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21. April<br />

Festakt<br />

Musik, Theater, Tan<br />

Die <strong>HfMDK</strong> präsent<br />

künstlerische Vielfa<br />

Festrede Prof. Heine<br />

24. April<br />

Symposium<br />

„Zukunft der Künste<br />

Benefizkon<br />

mit Christoph Préga<br />

und Udo Samel<br />

75 JAHRE<br />

1938–2013<br />

BEGEISTERN FÜR DIE KÜNSTE.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt<br />

FESTWOCHE 2013<br />

Kunstausbildung im Wandel – Zukunft der Künste<br />

27. April<br />

Tag des off<br />

Unterrichts<br />

für alle Interessierte<br />

Hochschul<br />

Kunst überall und p


Kunstausbildung im Wandel – Zukunft der Künste<br />

75 JAHRE<br />

HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST<br />

FRANKFURT AM MAIN<br />

FRANKFURT IN TAKT – DAS JUBILÄUMSHEFT<br />

12. Jahrgang, Nr. 1 Sommersemester 2013<br />

1<br />

www.hfmdk-frankfurt.de


Inhalt<br />

6<br />

Editorial<br />

8<br />

Grußwort der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst<br />

Eva Kühne-Hörmann<br />

9<br />

Grußwort des <strong>Frankfurt</strong>er Oberbürgermeisters<br />

Peter Feldmann<br />

10<br />

Grußwort des Vorsitzenden der Gesellschaft der<br />

Freunde und Förderer der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V.<br />

Prof. Dr. Clemens Börsig<br />

14<br />

Der lange Weg zur Gründung der <strong>Frankfurt</strong>er Musikhochschule<br />

von Dr. Eva Hanau<br />

36<br />

Ein unbekanntes musikpädagogisches Dokument von 1927:<br />

Hindemiths Konzeption einer Musikhochschule<br />

von Prof. Dr. Peter Cahn<br />

48<br />

Die Hochschule in Zahlen<br />

50<br />

„Wir wollen Studierenden den Raum geben, sich zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln“<br />

Interview mit den drei Dekaninnen Catherine Vickers, Henriette Meyer-Ravenstein und Marion Tiedtke sowie<br />

dem Hochschulpräsidenten Thomas Rietschel<br />

58<br />

Statements – Was mir die <strong>HfMDK</strong> bedeutet<br />

60<br />

Das macht uns so besonders<br />

62<br />

„Eine Hochschule ist kein Durchlauferhitzer“<br />

Die Professoren Jörg Widmann und Martin Lücker im Interview über das Reifen<br />

der künstlerischen Persönlichkeit im Laufe eines Musikstudiums<br />

70<br />

Statements – Was mir die <strong>HfMDK</strong> bedeutet<br />

74<br />

„Für Kunst gibt es keine Patentrezepte“<br />

Interview mit Lucas Fels , dem neuen Professor für Interpretatorische Praxis und Vermittlung Neue Musik<br />

76<br />

Unsere Kooperationspartner<br />

78<br />

Nachhaltige Musikvermittlung oder die kreative Suche nach den „happy new ears“<br />

Interview mit der Musikerin und Musikvermittlerin Catherine Milliken und dem<br />

<strong>HfMDK</strong>-Musiktheorie-Professor Ernst August Klötzke<br />

86<br />

Statements – Was mir die <strong>HfMDK</strong> bedeutet<br />

88<br />

„Begeisterung für die Kunst sollte unser gemeinsames Zentrum sein“<br />

Dekanin Marion Tiedtke und Regisseur Laurent Chétouane erörtern den Konflikt zwischen Kreativität<br />

und Handwerk in den Ausbildungsbereichen Schauspiel und Regie<br />

96<br />

Statements – Was mir die <strong>HfMDK</strong> bedeutet<br />

100<br />

Impressum<br />

2


Ein<br />

Füllhorn<br />

sEit<br />

2007<br />

Die 2007 gegründete Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main e. V.<br />

fördert die Studierenden der <strong>HfMDK</strong> und<br />

sorgt für exzellente Ausbildungsbedingungen.<br />

Sie finanziert Starterstipendien, DAAD-Stipendien<br />

und individuelle Stipendien, Gastprofessuren für<br />

Lied und Schauspiel, Gastdirigenten, seltene<br />

Instrumente, Opern- und Regieprojekte, Symposien,<br />

Spitzenschuhe, Exkursionen, Reisekosten,<br />

Publikationen, neue Saiten und vieles mehr!<br />

Werden Sie Mitglied<br />

und helfen Sie mit, die Ausbildung junger<br />

Musiker, Tänzer, Sänger und Schauspieler<br />

nachhaltig zu unterstützen!<br />

Mehr Informationen<br />

zu den Förderprojekten der GFF<br />

finden Sie hier:<br />

www.hfmdk-freunde.de<br />

3<br />

Spendenkonto der Freunde<br />

und Förderer der <strong>HfMDK</strong>:<br />

Deutsche Bank <strong>Frankfurt</strong><br />

BLZ 500 700 24<br />

Kontonummer 806 50 70


„Mond. Finsternis. Asphalt“ – Zeitgenössisches Musiktheater-Projekt der <strong>HfMDK</strong> mit Aufführungen im Bockenheimer Depot im Jahr 2010<br />

4


PROGRAMM DER FESTWOCHE<br />

Sonntag, 21. April 2013, 11 Uhr, Großer Saal<br />

FESTAKT UND ERÖFFNUNG DER JUBILÄUMSWOCHE<br />

Festrede: Prof. Heiner Goebbels<br />

Künstlerisches Programm: Lehrende, Studierende und Alumni der <strong>HfMDK</strong><br />

Mittwoch, 24. April 2013, 10 bis 18 Uhr, Kleiner Saal und diverse Räume der <strong>HfMDK</strong><br />

SYMPOSIUM<br />

Zukunft der Künste – künstlerische Ausbildung im Wandel<br />

Vorträge: 10 bis 12.45 Uhr, Kleiner Saal<br />

Prof. Dr. Christoph Menke (Goethe-Universität <strong>Frankfurt</strong> am Main),<br />

Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte (Freie Universität Berlin), Roland Diry (Ensemble Modern),<br />

Prof. Dr. Peter Röbke (Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien)<br />

PODIUMSDISKUSSION<br />

16.30 bis 18 Uhr, Kleiner Saal<br />

Podiumsteilnehmer: Prof. Dr. Clemens Börsig (Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer der <strong>HfMDK</strong>),<br />

Dr. Heike Hambrock (Vorsitzende des Kulturausschusses der Stadt <strong>Frankfurt</strong>),<br />

Simon Möllendorf (Studierender der <strong>HfMDK</strong>), Thomas Rietschel (Präsident der <strong>HfMDK</strong>),<br />

Karsten Wiegand (Designierter Intendant am Staatstheater Darmstadt ab der Spielzeit 2014/2015)<br />

Moderation: Dr. Ruth Fühner (hr2-kultur)<br />

Konzeptionelle Leitung: Prof. Axel Gremmelspacher<br />

Mittwoch, 24. April 2013, 19.30 Uhr, Großer Saal<br />

BENEFIZKONZERT<br />

Erhabene Trümmer<br />

Ein Abend im Gespräch mit Goethe – von und mit Christoph Prégardien (Tenor), Udo Samel (Lesung)<br />

und Michael Gees (Klavier). Texte von Johann Wolfgang von Goethe, Vertonungen von Franz Schubert,<br />

Ludwig van Beethoven, Edvard Grieg, Hugo Wolf, Franz Liszt, Othmar Schoeck und Michael Gees.<br />

Samstag, 27. April 2013, 18 bis 24 Uhr, <strong>HfMDK</strong><br />

HOCHSCHULNACHT<br />

Unfassbare Romantik<br />

Eröffnung mit dem Hochschulorchester.<br />

Anschließend bis Mitternacht 40 Kurzprogramme aus Musik, Schauspiel und Tanz mit mehr als<br />

200 Studierenden, Lehrenden und Gästen. Künstlerische Leitung: Prof. Angelika Merkle<br />

5


E d i t o r i a l<br />

1938 wurde unsere Hochschule aus dem Dr. Hoch´s Konservatorium<br />

gegründet. Auf diese Gründungsjahre der Hochschule schauen<br />

wir mit zwiespältigen Gefühlen. Denn die jüdischen Lehrenden,<br />

die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts den guten Ruf<br />

des Konservatoriums international entscheidend mitgeprägt hatten,<br />

waren bei der Hochschulgründung 1938 nicht mehr dabei: Sie<br />

wurden durch die neuen Machthaber schon im April 1933 in einer<br />

schändlichen Aktion aus dem Haus gejagt. Sie und ihre Geschichte<br />

gehören zu uns und dürfen nicht vergessen werden. Wir gedenken<br />

ihrer, indem wir in dieser Festschrift ihre Kurzbiografien als<br />

„Stolpersteine“ in die Darstellung der Gründungsgeschichte der<br />

Hochschule eingesetzt haben.<br />

Bei den Vorbereitungen zu diesem Jubiläum haben wir entschieden,<br />

die Gründungsgeschichte der Hochschule aufzuarbeiten<br />

und zu veröffentlichen, wie das in diesem Heft mit den Beiträgen<br />

von Dr. Eva Hanau und Prof. Dr. Peter Cahn geschieht. Das<br />

Jubiläum sollte jedoch keine Feier vergangener Erfolge werden,<br />

auch wenn es dazu reichlich Anlass gibt. Die <strong>HfMDK</strong> hat eine<br />

stolze Tradition, viele bedeutende Künstler, Pädagogen und<br />

Wissenschaftler wurden hier ausgebildet, viele großartige Lehrpersönlichkeiten<br />

haben hier gewirkt.<br />

In den letzten zehn Jahren hat die <strong>HfMDK</strong> sich von einer kameralistisch,<br />

von oben gesteuerten Institution zu einer autonomen<br />

Hochschule mit eigenem Budget und weitreichenden Entscheidungsspielräumen<br />

entwickelt. Sie hat sich der Stadt, der Region<br />

und der Gesellschaft geöffnet. Mit 450 Veranstaltungen im<br />

Jahr bereichert die <strong>HfMDK</strong> das Kulturleben in <strong>Frankfurt</strong> und der<br />

Rhein-Main-Region; als „vernetzte“ Hochschule kooperiert sie<br />

regional und überregional mit allen wichtigen Kulturinstitutionen.<br />

Neue Studiengänge auf höchstem Niveau wurden etabliert und<br />

gleichzeitig engagierte sich die Hochschule erfolgreich mit<br />

Bildungsprojekten wie „Primacanta – Jedem Kind seine Stimme“,<br />

die jetzt von anderen Kommunen und Bundesländern übernommen<br />

werden. Diese rasante Entwicklung verdanken wir dem Engagement<br />

unserer Lehrenden und unserer Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter in der Verwaltung. Äußerst hilfreich war in den letzten<br />

Jahren auch das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger,<br />

Stiftungen und Unternehmen für die Hochschule.<br />

Unser Blick geht jetzt jedoch nach vorne. „Kunstausbildung im<br />

Wandel – Zukunft der Künste“ – unter diesem Motto stellen wir<br />

in der Jubiläumswoche vom 21. bis 27. April die Frage nach der<br />

Zukunft unserer Hochschule. Wie notwendig das ist, zeigen die<br />

großen Veränderungen in unserem Umfeld, von denen ich nur<br />

einige ansprechen möchte. Die Krise der öffentlichen Haushalte<br />

stellt in ganz Europa die Kulturinstitutionen vor neue Herausforderungen.<br />

Wir müssen uns verstärkt legitimieren, wenn die Entwicklung<br />

der Künste weiterhin durch die Allgemeinheit finanziert<br />

werden soll. Die Globalisierung hat den Blick geweitet und einen<br />

Prozess der Internationalisierung eingeleitet, und nicht zuletzt sind<br />

es Entwicklungen in den Künsten selbst wie die Entgrenzung der<br />

Sparten, die uns zum Nachdenken über die Inhalte und Ziele<br />

unserer Ausbildung veranlassen.<br />

Vor allem aber spornt die Verantwortung für unsere Studierenden<br />

uns zur Auseinandersetzung mit der Zukunft an. Denn sie werden<br />

in wenigen Jahren die handelnden Akteure im Kulturleben sein,<br />

als Künstler, als Pädagogen, als reflektierende Wissenschaftler oder<br />

in administrativer Funktion. Um unsere Studierenden bestmöglich<br />

auf die Zukunft vorzubereiten, müssen wir eine Position dazu<br />

entwickeln, wie das Kulturleben in zwanzig Jahren aussehen sollte<br />

oder könnte.<br />

Ohne den Debatten vorgreifen zu wollen, möchte ich vor diesem<br />

Hintergrund das seit langem angedachte Projekt des Kulturcampus<br />

<strong>Frankfurt</strong> als ein Zukunftsprojekt vorstellen, das eine Antwort auf<br />

die oben skizzierten Probleme geben könnte. Denn hierin vermittelt<br />

sich die Idee einer Hochschule der Zukunft.<br />

Das pulsierende Herz des Kulturcampus auf dem alten Standort<br />

der Goethe-Universität mitten in <strong>Frankfurt</strong> bilden neun international<br />

positionierte Kulturinstitutionen, die hier eine neue Form der<br />

Zusammenarbeit leben wollen. Die Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main wird auf dem Gelände ihr<br />

neues Gebäude errichten – gemeinsam mit der The Forsythe<br />

Company und dem Ensemble Modern, mit dem <strong>Frankfurt</strong> LAB und<br />

der Hessischen Theaterakademie, dem Hindemith-Institut <strong>Frankfurt</strong><br />

6


und der Jungen Deutschen Philharmonie. Bereits jetzt sind diese<br />

Institutionen durch vielfältige Kooperationen eng miteinander<br />

verbunden. Auch das Senckenberg Naturmuseum sowie das Institut<br />

für Sozialforschung werden das gemeinsame Konzept des Kulturcampus<br />

<strong>Frankfurt</strong> mitgestalten. Das Bockenheimer Depot ist<br />

dort als Spielstätte von Oper und Schauspiel <strong>Frankfurt</strong> seit Jahren<br />

etabliert.<br />

Durch die Öffnung zum Stadtteil und die geplante Verbindung von<br />

Wohnen, Arbeiten und Kultur wird sich auch die Frage der Legitimation<br />

künstlerischer Tätigkeit und Ausbildung ganz neu beantworten<br />

lassen. Nicht die Vermittlung der „schwer vermittelbaren“<br />

Künste soll in Zukunft das Thema sein. Das Ziel ist ein selbstverständliches<br />

Mit- und Gegeneinander und die Kunst als selbstverständlicher<br />

Teil städtischen Lebens für alle Bürgerinnen und Bürger.<br />

Alle Partner machen die Ergebnisse und Produktionsprozesse ihrer<br />

Arbeit in ihren Sälen und Ausstellungsräumen öffentlich zugänglich;<br />

1500 Künstler und Wissenschaftler werden hier arbeiten,<br />

studieren und forschen und den Kulturcampus zum attraktiven<br />

und lebenswerten Stadtviertel gestalten. Diese Verbindung von<br />

Weltniveau und Bürgernähe ist einzigartig.<br />

„Renommierte Künstler und Studierende aus aller Welt werden,<br />

angezogen von den neuen Möglichkeiten, den Weg nach <strong>Frankfurt</strong><br />

suchen“, prophezeit William Forsythe. Der Zusammenschluss<br />

solch international etablierter Institutionen macht aus dem<br />

Kulturcampus ein schöpferisches Zentrum der Musik, der darstellenden<br />

Kunst und der Wissenschaft. Der Vergleich mit großen<br />

internationalen Vorbildern – Southbank Centre in London, Lincoln<br />

Center in New York City – ist deshalb nicht zu hoch gegriffen.<br />

Und alle Institutionen werden gemeinsam an der Ausbildung einer<br />

neuen Künstlergeneration arbeiten, die aus aller Welt nach <strong>Frankfurt</strong><br />

kommt, um sich hier auf die Kunst von morgen vorzubereiten.<br />

Noch ist der Kulturcampus eine große Vision, und Zeiten knapper<br />

Kassen waren nie gute Zeiten für hochfliegende Pläne. Das soll uns<br />

aber nicht schrecken: Nur wer die Zukunft groß denkt, wird auch<br />

eine große Zukunft haben. Wir sind froh darüber, dass das Land<br />

Hessen einen ersten konkreten Schritt wagt und eine Studiobühne<br />

auf dem Kulturcampus als ersten Bauabschnitt der neuen Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst errichten wird. Damit setzt<br />

Hessen ein mutiges Zeichen, dem die Stadt <strong>Frankfurt</strong> hoffentlich<br />

bald folgen wird.<br />

Die machtvolle Idee des Kulturcampus verdeutlicht, dass wir uns<br />

nicht davon abhalten lassen, stets nach vorne zu denken. Für uns ist<br />

das eine Frage der Haltung, und mit dieser Haltung weiß ich unsere<br />

Hochschule auf einem guten Weg.<br />

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre unserer Festschrift und<br />

lade Sie herzlich ein, die Hochschule tatkräftig auf ihrem Weg in die<br />

Zukunft zu begleiten.<br />

Der Hochschule geben wir mit diesem visionären Vorhaben eine<br />

Perspektive, die viele der oben gestellten Fragen beantwortet.<br />

Durch die enge Zusammenarbeit mit Künstlern wie den Mitgliedern<br />

des Ensemble Modern oder William Forsythe wird die <strong>HfMDK</strong> ihre<br />

Ausbildung mit den aktuellen Entwicklungen der Kunst verbinden.<br />

Sie wird vom Netzwerk ihrer Partner profitieren und als zentrale<br />

Institution im Kulturcampus große internationale Sichtbarkeit und<br />

Attraktivität für herausragende Studierende und Lehrende erlangen.<br />

So wird sie zum einzigartigen Ausbildungsort in den Künsten.<br />

Zugleich eröffnet die Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen<br />

Instituten eine aufregende Begegnung zwischen Kunst und<br />

Wissenschaft und schafft die notwendige reflektierende Distanz<br />

zur künstlerischen Produktion und Ausbildung.<br />

Ihr<br />

Thomas Rietschel<br />

Präsident der Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

7


G r u ß w o r t e<br />

Verehrte Leserinnen UND LESER,<br />

Jubiläen und runde Geburtstage sind immer ein willkommener<br />

Anlass zu feiern und sich feiern zu lassen. Zu beidem hat die<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

nach 75 Jahren ihres Bestehens neben dem passenden Anlass<br />

heute ja auch allen Grund.<br />

Wir sehen und erleben heute eine Hochschule, die das gesamte<br />

Spektrum der Musik und der darstellenden Kunst auf zum Teil auch<br />

international herausragendem Niveau repräsentiert und weiterentwickelt<br />

und dabei gleichzeitig ein fester Bestandteil des künstlerischen<br />

und kulturellen Lebens der Stadt und der Region geworden<br />

ist. Dass der Zeitpunkt der Gründung der Hochschule 1938 in eine<br />

auch für die Künste und vor allem für zahllose Künstler grauenvolle<br />

Epoche fiel, das kann und soll dabei nicht verschwiegen werden,<br />

und ich begrüße es daher außerordentlich, dass die Hochschule<br />

diese Festschrift auch zum Anlass nimmt, ihre Gründungsgeschichte,<br />

die ebenso den Neubeginn 1947 nach der Zerstörung im Krieg<br />

mit umfasst, historisch zu beleuchten.<br />

Der Aufbruch in eine neue Gründerzeit hat daher bereits begonnen,<br />

und das Land Hessen geht diesen Weg gemeinsam mit der<br />

Hochschule: Noch in diesem Jubiläumsjahr soll der Startschuss<br />

für den Neubau einer Studiobühne am Campus Bockenheim fallen<br />

und gemeinsam mit der Stadt <strong>Frankfurt</strong> soll dort die weitere<br />

bauliche Entwicklung ermöglicht werden, eingebettet in die<br />

konkrete Vision eines Kulturcampus, dessen Nukleus die Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst bildet.<br />

Ich gratuliere zum 75jährigen Bestehen und wünsche der Hochschule,<br />

ihren Studierenden und Lehrenden auch weiterhin Erfolg.<br />

Ihre<br />

Eva Kühne-Hörmann<br />

Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst<br />

Jubiläen sind aber auch dazu prädestiniert, aus dem Kontext der<br />

Rückschau einerseits und der Visionen für die Zukunft andererseits<br />

den Blick auf die ansonsten im Zeitkontinuum flüchtige Gegenwart<br />

zu fixieren und damit zur eigenen „Standortbestimmung“ beizutragen.<br />

Über die Doppeldeutigkeit des Begriffs des Standorts bin<br />

ich mir dabei durchaus im Klaren: Denn der Erfolg, die Dynamik,<br />

das Wachstum und die zunehmende Vernetzung mit anderen<br />

Kulturinstitutionen der einzigen hessischen Hochschule für Musik,<br />

Theater und Tanz unterstreicht und festigt ihren künstlerischen,<br />

wissenschaftlichen und kulturellen Standort in ihrem Umfeld sowie<br />

in der bundesweiten und internationalen Hochschullandschaft<br />

und stellt dabei zugleich ihren räumlichen Standort mit seinen<br />

gegebenen Beschränkungen in Frage.<br />

8


Dass Hessens Hochschule für Musik, Tanz und Theater in <strong>Frankfurt</strong><br />

beheimatet ist und <strong>Frankfurt</strong> in ihrem Namen trägt, kann für unsere<br />

Stadt nur von Vorteil sein: Künstler, die in <strong>Frankfurt</strong> an der <strong>HfMDK</strong><br />

studiert haben, tragen über Stadt und Land hinaus weiter, was den<br />

Geist der Institution, aber auch unserer Metropole prägt: visionäre<br />

Weitsicht, internationale Vielfalt und große Offenheit, die sich nicht<br />

hinter den Mauern eines Elfenbeinturms abschottet, sondern aktiv<br />

in ihre Umgebung hineinwirkt. Das von der Hochschule initiierte<br />

Projekt „Primacanta“, dessen Schirmherr ich sein darf, ist ein<br />

exzellentes Beispiel dafür, wie die <strong>HfMDK</strong> ihrem Auftrag nicht nur<br />

als Ausbildungsinstitution, sondern auch als Gestalterin eines<br />

zukünftigen Kulturlebens gerecht wird. Gemeinsam mit der Crespo<br />

Foundation nimmt die Hochschule hier alle Kinder in den Blick<br />

und ist inzwischen in fast allen <strong>Frankfurt</strong>er Grundschulen präsent.<br />

Alle Kinder <strong>Frankfurt</strong>s sollen sagen können: „Ich kann singen und<br />

ich singe gern!“ Die Früchte werden wir in der Zukunft ernten,<br />

wenn diese Kinder als Erwachsene ihre Begeisterung für die Musik<br />

weitertragen, als Aktive in den Vereinen, als Publikum, in ihren<br />

Familien und ihrem Alltag.<br />

Mit über 300 Veranstaltungen jährlich – Konzerten, Theaterabenden,<br />

Tanzperformances und Vorträgen – hat sich die Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main zudem<br />

zu einem der größten Veranstalter in unserer Stadt etabliert.<br />

Zwar vertritt sie aus ihrem Selbstverständnis als Ausbildungsstätte<br />

nicht den Anspruch, den Konzert- und Theaterhäusern in der Stadt<br />

wirtschaftliche Konkurrenz zu machen, ist aber im Bewusstsein<br />

des <strong>Frankfurt</strong>er Publikums längst kein Geheimtipp mehr. Angehenden<br />

Künstlern in ihren „Werkstätten“ über die Schulter schauen zu<br />

dürfen, hält die Kulturszene einer Stadt jung. Die kreative<br />

freie Musik- und Theaterszene in <strong>Frankfurt</strong> wird durch die Absolventen<br />

und Studierenden der <strong>HfMDK</strong> immer wieder neu belebt und<br />

trägt wesentlich zu dem guten Ruf <strong>Frankfurt</strong>s als lebendiger<br />

Metropole bei.<br />

An der <strong>HfMDK</strong> werden alle wesentlichen Kunstsparten unter einem<br />

Dach gelehrt; dies garantiert künstlerische Querverbindungen und<br />

damit zukunftsweisende Ansätze, wie interdisziplinär verstandene<br />

Kunst gelebt werden kann. Doch die Hochschule blickt weiter über<br />

ihren Tellerrand hinaus, ist vielfach vernetzt und geht spannende<br />

Kooperationen mit anderen Kulturträgern der Stadt ein. Ihre jüngst<br />

zu Ende gegangene Konzertreihe „Bestiarium“ fand nicht nur in den<br />

Räumen des Senckenberg Naturmuseums statt, sondern verband<br />

zugleich künstlerische Visionen mit naturwissenschaftlichem<br />

Wissen und Forschergeist. Genau dieser Geist ist es, der die<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main in<br />

75 Jahren ihrer Existenz jung und zeitgemäß gehalten hat. Sie kann<br />

getrost von sich behaupten, dass Kunst von morgen in ihren<br />

Mauern schon heute stattfindet – mit Mut zum Experiment und<br />

einer Neugier auf ungeahnte Darstellungsformen. Dass sie bei all<br />

dem nicht ihr „Kerngeschäft“ vernachlässigt, beweisen die Namen<br />

vieler <strong>HfMDK</strong>-Absolventen in den Besetzungslisten unserer<br />

Orchester und Theater weit über <strong>Frankfurt</strong> und Hessen hinaus.<br />

Ich gratuliere der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main zu ihrem 75-jährigen Bestehen als Staatliche<br />

Hochschule und wünsche den Menschen, die an ihr studieren,<br />

lehren und arbeiten, dass sie ihre gestalterischen Möglichkeiten zur<br />

Bereicherung des Lebens auch in unserer Stadt weiterhin mit so viel<br />

Hingabe und Überzeugungskraft zu nutzen verstehen.<br />

Peter Feldmann<br />

Oberbürgermeister der Stadt <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

9


G r u ß w o r t e<br />

Seit 2007 darf ich als Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main begleiten. In dieser – gemessen an den<br />

75 Jahren des Bestehens der <strong>HfMDK</strong> – kurzen Zeitspanne habe<br />

ich viel Erfreuliches miterlebt: Innovative Studiengänge mit<br />

großer Strahlkraft wie der Masterstudiengang Zeitgenössische<br />

Tanzpädagogik und die Internationale Ensemble Modern Akademie<br />

sind entstanden. Die erste Stiftungsprofessur der <strong>HfMDK</strong> wurde<br />

ausgeschrieben. Die Hochschule erhielt bedeutende Preise,<br />

darunter gleich zweimal, 2011 und 2012, den „Hessischen<br />

Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre“, der das große Engagement<br />

verdeutlicht, mit dem an dieser Institution gelehrt wird.<br />

Die Hochschule gestaltet das Kulturleben in der Region maßgeblich<br />

mit und ist hier nicht mehr wegzudenken. Auch die attraktive<br />

Perspektive, in naher Zukunft auf dem Kulturcampus in <strong>Frankfurt</strong>-<br />

Bockenheim ein neues Quartier für die Hochschule zu bauen, ist<br />

jüngst entstanden.<br />

All das und viel mehr in knapp sechs Jahren! Verdeutlicht das<br />

nicht die große Kraft und den Willen der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main,<br />

zu den exzellentesten Kunsthochschulen zu gehören?<br />

Dass die <strong>HfMDK</strong> sich zu einer besonderen, ja außergewöhnlichen<br />

Hochschule entwickelt – hieran möchte ich gemeinsam mit einer<br />

immer größer werdenden Zahl von Freunden und Förderern, Privatleuten<br />

und Unternehmen mitwirken. Und so ermöglichen heute<br />

250 Mitglieder mit einem Fördervolumen von über 200.000 Euro<br />

im Jahr im Schnitt 30 Projekte der <strong>HfMDK</strong> – von der großen<br />

Opernproduktion über Stipendien bis zu besonderen Instrumenten,<br />

Meisterkursen mit renommierten Künstlerpersönlichkeiten und<br />

Semesterarbeiten Studierender.<br />

Diese Hochschule auf ihrem Weg zu begleiten und ihre so begabten<br />

und ambitionierten Studierenden nach Kräften zu fördern, erscheint<br />

mir als großes Privileg.<br />

Ich bin zuversichtlich, dass die <strong>HfMDK</strong> auch die nächsten 75 Jahre<br />

mit Bravour gestaltet! Herzlichen Glückwunsch, <strong>HfMDK</strong>!<br />

Prof. Dr. Clemens Börsig<br />

Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer der<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V.<br />

10


Foto: Andreas Reeg<br />

Harfenistin Isabelle Müller während einer <strong>HfMDK</strong>-Orchesterprobe<br />

11


Szene aus einer Performance im Rahmen des Symposiums „The Artist`s Body“ im Oktober 2009 mit der Flötistin Kerstin Fahr.<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

Foto: Udo Hesse<br />

<strong>HfMDK</strong>-Studentin Larissa Nagel in der Cellogruppe während einer Hochschulorchester-Probe.<br />

12


Foto: Valentin Fanel<br />

Der Ausbildungsbereich Zeitgenössischer<br />

und Klassischer Tanz/ZuKT kooperiert mit<br />

dem Ballett <strong>Frankfurt</strong> (seit 1999),<br />

The Forsythe Company (seit 2004) und<br />

William Forsythe, der eine Honorarprofessur<br />

innehat. Zum ZuKT-Dozententeam gehören<br />

Prof. Marc Spradling, Prof. Andrea Tallis,<br />

Nora Kimball-Mentzos und Allison Brown,<br />

die alle jahrelang mit William Forsythe<br />

gearbeitet haben. Bisher haben über<br />

30 Mitglieder von The Forsythe Company/<br />

Ballett <strong>Frankfurt</strong> mit ZuKT-Studierenden<br />

Ausschnitte aus Repertoirestücken von<br />

William Forsythe eingearbeitet, eigene<br />

Choreographien entwickelt oder Workshops<br />

gegeben. Die drei ZuKT-Studiengänge<br />

kooperieren außerdem aktiv mit dem<br />

mehrjährigen Forschungsprojekt<br />

The Forsythe Company – Motion Bank.<br />

Richard Oberscheven (BAtanz) in „Enemy in the Figure“<br />

Choreographie: William Forsythe<br />

Szenisches Liederprogramm des vierten Jahrgangs Schauspiel im Jahr 2012<br />

13


DER LANGE WEG ZUR GRÜNDUNG<br />

DER FRANKFURTER MUSIKHOCHSCHULE<br />

Von Dr. Eva Hanau<br />

Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Main ist hervorgegangen aus Dr. Hoch’s Konservatorium, das im<br />

60. Jahr seines Bestehens, am 1. April 1938, in eine Staatliche<br />

Musikhochschule überführt wurde. Entstanden 1878 aufgrund einer<br />

Stiftung des <strong>Frankfurt</strong>er Bürgers Dr. Joseph Paul Johannes Hoch,<br />

effizient geführt von einem Kuratorium geschäftserfahrener<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Honoratioren, erfreute sich das Konservatorium dank<br />

renommierter Lehrer (Clara Schumann, Joseph Joachim Raff, Julius<br />

Stockhausen, Engelbert Humperdinck, Iwan Knorr) eines internationalen<br />

Rufs. Schon früh hatte man erkannt, dass das eigentliche<br />

Konservatorium, das laut Eröffnungsprospekt „eine möglichst<br />

allgemeine Ausbildung in Musik und deren nächsten Hülfswissenschaften“<br />

bezweckte, nicht genügend auf einen musikalischen<br />

Brotberuf vorbereitete, und ihm bereits 1884 ein Seminar für<br />

angehende Privatmusiklehrerinnen und eine Vorschule für die<br />

Kinder angeschlossen, an denen die Seminarschülerinnen ihr<br />

pädagogisches Talent erproben konnten. 1908 folgte eine Klasse<br />

für angehende Orchestermusiker, 1918 das „Seminar für Schulgesang“,<br />

das in einem zweijährigen Lehrgang auf die Staatliche<br />

Prüfung für „Gesangslehrer an Höheren Lehranstalten“ hinarbeitete,<br />

ohne diese Prüfung jedoch abnehmen zu können. Erstmals erwies<br />

sich hier das Fehlen staatlicher Anerkennung für das Hochsche<br />

Konservatorium als empfindlicher Mangel. Dies und die noch<br />

gravierendere Tatsache, dass das Stiftungsvermögen durch die<br />

Inflation dahingeschmolzen und das Institut plötzlich auf Subventionen<br />

der öffentlichen Hand angewiesen war, verwickelte das<br />

Konservatorium seit 1920 in eine zwischen dem Stiftungskuratorium,<br />

der Stadt und dem Preußischen Kultusministerium kontrovers<br />

geführte Diskussion um eine Neuorganisation, die erst 1938 mit<br />

seiner Zwangsumwandlung in die Staatliche Hochschule für Musik<br />

endete.<br />

Foto: wikimedia<br />

14


In diesen „Stolpersteinen“ erinnern wir<br />

auf den folgenden Seiten an die Lehrerinnen<br />

und Lehrer an Dr. Hoch’s Konservatorium,<br />

zum 31. August 1933 aus<br />

antisemitischen und fremdenfeindlichen<br />

Gründen entlassen wurden.<br />

„GEBRAUCHSMUSIK“ BRAUCHT FACHKRÄFTE<br />

Der im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und<br />

Volksbildung zuständige Musikreferent war Leo Kestenberg. Als<br />

überzeugter Sozialist betrieb er eine Musikpolitik, die breiteste<br />

Volksschichten erreichen sollte. Private Musikinstitutionen, denen<br />

der Ruch des Elitären anhaftete und denen er unterstellte, in erster<br />

Das Konservatoriumsgebäude<br />

Linie Virtuosen zu züchten, hielt er nicht für förderungswürdig.<br />

in der Eschersheimer Landstraße 4<br />

Vielmehr erschien es ihm für die praktische Durchführung seiner<br />

aus dem Jahr 1888,<br />

Reform der Schulmusik zweckmäßig, zusätzlich zu den bereits<br />

ab 1938 Hochschulgebäude<br />

existierenden Schulmusik-Seminaren in Berlin, Köln, Königsberg<br />

und Breslau auch noch im Südwesten Preußens einen musikalischen<br />

Ausbildungsschwerpunkt zu schaffen durch Verstaatlichung<br />

des Hochschen Konservatoriums. Diese Hochschule sollte an<br />

Fortschrittlichkeit und Breitenwirkung die bestehenden Institute<br />

übertreffen und Fachkräfte für „Gebrauchsmusik“ (Unterhaltungsmusik,<br />

Musik in Kino und Rundfunk, Vereinsmusik) ausbilden.<br />

Insoweit war er sich mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Oberbürgermeister Ludwig<br />

Landmann einig, der sich von einem Ausbau höherer Bildungsanstalten<br />

in <strong>Frankfurt</strong> eine Stärkung von dessen kultureller Mittelpunkt-Funktion<br />

in der Region erhoffte. Gleichwohl nahm er eine<br />

abwartende Haltung ein, weil er den in Aussicht gestellten<br />

jährlichen Staatszuschuss von 25.000 RM als unzureichend und<br />

als Zurücksetzung gegenüber der doppelt so hoch dotierten<br />

Musikhochschule in Köln empfand. Ohnehin stieß die Verwirklichung<br />

dieses Konzepts in <strong>Frankfurt</strong> auf juristische, organisatorische,<br />

psychologische und vor allem finanzielle Schwierigkeiten.<br />

Die Verstaatlichung oder Kommunalisierung – beides wurde<br />

erwogen – und die musikpolitischen Ziele Kestenbergs ließen sich<br />

nicht mit dem Stifterwillen und dem konservativ-individualistischen<br />

Geist des Konservatoriums vereinbaren, der vom Kuratorium noch<br />

immer nachdrücklich vertreten wurde. Natürlich divergierten auch<br />

die personalpolitischen Vorstellungen von Staat/Stadt und<br />

Kuratorium. Kestenberg favorisierte als Direktor eines reorganisierten<br />

Hochschen Konservatoriums den Musikforscher Hans Mersmann,<br />

der seiner Reform nahestand. Im Gespräch zwischen<br />

Kestenberg und Landmann bzw. Landmann und seinem Musikdezernenten<br />

Karl Langer waren aber auch Hermann Scherchen,<br />

Ernst Kurth, Karl Straube, Heinrich Kaminski und Licco Amar,<br />

der beim Magistrat 1927 eine bemerkenswerte, wahrscheinlich<br />

von Hindemith inspirierte musikpädagogische Studie einreichte<br />

(siehe dazu den Beitrag von Peter Cahn ab S.eite 36).<br />

Keiner dieser Kandidaten hatte jedoch eine reale Chance,<br />

solange das Hochsche Konservatorium selbstständig und<br />

die Auswahl des Direktors Sache des Kuratoriums blieb.


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

SCHEITERN AM „ENGEN LOKALPATRIOTISMUS“<br />

1923–1933: DIE ÄRA BERNHARD SEKLES<br />

Nach der im April 1923 erfolgten Entlassung des Direktors<br />

Waldemar von Bauszern, der sich permanent und streitbar mit der<br />

„altmodischen und unfähigen“ Herrschaft der Administratoren des<br />

Stiftungskuratoriums angelegt hatte, betraute das Konservatorium<br />

den Komponisten und langjährigen Kompositionslehrer am Institut<br />

Bernhard Sekles mit der künstlerischen Leitung der Anstalt.<br />

Kestenberg war über die Blockierung dieses Postens durch einen<br />

als bürgerlich-liberal geltenden und den Traditionen des Hochschen<br />

Konservatoriums verpflichteten Mann verärgert. Er entwickelte nun<br />

zu der bisher geplanten grundlegenden Umorganisation des<br />

Hochschen Konservatoriums die Alternative, „unabhängig von dem<br />

bestehenden Hochschen Konservatorium zunächst ein Musikseminar<br />

in <strong>Frankfurt</strong> ins Leben zu rufen“. Dies stieß auf Ablehnung bei<br />

dem Musikdezernenten Langer, der konservativ dachte und<br />

überdies dem Kuratorium des Hochschen Konservatoriums in<br />

privater Eigenschaft angehörte, während Landmann, an der<br />

Hochschule als solcher interessiert, sich notfalls auch mit einer<br />

Neugründung abgefunden hätte. Dass auch er sich nicht hinter<br />

Sekles stellte, ergibt sich aus der leicht ironischen Reserve, mit der<br />

er auf das engagierte Eintreten Wilhelm Furtwänglers für Sekles als<br />

Direktor der künftigen Hochschule reagierte. Zwar lief die offizielle<br />

Planung schließlich auf eine vom Hochschen Konservatorium<br />

abgetrennte, am 1. 4. 1928 zu eröffnende Städtische Hochschule<br />

hinaus, aber es scheint so, als habe der Musikdezernent Langer<br />

Schwierigkeiten beim Interessenausgleich zwischen Berlin und<br />

<strong>Frankfurt</strong> eher herausgestrichen als heruntergespielt und so die<br />

Sache eher gebremst als vorangetrieben. Der vorgesehene<br />

Eröffnungstermin wurde weiter hinausgeschoben: diesmal auf den<br />

1. April 1929. Inzwischen hatten sich die Aussichten für eine<br />

Finanzierung der Hochschulpläne drastisch verschlechtert – aus<br />

allgemein finanzpolitischen wie auch aus spezifisch kulturpolitischen<br />

Gründen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte den<br />

Magistrat gerügt wegen seiner allzu unbedenklichen Ausgabenpolitik<br />

bei der Ausstellung „Musik im Leben der Völker“ und dem<br />

„Sommer der Musik 1927“, die mit einem Defizit von 1,6 Millionen<br />

RM abgeschlossen hatten, und die SPD-Fraktion hatte signalisiert,<br />

dass sie nicht bereit sei, die Mittel für ein weiteres kostspieliges<br />

Projekt auf musikalischem Gebiet zu bewilligen. 1929<br />

begrub das Preußische Kultusministerium die<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Hochschulpläne,<br />

indem es aus seinem<br />

Etat die seit 1924<br />

jährlich dafür<br />

ausgewiesenen<br />

25.000 RM strich.<br />

Antoni Kohmann (1879–?), Sohn des<br />

polnischen Tenors Wladyslaw Floryanski,<br />

studierte in Krakau, Berlin und Mailand.<br />

Als Sänger von internationalem Ruf wurde<br />

er 1919 ans Hochsche Konservatorium<br />

berufen und 1933 wahrscheinlich wegen<br />

seiner polnischen Abstammung entlassen.<br />

Die Stadt konnte nicht umhin, das noch immer private Hochsche<br />

Konservatorium mit jährlich wachsenden Zuschüssen zu unterstützen,<br />

die von 24.000 RM im Jahr 1925 auf 50.000 RM im Jahr<br />

1928 wuchsen. Als Gegenleistung verlangte sie eine angemessene<br />

Vertretung im Stiftungskuratorium. Zu dem von jeher dem Gremium<br />

angehörenden Oberbürgermeister traten 1927 der Stadtverordnetenvorsteher<br />

und schließlich 1932 der Kulturdezernent Michel, dem<br />

der langjährige Kuratoriumsvorsitzende Oswald Feis durch Rücktritt<br />

von seinem Amt den Platz freimachte, um eine Satzungsänderung<br />

zu vermeiden. Die Stadt hatte nun drei von acht Kuratoriumssitzen<br />

inne: Die Unabhängigkeit des Hochschen Konservatoriums war<br />

in einem schleichenden Prozess verlorengegangen, ohne dass sich<br />

sein Status verbessert hatte.<br />

In seinen Lebenserinnerungen führt Kestenberg mit einiger<br />

Erbitterung das Fehlschlagen der <strong>Frankfurt</strong>er Hochschulgründung<br />

auf „engen Lokalpatriotismus“ zurück, „der an dem altbewährten<br />

Namen des Hochschen Konservatoriums festhielt“. Aus heutiger<br />

Sicht ist ihm insofern recht zu geben, als eine Stadt vom Range<br />

<strong>Frankfurt</strong>s, die es – aus welchen Gründen auch immer – nicht<br />

fertigbrachte, ihrem musikalischen Nachwuchs die gleichen<br />

Ausbildungschancen zu verschaffen wie beispielsweise Köln oder<br />

Breslau, sich eines Versäumnisses schuldig gemacht hat.<br />

INHALTLICHER FORTSCHRITT IN ALTEN STRUKTUREN<br />

Das starre Festhalten an der althergebrachten Organisations- und<br />

Leitungsstruktur des Hochschen Konservatoriums stand indes in<br />

bemerkenswertem Kontrast zu der fortschrittlichen inhaltlichen<br />

Neuausrichtung, die das Institut in der zehnjährigen Amtszeit des<br />

Direktors Bernhard Sekles (1923 bis 1933) erfuhr. Dieser bemühte<br />

sich am Hochschen Konservatorium um ein breit gefächertes,<br />

zeitgemäßes Ausbildungsangebot für künftige Musiker. Sekles, eine<br />

für die <strong>Frankfurt</strong>er Musikszene vor 1933 und ihre Teil-Fortsetzung<br />

danach im Jüdischen Kulturbund wichtige Figur, war Musiker,<br />

<strong>Frankfurt</strong>er und Jude in spezifischer Verschmelzung. Die im<br />

folgenden auszugsweise zitierte Charakteristik, die Hans Sekles<br />

1961 von seinem Vater gab, sagt, vielleicht etwas überpointiert,<br />

doch Bezeichnendes über den Menschen, Komponisten und Lehrer<br />

Sekles und seine existenzielle Bindung an seine Vaterstadt aus und<br />

wohl auch etwas über die Bedeutung von Heimat für deutsche<br />

Juden überhaupt:<br />

„Die Treue zu […] <strong>Frankfurt</strong> lag tief in meines Vaters Wesen<br />

begründet. Man kann wohl von einer seelischen Verwandtschaft<br />

sprechen […]. Was mir selbst an <strong>Frankfurt</strong> und seinen Leuten<br />

besonders lieb gewesen ist, konnte ich in Vaters Naturell sowohl<br />

als Mensch wie als Künstler stets wiederfinden: eine gewisse<br />

gemächliche Fortschrittlichkeit, die an der Vergangenheit hängt,<br />

wenn sie auch sich bemüht, den Weg in eine organisch<br />

erwachsende Zukunft zu bahnen; daneben bei aller selbstverständlichen<br />

Ruhe den Sinn für fremde Art und die Fähigkeit,<br />

diese zu würdigen; und einen gewissen still beobachtenden<br />

Humor.“<br />

16


Sekles´„Sinn für FREMDE Art“<br />

Leo Kestenberg,<br />

1922–1932 Musikreferent<br />

am Preußischen<br />

Ministerium für Wissenschaft,<br />

Kunst und Volksbildung<br />

Bernhard Sekles,<br />

Direktor des<br />

Hochschen<br />

Konservatoriums<br />

von 1923 bis 1933<br />

Foto: Internationale Leo-Kestenberg-<br />

Gesellschaft<br />

Ludwig Landmann,<br />

<strong>Frankfurt</strong>er<br />

Oberbürgermeister<br />

von 1924 bis 1933<br />

Rückschlüsse auf Sekles´ kompositorisches Werk, seine romantische<br />

Rückbesinnung und „stilisierte Volkstümlichkeit“ (bei<br />

gleichzeitigem kunstvollen Einsatz auch moderner Techniken) bieten<br />

sich an. Der ihm attestierte „Sinn für fremde Art“ und ein ausgeprägtes<br />

pädagogisches Talent machten ihn zum bedeutenden<br />

Lehrer bedeutender Schüler (Paul Hindemith, Rudi Stephan,<br />

Theodor W. Adorno, Ottmar Gerster). Sekles trug der Notwendigkeit,<br />

die musikalische Ausbildung stärker auf die berufliche Praxis<br />

auszurichten, Rechnung durch Gründung einer Opernschule (1924),<br />

die mit den Städtischen Bühnen zusammenarbeitete, und eines<br />

Kirchenmusikalischen Instituts im Benehmen mit der Evangelischen<br />

Landeskirche. Die Umwandlung der Orchesterklasse in eine am<br />

Lehrplan der Staatlichen Musikhochschule Berlin-Charlottenburg<br />

orientierte Orchesterschule deutet auf das Bemühen hin, die<br />

sachlichen Voraussetzungen für eine staatliche Anerkennung zu<br />

schaffen. Ein erster Schritt in diese Richtung gelang immerhin, als<br />

1929 das Seminar zur Vorbereitung auf die Staatliche Musiklehrerprüfung<br />

offiziell anerkannt wurde. Als spektakulärste Neuerung<br />

erwies sich die Einrichtung einer Jazzklasse 1928. Noch schockierender<br />

als die Tatsache selbst wirkte Sekles´ etwas provokant<br />

formulierter Kommentar:<br />

„Im Schaffen unserer Tage tritt immer mehr ein abstrakt-spekulatives<br />

Element zu Tage. Hier kann eine von einem taktvollen Musiker<br />

vermittelte Transfusion unverbrauchten Niggerbluts wirklich nur<br />

nützen, denn eine Musik ohne jede Triebhaftigkeit verdient den<br />

Namen Musik nicht mehr.“<br />

Die Erregung weitester Kreise gipfelte in einer kleinen Anfrage im<br />

Preußischen Landtag, ob das Ministerium bereit sei, „die Schülerschaft<br />

[des Hochschen Konservatoriums] vor den Erziehungskünsten<br />

des ‚triebhaft‘ undeutschen Leiters zu schützen.“ Indessen<br />

bedeutete die Jazzklasse unter dem Kodály-Schüler Matyas Seiber<br />

eine Bereicherung des praxisbezogenen Ausbildungsangebots am<br />

Hochschen Konservatorium und seiner Ausstrahlung auf die<br />

Öffentlichkeit: Die Jazzklasse wirkte 1928/29 bei der Aufführung<br />

der Dreigroschenoper im Neuen Theater und bei Rundfunksendungen<br />

mit und erzielte 1929 mit Gershwins Rhapsody in Blue<br />

und Virginia Stomp sowie Strawinskys Suite Nr. 2 einen durchschlagenden<br />

Publikumserfolg. Einen ähnlichen Vorstoß in die musikalische<br />

Avantgarde unternahm die Opernschule 1931 mit der<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Erstaufführung des Lehrstücks von Brecht/Hindemith<br />

im Schauspielhaus unter der musikalischen Leitung von Ernst<br />

Wolff. Sekles baute aber auch die älteren Abteilungen des Konservatoriums<br />

im Hinblick auf höheren technischen Standard und<br />

erweiterten geistigen Horizont aus.<br />

Foto: Jüdisches Museum der Stadt<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

