br />

du al höört, dat segg ik blots di…..“ wannert<br />

dör de Regen, tohopknepen Lippen nickköppt,<br />

en Grienen maakt sik breed, un liesen lööst sik<br />

de Stau in den Gang, de Lüüd schuuvt sik wieter<br />

na achtern dör un sett sik daal, glieks is de<br />

Bus in de Stadt.<br />

Jan Heinerich: „in uns lütt Dörp“<br />

In uns lütt Dörp dünkt sik veel noch so as sik dat höört. De Welt is in de Reeg.<br />

Wenn de Lüüd vun de Arbeit wedder bi Huus<br />

sünd, s’avends, sluut sik na un na de Döörns, ok<br />

in den groten Klinkerkasten, de en Spekulanten<br />

ut Hamborch dor hen sett hett, wo vördem de<br />

groten Linnenbööm wachten. Dor, wo de ole<br />

Gasthoff stünn, den aver keenenen köpen wull, as<br />

de Kröger allens versopen harr, un de so denn jo<br />

afbrennen müss, dor kunnen ok dree Füerwehren<br />

nix an doon, laat in de Nacht.<br />

Dat dat Tohuus kommodig warrt, dor doot de<br />

Lüüd wat an, in uns Dörp. Wiel uns Dörp schöner<br />

warrn schull, hebbt en paar vun de Lüüd, de<br />

Karaasch hebbt, bi de<br />

Totrocken ut de Stadt den<br />

Tuun in de Nacht witt anmaalt,<br />

Blau passt nicht in dit Dörp. Ahn<br />

Geld, klaar, un ahn Naam, de<br />

Lüüd sünd en beten torüchhollern,<br />

dat schickt sik so.<br />

Veel is in uns Dörp noch so,<br />

as dat jümmers weer. De<br />

Lüüd freit sik op dat Schützenfest,<br />

Schomakers Deern kriggt wat Lütt’s, ok<br />

vun dor, un dit Jahr hebbt de Scheeters den Grönen,<br />

de jo egens nich för Gewalt is oder för Scheten,<br />

de Schiev mit de Löcker in de Midden wiest,<br />

un bams weer he de König. Hebbt de ganze<br />

Nacht fiert, de Keerls. Sien Elke nich.<br />

Man de Lüüd helpt sik. De Slachter hett en frisch<br />

Snitzel vörbibröcht, för dat blaue Oog vun den<br />

Grönen, wat he vun siene Elke harr.<br />

Buten geiht de Sünn ünner, in de Wohnstuven<br />

gaht de Lichten an, un de Kiekkastens. Ik bruuk<br />

keen Licht. Ik kann goot noog kieken in ‘t<br />

Düstern.<br />

Dat Geld för de Gemeen weer al weg mit dat<br />

Busprojekt för de Groten, keen Discobus in Sicht,<br />

nu is Drapen för de jungen Lüüd jümmers in dat<br />

lütte Bushuus, denn wenn du in uns lütte Dörp in<br />

dat <strong>Heimat</strong>huus wull, muttst du tominnst föfftig<br />

ween.<br />

Een Bank steiht dor, in dat Bushuus, wat avends<br />

de Versammeln vun de Jungen afgifft, dor sitt<br />

kenen drop, wiel de Buddels dor al staht. Buten<br />

vör, en beten wat na achtern to, drückt sik de, de<br />

knutschen wüllt. Kann ik bi de Düsternis nich kennen,<br />

keen dat is.<br />

Kiek ik de Straat hendaal, warrt de eersten Stratenlichtens<br />

jüst utpeddt, enen kummt op en<br />

Fahrrad anjaagt, de kann wiss nich mehr bremsen.<br />

Bi den Keerl vun ‘t Finanazamt geiht de Kasten in<br />

sien Arbeitszimmer an, he luurt kort na de Wohnstuuv<br />

to, siene Fro sitt op ‘t Sofa, un telefoneert,<br />

op de Lüüd is Verlaat in uns lütt Dörp.<br />

Navers Kim kriggt den drüdden Lichterpahl to<br />

faten, ut. An dat Bushuus scheppert dat un knallt,<br />

dat weer woll dat Rad vun unsen Börgermeester.<br />

