In Search of the Lost State - Historisches Institut
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AUF DER SUCHE<br />
NACH DEM<br />
VERLORENEN<br />
STAAT<br />
Ein Projekt des <strong>In</strong>stituts für<br />
Ethnologie, Martin-Lu<strong>the</strong>r-<br />
Universität Halle Wittenberg<br />
im Rahmen der <strong>In</strong>ternationalen<br />
Sommerschule „Neustaat“<br />
in Halle-Neustadt. Veranstaltet<br />
vom Thalia Theater<br />
Halle, Stiftung Bauhaus Dessau<br />
und <strong>In</strong>ternationale Bauausstellung<br />
Stadtumbau<br />
Sachsen-Anhalt 2010.
VON BESESSENEN,<br />
VERLORENEN<br />
UND EWIG SUCHENDEN<br />
„Welche Rolle spielt der Staat?“: Gekoppelt an diese Frage hat das Thalia Theater<br />
der <strong>In</strong>ternationalen Sommerschule in Halle-Neustadt den Titel „Neustaat“<br />
gegeben. Aber was hat die Suche nach einem verlorenen Staat in einer so<br />
explizit in die Zukunft weisenden Konzeption zu suchen?<br />
<strong>In</strong>dem wir mit unserem Projekt den Blick in<br />
die Vergangenheit wenden, möchten wir<br />
auf etwas aufmerksam machen, was als die<br />
Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen bezeichnet<br />
werden kann: Das gleichzeitige Bestehen<br />
von verschiedenen staatlichen Organisationsformen,<br />
die sowohl als veraltet,<br />
überkommen, gar reaktionär, aber auch als<br />
moderne, für die Zukunft „fit gemachte“<br />
Staaten porträtiert werden. Damit sind wir<br />
auch schon bei den Fragen nach der jeweiligen<br />
Sichtweise und der Utopie.<br />
Beginnen wir zunächst mit der Sichtweise:<br />
Der eine Staat mag sich selbst als „der Zukunft<br />
zugewandt“ besingen und der andere<br />
auf seine Einigkeit bedacht sein. Für die politischen<br />
Vertreter beider mag also gelten,<br />
dass sie sich selbst als das Non-Plus-Ultra<br />
der Verfass<strong>the</strong>it menschlicher Gesellschaften<br />
sehen. Damit geht einher, den Gegenüber<br />
in der internationalen politischen Arena<br />
zu „dissen“, ihm mangelnde Demokratie,<br />
Menschenrechtsverletzungen oder Korruption<br />
vorzuwerfen und ihn auf der ökonomischen<br />
Seite zu mehr Freihandel, zur Armutsbekämpfung<br />
oder – vor einigen Jahren<br />
– auch zur Befreiung der Arbeiterklasse aufzufordern.<br />
Spätestens an dieser Stelle kommt die Utopie<br />
ins Spiel – wenn sie nicht schon die gesamte<br />
Zeit über mit von der Partie war und<br />
sich nur versteckt hat. Versteckt hinter dem,<br />
was in der politischen Arena als Errungenschaften<br />
dargestellt wird. Denn der analytische<br />
Blick auf einen Staat, sei es nun ein<br />
industrialisiertes Land wie die BRD oder eines<br />
der Länder, die als Schwellen- oder Entwicklungsländer<br />
bezeichnet werden, zeigt<br />
schnell, dass es sich mehr um Ideale als um<br />
Wirklichkeiten handelt. Jede dieser politisch<br />
motivierten Behauptungen ist für einen Teil<br />
der Bevölkerung so zutreffend, wie sie für<br />
einen anderen Teil unzutreffend ist. Egal ob<br />
in Halle, Johannesburg, Tokyo oder Taschkent<br />
– an all diesen Orten finden wir Zustände,<br />
die historisch scheinbar aufeinander folgen,<br />
zur gleichen Zeit. Sie sind schlicht<br />
ungleich über die Bewohner<strong>In</strong>nen verteilt.<br />
Aus Sicht vieler Menschen erscheint Fortschritt<br />
als Idealzustand. Die Blickrichtung<br />
wendet sich aber auch auf die Vergangenheit:<br />
Früher war die Gesellschaft, die Steuergesetzgebung,<br />
alles Mögliche – das war ja<br />
gar nicht so kompliziert damals, es war so<br />
kuschelig warm am Herdfeuer, wenn man<br />
sich mit den Nachbarn traf, um Gegenstände<br />
des alltäglichen Gebrauchs zu tauschen.
