Interview mit dem Vorsitzenden der ständigen ... - Gelsenwasser AG
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04<br />
TITELTHEMA<br />
„Fair und transparent“<br />
<strong>Interview</strong> zur Wasserpreisgestaltung im GELSENWASSER-Versorgungsgebiet<br />
An<strong>der</strong>s als viele an<strong>der</strong>e Versorger legt <strong>Gelsenwasser</strong> den Wasserpreis für Haushalte<br />
traditionell nicht selber fest. Um einen fairen Interessenausgleich sicherzustellen,<br />
hat das Unternehmen die Tarifhoheit auf eine unabhängige Schiedsstelle<br />
übertragen. Seit über 50 Jahren steht sie für einen einheitlichen Wasserpreis im<br />
gesamten Versorgungsgebiet, hat bei Anpassungen nach oben wie nach unten<br />
das letzte Wort und berücksichtigt dabei sowohl den Anspruch des Versorgers<br />
auf Kostendeckung als auch den Schutz des Verbrauchers. Michael Schöneich,<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schiedsstelle, erklärt im Gespräch <strong>mit</strong> transparent, wie sich das<br />
Gremium zusammensetzt, worum es sich kümmert und warum Verbraucher und<br />
Kommunen davon profitieren.<br />
Herr Schöneich, wie viel kostet in Deutschland eigentlich ein Liter Trinkwasser?<br />
Das hängt davon ab, wie viel Aufwand betrieben werden muss,<br />
um aus <strong>der</strong> natürlichen Ressource Wasser Trinkwasser zu machen<br />
und dieses über die jeweilige Infrastruktur zum Kunden zu transportieren.<br />
Insgesamt ist Trinkwasser das günstigste Versorgungsgut<br />
von allen – pro Tag muss je<strong>der</strong> Bürger für seinen gesamten<br />
Verbrauch rd. 25 Cent aufwenden.<br />
Wer setzt denn üblicherweise die Preise fest?<br />
Normalerweise die Kommune o<strong>der</strong> die zu<strong>ständigen</strong> Ausschüsse<br />
<strong>der</strong> ansässigen Wasserversorgungsunternehmen. <strong>Gelsenwasser</strong><br />
gehört zu den ganz wenigen Versorgern, die den Trinkwasserpreis<br />
nicht selbst bestimmen, son<strong>der</strong>n die Preisfestsetzung einer unabhängigen<br />
Schiedsstelle überlassen.<br />
Wie setzt sich diese Schiedsstelle zusammen?<br />
Die Schiedsstelle hat fünf unabhängige sachkundige Mitglie<strong>der</strong>.<br />
Zwei werden von den versorgten Kommunen benannt,<br />
zwei von <strong>Gelsenwasser</strong>. Diese Vier wie<strong>der</strong>um bestellen einen<br />
neutralen <strong>Vorsitzenden</strong> hinzu, <strong>der</strong> die Befähigung zum Richteramt<br />
haben muss. ➞
05<br />
Infrastruktur <strong>der</strong> Wasserversorgung<br />
Leistungsvielfalt für 25 Cent<br />
Eine vierköpfige Familie verbraucht im Jahr durchschnittlich 180 m 3 Trinkwasser und zahlt dafür bei <strong>Gelsenwasser</strong> rd. 360 €, rd. 25 Cent pro Person<br />
und Tag. Zu diesem Preis werden Versorgungssicherheit, überzeugende Wasserqualität, <strong>der</strong> Transport zum Verbraucher und eine effiziente Verwaltung<br />
eingekauft – ein umfangreiches Leistungsspektrum, das unabhängig von Zeitpunkt und Menge des Verbrauchs kontinuierlich erbracht werden muss.<br />
Ressourcenmanagement Gewinnung + Aufbereitung Verteilung Service<br />
■■<br />
Vorbeugen<strong>der</strong> Gewässerschutz<br />
(Schutz des Wassereinzugsgebiets<br />
z. B. durch Kooperation Landwirtschaft)<br />
■■<br />
Qualitätskontrolle (umfangreiches<br />
Monitoring im Einzugsgebiet)<br />
■■<br />
Mengenwirtschaft Oberflächenwasser<br />
(Talsperren-Management,<br />
Pegelstandsmessungen)<br />
■■<br />
Grundwasser (umfangreiches<br />
Monitoring Wasserstände im Einzugsgebiet)<br />
■■<br />
Überwachung des Einzugsgebiets<br />
(u. a. durch Befliegung)<br />
■■<br />
Naturnahe Wassergewinnung<br />