Jo, dat weer ‘t.<br />

De Lüüd helpt sik in uns Dörp, ok wenn dat maal<br />

nich ganz so eenfach is. As Wischen-Albert de Fro<br />

dootbleven is, hebbt em de neegsten Navers en<br />

Fro schickt, de den Huushalt versorgen kunn.<br />

Un disse Fro hett tokeken, dat ut ehr Land een<br />

Nichte komen kunn, Albert to helpen. Albert is<br />

teihn Jahr jünger nu, denn Natascha, de Nicht,<br />

eerst tweeunveertig, de lett Albert mit ehre<br />

Kaninken spelen, un hett ehren Keerl wiet weg<br />

in dat anner Land. Un wenn Albert maal in de<br />

Stadt mutt, na siene Doktors, denn is se jümmers<br />

paraat, em to föhren, mit ehren blauen<br />

BMW, Tweesitter, den he ehr köfft hett.<br />

Siene Rent kann Albert woso nich alleen kort<br />

maken.<br />

Kiek ik en beten wieter na de rechte Hand to, so<br />

even noch to erkennen in dit tweedüüster Licht,<br />

sleekt sik jüst Naver Kuddel ut sien Goornhuus<br />

rut, de Rosenscheer an de Siet klemmt, af na<br />

den Grönen sien Wille- Rosen-Vogelparadies-<br />

Welt-in-Ornen-Brummerberenheck-Brennettelun-Distel-Klümpenkraam,<br />

un maakt nu even<br />

dissen minn, - üm nich to seggen: kort un weg.<br />

An sien Siet. Dor, woneem ok Kuddels Kater de<br />

Vogelnesten al all utnohmen hett. Wat de<br />

Gröne jüst so nich wies weer. De Lüüd maakt<br />

jüm ehre Saken mit Bedacht un Ümsicht in uns<br />

Dörp.<br />

Wischen-Albert slöppt al deep un flaneert in<br />

siene Droomwischen üm un üm, vull mit weke<br />

Kaninken in satengblaue Hollers; bi Natascha<br />

föhrt jüst even en Auto vun’n Hoff, mit en Kennteken<br />

vun wieter weg, dat maakt dat Licht eerst<br />

an, as de Kark links liggen blifft, un verpasst<br />

even un even de leddige Buddel, de ut de<br />

Düsternis vun ‘t Bushuus rutflegen deit.<br />

Auto Nummer dree, dat is noch fröh an’n<br />

Avend, de Arbeit, wo du bi liggen kannst, fangt<br />

jüst an¸Natascha mutt noch en beten.<br />

Fro Finanz telefoneert noch munter, ehr strammen<br />

Fööt liggt op den Disch bi ‘t Sofa, Dienstag<br />

is vundaag, Kunjak-Dag; Maandags gifft dat<br />

Poort. De Lüüd hebbt Smack in mien Dörp.<br />

Bi em, in sien Arbeitsstuuv, kann ik beter sehn,<br />

wat löppt, nu, dat dat richtig düster worrn is. Mi<br />

dünkt, wenn ik en beten sharper kieken do,<br />

kann ik op de Mattschiev Sateng wies warrn un<br />

rosa Kaninken över hooghackte Puschels…<br />

„Ik bün so froh, dat ik di heff“, heff ik to mien<br />

Geerd noch seggt, as of ik al ahnen kunn, dat<br />

dat sien letzt Boortsdag ween schull. Un mien<br />

letzte Koken. An’n neegsten Morgen al weer he<br />

doot. Allemann weern se bi den Karkhoff; de<br />

Lüüd staht sik bi in mien lütt Dörp, keenenen<br />

blifft alleen.<br />

Martin hett den Sarg dragen, vörn rechts, und<br />

at regen düchtig in dat open Graff. Martin, mit<br />

siene starken Schullern, mit siene warmen, groten<br />

Hannen.<br />

Klock elven. Laat noog. Denn will ik man foorts<br />

los. Warrt Tiet. Allens op Steed in dat lütte Dörp.<br />

Pickswatte Nacht. De Lüüd gaht na Bett. Martin<br />

un ik ok.<br />