Z o-Veranstaltung „African Vi lage“ zurück<br />
9. Juni 2 05<br />
Engagement „Pro Afrika“ machen.“<br />
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Aber war es wirklich so?<br />
Die frühen europäischen Kolonisatoren h<strong>of</strong>ften<br />
beispielsweise, auf dem afrikanischen<br />
Kontinent im Priesterkönig Johannes oder<br />
der Königin von Saba christliche Verbündete<br />
zu finden und die große Mehrheit der Deutschen<br />
gab sich 12 Jahre des 20. Jahrhunderts<br />
neben anderen auch der Illusion hin,<br />
der schlafende Barbarossa sei aus dem Kyffhäuser<br />
Berg erstanden und führe sie der<br />
Einheit des Deutschen Reiches entgegen.<br />
Diese beiden historischen Beispiele führen<br />
uns einen Schritt weiter: Zu den politisch<br />
und religiös motivierten Vorstellungen von<br />
einem Deus ex Machina, einem Erlöser, der<br />
aus der Vergangenheit kommt und die Menschen<br />
der Stagnation oder Misere der Gegenwart<br />
entreißt und ihnen den Staat der<br />
Zukunft weist. Analytisch betrachtet wechselt<br />
dieser Deus ex Machina sein Gewand,<br />
kleidet seine Gefolgschaft als transnationale<br />
religiöse Bewegung oder als Verfechter einer<br />
an politische, rassische Ordnung oder<br />
wirtschaftliche Struktur gebundenen Ideologie<br />
(wobei wenn wir zurückblicken der Kapitalismus<br />
auf wundersame Weise dem<br />
Schicksal, welches kommunistische und faschistische<br />
Ideologie erlitten, entrinnen<br />
konnte). Dem scheinbar gegenüber steht<br />
die Gemeinschaft, deren Form menschlichen<br />
Zusammenlebens sich im alltäglichenn<br />
Leben und Erfahren stärker artikuliert. Nicht<br />
zuletzt, weil sie weniger komplex und kompliziert<br />
scheint. Aber auch hier finden wir<br />
die Syndrome des Goldenen Zeitalters und<br />
die Vorstellungen von den El Dorados, die da<br />
noch kommen werden.<br />
Aber wird es wirklich so?<br />
Der Blick in die Verschränkungen von Gleichzeitigkeit<br />
und Ungleichzeitigkeit, Vergangenheit,<br />
Gegenwart und Zukunft zeigt, dass<br />
sich Staat und <strong>In</strong>dividuum in ihren Imaginationen<br />
ähnlicher sind, als es ihnen lieb ist.<br />
Aber er erlaubt auch, einige Missverständnisse<br />
der Gegenwart zu klären. Die Möglichkeit<br />
kollektiver Erinnerung oder kollektiven<br />
Bedauerns bleibt eben nur eine Möglichkeit,<br />
so lange das Lernen aus der Geschichte in<br />
den Versuchen stecken bleibt, diese Konstruktionen<br />
zu manifestieren. Da ist es dann<br />
auch egal, ob es sich um Halle-Neustadt<br />
oder Wolfsburg, ein Mahnmal oder einen<br />
Feiertag handelt.<br />
Gespräche mit Menschen hingegen verlaufen<br />
entlang von Erinnerungen, die von der<br />
Gegenwart und den Wünschen für die Zukunft<br />
vielleicht mehr geprägt sind als von<br />
der Vergangenheit. Das macht sie angenehm<br />
oder auch unangenehm flexibel. Ein<br />
Kollektiv, welches mehr als eine vorgestellte<br />
Gemeinschaft ist, scheint jedenfalls vor diesem<br />
Hintergrund unmöglich. Die Frage, ob<br />
das <strong>In</strong>dividuum nicht ebenfalls nur ein vorgestelltes<br />
<strong>In</strong>dividuum ist, welches sich<br />
selbst nur über das von ihm vorgestellte<br />
Kollektiv imaginiert, versuchen wir in den<br />
Audiotouren zu eröffnen. Diesen Touren liegen<br />
biografische <strong>In</strong>terviews zu Grunde, die<br />
Student<strong>In</strong>nen des <strong>In</strong>stitutes für Ethnologie<br />
an der Martin-Lu<strong>the</strong>r Universität Halle-Wittenberg<br />
mit Hallenser<strong>In</strong>nen, Zugezogenen<br />
und Migrant<strong>In</strong>nen geführt haben. Auf eine<br />
Beschreibung der <strong>In</strong>terviews möchten wir<br />
an dieser Stelle auch aus Gründen der Anonymität<br />
unserer Gesprächspartner<strong>In</strong>nen<br />
verzichten.<br />
Aber ist es wirklich so?<br />
Geordnet haben wir die <strong>In</strong>terviewpassagen<br />
nach einem Schema, das sich auch in den 8<br />
Schautafeln wieder finden lässt, die Mitarbeiter<strong>In</strong>nen<br />
des <strong>In</strong>stitutes für Ethnologie<br />
und des Max-Planck-<strong>In</strong>situtes für ethnologische<br />
Forschung mit Material aus ihren<br />
wissenschaftlichen Untersuchungen bestückt<br />
haben. Forschungsergebnisse einmal<br />
nicht in Form eines Sammelbandes zu einem<br />
Ober<strong>the</strong>ma in einem wissenschaftlichen<br />
Verlag zu publizieren, sondern anhand<br />
von Schautafeln im öffentlichen Raum auszustellen,<br />
erschien gerade angesichts der<br />
Anbindung an den Raum Halle-Neustadt<br />
reizvoll. Und es beließ den Autor<strong>In</strong>nen und<br />
der Redaktion die Freiheit, Zusammenhänge<br />
nicht nur in Argumenten sondern auch in<br />
Ornamenten – T-Shirts, Liedtexten, Wandmalereien,<br />