17


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

„Konservatorium FÜR MUSIKHÖRENDE“<br />

Foto: Philipps-Universität Marburg<br />

Matyas Seiber,<br />

von 1928 bis 1933<br />

Leiter der Jazzklasse<br />

am Hochschen<br />

Konservatorium<br />

Der Forderung der Zeit nach musikalischer Stimulierung und<br />

Unterweisung des Laien entsprach die Direktion durch die Einrichtung<br />

des „Konservatoriums für Musikhörende“, dem Wunsch der<br />

Musikpädagogik nach Entwicklung musikalischer Fähigkeiten schon<br />

bei kleineren Kindern durch Kurse für musikalische Früherziehung.<br />

Auf große öffentliche Resonanz stießen Konzerte der Orchesterschule<br />

in Zusammenarbeit mit dem Bund für Volksbildung. Sie<br />

hatten sich, während der Besuch der meisten musikalischen<br />

Veranstaltungen in stetem Sinken begriffen war, eine Gemeinde<br />

geschaffen, die ständig größer wurde. Mag Bernhard Sekles auch<br />

versäumt haben oder durch ständigen Geldmangel daran gehindert<br />

worden sein, seinem Lehrerkollegium in ausreichendem Maße neue<br />

und attraktive Kräfte zuzuführen – sein pädagogisches Gesamtkonzept<br />

stand auf der Höhe der Zeit und besitzt in Teilen Gültigkeit bis<br />

heute.<br />

Antisemitische ANGRIFFE NEHMEN zu<br />

In der Ära Sekles sah sich Dr. Hoch’s Konservatorium chauvinis-<br />

tischen und antisemitischen Angriffen der nationalsozialistischen<br />

Friedrich Krebs,<br />

<strong>Frankfurt</strong>er<br />

Oberbürgermeister<br />

von 1933 bis 1945<br />

Foto: wikimedia<br />

Foto: Institut für Stadtgeschichte <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Stadtverordneten ausgesetzt. 1928 votierte Jakob<br />

Sprenger, der spätere Gauleiter von Hessen-Nassau, gegen die<br />

Bewilligung einer Spende der Stadt in Höhe von 10.000 RM zum<br />

fünfzigjährigen Bestehen der Anstalt, „solange die Sekles im Verein<br />

mit den anderen Juden: Sulzbach, Friedleben, Stiebel, Hirsch, Hahn<br />

usw., solange die Rassefremden an der Spitze dieses Instituts<br />

stehen“. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung verstärkten<br />

sich die Angriffe massiv. Am 12. März 1933 wurde der<br />

Oberbürgermeister Ludwig Landmann aus seinem Amt vertrieben<br />

und der Abgeordnete der NSDAP im Preußischen Landtag Friedrich<br />

Krebs zu seinem kommissarischen Nachfolger bestimmt. Am<br />

3. April veröffentlichte das <strong>Frankfurt</strong>er Volksblatt eine anonyme,<br />

„Die Pg. der NSDAP“ gezeichnete Zuschrift, die die Schriftleitung<br />

der Zeitung dem neuen Oberbürgermeister zur Kenntnis brachte.<br />

In rüdem Ton, holprigen Deutsch und zweifelhafter Rechtschreibung<br />

werden die Ablösung des Direktors Sekles und der jüdischen<br />

Lehrer gefordert. Der letzte Absatz sei als Stilprobe, aber auch<br />

deshalb zitiert, weil hier bereits die Hochschulpläne anklingen, die<br />

in den nächsten Monaten hektisch betrieben werden sollten:<br />

Hans Hinkel, ab 1933<br />

Staatskommissar und<br />

Geschäftsführer der<br />

zur Gleichschaltung der<br />

deutschen Kultur neu<br />

eingerichteten Reichskulturkammer<br />

„Unklar bleibt das Zögern des Aufsichtsrates [gemeint ist wohl das<br />

Kuratorium], nicht endlich reine Verhältnisse an Dr. Hoch’s Konservatorium<br />

zu schaffen. Auf was wartet man noch!? Die Abteilungen für<br />

‚jüdische Jazzmusik‘, ‚Opernschule‘, ‚Seminar für Kirchenmusik‘<br />

müßen [sic] verschwinden! Die Vorschule muß vom Konservatorium<br />

scharf getrennt werden! Den [sic] Lebensnerv für die Zukunft dieser<br />

Anstalt kann nur ‚Hochschule und Orchesterschule‘ sein!! Allerdings<br />

ohne ‚Juden und Ausländer‘. Also handeln tut dringend und<br />

umgehend Not!! Wählt Männer der ‚nationalen Erhebung‘ in den<br />

Aufsichtsrat und in den Lehrerrat! ‚Heil Adolf Hitler‘!“<br />

18


„REINIGUNG DES LEHRKÖRPERS“<br />

der Entlassung, im<br />

Fall der übrigen Lehrer<br />

unter dem Vorbehalt<br />

eines neuen Vertragsabschlusses.<br />

Den<br />

endgültig zu Entfernenden<br />

sollte<br />

zum 31. 8. 1933<br />

gekündigt werden – „im Einverständnis<br />

mit dem Betriebsrat“ und mit<br />

Die „Säuberung“ des Hochschen Konservatoriums als einer privaten<br />

der Maßgabe, dass sie ihre dienstliche Tätigkeit sofort<br />

Anstalt, deren Personalentscheidungen vom Kuratorium getroffen einstellten und, „auch in ihrem eigenen Interesse“, die Anstalt nicht<br />

wurden, bereitete den neuen Machthabern etwas mehr Umstände mehr beträten. Dem Zweck, die nicht mehr Erwünschten so spurals<br />

die an kommunalen Einrichtungen wie etwa den Städtischen und reibungslos wie nur möglich von der Bildfläche verschwinden<br />

Bühnen. Aber die Stadt besaß ja bereits drei Stimmen im Kuratorium,<br />

die nun, nach der Entlassung der jüdischen bzw. sozialdemo-<br />

Osterferien beschlossenen Kündigungen nicht sofort, sondern erst<br />

zu lassen, diente auch die Empfehlung, ihnen die mitten in den<br />

kratischen städtischen Vertreter, durch Oberbürgermeister Krebs, unmittelbar vor Ferienende zuzustellen, um „die Gefahr von Verhetzung<br />

von Schülern“ in der Zwischenzeit auszuschließen. Von den<br />

einen vermutlich fügsamen Stadtrat und Willi Stöhr, den persönlichen<br />

Adjutanten des Gauleiters, ausgeübt wurden. Vorsitzender Entlassungen betroffen waren außer dem Direktor Bernhard Sekles<br />

wurde – wohl auf Betreiben von Krebs – der Rechtsanwalt Dr. Hans noch 13 Lehrer, darunter Matyas Seiber, der Leiter der Jazzklasse,<br />

Rumpf, der später von sich sagte, er sei „im Winter 1932/33 und der Regisseur Herbert Graf, der Leiter der Opernschule. Um<br />

Mitglied des Kuratoriums geworden und glaube, die Aufgabe der formaljuris-tische Korrektheit bemüht, trugen die Ausschussmitglieder<br />

der Regelung Rechnung, die, dem jüdischen Anteil an der<br />

gründlichen Reinigung des Lehrkörpers von Dr. Hoch’s Konservatorium<br />

erfüllt zu haben“. Der Tod eines alten Kuratoriumsmitglieds deutschen Bevölkerung von 1% entsprechend, einen gleichhohen<br />

und der Austritt des „Nichtariers“ Alfred Merton schufen Platz für Anteil an der Lehrerschaft gestattete, im Fall des Hochschen<br />

Willy Renner, einen ehemaligen Schüler und Klavierlehrer am Konservatoriums einen Lehrer. Der Oberbürgermeister sollte entscheiden,<br />

ob dieser „Bonus“ dem Geiger Adolf Rebner zukommen<br />

Hochschen Konservatorium und zuverlässigen Nationalsozialisten,<br />

wie seine Ernennung zum Musikberater des Regierungspräsidenten sollte, der als Leiter des Rebnerquartetts und als Solist überregionales<br />

Renommee besaß und, wie der Ausschuss einräumte, sich<br />

in Wiesbaden (als Nachfolger von Bernhard Sekles) im Juni 1933<br />

zeigt. Von den alten Kuratoren waren im Spätsommer 1933 nur in 35-jähriger Zugehörigkeit zum Konservatorium „Verdienste nicht<br />

noch der ehemalige Vorsitzende Professor Dr. Heinrich Richartz gewöhnlicher Art“ erworben hatte, der aber angeblich unbeliebt<br />

und der Staatsanwalt Dr. Walter Knögel im Amt. Der langjährige war, oder ob dem Korrepetitor Paul Meyer der Verbleib am Konservatorium<br />

gestattet werden sollte, dem besondere fachliche und<br />

Kuratoriumsvorsitzende Oswald Feis allerdings nahm als Ehrenmitglied<br />

noch im Frühjahr 1935 an Beratungen des Kuratoriums teil, menschliche Qualitäten attestiert wurden. Man verfuhr den Empfehlungen<br />

des Reorganisationsausschusses entsprechend und ver-<br />

als er längst der „Arbeitskommission für Musik“ im Jüdischen<br />

Kulturbund angehörte. Rumpf und Knögel traten am 3. April 1933 schickte die Kündigungsschreiben am 19. 4. 1933. Sekles hatte<br />

dem „Ausschuß zur Reorganisation des Dr. Hoch’schen<br />

sein Amt allerdings schon vorher zur Verfügung gestellt. Die Stadt<br />

Konservatoriums“ bei, dem außerdem die Lehrer<br />

bemühte sich, wo sie zwar nicht de jure, aber de facto die finanziellen<br />

Folgen zu tragen hatte, die Ansprüche der Entlassenen<br />

Dr. Ligniez, Breidenstein und Racky<br />

und ein Vertreter der<br />

herabzudrücken. Dem verdienten Direktor Sekles versuchte man<br />

Verwaltung<br />

Unregelmäßigkeiten in seiner Amtsführung nachzuweisen, was<br />

angehörten. In<br />

einem ausführlichen<br />

Bericht, der in seiner<br />

Mischung aus<br />

bürokratischer Umsicht<br />

und Zynismus ein<br />

exemplarisches Zeitdokument<br />

ist, wurde die<br />

Kündigung sämtlicher<br />

Lehrverträge vorgeschlagen,<br />

und zwar im Fall der Juden<br />

und Ausländer mit dem Ziel<br />

Alfred Auerbach (1873–1954), Schauspieler<br />

und Schriftsteller, absolvierte zunächst<br />

eine Lehre, bevor er an Dr. Hoch’s Konservatorium<br />

studierte. Er war Ensemblemitglied<br />

des <strong>Frankfurt</strong>er Schauspielhauses und<br />

leitete die Theaterabteilung des Konservatoriums.<br />

Er wurde 1933 entlassen und<br />

emigrierte einige Jahre später in die USA.<br />

1951 ließ er sich in Stuttgart nieder.<br />

Dr. Willy Salomon (1891–1958) war<br />

einer der letzten Schüler von Iwan Knorr.<br />

Gleichzeitig ein versierter Pianist und<br />

Musikwissenschaftler, unterrichtete er<br />

Harmonielehre, Gehörbildung und<br />

Formenlehre. Er wurde 1933 entlassen<br />

und 1938 nach Buchenwald deportiert.<br />

Ein Jahr später gelang es ihm, nach<br />

London zu emigrieren.<br />

zwar nicht gelang, ihn aber anscheinend so zermürbte, dass er<br />

einer einmaligen Abfindung von 12.000 RM zustimmte, obwohl<br />

er Anspruch auf lebenslängliche Pensionszahlungen in Höhe<br />

von 6.000 RM jährlich gehabt hätte.<br />

19


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

NEBENAMTLICHE LEITUNG DES KONSERVATORIUMS<br />

SCHNELLSTMÖGLICHE UMWANDLUNG IN<br />

STÄDTISCHE MUSIKHOCHSCHULE IM BLICK<br />

Als Nachfolger für Bernhard Sekles empfahl der Geschäftsführer<br />

der Reichskulturkammer und spätere Staatskommissar Hans Hinkel<br />

im Einvernehmen mit dem neuen Direktor der Staatlichen Musikhochschule<br />

Berlin, Fritz Stein, Karl Hasse aus Tübingen. In <strong>Frankfurt</strong><br />

bestand aber von vornherein die Absicht, das Direktorenamt nur<br />

nebenamtlich, sei es durch einen Kapellmeister am Opernhaus,<br />

sei es durch den ständigen Dirigenten der Museumsgesellschaft,<br />

wahrnehmen zu lassen. Die Stadt konnte so wieder ihre Sparsamkeit<br />

Vordringliches Anliegen der neuen kulturpolitischen Führungsschicht<br />

in <strong>Frankfurt</strong> war die schnellstmögliche Umwandlung von<br />

Dr. Hoch’s Konservatorium in eine Städtische Musikhochschule,<br />

was eine augenfällige Übertrumpfung der Administration Landmann<br />

bedeutet hätte. Es war aber auch klar, dass dieses Prestigeobjekt<br />

Kosten verursachen würde, zumal sich die wirtschaftliche Situation<br />

des Konservatoriums noch verschlechterte. Der „Reorganisationsausschuß“<br />

hatte bereits darauf hingewiesen, dass die entlassenen<br />

unter Beweis stellen und traf eine Personalentscheidung, jüdischenü<br />

d i s c h e n<br />

Lehrer mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit<br />

die sich, falls sich dies im Zuge der geplanten grundlegenden<br />

Umgestaltung des Konservatoriums als erforderlich<br />

erweisen sollte, verhältnismäßig leicht revidieren<br />

ließ. Hans Meissner, seit 1933 Generalintendant<br />

der Städtischen Bühnen, äußerte später,<br />

der Idealkandidat, der ausübender Künstler,<br />

Komponist, bewandert in Musikliteratur und<br />

-pädagogik und außerdem verwaltungserfahren<br />

hätte sein sollen, habe nicht zur Verfügung gestanden<br />

(Bernhard Sekles allerdings hatte alle diese<br />

Qualifikationen vorweisen können). Aus diesen<br />

Erwägungen heraus wurde der Erste Kapellmeister an<br />

der Oper Bertil Wetzelsberger zum 1. September 1933<br />

nebenamtlich mit der Leitung von Dr. Hoch’s Konservatorium<br />

betraut. Zugleich mit Wetzelsberger wurden neu als<br />

Lehrer verpflichtet: Gerhard Frommel und Kurt Hessenberg<br />

(Theorie und Komposition), Gustav Lenzewski und Joseph<br />

Peischer (Violine), Helmut Walcha (Kirchenmusik), Maria<br />

Gluck (Gesang) und Heinrich Goy (Gehörbildung). Da über die<br />

Entlassung der jüdischen und ausländischen Lehrer hinaus weitere<br />

acht der am 19. 4. 1933 erfolgten Kündigungen aus Gründen<br />

des Alters oder der Unterbeschäftigung aufrechterhalten blieben,<br />

bestand im Schuljahr 1933/34 das Kollegium zu mehr als 50 Prozent<br />

aus neuen, überwiegend jüngeren Kräften.<br />

Die Pianistin Heida Holde-Hermanns,<br />

(1906–1995) studierte bei Egon Petri in<br />

Berlin und begann eine erfolgreiche<br />

Konzertkarriere. Nach Erfahrungen mit<br />

antisemitischer Diskriminierung änderte sie<br />

ihren eigentlichen Namen Goldschmidt in<br />

Hermanns. 1931–1933 unterrichtete sie am<br />

Hochschen Konservatorium. Sie wurde<br />

1933 entlassen. Danach wirkte sie in<br />

Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbunds<br />

mit. Mit ihrem Mann emigrierte sie 1936 in<br />

die USA, wo sie zuletzt an der Manhatten<br />

zumindest einen Teil ihrer Schüler<br />

mitnehmen würden. Deshalb beabsichtigte<br />

Krebs von Anfang an, „das<br />

Hoch‘sche Konservatorium bzw. die<br />

Hoch’sche Stiftung in irgendeiner<br />

Form auf die Stadt zu überführen“,<br />

d. h. ihr das Stiftungsvermögen<br />

zuzuschanzen. Er erwirkte einen<br />

Magistratsbeschluss, der die<br />

zuständigen Ämter anwies,<br />

Wege zur Verfolgung seines<br />

Plans zu erarbeiten, „damit<br />

insbesondere bei der Verstadtlichung<br />

des Instituts<br />

Begleiterscheinungen, die eine<br />

Verteuerung der Betriebsführung […] verursachen,<br />

vermieden werden“. Die beiden städtischen Ziele –<br />

School of Music in New York unterrichtete.<br />

Umwandlung des Konservatoriums in eine Hochschule und Zugriff<br />

auf ihr Vermögen – ließen sich jedoch erst nach einer entsprechenden<br />

Änderung der Anstaltsstatuten erreichen. Tatsächlich<br />

beschloss das willfährige Stiftungskuratorium, unterstützt von<br />

dem „interimistischen künstlerischen Beirat“ Breidenstein, Ligniez<br />

und Racky, der mit dem „Reorganisationsausschuß“ identisch<br />

gewesen sein dürfte, in der Sitzung vom 22. Juni 1933 das<br />

Gewünschte. „Im Falle der Auflösung der Stiftung“ sollte ihr Vermögen<br />

an die Stadt fallen mit der Auflage, dass es weiter dem<br />

Stiftungszweck gemäß verwendet und der Name „Dr. Hoch’s<br />

Konservatorium“ beibehalten werde. Außerdem wurde der Stadt<br />

das Recht eingeräumt, die Hälfte der Kuratoriumsmitglieder zu<br />

benennen. An den Stifterwillen, der künstlerische Unabhängigkeit<br />

aus weitestgehender wirtschaftlicher und struktureller Autarkie<br />

erwachsen lassen wollte, verschwendete wohl niemand mehr einen<br />

Gedanken – im Gegensatz zu dem ehemaligen Kuratoriumsmitglied<br />

und städtischen Musikdezernenten Langer, dessen Respekt vor<br />

Geist und Buchstaben der Hochschen Stiftung fünf Jahre früher<br />

vielleicht reaktionär, jedenfalls aber honorig gewesen war.<br />

20


Momentaufnahme während des Stummfilm-Projekts der <strong>HfMDK</strong> im Dezember 2012 mit der Orchestergeigerin Julia Seiwert<br />

21


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

UMWANDLUNGSVERSUCH GERÄT ZUR FARCE<br />

Der jetzt unternommene Versuch einer „spontanen<br />

Hochschulgründung“ geriet durch Schlamperei im<br />

Regierungspräsidium in Wiesbaden, Anmaßung des<br />

Staatskommissars Hinkel und Trübung des Realitätssinns<br />

bei den <strong>Frankfurt</strong>er Kulturfunktionären zu einer<br />

Farce. Mit einer Eingabe vom 3. August 1933 an den<br />

Regierungspräsidenten in Wiesbaden suchte das<br />

Kuratorium um Genehmigung der Satzungsänderung und<br />

der Bezeichnung als „Hochschule für Musik und Theater<br />

der Stadt <strong>Frankfurt</strong> am Main“ nach. Dieser Antrag scheint<br />

weder bearbeitet noch an das Preußische Kultusministerium<br />

weitergeleitet worden zu sein. Ohne in Wiesbaden noch einmal<br />

nachzufragen, ließ die Stadt am 27. August folgende Presseerklärung<br />

erscheinen:<br />

„Im Zuge der Neugestaltung des <strong>Frankfurt</strong>er Musiklebens wird<br />

Dr. Hoch’s Konservatorium, das bisher als private Stiftung lediglich in<br />

einer losen Verbindung zur Stadtgemeinde <strong>Frankfurt</strong> gestanden hat,<br />

aus dieser Isolierung herausgelöst und in den Arbeitskreis der<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Kunstinstitute eingegliedert. Die Stadt <strong>Frankfurt</strong> hat nun<br />

maßgebenden Einfluß im Kuratorium und erhebt die Anstalt zu einer<br />

Hochschule für Musik und Theater der Stadt <strong>Frankfurt</strong>.“<br />

Im Folgenden wurde ausgeführt, dass die Hochschule für Musik das<br />

Seminar zur Vorbereitung auf die Staatliche Privatmusiklehrerprüfung,<br />

die Abteilung für Schulmusik, die Orchesterschule und das<br />

Kirchenmusikalische Institut umfasse. Die Vorschule sollte auf die<br />

Hochschule vorbereiten, aber auch „die Grundlagen zu einer<br />

lebendigen Pflege der deutschen Hausmusik schaffen“. In der<br />

Hochschule für Theater, deren Leitung der neue Generalintendant<br />

der Städtischen Bühnen Meissner selbst<br />

übernehmen wollte, sollten die<br />

bereits vom Konservato-<br />

In Wien geboren, hatte Dr. Herbert Graf<br />

(1903–1973) über „Richard Wagner als<br />

Regisseur“ promoviert, bevor er nach<br />

mehreren Zwischenstationen 1930 die<br />

Opernschule des Konservatoriums leitete.<br />

An der <strong>Frankfurt</strong>er Oper inszenierte er die<br />

Uraufführung der Schönberg-Oper „Von<br />

heute auf morgen“. Er wurde 1933 entlassen.<br />

Über die Schweiz emigrierte er 1933 in die<br />

USA, wo er für viele Jahre an der Metropolitan<br />

Opera in New York engagiert war. 1960<br />

kehrte er nach Europa zurück und inszenierte<br />

u.a. bei den Salzburger Festspielen.<br />

Der ungarische Komponist Matyas Seiber<br />

(1905-1960) studierte in Budapest bei<br />

Zoltán Kodály. Als Mitglied eines Tanzorchesters<br />

auf einem Transatlantikdampfer<br />

kam er nach New York, wo er Jazzmusiker<br />

kennenlernte. Ab 1928 leitete er an<br />

Dr. Hoch‘s Konservatorium die weltweit<br />

erste Jazzklasse, deren Konzerte von Radio<br />

<strong>Frankfurt</strong> und anderen Sendern übertragen<br />

wurden. Er wurde 1933 entlassen und<br />

emigrierte nach Großbritannien, wo er<br />

Komposition unterrichtete.<br />

rium geführte Opern- und<br />

Opernchorschule, die bisherige<br />

Schauspielschule der<br />

Bühnengenossenschaft und<br />

die aus der Oper auszugliedernde<br />

Tanzschule<br />

zusammengefasst werden.<br />

Eine Bereicherung und<br />

Verjüngung des Lehrkörpers wurde<br />

versprochen. Zur juristischen Situation hieß es:<br />

„Verhandlungen mit den Regierungsstellen, insbesondere mit Herrn<br />

Staatskommissar Hinkel, haben dazu geführt, daß die neue Hochschule<br />

für Musik und Theater staatlich anerkannt wird. Das Abschlußzeugnis<br />

für Schüler der Hochschule für Musik und Theater hat<br />

staatlichen Charakter.“<br />

Im Preußischen Kultusministerium ließen die Zeitungsmeldungen<br />

aufhorchen, da ein entsprechender Vorgang unbekannt war.<br />

Mit Erlass vom 12. September erbat es vom Regierungspräsidium<br />

in Wiesbaden Bericht. Das Regierungspräsidium forderte aus<br />

<strong>Frankfurt</strong> nähere Erklärungen an. In zwei Antwortschreiben vom<br />

18. 9. und 2.10.1933 gab der Magistrat noch einmal Erläuterungen<br />

zu den vom Kuratorium beschlossenen Satzungsänderungen<br />

und ließ durchblicken, er rechne fest mit ihren Genehmigungen.<br />

Zur Hochschulgründung hieß es lapidar:<br />

„Dem Wunsch des Magistrats entsprechend ist die Bezeichnung des<br />

Dr. Hoch’schen Konservatoriums erweitert worden und es heißt nun<br />

Hochschule für Musik und Theater der Stadt <strong>Frankfurt</strong> am Main.“<br />

Verhandlungen über die staatliche Anerkennung ihrer<br />

Erhebung zum gleichen Rang wie die Kölner Musikhochschule<br />

seien eingeleitet. Staatskommissar Hinkel habe „auf das<br />

bestimmteste die amtliche Anerkennung der Hochschule<br />

für Musik und Theater sowie auch die Unterstützung<br />

derselben in Aussicht gestellt“. Im Klartext sollte das<br />

wohl heißen, Hinkel repräsentiere das Kultusministerium<br />

hinlänglich, um den Dienstweg über das Regierungspräsidium<br />

überflüssig zu machen.<br />

22


GrüSSe ohne ABSENDER<br />

Foto: wissenmedia<br />

Am 17. Oktober wurde die „Hochschule für Musik und Theater“<br />

offiziell eröffnet. Staatskommissar Hinkel nahm an dem Festakt teil<br />

und bestellte „Grüße der Regierung“. Das Preußische Kultusminsterium,<br />

das diese Grüße offenbar nicht in Auftrag gegeben hatte<br />

und noch immer ohne Bescheid aus Wiesbaden war, forderte am<br />

25.10. in scharfem Ton vom Regierungspräsidenten einen Bericht<br />

binnen 10 Tagen an. Vor allem begehrte es Auskunft darüber, mit<br />

welchem Recht die neu gegründete Anstalt die Bezeichnung<br />

„Hochschule“ führe. Der Bericht des Regierungspräsidenten vom<br />

9.11. ist nicht erhalten. Er dürfte kaum überzeugender ausgefallen<br />

sein als die erneut von Wiesbaden eingeforderte <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Stellungnahme vom 3. November, in der Oberbürgermeister Krebs<br />

auf die bereits vorliegenden städtischen Ausführungen Bezug nahm<br />

und in fast beschwörendem Ton auf die Zusagen Hinkels verwies.<br />

Am 6.1.1934 übersandte das Kulturamt Hinkel den Schriftwechsel<br />

mit Wiesbaden „mit ergebenster Bitte um geeignete Veranlassung<br />

bei den zuständigen Stellen“. Hinkel aber, der erkannt hatte, dass er<br />

sich zu weit vorgewagt hatte, hielt sich nun in dieser Angelegenheit<br />

zurück. So entlud sich der Unmut des preußischen Kultusministeriums<br />

rückhaltlos in einem Erlass an den Regierungspräsidenten in<br />

Wiesbaden vom 26. Februar 1934. Es äußerte sein Befremden<br />

darüber, dass die <strong>Frankfurt</strong>er „Hochschule“ schon gefeiert und als<br />

Bezeichnung geführt wurde, während in Berlin von entsprechenden<br />

Verhandlungen oder gar Zusagen nichts bekannt sei, und untersagte<br />

diese Art der Firmierung. Es bemängelte auch Unstimmigkeiten<br />

innerhalb der geänderten Satzung und das Fehlen der<br />

Rechtsgrundlage. Das Verbot der Bezeichnung als Hochschule<br />

wurde vom Regierungspräsidenten an Krebs und von dort an das<br />

Kuratorium weitergegeben. Die staatliche Anerkennung des<br />

Hochschen Konservatoriums als Hochschule, obwohl schließlich<br />

ordnungsgemäß beantragt und von Kuratorium, Krebs und Meissner<br />

immer wieder beschworen und in Wiesbaden, Kassel (Oberpräsident)<br />

und Berlin angemahnt, verzögerte sich noch jahrelang mit<br />

wechselnden Begründungen: Neuverteilung der Kompetenzen in<br />

den Ministerien, Geldmangel, Zweifel, ob wirklich Bedarf an einer<br />

Musikhochschule in <strong>Frankfurt</strong> bestehe. Die Stadt sah sich in der<br />

Zwangslage, das Interesse des preußischen Staates am Konservatorium<br />

durch die Pflege eines anspruchsvollen und entsprechend<br />

kostspieligen „Image“ aufrechtzuerhalten, während es in Wahrheit<br />

für Schüler nicht wirklich attraktiv und damit rentabel werden<br />

konnte, solange es nicht als Hochschule anerkannt war. Umso<br />

sorgloser verfuhr man mit dem Stiftungsvermögen. Ein Wohnhaus,<br />

das die Stiftung in einem Zwangsversteigerungsverfahren erworben<br />

hatte, veräußerte das an Juristen nicht gerade arme Kuratorium zu<br />

günstigen Bedingungen an einen Rechtsanwaltkollegen. Es verstieß<br />

damit unverfroren gegen §9 des noch immer gültigen Statuts von<br />

1875, wonach das Grundvermögen der Stiftung nicht verringert<br />

werden durfte. Die einzige institutionelle Verbesserung, die für das<br />

Hochsche Konservatorium in diesen Jahren erzielt werden konnte,<br />

war die Erhebung des kirchenmusikalischen Instituts zur Hauptausbildungsstätte<br />

für Kirchenmusiker der Landeskirche Hessen-Nassau<br />

im Sommer 1934.<br />

Foto: <strong>HfMDK</strong><br />

Helmut Walcha,<br />

seit 1933 Leiter einer<br />

Orgelklasse am<br />

Hochschen Konservatorium,<br />

ab 1938 als<br />

Professor für Orgel an<br />

die Musikhochschule<br />

übernommen<br />

Hermann Reutter,<br />

ab 1936 Direktor des<br />

Hochschen<br />

Konservatoriums und<br />

Gründungsdirektor<br />

der Musikhochschule<br />

23


Eine Schiller-Szene aus dem Schauspielunterricht von Prof. Werner Wölbern in Vorbereitung des Vordiploms im Wintersemester 2012/13<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

Bratschenunterricht bei Prof. Roland Glassl<br />

24


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

BRISANTES ARBEITSKLIMA<br />

Bertil Wetzelsberger hatte als Direktor des Hochschen Konservatoriums<br />

mit einer Fülle von Schwierigkeiten zu kämpfen. Ohne Verwaltungserfahrung<br />

und zusätzlich zu dem Direktorat mit den Aufgaben<br />

eines Opernkapellmeisters belastet, musste er einem Lehrerkollegium<br />

vorstehen, das zur Hälfte ebenso neu war wie er selbst und sich<br />

aus unterschiedlichen Gründen in einem Zustand erhöhter Reizbarkeit<br />

befand. Die Verunsicherung der gerade noch von der Entlassung<br />

Verschonten harmonierte schlecht mit dem hochfliegenden Ehrgeiz<br />

der Neulinge, von denen einige die feste Anstellung am Konservatorium<br />

als die Krönung einer bis dahin mühe- und wechselvollen, von<br />

Arbeitslosigkeit bedrohten Musikerlaufbahn betrachten mussten,<br />

teilweise auch als Belohnung politischen Wohlverhaltens. In diesem<br />

Klima gediehen Eifersüchteleien, Streit und Denunziation und<br />

bildeten Tagesordnungspunkte in fast jeder Kuratoriumssitzung der<br />

Jahre 1933, 1934 und 1935, an denen jetzt auch der Direktor<br />

teilnahm. Wetzelsberger bemühte sich stets um Ausgleich, fand<br />

aber auch über die ihm nachgerühmte Konzilianz hinaus zu<br />

Festigkeit gegenüber notorischen Störern. So setzte er Ende 1933<br />

die fristlose Kündigung des Klavierlehrers Rudolf Racky durch, der<br />

im Frühjahr dem „Reorganisationskomitee“ angehört und im<br />

Konservatorium „einen Herd von Streit und Unruhe“, vermutlich<br />

politischer Art, gebildet hatte. Kündigungsgrund war Rackys<br />

Beanspruchung einer höheren Besoldungsstufe, weil er angeblich<br />

in der „Systemzeit“ als alter Nationalsozialist benachteiligt worden<br />

sei, während er in Wirklichkeit bis 1933 SPD-Mitglied gewesen war.<br />

Als die Reichsmusikkammer Wetzelsberger aufforderte, Racky<br />

wieder einzustellen, lehnte er ab mit der vielsagenden Begründung:<br />

„Der mühsam zustandegekommene Frieden der Anstalt kann diese<br />

Belastung keinesfalls ertragen.“<br />

Weitere Schwierigkeiten für den Betrieb des Instituts erwuchsen<br />

aus einem Magistratsbeschluss vom 3. Juli 1933, der – im Zuge<br />

einer Kampagne des Gauleiters Sprenger gegen das Doppelverdienertum<br />

– zehn Mitgliedern des Opernhausorchesters, die bis dahin<br />

Instrumentalunterricht am Konservatorium erteilt hatten, jegliche<br />

Nebentätigkeit verbot. Zwar wurde diese unsinnige Anordnung auf<br />

den Protest des Kuratoriums hin schon am 24. August bezüglich<br />

des Hochschen Konservatoriums wieder aufgehoben, aber den<br />

Orchestermusikern blieb weiterhin die Unterrichtung privater Schüler<br />

untersagt. Die Stadt glaubte, auf diese Weise Konkurrenz vom<br />

Konservatorium fernhalten zu können. Erst auf die Intervention des<br />

Fachverbandes Reichsmusikerschaft der Reichsmusikkammer im<br />

Mai 1934 hin wurde den Orchestermitgliedern wieder gestattet,<br />

ihr Hauptinstrument privat zu unterrichten, wobei das Honorar die<br />

Gebühren des Konservatoriums nicht unterschreiten durfte. Protektionistische<br />

Bestrebungen zugunsten des Hochschen Konservatoriums<br />

waren schon im Bericht des „Reorganisationsausschusses“ vom<br />

10.4.1933 erkennbar gewesen. Dort war vorgeschlagen worden,<br />

den Einnahmenrückgang, der infolge des Ausbleibens nichtarischer<br />

Schüler zu erwarten sei, dadurch aufzufangen, dass dem Konservatorium<br />

ein Monopol für den Instrumentalunterricht innerhalb der<br />

städtischen Schulen eingeräumt und der Kreis konkurrierender<br />

Privatmusiklehrer durch Einzug von Unterrichtserlaubnisscheinen<br />

verkleinert werde.<br />

SINKENDE SCHÜLERZAHLEN<br />

Wie berechtigt die wirtschaftlichen Sorgen waren, ergibt sich aus<br />

Berichten Wetzelsbergers und Dr. Rumpfs an den Oberbürgermeister<br />

sowie des städtischen Revisions- und Organisationsamts im<br />

Herbst 1933. Danach war die Schülerzahl seit dem 1. Februar 1932<br />

kontinuierlich von 509 auf 340 zurückgegangen. Der Revisionsbericht<br />

konstatierte den ersatzlosen Wegfall der Jazzklasse und die<br />

Tatsache, dass sich für die Opernschule keine Schüler und für den<br />

Einführungskurs keine Kinder angemeldet hätten. Die Herabsetzung<br />

des Schulgeldes um 10 bis 15 Prozent und die Bezahlung der<br />

hauptamtlichen Lehrer auf dem Niveau der Musikhochschulen von<br />

Berlin und Köln habe ein Defizit von 10.000 bis 12.000 RM<br />

ergeben und mache höhere Subventionen erforderlich, als die Stadt<br />

vorgesehen habe.<br />

Der Bericht Wetzelsbergers und Rumpfs vermerkt ausdrücklich das<br />

Ausscheiden nichtarischer Schüler. Einige scheinen jedoch am<br />

Institut geblieben und von Wetzelsberger vorurteilsfrei und fair<br />

behandelt worden zu sein. Entsprechende Denunziationen blieben<br />

nicht aus. Wetzelsberger berief sich demgegenüber auf die<br />

staatlichen Vorschriften, die die Aufnahme von Nichtariern bis zu<br />

1 Prozent des Schülerbestandes erlaubten. Die jüdische Schülerin,<br />

um die es ging, konnte noch im Juni 1936 die staatliche Musiklehrerprüfung<br />

ablegen. Auch ein zweiter Fall ist namentlich bekannt.<br />

Hier war dem Prüfungszeugnis vom 10. Februar 1934 der Zusatz<br />

beigefügt, die Inhaberin könne von der für die Erteilung des<br />

Unterrichtsscheins zuständigen Regierung nur die Unterrichtserlaubnis<br />

für nichtarische Schülerinnen und Schüler erhalten. Die<br />

damalige Studentin berichtet heute, am Hochschen Konservatorium<br />

keinerlei antisemitischen Äußerungen, vielmehr Verwunderung<br />

darüber begegnet zu sein, dass sie das<br />

Institut von sich aus so schnell<br />

wie möglich<br />

verlassen wollte.<br />

Natürlich sind<br />

das individuelle<br />

Eindrücke, die auch<br />

dadurch relativiert<br />

werden, dass sich<br />

die Ausbildung zum<br />

Privatmusiklehrer weit<br />

gehend im Einzelunter-<br />

Hede Salomon (1900–1942) war<br />

Korrepetitorin für das Fach rhythmische<br />

Gymnastik. Sie wurde 1933 entlassen.<br />

Nach ihrer Entlassung emigrierte sie nach<br />

Frankreich, wo sie während des Krieges<br />

in verschiedenen Lagern interniert war und<br />

später an die deutschen Behörden ausgeliefert<br />

wurde. Sie wurde nach Auschwitz<br />

deportiert und 1942 dort ermordet.<br />

25


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

Der Geiger Adolf Rebner (1876–1967)<br />

studierte in seiner Heimatstadt Wien und in<br />

Paris. 1896 wurde er Konzertmeister der<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Oper und Lehrer am Konservatorium.<br />

Zu seinen Violinschülern am Konservatorium<br />

gehörte auch Paul Hindemith. Als<br />

Primarius des Rebner-Quartetts konzertierte<br />

er in vielen Ländern Europas. Er wurde 1933<br />

entlassen. 1934 verließ er Deutschland und<br />

ging zurück nach Wien, von wo er 1938 in<br />

die USA emigrierte. Er kehrte 1950 nach<br />

Deutschland zurück und verbrachte seinen<br />

Lebensabend in Baden-Baden.<br />

richt abspielte.<br />

Immerhin mag das<br />

Klima am Hochschen Konservatorium<br />

davon profitiert haben, dass es an dieser<br />

Privatanstalt keine studentischen Korporationen gab, die<br />

üblicherweise „die Speerspitze des Antisemitismus“ bildeten. Aber<br />

auch hier ging es nicht ohne politische Schulung ab. In einem<br />

ausführlichen Bericht vom 8.1.1935 weist das Kuratorium unter<br />

anderem darauf hin, dass für alle Studierenden über 17 Jahren das<br />

Pflichtfach „Staats- und kulturpolitische Erziehung“ bestehe, für<br />

das der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB)<br />

zuständig sei. Er unterhalte einen eigenen Fachgruppenführer<br />

am Institut. Die Akten vermerken mehrere patriotische Feiern: des<br />

Reichsgründungstages am 18. Januar 1934, des Tages der<br />

nationalen Erhebung am 30. Januar 1935, der Saarrückgliederung<br />

am 27. Februar 1935. Wie sie – über den Einsatz von Chor und<br />

Orchester und (am 30. Januar 1935) eines Festredners von der<br />

NS-Kulturgemeinde hinaus – im Einzelnen und mit welcher<br />

ideologischen Verve sie gestaltet wurden, lässt sich heute nicht<br />

mehr ermitteln. Die Vereinnahmung des Orchesters für Parteiveranstaltungen<br />

wehrte Wetzelsberger ab mit der Begründung, es<br />

komme nicht ständig, sondern nur zur Vorbereitung bestimmter<br />

institutsgebundener Projekte zusammen, da viele Mitglieder<br />

auswärts wohnten. Ein Werbeprospekt für das Schuljahr 1935/36<br />

vermerkte stolz die Gleichschaltung der <strong>Frankfurt</strong>er Kunstanstalten<br />

und lässt stilistisch auf Meissner als Autor zumindest der Einleitung<br />

schließen. Immerhin führte diese Informationsschrift unter den<br />

prominenten Lehrern und Schülern des Konservatoriums Juden wie<br />

Joseph Rubinstein, Bernhard Cossmann, Karl Friedberg und<br />

Bernhard Sekles und den bereits verfemten Paul Hindemith auf. Im<br />

März 1934, als Hindemith im Allgemeinen noch als tragbar galt,<br />

machte Wetzelsberger den Vorschlag, ihn und Pfitzner für Gastkurse<br />

in Komposition zu gewinnen. Diese Anregung, die eher für<br />

Wetzelsbergers Qualitäts- als für seinen Realitätssinn spricht, zeigt,<br />

dass er sich trotz der zermürbenden Verwaltungsarbeit, die ihm das<br />

Direktorat einbrachte, noch Gedanken über die Profilierung seines<br />

Instituts machte. Sicherlich ist es in hohem Maße seinen menschlichen<br />

Qualitäten zuzuschreiben, dass das Hochsche Konservatorium<br />

in einer Zeit, in der es Spielball administrativer Experimente<br />

war, seinen Lehrbetrieb aufrechterhalten konnte.<br />

HERMANN REUTTER WIRD NEUER DIREKTOR<br />

1936 wurde Bertil Wetzelsberger als Direktor des Hochschen<br />

Konservatoriums abgelöst. Ausschlaggebend dafür waren seine<br />

Doppelbelastung und die Überzeugung des Generalintendanten<br />

Meissner, dass an die Spitze des Instituts eine „schöpferische“<br />

Persönlichkeit gehöre. Ihr Prestige sollte dazu beitragen, im<br />

preußischen Kultusministerium endlich die Erhebung des Hochschen<br />

Konservatoriums zur Musikhochschule und damit das Projekt<br />

durchzusetzen, mit dem die <strong>Frankfurt</strong>er Kulturverwaltung einer<br />

bildungspolitischen Notwendigkeit begegnen und gleichzeitig ein<br />

Versäumnis der Ära Landmann korrigieren wollte. Über die Person<br />

des künftigen Direktors herrschte jedoch Uneinigkeit. Der Kuratoriumsvorsitzende<br />