Birgit Lemmermann<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

29


Ein glücklicher Fund<br />

Foto: Hermann Röttjer<br />

Einfach nur suchen und dann auf einen<br />

großen Fund stoßen, dieses Glück hatte<br />

der Vorsitzende des <strong>Heimat</strong>vereins Iselersheim,<br />

Hermann Röttjer. Beim Stöbern im<br />

Internet entdeckte er bei Ebay im Angebot<br />

eines Antikhändlers aus Mülhausen in<br />

Thüringen ein gemaltes Porträt des Moorkommissars<br />

Jürgen Christian Findorff.<br />

Das im Jahr 1780 gegründete Iselersheim<br />

ist eines der unter der Leitung von<br />

Findorff entstandenen Moordörfer. Der<br />

dortige <strong>Heimat</strong>verein hat in der Nähe der<br />

Kirche ein ehemaliges Häuslingshaus wieder<br />

aufgebaut und im Obergeschoss eine<br />

Ausstellung zum Moorkommissar und seinem<br />

Werk eingerichtet. Selbstverständlich<br />

hatte der Verein großes Interesse an dem<br />

Erwerb des Bildes. Die Bremervörder Historikerin<br />

Dr. Elfriede Bachmann bestätigte<br />

die Echtheit des Gemäldes. Es ähnelte dem<br />

Gemälde im Bachmann-Museum Bremervörde.<br />

Maler beider Bilder ist Günther Bornemann,<br />

geboren in Göttingen und zeitweise<br />

wohnhaft in Hamburg.<br />

Allerdings war Röttjer nicht der einzige<br />

Bieter und so ging der Preis hoch. Bei 696<br />

Euro bekam Röttjer den Zuschlag und dem<br />

Verein gehörte das gute Stück.<br />

Gern hätte man gewusst, wer der vorherige<br />

Eigentümer war, doch der Verkäufer<br />

durfte keine Auskunft geben. Der <strong>Heimat</strong>forscher<br />

Karl Lilienthal schrieb 1931, dass<br />

sich bei einer Familie Kalkmann in Bremen<br />

Gemälde von Jürgen Christian und<br />

Johann(?) Findorff befinden. (J.C.Findorffs<br />

Neffe Friedrich war in zweiter Ehe mit<br />

Dorothea Kalkmann aus Bremen verheiratet)<br />

Die Frage, ob es sich dabei um das<br />

ersteigerte Bild handelt, bleibt offen.<br />

Das erworbene Bild wies etliche Schäden<br />

auf. Die Worpsweder Diplom-Restauratorin<br />

Sonja Toeppe musste es reinigen,<br />

Fehlstellen retuschieren und es mit einem<br />

neuen Rahmen versehen, bis es im Haus<br />

des Vereins der Öffentlichkeit zugänglich<br />

gemacht werden konnte.<br />

Ein weiteres Findorff-Porträt, und zwar<br />

mit Perücke, ebenfalls von Bornemann,<br />

Hermann Röttjer und Sonja Töppe mit Findorff-<br />

Gemälde Foto: R. Klöfkorn/Bremervörder Zeitung<br />

hängt in der Museumsanlage Osterholz-<br />

Scharmbeck. Das im Eigentum der Kirchengemeinde<br />

Worpswede befindliche<br />

Bild von Findorff stammt von dem malenden<br />

Müller Johann Friedrich Schröder aus<br />

Hüttenbusch. Hierbei dürfte es sich um<br />

eine Kopie des Osterholz-Scharmbecker<br />

Porträts handeln, denn Schröder ist erst<br />

1821, also 29 Jahre nach Findorffs Tod,<br />

geboren, und es gleicht diesem Gemälde<br />

bis auf kleine Unterschiede.<br />

Das <strong>Heimat</strong>haus Iselersheim ist übrigens<br />

von Mai bis Oktober jeweils am 1. Sonntag<br />

des Monats von 14 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Gerhard Behrens<br />