etc. – darzustellen.<br />
Irene Hilgers sind während ihres Forschungsaufenthaltes<br />
in Usbekistan immer wieder<br />
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Taxifahrer begegnet,<br />
die von<br />
ihrem Militärdienst<br />
in der<br />
DDR erzählten.<br />
Während diese<br />
Tafel dem Zuschauer<br />
eine Erinnerung an einen verlorenen<br />
Staat zeigt, von der die Erinnernden<br />
lebhaft und mit Freude berichten, wird auf<br />
den ersten Blick nicht so recht deutlich, wo<br />
auf der Tafel von Markus Höhne zum Augsburger<br />
Zoo der verlorene Staat zu finden<br />
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Verwaltungsgericht Augsburg weist Antrag auf Untersagung der<br />
Erklärung von Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert:<br />
„Erwartungsgemäß hat das Verwaltungsgericht Augsburg den<br />
Eilantrag eines in Berlin lebenden Afrikaners auf Unterlassung<br />
der Veranstaltung „African Vi lage“ im Augsburger Zoo<br />
zurückgewiesen. Die Stadt sieht sich damit in ihrer rechtlichen<br />
Beurteilung dieser Kulturveranstaltung ganz und gar bestätigt.<br />
Von einer Diskriminierung des Antragste lers oder<br />
der afrikanischen Künstler und Au ste ler, von denen das<br />
„African Village“ mitgetragen wird, kann demnach überhaupt<br />
keine Rede sein. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
ist vielmehr ein deutliches Zeichen dafür, da s die Vorwürfe<br />
gegen die Stadt und die Z o GmbH vö lig unbegründet sind.<br />
Ich ho fe, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts nun<br />
dazu beiträgt, da s auch kritische Beobachter erke nen, wie<br />
sich hier Künstler, Ausste ler und engagierte Organisationen,<br />
wie etwa der Togoverein, für eine gute und friedensstiftende<br />
Sache einsetzen. Vor diesem Hintergrund wünsche<br />
ich mir auch, dass möglichst viele Bürgeri nen und Bürger<br />
die Veranstaltung besuchen und sich selbst ein Bild von dem<br />
ist. Das liegt<br />
sicher daran,<br />
dass die Erinnerungen<br />
hier<br />
weitaus viels<br />
c h i c h t i g e r<br />
sind und dem<br />
Deutschen Kolonialreich ebenso gelten wie<br />
der Vorstellung von einem staatenlosen afrikanischen<br />
Kontinent, dessen Regionen einander<br />
so sehr ähneln, dass man sie auf kleinem<br />
Raum mit ein paar Bauten und<br />
Konsumgütern ausstellen kann. Die Chagos-
Als wir schließlich doch alle den Termin wahrnahmen, wurden einigen von uns die Löhne<br />
für zwei Arbeitstage gestrichen. (…)<br />
Wir h<strong>of</strong>fen, dass Sie als Premierminister und jemand, der einstmals in vorderster Front für die<br />
Rechte von Arbeitern gekämpft hat, alles in ihrer Kraft stehende unternehmen werden, damit<br />
das große Unrecht, welches uns widerfährt, beseitigt wird. Einerseits, indem Sie unseren Arbeitgeber<br />
aufrufen, die ungerechten Lohnkürzungen zurückzunehmen und andererseits indem<br />
Sie ihn aufrufen, sich mit uns wie unter zivilisierten Menschen üblich an einen Tisch zu setzen<br />
und unsere Forderungen kollektiv auszuhandeln oder dafür Sorge zu tragen, dass wir ohne<br />
weitere Einschüchterungen unseren Fall vor dem Schiedsgericht verteidigen können.<br />
Ergebenst,<br />
156 Arbeiter von Ferney Spinning Mill beschäftigt bei Consolidated Dyeing Ltd. und Dyeing<br />
and Finishing Ltd.<br />
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sians, deren Strategien ihr erzwungenes Exil<br />
zu bewältigen sich Steffen Johannessen<br />
widmet, vollziehen einen Spagat zwischen<br />
dem Wunsch nach Rückkehr ins Chagos-Archipel<br />
im <strong>In</strong>dischen Ozean, dem Alltag auf<br />
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Mauritius und<br />
der H<strong>of</strong>fnung,<br />
vielleicht mit<br />
der britischen<br />
Staatsbürgerschaft<br />
ein besseres<br />
Leben<br />
zu finden. Ähnlich disparat wie diese Perspektiven<br />
sind auch die dokumentierten Äußerungen<br />
der Menschen. Thomas Kirsch lenkt<br />
unser Augenmerk auf die Widrigkeiten des<br />
Strommarktes in Südafrika nach dem Ende<br />
der Apar<strong>the</strong>id.<br />
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Brief an den Premierminister, Honourable Paul Berenger<br />
Sehr g ehrter He r,<br />
wir sind als Fabrikarbeiter bei den Firmen Consolidated Dyeing Co. Ltd. und Dyeing and Finishing<br />
Col. Ltd beschäftigt und arbeiten Ferney Spi ning Mills (Teil der Floreal Gruppe)<br />
in Forest Side, Mauritius. Wir sind Teil der tausenden von Arbeitern in der Freien Produktions<br />
Zone, die in den letzten 15 Jahren zum Wohlstan des Landes beigetragen haben.<br />
Im Januar 2 03 hat die Firmenleitung einseitig unsere Arbeitsbedingungen verändert – sie<br />
sagten, wir sollten an Ste der normalen Arbeitszeit von 8 Stunden täglich jetzt in 12-Stunden<br />