(z. B. durch künstliche Grundwasseranreicherung)<br />
■■<br />
Weitere Aufbereitungsmaßnahmen<br />
werden entsprechend den örtlichen<br />
Gegebenheiten eingesetzt<br />
(bspw. Oxidation, Flockung und<br />
Schnellfiltration, Adsorption <strong>mit</strong>tels<br />
Aktivkohle sowie UV-Desinfektion)<br />
■■<br />
Qualitätskontrolle (umfangreiche<br />
Analytik des Trinkwassers)<br />
Allein 185 Mio. € investieren <strong>Gelsenwasser</strong> und<br />
Partner unternehmen z. B. <strong>mit</strong>telfristig in die Wasserauf<br />
be rei tungs anlagen <strong>der</strong> Ruhrwasserwerke.<br />
■■<br />
Speichermanagement<br />
(Hochbehälter)<br />
■■<br />
Netzverlegung<br />
■■<br />
Nachhaltige Netzerneuerung<br />
■■<br />
Schadenbehebung<br />
■■<br />
Zählerwesen<br />
■■<br />
Vorhalten Notfall (Feuerwehr u. a.)<br />
■■<br />
Kundenmanagement/<br />
Rechnungslegung<br />
■■<br />
Störfallannahme<br />
■■<br />
Kundenservice-Center<br />
■■<br />
Kundeninformation (bspw.<br />
Kundenmagazin, Wasserwerksführung,<br />
Internet)
06<br />
TITELTHEMa<br />
Was genau sind die aufgaben <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>?<br />
Jährlich erstellt ein unabhängiges Wirtschaftsprüfungsunternehmen ein Gutachten über die Kostensituation bei<br />
<strong>Gelsenwasser</strong>, das die Mitglie<strong>der</strong> des Schiedsgerichts und alle Konzessionsgemeinden zur Kenntnis erhalten.<br />
Weichen die Kosten wesentlich vom Wasserpreis ab, haben die Kommunen o<strong>der</strong> <strong>Gelsenwasser</strong> das Recht, eine<br />
Preissenkung o<strong>der</strong> -erhöhung zu verlangen. Stimmt die jeweils an<strong>der</strong>e Seite <strong>dem</strong> nicht zu, ist die Schiedsstelle<br />
das Gremium, das nach Erörterung aller relevanten Sachverhalte den neuen Preis als Schiedsspruch festlegt. An<br />
diese Entscheidung sind dann alle Partner gebunden.<br />
Kann sich <strong>Gelsenwasser</strong> also bei steigenden Kosten einfach einen entsprechend höheren Preis genehmigen lassen?<br />
Nein, so einfach funktioniert <strong>der</strong> Mechanismus nicht. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung darauf<br />
hingewiesen, dass die Preise auf einer rationellen Betriebsführung beruhen müssen. <strong>Gelsenwasser</strong> beteiligt<br />
sich seit Jahren an einem von <strong>der</strong> Landesregierung initiierten Benchmarkingprojekt, dessen Ergebnisse ebenfalls<br />
in das Gutachten einfließen.<br />
Was bedeutet das für den Verbraucher?<br />
Faire, transparente Preise. Die Verbraucher können sich beim Trinkwasser sicher sein, dass nicht willkürlich an<br />
<strong>der</strong> Preisschraube gedreht wird. Seit Einrichtung <strong>der</strong> Schiedsstelle vor mehr als 50 Jahren sind die Wasserpreise<br />
im <strong>Gelsenwasser</strong>-Versorgungsgebiet nicht nur stets mehrjährig konstant geblieben, son<strong>der</strong>n die Steigerungen<br />
liegen im Trend auch immer unter <strong>der</strong> Inflationsrate.<br />
SCHIEDSVERFaHREN<br />
FÜR 2014 ERÖFFNET<br />
Gründlich, sachlich, bindend<br />
So funktioniert das Schiedsverfahren<br />
Jedes Jahr muss <strong>Gelsenwasser</strong> gegenüber den Kommunen nachweisen, welche Kosten für die<br />
Wasserversorgung tatsächlich entstanden sind. Dazu wird ein Gutachten eines unabhängigen<br />
Wirtschaftsprüfungsunternehmens beauftragt, das den versorgten Kommunen und auch <strong>der</strong><br />
Schiedsstelle zugeht. Wenn die ausgewiesenen Kosten wesentlich von den realisierten Durchschnittserlösen<br />
abweichen, haben beide Vertragsparteien das Recht, eine Preisanpassung zu<br />