Quellen:<br />

Bremervörder-Zeitung<br />

Karl Lilienthal, Jürgen Christians Findorffs<br />

Erbe<br />

Jürgen Teumer, Die Mühle auf dem Rattenberg<br />

Termine der<br />

<strong>Heimat</strong>vereine<br />

Findorff-<strong>Heimat</strong>verein Grasberg<br />

Findorff-Hof Grasberg, Am Schiffgraben 7<br />

Kontakt: Hilde Bibelhausen<br />

Tel.: 04208 / 12 44<br />

Sonntag, 27. Oktober <strong>2013</strong><br />

15.00 Uhr, Kaffeenachmittag, Findorff-<br />

Hof Grasberg<br />

Sonnabend, 17. November <strong>2013</strong><br />

12.00 Uhr, Steckrübenessen, Findorff-Hof<br />

Grasberg<br />

Sonntag, 25. August <strong>2013</strong><br />

14.00 Uhr, Tag der offenen Tür, Findorff-<br />

Hof Grasberg<br />

Sonntag, 8. Dezember <strong>2013</strong><br />

14.00 Uhr, Kaffeenachmittag zum<br />

Weihnachtsmarkt, mit den Kindern der<br />

Kreismusikschule, Findorff-Hof Grasberg<br />

<strong>Heimat</strong>- und Bürgerverein Ritterhude e.V.<br />

Hannelore und Gerhard Monsees<br />

Tel.: 04292 / 27 15<br />

Sonnabend, 12. Oktober <strong>2013</strong><br />

13.00 Uhr, Nachmittagsfahrt / Rundfahrt<br />

durch Bremen<br />

Sonnabend, 16. November <strong>2013</strong><br />

15.00 Uhr, Dia-Nachmittag Usedomfahrt<br />

Sonntag, 1. Dezember <strong>2013</strong><br />

15.00 Uhr, Weihnachtsfeier in der Mühle<br />

Worphüser Heimotfrünn e.V.<br />

Hofanlage Lilienhof, Worphauser Landstr. 26 a,<br />

Kontakt: Hinrich Tietjen, Tel. 04792 / 76 79<br />

Freitag, 4. Oktober <strong>2013</strong><br />

18.30 Uhr, Laternenumzug, ab Lilienhof<br />

Sonntag, 8. Oktober <strong>2013</strong><br />

10.00 Uhr, Plattdeutscher Gottesdienst,<br />

Lilienhof<br />

Freitag, 18. Oktober <strong>2013</strong><br />

20.00 Uhr, Plattdeutsche Kulturtage,<br />

Theater auf dem Flett, Lilienhof<br />

Sonnabend, 19. Oktober <strong>2013</strong><br />

15.00 Uhr, Plattdeutsche Kulturtage,<br />

Theater auf dem Flett, Lilienhof<br />

Sonnabend, 26. Oktober <strong>2013</strong> und<br />

Sonntag, 27. Oktober <strong>2013</strong><br />

11.00 – 18.00 Uhr, Textilwerkstatt, Lilienhof<br />

Sonntag, 1. Dezember <strong>2013</strong><br />

15.00 Uhr, Adventsfeier, besinnlicher<br />

Nachmittag am 1. Advent bei Kaffee und<br />

Kuchen, Lilienhof<br />

Um diese Rubrik immer auf dem<br />

neuesten Stand zu haben, sind wir<br />

auf die Angaben der Vereine angewiesen.<br />

Wir bitten deshalb um Ihre<br />

Mithilfe.<br />

Melden Sie doch bitte die Termine<br />

bis Redaktionsschluss an den Verlag.<br />

Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten<br />

entweder per Telefax<br />

(04298 / 3 04 67) oder per E-Mail<br />

(info@heimat-rundblick.de).<br />

Die Redaktion<br />

30 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>


Jugendseite<br />

Die Jugendfeuerwehr Lilienthal besteht<br />

dieses Jahr seit 50 Jahren – ein Grund zum<br />

Feiern. Doch wer verbirgt sich überhaupt<br />

hinter der Jugendfeuerwehr Lilienthal?<br />

Was machen die eigentlich genau?<br />

In der Jugendfeuerwehr kann jeder<br />

Jugendliche, der Lust hat, die nötige Motivation<br />

mitbringt und zwischen 10 und 16<br />

Jahren alt ist, mitmachen. Ab 16 Jahren<br />

kann in den aktiven Feuerwehrdienst<br />

gewechselt werden, aber natürlich nur,<br />

wer möchte. Um darauf schon möglichst<br />

gut vorbereitet zu sein, wird in der Jugendfeuerwehr<br />

eine Mischung aus feuerwehrtechnischer<br />

Ausbildung, Sport und Spaß<br />

angeboten. Im Sommer trifft man sich<br />

wöchentlich, im Winter alle zwei Wochen.<br />