Schichten arbeiten. Das bedeutete, da sich unsere normale Wochenarbeitszeit von 45 auf<br />
52,5 Stunden veränderte, die Mittagspausen bereits abgezogen!<br />
Wir waren mit diesem repre siven System nicht einverstanden. Deshalb haben wir Verhandlungen<br />
mit der Firmenleitun gesucht.<br />
Dann haben drei von uns eine Beschwerde beim Arbeitsministerium eingereicht. Weil wir nur<br />
drei waren, hat die Frimenleitung unsere Beschwerde nicht ernst genommen.<br />
Aber unser Fa l ist ernst. Er betri ft unser tägliches Leben. Wir arbeiten mit hochgiftigen<br />
Chemikalien und gefährlichen Maschinen. Lange Arbeitszeiten erhöhen die Unfa lgefahr.<br />
Erst letzte Nacht (6. Mai) blieb einer unserer Ko legen in einer Maschine hängen während er<br />
sie säuberte. Er wurde schwer verletzt und letzte Nacht operiert. Wir haben wenig Zeit, uns<br />
um unsere Familien zu kü mern oder ein soziales Leben zu führen, seit unsere Arbeitszeiten<br />
verlängert wurden und wir täglich zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln.<br />
Schließlich haben a le 180 von uns im Februar als Einzelpersonen [wi es gesetzlich vorgeschrieben<br />
ist] einen industrie len Disput erklärt. Wir wurden an das permanente Schiedsgericht<br />
verwiesen. Aber als wir zu dem Termin gehen wollten, sagte uns die Firmenleitung, es sei<br />
bereits alles mit dem Gericht arrangiert und nur einige von uns dürften gehen.<br />
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Der H<strong>of</strong>fnung<br />
vieler Menschen<br />
auf ein<br />
Leben in einem<br />
liberalen und<br />
d e m o k r a t i -<br />
schen Staat steht die wirtschaftliche Liberalisierung<br />
des Landes entgegen. Die Abschaltungen<br />
der Elektrizitätsversorgung in vielen<br />
Haushalten führen zum Verlust der Utopie<br />
des freien Südafrika. Ein ähnliches Phänomen,<br />
den Rückzug des Staates aus wirtschaftlichen<br />
Kernbereichen, zeigt auch die<br />
Tafel von Patrick Neveling. Die Textilindustrie<br />
in Mauritius entstand durch den staatlichen<br />
Verzicht<br />
auf Zölle und<br />
Steuern. Doch<br />
je mehr andere<br />
Staaten bereit<br />
sind, ähnliche<br />
Souveränitätsansprüche<br />
aufzugeben, desto mehr Betriebe<br />
verlassen das Land. Der Ruf der Arbeiter<br />
nach staatlicher <strong>In</strong>tervention bleibt ungehört.<br />
Gunda Kunda Komey arbeitet in den<br />
Nuba Bergen im Zentrum des Sudan. Die<br />
Nuba streben<br />
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wie viele andere<br />
Bewohner<br />
der Region<br />
nach dem Erhalt<br />
der staatlichen<br />
Einheit,<br />
auf der ihre Existenzgrundlage beruht und<br />
die ihnen eine vergleichsweise freie Wahl<br />
religiöser und lokaler Identität sichert. Doch<br />
mit dem Friedensabkommen im Konflikt<br />
zwischen dem Norden und dem Süden steht<br />
2010 ein Referendum bevor, dessen Ausgang<br />
das Land und die Nuba zu teilen droht.<br />
Mit ihren Forderungen nach Rücknahme aller<br />
Landrechtgesetzgebungen nach 1903<br />
begeben sich die Nuba zudem auf eine andere<br />
Ebene: Sie knüpfen an die Traditionalisierungsideen<br />
der UN-Konventionen für die<br />
Rechte indigener Völker an. Christian Tagsolds<br />
Arbeiten über die Olympischen Spiele<br />
in Tokyo 1964 zeigen, wie sich ein Staat über<br />
ein internationales Sportereignis neu erfindet<br />
und zugleich das alte Japan bleibt. Olaf<br />
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Zenkers Tafel<br />
über eine bestimmte,<br />
an die<br />
vermeintlich<br />
gälische Tradition<br />
Irlands im<br />
12. Jahrhundert<br />
anknüpfende<br />
Strömung unter Katholiken in Nordirland<br />
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machen noch<br />
einmal deutlich,<br />
dass auch<br />
Europa sich<br />
mehr nach<br />
dem Mittelalter<br />
sehnt, als<br />
denen, die den Rest der Welt mit guten<br />
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Ideen belästigen, bewusst zu sein scheint.<br />
Bliebe also die letzte der drei Fragen, die in<br />
diesem Text als Zwischenüberschriften verwendet<br />
wurden: Aber ist es wirklich so? Natürlich<br />
ist es nicht wirklich so und zugleich<br />
ist es solange wirklich so, wie ein paar Menschen<br />
so sinnig oder verquer es auch sein<br />
mag, daran glauben. Und es bleibt der Versuch,<br />
mit dieser kurzen Beschreibung der<br />
einzelnen Tafel etwas zu erstellen, was h<strong>of</strong>fentlich<br />
weit genug von einer Typologie verlorener<br />
Staaten entfernt bleibt, um nicht als<br />
solche gelesen zu werden: Vielmehr als eine<br />
erste Bestandsaufnahme, die einen ersten<br />
Eindruck von der Vielzahl möglicher Erinnerungen<br />
und der Unmöglichkeit, diese in einem<br />
nationalen Kollektiv zusammenzufassen,<br />
zeigt.