Rumpf bestand auf Hermann Zilcher (1881–1948),<br />

der Schüler und Lehrer am Hochschen Konservatorium gewesen<br />

war und als Leiter des Würzburger Konservatoriums Leitungserfahrung<br />

besaß. Meissner jedoch qualifizierte Zilcher ab als zu alt, zu<br />

teuer und zu wenig zugkräftig. Er bevorzugte Hermann Reutter<br />

(1900–1985), dessen Oper Dr. Johannes Faust er im Mai 1936<br />

erfolgreich aufgeführt hatte und in dem er „einen der wenigen<br />

führenden Tonsetzer unserer Zeit“ und einen Hoffnungsträger sah.<br />

Meissner stand mit dieser Ansicht nicht allein. Die Reichsmusikkammer<br />

war bereits mit Reutters Der große Kalender eröffnet<br />

worden, und der Kritiker des Völkischen Beobachter, Hugo Rasch,<br />

hatte danach zu dem Komponisten gesagt, dies könne das<br />

Oratorium des Dritten Reiches werden. Reutter war im April 1933<br />

in die Partei eingetreten – nach späterer Darstellung auf Anraten<br />

ausländischer Freunde und in Form einer reinen Listen-Mitgliedschaft.<br />

Auch der Oberbürgermeister war von den Qualitäten<br />

Reutters beeindruckt, und im Juli 1936 wurden Verhandlungen mit<br />

ihm aufgenommen. Die <strong>Frankfurt</strong>er Position war für Reutter doppelt<br />

verlockend. Zum einen wurde sein Fortkommen in Stuttgart durch<br />

Otto zur Nedden blockiert, damals Oberregierungsrat im Innenministerium<br />

von Württemberg-Hohenzollern und mit Reutter<br />

verfeindet. Zum anderen zeichnete sich inzwischen die Erhebung<br />

des Hochschen Konservatoriums zur Musikhochschule ab. Reutter<br />

legte der Stadt als Erstes ausführliche „Vorschläge zur Bildung<br />

einer Staatlichen Hochschule für Musik in <strong>Frankfurt</strong> am Main“ vor.<br />

Sie basierten auf einer „gründlichen Reorganisation des Lehrkörpers“,<br />

denn „im Mittelpunkt einer für das In- und Ausland zugkräftigen<br />

Anstalt muß ein Gremium von Lehrern stehen, die Träger<br />

weithin bekannter Namen sind“. Unter Berufung auf das Leistungsprinzip<br />

wurden überaus kritische Beurteilungen der vorhandenen<br />

Lehrer hinsichtlich ihrer künstlerischen und pädagogischen<br />

Fähigkeiten abgegeben, die Entlassung der „überflüssigen“ und die<br />

Umgruppierung der verbleibenden empfohlen bei generell erhöhten<br />

Gehältern. „Denn am Golde hängt auch hier alles“, wie Reutter den<br />

Stadtvätern bedeutete. Diesem radikalen Revirement standen in der<br />

Praxis die laufenden Lehrverträge entgegen. Hingegen fand sich die<br />

Stadt zur weiteren Erhöhung der Zuschüsse für das Konservatorium<br />

bereit. Auch die von Reutter gewünschten Personaleinstellungen<br />

wurden weitgehend realisiert, wie noch darzustellen sein wird. Die<br />

aus heutiger Sicht interessanteste Idee Reutters war die Berufung<br />

Carl Orffs. Er sollte die Vorschule seinem „Schulwerk“ entspre-<br />

26


Foto: cyberpaddock<br />

chend organisieren und leiten und zusammen mit dem Musikpädagogen<br />

Friedrich Scherber die Volksmusikabteilung ausbauen. Über<br />

die Entwicklung dieser Angelegenheit findet sich im Protokoll der<br />

Kuratoriumssitzung vom 29. 9.1936 folgender Vermerk:<br />

„Herr Reutter berichtet über die Verhandlungen mit Herrn Dr. Paul<br />

Friedrich Scherber. Durch die Verpflichtung des Herrn Dr. Scherber<br />

kann die ebenfalls in Aussicht genommene Berufung des Herrn Orf<br />

[sic] eingespart werden, da beide Herren das gleiche Fach vertreten.“<br />

Alma Moodie, ab 1937<br />

Leiterin einer<br />

Meisterklasse für<br />

Violine am Hochschen<br />

Konservatorium, ab<br />

1938 als Professorin<br />

für Violine in die<br />

Musikhochschule<br />

übernommen<br />

Diese Sparsamkeit auf Kosten des Mannes, der im Begriff war, sich<br />

einen wirklich „weithin bekannten Namen“ zu machen, kann als<br />

Kurzsichtigkeit der Verantwortlichen interpretiert werden, vielleicht<br />

aber auch als Taktik Reutters, der sich den Konkurrenten nun<br />

doch nicht ins eigene Haus holen wollte. Dem Vertragsabschluss<br />

mit Hermann Reutter am 28. September 1936 war der Rücktritt<br />

des Kuratoriumsvorsitzenden Rumpf vorausgegangen. Er, der<br />

„Säuberung“ und „Reorganisation“ des Hochschen Konservatoriums<br />

tatkräftig betrieben und die Interessen der neuen Männer<br />

im <strong>Frankfurt</strong>er Musikleben vertreten hatte, fühlte sich von ihnen<br />

übergangen und zog sich enttäuscht zurück. Meissner wurde<br />

sein Nachfolger als Unterschriftberechtigter im Kuratorium. Am<br />

1. Oktober 1936 wurde Reutter in Anwesenheit von Vertretern des<br />

Staates, der Stadt, der Partei und der Kirche feierlich in sein Amt<br />

eingeführt. Die Festansprache hielt Meissner, und Reutter bekräftigte<br />

seine Absicht, die Anstalt wieder auf die Höhe ihrer Glanzzeit<br />

zu heben und „zu einer Pflanzstätte neuen Musikgeistes im Sinne<br />

der Forderungen des Staates zu machen“. Mittlerweile war in<br />

einem langwierigen Prozess die schon 1933 in Angriff genommene<br />

neue Satzung des Hochschen Konservatoriums ausgearbeitet und<br />

am 16.10.1936 endlich vom Reichs- und Preußischen Minister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung genehmigt worden.<br />

In dieser Fassung waren auch die letzten Reste von Selbstbestimmung<br />

und -verwaltung getilgt. An die Stelle des Kuratoriums trat<br />

ein von der Stadt ernannter, vom Staat bestätigter Vorsitzender mit<br />

einem Beirat, dessen vier Mitglieder zur Hälfte vom Oberpräsidenten,<br />

zur anderen Hälfte vom Oberbürgermeister berufen werden<br />

sollten (§5). Vorsitzender wurde Stadtrat Keller, assistiert von<br />

Meissner und dem Gauamtsleiter als städtischen sowie zwei<br />

Regierungsbeamten als staatlichen Beiräten. Professor Richartz als<br />

letzter Vertreter des alten, bürgerlichen Kuratoriums der Zeit vor<br />

1933 und Willy Renner als Relikt der „Kampfzeit“<br />

wurden nicht mehr benötigt und erhielten<br />

Dankschreiben des Oberbürgermeisters<br />

für die<br />

dem Konservatorium<br />

geleisteten<br />

Dienste.<br />

Marie Lenheim (1891–?) war Klavierlehrerin<br />

am Konservatorium. Sie wurde<br />

1933 entlassen. 1936 gelang es ihr,<br />

nach England zu emigrieren.<br />

Bertil Wetzelsberger,<br />

nebenamtlicher<br />

Direktor des Hochschen<br />

Konservatoriums<br />

von 1933 bis 1936


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

VERWIRRENDE KONSTRUKTION<br />

Durch Stadtrat Keller vertreten, schloss die Stiftung Dr. Hoch’s<br />

Konservatorium am 19. Oktober 1937 einen Vertrag mit der Stadt<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main, vertreten durch den Oberbürgermeister, über<br />

die Gründung einer Hochschule: ein Kontrahieren der Stadt mit<br />

sich selbst, bei dem die Interessen der Stiftung nicht angemessen<br />

vertreten waren und dessen Rechtswirksamkeit bezweifelt werden<br />

kann. Die Stiftung verpflichtete sich, „mit der Eröffnung der<br />

Hochschule […] den Betrieb des Dr. Hoch’s Konservatorium mit<br />

seinen ganzen Einrichtungen und Beständen in die zu errichtende<br />

Hochschule für Musik zur kostenfreien dauernden Nutzung für<br />

Zwecke der Hochschule“ zu überführen (Stück 2 des Vertrages).<br />

Auch die Kapitalerträge der Stiftung sollten, „soweit sie nicht im<br />

Einverständnis mit der Stadt zu anderen Zwecken Verwendung<br />

finden“, der Finanzierung der Hochschule dienen (Stück 3). Die<br />

privatrechtliche Stiftung Dr. Hoch’s Konservatorium blieb also<br />

erhalten, während die Hochschule ausdrücklich als juristische<br />

Person des öffentlichen Rechts anerkannt wurde. Diese unübersichtliche<br />

rechtliche Doppelkonstruktion drückte sich in der<br />

umständlichen Benennung der neuen Hochschule aus: „Staatliche<br />

Hochschule für Musik in <strong>Frankfurt</strong> am Main – Dr. Hoch’s Konservatorium“.<br />

Zu weiterer Verwirrung trug bei, dass die Vorschule, die<br />

im Vertrag ausdrücklich von der Hochschule abgegrenzt worden<br />

war (Stück 6c), etwas später als „Musikschule Dr. Hoch’s Konservatorium“<br />

bezeichnet wurde und niemand mehr genau wusste, wie<br />

und wo das Hochsche Konservatorium eigentlich weiterexistierte.<br />

Praktische Auswirkungen hatten diese juristischen Winkelzüge und<br />

Halbherzigkeiten erst nach dem Krieg. Hier werden sie erwähnt,<br />

um zu beleuchten, wie die Stadt mit allen Mitteln ihr brennendes<br />

Interesse an der Errichtung der Hochschule verfolgte und dabei<br />

doch einen Schein von Legitimität und den traditionsreichen Namen<br />

einer in Wahrheit ausgehöhlten <strong>Frankfurt</strong>er Institution zu bewahren<br />

suchte.<br />

Ähnlich rigoros wie<br />

mit dem Vermögen<br />

der Hochschen<br />

Stiftung verfuhr Krebs<br />

mit den städtischen<br />

Finanzen. Ein Blick auf<br />

die dem Konservatorium<br />

seit 1933 gewährten<br />

Subventionen mag das<br />

verdeutlichen:<br />

1933<br />

1935<br />

1936<br />

1937<br />

1940<br />

36.000 RM<br />

70.000 RM<br />

90.000 RM<br />

150.000 RM<br />

163.000 RM<br />

Bernhard Sekles (1872–1934) hieß<br />

ursprünglich „Seckeles“; er studierte an<br />

Dr. Hoch’s Konservatorium bei Engelbert<br />

Humperdinck und Iwan Knorr Komposition.<br />

Nach Kapellmeisterjahren am Theater<br />

kehrte er als Lehrer ans Konservatorium<br />

zurück, dessen Direktor er 1923 wurde.<br />

1933 wurde er entlassen und seine Musik<br />

verboten. Ein Jahr später starb er an<br />

Lungentuberkulose.<br />

Der auffallende Sprung von 1936 auf 1937 hing natürlich mit den<br />

Forderungen zusammen, die Hermann Reutter für die zukünftige<br />

Hochschule erhoben hatte. Die Stadt hatte daraufhin die für 1937<br />

zunächst eingestellten 110.000 RM um 40.000 RM erhöht. Krebs<br />

versuchte bei den Gemeinderäten, die ihn ohnehin nur beraten durften,<br />

dafür Verständnis zu erwecken: „Die Behauptung und Steigerung<br />

der Stellung, die <strong>Frankfurt</strong> auf dem Gebiet der Musikpflege<br />

und Musikerziehung hat, ist der erhöhten Opfer wert.“ Mit der<br />

gleichen generösen Einstellung trat er Bedenken des Preußischen<br />

Finanzministeriums entgegen, das zwar keine staatliche Verantwortung<br />

für die Unterhaltung der Musikhochschule übernehmen, aber<br />

offenbar die stark verschuldete Stadt <strong>Frankfurt</strong> warnen wollte.<br />

Krebs erklärte, die finanzielle Last „in aller Gewißheit als tragbar<br />

verantworten zu können“. Die als allzu großzügig verschriene<br />

Finanzpolitik des Oberbürgermeisters Landmann bezüglich des<br />

Hochschulprojekts war sehr viel vorsichtiger gewesen als die seines<br />

Nachfolgers Krebs, die der Stadt erhebliche und bis weit in die<br />

Nachkriegszeiten fortwirkende Verpflichtungen hinterließ. Zunächst<br />

aber hatte Krebs mit seinen finanziellen Zugeständnissen das letzte<br />

Hindernis auf dem Weg zur Errichtung der Staatlichen Hochschule<br />

für Musik ausgeräumt. Der ersehnte Beschluss des Reichs- und<br />

Preußischen Ministers für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung<br />

erging am 22. Dezember 1937. Gleichzeitig wurde der neuen<br />

Hochschule eine Satzung verliehen, die auf dem Vertrag vom<br />

19. Oktober 1937 fußte.<br />

28


Foto: Valentin Fanel<br />

Lisa Rykena, Yejin Kwon, David Bauer, Fanni Varga, Chris Jäger in „Revisiting concepts and materials from Hypothetical Stream“ – Neubearbeitung der<br />

Choreographie „Hypothetical Stream“ von William Forsythe (1997) durch Regina van Berkel


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

ERÖFFNUNG DER HOCHSCHULE AM 1. APRIL 1938<br />

Am 1. April 1938 wurde die Hochschule eröffnet. Am 15. und 16. Die neue Hochschule umfasste die Abteilungen für künstlerische<br />

Mai folgte eine offizielle Feier mit mehreren Akten. Im speziell für Ausbildung, das Seminar für Privatmusikerzieher und die Abteilung<br />

diesen Tag renovierten Festsaal des Instituts fand am Abend des für Kirchenmusik; angegliedert waren die Orchesterschule, die<br />

15. Mai eine studentische Feier statt, ausgerichtet von den<br />

Opernchorschule und der Chorleiterlehrgang. Der dringende und<br />

Kameradschaften des NS-Studentenbundes bei der <strong>Frankfurt</strong>er berechtigte Wunsch der Stadt nach einer Abteilung für Schulmusik<br />

Universität und beim Hochschen Konservatorium und soldatischpatriotisch<br />

aufgezogen. Am nächsten Tag vereinigte ein akade-<br />

entsprechende Ausbildungsmöglichkeit an der Kölner Musikhoch-<br />

war vorerst nicht erfüllt worden, weil das Kultusministerium die<br />

mischer Festakt Vertreter des Staates, der Partei und der Wehrmacht<br />

mit städtischer Kulturprominenz und den Lehrern und Hermann Reutter am 18. 9.1936 geschlossene Dienstvertrag<br />

schule als für Westdeutschland ausreichend ansah. Der mit<br />

Schülern der neuen Hochschule. In Gruß- und Dankadressen wurde sicherte ihm weitgehende Kompetenzen bei der Verwaltung der<br />

der Geist der deutschen Musik beschworen. Auch Direktor Reutter Hochschule, insbesondere bei der Berufung und Entlassung der<br />

berief sich darauf, wandte sich gegen die „unheilvolle artfremde Lehrer. Die Hochschulsatzung gewährte ihm einen Anspruch auf<br />

Zersetzung“ in der Weimarer Zeit und verlangte von einer neuen sachkundige Hilfe bei der Administration, nämlich auf das „erforderliche<br />

Verwaltungspersonal“ und einen ständigen Vertreter.<br />

Musik, die „dieser großen Gegenwart verhaftet ist“, „Klarheit,<br />

Einfachheit, Monumentalität“. Reutter hatte diesen Forderungen bei So konnte Reutter den Typus des Künstlers in der Position eines<br />

seiner Vertonung von Hölderlins Gesang des Deutschen, einer Kantate<br />

für Chor, Orchester und Solostimmen, die er eigens für das abgenommen wird. In Haushalts- und Berufungsfragen hatte er laut<br />

Direktors repräsentieren, dem die Kärrnerarbeit weitgehend<br />

abendliche Festkonzert geschrieben hatte, weitgehend entsprochen. Satzung den Hochschulbeirat zu konsultieren, der sich zusammensetzte<br />

aus dem Oberbürgermeister, dem Vorstand der Stiftung<br />

„Ohne alle kleinliche Malerei rahmt und unterstützt das Orchester<br />

den Chor und die Solostimmen und formt mit ihnen zusammen Dr. Hoch’s Konservatorium, also Stadtrat Keller, Vertretern des<br />

den einfachen, großen und klaren Stil der ernsten, würdigen<br />

Oberpräsidenten in Kassel und des Regierungspräsidenten in<br />

Hymne“, so nimmt der Rezensent der <strong>Frankfurt</strong>er Zeitung Karl Holl Wiesbaden, Vertretern der Kirchenbehörden und vier „musikliebenden“<br />

Mitgliedern, die zu gleichen Teilen vom Oberpräsidenten<br />

den Komponisten beim eigenen Wort. Er fährt fort: „Das Ganze ist<br />

nicht auf epigonale Art, sondern in einem durch die Krise gehärteten<br />

und erweiterten Sinn tonal stilisiert.“ Ein Leser, der gewohnt Weise gelangten wieder Hans Meissner und der Gauamtsleiter,<br />

und vom Oberbürgermeister ernannt wurden (Stück 7). Auf diese<br />

war, Holls Kritiken „gegen den Strich“ zu lesen, könnte vermuten, außerdem der Generalmusikdirektor Konwitschny in das Gremium,<br />

dass hier das Wort „epigonal“, wenn auch harmlos verpackt, fallen das Reutter bei der Verwirklichung seiner Hochschulpläne keine<br />

sollte, zumal kurz darauf „das Vorbild von Brahms“ beschworen nennenswerten Schwierigkeiten bereitet zu haben scheint. Reutter<br />

wird. Auch die beiden anderen zeitgenössischen Programmpunkte war entschlossen, die Gunst der Stunde, nämlich Ehrgeiz und<br />

des Festkonzertes, die Erstaufführung von Gerhard Frommels<br />

finanzielle Großzügigkeit der <strong>Frankfurt</strong>er Musikverantwortlichen,<br />

für den Aufbau eines Instituts von hohem, Konzert in h-Moll für Klavier, Solo-Klarinette und<br />

weithin<br />

Streichorchester und Karl Höllers Konzert<br />

für Violine und Orchester in<br />

Uraufführung, erfuhren eine<br />

sorgfältige, positive Würdigung,<br />

die jedoch gewisse<br />

Vorbehalte Holls ahnen lässt.<br />

Immerhin bewies die neue Hochschule,<br />

dass sie einen Konzertabend<br />

mit Werken überregional<br />

bekannter Komponisten aus der<br />

eigenen Lehrerschaft und mit<br />

eigenem Chor, Orchester und<br />

eigenen Solisten (Alma Moodie,<br />

Violine; Eduard Liebhold, Klarinette;<br />

Georg Kuhlmann, Klavier) gestalten<br />

konnte: eine repräsentative Visitenkarte.<br />

Die Altistin Rosy Hahn (auch Hirsch-<br />

Hahn, 1888–1969) wurde 1933 entlassen.<br />

Danach emigrierte sie zuerst nach Holland<br />

und 1944 nach England. Ihr Nachlass<br />

befindet sich in der <strong>Frankfurt</strong>er Universitätsbibliothek.<br />

ausstrahlenden Prestige zu nutzen.<br />

30


Quelle: Institut für Stadtgeschichte <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Programm der<br />

Feierlichkeiten zur<br />

Eröffnung der<br />

Musikhochschule am<br />

15./16. Mai 1938<br />

31


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

REUTTERS PERSONALPOLITIK<br />

Entsprechend gestaltete sich seine Personalpolitik. Aus Stuttgart<br />

hatte er Hugo Holle mitgebracht, einen Regerschüler und Chorleiter,<br />

der ihn als fähiger stellvertretender Direktor von der Verwaltungsarbeit<br />

entlastete. Bei Instrumentallehrern und Gesangspädagogen<br />

setzte er, wie angekündigt, auf Namen und Qualität. So<br />

bemerkte er in seinen „Vorschlägen zur Bildung einer Staatlichen<br />

Hochschule für Musik“ von 1936 über den bekannten, bereits am<br />

Hochschen Konservatorium lehrenden Pianisten Alfred Hoehn:<br />

„Natürlich beizubehalten unter Betonung einer absolut autoritären<br />

Stellung“. Weniger renommierte Künstler übernahm er nur mit<br />

Vorbehalt, so den Geiger Gustav Lenzewski, der als Leiter des<br />

Lenzewski-Quartetts immerhin kein Unbekannter war: „Beizubehalten<br />

oder mit Herrn Peischer ab 1937 evtl. zu entlassen, dafür ein<br />

1. Geiger zu engagieren“. Was er für Mittelmaß hielt, qualifizierte<br />

er unbarmherzig ab. Im Frühjahr 1937 verfügte er die Entlassung<br />

der Musikpädagogin Cilla Geis, die bisher angehende Schulmusiker<br />

auf die Staatsprüfung in Berlin vorbereitet und mit der Streichung<br />

jeglicher schulmusikalischen Ausbildung in <strong>Frankfurt</strong> ihr Aufgabengebiet<br />

verloren hatte. Den zahlreichen Interventionen dankbarer<br />

Schüler blieb Reutter ebenso unzugänglich wie dem Protest des<br />

Gaupropagandaleiters, der sich ebenfalls für die schwärmerische<br />

Alt-Nationalsozialistin einsetzte. Den Vorschlag, ihr wenigstens<br />

die Leitung des Hochschulchors zu überlassen, wies er zurück:<br />

„Ich wiederhole nochmals, daß es eine Dirigentin von Rang bis<br />

zum heutigen Tag niemals gegeben hat“. Dabei spielte er geschickt<br />

das nationalsozialistische Frauenbild aus, bei dem Kreativität und<br />

Führungsqualitäten bewusst ausgespart blieben. So machte er die<br />

Bahn frei für den namhaften Chordirigenten Hugo Holle und<br />

entsprach seinem eigenen Erfolgsrezept „Breiteste Wirkung nach<br />

innen und außen“. Diesem Prinzip folgte er auch mit der Verpflichtung<br />

der bekannten Solisten Alma Moodie (Violine), Rudolf<br />

Metzmacher (Violoncello) und Erich Riebensahm (Klavier), die<br />

einem leistungsfähigen und von Reutter konsequent ergänzten und<br />

verbesserten Lehrerkollegium den erwünschten überlokalen Glanz<br />

verliehen.<br />

Aenni (auch: Anna) Rosenthal (1886–1941)<br />

war Geigenlehrerin am Konservatorium<br />

und spielte im Orchester des Jüdischen<br />

Kulturbunds. 1933 wurde sie entlassen.<br />

1941 wurde sie nach Lodz, wahrscheinlich<br />

ins dortige jüdische Ghetto Litzmannstadt<br />

deportiert, das als Zwischenstation vor dem<br />

Ende in einem der Vernichtungslager diente.<br />

Dort verliert sich ihre Spur.<br />

Welche Gesichtspunkte Reutter im Umgang mit Kompositionslehrern<br />

leiteten, liegt weniger offen zu Tage. Mit Karl Höller (geb.<br />

1907) verpflichtete er einen bereits anerkannten Komponisten als<br />

Kompositionslehrer und Leiter des Seminars für katholische<br />

Kirchenmusik. Offensichtlich schätzte er ihn höher ein als die<br />

bereits im Institut lehrenden Komponisten Gerhard Frommel und<br />

Kurt Hessenberg. In seinen „Vorschlägen“ empfahl er, Frommel<br />

„beizubehalten, jedoch nicht in der bisherigen Vorzugsstellung als<br />

1. Kompositionslehrer“. Für den introvertierten Hessenberg fehlte<br />

dem weltläufigeren Reutter offensichtlich das Verständnis.<br />

Zunächst war er für seine Entlassung eingetreten, beschäftigte ihn<br />

dann aber doch als „außerordentlichen künstlerischen Lehrbeauftragten“<br />

für Gehörbildung und allgemeine Musiklehre bei Sängern,<br />

Ballettschülerinnen und in der Vorschule, also mit untergeordneten,<br />

unbefriedigenden Aufgaben. Seine Besoldung hielt sich jahrelang<br />

an der untersten Grenze. In einem Aufsatz, in dem Reutter ziemlich<br />

ausführlich über den Aufbau der Hochschule sowie Qualifikation<br />

und Einsatz der Lehrer berichtete, blieb Hessenberg unerwähnt.<br />

Dabei setzten 1937 dessen Erfolge als Komponist ein. Seinen<br />

Durchbruch erzielte er mit seinem Concerto grosso (Konzert Nr.1)<br />

für Orchester op. 18, das 1939 beim Internationalen Musikfest in<br />

Baden-Baden zum ersten Mal gespielt, danach mehrfach von<br />

Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern aufgeführt und von<br />

mehreren namhaften Dirigenten im In- und Ausland bekanntgemacht<br />

wurde. Aber selbst als Hessenberg 1940 zusammen mit<br />

Max Trapp und seinem Institutskollegen Karl Höller den von<br />

Goebbels gestifteten und zum ersten (und einzigen) Mal vergebenen<br />

Nationalen Komponistenpreis erhielt, verbesserte sich seine<br />

Einstufung innerhalb der <strong>Frankfurt</strong>er Musikhochschule nicht.<br />

Schließlich intervenierte sein Schwiegervater, Franz Volhard, einer<br />

der bedeutendsten Internisten seiner Zeit und bekannt als Mann<br />

direkter, unkonventioneller Vorgehensweisen, bei der Gauleitung.<br />

Auf Druck von oben leitete Reutter, wenn auch ohne besondere<br />

Eile, Hessenbergs Beförderung zum beamteten Dozenten ein, die<br />

ihn mit den beiden anderen Komponisten Höller und Frommel<br />

gleichstellte und sein Gehalt verdoppelte. Hessenberg erhielt nun<br />

auch den Gaukulturpreis. Seine Gegenleistung bestand in einem<br />

späten Antrag auf Aufnahme in die Partei, der jedoch nicht mehr<br />

zur Mitgliedschaft führte. Mag Reutters Zurücksetzung Hessenbergs<br />

anfänglich noch aus dem Gegensatz ihres Charakters<br />

erklärlich gewesen sein, so steht sein Verhalten dem plötzlich<br />

arrivierten Kollegen gegenüber in so eklatantem Gegensatz zu<br />

seiner sonstigen Gepflogenheit, „Träger bekannter Namen“<br />

in seinem Kollegium zu fördern und herauszustellen, dass sich<br />

hier der Verdacht des Konkurrenzneides aufdrängt. Auch die<br />

befremdliche Entscheidung, letzten Endes doch von der<br />

Einstellung Carl Orffs abzusehen, könnte hier ihr Motiv<br />

haben. Die Bevorzugung Paul Friedrich Scherbers vor Orff<br />

als Leiter des Privatmusikseminars verwundert umso<br />

32


Ernst Wolff (1905–1991) nahm Gesangsunterricht,<br />

studierte aber Musiktheorie und<br />

Klavier. Er war Kapellmeister an den<br />

Städtischen Bühnen <strong>Frankfurt</strong> und am<br />

Konservatorium Korrepetitor. Er wurde 1933<br />

entlassen. Mit Hilfe von Max Reinhardt und<br />

Kurt Weill emigrierte er 1937 in die USA.<br />

1948 trat er wieder in Europa auf und ließ<br />

sich im Schweizer Kanton Tessin nieder.<br />

Er erhielt 1962 den Professorentitel der<br />

Stadt <strong>Frankfurt</strong> und wurde mit dem<br />

Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.<br />

ihrem Familienkreis gesammelt und gegen politisches Wohlverhalten<br />

verrechnet („Früher Freimaurer, aber eifrig in der Wehrbetreuung“),<br />

wurden Pauschalurteile über Persönlichkeit und berufliche<br />

Qualifikation abgegeben. Augenfällig werden der ständige Gesinnungsterror<br />

und der gesellschaftspolitische Rechtfertigungsdruck<br />

an Entschuldigungszetteln, mit denen angesehene Klavierpädagogen<br />

ihr Fernbleiben von einer Straßensammlung begründeten.<br />

Dennoch war der Dozentenbundführer mit dem „politischen<br />

Gesamtbild“ der Hochschule unzufrieden: „Viele fachlich hervorragende<br />

Lehrkräfte, in den meisten Fällen unpolitische Künstlernaturen,<br />

jedoch kein positives Verhältnis zur NS-Weltanschauung und<br />

zur völkischen Lebenshaltung.“<br />

Dass dieses aus heutiger Sicht erfreuliche Übergewicht künstlerischer<br />

über politische Aktion eng mit Reutters Führungsstil<br />

zusammenhängt, zeigt ein Gutachten des Dozentenführers über den<br />

Hochschuldirektor. Goys Nachfolger Julius Maurer, der zusammen<br />

mit Karl Höller die Dirigentenklasse leitete und offenbar weniger<br />

Ressentiments abzureagieren hatte als sein Vorgänger, gibt einen<br />

sachlichen Überblick über Reutters bisheriges kompositorisches<br />

Schaffen, das bei „Klärung, Vereinfachung, Verinnerlichung in den<br />

letzten Jahren“ und „einem Zug zur Monumentalität“ nun auch<br />

„bei nationalpolitischen Veranstaltungen brauchbar“ sei. Er findet<br />

„verständlich und bedauerlich“, dass Reutters Tätigkeit als Pädagoge<br />

und Hochschulleiter hinter seine künstlerischen Aktivitäten<br />

zurücktrete, hebt sein Interesse an guten Lehrkräften hervor,<br />

bemängelt aber, dass er einzelne bevorzuge, keine „echte Gemeinschaft“<br />

bilde und sich persönlich abschotte. Politisch habe er sich<br />

nie betätigt, auch wenn er sich als überzeugten Nationalsozialisten<br />

bezeichne. Trotz Mitgliedschaft im Dozentenbund lege er wenig<br />

Wert auf Zusammenarbeit mit ihm. Diese Charakterisierung<br />

bestätigt den Eindruck, der sich aus den angeführten Beispielen<br />

seiner Personalführung ergibt: den Eindruck imposanter, elitärer<br />

Selbstbezogenheit. Sie war offenbar so festgefügt, dass sie durch<br />

die offizielle Ungnade, die Reutter eine Zeitlang traf, nur vorübergehend<br />

erschüttert wurde. Sein alter Feind Otto zur Nedden hatte im<br />

Verein mit Hans Severus Ziegler und Heinz Drewes, dem Leiter der<br />

Abteilung Musik im Propagandaministerium, auf dem Tonkünstlerfest<br />

in Weimar 1936 Goebbels gegen Reutter aufgehetzt und<br />

beinahe ein generelles Aufführungsverbot seiner Faustoper erreicht.<br />

Auf der Düsseldorfer Ausstellung Entartete Musik holten sie zu<br />

einem neuen Schlag aus und setzten Reutter auf „eine Namenstafel<br />

der Komponisten in ihrer international-jüdischen Verflechtung<br />

während der Nachkriegs-Musikfeste des Allgemeinen Deutschen<br />

Musikvereins und der berüchtigten Musikfeste in Baden-Baden“.<br />

Oberbürgermeister Krebs geriet daraufhin in Zorn und veranlasste,<br />

dass die inkriminierenden Hinweise auf Reutter und den ebenfalls<br />

angeprangerten Gerhard Frommel aus der Ausstellung verschwanmehr,<br />

als Scherber<br />

Reutters hohen<br />

Qualitätsansprüchen<br />

eigentlich in keiner<br />

Weise gerecht<br />

werden konnte.<br />

Dokumente und<br />

Zeitgenossen<br />

bestätigen übereinstimmend<br />

die Fragwürdigkeit seiner<br />

„Einheitlichen Musiklehre“ und seinen Mangel an<br />

persönlicher und künstlerischer Ausstrahlung. Reutters kritischem<br />

Blick dürfte das kaum entgangen sein. Für Scherber sprachen aber<br />

wichtige politische Gesichtspunkte: Er war alter Parteigenosse,<br />

SA-Mann und Musikreferent der HJ, und er wurde vom Universitätsmusikdirektor,<br />

dem Musikwissenschaftler Joseph Müller-<br />

Blattau, empfohlen. Möglicherweise bedachte Reutter Paul Friedrich<br />

Scherber mit der Rolle des ideologischen Aushängeschilds, hinter<br />

dem er einigermaßen ungestört die künstlerischen Interessen<br />

seines Instituts und seiner eigenen Person verfolgen zu können<br />

hoffte. Indem er Scherber bei jeder Gelegenheit herausstrich,<br />

konnte er es sich leisten, ein anderes gläubig-nationalsozialistisches<br />

Mitglied seines Kollegiums, den Theorielehrer Heinrich Goy,<br />

Parteimitglied und Dozentenführer des NSD-Dozentenbundes an<br />

der Musikhochschule, in jeder Beziehung kurz zu halten. Goys<br />

bewegte Klagen gegenüber dem Gaudozentenführer, er werde trotz<br />

politischer Tätigkeit nicht ins Dozentenverhältnis berufen und könne<br />

sich an der Musikhochschule künstlerisch, musikwissenschaftlich<br />

und erzieherisch nicht entfalten, fruchteten ebenso wenig wie die<br />

Anzettelung einer Intrige gegen Hugo Holles Nachfolger als<br />

stellvertretender Direktor und der Versuch, in seiner Eigenschaft als<br />

Dozentenführer in den Hochschulbeirat aufgenommen zu werden.<br />

Wie eine erhaltene Liste belegt, waren von 30 Lehrern zehn sowohl<br />

Mitglied der NSDAP als auch des Dozentenbundes, also um ein<br />

tadelloses politisches Erscheinungsbild bemüht. Eine Minderheit<br />

von sieben gehörte keiner der beiden Organisationen an, unter<br />

ihnen Helmut Walcha, dessen Politikferne auf diese Weise bestätigt<br />

wird, aber auch zwei Lehrer, die ihrer ehemaligen Logenzugehörigkeit<br />

wegen nicht aufgenommen wurden. Der Rest war entweder in<br />

der Partei oder im Dozentenbund, ließ es also bei einer Loyalitätsgeste<br />

bewenden. Die Akten weisen den Dozentenbund als einen<br />

Bespitzelungs- und Disziplinierungsmechanismus aus, den der<br />

Dozentenführer gegen seine Kollegen in Gang hielt. In Zusammenarbeit<br />

mit dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS wurden<br />

Schwachpunkte aus ihrer Intimsphäre, ihrer Vergangenheit und<br />

33


D i e G r ü n d u n g d e r S t a a t l i c h e n H o c h s c h u l e f ü r M u s i k F r a n k f u r t a. M.<br />

„KURZE GLANZZEIT“<br />

den. Reutters überschwängliche Dankbarkeitsbekundungen<br />

gegenüber Krebs zeigen, dass ihn der Vorfall außerordentlich<br />

schockiert und verunsichert hatte. Weit entfernt davon, die Rolle<br />

eines Systemgegners zu akzeptieren, bemühte er sich um seine<br />

Rehabilitierung und wurde dabei unterstützt von Krebs, Meissner,<br />

Friedrich Bethge und nicht zuletzt dem Reichs- und Preußischen<br />

Kultusministerium, das Reutter und seiner Hochschule wohlgesonnen<br />

war. Schallplatten mit Musik von Reutter sollten Hitler davon<br />

überzeugen, dass sie durchaus nicht kulturbolschewistisch sei, aber<br />

es verlautete, sie seien im Propagandaministerium vernichtet<br />

worden. Zu den Düsseldorfer Reichsmusiktagen im Mai 1939<br />

indessen erhielt Reutter eine persönliche Einladung von Goebbels.<br />

Was diesen Klimawechsel im Propagandaministerium bewirkt hatte,<br />

bleibt offen. Im Oktober 1939 bestätigte Hitler nach monatelanger<br />

Verzögerung die offizielle Ernennung Reutters zum Hochschuldirektor<br />

und Professor. Es ist bemerkenswert, dass Reutter sich im<br />

Kampf um die verlorene Gunst der NS-Führung künstlerischer<br />

Mittel zu bedienen versuchte anstatt der politischen Intrige oder<br />

Anbiederung. Wenn man von einem Hochschulkonzert absieht, das<br />

Reutter zu Ehren von Kultusminister Bernhard Rust im<br />

Sommer 1939 oder 1940 veranstaltete<br />

oder zu veranstalten<br />

beabsichtigte,<br />

zeigt seine<br />

Amtsführung auch<br />

in den Monaten<br />

seiner Diffamierung<br />

keine Anzeichen<br />

besonderer politischer<br />

Beflissenheit.<br />

Paul Meyer (1891–?), als Korrepetitor der<br />

Opernschule geschätzt und hochgeachtet,<br />

wurde nach dem 31. August 1933 „unter<br />

Vorbehalt“ am Konservatorium weiterbeschäftigt,<br />

aber wenig später nach einer<br />

Denunziation eines Kollegen entlassen.<br />

Er emigrierte 1936 nach Frankreich und<br />

von dort 1938 in die USA.<br />

Für die Leitung einer aufstrebenden Musikhochschule im nationalsozialistischen<br />

Deutschland war ein Mann vom persönlichen und<br />

künstlerischen Zuschnitt Hermann Reutters sicherlich eine vorteilhafte<br />

Besetzung. Die Jahre seines Direktorats, in denen die gute<br />

finanzielle Ausstattung und die Qualität seines Lehrerkollegiums<br />

volle Wirkung entfalten konnten, ohne dass sie durch Kriegseinflüsse<br />

bereits wieder abgeschwächt worden wäre, kann man als eine<br />

„kurze Glanzzeit“ der Hochschule bezeichnen. Aus den Ausbildungsklassen<br />

gerade dieser Jahre gingen eine Reihe namhafter<br />

Instrumentalsolisten und Dirigenten, vor allem aber zahlreiche<br />

Mitglieder der <strong>Frankfurt</strong>er Orchester und Lehrer an der Musikhochschule<br />

in der Nachkriegszeit hervor. Gemäß Reutters Prinzip der<br />

größtmöglichen Effizienz in alle Richtungen traten die prominenten<br />

Lehrer stärker in den Hochschulkonzerten hervor, als dies bisher<br />

üblich gewesen war. Ein geeignetes Forum bildete die „Woche der<br />

Musik“, die auf Anordnung des Kultusministeriums seit 1939<br />

alljährlich von den Musikhochschulen veranstaltet werden sollte.<br />

Zwischen dem 4. und dem 10. Juni 1939 gab es ein Programm mit<br />

Orgel- und Kammermusik des 17. und 18. Jahrhunderts und<br />

anlässlich des 70. Geburtstages von Hans Pfitzner ein Konzert mit<br />

seinen Werken (Cellosonate op. 1 mit Rudolf Metzmacher und<br />

Georg Kuhlmann, Klaviertrio op. 8 unter Hinzuziehung des Geigers<br />

Joseph Peischer, Lieder, vorgetragen von der Gesangsdozentin<br />

Marga Iff-Koch). Am folgenden Tag wurde Joseph Haas, der in<br />

diesem Jahr 60 Jahre alt geworden war, mit einer Morgenfeier<br />

geehrt. Bei einem Beethovenabend des Hochschulorchesters<br />

traten Alfred Hoehn und Alma Moodie solistisch hervor. Die<br />

Woche schloss mit der Winterreise von Schubert, gesungen<br />

von dem Bariton Ludwig Druschel aus der Gesangsklasse von<br />

Rudolf Ligniez und begleitet von Hermann Reutter. Hermann<br />

Reutter trat in <strong>Frankfurt</strong> auch außerhalb der Hochschule als<br />

Begleiter bekannter Liedinterpreten, aber auch von Instrumentalsolisten<br />

wie Alma Moodie auf.<br />

WALCHA UND BACH<br />

Starke Impulse innerhalb und außerhalb der Hochschule vermittelte<br />

auch der Organist Helmut Walcha (1907–1991). An der nach seinen<br />

Anweisungen und den Grundsätzen der Orgelbewegung 1936<br />

umgebauten Orgel des Hochschen Konservatoriums veranstaltete<br />

er Orgelabende mit Werken von Bach und seinen Vorgängern,<br />

von 1938 an die „<strong>Frankfurt</strong>er Bachstunden“, mit denen er Bach<br />

in <strong>Frankfurt</strong> erst wirklich populär machte. Karl Holl weist auf den<br />

„besinnlich-feierlichen Charakter“ dieser Veranstaltungen hin, auf<br />

das besondere, sich als Gemeinde fühlende Publikum und das<br />

Fehlen des Beifalls. Ein Zug von Ideologisierung ist hier unübersehbar,<br />

eine Flucht in „ewige Werte, zu denen die schlechte Gegenwart<br />

in Konflikt geraten war“.<br />

34


Ambivalente MODERNISIERUNG<br />

Die nationalsozialistische Stadtverwaltung hatte zwar nicht, wie<br />

erhofft, im Handstreich, jedoch in langem, zähen Ringen erreicht,<br />

was in der „Systemzeit“ unter Kestenberg und Ludwig Landmann<br />

misslungen war: aus dem traditionsreichen, bürgerlich geprägten<br />

Privatinstitut Dr. Hoch’s Konservatorium, dessen wirtschaftliche und<br />

rechtliche Verfassung nicht mehr den Anforderungen genügte, eine<br />

moderne Musikhochschule zu machen. Dies gelang allerdings nur<br />

unter gründlicher Missachtung des in den Statuten festgeschriebenen<br />

Stifterwillens und Aushöhlung des alten Hochschen<br />

Konservatoriums, dessen geschützter Name nur noch als Appendix<br />

und als Bezeichnung der Vorschule eine Alibiexistenz weiterführte.<br />

Hier lag eine der ambivalenten Modernisierungen vor, die kennzeichnend<br />

für den Nationalsozialismus sind; ambivalent wegen der<br />

Gewaltsamkeit und Widerrechtlichkeit ihrer Durchsetzung einerseits<br />

und ihrer vorteilhaften Auswirkungen andererseits. Dass die<br />

Hochschulgründung die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllte,<br />

verdankt sie in hohem Maße dem Direktor Hermann Reutter, der die<br />

institutionellen und finanziellen Chancen zu nutzen verstand und<br />

der Hochschule eine Position als wichtiger kultureller Faktor<br />

innerhalb <strong>Frankfurt</strong>s und als musikpädagogischer Anziehungspunkt<br />

für Südwestdeutschland verschaffte. Sein selbstbewusster,<br />

leistungsorientierter Führungsstil schirmte das Arbeitsklima<br />

innerhalb seines Instituts weitgehend gegen politische Zumutungen<br />

ab. Die neue Hochschule stellte einen ansehnlichen Aktivposten des<br />

damaligen kulturellen <strong>Frankfurt</strong>s dar.<br />

Autorisierte Wiederveröffentlichung aus:<br />

Eva Hanau, Musikinstitutionen in <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

1933 bis 1939, Köln: Studiopunkt-Verlag 1994,<br />

S. 11f., 27ff., 39, 51ff., 71ff., 112.ff., 150f.; Literaturund<br />

Quellennachweise siehe dort.<br />

Das Hochschulorchester bei einer Probe im Großen Saal der <strong>HfMDK</strong><br />