Im Moment hat die Jugendfeuerwehr<br />

mehr als 30 Mitglieder! Wer ebenfalls Mitglied<br />

werden möchte, kann einfach dienstags<br />

um 18.00 Uhr am Feuerwehrhaus in<br />

der Edisonstraße vorbeikommen und<br />

schnuppern. „Wohl eine der sinnvollsten<br />

Freizeitbeschäftigungen, die es gibt!“<br />

1963 gegründet<br />

Doch wie begann eigentlich die<br />

Geschichte der Jugendfeuerwehr Lilienthal/Falkenberg?<br />

Im Jahre 1963 wurde auf<br />

der Jahreshauptversammlung der Feuerwehr<br />

beschlossen, eine Jugenfeuerwehr ins<br />

Leben zu rufen. Dies geschah nach aufkommendem<br />

Interesse der Jugendlichen.<br />

Dem Aufruf in der Tageszeitung am 2.<br />

März 1963 folgten auch tatsächlich ein<br />

paar junge Motivierte und gründeten am<br />

30. März 1963 mit insgesamt neun<br />

Jugendlichen die damals zweite Jugendfeuerwehr<br />

im Landkreis Osterholz. Nach<br />

einigen Jahren und vielen spannenden<br />

Zeltlagern in den unterschiedlichsten<br />

Gebieten, werden 1991 die Ortsfeuerwehren<br />

Lilienthal und Falkenberg zusammen-<br />

Angehende Lebensretter<br />

in Aktion<br />

Die Jungendfeuerwehr Lilienthal<br />

Die zahlreichen Mitglieder der Jugendfeuerwehr vor den Einsatzfahrzeugen<br />

gelegt, daraus resultiert dann auch der<br />

neue Name der Jugendfeuerwehr Lilienthal/Falkenberg.<br />

2005 erhält die Jugendfeuerwehr<br />

ihr erstes eigenes Fahrzeug,<br />

finanziert durch Sponsoren. 2010 wurde<br />

dann die erste Kinderfeuerwehr im Landkreis<br />

Osterholz gegründet.<br />

Höchste Auszeichnung:<br />

die Leistungsspange<br />

Die Jugendfeuerwehr trainiert den<br />

Umgang mit feuerwehrtechnischer Ausrüstung<br />

und übt Erste-Hilfe-Maßnahmen. In<br />

regelmäßigen Abständen finden Wettkämpfe<br />

mit anderen Jugendfeuerwehren<br />

des Landkreises statt. Bei diesen werden<br />

u.a. der Ausbildungsstand, die Sportlichkeit,<br />

die Geschicklichkeit und die Kreativität<br />

in der Gruppe geprüft. Wer bestimmte Leistungen<br />

erreicht, sei es als Einzelner oder in<br />

der Gruppe, erhält verschiedene Auszeichnungen.<br />

Die höchste Auszeichnung ist die<br />

Leistungsspange. Neben Wettbewerben<br />

und Zeltlagern werden auch Ausflüge in<br />

Freizeitparks und gemeinsame Grillabende<br />

geplant. „Hier haben alle Gruppenmitglieder<br />

die beste Gelegenheit, sich intensiv kennenzulernen<br />

und die Gemeinschaft untereinander<br />

zu stärken.“ Nun wird diese Institution<br />

50 Jahre alt. Sie hat sich im Laufe der<br />

Zeit zu einem sehr wichtigen Standbein der<br />

Ortsfeuerwehr entwickelt, denn ohne die<br />

Arbeit der Jugendfeuerwehr würde es heute<br />

70 % der aktiven Mitglieder in der Feuerwehr<br />

nicht geben.<br />

Am Samstag, den 15. Juni <strong>2013</strong> wurde<br />

das 50-jährige Jubiläum mit zahlreichen<br />

Gästen aus Politik, Gründungsmitgliedern<br />

und „benachbarten“ Jugendfeuerwehren<br />

im Feuerwehrhaus gefeiert. Ein typisches<br />

Zeltlager und verschiedene Reden von z. B.<br />

der Kreisjugendfeuerwehrwartin rundeten<br />

die Feier ab. Auch hier standen wieder<br />

Spiele zu Geschicklichkkeit und Wissen auf<br />

dem Programm!<br />

Text: Mareike Haunschild<br />

Fotos: Feuerwehr Lilienthal<br />

Übung unter realen Bedingungen<br />

RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong><br />

Teamgeist und sorgfältige Ausbildung<br />

31


32 RUNDBLICK Herbst <strong>2013</strong>

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