Auf der Suche nach dem verlorenen Staat<br />
Ein Projekt des <strong>In</strong>stitut für Ethnologie,<br />
Martin-Lu<strong>the</strong>r-Universität Halle Wittenberg.<br />
Konzeption, Leitung, Redaktion und Organisation<br />
Patrick Neveling<br />
Grafische Gestaltung, Konzept und Redaktion<br />
Daniela Burger<br />
Recherche, <strong>In</strong>terviewkonzeption<br />
Elske Rosenfeld, Patrick Neveling<br />
Audioaufnahmen, -schnitt und redaktionelle Bearbeitung<br />
Christoph Freidhöfer, Maria Hahnekamp, Patrick Neveling<br />
Sprecher<strong>In</strong>nen<br />
Julia Baumhauer, Frank Donath, Maria Hahnekamp, Holm Hänsel,<br />
Irene Hilgers, Jakob Hommel, Christine Marquordt, Patrick Neveling,<br />
Lukas Vogel<br />
<strong>In</strong>terviews und Recherche<br />
Jana Conrad, Markus Heep, Jakob Hommel, Christine Marquordt, Céline<br />
Mühl, Kirsten Reichert, Ronald Starick, Lukas Vogel, Kathleen Wagner<br />
Autor<strong>In</strong>nen der Schautafeln<br />
Usbekistan: Irene Hilgers – Augsburger Zoo: Markus Höhne – <strong>In</strong>discher<br />
Ozean: Steffen Johannessen – Südafrika: Thomas Kirsch – Sudan: Guma<br />
Kunda Komey – Mauritius: Patrick Neveling – Japan: Christian Tagsold<br />
– Nordirland: Olaf Zenker<br />
Workshops<br />
Daniela Burger, Patrick Neveling<br />
Unser besonderer Dank gilt<br />
Dem Bürgerladen e.V. in Halle-Neustadt und ganz besonders Frau Kiesewetter,<br />
Radio Korax, Thomas Kramer von RT Reprotechnik.de GmbH in Leipzig und<br />
Halle, Neue Gestaltung, sowie Susanne Ignaszewski und Kathrin Westphal vom<br />
Thalia Theater Halle.<br />
Kontakt: lost_state@gmx.de
Auf der Suche nach dem verlorenen Staat<br />
Ein Projekt des <strong>In</strong>stitut für Ethnologie,<br />
Martin-Lu<strong>the</strong>r-Universität Halle Wittenberg.<br />
Konzeption, Leitung, Redaktion und Organisation<br />
Patrick Neveling<br />
Grafische Gestaltung, Konzept und Redaktion<br />
Daniela Burger<br />
Recherche, <strong>In</strong>terviewkonzeption<br />
Elske Rosenfeld, Patrick Neveling<br />
Audioaufnahmen, -schnitt und redaktionelle Bearbeitung<br />
Christoph Freidhöfer, Maria Hahnekamp, Patrick Neveling<br />
Sprecher<strong>In</strong>nen<br />
Julia Baumhauer, Frank Donath, Maria Hahnekamp, Holm Hänsel,<br />
Irene Hilgers, Jakob Hommel, Christine Marquordt, Patrick Neveling,<br />
Lukas Vogel<br />
<strong>In</strong>terviews und Recherche<br />
Jana Conrad, Markus Heep, Jakob Hommel, Christine Marquordt, Céline<br />
Mühl, Kirsten Reichert, Ronald Starick, Lukas Vogel, Kathleen Wagner<br />
Autor<strong>In</strong>nen der Schautafeln<br />
Usbekistan: Irene Hilgers – Augsburger Zoo: Markus Höhne – <strong>In</strong>discher<br />
Ozean: Steffen Johannessen – Südafrika: Thomas Kirsch – Sudan: Guma<br />
Kunda Komey – Mauritius: Patrick Neveling – Japan: Christian Tagsold<br />
– Nordirland: Olaf Zenker<br />
Workshops<br />
Daniela Burger, Patrick Neveling<br />
Unser besonderer Dank gilt<br />
Dem Bürgerladen e.V. in Halle-Neustadt und ganz besonders Frau Kiesewetter,<br />
Radio Korax, Thomas Kramer von RT Reprotechnik.de GmbH in Leipzig und<br />
Halle, Neue Gestaltung, sowie Susanne Ignaszewski und Kathrin Westphal vom<br />
Thalia Theater Halle.<br />
Kontakt: lost_state@gmx.de
Verwaltungsgericht Augsburg weist Antrag auf Untersagung der<br />
Zoo-Veranstaltung „African Village“ zurück<br />
9. Juni 2005<br />
Erklärung von Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert:<br />
„Erwartungsgemäß hat das Verwaltungsgericht Augsburg den<br />
Eilantrag eines in Berlin lebenden Afrikaners auf Unterlassung<br />
der Veranstaltung „African Village“ im Augsburger Zoo<br />
zurückgewiesen. Die Stadt sieht sich damit in ihrer rechtlichen<br />
Beurteilung dieser Kulturveranstaltung ganz und gar bestätigt.<br />
Von einer Diskriminierung des Antragstellers oder<br />
der afrikanischen Künstler und Aussteller, von denen das<br />
„African Village“ mitgetragen wird, kann demnach überhaupt<br />
keine Rede sein. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
ist vielmehr ein deutliches Zeichen dafür, dass die Vorwürfe<br />
gegen die Stadt und die Zoo GmbH völlig unbegründet sind.<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts nun<br />
dazu beiträgt, dass auch kritische Beobachter erkennen, wie<br />
sich hier Künstler, Aussteller und engagierte Organisationen,<br />
wie etwa der Togoverein, für eine gute und friedensstiftende<br />
Sache einsetzen. Vor diesem Hintergrund wünsche<br />
ich mir auch, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger<br />
die Veranstaltung besuchen und sich selbst ein Bild von dem<br />
Engagement „Pro Afrika“ machen.“
Verwaltungsgericht Augsburg weist Antrag auf Untersagung der<br />
Zoo-Veranstaltung „African Village“ zurück<br />
9. Juni 2005<br />
Erklärung von Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert:<br />
„Erwartungsgemäß hat das Verwaltungsgericht Augsburg den<br />
Eilantrag eines in Berlin lebenden Afrikaners auf Unterlassung<br />
der Veranstaltung „African Village“ im Augsburger Zoo<br />
zurückgewiesen. Die Stadt sieht sich damit in ihrer rechtlichen<br />
Beurteilung dieser Kulturveranstaltung ganz und gar bestätigt.<br />
Von einer Diskriminierung des Antragstellers oder<br />