35


EIN UNBEKANNTES MUSIKPÄDAGOGISCHES<br />

DOKUMENT VON 1927:<br />

HINDEMITHS KONZEPTION EINER MUSIKHOCHSCHULE<br />

Von Prof. Dr. Peter Cahn<br />

Schon während der zwanziger Jahre hat Paul Hindemith mehrfach<br />

zu musikalischen Zeitfragen öffentlich Stellung bezogen. Die<br />

Thematik dieser programmatischen Äußerungen ergab sich aus den<br />

Problemen, mit denen er sich als Instrumentalist und Komponist<br />

konfrontiert sah. Erinnert sei etwa an die gemeinsam mit Reinhold<br />

Merten proklamationsartig verbreitete Kritik am Konzertbetrieb von<br />

1922, an den Aufsatz Über mechanische Musik von 1927 und an die<br />

Forderungen an den musikalischen Laien von 1930. Vergleichbare<br />

Thesen Hindemiths zu dem spätestens ab 1927 für ihn wichtigen<br />

Thema der Ausbildung von Berufsmusikern, speziell von Komponisten,<br />

sind dagegen erst in der Einleitung zur Unterweisung im<br />

Tonsatz und in den Vorschlägen zur Neuorganisation des türkischen<br />

Musiklebens aus der Mitte der dreißiger Jahre bekannt geworden.<br />

Eine zusammenfassende Behandlung findet der Komplex Pädagogik<br />

erst im 9. Kapitel von A Composer´s World (1952). Sollte der<br />

originellen Form des Unterrichts, wie Hindemith ihn in Berlin<br />

erteilte, tatsächlich keine Darlegung seiner Konzeption von<br />

pädagogischem Wirken vorausgegangen sein, in einer an pädagogischen<br />

Ideen so reichen und zugleich bedürftigen Zeit? Wenn nicht<br />

alles täuscht, so hat Hindemith seine 1950 in Harvard vorgetragenen<br />

Gedanken über Musikpädagogik im Kern schon vor der<br />

Übersiedlung nach Berlin im Frühjahr 1927 niedergelegt, und zwar<br />

in Gestalt einer kritischen Stellungnahme zum Satzungsentwurf<br />

für eine Staatliche Musikhochschule, deren Gründung damals in<br />

<strong>Frankfurt</strong> geplant war, aber nicht zustande kam. Als Autor der<br />

Stellungnahme figuriert Licco Amar, der Primarius des nach ihm<br />

benannten Streichquartetts, dem Paul Hindemith als Bratschist<br />

angehörte. Dass es sich dabei mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit um eine Fiktion handelt, wird darzulegen sein.<br />

Zunächst jedoch sei auf den Ablauf der Ereignisse eingegangen,<br />

die Hindemith alias Amar veranlassten, Eingaben an den <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Magistrat zu richten. Es handelt sich dabei um Vorgänge, die auch<br />

in <strong>Frankfurt</strong> unbekannt geblieben sind. Die Satzungskritik Hindemiths<br />

hat trotz der inzwischen verstrichenen Jahrzehnte nur wenig<br />

von ihrem Aktualitätswert verloren. Nie hat er sich engagierter zu<br />

musikpädagogischen Fragen geäußert.<br />

Die mit dem Namen Leo Kestenberg verknüpfte Reform des<br />

musikalischen Unterrichtswesens in Preußen ging auch an <strong>Frankfurt</strong><br />

nicht spurlos vorüber. Zur Ausbildung von Musiklehrern nach den<br />

neuen Prüfungsbestimmungen wurden Staatliche Prüfungsausschüsse<br />

und Hochschulen benötigt. Die Absicht des Ministeriums,<br />

die privaten Konservatorien in Köln und <strong>Frankfurt</strong> am Main in<br />

Staatliche Hochschulen umzuwandeln, führte 1925 in Köln zum<br />

Erfolg; in <strong>Frankfurt</strong> hingegen erwies sich die Tradition des als<br />

Stiftung verfassten Hochschen Konservatoriums als hartnäckiges<br />

Hindernis. Angesichts der beschränkten verfügbaren Mittel forderte<br />

Kestenberg eine drastische Reduzierung des Lehrkörpers und die<br />

völlige Abtrennung jeglicher Laienausbildung von der geplanten<br />

Hochschule; außerdem für die Berufung des Direktors und der<br />

Professoren maßgeblichen Einfluss des Ministeriums bei vergleichsweise<br />

bescheidener finanzieller Beteiligung.<br />

Mit dem Statut der Stiftung Dr. Hoch‘s Konservatorium waren<br />

solche Pläne unvereinbar. Aber nicht nur dort stießen sie auf<br />

Widerstand, sondern auch beim <strong>Frankfurt</strong>er Magistrat, der die auf<br />

ihn zukommende Subventionslast durch höhere Staatszuschüsse<br />

gemindert sehen wollte und deshalb hinhaltend taktierte. Kestenberg<br />

suchte daher ab 1924, nachdem das Stiftungskuratorium mit<br />

der Ernennung von Bernhard Sekles zum Direktor vollendete<br />

Tatsachen geschaffen hatte, die Gründung einer vom Hochschen<br />

Konservatorium unabhängigen Hochschule zu erreichen. Das<br />

Institut sollte der Ausbildung von Schulmusikern und Privatmusiklehrern<br />

im Sinne der neuen Prüfungsordnung dienen. Es gelang<br />

ihm, nach mancherlei Schwierigkeiten den <strong>Frankfurt</strong>er Oberbürgermeister<br />

für diesen Plan zu gewinnen. Da die Geltung der alten<br />

Prüfungsbestimmungen bis 1927 unbefristet war, arbeitete die Zeit<br />

für Kestenbergs Idee eines Schul- und Privatmusikseminars in<br />

<strong>Frankfurt</strong>. Im August 1926 beschloss der Magistrat, die Hochschule<br />

spätestens 1928 zu eröffnen. Damit traten inhaltliche und personelle<br />

Fragen in den Vordergrund.<br />

36


Kestenbergs Vorstellungen gingen dahin, dass in <strong>Frankfurt</strong> nicht<br />

lediglich ein Parallelinstitut zu Berlin und Köln entstehen sollte;<br />

vielmehr sollte die <strong>Frankfurt</strong>er Hochschule betont fortschrittlich<br />

gestaltet werden, unter anderem durch Ausbildungsmöglichkeiten<br />

für Bereiche wie Rundfunk-, Film- und Unterhaltungsmusik sowie<br />

für Chorleitung. Durch Einbeziehung dieser Musikzweige erhoffte<br />

er sich eine Hebung des Geschmacks der breiten Masse.<br />

Ein Widersacher Kestenbergs war und blieb der <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Musikdezernent Heinrich Langer. Kestenberg hat ihn gelegentlich<br />

intern als „reaktionär“ bezeichnet. Langer erarbeitete einen<br />

Satzungsentwurf für die Hochschule, der im Februar 1927 dem<br />

Ministerium zugeleitet wurde. Gegen Kestenbergs Plan einer<br />

Hochschulgründung ohne Beteiligung des Hochschen Konservatoriums,<br />

der selbst der Presse verborgen blieb, opponierte Langer<br />

jedoch weiterhin. Die nachstehend zitierten Quellen sind vor dem<br />

Hintergrund von drei Sachkomplexen bzw. Interessenlagen zu<br />

sehen, die sich teilweise überschneiden:<br />

1. dem Versuch Hindemiths, die Donaueschinger Kammermusikfeste<br />

nach <strong>Frankfurt</strong> bzw. nach Bad Homburg zu ziehen;<br />

2. der Zukunft des Amar-Quartetts, das mit Hindemiths Berufung<br />

nach Berlin vor schwerwiegenden Entscheidungen stand. Licco<br />

Amar, Walter Caspar und Maurits Frank sahen – zweifellos im<br />

Einverständnis mit Hindemith – Chancen für eine weitere Existenz<br />

des Quartetts in ihrer Berufung an die zu gründende Hochschule<br />

in <strong>Frankfurt</strong>;<br />

3. dem Bemühen Kestenbergs, Langers Widerstand gegen seine<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Pläne zu überwinden.<br />

Als Teil dieses Bemühens wird man wohl auch einen Besuch<br />

Hindemiths bei Langer im Januar 1927 ansehen dürfen, der wahrscheinlich<br />

auf Wunsch oder Anregung Kestenbergs hin erfolgte.<br />

Im Verlauf dieses Gesprächs zwischen Hindemith und Langer kam<br />

es jedoch zu einer hitzigen Auseinandersetzung, die damit endete,<br />

dass Hindemith die musikalischen Beziehungen zu dem <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Musikdezernenten abbrach. In diesem Bruch dürfte auch der Grund<br />

dafür liegen, dass Hindemith seine Stellungnahme zur Hochschulsatzung<br />

nicht mehr unter eigenem, sondern unter Amars Namen<br />

laufen ließ. Von dem „Krach“ mit Hindemith informierte Langer<br />

den Oberbürgermeister Ludwig Landmann noch am gleichen Tag.<br />

Ausbrüche Hindemiths wie der in dem folgenden Bericht<br />

geschilderte sind auch anderweitig bezeugt; nicht nur in dieser<br />

Beziehung erscheint der Bericht Langers durchaus glaubhaft.<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main, den 8. Januar 1927<br />

Herrn Oberbürgermeister<br />

zur gefl. Kenntnisnahme vorzulegen<br />

Herr Hindemith hat mich heute besucht und mit mir über<br />

verschiedene Fragen (Donaueschinger Musiktage, Musikerausbildung,<br />

Hochschule) gesprochen.<br />

Die Frage der Donaueschinger Musiktage wurde zunächst<br />

nur gestreift. Wir unterhielten uns dann länger über die<br />

Musikerausbildung, über die Herr Hindemith der Auffassung<br />

ist, daß sie zur Zeit sowohl von den Hochschulen als<br />

auch vom Konservatorium falsch vorgenommen würde.<br />

Man dränge bei der Erziehung in der Richtung auf das<br />

Virtuosentum, ohne daß ein entsprechender Bedarf und<br />

ohne daß auch die nötige Zahl entsprechend veranlagter<br />

Individuen vorhanden sei. Er redete einer systematischen<br />

energischen Gebrauchsmusikerausbildung das Wort. In<br />

dieser Beziehung konnte ich mich mit ihm identifizieren.<br />

Ich wies auch auf den von ihm anerkannten Widerspruch<br />

hin, daß die Berliner Zentralstellen einerseits die höchstqualifizierten<br />

Lehrer, die selbst Virtuosen seien, verlangen,<br />

andererseits aber offenbar die mit einem so qualifizierten<br />

Lehrpersonal nicht zu vereinbarende Gebrauchsmusikerausbildung<br />

tendieren. Ich schlug Herrn Hindemith dann vor,<br />

bei dem Versuch des von ihm aufgestellten soeben<br />

skizzierten Programms in <strong>Frankfurt</strong> am Main mitzuwirken.<br />

Er erklärte aber, auf die Errichtung der Hochschule nicht<br />

warten zu können, er habe auch in Berlin bereits fest<br />

abgeschlossen. Die Mitarbeit an dem Hoch-schen Konservatorium,<br />

das ihm begreiflicherweise kein Aequivalent für<br />

die Berliner Hochschule bietet, lehnte er ziemlich offensichtlich<br />

ab. Dagegen schlug er vor, im Anschluß an die<br />

Donaueschinger Musiktage in <strong>Frankfurt</strong> am Main einen<br />

etwa dreimonatigen Kompositionskurs abzuhalten. Da ich<br />

mir hiervon nicht viel versprach, versuchte ich wieder auf<br />

die erste Idee – Mitarbeit am Hochschen Konservatorium,<br />

später an der <strong>Frankfurt</strong>er Musikhochschule – zurückzukommen.<br />

Nunmehr aber nahm das Gespräch eine etwas kritische<br />

Wendung. Herr Hindemith verbreitete sich über allgemeine<br />

Musikfragen und stellte die Behauptung auf, daß die Musik<br />

seit 150 Jahren im Niedergang begriffen sei. Ich gestattete<br />

mir zu widersprechen und erbat eine Beweisführung,<br />

indem ich zugleich auf eine Reihe nicht ganz unbeachtlicher<br />

musikalischer Phänomene, die in den letzten<br />

150 Jahren gelebt haben, hinwies. Ich hatte aber in ein<br />

Wespennest gestochen und erfuhr von Herrn H. nicht die<br />

Begründung seiner Ansichten, die mich sehr interessiert<br />

37


H i n d e m i t h s K o n z e p t i o n e i n e r M u s i k h o c h s c h u l e<br />

hätte, sondern lediglich eine Reihe weiterer Thesen, die<br />

Herr H. nicht ohne persönliche Ausfälle vortrug. Da ich<br />

mich gegen die persönlichen Ausfälle entsprechend zur<br />

Wehr setzte, befanden wir uns bald im schönsten Zank,<br />

aus dem wir uns zwar mit Händedruck, dennoch aber mit<br />

einem von Herrn H. vollzogenen Abbruch der musikalischen<br />

Beziehungen trennten.<br />

Unter diesen Umständen wird es notwendig sein, daß die<br />

Verhandlungen wegen der Heranziehung des Donaueschinger<br />

Musikfestes nach <strong>Frankfurt</strong> am Main von anderer Seite<br />

als von mir aufgegriffen werden.<br />

Langer<br />

Der Bericht lässt erkennen, dass Hindemith schon Anfang Januar<br />

1927 den an ihn ergangenen Ruf als Kompositionsprofessor an die<br />

Berliner Musikhochschule angenommen hatte. Bemerkenswert sind<br />

auch die Anhaltspunkte für tatsächliche oder vorgebliche, jedenfalls<br />

aber verspätete Überlegungen des Musikdezernenten, Hindemith<br />

ans Hochsche Konservatorium zu ziehen, dessen Administration<br />

Langer angehörte. In unserem Zusammenhang interessiert aber vor<br />

allem, dass Hindemith in jenem Gespräch seine Vorstellungen über<br />

die Ausbildung von Musikern mündlich vorgetragen hat und<br />

daraufhin von Langer zur Realisierung seiner Konzeption in<br />

<strong>Frankfurt</strong> aufgefordert wurde. Wäre eine solche Aufforderung früher<br />

an ihn herangetragen worden, so hätte Hindemith ihr vermutlich<br />

gerne Folge geleistet. Da sie aber nach seiner Berliner Zusage<br />

erging, bot sie eher einen Anlass zur Verärgerung, weil ihre<br />

Aufrichtigkeit damit in Frage gestellt war. Dass Hindemith nach wie<br />

vor an <strong>Frankfurt</strong> hing, geht aus dem bisher unbekannten Projekt<br />

eines dreimonatigen Kompositionskurses in <strong>Frankfurt</strong> hervor. Dass<br />

Langer – wie er selbst formuliert – „sich davon nicht viel versprach“,<br />

und das heißt ja wohl, dass er nicht einmal auf den Plan<br />

einging, muss dann jenes Gewitter heraufbeschworen haben, das in<br />

dem Bericht an den Oberbürgermeister so treffend beschrieben ist.<br />

Nach diesem Zerwürfnis trat der zweite der drei oben genannten<br />

Komplexe in den Vordergrund: die Zukunft des Amar-Quartetts.<br />

Langer hätte das Quartett (in veränderter Zusammensetzung) gern<br />

in <strong>Frankfurt</strong> gehalten. In einem Gespräch mit Amar operierte er zu<br />

diesem Zweck mit Andeutungen über die Hochschule. Als Amar<br />

darin konkrete Angebote erkennen wollte, suchte Langer sich gegen<br />

dieses „Missverständnis“ mit dem Hinweis zu verwahren, dass die<br />

Zeit für feste Absprachen noch nicht gekommen sei. Darauf richtete<br />

Amar am 23. April 1927 folgendes Schreiben an Ludwig Landmann:<br />

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!<br />

Gestatten Sie mir, daß ich heute auf unser Gespräch<br />

bezüglich der Musikhochschule zurückkomme. Es ist<br />

nämlich inzwischen ein neues Problem aufgetaucht, das<br />

m.E. in einem gewissen Zusammenhang mit dem <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Musikleben, also auch mit der Hochschule steht. Sie<br />

haben möglicherweise davon gehört, daß durch die<br />

Berufung Paul Hindemiths nach Berlin und den Austritt<br />

Rudolf Hindemiths unser Quartett in seinem Bestehen<br />

gefährdet ist. Wir hätten auch angesichts dieser Schwierigkeiten<br />

unsere Tätigkeit im Laufe des Sommers eingestellt,<br />

wenn uns nicht für die nächste Zeit einige künstlerisch<br />

sehr lockende Angebote gemacht worden wären. Es ist uns<br />

u.a. von der russischen Regierung der Vorschlag gemacht<br />

worden, in Moskau und Leningrad eine Reihe von Konzerten<br />

mit moderner Musik zu veranstalten. Auch sonst<br />

hat die Nachricht vom Aufhören unseres Quartetts einen<br />

bedauernden Widerhall gefunden, so daß wir uns entschlossen<br />

haben, nach einem anderen Cellisten Ausschau<br />

zu halten. Es ist uns auch gelungen, unseren früheren<br />

Kollegen Maurits Frank wieder zu gewinnen. Nun aber<br />

steht Herr Frank mit Berlin in Unterhandlungen bezüglich<br />

einer gewissen Stellung und auch Herr Caspar, unser<br />

zweiter Geiger, hat Aussicht dort angestellt zu werden,<br />

so daß die Gefahr besteht, daß der Schwerpunkt unseres<br />

Quartetts in Zukunft nach Berlin gravitieren wird.<br />

Dadurch wäre auch meine Situation sehr erschwert, denn<br />

ich müßte meine Zeit zwischen Berlin und <strong>Frankfurt</strong> teilen.<br />

Es wäre aber auch ein schlechter Beginn für die Musikhochschule<br />

(welche ja auch einer Konsolidierung des<br />

Musiklebens dienen soll), wenn kurz vor der Eröffnung<br />

dieser Anstalt eine sehr bekannte Vereinigung tüchtiger<br />

Musiker abwandern würde.<br />

Um diese Nachteile zu verhindern, erlaube ich mir Ihnen<br />

folgenden Plan zu unterbreiten. Ich glaube sicher, daß Herr<br />

Frank, der schon früher hier gelebt hat, gerne eine Berliner<br />

mit einer <strong>Frankfurt</strong>er Position vertauschen würde; außerdem<br />

wird es doch nötig sein, für die Hochschule einen<br />

Cellisten von auswärts zu berufen, denn hier ist kein<br />

Vertreter dieses Instruments, der höheren Anforderungen<br />

genügen würde. Daß Herr Frank, der zuletzt Professor am<br />

Konservatorium in Prag war, ein ausgezeichneter Cellist<br />

und Musiker ist, brauche ich wohl nicht besonders zu<br />

betonen. Was Herrn Caspar anbelangt, so würde es wohl<br />

auch unschwer möglich sein, für ihn eine Tätigkeit an der<br />

Hochschule zu finden, denn wir sind auch an Geigern nicht<br />

reich, besonders nicht an solchen, die das Ensemble- und<br />

Kammermusikspiel beherrschen, was bei Herrn Caspar<br />

selbstverständlich durchaus der Fall ist. Die Durchführung<br />

dieses Planes hätte gleicherweise für uns wie für die Stadt<br />

<strong>Frankfurt</strong> den Vorteil, daß unser Quartett nach wie vor<br />

38


Foto: Schott Music GmbH & Co. KG<br />

39 Paul Hindemith Ende der zwanziger Jahre


Foto: Andreas Reeg<br />

Die Kontrabassistin Nicola Vock wähend einer Orchesterprobe im Großen Saal der Hochschule<br />

40


H i n d e m i t h s K o n z e p t i o n e i n e r M u s i k h o c h s c h u l e<br />

seinen Sitz hier behält (denn in diesem Falle würde auch<br />

Paul Hindemith seinen Wohnsitz und Wirkungskreis<br />

teilweise hier beibehalten) und ferner, daß wir, unbehindert<br />

von technischen Schwierigkeiten, unsere doppelte<br />

Tätigkeit als Lehrer und konzertierende Künstler mehr als<br />

bis jetzt in den Dienst des <strong>Frankfurt</strong>er Musiklebens stellen<br />

könnten.<br />

Diese Fragen habe ich kürzlich auch mit Herrn Stadtrat<br />

Langer durchgesprochen, der mir aber sagte, daß die<br />

Hochschule erst am 1. April 1928 eröffnet werden soll und<br />

daß es in Anbetracht einer Reihe verwaltungstechnischer<br />

Schwierigkeiten zur Zeit noch nicht möglich sei, irgendwelche<br />

bindenden Entschlüsse zu fassen. Bei dieser<br />

Gelegenheit habe ich auch Herrn Dr. Langer erklärt, daß<br />

ich, um im Sinne meiner künstlerischen Überzeugung an<br />

der Hochschule wirken zu können, wenigstens innerhalb<br />

meines engeren Bereiches auf die Einrichtung und Leitung<br />

der Anstalt einen gewissen Einfluß haben müßte. Auch<br />

erscheint es mir unbedingt notwendig, daß ich längere Zeit<br />

vor Beginn meiner eigentlichen Tätigkeit einerseits das<br />

gesamte für mein Fach in Betracht kommende Lehrmaterial<br />

gründlich revidiere und auf seine Brauchbarkeit prüfe,<br />

andererseits mit den Lehrern benachbarter Gebiete<br />

Fühlung nehme, um gemeinsam einen möglichst einheitlichen<br />

Gesamtplan festzulegen. Ein solcher ist zum großen<br />

Schaden der Studierenden bis jetzt noch an keiner Anstalt<br />

in Betracht gezogen worden. Diese Fragen müssen noch<br />

vor Eröffnung der Anstalt bearbeitet und geklärt werden,<br />

um sofort ein in künstlerischer und pädagogischer Hinsicht<br />

richtiges Funktionieren des Unterrichts zu ermöglichen.<br />

Ich habe mir erlaubt, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,<br />

im Vorstehenden einige die zukünftige Hochschule,<br />

unser Quartett und meine Person betreffende Probleme<br />

darzulegen, welche alle in einem gewissen Zusammenhang<br />

stehen. Leider befinde ich mich in folgendem Dilemma:<br />

Während die Lösung eines Teiles dieser Fragen (besonders<br />

der mich und das Quartett betreffenden) eine dringliche<br />

ist, scheint nach der Darstellung des Herrn Stadtrat Langer<br />

der Zeitpunkt, an dem konkrete Verhandlungen möglich<br />

sein werden, noch ziemlich entfernt zu sein. Durch diese<br />

Unsicherheit bin ich daran gehindert, gewisse Entschlüsse,<br />

die ich mit Rücksicht auf mich und meine Familie ins Auge<br />

fassen muss, jetzt schon in die Tat umzusetzen. Aber auch<br />

die von mir angestrebte geradlinige Entwicklung der Dinge<br />

scheint mir gefährdet. Aus diesem Grunde erlaube ich mir<br />

Sie zu fragen, ob nach Erwägung der Sachlage vielleicht<br />

irgendwelche Entschlüsse wenigstens prinzipieller Art<br />

vorweggenommen werden könnten, um die oben geschilderten<br />

Nachteile zu vermeiden. Ich glaube nicht fehl<br />

zu gehen, wenn ich annehme, daß Sie, Herr Oberbürgermeister,<br />

an der Klärung der Fragen, welche das künstlerische<br />

Leben <strong>Frankfurt</strong>s betreffen, ein gewisses persönliches<br />

Interesse haben; aus diesem Grunde darf ich wohl<br />

auch der Hoffnung Ausdruck geben, in nächster Zeit über<br />

eine mögliche Lösung dieser Schwierigkeiten persönlich<br />

mit Ihnen sprechen zu dürfen.<br />

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,<br />

den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung<br />

Ihr sehr ergebener Licco Amar<br />

Der Brief ist hier vollständig wiedergegeben worden, um neben<br />

den sachlichen Informationen, die er vermittelt, einen Eindruck von<br />

Amars Sprachstil zu geben, der als Kriterium für die Frage der<br />

Autorschaft der Satzungskritik nicht unwesentlich sein dürfte: eine<br />

überaus gewandte, zuweilen in ihrer Förmlichkeit gewundene<br />

Sprache, wie sie einem Berufsdiplomaten eher als einem Musiker<br />

zuzutrauen wäre. Von der Plastik und floskellosen Direktheit des<br />

Hindemithschen Sprachstils hebt sie sich deutlich ab. Auf die<br />

raffinierte Taktik, mit der der Brief abgefasst ist, soll nicht weiter<br />

eingegangen werden. Ludwig Landmann musste ihn seinem<br />

Musikdezernenten vorlegen. Dessen Stellungnahme war eindeutig<br />

ablehnend: Da die Anstalt noch nicht bestehe, könnten keine<br />

Zusagen gegeben werden; es sei zudem das Verfehlteste, was man<br />

tun könnte, wenn man sich durch irgend jemand … nach irgend<br />

einer Richtung festlegen lassen wollte. Das müßte unterbleiben,<br />

selbst auf die Gefahr des Verlustes des ganzen Amar-Quartetts<br />

hin … Eine Hochschule, die von vornherein im Schlepptau des<br />

Amar-Quartetts segelte und die beinahe nur um des Amar-Quartetts<br />

willen gegründet zu sein schiene, hätte ihren Beruf von<br />

vornherein verfehlt.<br />

Am 31. Mai 1927 wandten sich Licco Amar und der Musikreferent<br />

der <strong>Frankfurt</strong>er Zeitung, Dr. Karl Holl, gemeinsam an den Oberbürgermeister:<br />

Mit größtem sachlichem Interesse verfolgen die Unterzeichneten<br />

die Angelegenheit der Gründung einer Hochschule<br />

für Musik in <strong>Frankfurt</strong> am Main. Sie sind der<br />

Meinung, daß diese Gründung nur dann eine besondere<br />

Bereicherung des Musiklebens bedeutet, wenn bei der<br />

Organisation die Erfüllung derjenigen Forderungen angestrebt<br />

wird, die das veränderte Bedürfnis der neuen Zeit<br />

bezüglich der Ausbildung von Musikern an eine solche<br />

Anstalt stellt. Es müßten nach unserer Meinung von<br />

vornherein konstruktive Richtlinien festgelegt werden, die<br />

eine Arbeit der Anstalt in der bezeichneten Weise garantieren.<br />

Wir haben als Fachleute den Wunsch, zur Sache gehört<br />

zu werden und stellen unserer Kräfte zur Verfügung.<br />

41


H i n d e m i t h s K o n z e p t i o n e i n e r M u s i k h o c h s c h u l e<br />

Als Antwort erhielt Amar am 10. Juni ein Exemplar der Satzung<br />

mit der Bitte, sie auch Karl Holl zugänglich zu machen. Schon am<br />

15. Juni sandte Amar eine ausführliche Stellungnahme an den<br />

Magistrat, der er ein handschriftliches Begleitschreiben beifügte:<br />

Beiliegend erlaube ich mir meine Bemerkungen zu dem<br />

Entwurf einer Satzung für die Hochschule für Musik zu<br />

übersenden. Ich bitte darum, dieselben so bald wie<br />

möglich auch dem Herrn Oberbürgermeister vorzulegen.<br />

Zu weiteren schriftlichen oder mündlichen Ausführungen<br />

bin ich jederzeit gern bereit. Herr Dr. Holl ist bis Ende<br />

dieser Woche verreist; nach seiner Rückkehr werde ich ihn<br />

bitten auch seinerseits in dieser Angelegenheit Stellung<br />

zu nehmen.<br />

Mit vorzüglicher Hochachtung,<br />

Licco Amar<br />

Dem Text der Stellungnahme seien zunächst diejenigen Paragraphen<br />

vorangestellt, auf die Bezug genommen wird.<br />

§ 1<br />

Die Hochschule für Musik in <strong>Frankfurt</strong> am Main bezweckt die<br />

allseitige höhere Ausbildung für sämtliche Gebiete der Musik wie<br />

der darstellenden Kunst. Die Hochschule zerfällt in:<br />

a eine Abteilung für Kirchenmusik für die Ausbildung von<br />

Organisten und Chordirigenten,<br />

b eine Abteilung für Schulmusik für die Vorbereitung auf das<br />

künstlerische Lehramt an höheren Lehranstalten,<br />

c eine Ensembleschule für die Heranbildung von Orchester- und<br />

Kammermusikern aller Instrumente<br />

d eine Abteilung für Musiktheorie, Komposition, Stilgeschichte der<br />

Musik, Musikinterpretation,<br />

e eine Abteilung für Kapellmeisterausbildung,<br />

f eine Abteilung für Instrumentalmusik mit Unterabteilung für<br />

1 Klavier, Cembalo, Orgel<br />

2 Violine<br />

3 Violoncello<br />

4 Sonstige Orchesterinstrumente<br />

g eine Abteilung für Gesang,<br />

h eine Abteilung für darstellende Kunst (Opernschule),<br />

rhythmische Bewegung und Musik.<br />

In allen Abteilungen wird sowohl für ausübende Kunst wie für<br />

Lehrberuf ausgebildet.<br />

§ 4<br />

Dem Kuratorium gehören an:<br />

3. … Stadtverordnete,<br />

4. Förderer der Hochschule, die auf die Dauer von 4 Jahren vom<br />

Oberbürgermeister berufen bzw. von der Stadtverordnetenversammlung<br />

gewählt werden.<br />

b Mit beratender Stimme:<br />

1. Der Direktor<br />

2. … ein Vertreter des Provinzialschulkollegiums<br />

3. … je ein Vertreter der Kirchen … soweit Fragen der<br />

Kirchenmusik zur Erörterung stehen.<br />

§ 5<br />

Der Lehrkörper …<br />

Die Pflichtstundenzahl der Hauptfachlehrer beträgt grundsätzlich<br />

18–24 Wochenstunden.<br />

§ 6<br />

Die Lehrer haben den ihnen übertragenen Unterricht nach den vom<br />

Direktor aufgestellten allgemeinen Richtlinien und nach Maßgabe des<br />

Stundenplans zu erteilen und hierin, wie in allen übrigen dienstlichen<br />

Beziehungen den Anordnungen des Direktors sich zu fügen. …<br />

§ 11<br />

Aufnahmeprüfung …<br />

Theorie: Aussetzen eines schwierigen bezifferten Basses; Harmonisieren<br />

einer gegebenen Melodie. …<br />

Hauptfach Violine: Studienwerke von Rode und Kreutzer sowie<br />

Konzerte etwa in der Schwierigkeit von Mozart G-Dur und der<br />

leichteren Viotti-Konzerte ohne wesentliche Verstöße zu spielen …<br />

§ 14<br />

Die Schüler sind verpflichtet, bei den Aufführungen der Hochschule<br />

mitzuwirken …<br />

Die Stellungnahme hat folgenden Wortlaut:<br />

Der vorliegende Entwurf unterscheidet sich in keiner Weise<br />

von den Satzungen anderer Anstalten und besagt nichts über<br />

das Wesen einer Musikhochschule mit „neuen Zielen“. Es<br />

wäre bestimmt vorteilhafter gewesen, zuerst von den interessierten<br />

Fachleuten neue künstlerische und pädagogische<br />

Richtlinien feststellen zu lassen und dann auf Grund dieser<br />

Ideen die äußere Gliederung der Anstalt vorzunehmen.<br />

Angesichts dieses Versäumnisses bleibt nichts anderes übrig,<br />

als an den einzelnen Paragraphen nachzuweisen, inwiefern<br />

die vorliegenden Satzungen im Widerspruch zu den heute als<br />

zweckentsprechend geltenden Erziehungsprinzipien stehen.<br />

a<br />

1. Der Oberbürgermeister als Vorsitzender,<br />

2. … Magistratsmitglieder,<br />

42


ad § 1<br />

Es wäre zu erwägen ob die Errichtung einer besonderen<br />

Kirchenmusikabteilung notwendig ist angesichts des<br />

Umstandes, daß das Bedürfnis in dieser Hinsicht durch<br />

bereits anderweitig bestehende Anstalten gedeckt wird.<br />

Kapellmeisterklassen als solche sind vollkommen unzweckmäßig.<br />

Die Ausbildung des Kapellmeisters muß<br />

genauso erfolgen, wie die eines jeden anderen Musikers;<br />

lediglich auf einer sehr hohen Stufe kann eine diesbezügliche<br />

Spezialisierung in Betracht gezogen werden. Daher<br />

erübrigt sich eine besondere Abteilung, es kommt höchstens<br />

der eine oder andere Spezialkurs in Frage. Die wahre<br />

Schule des Kapellmeisters ist das Theater, wo er sich als<br />

Korrepetitor die nötigen praktischen Kenntnisse aneignen<br />

muß. Überdies ist kein Zweig des Musikbetriebs so<br />

überfüllt von Unberufenen wie dieser. Es soll übrigens<br />

grundsätzlich jeder Studierende zur Leitung größerer oder<br />

kleinerer Ensembles herangezogen werden.<br />

Opernschulen gehören nicht an eine Musikhochschule<br />

sondern an eine Theaterschule. In der Kunstgattung Oper<br />

ist die Musik eine „angewandte“ Kunst.<br />

Was nun die Trennung der Ensemble-Abteilung von der<br />

Instrumental-Abteilung betrifft, ebenso die isolierte<br />

Stellung der Theorie, so ist zu bemerken, daß eine solche<br />

Trennung in der Praxis nicht durchführbar ist. Es gibt<br />

keinen Instrumentalisten, der vom Ensemble-Unterricht<br />

ausgeschlossen werden kann, und umgekehrt. Die getrennte<br />

Handhabung des theoretischen Unterrichts ist<br />

sogar der größte Schaden, den unser heutiges Erziehungswesen<br />

aufweist. Der von vornherein getrennte Unterricht<br />

dieser Wissensgebiete hat nicht nur im Erziehungswesen,<br />

sondern auch im gesamten Musikbetriebe zu den verhängnisvollen<br />

Zuständen geführt, die es zu ändern gilt. Diese<br />

Fächer müssen im Unterricht so kombiniert werden, daß<br />

sie sich sämtlich in einem Brennpunkt treffen. Der auf<br />

diese Art zu Stande kommende Lehrplan sieht ungefähr<br />

so aus: Den Rückgrat des Unterrichts bilden alle Arten von<br />

Ensemble-Übungen, welche zu gleicher Zeit praktisch und<br />

theoretisch durchgeführt werden. Da zu allen Zeiten<br />

sämtliche musikalischen Erscheinungsformen durch das<br />

Zusammenwirken mehrerer musikalischer Einzelstimmen<br />

bedingt werden und, rein äußerlich gesehen, die überwältigende<br />

Mehrzahl aller Werke für kleinere oder größere<br />

Instrumental- oder Vokalgruppen geschrieben worden<br />

sind, so können umfassend fundierte musikalische Kenntnisse<br />

nur auf dem Wege des Zusammenspiels erworben<br />

werden. Zu gleicher Zeit mit der praktischen Bewältigung<br />

erfolgt die theoretische Beleuchtung der jeweiligen<br />

Materie. Denn ohne die geistige Erkenntnis der Struktur<br />

der Werke ist eine sinngemäße Interpretation und die<br />

Schulung des musikalischen Denkens, auf die es beim<br />

Unterricht ankommt, unmöglich. Mit der Einführung dieses<br />

Unterrichtsprinzips wird ein neues Bildungsideal eingeführt,<br />

welches unseren veränderten Anschauungen auf<br />

dem Gebiet der Musik entspricht. Bis heute werden alle<br />

Musikstudierenden durch das Überwiegen der rein instrumentalen<br />

Leistungen zu mehr oder weniger fähigen<br />

Virtuosen herangebildet, nicht zu Musikern.<br />

Aus diesen kurzen, grundsätzlichen Bemerkungen folgt<br />

schon, daß die Lehrer der musikalischen Praxis und Theorie<br />

auf die engste Zusammenarbeit angewiesen sind. Bis jetzt<br />

haben sie ohne einander, ja gegen einander gearbeitet,<br />

was schließlich für unsere gesamte Musikanschauung<br />

verhängnisvoll wurde.<br />

Neben diesem zentralen Lehrgang, der die praktische und<br />

theoretische Erfassung aller wesentlichen musikalischen<br />

Fragen zum Ziele hat, geht parallel einerseits die instrumentale<br />

Ausbildung, die rationell umgestaltet werden<br />

muß, um Umwege zu vermeiden und Kraft zu sparen;<br />

andererseits der spezielle Theorieunterricht, der natürlich<br />

in seinen Methoden und Zielen gleichfalls der Denkungsart<br />

unseres Zeitalters angepaßt werden muß. Je nach der<br />

Veranlagung des Schülers wird das Hauptgewicht mehr auf<br />

eine praktische (instrumentale) oder theoretische Ausbildung<br />

gelegt, Spezialisierungen werden erst spät in Betracht<br />

gezogen, um später sich rächende Einseitigkeit in<br />

der Ausbildung zu vermeiden. Selbstverständlich kommen<br />

neben diesem Hauptlehrgang noch Nebenfächer in Frage.<br />

Weitere Konsequenzen dieses Unterrichts folgen an<br />

anderer Stelle.<br />

Die äußere Gliederung der Anstalt ergibt sich in obigem<br />

Sinne automatisch. Eine Anzahl ungefähr auf derselben<br />

Stufe stehender Schüler (Geiger, Pianisten, Cellisten,<br />

Bläser) werden unter der Leitung eines praktischen und<br />

theoretischen Lehrers zu einer Klasse zusammengeschlossen.<br />

Die Gruppierung im einzelnen geschieht je nach dem<br />

zur Verfügung stehenden Schülermaterial. Gelegentlich<br />

können sich auch mehrere Klassen zu gemeinsamen<br />

Übungen (Orchester) zusammenschließen.<br />

ad § 4 sub a 4.<br />

Es ist zu erwägen, ob den „Förderern“ nicht anderweitige<br />

ehrende Kompensationen für materielle oder andere Opfer<br />

gewährt werden können. Der Einfluß nicht beamteter<br />

Laien, die im Gegensatz zu den Magistratsmitgliedern usw.<br />

keinerlei Verantwortung tragen, äußert sich innerhalb<br />

derartiger Körperschaften oft verhängnisvoll durch eine<br />

allzu persönliche Einflußnahme auf den Gang der Dinge.<br />

zu b<br />

Die Stellung des Direktors bzw. stellvertretenden Direktors<br />

ist in dieser Hinsicht auch nach außen zu stärken, denn sie<br />

tragen ja die volle Verantwortung für das Gedeihen der<br />

Anstalt. Eine beratende Stimme, die vom Kuratorium unter<br />

Umständen außer Acht gelassen werden kann, genügt nicht.<br />

43


Das Amar-Quartett Ende der<br />

zwanziger Jahre: Licco Amar,<br />

Walter Caspar, Maurits Frank,<br />

Paul Hindemith (v.l.n.r.)<br />

Foto: Hindemith Institut <strong>Frankfurt</strong><br />

ad § 5<br />

Was die Pflichtstundenzahl betrifft, so ist es durchaus<br />

falsch, eine solche festzusetzen. (Wie sollen übrigens im<br />

Hauptfach 24 Wochenstunden zusammenkommen, wenn<br />

jeder Schüler nur 1 Stunde wöchentlich erhält?) Es muß<br />

jedem Lehrer freistehen, sich so lange mit seinen Schülern<br />

zu beschäftigen, wie deren Eigenart und die Art des<br />

betreffenden musikalischen Lehrstoffes es erfordert, und<br />

zwar ebenso einzeln wie klassenweise. Die Einhaltung<br />

eines bestimmten Stundenplanes ist trotzdem möglich.<br />

Bei dem in spärliche Stunden eingeteilten Unterricht<br />

begibt sich der Lehrer jedes persönlichen Kontaktes,<br />

obwohl dieser doch Anfang und Ende aller pädagogischen<br />

Weisheit ist. Der möglichst ausgedehnte persönliche<br />

Einfluß zeitigt die besten Ergebnisse so wie auch alle<br />

bedeutenden wissenschaftlichen und künstlerischen<br />

„Schulen“, angefangen bei den alten Stoikern des alten<br />

Griechenland, bis zu Busoni und Schönberg und vielen<br />

anderen aus den oben erwähnten „Klassen“ entstanden<br />

sind. Diese höchst persönliche und der Individualität des<br />

Schülers Rechnung tragende Form des Unterrichts findet<br />

seine Begrenzung nur in der Anzahl der Schüler. Auf dem<br />

Gebiete der bildenden Kunst wird dieses Prinzip gleichfalls<br />

wieder angewendet (Meisterateliers). Bis zu den letzten<br />

Konsequenzen ist es durchgeführt in den Landschulheimen,<br />

wo Lehrer und Schüler in sogenannten „Familien“<br />

vollkommen zusammenleben. Hier sei noch folgendes<br />

bemerkt: Das engere Zusammenwirken zwischen Theorielehrer<br />

und praktischem Lehrer einerseits und dem Schülerkreise<br />

andererseits wird eine weitere Konsequenz zeitigen,<br />

nämlich die allmähliche Schaffung eines vollständig neuen,<br />

zeitgemäßen Studienmaterials. Das bisherige ist für uns<br />

unbrauchbar geworden. Wir sind in Zukunft größtenteils<br />

auf ad hoc, aus der gegebenen Situation heraus konstruierte<br />

theoretische sowohl wie praktische Beispiele und<br />

Übungen angewiesen. Dieses von den Lehrern zusammen<br />

mit den Schülern hervorgebrachte Übungsmaterial ergibt,<br />

gesichtet und geordnet, die Studienliteratur der späteren<br />

Zukunft.<br />

44


H i n d e m i t h s K o n z e p t i o n e i n e r M u s i k h o c h s c h u l e<br />

ad § 6<br />

Allgemeine Richtlinien für den Unterricht können nur<br />

durch die kollektive Arbeit der Lehrer festgestellt werden.<br />

Angesichts der Mannigfaltigkeit der musikalischen<br />

Wissensgebiete und der fortschreitenden Spezialisierung<br />

ist es unmöglich, daß eine einzelne, noch so vielseitige<br />

Persönlichkeit auch nur allgemeine Richtlinien für alle Fälle<br />

aufstellt. Dagegen empfiehlt es sich, daß die Lehrer der<br />

verschiedenen Fächer sich über die Art der Zusammenarbeit<br />

im vorhinein und periodisch wiederholt verständigen.<br />

Damit würde der unhaltbare Zustand, den wir heute haben,<br />

nämlich das Fehlen eines einheitlichen Planes in der<br />

Durchbildung des Schülers, verschwinden. Dieser Lehrplan<br />

kann, wie gesagt, nicht dem Kopfe eines einzelnen<br />

entspringen und dauernd von ihm reguliert werden.<br />

ad § 11<br />

Sämtliche in diesem Paragraphen aufgeführte Kriterien zur<br />

Beurteilung der Fähigkeiten und Kenntnisse des aufzunehmenden<br />

Schülers sind verfehlt. Es ist hier nicht möglich<br />

aufzuführen, warum bezifferte Bässe, Auswendigspielen,<br />

die Beherrschung dieser oder jener Etüden und Werke von<br />

höchst zweifelhaftem Wert, für uns heute unwichtige, ja<br />

sinnlose Dinge geworden sind. Es ist überhaupt fraglich,<br />

ob es mit Hilfe noch so sorgfältiger Stichproben möglich<br />

ist, die wirkliche Eignung eines Schülers festzustellen.<br />

Man bedenke überdies, wie unzureichend die allermeisten<br />

Schüler überhaupt vorgebildet sind. An die Stelle dieses<br />

allgemein verworfenen Verfahrens muß treten: 1) eine<br />

eingehende und wohlwollende persönliche Beschäftigung<br />

der beteiligten Lehrer mit dem Schüler; 2) eine zwei- bis<br />

vierwöchige Probezeit, nach deren Ablauf erst die Entwicklungsfähigkeit<br />

beurteilt werden kann.<br />

ad § 14<br />

Die Gefahr öffentlicher Schüleraufführungen besteht darin,<br />

daß sie in eine mindere Nachahmung des Konzertbetriebs<br />

ausarten. Das „konzertreife“ Einstudieren einzelner Werke<br />

hat mit dem eigentlichen Unterrichtszweck nichts zu tun,<br />

raubt eine lange Zeit und gibt überdies kein wahres Bild<br />

von dem Können eines Schülers. Am besten ist diese Frage<br />

zu lösen, indem die Einrichtung getroffen wird, daß die<br />

Schüler mit oder ohne Mitwirkung der Lehrer periodisch<br />

vor ihren Kollegen, der Lehrerschaft und einer kleineren<br />

Zahl anderweitiger Interessierter musizieren.<br />

In vorstehenden notgedrungen kurzgefaßten Ausführungen<br />

sind die Paragraphen fast nur insofern berücksichtigt<br />

worden, als sie mit dem Geiste des Musikunterrichts<br />

selbst zu tun haben. Der Stand des musikalischen Bildungsideals,<br />

dem die vorliegenden Satzungen entsprechen, ist<br />

der von 1880 und in jeder Hinsicht vollkommen überholt<br />

und für unsere Bedürfnisse in keiner Weise zweckentsprechend.<br />

Soll auf dem Gebiete der Musikerziehung ein<br />

Schritt vorwärts getan werden, so ist es unumgänglich<br />

nötig, in dem oben kurz angeführten Sinne eine grundlegende<br />

Änderung aller diesbezüglicher Tendenzen vorzunehmen,<br />

da andernfalls die dringende Gefahr eines<br />

Zusammenbruchs unserer Musikkultur innerhalb der<br />

nächsten 20 Jahre besteht.<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main, 12. Juni 1927<br />