verlangen. Stimmt die jeweils an<strong>der</strong>e Seite zu, gibt die Schiedsstelle den neuen Preis lediglich<br />
offiziell bekannt. Das ist jedoch eher die Ausnahme; in <strong>der</strong> Regel wird Wi<strong>der</strong>spruch eingelegt,<br />
sodass die Schiedsstelle entscheiden muss.<br />
DIE VERFaHRENSREGELN<br />
Die Wasserpreisfindung <strong>der</strong> Schiedsstelle richtet sich<br />
objektiv nach allgemein anerkannten betriebswirtschaftlichen<br />
Grundsätzen:<br />
■■<br />
Abgrenzung <strong>der</strong> Kosten aus <strong>der</strong> Wasserabgabe<br />
gemäß <strong>der</strong> Verursachung durch die einzelnen<br />
Kundengruppen<br />
■■<br />
angemessene Verzinsung des Kapitals<br />
■■<br />
Erhaltung <strong>der</strong> Unternehmenssubstanz<br />
■■<br />
Verpflichtung des Unternehmens zur Minimierung<br />
<strong>der</strong> Wasserversorgungskosten
07<br />
Mit welchen beson<strong>der</strong>en Kostenfaktoren müssen sich Wasserversorgungsunternehmen <strong>der</strong>zeit verstärkt auseinan<strong>der</strong>setzen?<br />
Hier kristallisieren sich aktuell drei Themenschwerpunkte heraus:<br />
■ Die Energiewende. Wasserversorgungsunternehmen gehören zu den energieintensiven Branchen – denken<br />
Sie nur an die große Anzahl von För<strong>der</strong>pumpen. Hier sind die Kosten eindeutig gestiegen.<br />
■ Der <strong>dem</strong>ografische Wandel. Rückläufige Einwohnerzahlen und das Sparverhalten <strong>der</strong> Bürger führen zu<br />
einem drastischen Rückgang <strong>der</strong> Wasserabgabe. Bei einem Fixkostenanteil von bis zu 80 % bestehen nur geringe<br />
Anpassungsmöglichkeiten in Bezug auf die Infrastruktur. Die spezifischen Kosten müssen also – trotz<br />
aller Optimierungsmaßnahmen – zwangsläufig steigen.<br />
■ Die Wasserqualität. Immer strengere Anfor<strong>der</strong>ungen an die Trinkwasserqualität erfor<strong>der</strong>n massive Investitionen<br />
in die Aufbereitungstechniken. <strong>Gelsenwasser</strong> investiert beispielsweise aktuell – zusammen <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />
Kooperationspartner Stadtwerke Essen – 55 Mio. € in die Wasseraufbereitung. Mittelfristig sind weitere<br />
130 Mio. € projektiert.<br />
Herr Schöneich, wir danken Ihnen für das Gespräch.<br />
PRINZIP DES PREISFINDUNGSVERFAHRENS<br />
GELSENWASSER <strong>AG</strong><br />
verzichtet auf Tarifhoheit<br />
beauftragt<br />
UNABHÄNGIGES WIRTSCHAFTSPRÜFUNGSUNTERNEHMEN<br />
erstellt Kostengutachten<br />
VERSORGTE KOMMUNEN ERHEBEN …<br />
keinen<br />
Einspruch<br />
NEUER WASSERPREIS<br />
(gemäß Gutachten)<br />
Einspruch<br />
UNABHÄNGIGE SCHIEDSSTELLE (paritätisch besetzt)<br />
2 UNABHÄNGIGE SACHKUNDIGE 2 UNABHÄNGIGE SACHKUNDIGE<br />
1 NEUTRALER VORSITZENDER<br />
(GELSENWASSER <strong>AG</strong>)<br />
(versorgter Kommunen)<br />
PREISFESTLEGUNG (für alle Beteiligten bindend)<br />
BEWEISAUFNAHME & SCHIEDSSPRUCH<br />
Nach schriftlich begründeter Anrufung durch den Antragsteller informiert<br />
<strong>der</strong> Vorsitzende die vier Beisitzer und beruft das Schiedsgericht ein. In <strong>der</strong><br />
ersten Sitzung tragen beide Parteien mündlich ihre Argumente vor; nach<br />
Bedarf werden noch offene Fragen – etwa an den unabhängigen Gutachter<br />
– formuliert. Die „Beweisaufnahme“ wird im Rahmen eines o<strong>der</strong> mehrerer<br />
Folge termine so lange fortgesetzt, bis die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schiedsstelle Klarheit<br />
über alle entscheidungsrelevanten Informationen haben und sich zur<br />
Beratung zurückziehen. Der daraus folgende Schiedsspruch ist für Kommunen,<br />
Kunden und <strong>Gelsenwasser</strong> bindend.