der afrikanischen Künstler und Aussteller, von denen das<br />
„African Village“ mitgetragen wird, kann demnach überhaupt<br />
keine Rede sein. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
ist vielmehr ein deutliches Zeichen dafür, dass die Vorwürfe<br />
gegen die Stadt und die Zoo GmbH völlig unbegründet sind.<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts nun<br />
dazu beiträgt, dass auch kritische Beobachter erkennen, wie<br />
sich hier Künstler, Aussteller und engagierte Organisationen,<br />
wie etwa der Togoverein, für eine gute und friedensstiftende<br />
Sache einsetzen. Vor diesem Hintergrund wünsche<br />
ich mir auch, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger<br />
die Veranstaltung besuchen und sich selbst ein Bild von dem<br />
Engagement „Pro Afrika“ machen.“
Verwaltungsgericht Augsburg weist Antrag auf Untersagung der<br />
Zoo-Veranstaltung „African Village“ zurück<br />
9. Juni 2005<br />
Erklärung von Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert:<br />
„Erwartungsgemäß hat das Verwaltungsgericht Augsburg den<br />
Eilantrag eines in Berlin lebenden Afrikaners auf Unterlassung<br />
der Veranstaltung „African Village“ im Augsburger Zoo<br />
zurückgewiesen. Die Stadt sieht sich damit in ihrer rechtlichen<br />
Beurteilung dieser Kulturveranstaltung ganz und gar bestätigt.<br />
Von einer Diskriminierung des Antragstellers oder<br />
der afrikanischen Künstler und Aussteller, von denen das<br />
„African Village“ mitgetragen wird, kann demnach überhaupt<br />
keine Rede sein. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
ist vielmehr ein deutliches Zeichen dafür, dass die Vorwürfe<br />
gegen die Stadt und die Zoo GmbH völlig unbegründet sind.<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts nun<br />
dazu beiträgt, dass auch kritische Beobachter erkennen, wie<br />
sich hier Künstler, Aussteller und engagierte Organisationen,<br />
wie etwa der Togoverein, für eine gute und friedensstiftende<br />
Sache einsetzen. Vor diesem Hintergrund wünsche<br />
ich mir auch, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger<br />
die Veranstaltung besuchen und sich selbst ein Bild von dem<br />
Engagement „Pro Afrika“ machen.“
Als wir schließlich doch alle den Termin wahrnahmen, wurden einigen von uns die Löhne<br />
für zwei Arbeitstage gestrichen. (…)<br />
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Brief an den Premierminister, Honourable Paul Berenger<br />
Sehr geehrter Herr,<br />
wir sind als Fabrikarbeiter bei den Firmen Consolidated Dyeing Co. Ltd. und Dyeing and Finishing<br />
Col. Ltd beschäftigt und arbeiten bei Ferney Spinning Mills (Teil der Floreal Gruppe)<br />
in Forest Side, Mauritius. Wir sind Teil der tausenden von Arbeitern in der Freien Produktions<br />
Zone, die in den letzten 15 Jahren zum Wohlstand des Landes beigetragen haben.<br />
Im Januar 2003 hat die Firmenleitung einseitig unsere Arbeitsbedingungen verändert – sie<br />
sagten, wir sollten an Stelle der normalen Arbeitszeit von 8 Stunden täglich jetzt in 12-Stunden<br />
Schichten arbeiten. Das bedeutete, dass sich unsere normale Wochenarbeitszeit von 45 auf<br />
52,5 Stunden veränderte, die Mittagspausen bereits abgezogen!<br />
Wir waren mit diesem repressiven System nicht einverstanden. Deshalb haben wir Verhandlungen<br />
mit der Firmenleitung gesucht.<br />
Dann haben drei von uns eine Beschwerde beim Arbeitsministerium eingereicht. Weil wir nur<br />
drei waren, hat die Frimenleitung unsere Beschwerde nicht ernst genommen.<br />
Aber unser Fall ist ernst. Er betrifft unser tägliches Leben. Wir arbeiten mit hochgiftigen<br />
Chemikalien und gefährlichen Maschinen. Lange Arbeitszeiten erhöhen die Unfallgefahr.<br />
Erst letzte Nacht (6. Mai) blieb einer unserer Kollegen in einer Maschine hängen während er<br />
sie säuberte. Er wurde schwer verletzt und letzte Nacht operiert. Wir haben wenig Zeit, uns<br />
um unsere Familien zu kümmern oder ein soziales Leben zu führen, seit unsere Arbeitszeiten<br />
verlängert wurden und wir täglich zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln.<br />
Schließlich haben alle 180 von uns im Februar als Einzelpersonen [wie es gesetzlich vorgeschrieben<br />
ist] einen industriellen Disput erklärt. Wir wurden an das permanente Schiedsgericht<br />
verwiesen. Aber als wir zu dem Termin gehen wollten, sagte uns die Firmenleitung, es sei<br />
bereits alles mit dem Gericht arrangiert und nur einige von uns dürften gehen.<br />
Wir h<strong>of</strong>fen, dass Sie als Premierminister und jemand, der einstmals in vorderster Front für die<br />
Rechte von Arbeitern gekämpft hat, alles in ihrer Kraft stehende unternehmen werden, damit<br />
das große Unrecht, welches uns widerfährt, beseitigt wird. Einerseits, indem Sie unseren Arbeitgeber<br />
aufrufen, die ungerechten Lohnkürzungen zurückzunehmen und andererseits indem<br />
Sie ihn aufrufen, sich mit uns wie unter zivilisierten Menschen üblich an einen Tisch zu setzen<br />
und unsere Forderungen kollektiv auszuhandeln oder dafür Sorge zu tragen, dass wir ohne<br />
weitere Einschüchterungen unseren Fall vor dem Schiedsgericht verteidigen können.<br />
Ergebenst,<br />
156 Arbeiter von Ferney Spinning Mill beschäftigt bei Consolidated Dyeing Ltd. und Dyeing<br />
and Finishing Ltd.