Licco Amar<br />

Der zentrale Gedanke dieser Kritik, aus dem sich alle Details<br />

ergeben, ist die Ablehnung des Spezialistentums in der musikalischen<br />

Ausbildung, das sich in der Trennung von Theorie und<br />

Praxis, aber auch in der Trennung von Instrumentalspiel und<br />

Dirigieren etabliert hat. An seine Stelle soll eine musikalische<br />

Werkstattarbeit treten, in der jeder an allem teilhat. Dass dies<br />

der Gedanke ist, nach dem Hindemith selbst unterrichtet hat, ist<br />

allgemein bekannt. Schon daraus wird man zumindest auf seine<br />

Beteiligung an der Niederschrift dieser Themen schließen dürfen.<br />

Es gibt aber darüber hinaus Grund genug, Hindemith nicht nur<br />

als Mitautor, sondern als Autor anzusehen. Der lapidare, vor allem<br />

gegen Ende geradezu rücksichtslose Ton dieser Kritik hat mit der<br />

formvollendeten Höflichkeit, in der Amar an den Oberbürgermeister<br />

schreibt, nichts mehr gemein. Einzelne Passagen kehren überdies<br />

fast wörtlich in späteren Schriften Hindemiths wieder. Dem auf<br />

§ 1 bezüglichen Satz „Den Rückgrat des Unterrichts bilden alle Arten<br />

von Ensemble-Übungen, welche zu gleicher Zeit praktisch und<br />

theoretisch durchgeführt werden“ entspricht folgende Formulierung<br />

im 9. Kapitel von Komponist in seiner Welt: „Die Übung in der<br />

praktischen Musik würde dann wieder zum Rückgrat der Unterweisung<br />

werden, eine Kompositionslehre als abgesonderten Unterrichtszweig<br />

würde es dann nicht mehr geben“ … Bei engster inhaltlicher<br />

Beziehung zu späteren einschlägigen Äußerungen Hindemiths<br />

wird jedoch auch ein gegensätzliches Moment spürbar: Gegenüber<br />

dem optimistischen Elan, mit dem Hindemith hier sein Bild von<br />

der Ausbildung junger Musiker zeichnet, wirkt die Einleitung zur<br />

Unterweisung im Tonsatz eher nüchtern, das 9. Kapitel von<br />

Komponist in seiner Welt geradezu skeptisch-pessimistisch. Von<br />

der Ernüchterung jahrzehntelanger pädagogischer Erfahrung, wie<br />

sie sich in den irrealen Konjunktiven des letzten Zitats ausspricht,<br />

ist der Zweiunddreißigjährige noch frei. Das Feld der Pädagogik<br />

liegt offen vor ihm. Von daher rührt wohl auch der große Zug, in<br />

dem der Text niedergeschrieben zu sein scheint, und der Schwung,<br />

mit dem Hindemith seine Kritik an altmodischen Satzungsbestimmungen<br />

ins Positive wendet und zum Entwurf einer neuen Hochschulpädagogik<br />

gestaltet.<br />

45


H i n d e m i t h s K o n z e p t i o n e i n e r M u s i k h o c h s c h u l e<br />

Gibt es einen Anteil Licco Amars an diesem Dokument? Selbst<br />

wenn man voraussetzt, dass er aus Gesprächen Hindemiths<br />

musikerzieherische Intentionen kannte und sie sich vielleicht sogar<br />

teilweise zu eigen machte, wird man bezweifeln müssen, dass er<br />

sie in derart profilierter Form hätte vortragen können, zumal in der<br />

Stellungnahme für Amar relativ abseits liegende, für Hindemith<br />

aber zentrale Fragen wie das Verhältnis von Theorie und Praxis,<br />

die Schulung des Komponisten am Ensemble-Musizieren oder gar<br />

Kompositionsschulen wie die Busonis oder Schönbergs erörtert<br />

werden.<br />

Für Hindemiths Autorschaft spricht ferner die Erwähnung der<br />

„Familien“ von Schülern und Lehrern in den Landschulheimen. Sie<br />

fußt zweifellos auf den Eindrücken, die Hindemith wenige Monate<br />

zuvor auf Schloss Bieberstein in der dortigen Hermann-Lietz-Schule<br />

gewonnen hatte. Die Gründe ließen sich vermehren; erwähnt sei<br />

hier nur noch, dass Amar bekannt war als ein Mensch, der zur<br />

„Raubeinigkeit“ Hindemiths eine spürbare Distanz hielt. Der heftige<br />

Ton, in dem die Stellungnahme schließt, passt schlechterdings<br />

nicht zu der ausgesuchten Höflichkeit, in der Amars Briefe an den<br />

Magistrat sonst abgefasst sind; er konnte auch seiner Kandidatur<br />

für die Stelle des Direktors bzw. für eine Violinprofessur an der<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Hochschule kaum förderlich sein. Wenn es aber zutrifft,<br />

dass Amar mit nicht (oder allenfalls zu geringen Teilen) von ihm<br />

selbst verfassten Schriftstücken gegenüber dem Magistrat<br />

operierte, so stellt sich die Frage, ob er dies aus freien Stücken –<br />

etwa im Interesse seiner Bewerbung – tat oder auf Drängen<br />

Hindemiths oder eines Dritten. Der weitere Verlauf der Ereignisse<br />

scheint zu bestätigen, dass Amar die Rolle eines „Strohmannes“<br />

spielte. Anfang Juni 1927 regte er bei Oberbürgermeister Landmann<br />

eine Konferenz führender musikalischer Persönlichkeiten an,<br />

die Richtlinien für die geplante Hochschule entwickeln sollte.<br />

Teilnehmer des Gespräches vom 28. Juli waren Ernst Toch, Hugo<br />

Holle, Licco Amar, Karl Holl, Leo Kestenberg und als Vertreter der<br />

Stadt Ludwig Landmann und Heinrich Langer. Nicht erschienen<br />

waren Alfred Einstein und Günter Ramin. Das knappe, von Heinrich<br />

Langer verfasste Protokoll verzeichnet Einhelligkeit darüber, dass<br />

der Neuen Musik in der Hochschule Raum gegeben werden müsse.<br />

Es schließt mit einem Satz, aus dem man vielleicht entnehmen<br />

kann, dass Heinrich Langer sich der Scheinrolle Amars klar war:<br />

„Weitere Einzelwünsche konnte der Anreger der Konferenz trotz<br />

Aufforderung nicht vorbringen.“ Der Unterschied zwischen der<br />

inhaltsreichen Satzungskritik und einer offenbar wesentlich<br />

geringeren mündlichen Beredsamkeit ihres vorgeblichen Verfassers<br />

scheint demnach aufgefallen zu sein. Von einer Kandidatur Amars<br />

war nach dieser Konferenz nicht mehr die Rede. Damit war ein Plan<br />

gescheitert, an dem Hindemith sicher maßgeblich beteiligt war –<br />

zumindest mit der Kritik an der Hochschulsatzung. Aber auch<br />

Leo Kestenbergs Kandidat, Hans Mersmann, kam nicht zum Zuge.<br />

Die wachsende Verschuldung der Stadt und die Wirtschaftskrise<br />

führten 1929 zur vorläufigen Aufgabe des Projekts. Der Preußische<br />

Kultusminister strich in diesem Jahr jene 25.000 Mark aus seinem<br />

Etat, die er seit 1924 vergeblich bereitgestellt hatte, um sich an den<br />

Kosten einer <strong>Frankfurt</strong>er Musikhochschule zu beteiligen.<br />

Zu ergänzen bleibt, dass sich noch eine weitere Denkschrift über<br />

die Gestaltung der <strong>Frankfurt</strong>er Musikhochschule bei den Magistratsakten<br />

findet, die gleichfalls Licco Amar zugeschrieben wird.<br />

In diesem Falle ist es jedoch offenkundig, auf wen diese Zuschreibung<br />

zurückgeht. Das 13 Schreibmaschinenseiten umfassende<br />

Dokument trägt auf seiner ersten Seite von der Hand Paul Hindemiths<br />

die Bleistifteintragung „Amar-Vorschläge“. Da es weder<br />

datiert noch unterzeichnet ist und Begleitschreiben wie Bestätigung<br />

fehlen, dürfte es dem Oberbürgermeister persönlich übergeben<br />

worden sein. Bearbeitungsvermerke mit der Paraphe Landmanns<br />

stammen vom 3. und 4. März sowie vom 4. Juni (1927). Musikgeschichtliche<br />

Erwägungen spielen in dieser Denkschrift eine<br />

erhebliche Rolle. Daraus und aus dem Umstand, dass sie auf der<br />

gleichen Schreibmaschine wie der oben erwähnte gemeinsame<br />

Brief von Licco Amar und Karl Holl geschrieben ist, darf man<br />

vielleicht auf Holl als Autor (oder Mitautor) schließen. Obwohl<br />

gedankliche Beziehungen zu Hindemiths Satzungskritik gelegentlich<br />

anklingen, stammt die Formulierung des Textes mit Sicherheit<br />

nicht von ihm. Dass er ihn als „Amar-Vorschläge“ ausgab, entspricht<br />

dem bei der Satzungskritik angewandten Verfahren. Mit<br />

beiden Schriftstücken sollte Licco Amar ein Platz an der <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Musikhochschule geschaffen werden – nach Möglichkeit die Stelle<br />

des Direktors. Wenn auch diese Absicht ebenso scheiterte wie<br />

Kestenbergs <strong>Frankfurt</strong>er Hochschulpläne, so verdanken wir ihr doch<br />

eine der fesselndsten und wichtigsten Äußerungen Hindemiths zur<br />

Musikpädagogik. Sie verdient, dem Aktenstaub entrissen zu<br />

werden.<br />

Autorisierte Wiederveröffentlichung aus:<br />

Hindemith-Jahrbuch 1977/VI, Mainz: Schott-Verlag 1978,<br />

S. 148–172; Literatur- und Quellennachweise siehe dort.<br />

46


ZUSAMMEN GEHT MEHR.<br />

Wir gratulieren der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main zum 75-jährigen Jubiläum.<br />

Seit 75 Jahren steht die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main für die exzellente<br />

Förderung des künstlerischen Nachwuchses. Wir freuen uns, zum Kreis der Förderer zu gehören<br />

und die <strong>HfMDK</strong> in ihrer Arbeit zu unterstützen. Denn zusammen geht mehr. » www.dzbank.de<br />

47


D i e H o c h s c h u l e i n Z a h l e n<br />

942Studierende, Stand: WS 2012/13 69Professoren 362<br />

Lehrbeauftragte<br />

9 Lehrkräfte für besondere<br />

Aufgaben 56Nationalitäten in der Studentenschaft<br />

über 8.000 Grundschulkinder,<br />

die die <strong>HfMDK</strong> über ihr Singpro-<br />

23 jekt „Primacanta“ bislang erreicht hat 800.000Euro Fundraising-Volumen jährlich<br />

Studiengänge<br />

250 Mitglieder der Gesellschaft der Freunde und Förderer der <strong>HfMDK</strong> 10.000Eintrittskarten in jährlich 100 eintrittspflichtigen<br />

Veranstaltungen Veranstaltungen der <strong>HfMDK</strong> jährlich zeitgleich laufende Promotionen<br />

450 42<br />

593 12 80 Presseveröffentlichungen im Jahr 2012 130Flügel 65Klaviere Orgeln Prozent-Anteil des<br />

350 Einzelunterrichts am Gesamtunterrichtsvolumen<br />

Vermittlungen von „Muggen“ durch die hochschuleigene Künstlerbörse jährlich<br />

34.659 501Bewerber auf 8 Schauspiel-Studienplätze (WS 2012/13)<br />

ausgegebene warme Mahlzeiten in der<br />

13,5 Mensa in 2012 Mio. Euro Jahresetat 2011 115.000Medien in der Bibliothek<br />

2.000 6.229 Neuanschaffungen von Bibliotheksmedien jährlich Quadratmeter fehlender Raum in der jetzigen<br />

Hochschule 827absolvierte Aufnahmeprüfungen insgesamt für das Wintersemester 2012/13<br />

48


1938 1944 Gründung der Staatlichen Hochschule für Musik <strong>Frankfurt</strong> a.M.<br />

Schließung der Hochschule nach<br />

Zerstörung des Hochschulgebäudes durch Bombenangriffe1947 Wiederaufnahme des Lehrbetriebs der Hochschule<br />

1954 1956 Gründung der Opernschule Umzug der Hochschule in das ehemalige Funkhaus des Hessischen<br />

1960 1961 Rundfunks am heutigen Standort Gründung der Schauspielabteilung<br />

Gründung der Tanzabteilung<br />

1989 1990 Die <strong>HfMDK</strong> erlangt Promotionsrecht Der Neubau, heutiges Hauptgebäude, wird seiner Bestimmung<br />

1993 übergeben Fertigstellung des Neubaus der Hochschulbibliothek 2001Die Hochschule strukturiert den<br />

Bereich der Lehre neu und konstituiert drei Fachbereiche<br />

2002 Die Hessische Theaterakademie wird gegründet<br />

2003 2007 Die Hochschule gründet einen Hochschulrat als beratendes Gremium<br />

Die Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V. wird gegründet<br />

2008 Die <strong>HfMDK</strong><br />

erweitert ihr Lehramts-Studienangebot um die Bereiche Grundschul-, Real- und Hauptschullehramt sowie Sonderpädagogik<br />

2011Die <strong>HfMDK</strong> erhält den Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre für das Unterrichtskonzept der Gesangsabteilung<br />

2013Die <strong>HfMDK</strong> setzt den 2012 gestarteten LEITBILD_prozess fort und feiert ihr 75-jähriges Bestehen<br />

49


„WIR WOLLEN STUDIERENDEN DEN RAUM GEBEN,<br />

SICH ZU STARKEN PERSÖNLICHKEITEN ZU ENTWICKELN“<br />

Interview mit den drei Dekaninnen Catherine Vickers, Henriette Meyer-Ravenstein<br />

und Marion Tiedtke sowie dem Hochschulpräsidenten Thomas Rietschel<br />

Im Jubiläumsjahr stehen drei Professorinnen den drei Fachbereichen<br />

der Hochschule vor: Die Pianistin Catherine Vickers ist<br />

Dekanin für den Fachbereich 1, der die Studiengänge Künstlerische<br />

Ausbildung (Instrumentalausbildung und Dirigieren), Instrumentalund<br />

Gesangspädagogik, Kirchenmusik und Historische Interpretationspraxis<br />

umfasst. Die Sängerin Henriette Meyer-Ravenstein steht<br />

dem Fachbereich 2 – Lehrämter, Wissenschaft und Komposition –<br />

vor, während die Dramaturgin Marion Tiedtke als Dekanin und<br />

Ausbildungsdirektorin im Fachbereich 3 – Darstellende Kunst – tätig<br />

ist. Sie stellten sich gemeinsam mit Hochschulpräsident Thomas<br />

Rietschel in einem Interview den Fragen, welchen Chancen und<br />

Herausforderungen sich die Hochschule im Jahr ihres 75-jährigen<br />

Bestehens gegenübersieht.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Herr Rietschel, beschreiben Sie Eigenschaften,<br />

die die Hochschule im Jahr 2013 auszeichnen und lebendig halten.<br />

Thomas Rietschel Zunächst einmal: Unsere Hochschule bildet sehr<br />

erfolgreich aus – das belegen nicht nur die beiden 1. Preise im<br />

hessischen Exzellenzwettbewerb für herausragende Lehre, die 2011<br />

und 2012 an Lehrende der <strong>HfMDK</strong> vergeben wurden. Bei diesen<br />

Preisen, die höchstdotierten Lehrpreise in Deutschland, konnte sich<br />

die <strong>HfMDK</strong> gegen alle hessischen Universitäten und Fachhochschulen<br />

durchsetzen, die sich ebenfalls beworben hatten. Ein weiteres<br />

objektives Kriterium für unsere gute Arbeit ist die Vermittlung der<br />

Absolventen auf feste Stellen bzw. in eine berufliche Sicherheit und<br />

ihre Vielzahl an Preisen und Erfolgen bei Wettbewerben und<br />

Stipendien. Zudem ist die Hochschule inzwischen ein wichtiger<br />

Teil des Kulturlebens in Hessen: Sie ist an ganz vielen Stellen, wo<br />

perspektivisch nach vorn gedacht wird, mit dabei. Zwei passende<br />

Beispiele dafür sind die Hessische Theaterakademie, die ihren Sitz<br />

an der <strong>HfMDK</strong> hat, und das <strong>Frankfurt</strong> LAB als ein Ort mutigen,<br />

experimentierfreudigen und spartenübergreifenden Miteinanders,<br />

an dem die Hochschule zentral beteiligt ist. Von uns gehen viele<br />

Impulse aus, die die Zukunft unseres Kulturlebens im Blick haben.<br />

FiT Der künstlerische Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten<br />

drastisch verändert. Die Öffnung des Ostens, die zunehmende<br />

Globalisierung, aber auch die Ökonomisierung in allen<br />

Bereichen haben unter anderem dazu beigetragen. Welche<br />

Konsequenzen hatte und hat dies für die Ausbildung an der<br />

Hochschule?<br />

Rietschel Wir unternehmen große Anstrengungen, um unsere<br />

Studierenden in den Beruf zu bringen. Die Gesangsabteilung<br />

beispielsweise veranstaltet Vorsing-Termine für die Studierenden<br />

vor Intendanten und Kantoren und bietet Professionalisierungsseminare<br />

an – weitere Beispiele ließen sich aber auch in allen anderen<br />

Ausbildungszweigen finden. Darüber hinaus kann jeder Studierende<br />

ein Seminar in Marketing und Selbstmanagement besuchen;<br />

dazu gehören auch Einzelberatungen durch Profis aus dem<br />

Kulturleben, damit die Studierenden eigene Konzepte für ihre<br />

Berufsperspektive entwickeln können. Das Spektrum an Wissen,<br />

das hier vermittelt wird, geht von der einfachen Frage, wie ich<br />

einen adäquaten Lebenslauf schreibe, bis hin zum Businessplan<br />

für jemanden, der eine eigene Musikschule gründen möchte.<br />

FiT Auch die Schauspielabteilung der Hochschule kann in den letzten<br />

Jahrgängen auf eine hohe Vermittlungsquote ihrer Absolventen in<br />

ein festes Erstengagement verweisen; in den letzten Jahren haben<br />

sogar alle Schauspielabsolventen unmittelbar nach ihrem Studienabschluss<br />

ein festes Erstengagement bekommen. Frau Tiedtke, Sie sind<br />

nicht nur Dekanin im Fachbereich 3, sondern auch Ausbildungsdirektorin<br />

für Schauspiel. Wie gelingt Ihnen diese Traumquote?<br />

50


Regina Vogel im <strong>Frankfurt</strong> LAB in der Inszenierung von „Böse Märchen“, einer Produktion des<br />

Regie-Studiengangs mit dem Studiengang Schauspiel im Jahr 2012<br />

51


Fotos: Andreas Reeg<br />

Chorleitungsstudent Jonathan Hofmann bei einer Probe des Hochschulchors in Vertretung von Chorleitungsprofessor Winfried Toll<br />

52


I n t e r v i e w<br />

Prof. Marion Tiedtke Ob wir das so halten können, sei dahingestellt,<br />

zumal wir sehen, dass wesentlich größere Schauspielschulen – wir<br />

sind in Deutschland eine der kleinsten – Probleme haben, ihre<br />

Absolventen zu vermitteln. Auf den steigenden Marktdruck haben<br />

wir reagiert, indem wir die herkömmlichen Ausbildungsfelder um<br />

ein einjähriges Mikrofonsprechen und eine intensive Arbeit vor der<br />

Kamera als gesonderte Ausbildungskomponenten erweitert haben.<br />

Für die Schauspielstudierenden bieten wir zudem ein spezielles<br />

Coaching, das ihnen zeigen soll, wie sie sich selbst auf dem Markt<br />

glaubwürdig darstellen können. Auf sich als Künstlerpersönlichkeit<br />

in den neuen Medien aufmerksam zu machen, ist zu einer unabdingbaren<br />

Notwendigkeit geworden.<br />

Prof. Henriette Meyer-Ravenstein Ich möchte ergänzen: Ein erfolgreiches<br />

Vorbereiten auf den Berufsweg erschöpft sich allerdings<br />

nicht in dem Ziel, den Absolventen innerhalb der nächsten zwei<br />

Jahre in ein festes Engagement im Theater oder Orchester oder<br />

als Lehrer an einer Schule zu bringen. Vielmehr geht es uns darum,<br />

dass wir dabei helfen wollen, dass sich kreative Persönlichkeiten<br />

entwickeln können, die so gefestigt und motiviert sind, dass sie<br />

selbst Neues und Ungewöhnliches voranbringen können. Als<br />

Dekanin für den Fachbereich 2, in dem die Schulmusiker und<br />

Komponisten ihre Ausbildung erhalten, fällt mir auf, dass viele<br />

unserer Studierenden in ihren künstlerischen Fähigkeiten so breit<br />

aufgestellt sind, dass sie neben der Schule oder stattdessen eben<br />

freischaffend unheimlich pfiffige Dinge zustande bringen, die<br />

die Gesellschaft wiederum voranbringen und sich nicht nur am<br />

bestehenden Markt orientieren. Diejenigen, die nach dem Studium<br />

keine feste Stelle bekommen, sind nicht automatisch die Verlierer:<br />

Ohne Festengagement ganz auf sich selbst und das eigene Potenzial<br />

geworfen zu werden, kann Kräfte freisetzen und Wege eröffnen,<br />

von denen man gar keine Vorstellung hatte. Das kann unglaublich<br />

befriedigend sein.<br />

FiT Seit 2008 bildet die <strong>HfMDK</strong> in <strong>Frankfurt</strong> Studierende für alle<br />

musikalischen Lehrämter aus, also nicht mehr nur für Gymnasien,<br />

sondern auch für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen. Welche<br />

Herausforderungen brachte und bringt diese Erweiterung des<br />

Studienspektrums mit sich?<br />

Meyer-Ravenstein Anfangs ging es um die Integration der für uns<br />

neuen Studiengänge in einen bis dahin fast ausschließlich künstlerisch<br />

ausgerichteten Lehrapparat, was natürlich Probleme bereitete.<br />

Jetzt sind wir dabei, die Studiengänge vollkommen umzustrukturieren.<br />

Ein großer Zugewinn ist, dass das Musikpädagogische Institut,<br />

das vorher an der Goethe-Universität angesiedelt war, nun komplett<br />

an der <strong>HfMDK</strong> zuhause ist. Das bietet enorme Möglichkeiten für die<br />

Verbindung von Kunst, Vermittlung, Wissenschaft und Forschung.<br />

Da ist jetzt so viel Forschung, Bildungsdenken und Schulerfahrung<br />

mit nun drei Musikpädagogik-Professuren unter einem Dach,<br />

dass neue Strukturen möglich werden: die Weiterentwicklung der<br />

Lehramtsstudiengänge an den Schnittpunkten von Musik, künstlerischer<br />

Kompetenz und Bildung der Persönlichkeit, der Master<br />

Musikpädagogik und der Aufbau des weiterführenden dritten<br />

Zyklus´ in Form einer Graduiertenschule.<br />

FiT Was macht die Balancierung der Lehramtsstudiengänge für<br />

die spezifischen Schulformen so komplex?<br />

Meyer-Ravenstein Das extreme Spannungsfeld zwischen der<br />

eigenen Entwicklung der Studierenden zu einem auch künstlerisch<br />

tätigen Menschen und dem, was sie später pädagogisch vermitteln<br />

wollen und sollen. Es ist auf der sachlichen Ebene ein ewiges<br />

Gerangel: Wie viel Einzelunterricht sollen Lehramtsstudierende<br />

bekommen? Was ist überhaupt innerhalb eines sechssemestrigen<br />

Studiums für das Grundschullehramt leistbar? Diese Zeit ist für<br />

eine Musikausbildung viel zu knapp bemessen – dabei sind gerade<br />

Grundschullehrer so existenziell wichtig für die kulturelle Zukunft<br />

der Gesellschaft.<br />

FiT Frau Vickers, derlei Fragen sind sicherlich im Fachbereich 1,<br />

dem Sie als Dekanin vorstehen, leichter zu beantworten, oder? Ihre<br />

angehenden Orchestermusiker müssen schlichtweg viel üben, um<br />

schließlich Probespiele für feste Stellen zu bestehen ...<br />

Prof. Catherine Vickers Ganz so einfach ist es nicht: Wir sind auch<br />

in unserem Fachbereich mit ähnlichen Problemen konfrontiert,<br />

dabei rede ich also vom Fachbereich der künstlerisch-solistischen,<br />

kammermusikalischen, instrumentalpädagogischen und Kirchenmusikausbildung<br />

sowie der Ausbildung in Historischer Interpretationspraxis.<br />

Zusätzlich sehen sich unsere Orchester- und Kammermusiker<br />

sowie Solisten einer ungleich größeren Konkurrenz ausgesetzt,<br />

was mit der bereits angesprochenen Globalisierung zu tun hat.<br />

Begabungen aus Asien sind in den letzten Jahren auf den internationalen<br />

Bühnen und auch in unseren Studiengängen sehr präsent.<br />

Wir bilden Künstler umfassend und intensiv aus, die später zum<br />

Beispiel als Lehrende oftmals nicht in einen besonders gut<br />

bezahlten Beruf hineinkommen. Das ist eine große Diskrepanz, die<br />

mit der gesellschaftlichen Wertschätzung von Kunst zu tun hat:<br />

Berufe, die nicht besonders gut bezahlt werden, werden auch nicht<br />

hoch geachtet. Inwieweit die Gesellschaft ihre Musiker und Künstler<br />

überhaupt so unterstützen will, dass sich dies auch in adäquater<br />

Bezahlung niederschlägt, bleibt abzuwarten. Umso mehr unterstütze<br />

ich unser Anliegen als Lehrende, mit unseren Studierenden<br />

wirklich starke Persönlichkeiten auszubilden, die widerstandsfähig<br />

sind, und zwar kulturell widerstandsfähig. Sie sollen einen Blick für<br />

die Entwicklung der Gesellschaft bekommen und ihr mit ihrer<br />

Überzeugung und ihrem Können standhalten. Ich unterstütze daher<br />

alle Coaching-Angebote, die die Hochschule bereitstellt, wobei ich<br />

die Gefahr sehe, dass zu viel Direktive bei manchen Studierenden<br />

die Kreativität einengen kann. Wir dürfen nie aus den Augen verlieren,<br />

dass unsere Absolventen außergewöhnliche Individuen sind.<br />

FiT Herr Rietschel, Sie haben schon einmal geäußert, dass Sie es<br />

an der Hochschule mit vielen Verrückten zu tun haben. Wie meinen<br />

Sie das?<br />

53


I n t e r v i e w<br />

Rietschel Ganz positiv. Unsere Hochschulmitglieder sind durchdrungen<br />

von einer ungeheuren Begeisterung für ihre Sache. Ja, in der<br />

Tat, Beispiel Schauspieler: Wer Schauspiel studiert, der tut dies<br />

nicht, um später gutes Geld zu verdienen. Er lässt sich auf etwas<br />

ein, das keine Sicherheit bietet, denn er ist auf der Suche nach der<br />

Erfüllung, die künstlerische Tätigkeit bieten kann. Um Künstler oder<br />

Künstlerin zu werden, muss man sehr hart an und mit sich arbeiten,<br />

von daher steht ja<br />

neben der Vermittlung<br />

der handwerklichen<br />

Grundlagen die<br />

Ausbildung der<br />

künstlerischen<br />

Persönlichkeit im<br />

Zentrum unserer<br />

Lehre. Wir wollen<br />

unseren Studierenden<br />

den Raum geben, sich<br />

zu starken, eigenwilligen<br />

Persönlichkeiten<br />

zu entwickeln,<br />

Persönlichkeiten, die<br />

ihre Energie aus der<br />

Begeisterung für die<br />

Kunst ziehen. Und<br />

Hochschulpräsident Thomas Rietschel<br />

Neues in der Kunst<br />

entsteht oft dort, wo<br />

Normen hinterfragt und Grenzen überschritten werden. Und genau<br />

in diesem Sinne sind viele bei uns verrückt – sie entsprechen nicht<br />

der „Norm“, sie suchen immer die Grenze, sie sind eigenwillige<br />

Individualisten, die für ihre Kunst leben. Diese „Verrücktheit“ trägt<br />

unsere Institution. Und was ich sehr wichtig finde: Dahinter steckt<br />

ein Menschenbild, für das es sich lohnt, in unserer immer mehr<br />

durch die Ökonomie bestimmten Gesellschaft zu kämpfen. Bei uns<br />

findet man viele Idealisten – „Verrückte“ –, die unsere Welt nicht<br />

nach dem materiellen Wert beurteilen und die für eine Sache leben,<br />

von der sie überzeugt sind.<br />

eine Bühne betreten, auch Repräsentanten einer Gesellschaft sind.<br />

Es reicht für ihre Arbeit nicht aus, nur den Horizont des eigenen<br />

Kinderzimmers im Hinterkopf zu haben; vielmehr muss ein<br />

gesellschaftliches und politisches Bewusstsein vorhanden sein,<br />

aus dem heraus sie sich selbst zu befragen haben: „Warum spiele<br />

ich heute noch Don Carlos?“ oder „Warum trete ich als Antigone<br />

auf die Bühne?“. Nur eine Auseinandersetzung damit und eine<br />

Antwort auf diese Fragen machen es möglich, ein Publikum für<br />

das zu interessieren, was wir darstellen wollen. Die Schulung eines<br />

gesellschaftlich verantwortlichen Denkens ist eine wichtige<br />

Aufgabe des Studiums.<br />

Vickers Das wäre dann eine Legitimation der Kunst sowohl nach<br />

außen als auch nach innen? Was die Legitimation nach außen, also<br />

gegenüber der Gesellschaft betrifft, setze ich noch viele Hoffnungen<br />

auf Forscher wie zum Beispiel Neurologen, die weiter spannenden<br />

Fragen nachgehen wie: Was ist eigentlich das Wesen der Materie<br />

Musik? Was für Botenstoffe tragen diese Wellen, die uns so<br />

berühren? Ich bin überzeugt, dass erforscht werden wird, dass<br />

diese Phänomene ganz notwendig für das Menschsein sind – wir<br />

können es derzeit nur behaupten, aber nicht beweisen.<br />

Meyer-Ravenstein Was aber schon jetzt sehr offensichtlich ist, ist<br />

der Gewinn für die Persönlichkeitsentwicklung: Die Auseinandersetzung<br />

mit Kunst impliziert, sich ganz existenziell mit sich selbst<br />

auseinanderzusetzen. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sind<br />

es doch meistens die Musiker, die gezwungen sind, sich immer<br />

wieder neu zu hinterfragen, und zwar ein Leben lang. Der Konflikt<br />

zwischen innerer Zartheit und vom Berufsleben geforderter äußerer<br />

Dickhäutigkeit erfordert das. Man geht sonst unter. Diese notwendige<br />

Auseinandersetzung macht einen Teil des Wertes unserer<br />

Absolventen aus, selbst wenn sie nachher nicht mit dem ihr Geld<br />

verdienen sollten, was sie bei uns studiert haben.<br />

Vickers Sie haben zwar recht, aber: Das sagen wir! Doch wie lange<br />

wird es noch dauern, bis das jemand anderes von außen genauso<br />

erkennt?!<br />

Vickers Sie haben recht: Wir sind an der Hochschule von leidenschaftlichen<br />

Menschen umgeben. Die Menschen, die bei uns<br />

studieren, schauen nicht zuerst darauf, wie die materiellen Perspektiven<br />

nach dem Studium für sie aussehen. Einem Studenten wurde<br />

kürzlich nahegelegt, sich für ein Probespiel in einem Orchester<br />

vornehmer anzuziehen. Darauf antwortete er: „Wenn es darauf<br />

ankommt, verzichte ich lieber auf die Stelle.“ Wir kennen so viele<br />

junge Menschen, die so leidenschaftlich bei der Sache sind, dass<br />

es deren rationale Vorstellung übersteigt, was diese Tatsache für<br />

die nächsten 40 oder 50 Jahre bedeuten kann und muss.<br />

Tiedtke Die Frage der Legitimation von Kunst verknüpft mit der,<br />

welchen Nutzen die Kunst für eine Gesellschaft hat, ist ein Thema,<br />

das bei uns unmittelbar an die Studieninhalte geknüpft ist. Wir<br />

vermitteln den Studierenden, dass sie in dem Moment, in dem sie<br />

Rietschel Das ist ja genau das, was Künstler können: anderen<br />

Menschen einen Zugang zu Kunsterfahrungen ermöglichen –<br />

erleben lassen, was Kunst bewirken kann. Ich glaube, das ist das<br />

stärkste Argument, das wir haben: künstlerisch tätig zu sein.<br />

Und es geht darum, die Bedingungen zu schaffen, damit möglichst<br />

viele Menschen diese Erfahrung einmal machen können – also<br />

durch Musik berührt zu werden, dass einen ein Schauspiel tagelang<br />

in Gedanken weiter beschäftigt, dass tänzerische Bewegungen ein<br />

Echo in mir finden usw.<br />

FiT Dafür ist „Primacanta“ ein gutes Beispiel – das von der <strong>HfMDK</strong><br />

angeschobene Singprojekt, das bei Grundschülern die Begeisterung<br />

am Singen und damit an der Musik wecken will, oder?<br />

54


Rietschel „Primacanta“ hat gleich mehrfachen Wert: Natürlich ist<br />

das Projekt ein wunderbares Argument für die Legitimation einer<br />

Institution – weil es uns in der Stadt verankert, indem wir an den<br />

Grundschulen alle Kinder einer Stadt erreichen und ihnen ermöglichen,<br />

die Erfahrung zu machen, wie schön es ist, gemeinsam<br />

lustvoll zu singen. Das ist viel. Diese Erfahrung werden die Kinder<br />

nicht vergessen. Zum anderen steckt in „Primacanta“ auch eine<br />

originäre Hochschulaufgabe: die Vermittlung eines sehr fundierten<br />

Unterrichtskonzeptes – das Prinzip des „Aufbauenden Musikunterrichts“,<br />

das im Kern von Lehrenden unserer Hochschule entwickelt<br />

wurde.<br />

Tiedtke Das sind Modelle von sozialem Handeln, die wir hier<br />

entwickeln und die man durchaus in andere Lebensbereiche<br />

hineintragen kann.<br />

FiT Pro Semester finden im Schnitt über 100 öffentliche Veranstaltungen<br />

an der Hochschule statt – Konzerte, szenische Abende<br />

und Tanz-Performances. Diese Fülle an öffentlichen Angeboten für<br />

Zuschauer und Zuhörer übersteigt den Spielplan so manches<br />

kleinen Theaters …<br />

Rietschel Das mag sein, aber wir verstehen uns in erster Linie nicht<br />

als Konzertveranstalter, sondern als Ausbildungsinstitution. Wenn<br />

wir öffentlich zu Veranstaltungen einladen, verstehen wir sie primär<br />

als Möglichkeiten für unsere Studierenden, ihre Erfahrungen für die<br />

spätere Berufspraxis zu machen.<br />

Vickers Ich verstehe<br />

unsere Veranstaltungen<br />

auch eher als einen<br />

„Einblick in unsere<br />

Arbeit“. Diese<br />

Transparenz gegenüber<br />

der Öffentlichkeit finde<br />

ich wichtig. Zugleich<br />

denke ich als Lehrende<br />

darüber nach: Wie sehr<br />

sind derartige Konzerte<br />

für den Studierenden<br />

schon jetzt eine<br />

Verpflichtung gegenüber<br />

der Öffentlichkeit,<br />

und in welchem Maß<br />

soll die Hochschule<br />

Prof. Catherine Vickers<br />

ihm während des<br />

Studiums noch einen<br />

Schutzraum bieten? Ganz gefährlich finde ich es in jedem Fall, den<br />

Studierenden durch ein solches Konzert die Illusion zu vermitteln:<br />

„Das ist das Leben. Wenn ihr hier Erfolg habt, seid ihr ganz toll.“<br />

Vor diesem Trugschluss müssen wir unsere Studierenden schützen.<br />

FiT Welche Illusionen soll ein Studium überhaupt offenlegen,<br />

möglicherweise den Studierenden rauben, und welche soll es<br />

pflegen?<br />

Rietschel Vielleicht kann man es folgendermaßen umschreiben:<br />

Wenn jemand sein Musikstudium beginnt, will er nichts anderes als<br />

Musik machen und wird getragen von dem Traum, später als großer<br />

Künstler erfolgreich auf der Bühne zu stehen. Und im Laufe des<br />

Studiums ist es Aufgabe der Hochschule, Stück für Stück die<br />

Realität einsickern zu lassen – je weiter einer kommt, umso mehr.<br />

Vickers Illusionen können für eine begrenzte Zeit die Motivation<br />

stützen.<br />

Tiedkte Wir gehen im<br />

Schauspiel so damit<br />

um, dass wir im ersten<br />

Ausbildungsjahr vor<br />

allem die Fremd- und<br />

Selbstwahrnehmung<br />

schulen. Bei szenischen<br />

Improvisationen spielt<br />

ein Student nicht nur,<br />

sondern schaut zu und<br />

beschreibt die anderen:<br />

Was hat funktioniert,<br />

was nicht? In dieser<br />

Diskrepanz von<br />

Fremd- und Selbstwahrnehmung<br />

entsteht<br />

das eigene Lernen.<br />

Der Student bildet sich Prof. Marion Tiedtke<br />

einen Begriff von<br />

Professionalität durch die Erfahrungen, die er macht. Diese<br />

Professionalität verbindet sich im Laufe des Studiums mit dem<br />

Wissen um Tradition. Aus der Kombination beider Kompetenzen<br />

kann der Studierende mithilfe seiner Kreativität schließlich seine<br />

eigene Künstlerpersönlichkeit entwickeln. Das ist zumindest unser<br />

Ziel. Auf diesem Weg ist die Kritikfähigkeit eine unabdingbare<br />

Voraussetzung. In keinem anderen Beruf wie dem des Künstlers<br />

muss man so kritikfähig sein können; in keinem anderen Beruf<br />

muss man sich trauen, vorgefertigte Muster zu verlassen, immer<br />

wieder bei Null anzufangen und bereit sein zu lernen. Gesicherte<br />

Ergebnisse verfliegen und gelten nur für den Moment. Den sich<br />

verflüchtigenden Moment des gemeinsamen Erlebens muss man<br />

immer wieder neu herstellen, und das ist wahnsinnig hart.<br />

FiT Herr Rietschel, Ihnen war und ist es spürbar wichtig, die<br />

Hochschule gut nach außen zu vernetzen. Wie sieht die Vernetzung<br />

heute aus und warum ist sie aus Ihrer Überzeugung so unabdingbar?<br />

55


I n t e r v i e w<br />

Rietschel Viele Vernetzungen, die es heute gibt, entstammen der<br />

Initiative von Lehrenden der Hochschule, so zum Beispiel die<br />

Gründung der Hessischen Theaterakademie und die Vernetzung der<br />

Hochschule mit dem Tanzplan Deutschland. Wer gut vernetzt ist,<br />

hat auch viele Freunde, und es gibt Zeiten, in denen man Freunde<br />

braucht. Unsere Vernetzungen sind auch Bündnisse, die wir<br />

schließen. Und in der gesellschaftlichen Situation, in der wir<br />

stehen, sind die anderen Kulturinstitutionen unsere Bündnispartner.<br />

Vor allem aber ist es für eine gute Ausbildung notwendig, dass sie<br />

eng mit dem späteren Berufsfeld verbunden ist. Die Hessische<br />

Theaterakademie ist dafür ein vorzügliches Beispiel.<br />

Meyer-Ravenstein<br />

Stichwort Bündnispartner:<br />

Erwähnen<br />

möchte ich die seit<br />

Jahren gut funktionierende<br />

Kooperation der<br />

Hochschule mit dem<br />

Ensemble Modern, die<br />

sich als international<br />

begehrter Studiengang<br />

„Internationale<br />

Ensemble Modern<br />

Akademie“, kurz<br />

IEMA, etabliert hat.<br />

Der Studiengang ist in<br />

dieser Form sicherlich<br />

ein exzellenzbildendes<br />

Prof. Henriette Meyer-Ravenstein<br />

Alleinstellungsmerkmal<br />

unserer Hochschule.<br />

Und gute Studierende anzuziehen, ist ja das, was in unser<br />

aller höchstem Interesse ist.<br />

Vickers Von Vernetzungen profitieren wir auch – ich denke an die<br />

jüngste Kooperation mit dem <strong>Frankfurt</strong>er Opern- und Museumsorchester<br />

mit Mahlers 3. Sinfonie, die Kooperation mit der Polnischen<br />

Kammerphilharmonie, die Prof. Wojciech Rajski den Dirigierstudierenden<br />

ermöglicht, oder das Probespieltraining mit der Rheinischen<br />

Philharmonie Koblenz. Außerdem nehme ich an der Hochschule<br />

eine steigende Anzahl von Erasmus-Studierenden wahr, also<br />

internationalen Austauschstudenten, die für ein oder zwei Semester<br />

nach <strong>Frankfurt</strong> kommen, um hier ihren Erfahrungshorizont international<br />

zu erweitern. Kooperationen mit dem Dr. Hoch`s Konservatorium<br />

und der <strong>Frankfurt</strong>er Musikschule bestehen und werden stetig<br />

erweitert.<br />

FiT Herr Rietschel, Sie kämpfen seit zwei Jahren dafür, dass die<br />

Hochschule einen Neubau bekommt, der auf dem zukünftigen<br />

„Kulturcampus <strong>Frankfurt</strong>“ in Bockeneim stehen soll. Damit möchten<br />

Sie nicht nur der immer größer werdenden Raumnot der <strong>HfMDK</strong><br />

begegnen, sondern auch inhaltlich neue Meilensteine setzen.<br />

Welche könnten dies sein?<br />

Rietschel Der Kulturcampus ist die Vision einer Struktur, in der eine<br />

zukunftsweisende Ausbildung stattfinden kann. Die Hochschule<br />

wird dann in ein Umfeld von professionellen Ensembles und in ein<br />

wissenschaftliches Umfeld eingebettet sein, mitten in der Stadt und<br />

mit dem Anspruch, dass sie das, was sie tut, auch nach außen<br />

vermittelt. All dies strahlt dann natürlich auf die Ausbildung zurück.<br />

Wer hier studiert, wird sozusagen in das Zentrum des lebendigen<br />

Kulturcampus geworfen; er wird mitbekommen, was Vermittlung<br />

heißt, er wird mitbekommen, dass alle führenden Dirigenten<br />

innerhalb von drei Jahren beim Ensemble Modern, mit dem die<br />

Hochschule dann Tür an Tür lebt, zu Gast waren; zum Kulturcampus<br />

gehört dann auch das Institut für Sozialforschung, das an prominenter<br />

Stelle über die Rolle von Kunst und Kultur in unserer<br />

Gesellschaft nachdenkt und was dies in der globalisierten Welt<br />

bedeutet. Wir werden von wissenschaftlichen Instituten wie der<br />

Senckenberg Naturforschenden Gesellschaft flankiert sein, die<br />

Fragestellungen aus der Hirnforschung oder zur Entwicklung des<br />

Menschen einbringen wird. In solch einem Umfeld auszubilden,<br />

wird dann weltweit für die interessantesten Studierenden attraktiv,<br />

nämlich für die, die offen und neugierig sind. Das ist die Klientel<br />

von Studierenden, die alle Hochschulen gerne bei sich hätten. Wir<br />

können uns als Hochschule dann an vorderster Stelle international<br />

positionieren. Und nicht zuletzt wird der Kulturcampus ein Ort sein,<br />

von dem Impulse ausgehen und bei dem die Hochschule nicht nur<br />

den Markt – also unser Kulturleben – bedient und reproduziert,<br />

sondern die Zukunft dieses Kulturlebens gestaltet. Das ist unser<br />

Traum.<br />

FiT Ein erster Schritt, sich auf dem Gelände des zukünftigen<br />

Kulturcampus niederzulassen, ist mit der Planung einer Studiobühne<br />

in Arbeit.<br />

Rietschel In diesem Jahr beginnt der Wettbewerb für eine neue<br />

Studiobühne, die dort errichtet werden wird. Wir brauchen sie<br />

dringend und sind bereit, damit den ersten Schritt für den Kulturcampus<br />

zu tun. Das Land Hessen steht hinter uns, die finanziellen<br />

Mittel aus dem Heureka-Programm stehen bereit.<br />

FiT Warum braucht die Hochschule diese Bühne so dringend?<br />

Tiedtke Wir sind die einzige Hochschule in Deutschland, die im<br />

Fachbereich Darstellende Kunst keine eigene Aufführungsbühne<br />

hat. Mit unserem Konzept der Studiobühne wollen wir zugleich<br />

die Raumnot auffangen. Zur Aufführungsbühne für alle Ausbildungsbereiche<br />

– Tanz, Musiktheater, Schauspiel, Regie – sollen<br />

noch drei Proberäume gehören. Dem Studiengang für Zeitgenössische<br />

Tanzpädagogik könnten wir damit erstmals einen eigenen<br />

Proberaum zur Verfügung stellen, und auch Schauspiel und Regie<br />

hätten weitere Proberäume, da die vorhandenen in den Räumlichkeiten<br />

der Hochschule nicht ausreichen. Daher ist die Studiobühne<br />

kein Luxus, sondern dringend notwendig.<br />

56


FiT Der sogenannte Bologna-Prozess zwingt auch die Kunsthochschulen,<br />

ihre bisherigen Studienordnungen so zu überarbeiten, dass<br />

sie in Bachelor- und Masterformate passen, also mit Credit Points<br />

belegt werden und damit international neuen Standards entsprechen.<br />

Ein sicher mühsames Geschäft, oder?<br />

Vickers Der Bologna-Prozess und die damit einhergehende<br />

Modularisierung von Studiengängen bedeutet für uns alle einen<br />

enormen Mehraufwand. Diskussionen finden seit mehr als zehn<br />

Jahren statt, die letzten vier der reellen Umstrukturierung waren<br />

und sind weiterhin hart. Doch alle Lehrenden wissen, dass pädagogische<br />

Reformprozesse nie als „beendet“ betrachtet werden dürfen!<br />

Und seien wir doch behutsam optimistisch, denn Europa spricht<br />

zum ersten Mal in der Geschichte von einem „europäischen<br />

Bildungsraum“. Das verlangt Pioniergeist!<br />

FiT Der Arbeitsaufwand einer administrativen Selbstverwaltung, in<br />

der der künstlerische Professor zugleich als Dekan einem Fachbereich<br />

vorsteht, unumgängliche Umstrukturierungen von Studienplänen<br />

und die drangvolle Enge im jetzigen Hochschulgebäude klingen<br />

nach viel Kraftanstrengung im Alltag. Woraus speist sich dennoch<br />

die offenkundige Lebendigkeit der <strong>HfMDK</strong>?<br />

Tiedtke Es ist faszinierend, an dieser Hochschule zu arbeiten.<br />

Sie ist zwar klein, aber die Mitarbeiter der Verwaltung wie auch die<br />

Lehrenden aller drei Fachbereiche sind unprätentiös immer an der<br />

Sache dran. Hier arbeiten viele Kollegen, die – hochkompetent und<br />

hochengagiert – sich nicht scheuen, die Ärmel hochzukrempeln.<br />

Das zeichnet die Hochschule aus. So klein sie auch ist, so intensiv<br />

ist auch der Austausch sowohl unter den Studierenden und<br />

Lehrenden wie unter den einzelnen Fachbereichen. Das hat zur<br />

Folge, dass hier immer wieder viele gemeinsame Initiativen und<br />

neue Formen der kritischen Selbstbefragung entstehen – das ist<br />

sehr befruchtend.<br />

Meyer-Ravenstein Ich möchte ergänzen, dass die schon genannten<br />

strukturellen Schwierigkeiten wie Raumnot und Vorgabe von<br />

Regelstudienzeiten mehr als ausgeglichen werden durch ein<br />

enormes Engagement der Lehrenden und ihren nicht endenden<br />

Ideenreichtum in Lehrangebot und Projekten. Die Hochschule kann<br />

ein so buntes Angebot an Aktivitäten vorweisen, dass sich jeder,<br />

der möchte, innerhalb der gesetzten Grenzen trotzdem reich<br />

entfalten kann. Ich habe noch nie so viel gelernt wie in den sieben<br />

Jahren, die ich jetzt als Professorin hier arbeite.<br />

bjh<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

Prof. Henriette Meyer-Ravenstein bei der Vorbereitung eines szenischen Liederabends ihrer Gesangsklasse<br />

57


S t a t e m e n t s<br />

Dr. Stephan Pauly<br />

ist Intendant und Geschäftsführer der<br />

Alten Oper <strong>Frankfurt</strong>.<br />

Bernd Loebe<br />

ist Intendant und Geschäftsführer der<br />

Oper <strong>Frankfurt</strong>.<br />

Foto: Maik Scharfscheer<br />

Aus dem kulturellen Leben der Mainmetropole<br />

ist die Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main nicht<br />

mehr wegzudenken. Das hohe künstlerische<br />

Niveau des Ausbildungsinstituts ist einer<br />

der Gründe, warum die Oper <strong>Frankfurt</strong><br />

immer wieder Kooperationen mit diesem<br />

traditionsreichen Haus eingeht. Dabei geht<br />

es nicht nur um Nachwuchsförderung,<br />

sondern auch um frische Impulse, die von<br />

den Studierenden der verschiedenen Fächer<br />

ausgehen. 75 Jahre des Bestehens sind ein<br />

schöner Anlass, um die vorbildliche Arbeit<br />

dieser Hochschule zu würdigen.<br />

Es ist ein großes Glück, eine Institution wie<br />

die Hochschule für Musik und Darstellende<br />

Kunst gleichsam direkt vor der Tür zu<br />

wissen, weil hier vor Ort ganz hervorragende<br />

junge Künstlerinnen und Künstler<br />

ausgebildet werden. Wir in der Alten Oper<br />

<strong>Frankfurt</strong> geben herausragenden jungen<br />

Musikerinnen und Musikern gerne ein<br />

Podium – etwa in der Vergangenheit schon<br />

mehrfach den Pianistinnen und Pianisten<br />

der Klasse von Prof. Lev Natochenny. Auch<br />

in unserem Kinder- und Jugendprogramm<br />

PEGASUS – Musik erleben! ist es uns eine<br />

Freude, mit der <strong>HfMDK</strong> zusammenzuarbeiten,<br />

in der laufenden Saison zum Beispiel<br />

innerhalb der neuen Reihe „Rabauken und<br />

Trompeten“ und in der kommenden Saison<br />

beim Response-Projekt der <strong>HfMDK</strong>, dessen<br />

Abschlusskonzert nach vielen erfolgreichen<br />

Jahren wieder einmal in der Alten Oper<br />

stattfinden wird. Ich freue mich auf die<br />

Fortsetzung der Zusammenarbeit und<br />

gratuliere der jung gebliebenen Hochschule<br />

ganz herzlich zum 75-jährigen Jubiläum!<br />

Ulrike Crespo<br />

ist Gründerin der Crespo Foundation. Die<br />

Stiftung mit Sitz in <strong>Frankfurt</strong> ist gemeinsam<br />

mit der <strong>HfMDK</strong> Initiatorin des erfolgreichen<br />

Projektes „Primacanta – Jedem<br />

Kind seine Stimme“. „Primacanta“ hat<br />

bislang bereits über 8.000 Grundschulkindern<br />

die Freude am Singen vermittelt.<br />

Über 200 Lehrer haben durch das Projekt<br />

das pädagogische Prinzip des Aufbauenden<br />

Musikunterrichts kennengelernt.<br />

Es gibt vielfältige wissenschaftliche und<br />

praktische Belege dafür, dass das Künstlerische<br />

als Bildungsprinzip wesentliche<br />

Beiträge zur Verbesserung unserer Schulen<br />

liefern kann.<br />

Aus diesem Grunde engagiert sich die<br />

Crespo Foundation stark in Bildungsprojekten,<br />

in denen der aktive Umgang mit<br />

Kunst und Kultur konzeptionell fest<br />

verankert ist.<br />

Ihre besondere Kompetenz auf diesem<br />

Gebiet macht die Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main zu<br />

einem unserer wichtigsten Kooperationspartner.<br />

Abgesehen davon: Gelungene Kooperationen<br />

gründen immer auf Vertrauen und<br />

wechselseitiger Sympathie – und an<br />

beidem hat es zwischen der Hochschule<br />

und uns noch nie gemangelt!<br />

58


W a s m i r d i e H f M D K b e d e u t e t<br />

Prof. Dr.<br />

Felix Semmelroth<br />

ist Kulturdezernent der Stadt<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Main.<br />

Felix Koch<br />

ist Professor für Alte Musik/Barockcello<br />

sowie Konzertpädagogik/Musikvermittlung<br />

an der Hochschule für Musik Mainz<br />

und Alumnus der <strong>HfMDK</strong>. Zudem war er<br />

über mehrere Jahre lang musikalischer<br />

Leiter von „Primacanta – Jedem Kind<br />

seine Stimme“, das die <strong>HfMDK</strong> gemeinsam<br />

mit der Crespo Foundation initiiert<br />

hat, und verantwortlich für die<br />

„MusiKuss“-Konzerte der Hochschule.<br />

Im vergangenen Jahr erhielt er für sein<br />

Engagement als Musikvermittler den<br />

Schumann-Preis der Robert-Schumann-<br />

Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V.<br />

Ruth Wagner<br />

ist ehemalige hessische Ministerin für<br />

Wissenschaft und Kunst und Mitglied im<br />

Kuratorium der Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Die Hochschule für Musik und Darstellende<br />

Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main feiert in diesem<br />

Jahr ihr 75-jähriges Bestehen, und die<br />

Stadt <strong>Frankfurt</strong> darf sich stolz schätzen,<br />

dass sie diese Kunsthochschule mit<br />

herausragender Reputation beheimatet.<br />

Seit ihrer Gründung macht sie sich um<br />

die Exzellenz der Lehre und der kulturellen<br />

Bildung in all ihren Facetten verdient. Die<br />

Hochschule engagiert sich am Kulturleben<br />

der Stadt und vertieft durch ihre Vernetzung<br />

das Verständnis für gesellschaftliche<br />

Fragen. Die zahlreichen Konzerte und<br />

Veranstaltungen der Hochschule bereichern<br />

<strong>Frankfurt</strong> um ein hochkarätiges, lebendiges<br />

Kulturprogramm.<br />

Ins Orchester! Unbedingt ins Orchester<br />

wollte ich. Nach meinen wichtigen<br />

Orchesterstudien an den Musikhochschulen<br />

Mannheim und Karlsruhe habe ich durch<br />

meine Studienzeit und spätere Lehrtätigkeit<br />

an der <strong>HfMDK</strong> aber erst meinen eigentlichen<br />

Platz im professionellen Konzert- und<br />

Musikleben gefunden. Die hervorragende<br />

künstlerische Ausbildung am Institut für<br />

Historische Interpretationspraxis (Violoncello)<br />

sowie die umfangreichen Möglichkeiten<br />

des Instituts für Musikpädagogik haben mir<br />

die Welt der Konzertpädagogik eröffnet, in<br />

der Musizieren auf höchstem Niveau und<br />

professionelle Musikvermittlung gemeinsam<br />

unabdingbar sind, um Kinder, Jugendliche<br />

und Erwachsene in der heutigen Zeit für<br />

Musik zu begeistern. Diese Erfahrungen<br />

gebe ich heute mit großer Begeisterung<br />

an meine Studierenden weiter und kämpfe<br />

darum, den wichtigen Dialog zwischen<br />

künstlerischer Ausbildung und Musikpädagogik<br />

zu intensivieren.<br />

Ich unterstütze die Hochschule, weil sie in<br />

der Lehre, der künstlerischen Ausbildung<br />

und der Forschung, mit der Vermittlung von<br />

Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten an die<br />

Studierenden in Disziplin, Nachhaltigkeit<br />

und Begeisterung das tut, was Heiner<br />

Goebbels „Ermächtigung der Studierenden<br />

zu eigener Ästhetik“ genannt hat. Ich<br />

unterstütze die Hochschule auch, weil die<br />

Studierenden sich mit Neugier, Risikobereitschaft<br />

und Ehrgeiz auf künstlerische<br />

Arbeit einlassen und weil alle Mitglieder<br />

dieser Hochschule in den letzten Jahren<br />

Kommunikationsformen entwickelt haben,<br />

die Selbsterfahrung und Fremdbespiegelung<br />

individuell und in gemeinsam organisierter<br />

Kommunikation als konstitutives<br />

Element dieser Hochschule begreifen.<br />

59


D a s m a c h t u n s s o b e s o n d e r s<br />

Die Hessische Theaterakademie (HTA) ist<br />

ein in Deutschland einmaliger Studien- und<br />

Produktionsverbund von zwölf Theatern in<br />

Hessen und allen staatlichen Ausbildungsinstituten<br />

für Theater in Hessen. Vielfältige<br />

Querverbindungen unter den Sparten der<br />

darstellenden Künste eröffnen den Studierenden<br />

neue Möglichkeiten, sich auf die<br />

Komplexität ihrer künstlerischen Laufbahn<br />

vorzubereiten. Die HTA hat ihren Sitz an der<br />

<strong>HfMDK</strong>.<br />

Die Internationale Ensemble Modern<br />

Akademie (IEMA) und die <strong>HfMDK</strong> bieten<br />

einen einjährigen Masterstudiengang<br />

„Zeitgenössische Musik“ an. Durch die<br />

Förderung der Kulturstiftung des Bundes,<br />

der Kunststiftung NRW und des Kulturfonds<br />

<strong>Frankfurt</strong> RheinMain können junge Künstler<br />

ein Jahr lang mit den Mitgliedern des<br />

Ensemble Modern am Repertoire der<br />

Moderne arbeiten. Kooperationen z.B. mit<br />

dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />

Karlsruhe und dem Institut für<br />

Angewandte Theaterwissenschaft (ATW)<br />

in Gießen ermöglichen u.a. interdisziplinäre<br />

Projekte. Zudem sind regelmäßig namhafte<br />

Komponisten- und Dirigentenpersönlichkeiten<br />

zu Gast.<br />

Der Studiengang Kronberg Academy<br />

Master ist eine Kooperation der <strong>HfMDK</strong> mit<br />

der Kronberg Academy und soll musikalische<br />

Höchstbegabungen auf eine<br />

internationale Karriere als Solokünstlerin<br />

oder Solokünstler für die Instrumente<br />

Geige, Bratsche oder Cello vorbereiten.<br />

Daher erhalten die Studierenden Unterricht<br />

von international renommierten Künstlerinnen<br />

und Künstlern der Kronberg<br />

Academy, während sie ihre theoretischen<br />

Fächer an der <strong>HfMDK</strong> absolvieren.<br />

Der Masterstudiengang Zeitgenössische<br />

Tanzpädagogik (MAztp) wendet sich an<br />

professionelle Tanzschaffende, die die<br />

Fundamente ihrer Arbeit erforschen und<br />

vermitteln möchten. Die Konzeption ist an<br />

den wachsenden Anforderungen und<br />

aktuellen künstlerischen Entwicklungen im<br />

Berufsfeld orientiert. Das Programm wird im<br />

Verbund der Hessischen Theaterakademie<br />

und in enger Kooperation mit Tanzlabor_21/<br />

Tanzbasis <strong>Frankfurt</strong>_Rhein_Main und The<br />

Forsythe Company/Motion Bank durchgeführt.<br />

Der Master-Studiengang Theater- und<br />

Orchestermanagement (TheO) ist bundesweit<br />

der einzige dieser Art. Er bereitet<br />

Absolventen verschiedener Fachrichtungen<br />

auf Berufe in Theatern, Orchestern,<br />

Festivals, Einrichtungen und Gruppen der<br />

freien Szene vor. Mit seinen Schwerpunkten<br />

„Zukunft des Theaters“ und „Analyse<br />

deutscher und internationaler Theatersysteme“<br />

trägt der Studiengang zugleich zu<br />

einer der wichtigsten Reformdebatten der<br />

deutschen Theaterlandschaft der letzten<br />

Jahre bei.<br />

Das Institut für zeitgenössische Musik<br />

(IzM) arbeitet beständig daran, einen<br />

Mittelweg zu finden, auf dem möglichst<br />

viele Lehrende und Studierende mitgehen<br />

können. Inzwischen erfreuen sich die vom<br />

IzM initiierten Projekte großer Beliebtheit<br />

und zahlreicher Unterstützer. Viele<br />

Studierende kommen auf diese Weise<br />

erstmals mit Neuer Musik in Berührung,<br />

andere können eine schon begonnene<br />

Spezialisierung erfolgreich ausbauen.<br />

Die Stiftungsprofessur Interpretatorische<br />

Praxis und Vermittlung Neue Musik wird<br />

zum Sommersemester 2013 erstmals<br />

besetzt und soll in praktisch ausgerichteten<br />

Unterrichtsveranstaltungen musikgeschichtliches<br />

sowie interpretatorisches und<br />

spieltechnisches Wissen vermitteln und<br />

miteinander verbinden.<br />

THE ARTIST´S BODY steht für Tagungen,<br />

Workshopangebote zur „Musikspezifischen<br />

Bewegungslehre“ und zum Thema „Körper<br />

im Theater“ sowie interdisziplinär orientierte,<br />

täglich stattfindende Bewegungsangebote.<br />

Es ist ein facettenreiches Konzept<br />

zur Implementierung neuer Ansätze von<br />

Körperforschung und Bewegungslehre in<br />

alle Studiengänge. Es bietet die Basis und<br />

den Rahmen für vielseitigen Austausch,<br />

gegenseitige Inspiration und Bereicherung<br />

in der Querschnittsaufgabe „Körper und<br />

Bewegung in der Künstlerischen Ausbildung“.<br />

Das Weiterbildungsprojekt Primacanta<br />

– Jedem Kind seine Stimme ist eine<br />

Kooperation der <strong>HfMDK</strong> und der Crespo<br />

Foundation. Sein Ziel ist die Förderung<br />

der Singkompetenz von Grundschulkindern.<br />

Dazu werden Grundschullehrkräfte aus<br />

<strong>Frankfurt</strong>, Offenbach und dem Taunus nach<br />

dem Prinzip des Aufbauenden Musikunterrichts<br />

weitergebildet. Es wird angestrebt,<br />

Musikunterricht nach dem Primacanta-<br />

Prinzip an möglichst vielen Grundschulen<br />

nachhaltig zu implementieren.<br />

60


Im Proben- und Aufführungsort <strong>Frankfurt</strong><br />

LAB in ehemaligen Produktionshallen im<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Stadtteil Gallus kooperieren das<br />

Künstlerhaus Mousonturm, The Forsythe<br />

Company, das Ensemble Modern, die<br />

Hessische Theaterakademie und die <strong>HfMDK</strong>.<br />

Es versteht sich als Laboratorium zeitgenössischer<br />

Kunst. Hier sind interdisziplinäre<br />

Begegnungen, Eigenarbeiten und die<br />

Entwicklung neuer Ästhetiken Zielsetzung<br />

des Programms.<br />

Das Festival der jungen Talente! findet<br />

seit 2000 alle zwei Jahre an unterschiedlichen<br />

Orten in <strong>Frankfurt</strong> und Offenbach<br />

statt, wird durch den Verein für Kunstförderung<br />

Rhein-Main e.V. getragen und legt den<br />

Schwerpunkt auf die Produktion spartenübergreifender<br />

kooperativer Projekte durch<br />

die Studierenden verschiedener Hochschulen,<br />

unter anderem der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Der LEITBILD_prozess von unten nach<br />

oben, der in der <strong>HfMDK</strong> seit September<br />

2012 läuft, bietet jedem Hochschulangehörigen<br />

die Chance, unser neues Leitbild aktiv<br />

mitzugestalten. Dieser offene Prozess ist in<br />

der Hochschullandschaft nicht selbstverständlich<br />

– zumal die Beteiligung möglichst<br />

vieler Hochschulangehöriger entschieden<br />

mehr Zeit, Raum und Kraft beansprucht als<br />

eine Leitbildentwicklung von oben nach<br />

unten. Allerdings kann ein Leitbild nur<br />

erfolgreich sein, wenn es von möglichst<br />

vielen getragen wird. Und hierfür ist die<br />

gemeinsame Erarbeitung der beste Garant.<br />

Mit der Hessischen Film- und Medienakademie<br />

haben sich 13 Hochschulen<br />

zusammengeschlossen, um Hessen als<br />

Medienstandort zu stärken. Die hFMA<br />

ermöglicht Kooperationsprojekte für höhere<br />

Semester (ab Hauptstudium) zwischen<br />

den angeschlossenen Hochschulen. Dies<br />

gilt für Projekte von Studierenden und/oder<br />

Professoren.<br />

Mit dem Projektfonds Tanz der Künste<br />

fördert die <strong>HfMDK</strong> seit 2006 interdisziplinäre,<br />

studiengangsübergreifende Projekte,<br />

die von Studierenden eigenverantwortlich<br />

durchgeführt und von einem frei wählbaren<br />

Mentor individuell begleitet und betreut<br />

werden. Im Rahmen des Projektfonds<br />

werden ergänzend Lehrveranstaltungen und<br />

Workshopprogramme angeboten, die für<br />

alle Studierenden der <strong>HfMDK</strong> offen sind.<br />

Musik Monat Mai! ist eine Initiative der<br />

<strong>HfMDK</strong>, bei der sich alle großen Musikinstitutionen<br />

<strong>Frankfurt</strong>s an einer alljährlichen<br />

Musikprojektwoche beteiligen. Dabei<br />

veranstalten sie Konzerte in Schulklassen<br />

oder laden Schülerinnen und Schüler zu<br />

Konzerten ein, um allen Jugendlichen ein<br />

musikalisches Live-Erlebnis zu ermöglichen.<br />

In diesem Rahmen findet auch der<br />

1822-Musikwettbewerb <strong>Frankfurt</strong> klingt<br />

statt, den die <strong>HfMDK</strong> mit Förderung der<br />

1822-Stiftung der <strong>Frankfurt</strong>er Sparkasse<br />

veranstaltet. In ihm können Schulklassen<br />

und -kurse ihren themenspezifischen<br />

musikalischen Beitrag präsentieren, in<br />

diesem Jahr zum Motto „Frühlingsgefühle“.<br />

Die <strong>HfMDK</strong> ist mit zwei professionellen<br />

Fundraiserinnen die Benchmark in Deutschland<br />

für strategisches Fundraising an einer<br />

Kunsthochschule für Musik, Theater und<br />

Tanz.<br />

Der Masterstudiengang für Historische<br />

Interpretationspraxis bietet in konzentrierter<br />

Form neben Hauptfachunterricht bei<br />

international renommierten Lehrkräften ein<br />

„Paket“ an Studieninhalten, wie sie für die<br />

Qualifikation in einer zumeist freiberuflichen<br />

Berufstätigkeit im Bereich der Alten Musik<br />

unverzichtbar sind: Aufführungspraxis,<br />

Cembalo, Generalbass, Kammermusik,<br />

Ensemble, Orchester und Opernprojekte,<br />

Musik vor 1600.<br />

Mit dem Fach Physiodrama hat die<br />

<strong>HfMDK</strong> seit 2008 als einzige Hochschule<br />

in Deutschland im Ausbildungsbereich<br />

Schauspiel eine gleichnamige Professur<br />

eingerichtet, die der Betonung des<br />

körperlichen Ausdrucks im zeitgenössischen<br />

Sprechtheater Rechnung tragen<br />

soll. Statt einem bloß körperlichen Training<br />

geht es um die Entwicklung neuer körperlicher<br />

Ausdrucks- und Spielweisen.<br />

61


„EINE HOCHSCHULE IST KEIN DURCHLAUFERHITZER“<br />

Die Professoren Jörg Widmann und Martin Lücker im Interview über<br />

das Reifen der künstlerischen Persönlichkeit im Laufe eines Musikstudiums<br />

Während sich die Berliner Philharmoniker in den Nebenräumen<br />

für Jörg Widmanns Komposition „Flute en suite“ einspielen, trifft<br />

sich der Komponist und Klarinettist vor Konzertbeginn des<br />

„Auftakt“-Festivals in der Alten Oper in einem Salon mit dem<br />

<strong>HfMDK</strong>-Orgelprofessor Martin Lücker. Ein gemeinsames Nachdenken<br />

über die „Kunstausbildung im Wandel“ führt Jörg Widmann,<br />

Professor für Komposition und Klarinette an der Hochschule für<br />

Musik Freiburg, und Martin Lücker, Professor für Künstlerisches<br />

Orgelspiel an der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main, für ein Gespräch unter<br />

Kennern zusammen. Eine gute Gelegenheit für „<strong>Frankfurt</strong> in Takt“,<br />

die beiden Musikerpersönlichkeiten im Dialog darüber zu erleben,<br />

wie ein künstlerisches Studium gerade im Angesicht veränderter<br />

Marktbedingungen und höher geschraubter Erwartungen an die<br />

Absolventen zu einer glücklichen Reifungszeit werden kann.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche Rahmenbedingungen sollte eine Hochschule<br />

bieten, um Studierenden zu helfen, ihre Fähigkeiten, ihre<br />

Identität als Künstler und Perspektiven so zu entwickeln, dass sie<br />

sich angemessen auf ihr späteres Berufsleben vorbereiten können?<br />

Prof. Jörg Widmann Bei den Fragen „Wer bin ich? Wo möchte ich<br />

hin? Und wo bin ich jetzt gerade?“ finde ich persönlich wichtig,<br />

dass die Hochschulausbildung ein Raum sein darf und muss, in<br />

dem der Studierende auch einmal einen Irrweg geht. Niemand<br />

sollte unter einem solchen Zeitdruck studieren, dass so ein Umweg<br />

nicht möglich wäre. Was ich als Hochschulprofessor wahrnehme,<br />

ist gegenwärtig die Gefahr in vollkommen durchstrukturierten<br />

Studiengängen, dass nicht etwa eine Vertiefung der Beschäftigung<br />

mit dem Hauptgegenstand, nämlich der Musik, stattfindet und die<br />

Möglichkeit fehlt, einen Raum für Menschen zu schaffen, die sich<br />

doch universell bilden möchten. Es sollte aber nicht nur darum<br />

gehen, zu einem Spezialistentum gedrängt zu werden, indem<br />

Studierende möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit wie in<br />

einem Durchlauferhitzer schnell durchlaufen, um dann bitte sofort<br />

in den Beruf zu gehen, dort Nutzen zu bringen und Geld abzuwerfen.<br />

Diese effizienzorientierte Tendenz macht mich sehr traurig,<br />

und ich glaube, dass sie dem Menschen, aber auch unserem Fach<br />

zuwiderläuft. Das Jahr Auslandsstudium, das ich als Student in<br />

New York verbringen durfte, war für mich ein ganz schwieriges,<br />

aber auch intensives Jahr, in dem ich mich am eigenen Schopfe<br />

aus dem Sumpf der Unsicherheit gezogen habe und dadurch<br />

unendlich viel profitieren konnte. Dieses Krisenjahr hat mich<br />

vorangebracht, weil genau dieser Findungsprozess stattfinden<br />

konnte.<br />

Ich habe keine Allheilmittel und Rezepte zur Hand, wie eine ideale<br />

Hochschule, die es niemals geben wird, aussehen könnte. Aber im<br />

Rahmen meiner Möglichkeiten möchte ich als Hochschullehrer<br />

versuchen, den Studierenden den Rücken freizuhalten, damit sie<br />

sich fokussieren können auf das, was ihnen wirklich wichtig ist.<br />

Dieser Freiraum macht sie einerseits viel selbstbewusster und sorgt<br />

andererseits für neue Verunsicherungen – beides stelle ich fest.<br />

Viele spielen im Sommer in den großen Jugendsinfonieorchestern<br />

unter den großen Dirigenten mit und merken dabei, wie nah sie<br />

daran sind, in ein großes Orchester zu kommen. Und dann kommen<br />

sie aus den Semesterferien zurück und denken: „Nein, ganz so<br />

ist es doch noch nicht.“ Diese Unsicherheit nimmt meiner Ansicht<br />

nach genauso zu wie ein manchmal überproportionales Selbstbewusstsein.<br />

Beides sollte in eine Balance kommen, und das braucht<br />

eben Zeit.<br />

FiT Wie erleben Sie den quantitativen und qualitativen Leistungsdruck<br />

bei Ihren Studierenden, Professor Lücker?<br />

Prof. Martin Lücker Aus meiner eigenen Biografie heraus weiß ich,<br />

dass für Instrumentalisten der Berg an Repertoire, durch den sich<br />

Studierende über Jahre hinweg „fressen“ sollen, mit fortschreitender<br />

Musiktradition immer größer wird. Auf der anderen Seite<br />

werden die Zeitzwänge auch immer größer. Folglich raten manche<br />

oftmals zu einer frühzeitigen Spezialisierung, was ich aber für ganz<br />

falsch halte. Ich bin überzeugt, dass jeder genügend Zeit haben<br />

muss, ein gewisses Repertoire für sein Instrument kennenzulernen.<br />

Insofern heißt Wandel für mich strukturiertes Wachstum. Was die<br />

Persönlichkeitsbildung angeht: Wir sind Musikhochschulen, keine<br />

Persönlichkeitsbildungsschulen. Man bildet eine Persönlichkeit,<br />

indem man sich mit einem Gegenstand auseinandersetzt und sich<br />

an ihm reibt. Manchmal schwimmt man mit dem Gegenstand,<br />

62


Foto: Andreas Reeg<br />

Fagottist Nadav Cohen, Stipendiat der Internationale Ensemble Modern Akademie, während einer Orchesterprobe im Großen Saal der <strong>HfMDK</strong>.<br />

63


I n t e r v i e w<br />

Lücker Die individuelle<br />

Sprachfindung ist<br />

dadurch eigentlich<br />

schwerer geworden.<br />

manchmal hat man das Gefühl, in eine andere Richtung zu<br />

schwimmen. Damit umgehen zu lernen, stärkt die Persönlichkeit;<br />

sich mit einem Gegenstand dauerhaft zu befassen, der sich einem<br />

zunächst versperrt. Wer sich eingehend, aber auch liebevoll mit<br />

ihm weiter beschäftigt, dem wird er sich irgendwann auf einmal<br />

öffnen. Es gehört auch zu unserer Professionalität, dass wir uns<br />

alle mit Fug und Recht die Zeit nehmen und den Willen entwickeln,<br />

in einen Gegenstand wirklich einzudringen und danach unser<br />

Urteil zu bilden. Ich glaube, ich habe es leichter gehabt als Sie,<br />

Herr Widmann: Ich bin ein Kind des Kalten Krieges. Und den Kalten<br />

Krieg gab es natürlich auch in der Kunst nach dem Motto „Cluster<br />

gut, Dur-Akkord böse“. In den 70er Jahren erlebte ich den Paradigmenwechsel<br />

auch durch die Beschäftigung mit historisch<br />

informierter Praxis: Das Sich-Reiben an scheinbar festgefügten<br />

Kategorien kann etwas sehr Produktives sein.<br />

Widmann Stimmt. Und im Komponieren war und ist es genauso.<br />

Noch vor Jahren konnten sich Komponisten positionieren, indem<br />

sie gegen oder für etwas waren. Das ist heute in der Tat komplexer:<br />

In einer Zeit, in der ich tatsächlich alles darf, muss ich umso<br />

deutlicher eigene Pflöcke einrammen und Gesetzmäßigkeiten<br />

selber schaffen.<br />

Widmann Ja, sie wird<br />

schwerer, aber ich finde<br />

trotzdem, dass es<br />

aufregend ist, heute zu<br />

wirken, zu leben, Kunst<br />

zu machen. In der<br />

Instrumentalausbildung<br />

bedeutet dies: Auf eine<br />

Orchesterstelle<br />

bewerben sich heute so<br />

unglaublich viel mehr<br />

fantastisch ausgebildete<br />

Leute als noch vor<br />

wenigen Jahren.<br />

Entsprechend selbstverständlich<br />

müssen sie<br />

die Literatur beherrschen<br />

und präsentieren.<br />

Das ist etwas, das mich<br />

aber auch mit ein wenig<br />

Traurigkeit erfüllt, dass<br />

es diese toll ausgebildeten<br />

Leute gibt, die<br />

sicher nicht einmal<br />

annähernd alle eine<br />

feste Orchesteranstellung bekommen werden. Das ist ein Dilemma.<br />

Ich komme gerade von einer Probe mit dem SWR-Sinfonieorchester<br />

Baden-Baden, dem ich sehr verbunden bin und ohne das es<br />

uns moderne Komponisten gar nicht geben würde. Mittlerweile ist<br />

klar: Es wird mit dem Stuttgarter Radio-Sinfonieorchester fusionieren<br />

und damit seine Eigenständigkeit aufgeben müssen. Eine<br />

schlimme Vorstellung, auf der einen Seite drängen in den Hochschulen<br />

grandios ausgebildete junge Leute nach, die in ein solches<br />

Orchester fantastisch hineinpassen würden. Auf der anderen Seite<br />

wird ein so großartiges Orchester in einer so musikalischen Stadt<br />

wie Freiburg geschlossen. Das bedeutet für unsere Freiburger<br />

Hochschule auch Gravierendes: Da bricht die ganze Infrastruktur<br />

auseinander, weil wir eine Kooperation mit dem Orchester haben.<br />

Das Orchester probt bei uns für Donaueschingen, und wir bieten<br />

den Studierenden mit den Musikern Kurse für bestimmte Spieltechniken<br />

an – das bricht alles weg. Eine solche Entwicklung betrübt<br />

mich sehr.<br />

Die beiden Hochschulprofessoren Jörg Widmann, Komponist und Klarinettist (links), und Martin Lücker, Organist (rechts),<br />

trafen sich in der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong> zum gemeinsamen Gespräch.<br />

FiT Wie kann dann Hochschule ein Schonraum sein, wenn sie<br />

angesichts steigender Konkurrenz mehr denn je auf Spitzenleistungen<br />

vorbereiten muss?<br />

64


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Widmann Diese Leistungen sind mit und ohne Schonraum vorhanden,<br />

sogar mehr als früher. Wenn damals fünf Fagottisten zum<br />

Probespiel kamen, wurde der Beste von ihnen genommen und<br />

hat bis heute diese Orchesterstelle. Heute ist es so, dass da eine<br />

Vielzahl von Leuten kommt. Man muss ja schon Vorauswahlen<br />

machen, teilweise schon mit Videoband. Trotzdem fordere ich,<br />

dass ich als Hochschullehrer nicht nur den Markt bedienen kann.<br />

Übrigens will heute auch nicht mehr jeder Instrumentalist ins<br />

Orchester, auch das hat sich gewandelt. Man spürt: Die Hochschulen<br />

sind in der Tat im Wandel und bereiten sich insgesamt gut<br />

darauf vor.<br />

FiT Probespiele zu bestehen, setzt voraus, im richtigen Moment<br />

vorher festgelegte Probespielstellen vorzüglich abzuliefern. Welche<br />

Gefahr sehen Sie darin?<br />

Widmann Die Gefahr der Einengung und Verdummung. Schlimm<br />

finde ich es, wenn jemand die Coda des dritten Satzes von Mozarts<br />

Klarinettenkonzert nicht übt, weil er weiß, dass sie im Probespiel<br />

nicht abgefragt wird. In meinem Selbstverständnis sollte man das<br />

Konzert natürlich erst einmal in seiner Gänze studiert haben, bevor<br />

man mit ihm zum Probespiel aufbricht. Eine Einengung erlebe ich<br />

auch in technischen und stilistischen Fragen, wenn Studierende so<br />

zu spielen versuchen, wie sie glauben, dass man es im Probespiel<br />

von ihnen erwartet, ohne dass sie wirklich dazu stehen. Da sind wir<br />

wieder bei unserer Eingangsfrage: Wer bin ich als Spieler? Und bin<br />

ich nicht am ehrlichsten, wenn ich eine Phrase innig empfunden<br />

spiele und nicht so, wie ich denke, dass sie von mir erwartet wird?<br />

FiT Herr Lücker, wie gehen Sie mit derlei Einengungen um?<br />

Lücker Was ich als Lehrer an künstlerischem Ethos vorlebe, was ich<br />

also nicht nur behaupte, sondern was ich in meiner musikalischen<br />

und Unterrichtspraxis wirklich bewahrheite, finde ich sehr wichtig.<br />

Eigene künstlerische Entscheidungen müssen über scheinbare<br />

Sachzwänge erhaben sein, damit Musiker nicht zu „dummen<br />

Usern“ werden, die einfach nur noch bestimmte Handlungsanweisungen<br />

ausführen, die sie von außen aufnehmen. Wenn ein<br />

Studierender von mir auf einen Wettbewerb oder zu einer Bewerbung<br />

fährt, kennt man oft die Vorerwartungen von bestimmten<br />

Leuten in der Jury – das kann helfen, aber auch gefährlich sein.<br />

In meinem eigenen Werdegang habe ich mich von derlei Vorerwartungen<br />

nicht beeindrucken lassen, hielt vielleicht sogar bewusst<br />

dagegen und hatte immer Erfolg damit.<br />

Auch wenn ich selbst heute in Kommissionen sitze, finde ich immer<br />

erfrischend, wenn jemand nicht so spielt, wie man es erwartet hat,<br />

und damit trotzdem überzeugt. Es gibt ja andererseits auch<br />

Interpretationen, bei denen man nach dem dritten Ton weiß, wie<br />

sich die nächste halbe Stunde gestalten wird – so etwas finde ich<br />

gähnend langweilig.<br />

FiT In Teilen haben Sie diese Frage schon beantwortet – würden<br />

Sie der These zustimmen: Je früher ein Mensch genau weiß, was er<br />

will, desto besser ist es für seine berufliche Entwicklung?<br />

Widmann Je länger der Mensch weiß, dass er nichts weiß, umso<br />

besser – drastisch formuliert. Dieses permanente Suchen ist etwas<br />

ganz Wichtiges in unserem Künstlerberuf, und auch etwas ganz<br />

Schmerzhaftes, weil man sich permanent häuten muss. Wenn man<br />

glaubt, etwas gefunden zu haben – in der Interpretation, was<br />

Tempo anbelangt –, kann das in fünf Jahren schon wieder ganz<br />

anders sein. Und wenn man sich dieser Offenheit versperrt, wäre<br />

dies nicht intelligent. Wenn der ideale Weg, der funktioniert, zur<br />

Routine führt und zum Glauben, ich hätte alles gefunden, ist dies<br />

eigentlich das Allertraurigste, was passieren kann. Es gibt ja diese<br />

berühmten drei Sekunden, in denen man jemanden eine Interpretation<br />

spielen hört, in denen sich offenbart, ob jemand sein Instrument<br />

absolut beherrscht und gut ausgebildet ist und trotzdem von<br />

der Musik nichts versteht – vielleicht, weil er eine Stille oder<br />

Spannung gar nicht empfindet und lebt. Das hat, glaube ich, damit<br />

zu tun, ob sich jemand tatsächlich auch ein bisschen für die<br />

anderen Bereiche um sich herum interessiert – für die anderen<br />

Künste, für die anderen Instrumente. Das zu erwähnen, ist mir<br />

natürlich wichtig, weil ich beide Fächer unterrichte – Klarinette und<br />

Komposition. Ich habe in meinen ersten Jahren als Unterrichtender<br />

gemerkt, dass da kein wirklicher Austausch zwischen den Disziplinen<br />

stattfand. Mittlerweile gehen bei uns die Komponisten in die Instrumentalklassen<br />

und umgekehrt. Stücke schreiben meine<br />

Kompositionsstudierenden nicht abstrakt, sondern für ganz<br />

bestimmte Kommilitonen, mit denen sie von Anfang an das Stück<br />

gemeinsam erarbeiten. Für diesen Interpreten wiederum ist das<br />

dann auch nicht mehr das „böse“ Neue-Musik-Projekt, das er laut<br />

Studienordnung halt absolvieren muss, sondern wirklich „sein<br />

eigenes“ Stück. Dabei konnte ich mehrmals beobachten, wie<br />

jemand vor diesem Hintergrund ganz anders auf die Bühne geht,<br />

wenn es „sein Stück“ ist. Solche Momente sind ganz wichtig.<br />

FiT Herr Lücker, können Sie von ähnlichen Erfahrungen berichten?<br />

Lücker Ich kann das in jederlei Hinsicht unterstützen. Hans Zenders<br />

einstige <strong>Frankfurt</strong>er Kompositionsklasse nahm sich damals<br />

beispielsweise zwei Tage Zeit, um die Orgel mit ihren spieltechnischen<br />

und kompositorischen Möglichkeiten kennenzulernen.<br />

Das Problem ist der Zeitfaktor, weil natürlich all diese Dinge Zeit<br />

brauchen. Ich bringe es gern auf die Formel: Eine musikalische<br />

Ausbildung ist keine Geflügelzucht, wo ich sagen kann: 36 Tage<br />

Aufzucht und dann ist das Schlachtgewicht von 837 Gramm<br />

erreicht. Ausbildung muss auch immer ein geschützter Raum sein,<br />

wo Irrtümer möglich sind, wo auch nicht-lineare Entwicklungen<br />

möglich sind.<br />

Widmann Wobei ja aus meiner Erfahrung künstlerische Entwicklung<br />

in den seltensten Fällen linear verläuft.<br />

Lücker Und dann sehe ich meine Aufgabe als Lehrer vor allem<br />

darin, zunächst bei jemandem zu bleiben, also wirklich auch im<br />

menschlichen Sinne seine Hand zu halten in dem Moment, wenn<br />

er vielleicht das Geländer loslassen will, sozusagen die „Oberkurve“<br />

zu beobachten, wie eine Entwicklung voranschreitet.<br />

66


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67


Hornist Salgueiro Garcia während einer <strong>HfMDK</strong>-Orchesterprobe im Großen Saal der Hochschule<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

Foto: Andreas Reeg<br />

68<br />

Valentina Busso absolvierte im Wintersemester 2012/13 ihr<br />

Konzertexamen an der <strong>HfMDK</strong>.