Als wir schließlich doch alle den Termin wahrnahmen, wurden einigen von uns die Löhne<br />
für zwei Arbeitstage gestrichen. (…)<br />
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Brief an den Premierminister, Honourable Paul Berenger<br />
Sehr geehrter Herr,<br />
wir sind als Fabrikarbeiter bei den Firmen Consolidated Dyeing Co. Ltd. und Dyeing and Finishing<br />
Col. Ltd beschäftigt und arbeiten bei Ferney Spinning Mills (Teil der Floreal Gruppe)<br />
in Forest Side, Mauritius. Wir sind Teil der tausenden von Arbeitern in der Freien Produktions<br />
Zone, die in den letzten 15 Jahren zum Wohlstand des Landes beigetragen haben.<br />
Im Januar 2003 hat die Firmenleitung einseitig unsere Arbeitsbedingungen verändert – sie<br />
sagten, wir sollten an Stelle der normalen Arbeitszeit von 8 Stunden täglich jetzt in 12-Stunden<br />
Schichten arbeiten. Das bedeutete, dass sich unsere normale Wochenarbeitszeit von 45 auf<br />
52,5 Stunden veränderte, die Mittagspausen bereits abgezogen!<br />
Wir waren mit diesem repressiven System nicht einverstanden. Deshalb haben wir Verhandlungen<br />
mit der Firmenleitung gesucht.<br />
Dann haben drei von uns eine Beschwerde beim Arbeitsministerium eingereicht. Weil wir nur<br />
drei waren, hat die Frimenleitung unsere Beschwerde nicht ernst genommen.<br />
Aber unser Fall ist ernst. Er betrifft unser tägliches Leben. Wir arbeiten mit hochgiftigen<br />
Chemikalien und gefährlichen Maschinen. Lange Arbeitszeiten erhöhen die Unfallgefahr.<br />
Erst letzte Nacht (6. Mai) blieb einer unserer Kollegen in einer Maschine hängen während er<br />
sie säuberte. Er wurde schwer verletzt und letzte Nacht operiert. Wir haben wenig Zeit, uns<br />
um unsere Familien zu kümmern oder ein soziales Leben zu führen, seit unsere Arbeitszeiten<br />
verlängert wurden und wir täglich zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln.<br />
Schließlich haben alle 180 von uns im Februar als Einzelpersonen [wie es gesetzlich vorgeschrieben<br />
ist] einen industriellen Disput erklärt. Wir wurden an das permanente Schiedsgericht<br />
verwiesen. Aber als wir zu dem Termin gehen wollten, sagte uns die Firmenleitung, es sei<br />
bereits alles mit dem Gericht arrangiert und nur einige von uns dürften gehen.<br />
Wir h<strong>of</strong>fen, dass Sie als Premierminister und jemand, der einstmals in vorderster Front für die<br />
Rechte von Arbeitern gekämpft hat, alles in ihrer Kraft stehende unternehmen werden, damit<br />
das große Unrecht, welches uns widerfährt, beseitigt wird. Einerseits, indem Sie unseren Arbeitgeber<br />
aufrufen, die ungerechten Lohnkürzungen zurückzunehmen und andererseits indem<br />
Sie ihn aufrufen, sich mit uns wie unter zivilisierten Menschen üblich an einen Tisch zu setzen<br />
und unsere Forderungen kollektiv auszuhandeln oder dafür Sorge zu tragen, dass wir ohne<br />
weitere Einschüchterungen unseren Fall vor dem Schiedsgericht verteidigen können.<br />
Ergebenst,<br />
156 Arbeiter von Ferney Spinning Mill beschäftigt bei Consolidated Dyeing Ltd. und Dyeing<br />
and Finishing Ltd.
Als wir schließlich doch alle den Termin wahrnahmen, wurden einigen von uns die Löhne<br />
für zwei Arbeitstage gestrichen. (…)<br />
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Brief an den Premierminister, Honourable Paul Berenger<br />
Sehr geehrter Herr,<br />
wir sind als Fabrikarbeiter bei den Firmen Consolidated Dyeing Co. Ltd. und Dyeing and Finishing<br />
Col. Ltd beschäftigt und arbeiten bei Ferney Spinning Mills (Teil der Floreal Gruppe)<br />
in Forest Side, Mauritius. Wir sind Teil der tausenden von Arbeitern in der Freien Produktions<br />
Zone, die in den letzten 15 Jahren zum Wohlstand des Landes beigetragen haben.<br />
Im Januar 2003 hat die Firmenleitung einseitig unsere Arbeitsbedingungen verändert – sie<br />
sagten, wir sollten an Stelle der normalen Arbeitszeit von 8 Stunden täglich jetzt in 12-Stunden<br />
Schichten arbeiten. Das bedeutete, dass sich unsere normale Wochenarbeitszeit von 45 auf<br />
52,5 Stunden veränderte, die Mittagspausen bereits abgezogen!<br />
Wir waren mit diesem repressiven System nicht einverstanden. Deshalb haben wir Verhandlungen<br />
mit der Firmenleitung gesucht.<br />
Dann haben drei von uns eine Beschwerde beim Arbeitsministerium eingereicht. Weil wir nur<br />
drei waren, hat die Frimenleitung unsere Beschwerde nicht ernst genommen.<br />
Aber unser Fall ist ernst. Er betrifft unser tägliches Leben. Wir arbeiten mit hochgiftigen<br />
Chemikalien und gefährlichen Maschinen. Lange Arbeitszeiten erhöhen die Unfallgefahr.<br />