I n t e r v i e w<br />

Früher betrug bei uns die Regelstudienzeit für eine Künstlerische<br />

Ausbildung zehn Semester. So wenig, wie man in acht Jahren Gymnasium<br />

dasselbe Resultat haben kann wie in neun Jahren – sowohl<br />

qualitativ wie auch quantitativ –, so wenig kann man heute sagen,<br />

dass jemand mit dem Bachelor-Studium genauso weit kommen<br />

kann wie ein Diplom-Absolvent mit einem Jahr mehr. Ich kann auch<br />

nicht zu einem Baum hingehen und sagen: „Eigentlich wächst du<br />

30 Jahre, aber du tust das jetzt mal in 20.“ Wir wissen, dass, wenn<br />

es doch so war, es zu schlimmen Eingriffen geführt hat – durch<br />

künstliche Düngung. Wir wissen zudem, dass manchmal gerade die<br />

letzten Studienjahre exponentielle Entwicklungskurven aufzeigen.<br />

Und da müsste die Hochschule in Zukunft eine kluge Filterfunktion<br />

haben – eine Filterfunktion auch in dem Sinne, dass sie nun die<br />

ewigen Einflüsterungen der Globalisierung und Digitalisierung nicht<br />

so in den Vordergrund stellt und einfach vermittelt: „Vielleicht<br />

wirst du dich eines Tages mal damit beschäftigen müssen. Aber<br />

zunächst dreht es sich um dich und dass du weiterkommst.“<br />

Jede Beschäftigung mit Kunst sperrt sich tendenziell gegen eine<br />

zeitliche Regelung. Kunst, und besonders Musik, gestaltet immer<br />

ihre eigene Zeit. Und diese Zeit, die Musik gestaltet, kann eine<br />

halbe Stunde wunderschönste Ewigkeit, aber auch zehn Minuten<br />

blanken Horrors sein.<br />

FiT Dennoch müssen die aktuellen Marktströmungen – Stichwort<br />

Globalisierung, Digitalisierung, größere Konkurrenz, steigender<br />

Vermarktungsdruck – in das Bewusstsein der Studierenden Eingang<br />

finden, oder?<br />

bare „Schlachtreife“ gibt es nicht. Ich bringe die Begrenztheit des<br />

eigenen Schaffens gern auf folgende Formel: „Was ich leisten kann,<br />

sind Präzision und Gottvertrauen.“<br />

Widmann Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Ich muss ein Stück als<br />

Bläser so geübt haben, dass es auch gut funktioniert, wenn mein<br />

Puls deutlich erhöht ist und ich weniger Luft zur Verfügung habe als<br />

noch beim Üben. Da muss ich Grenzen überschreiten und ausloten.<br />

Schön ist es, wenn ich Studierende vor mir habe, die diese<br />

Bereitschaft mitbringen, an ihre Grenzen zu gehen. Ich glaube, dass<br />

sich Karrieren oft auch genau daran entscheiden.<br />

FiT In dieser Hinsicht ist sicher auch die Motivationsfähigkeit und<br />

Geduld des Lehrenden gefragt.<br />

Widmann Wichtig ist es, als Lehrer zu beharren, auch wenn beim<br />

Schüler gerade noch nicht der Erkenntnisknoten platzt. Wenn der<br />

Knoten eines Tages platzt, ist das ja für uns Lehrer der schönste<br />

Punkt, wenn solche Momente geschehen. Auch in meiner eigenen<br />

Ausbildung waren die Inputs von meinen Lehrern für mich ganz<br />

wichtig. Ich möchte mit meinem Begriff vom „Schutzraum<br />

Hochschule“ übrigens nicht missverstanden werden: Ich behaupte<br />

nicht, dass man Studierende nur peppeln und von der Realität fern<br />

halten sollte, im Gegenteil. Aber es muss auch möglich sein,<br />

jemanden, bei dem gerade der Knoten noch nicht platzt, in seinem<br />

Prozess zu begleiten und ihm klarzumachen, dass er Vertrauen<br />

haben soll und wissen kann, dass die Hochschule hinter ihm steht.<br />

Widmann Grundsätzlich möchte ich all diese Dinge gar nicht<br />

verteufeln, weil sie zu unserer Realität gehören; insofern soll die<br />

Hochschule auch darauf vorbereiten. Aber sie haben in den letzten<br />

Jahren ein Übergewicht bekommen. Klar muss sein: Am Ende<br />

des Studiums brauche ich nicht zu wissen, wie ich mich vermarkte,<br />

wenn ich nicht mein Instrument gelernt habe.<br />

Ich habe früher für die Münchner Kammerspiele Schauspielmusiken<br />

gemacht. Dort sagte Regisseur Dieter Dorn einmal in einem<br />

ver-zweifelten Moment zu seinen Schauspielern: „Ich bin der<br />

schlechteste Regisseur der Welt, wenn ihr mir nichts anbietet.<br />

Bietet mir was an, und dann kann ich auch reagieren.“ Heißt für<br />

uns: Ein Student, der nur erwartet, „der Lehrer wird‘s mir schon<br />

sagen“, ist letzten Endes auch gar kein intelligenter Student; der<br />

intelligente Student hinterfragt tatsächlich selbst aktiv. Wenn<br />

die jungen Leute sich dann nicht nur selbstbewusst auf die Bühne<br />

stellen, sondern zugleich so sehr an die Sache glauben, dann<br />

kommt dieser Zauber auch wieder über die Bühne, dann kann<br />

ein Publikum auch daran glauben.<br />

FiT Was wünschen Sie sich für die Hochschule der Zukunft?<br />

Lücker Ganz einfach: dass in ihr wieder mehr über Musik geredet<br />

wird. Ich habe neulich mal zu einer Künstlerkollegin in einem<br />

Funktionsposten gesagt: Es ist das erste Mal seit drei Jahren, dass<br />

wir über Musik sprechen und nicht über irgendwelche Studienpläne!<br />

Widmann Da haben Sie allerdings recht. Ich möchte das mal mit<br />

der Hoffnung verbinden, dass der Übergangsprozess hin zur<br />

kompletten Modularisierung unserer Studiengänge irgendwann<br />

abgeschlossen sein wird. Manche Initiativen dieser Art sind<br />

sicherlich richtig, nachdem sich die Studierenden in den Hochschulen<br />

früher vielleicht wirklich zu einseitig nur mit ihrem Instrument<br />

beschäftigt haben und weniger mit der Frage, wie sie damit später<br />

in den Beruf kommen. Zwischen den Polen wird sich eine neue<br />

Normalität hoffentlich gut einpendeln – irgendwo in der Mitte, so<br />

dass endlich wieder über die Musik geredet wird.<br />

FiT Ist ein künstlerisches Studium nicht auch die Auseinandersetzung<br />

mit den eigenen Grenzen?<br />

Lücker Durchaus. Meine Erfahrung als junger Musiker war einfach<br />

die, dass zwei Jahre nach meiner Hochschulausbildung 30 Prozent<br />

der Inhalte, die ich gelernt hatte, Makulatur waren. Ich war aber in<br />

der Lage, mich in Neues hineinzufinden. Wie gesagt: Eine definier-<br />

Lücker Oder Musik gemacht wird!<br />

Widmann Oder gemacht wird, das ist das Allerwichtigste.<br />

bjh<br />

69


S t a t e m e n t s<br />

Bettina Kessler<br />

studiert Violoncello an der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Michael Sanderling<br />

ist Professor für Violoncello an der<br />

<strong>HfMDK</strong>.<br />

Foto: Andreas Kessler<br />

Ausschlaggebend für mein Studium an<br />

der <strong>HfMDK</strong> war natürlich der Wunsch, bei<br />

Prof. Michael Sanderling zu studieren,<br />

einem der vielseitigsten Musiker der heutigen<br />

Zeit, der seine Studenten zu großer<br />

künstlerischer und methodischer Selbstständigkeit<br />

erzieht und als gefeierter Solist,<br />

Orchestermusiker und Dirigent allen ein<br />

großes Vorbild ist. Nach kurzer Zeit an<br />

der <strong>HfMDK</strong> wird zudem deutlich, was, was<br />

die Hochschule als solche zu bieten hat,<br />

beispielsweise Korrepetitoren/Assistenten<br />

wie Anna Naretto, die weit über die<br />

Aufgabe eines Korrepetitors hinaus die<br />

Studierenden fordern und fördern, ihnen<br />

ein künstlerisches Leitbild sind und<br />

dadurch einen großen Anteil an der<br />

außerordentlichen Qualität des Studiums<br />

haben; interessante fächerübergreifende<br />

Seminare; einen offenen Dialog zwischen<br />

Lehrenden und Studierenden und nicht<br />

zuletzt eine Verwaltung, die sich mit<br />

bestem Bemühen um unsere Belange<br />

kümmert.<br />

Hernando Leal Gomez<br />

studiert an der <strong>HfMDK</strong> Flöte im Master-<br />

studiengang Historische Interpretationspraxis.<br />

Damit ergänzt er vorangegangene<br />

Studien in Flötenspiel, Dirigieren und<br />

Pädagogik.<br />

Die <strong>Frankfurt</strong>er Abteilung für Historische<br />

Interpretationspraxis, kurz „HIP“, ist klein<br />

und groß zugleich – klein, was die beengten<br />

Räumlichkeiten betrifft, aber groß in<br />

den reichlichen Auftrittsmöglichkeiten, die<br />

uns das Haus bietet – mehr als an manch<br />

anderer Hochschule mit größeren Abteilungen.<br />

So ist die <strong>HfMDK</strong> ein ideales<br />

Forum, um in verschiedenen Besetzungen<br />

Erfahrungen zu sammeln und Kontakte<br />

aufzubauen. Als Musiker, der ursprünglich<br />

von der „modernen“ Flöte kommt, wünsche<br />

ich mir, dass sich die Welten zwischen „alt“<br />

und „neu“, historisch und zeitgenössisch,<br />

an der Hochschule noch mehr miteinander<br />

mischen. Mein Studium in Alter Musik hat<br />

mir viele Türen geöffnet, auch die jüngere<br />

Literatur besser zu begreifen.<br />

Jungen Menschen und angehenden<br />

Musikern zu helfen, sich ihren Traum vom<br />

Leben für die, mit der und im Dienste der<br />

Musik zu verwirklichen, ist für mich nicht<br />

nur eine Herausforderung, sondern<br />

bedeutet mir größte Genugtuung.<br />

Meine Arbeit als Lehrer an der Hochschule<br />

gehört somit zum Wichtigsten in meinem<br />

eigenen musikalischen Leben. Dass ich<br />

durch eine wunderbare Atmosphäre an<br />

unserem Haus auch im Austausch zu<br />

meinen geschätzten Kollegen stehen kann<br />

und über die musikalische Arbeit hinaus<br />

wunderbare persönliche Freundschaften<br />

entstanden sind, macht mich zusätzlich<br />

sehr glücklich!<br />

Musik selber machen: wunderbar!<br />

Musik gemeinsam erleben, erlebbar<br />

machen und vermitteln: die Krönung!!!!<br />

70


W a s m i r d i e H f M D K b e d e u t e t<br />

Laura Ruiz Ferreres<br />

ist Professorin für Klarinettenspiel an<br />

der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Michael Schneider<br />

ist als Professor für Blockflöte und<br />

Historische Interpretationspraxis Direktor<br />

der gleichnamigen Ausbildungsabteilung<br />

im Fachbereich 1.<br />

Vor genau 30 Jahren bin ich nach vorherigen<br />

Hochschultätigkeiten in Köln und<br />

Berlin an die <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> gekommen<br />

und damit unversehens jetzt einer der<br />

dienstältesten Lehrenden am Hause.<br />

Ich habe sehr unterschiedliche Zeiten<br />

unseres Instituts erlebt, darunter auch<br />

äußerst kritische.<br />

Heute betrachte ich die <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong><br />

am Main als eine sehr gute Hochschule und<br />

einen angenehmen Arbeitsplatz. Hier gehe<br />

ich gerne täglich meiner Unterrichtstätigkeit<br />

nach, wobei das überaus angenehme<br />

kollegiale Arbeitsklima sicher eine wichtige<br />

Rolle spielt.<br />

Unsere Hauptaufgaben lauten: Bei jungen<br />

Menschen Leidenschaft und Verständnis<br />

für Musik und Kunst zu fördern und sie mit<br />

handwerklichen Fähigkeiten für das Bestehen<br />

im harten Berufsalltag eines Musikers<br />

auszustatten. Unsere Hochschule bietet<br />

gute Bedingungen, dass dies gelingen kann.<br />

Als Professorin an der Hochschule zu<br />

arbeiten, heißt für mich, eine Begleiterin zu<br />

sein bei der persönlichen Entwicklung von<br />

jungen Künstlern. Ich möchte sie darin<br />

stärken, ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu<br />

entdecken und ihre Gefühle musikalisch<br />

authentisch umzusetzen. In meiner Klasse<br />

möchte ich einen Geist befördern, in dem<br />

gegenseitige Hilfe selbstverständlich ist,<br />

aber auch die Offenheit für neue Ideen und<br />

Vorstellungen, sei es künstlerisch oder<br />

menschlich. Ständig dazuzulernen und sich<br />

zu verbessern, ist mein eigenes Leitmotiv,<br />

das ich auch meinen Studierenden<br />

nahelege, denn so kann musikalische Reife<br />

entstehen. Die <strong>Frankfurt</strong>er Hochschule<br />

bietet dafür beste Voraussetzungen.<br />

Dr. Julia Cloot<br />

leitet das Institut für zeitgenössische<br />

Musik IzM an der <strong>HfMDK</strong> seit 2005.<br />

Seit 2011 ist sie Präsidentin derDeutschen<br />

Sektion der Internationalen<br />

Gesellschaft für Neue Musik (auf dem<br />

Foto bei den „Urviechern“ der Konzertreihe<br />

„Bestiarium“, die das IzM gemeinsam<br />

mit dem Senckenberg Naturmuseum<br />

veranstaltet hat).<br />

Ein tönendes Haus<br />

Wie eine riesige Spieluhr<br />

Schlaflieder – eher selten<br />

Wer dreht die Kurbel?<br />

Zum 75.? Ein Gedicht und alles Gute!<br />

Was alle eint? Feuer für die Sache.<br />

Das Foyer? Ein Cluster aus Anliegen,<br />

Freistunden und kleinem Dienstweg.<br />

Sitzungen? Oft genug ein Tristanakkord –<br />

das strebt nach allen Seiten auseinander,<br />

lässt mehrere Deutungen zu und löst<br />

sich am Ende in ein ganz neues Tonsystem.<br />

Projekte? Gern auch zertierende Konzerte.<br />

Das Institut? Immergleiches Übegeräusch<br />

und mehr Lust als Angst bei Neuer Musik.<br />

Die <strong>HfMDK</strong>? Unentbehrlich.<br />

71


S t a t e m e n t s<br />

Silke Altmannsberger<br />

arbeitet in der Abteilung Personalservice<br />

und Organisation der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Matthias Markus<br />

Kowalczyk<br />

ist Studierender der <strong>HfMDK</strong> und Solotrompeter<br />

des <strong>Frankfurt</strong>er Opern- und<br />

Museumsorchesters.<br />

Daniela Kabs<br />

ist Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros<br />

an der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Foto: Jürgen Friedel<br />

Als 18-jähriger Jungstudent durfte ich<br />

bereits am Hochschulleben der <strong>HfMDK</strong><br />

teilhaben. Das gesunde Verhältnis zwischen<br />

freundschaftlicher Gemeinschaft und<br />

unvermeidlicher Konkurrenz hat mich von<br />

Beginn an fasziniert und einen erheblichen<br />

Teil zu meiner musikalischen, künstlerischen,<br />

vor allem auch menschlichen<br />

Entwicklung beigetragen. Ausschlaggebend<br />

für meine Entscheidung hier zu studieren,<br />

waren das hohe Niveau jedes Einzelnen, vor<br />

allem aber der unermüdliche und grenzenlose<br />

Einsatz der hervorragenden Dozenten,<br />

von denen ich mich stets persönlich und<br />

individuell betreut gefühlt habe. Dabei wurde<br />

sehr viel Wert darauf gelegt, möglichst<br />

oft über den Tellerrand der eigenen Hochschule<br />

hinauszuschauen und externe<br />

Dozenten mit Rang und Namen für Meisterkurse<br />

einzuladen. Schließlich haben mich<br />

Kurse für Mentales Training optimal auf<br />

ein erfolgreiches Probespiel und den darauf<br />

folgenden Berufsalltag vorbereitet.<br />

Ich kam von der Hessischen Hochschule<br />

für Polizei und Verwaltung in die Hochschulwelt<br />

der Musik und der Darstellenden<br />

Kunst. Seit meinem Wechsel vor neun<br />

Jahren hierher haben sich viele Dinge<br />

und Strukturen im Hause verändert: Die<br />

Hochschule ist internationaler geworden<br />

und in allen Bereichen gewachsen. Damit<br />

wuchsen auch die Aufgaben und stiegen<br />

die Anforderungen. Unverändert geblieben<br />

ist aber das, was mir bei der Arbeit schon<br />

immer besonders wichtig war und ist:<br />

das Miteinander und der Kontakt mit den<br />

unterschiedlichsten Menschen mit den<br />

unterschiedlichsten Lebenswegen, Talenten,<br />

Begabungen und Karrieren. Und dies erlebe<br />

ich nun wirklich und täglich bei der<br />

Betreuung der inzwischen 360 Lehrbeauftragten<br />

und der heute gut 80 studentischen<br />

und wissenschaftlichen Hilfskräfte.<br />

Für das Jubiläumsjahr wünsche ich der<br />

<strong>HfMDK</strong>, dass wir, mit ausreichenden<br />

Mitteln und Räumen ausgestattet, die<br />

Chance bekommen, unter einem gemeinsamen<br />

Dach zu arbeiten und sichtbar<br />

werden zu lassen, was in ihr steckt, in allen<br />

Ecken und Winkeln der Musik, der Kunst –<br />

und der Verwaltung.<br />

Eine Elternzeitvertretung im Veranstaltungsbüro<br />

der Hochschule: nicht das, was ich<br />

mir eigentlich vorgestellt hatte, aber nach<br />

den zehn Monaten konnte ich mich ja nach<br />

einem „richtigen“ Job umschauen. Aus<br />

den zehn Monaten sind nun neun Jahre<br />

geworden, in denen ich die Aufgaben des<br />

Künstlerischen Betriebsbüros an einer<br />

Kunsthochschule immer mehr zu schätzen<br />

gelernt habe. Mit und für junge Künstler<br />

zu arbeiten und die Entwicklung der<br />

Hochschule im Bereich Veranstaltungen<br />

mitgestalten zu können, etwa 450 Veranstaltungen<br />

im Jahr zu organisieren,<br />

Konzertreihen zu konzipieren und die<br />

Künstlerbörse zu betreuen, erfordert eine<br />

hohe Flexibilität und ein großes Engagement<br />

vom ganzen Team. Dafür werden uns<br />

fast jeden Abend interessante Programme<br />

geboten, und wir erleben täglich die<br />

Entwicklung der Studierenden zu Künstlerpersönlichkeiten.<br />

72


W a s m i r d i e H f M D K b e d e u t e t<br />

Doris Greiner<br />

arbeitet seit neun Jahren in der<br />

Bibliothek und kümmert sich unter<br />

anderem um die neu erworbenen<br />

Medieneinheiten.<br />

Bernd Distler<br />

arbeitet seit 13 Jahren im Hausteam<br />

der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Sabine Rosenberger<br />

ist Verwaltungsangestellte im Prüfungsamt<br />

der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Mich fasziniert es immer wieder, über<br />

mehrere Jahre hinweg die Entwicklung<br />

einzelner Studierender mitzuerleben –<br />

sowohl künstlerisch als auch menschlich.<br />

Das wird mir vor allem bei den alljährlichen<br />

Akademischen Feiern deutlich, bei denen<br />

sich die Absolventen von der Hochschule<br />

in ihr Berufsleben verabschieden.<br />

Wenn mich die Arbeit im Büro mal wieder<br />

aufzufressen droht, besuche ich nach<br />

Feierabend ein Hochschulkonzert, um<br />

mir wieder darüber klarzuwerden, warum<br />

ich eigentlich hier arbeite und worum<br />

es im Zentrum aller bürokratischen Mühlen<br />

geht – um kreative Menschen!<br />

Warum ich gern an der <strong>HfMDK</strong> arbeite?<br />

Dafür kann ich viele Gründe nennen: „Ohne<br />

Musik wäre das Leben ein Irrtum“, stellte<br />

schon Friedrich Nietzsche fest. Außerdem<br />

fühle ich mich wohl zwischen Stapeln<br />

von Büchern und Noten: mich faszinieren<br />

sowohl die Möglichkeiten, die darin<br />

stecken, als auch die handwerkliche Arbeit<br />

daran. In unserem Bibliotheks-Team arbeite<br />

ich unglaublich gern. Ich mag die Lebendigkeit<br />

der Hochschule, erlebe sie als Mischung<br />

aus Beständigkeit und Wechsel.<br />

Der tägliche Kontakt mit jungen Menschen<br />

verhindert sicher „vorzeitige Vergreisung“.<br />

Die Möglichkeit, hier laufend Neues zu<br />

entdecken und mich weiterzubilden, erfahre<br />

ich als große Bereicherung. Durch die<br />

Möglichkeit, so viele Konzerte und Veranstaltungen<br />

der Hochschule zu besuchen,<br />

fühle ich mich reich beschenkt.<br />

Ich staune immer wieder, wie sehr sich<br />

die Hochschule in den letzten Jahren<br />

weiterentwickelt hat – technisch wie<br />

logistisch und damit auch in den Ansprüchen,<br />

denen wir als Haustechniker<br />

gegenüber den Studierenden, Lehrenden<br />

und den Verwaltungsmitarbeitern gerecht<br />

werden wollen. So bleibt die Arbeit<br />

vielseitig und abwechslungsreich. Was<br />

ich am Hausteam der <strong>HfMDK</strong> besonders<br />

schätze, ist der Teamgeist, der unter<br />

uns Mitarbeitern so gewachsen ist, dass<br />

sich alle gemeinsam für einen reibungslosen<br />

Ablauf verantwortlich fühlen.<br />

73


„FÜR KUNST GIBT ES KEINE PATENTREZEPTE“<br />

Interview mit Lucas Fels, dem neuen Stiftungsprofessor für Interpretatorische Praxis<br />

und Vermittlung Neue Musik<br />

Die <strong>HfMDK</strong> besetzt zum Sommersemester 2013 ihre erste Stiftungsprofessur.<br />

Ermöglicht wird die dreijährige Stiftungsprofessur Interpretatorische<br />

Praxis und Vermittlung Neue Musik von der Dr. Marschner Stiftung,<br />

der Aventis Foundation und der Ernst Max von Grunelius-Stiftung.<br />

Inhaber der Professur ist der international renommierte Cellist Lucas Fels.<br />

Fels war Mitbegründer und Mitglied des ensemble recherche aus<br />

Freiburg. Seit 2006 ist er Mitglied des Arditti Quartett und unterrichtet<br />

regelmäßig bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in<br />

Darmstadt. In beiden Ensembles hat Fels einige hundert Uraufführungen<br />

im Bereich der zeitgenössischen Kammermusik mitgestaltet. Die enge<br />

Zusammenarbeit mit Komponisten wie Isabel Mundry, Rebecca<br />

Saunders, Beat Furrer, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Salvatore<br />

Sciarrino, Mathias Spahlinger und vielen mehr führten zu zahlreichen<br />

ihm gewidmeten Werken.<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Herr Fels, Sie haben bereits mehrere hundert<br />

Uraufführungen im Laufe Ihres Lebens musiziert. Das lässt<br />

vermuten, dass Ihnen die Beschäftigung mit Neuer Musik in<br />

die Wiege gelegt worden ist.<br />

Foto: Martin Geier<br />

Studienkollegen das „ensemble<br />

recherche“ ins Leben, mit denen<br />

ich mich auch mit alten Meistern<br />

wie Thomas Tallis beschäftigt<br />

habe. Mich interessierte damals<br />

eigentlich das Repertoire<br />

jeglicher Art und Herkunft.<br />

FiT Dann ist Ihre Biografie ein<br />

Beispiel dafür, dass sich Musiker<br />

Prof. Lucas Fels<br />

gewöhnlich lange mit der Musik<br />

vergangener Jahrhunderte beschäftigen, bevor sie zu Spezialisten<br />

für Neue Musik werden?<br />

Fels Das ist ein möglicher Weg, doch ich kenne viele Biografien<br />

von Musikerkollegen, die sich aus gänzlich unterschiedlichen<br />

Richtungen der Zeitgenössischen Musik angenähert haben. Wichtig<br />

ist die Art der Herangehensweise an Musik, egal welcher Herkunft<br />

der Interpret oder das Stück sind.<br />

Prof. Lucas Fels Ganz und gar nicht – meine Eltern sind keine<br />

Musiker, und auch meine ersten Cellolehrer waren stilistisch<br />

eher konservativ geprägt und mochten die Avantgarde ganz und<br />

gar nicht. Erst als ich in den 70er Jahren in der musikalischen<br />

Metropole Basel, wo alle großen Namen der damaligen klassischen<br />

Musikszene aus und ein gingen, unzählige Konzerte erleben durfte,<br />

wurde auch die Begegnung mit Neuer Musik für mich immer<br />

mehr zur Selbstverständlichkeit. Während meines Cellostudiums<br />

in Freiburg bin ich gleichsam in die praktische Beschäftigung mit<br />

Zeitgenössischer Musik hineingerutscht, als dort für ein Projekt<br />

Streicher gebraucht wurden – unter anderem für Anton Weberns<br />

Streichtrio opus 20 –, außerordentlich schwer, aber für mich<br />

damals sehr prägend.<br />

FiT War seitdem klar, dass Ihr Repertoire fortan vor allem aus<br />

Neuer Musik bestehen würde?<br />

FiT Welche Herangehensweise ist das?<br />

Fels Die Haltung, sich so unvoreingenommen wie möglich einer<br />

Partitur zu nähern. Damit meine ich vor allem die Bereitschaft,<br />

sich auf ein Stück wirklich einzulassen, ohne es kategorisch<br />

abzulehnen oder im anderen Extrem überinterpretieren zu wollen.<br />

Nur mit dieser Offenheit kann es uns gelingen, für jede Musik,<br />

letztlich für jedes Werk eine ihm adäquate Art des Musizierens<br />

zu finden. Bezeichnenderweise habe ich diese Herangehensweise,<br />

die mir heute in der Beschäftigung mit Neuer Musik so wichtig<br />

geworden ist, vor allem von meinem Lehrer Anner Bijlsma in<br />

Den Haag gelernt. So kann das Musizieren zum Abenteuer werden.<br />

FiT Und genau diese Haltung ist es, die Sie fortan auch den<br />

Studierenden an der <strong>HfMDK</strong> nahelegen wollen? Das klingt nach<br />

einem Kampf gegen Widerstände und Ängste.<br />

Fels Nicht direkt – es folgte eine Zeit in Den Haag, in der ich Historische<br />

Aufführungspraxis studieren durfte. Damals rief ich mit<br />

Fels In der Tat – es gibt immer noch viele Mythen und Märchen<br />

rund um die Neue Musik – beispielsweise, dass man sich mit<br />

74


dem einen oder anderen Werk mindestens ein halbes<br />

Jahr beschäftigen müsse, um es überhaupt spielen<br />

zu können. Das gilt für einzelne Stücke. Aber meist<br />

lässt sich die Notation schnell entschlüsseln und<br />

umsetzen – da kann ich den Studierenden möglicherweise<br />

einige Türen öffnen. Und ich möchte der Mär<br />

begegnen, dass Neue Musik kaum noch interpretatorische<br />

Spielräume biete.<br />

FiT Wie werden Sie methodisch arbeiten?<br />

Die <strong>HfMDK</strong>-Konzertreihe „Bestiarium“ fand im Jahr 2012 im Senckenberg Naturmuseum<br />

statt und verband Naturwissenschaft und Neue Musik auf spannende Art und Weise.<br />

Fels Zunächst bin ich gespannt darauf, mit welcher Offenheit und<br />

Diskussionsfreudigkeit mir die Studierenden in <strong>Frankfurt</strong> begegnen<br />

werden. Sicher wird es anfangs darum gehen, mit der Klärung<br />

von Begrifflichkeiten wie Spektralmusik, Mikrotonalität, Befreiung<br />

des Rhythmus, Musik und Gesellschaft sowohl theoretisch als auch<br />

praktisch ein Basiswissen aufzubauen. Darüber hinaus wird mein<br />

Unterricht wohl aber vornehmlich praktischer Natur sein. Dabei<br />

wünsche ich mir eine intensive Zusammenarbeit mit der Internationalen<br />

Ensemble Modern Akademie (IEMA) , der Kompositionsabteilung<br />

und dem <strong>HfMDK</strong>-Institut und dem <strong>HfMDK</strong>-Institut für zeitgenössische<br />

Musik IzM mit seiner Leiterin Julia Cloot, deren Arbeit<br />

weit über <strong>Frankfurt</strong> hinaus in die Szene der Neuen Musik hineinstrahlt.<br />

Auch mit dem Musiktheorie-Professor Ernst August Klötzke<br />

werde ich – genau was die Klärung oben genannter Begrifflichkeiten<br />

betrifft – eng zusammenarbeiten. Und sehr wichtig erscheint es mir,<br />

immer wieder externe Gäste – Musiker und Komponisten – einzuladen,<br />

die mein Unterrichtsangebot ergänzen und bereichern werden.<br />

FiT Die an der <strong>HfMDK</strong> nun mit Ihnen besetzte Professur für<br />

Interpretatorische Praxis und Vermittlung Neue Musik ist unseres<br />

Wissens nach in dieser Form deutschlandweit einmalig. Was hat<br />

Sie gereizt, sich auf diese Aufgabe einzulassen?<br />

Fels Ganz grundsätzlich betrachtet, möchte ich der heutzutage<br />

handfest spürbaren Gefahr begegnen, dass sich Musik auf die<br />

Funktion eines Unterhaltungsmediums im besten Sinne beschränkt,<br />

wie es die Spielpläne vieler Konzerthäuser suggerieren, in denen<br />

das Repertoire aus dem 20. oder gar 21. Jahrhundert immer<br />

seltener in Programmen Platz findet. Mit dieser Tendenz verbinde<br />

ich die Befürchtung, dass Musik als ernstzunehmende Kunstform<br />

nach und nach aus dem Bewusstsein der heutigen Konzertbesucher<br />

verschwindet. Dabei kann und muss Musik auch die Funktion<br />

haben, als eine gesellschaftskritische Stellungnahme zur heutigen<br />

Zeit verstanden zu werden. Das ist in den bildenden Künsten doch<br />

auch nicht anders. Nie vergessen werde ich meinen Museumsbesuch<br />

in Basel, als ich als Kind mit meinen Eltern vor den in Fett<br />

getränkten Rattenköpfen von Joseph Beuys stand: Aus ästhetischer<br />

Sicht fand ich sie fürchterlich, aber die Konfrontation mit ihnen<br />

hat mich nachhaltig beeindruckt und zum Nachdenken gebracht.<br />

Damit auch Neue Musik dazu in der Lage ist, braucht es jedoch<br />

eine gewisse Offenheit bei den Zuhörern, sich darauf einzulassen.<br />

Wer sonst als wir Musiker können diese offene Haltung unserem<br />

Publikum vorleben – entgegen aller Bequemlichkeit eines erbaulichen<br />

Konzertabends? Natürlich hat auch der seine Berechtigung.<br />

Eine meiner Aufgaben an der <strong>HfMDK</strong> wird es sein, das Interesse<br />

an einer unvoreingenommenen Beschäftigung mit Neuer Musik zu<br />

wecken, damit sie wieder mehr denn je gespielt wird. Jeder<br />

ernsthafte Musiker müsste doch ein brennendes Interesse daran<br />

haben, dass die Gesellschaft auch in 50 Jahren immer noch über<br />

ein umfangreiches musikalisches Repertoire verfügt.<br />

FiT Eine Mission, in der Musiker gegen viele Widerstände ankämpfen<br />

müssen ...<br />

Fels Aber auch mit ungeheuren Möglichkeiten – zum Beispiel dann,<br />

wenn Interpreten und Komponisten zusammenarbeiten. Wie viel<br />

Gutes und Spannendes da passieren kann, beweist die Arbeit<br />

Helmut Lachenmanns: Stieß er vor 20 Jahren noch bei Profiorchestern<br />

auf erbitterten Widerstand, wenn er ihnen erklären wollte, wie<br />

er ein „Kratzen“ auf dem Streichinstrument gespielt wissen wollte,<br />

lieben die Orchestermusiker Lachenmann heute. Diese durchaus<br />

erfreuliche Entwicklung in der Neuen Musik schlägt sich heutzutage<br />

in fast jeder Persönlichkeit junger Musiker nieder: Die Instrumentalisten<br />

sind technisch fitter und schneller in der Umsetzung moderner<br />

Spieltechniken. Zugleich sind sie auch weniger ideologisch<br />

– Musiker vor 20 Jahren kämpften und standen für derlei Musik<br />

ein. Heute ist ein gewisses Repertoire an unkonventionellen Spieltechniken<br />

für junge Musiker zur Selbstverständlichkeit geworden.<br />

FiT Sie haben eben Joseph Beuys und die bildenden Künste<br />

genannt. Für wie wichtig halten Sie außermusikalische Einflüsse<br />

auf Musiker und ihr Interpretationsvermögen?<br />

Fels Kurz gesagt: Es lohnt sich immer, in <strong>Frankfurt</strong> ins Städel zu<br />

gehen oder sich für Politik zu interessieren. Natürlich verändert<br />

sich durch vielseitige Eindrücke von außen unser Spiel und Klang<br />

nicht unmittelbar. Doch alles, was unser Denken verändert und<br />

uns sensibilisiert, fördert uns auch in der Fähigkeit, als Musiker<br />

Differenzierungen wahrzunehmen und wiederzugeben. Diese<br />

ständige implizite Einflussnahme ist genau der Grund, warum es<br />

für musikalische Interpretationen keine allgemeingültigen Patentrezepte<br />

gibt – gäbe es sie, wäre Musik sicher keine Kunst mehr.<br />

bjh<br />

75


U n s e r e K o o p e r a t i o n s p a r t n e r<br />

AG Schulmusik der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen | Akademie für Tonkunst Darmstadt | Albert und<br />

Barbara von Metzler-Stiftung | Altana Kulturstiftung gGmbH | Alte Oper <strong>Frankfurt</strong> | Anna-Schmidt-Schule | Anton Bruckner<br />

Privatuniversität Linz | Arbeitsamt <strong>Frankfurt</strong> | Arbeitsgemeinschaft der Leitenden musikpädagogischer Studiengänge in Hessen<br />

Arbeitsgemeinschaft der Musikhochschulbibliotheken | Arbeitskreis für Schulmusik e.V., Landesverband Hessen | Arbeitskreis<br />

Initiative Musikland Hessen | Augustinum Bad Soden | Ausbildungskonferenz Tanz | Aventis Foundation | Bach-Vespern<br />

Bad Hersfelder Festspiele | Badisches Staatstheater Karlsruhe | Bechstein Centrum <strong>Frankfurt</strong> | Betriebsgesellschaft Schloss<br />

Erbach gGmbH | BHF-Bank-Stiftung | Bide – Barcelona International Dance Exchange | Bundesfachgruppe Musikpädagogik e.V.<br />

Bundesjugendorchester | Bundesverband Tanz in Schulen | Bündnis für Musikunterricht in Hessen | Burgfestspiele Bad Vilbel<br />

C. F. Peters Musikverlag | Commerzbank-Stiftung | con moto foundation | Cornelsen Verlag Scriptor | Crespo Foundation<br />

Deutsche Bank AG | Deutsche Bank-Stiftung | Deutsche Gesellschaft für Neue Musik | Deutsche Stiftung Musikleben | Deutscher<br />

Akademischer Austausch Dienst | Deutscher Bibliotheksverband | Deutscher Chorverband | Deutsches Historisches Institut in<br />

Rom | Donaueschinger Musiktage | Dr. Hoch`s Konservatorium | Dr. Marschner Stiftung | DZ BANK AG | DZ BANK Stiftung<br />

EKHN-Stiftung | Elisabethenschule | Ensemble Modern | Ernst Max von Grunelius-Stiftung | European Association of Conservatoires<br />

| Evaluationsagentur des Landes Baden-Württemberg | Fachhochschule <strong>Frankfurt</strong> | Fachhochschule Mainz | Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Wettbewerb<br />

| Festival Junger Talente | Filmhochschule Ludwigsburg | Fluxus-Festival | Förderverein ZuKT e.V.<br />

<strong>Frankfurt</strong> LAB | <strong>Frankfurt</strong>er Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen | <strong>Frankfurt</strong>er Gesellschaft für Neue Musik | <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Kantorei | <strong>Frankfurt</strong>er Kultur Komitee | <strong>Frankfurt</strong>er Museums-Gesellschaft | <strong>Frankfurt</strong>er Sparkasse 1822 | Franz Grothe-Stiftung<br />

Freiherr-vom-Stein-Schule | Freunde junger Musiker Deutschland e.V. | Freundeskreis young euro classic | Fürstenbergerschule | Gallus<br />

Theater | Galluskonzerte Flörsheim | Gesellschaft der Freunde der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong> | Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />

der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V. | Gesellschaft für Musikforschung | Goethe-Haus | Goethe-Institut | Golfclub Lindenhof<br />

Bad Vilbel | Gotisches Haus Bad Homburg | Hans Franke-Stiftung | Haus am Dom | Hebling-Verlag | Hertie-Stiftung | Hessische<br />

Bologna-Berater | hessische Film- und Medienakademie (hFMA) | Hessische Theaterakademie | Hessischer Bibliotheksverbund<br />

HEBIS | Hessischer Rundfunk | Hessisches Kultusministerium | Hessisches Landestheater Marburg | Hessisches Staatstheater<br />

Wiesbaden | Hindemith-Institut | Historisches Museum <strong>Frankfurt</strong> | Hochschule für Gestaltung Offenbach | Hochschule für Musik<br />

Detmold | Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar | Hochschule für Musik Trossingen | Hochschule für Musik und Tanz Köln<br />

Hochschul-Informations-System GmbH | Hochschulleitertagung | Hochschulrektorenkonferenz | Hollins University, USA<br />

Holzhausenschule | hr Bigband | hr-sinfonieorchester | HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin | I. E. Lichtigfeld-<br />

Schule | ID_<strong>Frankfurt</strong>/Independent Dance | IGS Herderschule <strong>Frankfurt</strong> | IGS Schillerschule Offenbach | IHK <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Ikonenmuseum | Initiative Kinder zum Olymp der Kulturstiftung der Länder | Inner Wheel Club <strong>Frankfurt</strong> am Main | Instituto<br />

Cervantes | Institut für Neue Musik und Musikerziehung | Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität | internationales<br />

Tanzfestival Kassel | International Association of Music Libraries | International Musicological Society | International Society for<br />

the Philosophy of Music Education | Internationale Ensemble Modern Akademie | Internationales Musikinstitut Darmstadt<br />

Jacques-Offenbach-Gesellschaft | Joblinge gAG <strong>Frankfurt</strong> | Johann-Wolfgang-Goethe-Universität <strong>Frankfurt</strong> | Jugendmusik-<br />

Studium und Lehre<br />

Veranstaltungen mit<br />

und für Studierende<br />

Vernetzungen der<br />

Fachbereiche<br />

76


Gesellschaft der<br />

Freunde und Förderer<br />

der Hochschule für<br />

Musik und Darstellende<br />

Kunst <strong>Frankfurt</strong><br />

am Main<br />

Private Hochschulförderung<br />

Fundraising<br />

schule Bergen-Enkheim | Junge Deutsche Philharmonie | Justus-Liebig-Universität Giessen | Kammerkonzerte Bad Homburg<br />

Kantorei St. Katharinen <strong>Frankfurt</strong> | Katholische Akademie Rabanus Maurus (KARM) | Katholischer Akademischer Ausländer-<br />

Dienst | King Kamehameha AG | KitaTanz | Klingspor-Museum für internationale Buch- und Schriftkunst | Körber-Stiftung<br />

Kronberg Academy | Kulturamt der Stadt <strong>Frankfurt</strong> | Kulturbeirat Kulturregion Rhein-Main | Kulturfonds <strong>Frankfurt</strong> RheinMain<br />

Kulturinitiative Rhein-Main | Kulturstiftung des Bundes | KunstKulturKirche Allerheiligen | Künstlerhaus Mousonturm | Kunstuniversität<br />

Graz | Landesjugendorchester Hessen | Landesmusikgymnasium Rheinland-Pfalz | Landesverband Professionelles Freies<br />

Theater Hessen | Landesverband Schultheater in Hessen | Landgraf-Moritz-Stiftung | Landungsbrücken <strong>Frankfurt</strong> | Liebfrauenschule<br />

<strong>Frankfurt</strong> | Liebieghaus | Lizenzkonsortium des Hochschul-Bibliothekszentrums NRW | Main-Taunus-Kreis | Mainzer<br />

Kammerspiele | Maleki Group | Marienkirche Gelnhausen | Medien Mittwoch | Messe <strong>Frankfurt</strong> Exhibition GmbH | Motion Bank<br />

Museum für Kommunikation | Museum Wiesbaden | Musikakademie Kassel | Musikakademie Rheinsberg | Musikakademie<br />

Wiesbaden | Musikforum der Fachleiter Musik des Landes Hessen | Musikforum Mannheim | Musikmesse | Musikschule Bad<br />

Vilbel | Musikschule <strong>Frankfurt</strong> | Musterschule <strong>Frankfurt</strong> | Nationaltheater Mannheim | Naxos Halle | Netzwerk Musikhochschulen<br />

für Qualitätsmanagement und Lehrentwicklung | North Karelia College Outokumpu | Oper <strong>Frankfurt</strong> | Oper in der Schule | Orchesterfestival<br />

Limburg | Palmengarten <strong>Frankfurt</strong> | Peter Pirazzi-Stiftung | Philharmonie Südwestfalen | Piano Luxem | Pina Bausch<br />

Siftung | Polnische Kammerphilharmonie | Popakademie Baden-Württemberg | Primacanta | Rektorenkonferenz der Musikhochschulen<br />

| Response-Projekt | Rheingau Musik Festival | Richard-Wagner-Verband <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V. | Round Table 90 <strong>Frankfurt</strong><br />

| Saalbau GmbH | Schauspiel <strong>Frankfurt</strong> | Schiersteiner Kantorei | Schott Music International | Schülerkonzerte der Stadt<br />

<strong>Frankfurt</strong> | Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung | Sigmund-Freud-Institut | Sparda-Bank Hessen eG | Sparkassen- und<br />

Giroverband Hessen-Thüringen | Sparkassen-Finanzgruppe Hessen-Thüringen | Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen<br />

Staatspartnerschaften des Landes Hessen | Staatstheater Darmstadt | Staatstheater Karlsruhe | Staatstheater Kassel | Staatstheater<br />

Mainz | Staatstheater Saarbrücken Donlon Dance Company | Städel Museum | Stadt <strong>Frankfurt</strong> | Stadt Hanau | Stadttheater<br />

Giessen | START-Stiftung | Stiftung Arte Musica | Stiftung Citoyen | Stiftung der <strong>Frankfurt</strong>er Sparkasse | Stiftung Polytechnische<br />

Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Main | Stiftung Tanz | Stiftungsrat „Jedem Kind ein Instrument“ | Studentenwerk <strong>Frankfurt</strong><br />

Studienstiftung des Deutschen Volkes | tamed Tanzmedizin Deutschland | Tanja Liedtke Stiftung | Tanz Medien Akademie Kunstfest<br />

Weimar | Tanz und Produktionszentrum Stuttgart | Tanzfabrik Berlin e.V. | Tanzfonds Erbe | Tanzkongress 13 | Tanzlabor 21_<br />

Tanzbasis <strong>Frankfurt</strong>_Rhein_Main | Tanztag Rhein_Main | The Forsythe Company | Theater Naxos | Theater und Philharmonisches<br />

Orchester der Stadt Heidelberg | uni-assist e.V. | Universität Koblenz-Landau | University of Örebro | Verband deutscher Musikschulen<br />

e.V. | Verband deutscher Schulmusiker e.V., Hessen | Verband für Kulturmanagement | Verein „Altes Rathaus Burgholzhausen“<br />

| Viktoriaschule Darmstadt | Weilburger Schlosskonzerte | Wettbewerb „Aufwind“ der Mannheimer Bläserphilharmonie<br />

Yamaha Pianoworld | Yehudi Menuhin Live Music Now <strong>Frankfurt</strong> am Main e.V. | Zentrum für Kultur und Medientechnologie<br />

Karlsruhe | Zentrum Verkündigung der EKHN | Hessisches Kultusministerium | Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände<br />

e.V. | Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin<br />

Hochschule<br />

Präsidium<br />

Verwaltung<br />

77


I n t e r v i e w<br />

NACHHALTIGE MUSIKVERMITTLUNG ODER<br />

DIE KREATIVE SUCHE NACH DEN „HAPPY NEW EARS“<br />

Interview mit der Musikerin und Musikvermittlerin Catherine Milliken<br />

und dem <strong>HfMDK</strong>-Musiktheorie-Professor Ernst August Klötzke<br />

Die Australierin Catherine Milliken gehörte seit 1980 zum<br />

„Urgestein“ des Ensemble Modern, das seinen Sitz in <strong>Frankfurt</strong> hat<br />

und durch die „Internationale Ensemble Modern Akademie“ mit der<br />

Hochschule eng verbunden ist. Von 2005 bis 2011 initiierte die<br />

Oboistin und Komponistin gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern<br />

wegweisende Education-Projekte wie das Projekt SONGS –<br />

Ritual Rhythms zu Strawinskys Le Sacre du Printemps. Ernst<br />

August Klötzke, <strong>HfMDK</strong>-Professor für Musiktheorie, traf Catherine<br />

Milliken an der Hochschule, um mit ihr über den nachhaltigen Wert<br />

von Musikvermittlung und deren Geist in einer Hochschulausbildung<br />

ins Gespräch zu kommen.<br />

Prof. Ernst August Klötzke Cathy, hast du nicht manchmal die Sorge<br />

gehabt, dass bei den Education-Projekten die Musik instrumentalisiert<br />

wird, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie beispielsweise die<br />