Erst letzte Nacht (6. Mai) blieb einer unserer Kollegen in einer Maschine hängen während er<br />
sie säuberte. Er wurde schwer verletzt und letzte Nacht operiert. Wir haben wenig Zeit, uns<br />
um unsere Familien zu kümmern oder ein soziales Leben zu führen, seit unsere Arbeitszeiten<br />
verlängert wurden und wir täglich zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln.<br />
Schließlich haben alle 180 von uns im Februar als Einzelpersonen [wie es gesetzlich vorgeschrieben<br />
ist] einen industriellen Disput erklärt. Wir wurden an das permanente Schiedsgericht<br />
verwiesen. Aber als wir zu dem Termin gehen wollten, sagte uns die Firmenleitung, es sei<br />
bereits alles mit dem Gericht arrangiert und nur einige von uns dürften gehen.<br />
Wir h<strong>of</strong>fen, dass Sie als Premierminister und jemand, der einstmals in vorderster Front für die<br />
Rechte von Arbeitern gekämpft hat, alles in ihrer Kraft stehende unternehmen werden, damit<br />
das große Unrecht, welches uns widerfährt, beseitigt wird. Einerseits, indem Sie unseren Arbeitgeber<br />
aufrufen, die ungerechten Lohnkürzungen zurückzunehmen und andererseits indem<br />
Sie ihn aufrufen, sich mit uns wie unter zivilisierten Menschen üblich an einen Tisch zu setzen<br />
und unsere Forderungen kollektiv auszuhandeln oder dafür Sorge zu tragen, dass wir ohne<br />
weitere Einschüchterungen unseren Fall vor dem Schiedsgericht verteidigen können.<br />
Ergebenst,<br />
156 Arbeiter von Ferney Spinning Mill beschäftigt bei Consolidated Dyeing Ltd. und Dyeing<br />
and Finishing Ltd.
Als wir schließlich doch alle den Termin wahrnahmen, wurden einigen von uns die Löhne<br />
für zwei Arbeitstage gestrichen. (…)<br />
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Brief an den Premierminister, Honourable Paul Berenger<br />
Sehr geehrter Herr,<br />
wir sind als Fabrikarbeiter bei den Firmen Consolidated Dyeing Co. Ltd. und Dyeing and Finishing<br />
Col. Ltd beschäftigt und arbeiten bei Ferney Spinning Mills (Teil der Floreal Gruppe)<br />
in Forest Side, Mauritius. Wir sind Teil der tausenden von Arbeitern in der Freien Produktions<br />
Zone, die in den letzten 15 Jahren zum Wohlstand des Landes beigetragen haben.<br />
Im Januar 2003 hat die Firmenleitung einseitig unsere Arbeitsbedingungen verändert – sie<br />
sagten, wir sollten an Stelle der normalen Arbeitszeit von 8 Stunden täglich jetzt in 12-Stunden<br />
Schichten arbeiten. Das bedeutete, dass sich unsere normale Wochenarbeitszeit von 45 auf<br />
52,5 Stunden veränderte, die Mittagspausen bereits abgezogen!<br />
Wir waren mit diesem repressiven System nicht einverstanden. Deshalb haben wir Verhandlungen<br />
mit der Firmenleitung gesucht.<br />
Dann haben drei von uns eine Beschwerde beim Arbeitsministerium eingereicht. Weil wir nur<br />
drei waren, hat die Frimenleitung unsere Beschwerde nicht ernst genommen.<br />
Aber unser Fall ist ernst. Er betrifft unser tägliches Leben. Wir arbeiten mit hochgiftigen<br />
Chemikalien und gefährlichen Maschinen. Lange Arbeitszeiten erhöhen die Unfallgefahr.<br />
Erst letzte Nacht (6. Mai) blieb einer unserer Kollegen in einer Maschine hängen während er<br />
sie säuberte. Er wurde schwer verletzt und letzte Nacht operiert. Wir haben wenig Zeit, uns<br />
um unsere Familien zu kümmern oder ein soziales Leben zu führen, seit unsere Arbeitszeiten<br />
verlängert wurden und wir täglich zwischen Tag- und Nachtschicht wechseln.<br />
Schließlich haben alle 180 von uns im Februar als Einzelpersonen [wie es gesetzlich vorgeschrieben<br />
ist] einen industriellen Disput erklärt. Wir wurden an das permanente Schiedsgericht<br />
verwiesen. Aber als wir zu dem Termin gehen wollten, sagte uns die Firmenleitung, es sei<br />
bereits alles mit dem Gericht arrangiert und nur einige von uns dürften gehen.<br />
Wir h<strong>of</strong>fen, dass Sie als Premierminister und jemand, der einstmals in vorderster Front für die<br />
Rechte von Arbeitern gekämpft hat, alles in ihrer Kraft stehende unternehmen werden, damit<br />
das große Unrecht, welches uns widerfährt, beseitigt wird. Einerseits, indem Sie unseren Arbeitgeber<br />
aufrufen, die ungerechten Lohnkürzungen zurückzunehmen und andererseits indem<br />
Sie ihn aufrufen, sich mit uns wie unter zivilisierten Menschen üblich an einen Tisch zu setzen<br />
und unsere Forderungen kollektiv auszuhandeln oder dafür Sorge zu tragen, dass wir ohne<br />
weitere Einschüchterungen unseren Fall vor dem Schiedsgericht verteidigen können.<br />
Ergebenst,<br />
156 Arbeiter von Ferney Spinning Mill beschäftigt bei Consolidated Dyeing Ltd. und Dyeing<br />
and Finishing Ltd.