Sozialkompetenz zu steigern?<br />

Catherine Milliken Eine gute Frage. Muss man die Kunst erklären?<br />

Was tut man eigentlich, wenn man solche Education-Projekte<br />

veranstaltet? Geht es wirklich primär um die Musik, oder erfüllt<br />

sie einen anderen Zweck? Wenn solche Projekte zusammen mit<br />

Musikinstitutionen und Schulen stattfinden, sind die Rahmen ja<br />

definiert, weil der jeweilige Klangkörper und sein Repertoire den<br />

Ausgangspunkt für die kreativen Begegnungen bilden – das<br />

sogennante Response-Projekt. Doch ob Response oder sonstige<br />

Herangehensweisen, man stellt immer wieder fest: Was man<br />

zurücklässt, sind in jedem Fall eine Aufgewecktheit der Beteiligten,<br />

eine große Neugier, Erfahrungswerte, eine Stärkung der eigenen<br />

Kreativität. Emotional würde ich einfach sagen: Es lässt glänzende<br />

Augen für die Musik zurück. Die bindende und mitteilende Kraft<br />

von Musik ist enorm.<br />

Klötzke Wenn ich an dein Projekt SONGS – Ritual Rhythms zu<br />

Strawinskys Le Sacre du Printemps gemeinsam mit den Berliner<br />

Philharmonikern zurückdenke, habe ich dennoch Sorge: Die Kinder<br />

haben zwar glänzende Augen und bestätigen die tolle Gemeinschaft,<br />

die sie darin erlebt haben, sie fanden die Proben so toll<br />

und die Musiker so nett, aber mein Gedanke dazu war: Wo bleibt<br />

eigentlich die Musik?<br />

Milliken Das Projekt war sehr komplex. Es fand in Harlem (New<br />

York) statt; zum einen wurde es als Tanzstück präsentiert, außerdem<br />

wurden in drei verschiedenen Schulen Schulchöre gebildet, um<br />

eigene Werke zu texten und zu komponieren und schließlich im<br />

Crystal Palace Washington Heights vor einem Publikum von<br />

dreitausend Menschen aufzuführen. Davor lag ein schöner und<br />

längerer gemeinsamer Weg. Über vier Wochen hinweg fanden<br />

intensive Workshops statt. Die eigene Fantasie der Jugendlichen<br />

stand wie immer im Mittelpunkt. Strawinsky galt als „stiller<br />

Mentor“. Wir haben das Thema „Gangs and Initiation Rites“<br />

diskutiert und reflektiert und ausprobiert, bis daraus ein ganzes<br />

Chorwerk und Gesangstücke geworden sind. Der erste Effekt war,<br />

dass wir zusammen musiziert haben, Profis wie Laien, was alle<br />

Beteiligten innerlich größer hat werden lassen und deren Augen zum<br />

Funkeln brachte. Aber der musikalische Eindruck, die Auseinandersetzung<br />

mit Musik, die gemeinsame Diskussion und schließlich der<br />

Moment des gemeinsamen Musizierens waren nachhaltig.<br />

Klötzke Hast du in Berlin mit dem „Danach“, also der Zeit nach<br />

beendeten Projekten, Erfahrungen gemacht und festgestellt, dass<br />

du ein echtes, dauerhaftes Interesse an Musik wecken konntest?<br />

Milliken Nach jedem Projekt werden die Kinder zu ihren Erfahrungen<br />

befragt. Die daraus gewonnenen Vorschläge fließen in<br />

zukünftige Projekte ein. Ein Ziel solcher Begegnungen liegt natürlich<br />

darin, im Anschluss weitere Möglichkeiten des Musik-Erlebens zu<br />

eröffnen. Wenn die Kinder beispielsweise später erneut im Konzert<br />

sitzen, sind sie von einer ganz anderen Aufgewecktheit erfüllt als<br />

noch vor dem Projekt und der aktiven Auseinandersetzung mit der<br />

Musik: Sie fühlen sich zu Hause und kennen den Saal. Und die<br />

Kinder kennen bereits die Rituale eines Konzerts, die sie aber nicht<br />

mehr abschrecken, weil sie sich in ihm wohlfühlen. Wenn dies<br />

geschieht, hat man Großartiges erreicht. Ich erinnere mich aber<br />

auch an ältere Kinder, die in einem Projekt mit neuer Musik ganz<br />

aktiv mitgemacht haben, sich dann aber irgendwann beim gemeinsamen<br />

Cluster-Singen doch wünschten, auch mal einen ganz<br />

„normalen“ Dur-Akkord singen zu können. Das war bei einem<br />

Stockhausen-Projekt der Fall. Später erhielten wir aus der betreffenden<br />

Schule Briefe, aus denen wir erfuhren, dass dort erneut<br />

78


Foto: Andreas Reeg<br />

Momentaufnahme aus einer Probe für einen szenischen Liederabend der Gesangsklasse Prof. Henriette Meyer-Ravenstein, im Bild: Torben Binding<br />

79


I n t e r v i e w<br />

ein Stockhausen-Projekt stattfand und die Startvoraussetzungen<br />

dafür bei den Jugendlichen einfach hervorragend waren. In diesem<br />

Feedback bestätigten uns die Pädagogen, dass ihnen erst jetzt<br />

wirklich klargeworden war, was im anfänglichen Stockhausen-Projekt<br />

alles an Wertvollem passiert ist.<br />

Klötzke Über diese Aussage wundere ich mich: Meine beiden<br />

Kinder sind in der Grundschule, und da gibt es ein Schulorchester.<br />

Da herrscht das Gefühl: „Ich gehöre dazu, bin Teil des Orchesters<br />

und habe etwas Wichtiges zu tun.“ Das ist schon eine Tendenz,<br />

die sich gerade abzeichnet, oder?<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt Welche Erfahrungen haben Sie mit Ritualen rund<br />

um ein Konzert?<br />

Klötzke Ich erinnere mich an ein Konzert im Rahmen des Projektes<br />

„move@school“ mit dem Hessischen Staatsorchester im Hessischen<br />

Staatstheater Wiesbaden. Da hatte ich im dritten Rang vor<br />

einem Elternpaar Platz genommen und hörte zufällig, wie die Frau<br />

zu ihrem Ehemann sagte: „Das ist ja ganz schön, was da passiert,<br />

aber der Mann mit diesem Stock stört, man sieht ja die Leute gar<br />

nicht musizieren.“ Das war für mich ein ganz spannender Moment<br />

im Bezug auf Rituale: Ich denke schon, dass diese Kunsttempel wie<br />

ein Theater oder eine Philharmonie, die mit ihren massiven Mauern<br />

und ihrer oft aggressiven Architektur die Anmutung einer Burg<br />

haben, ein eher abschreckendes Moment darstellen. Da fragt sich<br />

vielleicht mancher: Möchte ich da wirklich hinein?<br />

Cathy, du warst lange Zeit fester Bestandteil des Ensemble Modern,<br />

hast dich dann als Komponistin weiterentwickelt und bist später<br />

nach Berlin gegangen, um Education-Projekte zu leiten. War das<br />

für dich die logische Konsequenz einer eigenen Entwicklung?<br />

Milliken Auf jeden Fall sind mit diesem Schritt viele Fäden in<br />

meinem Leben zusammengelaufen. Die wundervolle Zeit beim<br />

Ensemble Modern als Oboistin und Mitbegründerin, der Anfang<br />

des Komponierens, die Formation der Gruppe HCD-Productions<br />

mit Kollegen Hermann Kretzschmar und Dietmar Wiesner, die<br />

Education-Arbeit, die ich in Response-Projekten fünf Jahre lang<br />

in England im National Youth Orchestra of England und anschließend<br />

beim Ensemble Modern gestalten durfte – all dies sind<br />

verschiedene Fäden, die aber irgendwie auch zusammengehören.<br />

Der jüngst zu Ende gegangene Berufsabschnitt in Berlin als Leiterin<br />

der Education-Programme der Berliner Philharmoniker war eine<br />

lehrreiche Zeit, gekennzeichnet von Aufbau und viel Fleißarbeit;<br />

außerdem ist Berlin ein sehr spannendes Umfeld. Mit Menschen<br />

Musik zu machen und zu erleben, wie aufgeweckt sie darüber<br />

nachdenken, wie sie für Problemstellungen Lösungen finden und<br />

dann vielleicht auch wieder die Lösung verwerfen, um eine neue<br />

zu suchen – das ist etwas, das mich sehr glücklich macht.<br />

FiT Für wie wichtig erachten Sie, dass Kinder möglichst früh mit<br />

dem Musizieren beginnen?<br />

Milliken Ich finde es wichtig, dass man schon sehr jungen Kindern<br />

die Möglichkeit gibt, zusammenzuspielen. Meiner Meinung nach<br />

fängt diese Form des Musizierens hier in Deutschland zu spät an:<br />

Schon mit Sechsjährigen kann man kleine Ensembles bilden, sei<br />

es mit Instrumenten oder in Form gemeinsamen Singens.<br />

Milliken Aber siehst du, das ist doch genau die Antwort auf die<br />

Eingangsfrage: Wenn man Kinder zum Musizieren zusammenbringt,<br />

dann spielt da natürlich eine soziale Komponente eine Rolle. Gehört<br />

die nicht immer dazu, und warum soll das anders sein, wenn so<br />

etwas in den Hochtürmen der Musiklandschaft stattfindet?<br />

Klötzke Ich komme dennoch auf meine etwas überspitzt formulierte<br />

Anfangsfrage zurück, ob Musik nicht instrumentalisiert wird, um<br />

Kindern soziale Kompetenzen nahezubringen, während die Musik<br />

auf der Strecke bleibt. Die Begegnung innerhalb eines Education-<br />

Projektes bleibt womöglich exemplarisch, es fehlt die Kontinuität<br />

in der musikalischen Beschäftigung und Entwicklung.<br />

Milliken Natürlich sollten wir auf Nachhaltigkeit setzen. Dennoch<br />

finde ich, dass hervorragend ausgeführte „One off Education“-<br />

Projekte – also Projekte, die nicht in einen langfristigen Kontext<br />

eingebettet sind, sondern einmalig stattfinden – durchaus ihre<br />

Berechtigung und einen großen pädagogischen Wert haben. Das<br />

Miteinander von musikalischen Laien und professionellen Musikern,<br />

bei dem alle gemeinsam etwas schaffen, bleibt einfach ein genialer<br />

Ansatz. Die Erfahrung zeigt: Beide Seiten profitieren davon.<br />

Natürlich sollten dann die Institutionen auf Nachhaltigkeit setzen,<br />

indem zum Beispiel Orchester versuchen, die jungen Menschen<br />

für regelmäßige Konzertbesuche zu begeistern und einzuladen.<br />

Aber die Nachhaltigkeit entwickelt sich möglicherweise woanders<br />

weiter, zum Beispiel in der Schule oder beim Instrumentalunterricht.<br />

Diese Projekte können jedoch niemals den Musikunterricht<br />

ersetzen. Im Übrigen finde ich es durchaus erstrebenswert, mit<br />

Laien auf Exzellenz hinzuarbeiten – eine Exzellenz in der Herangehensweise<br />

und in der Konsequenz, mit der man gemeinsam nach<br />

kreativen Lösungen sucht.<br />

Klötzke Spielt dabei nicht auch immer ein bisschen die Attraktion<br />

des Laienhaften eine Rolle?<br />

Milliken Da möchte ich dir widersprechen. Ich denke an Projekte<br />

wie Rimini Protokoll, die ich faszinierend finde, weil sie eine starke<br />

Echtheit mit sich bringen. Es gibt Momente in der musikalischen<br />

Arbeit mit Laien, in denen diese auf geniale Lösungen kommen –<br />

Lösungen, die stark sind und echt. Und dann führen sie ihre<br />

eigenen Werke mit einer souveränen Ruhe auf, weil sie so überzeugt<br />

davon sind, beispielsweise den geeignetsten Klang gefunden<br />

zu haben. Das sind Momente, die tief beeindrucken. Man muss<br />

nicht unbedingt eine hohe Komplexität konstruieren, um einen<br />

starken Ausdruck zu erzeugen. Man darf nicht vergessen, dass<br />

solche Projekte für die Beteiligten anspruchsvoll sind: Sie sind<br />

80


Frisches Blatt<br />

grüßt<br />

frische Hochschule<br />

Herzlichen Glückwunsch <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong>!<br />

Für Studierende<br />

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Erziehung mit Diplom abgeschlossen und alle methodischen und<br />

didaktischen Fächer nachgeholt. Zudem lag mir Education<br />

irgendwie im Blut, weil auch die ganze Familie immer damit zu tun<br />

hatte. In der Education-Arbeit muss man sich selbst ständig<br />

hinterfragen und prüfen, ob man seinem Gegenüber genügend<br />

Freiraum für dessen Fantasie lässt, während man ihn in seinen<br />

Ideen unterstützt. Das ist eine spannende Interaktion.<br />

Prof. Ernst August Klötzke<br />

Ausführende und Komponisten zugleich. So sollte der Rahmen der<br />

Präsentation dieser Arbeit auch würdevoll sein.<br />

FiT Wie gestaltet sich die Kommunikation in der Erarbeitungsphase<br />

eines Education-Projektes?<br />

Milliken Bei den Education-Projekten darf es nicht bei einem<br />

vordergründigen „Wohlfühl-Moment“ bleiben. Hinzukommen muss<br />

eine offene Redesituation. Es geht darum, gemeinsam eine<br />

Diskussionskultur gekonnt aufzubauen. Das braucht Zeit und<br />

Können, diesen Freiraum zu ermöglichen und Vertrauen herzustellen.<br />

Der erste Fehler, den man als Leiter eines Projektes macht,<br />

ist, dass man zu viel doziert. Der Projektleiter hält oft den Moment<br />

der Suche nicht aus. Ich finde es wichtig, Menschen in leitenden<br />

Funktionen darin zu stärken, solche Momente auszuhalten. Was<br />

man eigentlich braucht, sind offene, glückliche Ohren – „happy<br />

new ears“.<br />

Klötzke Wenn du den Auftrag bekämst, die Studiengänge an der<br />

Hochschule zu gestalten, die etwas mit Vermittlung zu tun haben,<br />

was wäre aus deiner Sicht für die nächste Generation wichtig?<br />

Milliken Wichtig ist – und das ist ganz generell gesprochen –,<br />

dass Hochschulen ihr Lehrangebot nicht so sehr in Fächer<br />

aufspalten und damit so scharfe Trennlinien ziehen. Sie spalten ja<br />

schon mit dem Angebot der Studiengänge: dass man entweder<br />

Lehrer wird oder Orchestermusiker. Die Frage, ob man später ins<br />

Orchester geht oder als Musiklehrer arbeitet, ist damit schon<br />

absolut vorgegeben – möglicherweise auch die Frage, ob man sich<br />

für Neue Musik interessiert oder nicht. Natürlich liegt es in der<br />

Natur der Sache, dass man als Instrumentalist sehr viel üben muss.<br />

Aber das war schon immer zugleich eine Entschuldigung dafür,<br />

dass man die anderen Fächer vernachlässigen konnte. Trotz<br />

permanenten Übens müssen wir als Musiker ganz weit werden.<br />

Vermitteln zu können und zu wollen, sollte immer Teil des Selbstverständnisses<br />

sein, auch bei Orchestermusikern und Solisten.<br />

FiT Das Sich-Ausprobieren als Musikvermittler wird im Laufe des<br />

Studiums nicht unbedingt vereinfacht dadurch, dass uns der<br />

Bologna-Prozess eine Modularisierung der Studiengänge beschert<br />

hat.<br />

FiT Inwiefern sollte Musikvermittlung eine Aufgabe für jeden sein,<br />

der musiziert?<br />

Milliken Es ist wie beim Komponieren: Da muss man einfach nach<br />

kreativen Lösungen suchen.<br />

Klötzke Alle Musiker, die wir an der <strong>HfMDK</strong> ausbilden, haben im<br />

Studium und sicher auch im späteren Berufsleben etwas mit<br />

Vermittlung von Musik zu tun; jeder, der Orchestermusik studiert,<br />

hat seine Schüler; jeder, der Komposition studiert, muss lernen,<br />

sehr komplexe musikalische Phänomene zu vermitteln. Und ich<br />

merke, dass der Vermittlungsgedanke, der in der Lehrerausbildung<br />

in unserem Fachbereich 2 so wichtig ist, in viele weitere Bereiche<br />

der Hochschule hineinstrahlt, und darüber bin ich sehr froh. Die<br />

Hochschule ist in Bewegung; es hat sich vieles geändert. Damals,<br />

als ich mich selbst in der Ausbildung befand, vermisste ich die<br />

wertvollen Zwischenräume zwischen den Vorgaben und Richtlinien,<br />

nach denen ich Musik zu studieren hatte. Genau diese Fixiertheit<br />

ist in der Beschäftigung mit Musik tödlich.<br />

Cathy, welche pädagogische Ausbildung hast du durchlaufen und<br />

was treibt dich dauerhaft an, Musik zu vermitteln?<br />

FiT Wie würden Sie die eben erwähnte Weite im Studium<br />

ermöglichen, die nicht spaltet, sondern integriert?<br />

Catherine Milliken<br />

Milliken Nach dem Musikstudium in Australien habe ich neben dem<br />

Instrumental-Aufbaustudium die Rhythmisch-Musikalische<br />

82


The Revolutionary New<br />

THE PASSION. THE PIANOS.<br />

THE REVOLUTION.<br />

Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir mit dem ersten<br />

Flügel der C-Serie Geschichte geschrieben. Jetzt ist es Zeit für eine<br />

neue Revolution.<br />

19 Jahre lang haben unsere besten Klavierbauer ihr Wissen<br />

vereint, um gemeinsam mit Spitzenpianisten aus aller Welt einen<br />

einzigartigen Konzertflügel zu erschaffen, den CFX. Zum 125.<br />

Jubiläum unseres Unternehmens entstand mit dieser Expertise eine<br />

neue Serie atemberaubender Pianos. Yamaha präsentiert die CX-<br />

Serie. Die Exzellenz des CFX für Ihr Zuhause.<br />

Mit ihrem innovativen Resonanzboden und seiner perfekten<br />

Wölbung hat die CX-Serie die besten Eigenschaften ihres<br />

legendären Vorbilds geerbt. Die erstklassigen Saiten sowie der<br />

auserlesene Filz der Hämmer stammen aus deutscher Produktion.<br />

Entdecken Sie die Verbindung von Tradition und Innovation. Die<br />

Vereinigung von brillantem Klang und erstklassigem Spielgefühl.<br />

Leidenschaftlich. Inspirierend. Exzellent. Die Revolution beginnt bei<br />

ihrem Yamaha-Klavierhändler oder auf yamaha.de.<br />

“Die Yamaha Piano & Flügel Abteilung gratuliert der Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> zum 75-jährigen<br />

Bestehen.”<br />

facebook.com/YamahaPianoGermany<br />

Follow us on Twitter / YamahaPianosEU


I n t e r v i e w<br />

Milliken Es sollte immer einen Austausch der Jahrgänge verschiedener<br />

Ausbildungszweige geben – zum Beispiel die Lehramtsstudierenden<br />

mit den Instrumentalisten in Form eines Chor- und<br />

Orchesterprojektes; und ich finde es wichtig, dass Instrumentalisten<br />

singen! Darüber kann man viel von der Musik verstehen, was auf<br />

instrumentalem Wege oft viel länger braucht. Es braucht Projekte<br />

und Momente, in denen man eincheckt: Wo sind wir, was brauchen<br />

wir, wo können wir voneinander lernen – die Instrumentalisten<br />

von den Komponisten, die Komponisten von den Musikpädagogen,<br />

die wiederum von den Instrumentalisten? Ich wünsche mir übergreifende<br />

Problemstellungen, an deren Antworten man gemeinsam<br />

tüfteln kann.<br />

FiT Herr Klötzke, wie erleben Sie unsere Hochschule in dieser<br />

Hinsicht?<br />

Klötzke Als Cathy schilderte, was sie sich vorstellt, habe ich gedacht:<br />

Wie schön, das haben wir hier doch alles! Hier findet der<br />

Austausch bereits permanent statt. Wenn Lehramtsstudenten<br />

beispielsweise in Kooperation mit der Hessischen Film- und<br />

Medienakademie Stummfilmmusiken schreiben, müssen sie zu<br />

den Instrumentalisten gehen und fragen, wie sich dies und jenes<br />

auf einem Instrument realisieren lässt. Das ist ein gutes Beispiel,<br />

wie unsere Studierenden über den Tellerrand ihrer eigenen<br />

Disziplin schauen.<br />

Milliken Das ist fantastisch, und ich muss sagen: Man betritt die<br />

Hochschule und bemerkt diese Atmosphäre.<br />

Klötzke Als ich hier im Jahr 2001 als Lehrbeauftragter angefangen<br />

habe, war es diesbezüglich eine völlig andere Zeit. Ich sehe die<br />

gute Entwicklung der Hochschule mit dem Anliegen, den Menschen<br />

so viel wie möglich mitzugeben, damit sie an möglichst viele<br />

Impulse aus Nachbardisziplinen andocken können. Die Schwierigkeit<br />

liegt darin, dass dieses „Viel“ nie ein „Zu viel“ sein darf. Der<br />

Fokus muss erkennbar bleiben, aber genau der hat auch immer eine<br />

gewisse Unschärfe um sich herum, und diese Unschärfe verbindet<br />

den Fokus mit Welt. Als Musiktheoretiker am Haus habe ich es mit<br />

Studenten aller musikalischer Ausbildungsbereiche zu tun und bin<br />

im Gespräch mit Kollegen aller Fachbereiche. Im vergangenen<br />

Sommersemester habe ich ein Seminar zum Thema Schauspielmusik<br />

in Zusammenarbeit mit unserem Regieprofessor Hans-Ulrich<br />

Becker angeboten, in dem Regie- und Musikstudenten zusammengearbeitet<br />

haben.<br />

Milliken Das ist wunderbar, denn der Austausch mit anderen<br />

Künstlern ist für Musiker so wichtig.<br />

FiT Mit welchem Handwerkszeug müssen wir unsere Studierenden<br />

ausstatten, damit sie die Begeisterungsfähigkeit, den Funken der<br />

Vermittlung in sich tragen und weitergeben?<br />

Milliken Zum einen geht es darum, bei ihnen die Neugier auf andere<br />

Welten anzuregen. Wenn Studenten diese verspüren und sie das,<br />

was sie tun, lieben, ist der Schritt zur Weitergabe nur noch ein ganz<br />

kleiner. Zum anderen müssen die Künstler mit den nötigen „Werkzeugen“<br />

ausgerüstet sein, damit sie die Sicherheit im Umgang mit<br />

der Materie ausstrahlen.<br />

Klötzke Zum methodischen Handwerkszeug gehört die Fähigkeit,<br />

den eigenen Anspruch in ein Verhältnis zu setzen zu dem, was man<br />

von seinem Gegenüber erwarten kann. Es ist falsch, Laien auf das<br />

eigene Niveau ziehen zu wollen. Wohl müssen sie ein Gefühl für<br />

den Anspruch bekommen, den wir haben, aber sie müssen auch<br />

merken, wie weit sie sich dem annähern können.<br />

Milliken Aber die Vermittlung von etwas Schwierigem an Laien<br />

ist eine wichtige Aufgabe. Dabei geht es nicht um Vereinfachung,<br />

sondern darum, dass man selber kreativ ist, etwas so genial zu<br />

erklären, dass nicht nur eine Simplifizierung dabei herauskommt.<br />

Der Moment des Vermittelns ist ein Moment der gleichwertigen<br />

Gegenseitigkeit.<br />

FiT Welche neuen Methoden und Praktiken der Vermittlung<br />

erfordert der gesellschaftliche Geist der letzten Jahre von unseren<br />

Lehramtsstudenten, um zeitgemäß zu unterrichten?<br />

Klötzke Was unsere Hochschule gerade macht, nämlich die<br />

Stärkung der Pädagogik, entspricht genau meinen Vorstellungen.<br />

Es ist eine erfreuliche Offenheit bei den Studierenden spürbar –<br />

geradezu eine Lust an der Sache –, man könnte sagen: traumhafte<br />

Zustände. Genauso sollte eine Ausbildung sein – mit einer Offenheit<br />

der Entwürfe. Es gibt kein Tunneldenken in irgendeinem Bereich,<br />

sondern es gilt der Blick in die weite Landschaft, und es wird<br />

zugelassen, dass man sich mit anderen Sichtweisen auseinandersetzt.<br />

Alles Totalitäre und den erhobenen Zeigefinger habe ich hier<br />

in den letzten Jahren nicht mehr gespürt. Heutzutage muss<br />

beispielsweise jeder eine Lehrprobe halten, der an diesem Haus<br />

als Dozent arbeiten möchte. Unsere Hochschule prägt seit einigen<br />

Jahren eine erfreuliche Transparenz und Durchlässigkeit.<br />

FiT Was wünschen Sie der Hochschule als Ausbildungsort der<br />

Zukunft?<br />

Klötzke Manchmal noch mehr von dieser schon vorhandenen<br />

Durchlässigkeit, noch mehr interne Kommunikation und noch mehr<br />

„An einem Strang-Ziehen“. Andererseits wird hier im Haus auf<br />

hohem Niveau miteinander gestritten, und ich finde: Es kann, in<br />

konstruktiver Weise an der Sache orientiert, noch mehr sein. Ich<br />

merke, dass ich in dem einen Jahr, in dem ich nun als Professor<br />

hier tätig bin, am Haus einiges mit bewegen konnte. Das ist für<br />

mich die originäre Aufgabe, der ich mich wie jeder Professor gerade<br />

zu stellen habe und der ich mich gerne stelle: die Dinge in Bewegung<br />

zu halten und alles immer neu zu befragen.<br />

bjh<br />

84


Lehramtsstudent Michael Meininger bei einem Schulbesuch der <strong>HfMDK</strong>-Posaunenklasse von Joachim Tobschall<br />

im Rahmen des Projekts „Musik Monat Mai!“<br />

85


S t a t e m e n t s<br />

Jonathan Granzow<br />

hat Lehramt für das Gymnasium (L 3)<br />

studiert und ist Masterstudent für<br />

Komposition.<br />

Ralph Abelein<br />

ist Professor für Schulpraktisches<br />

Instrumentalspiel (im Bild mit der Lehramtsstudentin<br />

Imke Schoberwalter).<br />

Verena Schwenk<br />

studiert Grundschullehramt (L1) an<br />

der <strong>HfMDK</strong> mit Hauptfach Flöte. Die<br />

Boomwhackers, die sie auf dem Foto in<br />

der Hand hält, gehören zum wichtigen<br />

Instrumentarium für kreatives Musizieren<br />

im Grundschul-Musikunterricht.<br />

Die <strong>HfMDK</strong> entwickelt bei uns Schulmusikern<br />

die größte Vielfalt musikalischer<br />

Fähigkeiten. In jedem Bereich können wir<br />

unseren Schwerpunkt wählen und uns<br />

darüber hinaus um ein Aufbaustudium<br />

bewerben. Diese Möglichkeiten zeigen, wie<br />

sehr unsere Professoren und Dozenten an<br />

unserer persönlichen und künstlerischen<br />

Entwicklung interessiert sind – und das<br />

fordert und stärkt gleichermaßen.<br />

Die Tatsache, dass die <strong>HfMDK</strong> eine Garantie<br />

auf Instrumentalunterricht im Lehramtsstudium<br />

geben konnte, war für mich 2009<br />

ausschlaggebend, ein Schulmusikstudium<br />

in <strong>Frankfurt</strong> zu beginnen – dieser Anspruch<br />

ist nicht an allen Ausbildungsstätten<br />

selbstverständlich. Mit Unterricht in Klavier,<br />

Gesang und Schulpraktischem Instrumentalspiel<br />

bietet die Hochschule ein maximal<br />

praxisorientiertes Studium an. Außerdem<br />

finde ich gut und wichtig, dass die<br />

Hochschule auch von zukünftigen Grundschullehrern<br />

einen künstlerischen Horizont<br />

einfordert. Im Vergleich zu den Grundschulfächern<br />

Mathe, Deutsch und Physik, die ich<br />

zeitgleich an der Uni studiere, ist Musik das<br />

zeitaufwendigste Studium – allerdings auch<br />

jenes, von dem man für das praktische<br />

Lehrerdasein am meisten profitiert.<br />

Ich bin immer wieder begeistert von der<br />

Vielgestaltigkeit der Begabungen unserer<br />

Lehramtsstudierenden. Sie in ihrer Entwicklung<br />

– singend, spielend, improvisierend,<br />

darstellend, komponierend und<br />

anleitend – begleiten und meinen Teil<br />

beitragen zu können, ist ein sehr befriedigendes<br />

und motivierendes Gefühl. Es ist<br />

toll, zu sehen, wie Studierende „ihr Ding“<br />

finden und sich künstlerisch profilieren.<br />

Ich glaube, das hilft ihnen, später als<br />

Lehrende von ihren Schülerinnen und<br />

Schülern als authentisch wahrgenommen<br />

zu werden.<br />

86


W a s m i r d i e H f M D K b e d e u t e t<br />

Fani Girizoti<br />

ist Angestellte für Lehr- und Studienangelegenheiten<br />

im Fachbereich 2 und<br />

zugleich Assistentin der Geschäftsführung<br />

im Fachbereich 3.<br />

Katrina Szederkenyi<br />

ist Absolventin der <strong>HfMDK</strong> und seit<br />

2012 Soloharfenistin des Gewandhausorchesters<br />

Leipzig.<br />

Christoph Schulte<br />

ist Tonmeister an der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Nach jahrelanger Beschäftigung im großen<br />

Verwaltungsapparat der benachbarten<br />

Goethe-Universität habe ich mich vor vier<br />

Jahren richtig entschieden, an die Hochschule<br />

zu wechseln – die Arbeitsbereiche<br />

hier sind überschaubarer, aber eben auch<br />

persönlicher und damit herzlicher. Für<br />

gleich zwei Fachbereiche eine Ansprechpartnerin<br />

zu sein, habe ich ebenso als eine<br />

logistische Herausforderung empfunden<br />

wie seinerzeit den Umzug meines Arbeitsplatzes<br />

in die Dependance in der „Leimenrode“.<br />

Es ist angenehm zu erleben, wie mir<br />

die Hochschule den Freiraum lässt, an<br />

neuen Aufgaben zu wachsen. Täglich von<br />

Künstlern umgeben zu sein, verspricht<br />

immer wieder spannende Begegnungen.<br />

Auch nach über 20 Jahren kommt mir<br />

immer noch „Unerhörtes“ vor die Mikrofone<br />

und zu Ohren. Ich arbeite mit allen<br />

Fachbereichen und allen Abteilungen<br />

zusammen und genieße diese stilistische<br />

Vielfalt, die wohl kein anderer mir bekannter<br />

Arbeitsplatz zu bieten hat. Neben<br />

musikalischen Spitzenleistungen begeistert<br />

mich auch immer wieder die Kreativität,<br />

die unsere Schulmusik-Studierenden in<br />

Projekte einbringen.<br />

Der konsequente und disziplinierte<br />

Unterricht von Prof. Françoise Friedrich<br />

hat mich optimal auf das Berufsleben<br />

vorbereitet.<br />

Die Hochschule für Musik war für mich<br />

ein Zentrum an mitreißender musikalischer<br />

Kreativität.<br />

87


I n t e r v i e w<br />

„BEGEISTERUNG FÜR DIE KUNST<br />

SOLLTE UNSER GEMEINSAMES ZENTRUM SEIN“<br />

Dekanin Marion Tiedtke und Regisseur Laurent Chétouane erörtern den Konflikt zwischen<br />

Kreativität und Handwerk in den Ausbildungsbereichen Schauspiel und Regie<br />

Der Regisseur Laurent Chétouane, Absolvent des Studiengangs<br />

Regie an der <strong>HfMDK</strong>, ist inzwischen ein vielgefragter Regisseur<br />

sowohl im Schauspiel als auch in der Tanzszene. Als Franzose hat<br />

sein Empfinden für die deutsche Sprache zu einer besonderen<br />

Sprachbehandlung in seinen Inszenierungen geführt und seinen<br />

eigenen Regiestil geprägt. Er arbeitet an renommierten Theatern<br />

und ist mit seinen Aufführungen auf vielen internationalen Festivals<br />

vertreten. An den Münchner Kammerspielen haben Marion Tiedtke,<br />

Dramaturgin, Dekanin im Fachbereich Darstellende Kunst sowie<br />

Ausbildungsdirektorin des Schauspiels, und Laurent Chétouane<br />

in zwei Produktionen zusammengearbeitet. Im folgenden Gespräch<br />

erörtern sie am Beispiel der Ausbildungsbereiche Regie und<br />

Schauspiel, wie zeitgemäß die Ausbildung der Darstellenden Kunst<br />

an der <strong>Frankfurt</strong>er Hochschule wirklich ist.<br />

Prof. Marion Tiedtke Laurent, glaubst du, dass das Wissen, das dir<br />

im Studium vermittelt wurde, für die heutige Ausbildung angesichts<br />

eines veränderten Arbeitsmarktes noch relevant ist?<br />

Laurent Chétouane Ich weiß nicht genau, wie die Regieabteilung in<br />

<strong>Frankfurt</strong> heute arbeitet. Damals fand ich es gut, dass ich mir im<br />

Studium „nehmen“ konnte, was ich wollte. Die ersten Jahre<br />

bestanden mehr oder weniger aus Pflichtveranstaltungen, und ich<br />

würde jetzt provokant sagen: Ganz wenige Unterrichtsstoffe konnte<br />

ich direkt anwenden. Der Unterricht war aber trotzdem ein Ort, wo<br />

ich über meine Vision von Theater nachdenken konnte – entweder<br />

laut mit den Dozenten oder für mich selbst in Reaktion darauf. Ich<br />

habe demnach die Hochschule nicht als einen Ort in Erinnerung,<br />

wo mir ein positivistisches Wissen vermittelt wurde, das mir sagte,<br />

wie mein Job funktionieren soll, sondern eher als einen Ort des<br />

Dialogs, der Auseinandersetzung, der Konflikte und der Diskussion,<br />

wo ich die Möglichkeit hatte herauszufinden, was mich wirklich<br />

treibt. Die Art und Weise, wie unser damaliger Professor Hans<br />

Hollmann Regie führte, war weit entfernt von der Art, wie ich heute<br />

Regie führe. Aber dadurch, dass ich ihn bei seiner Arbeit beobachtete,<br />

konnte ich mir darüber klarwerden, dass ich so nicht arbeiten<br />

möchte. Das ging und geht nicht gegen ihn, sondern um das<br />

Reflektieren in mir, wie ich es denn machen würde oder warum ich<br />

es gern anders machen würde. Wenn man die Hochschule als einen<br />

Ort der Angebote versteht, wo die Lehrenden offen genug sind, um<br />

Diskussionspartner zu sein, dann ist es für einen Regiestudenten<br />

sehr spannend. Es geht darum, dass der Regiestudent sich selbst<br />

entdeckt: Was ist seine Art, die Bühne zu verstehen? Ich finde<br />

es falsch zu sagen, es gebe ein Regiehandwerk, das man vermitteln<br />

muss – das ist Ideologie. Es gibt ein Regiehandwerk ab dem Punkt,<br />

wo man behauptet, Regie sei genau so oder so zu machen,<br />

genauso wie wenn man sagen würde: Schauspiel ist Stanislawski,<br />

also muss man Stanislawski lernen. Das kann man machen, aber<br />

man soll dann nicht sagen, dass das Regie sei: Es ist eine Richtung,<br />

wie man Regie machen kann.<br />

Zur Ausbildung gehören Fragen der Psychologie, Gruppendynamik,<br />

auch der Machtverhältnisse, also all das, was einem später die<br />

Probe ein bisschen vereinfacht. Ein sehr wichtiger Unterricht für<br />

mich war Kunstgeschichte, weil ich da gelernt habe, zu sehen. In<br />

der bildenden Kunst sind die Fragen des Blicks und der Betrachtung<br />

wichtig – wie schaut man auf etwas? Wenn ich auf einen Mensch<br />

schaue, stelle ich nicht sofort die Frage „Wie schaue ich auf einen<br />

Menschen?“; wenn ich aber ein Gemälde betrachte, muss ich<br />

diese Frage stellen. Dadurch habe ich wirklich gelernt, was es heißt,<br />

einen Menschen anzuschauen, den ich als Regisseur sozusagen<br />

„konstruiere“ und in eine bestimmte Richtung führe. Grundkenntnisse<br />

in Philosophie und Psychoanalyse finde ich für die Studierenden<br />

ebenfalls unglaublich wichtig.<br />

Tiedtke Gibt es aus der Erfahrung deines Berufslebens einen<br />

Aspekt, den du der Ausbildung heute gern hinzufügen würdest?<br />

Chétouane Ja – nämlich die Auseinandersetzung mit dem Körper<br />

außerhalb des Textes, also das Verhältnis von Körper und Raum<br />

außerhalb des gesprochenen Wortes. Man versteht ja Regie immer<br />

in Verbindung mit einem Text. Und wenn der Text einfach ein<br />

Schweigen oder eine lange Stille ist, stellt sich die Frage, wie man<br />

dann mit Körper und Raum umgehen muss. Das fand ich damals<br />

notwendig für mich. Damals war ich ohne Text sehr schnell<br />

88


Foto: Valentin Fanel<br />

Kaho Kishinami und Jamie Mejeh in „a thin line“, Choreographie: Marc Spradling<br />

89


I n t e r v i e w<br />

Tiedtke Die zentrale Frage ist: Was bedeutet heute noch Handwerk?<br />

Welche Fähigkeiten müssen wir unseren Schauspielstudierenden<br />

mitgeben, damit sie in der Lage sind, Anforderungen, die an sie<br />

gestellt werden, so zu lösen, dass sie mit ihrem Beruf auch Geld<br />

verdienen können? Andere Aspekte sind die künstlerische Freiheit<br />

und die Kreativität: Wie fördern wir über das Handwerk hinaus<br />

Kreativität? Wir haben in den letzten fünf Jahren versucht, diesen<br />

Handwerksbegriff zu erweitern. Die Studierenden erhalten zunächst<br />

den schauspielerischen Grundlagenunterricht, der nicht nur geprägt<br />

ist von Stanislawski oder Brecht, sondern ebenfalls von zeitgenössischen<br />

Auftrittsformen und Spielweisen, wodurch sie zunächst ein<br />

Fundament bekommen, wie man Raum und Zeit auf der Bühne<br />

erlebt. Diese Spielkompetenz haben wir erweitert im Hinblick auf<br />

die Medienkompetenz: Bei uns lernen die Schauspieler, vor der<br />

Kamera zu spielen und als Sprecher vor dem Mikrofon zu arbeiten.<br />

Im Bereich der Kreativität versuchen wir, das Prinzip der Bandenbildung<br />

zu ermöglichen, so dass Schauspielstudenten mit unseren<br />

Regiestudenten und den Dramaturgiestudenten der Goethe-Universität<br />

an eigenen Projekten arbeiten können. Im ersten Jahr sind<br />

Schauspiel und Regie in der Ausbildung sogar nahezu identisch. In<br />

den folgenden Jahren bieten wir ihnen die Möglichkeit, mindestens<br />

einmal im Jahr ein Projekt mit Regie- und Dramaturgiestudenten zu<br />

machen. Auch mit den Tänzern und Gesangstudierenden arbeiten<br />

wir interdisziplinär im ersten Studienjahr zusammen: Alle Erstsemester<br />

treffen sich zur Contact Improvisation bei Dieter Heitkamp. Und<br />

alle Studierenden des Masterstudiengangs Theater- und Orchesterverloren,<br />

und das finde ich schade. Wichtig ist, dass ich Regie nicht<br />

nur verstehe, indem ich den Text lese und daraus eine psychologische<br />

Figur konstruiere. Bevor ein Text gesprochen wird, gibt es<br />

doch tausend Dinge auf der Bühne, die stattfinden. Damit umgehen<br />

zu lernen, hätte ich mir mehr gewünscht.<br />

FiT Hat Ihr Regielehrer Hans Hollmann Ihnen seinerzeit auch diese<br />

Offenheit vermittelt, dass Sie in dieser Art und Weise – also<br />

gleichsam ex negativo – von ihm lernen konnten?<br />

Chétouane Ich will es an einem Beispiel erläutern: Hans Hollmann<br />

war ein unglaublich begabter Regisseur für Timing: Wann das Wort<br />

fällt, wann die Tür geschlossen werden muss, damit Spannung<br />

entsteht – das funktionierte wunderbar. Aber das ist schon<br />

Chétouane Solche hätte ich mir damals mehr gewünscht, und zwar<br />

nicht nur als Option, bei der man zu Contact Improvisation gehen<br />

kann, wenn man will. Das ist noch nicht interdisziplinär. Vielmehr<br />

müsste es jedes Jahr ein interdisziplinäres Projekt geben! Welchen<br />

Unterricht haben Schauspieler und Tänzer gemeinsam, wo die<br />

Dozenten auch aufeinandertreffen, um zu überlegen, was die einen<br />

von den anderen lernen können? Wie schaffen wir ein hybrides<br />

System zumindest für eine Stunde pro Woche? Ich erinnere mich<br />

an mein erstes Tanzprojekt, „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller,<br />

gemeinsam mit dem Tänzer Frank Willems: Frank hat mir beigebracht,<br />

wie ich mich aus mir heraus bewegen kann – ich habe ihm<br />

beigebracht, wie er sprechen kann. Das war eine großartige<br />

Erfahrung, einem Tänzer das Sprechen beizubringen, und ein<br />

Tänzer, der mir beibringt, mich zu bewegen. Mindestens eine<br />

Freiheit in meinem Körper zu spüren, damit ich mich bewegen kann,<br />

meinen Raum und Körper entdecke – das ist interdisziplinär. Wir<br />

beide wussten nicht, wohin das führt, und das ist ein Riesenunterschied<br />

zu dem Ansatz: Wir nehmen an deinem Unterricht teil, der<br />

sowieso läuft.<br />

FiT Frau Tiedtke, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Laurent<br />

Chétouane schildert, wie er sein Studium damals erlebt hat?<br />

Laurent Chétouane<br />

Ideologie, und zwar gegenüber einer Art der Wahrnehmung,<br />

gegenüber einer Art der Spannung. Dahinter steckte ein gewisses<br />

System, und ich wollte für mich wissen: Wie durchbreche ich<br />

dieses System? Wie kann ich da andere Zeitlichkeiten öffnen, einen<br />

anderen Zeitbegriff als nur eine normale generelle Spannungsfeld-<br />

Zeit? Hans Hollmann hat mich immer – und das muss ich ihm hoch<br />

anrechnen – frei gelassen. Er hat, glaube ich, immer gespürt, dass<br />

ich eine eigene Form entwickle, und hat das unterstützt. Er hat nie<br />

versucht, etwas dagegen zu sagen – er hat es sich angeschaut, es<br />

kommentiert, manchmal versucht mir zu helfen, genauer zu sein,<br />

aber er hat es atmen lassen.<br />

FiT Hatten Sie während Ihres Studiums interdisziplinäre Begegnungen,<br />

also beispielsweise mit dem Tanz?<br />

90


management begleiten eigenverantwortlich alle Projekte unseres<br />

Fachbereichs als Produktionsleiter. Das ist eine hervorragende<br />

Zusammenarbeit. Unsere Verbindungen zur Hessischen Theaterakademie<br />

(HTA) sorgen schließlich dafür, dass die Studenten schon<br />

rechtzeitig mit der Arbeitsrealität konfrontiert werden, weil sie<br />

innerhalb des Studiums Gastverträge an der Hessischen Theaterakademie<br />

wahrnehmen können. Darüber hinaus habe ich mit den<br />

Absolventen zusammen unsere Websites, Auftritte und Broschüren<br />

weiterentwickelt, in denen wir sie sehr ausführlich mit Fotos,<br />

Projektdokumentationen, Hörproben und Demobändern vorstellen.<br />

Da viele Intendanten heute leider nicht mehr die Zeit haben, zu<br />

reisen und sich die Leute anzuschauen, versuchen wir, viel Material<br />

ins Netz zu stellen.<br />

FiT Wie viel Platz für Kreativität bleibt denn da noch angesichts des<br />

umfangreichen Unterrichtsangebotes?<br />

mal das Handwerk und Wissen für den Berufseinstieg mitgeben.<br />

Die Zeit für eine eigene künstlerische Autorenschaft ist einfach<br />

zu kurz.<br />

Chétouane Es gibt, glaube ich, einen entscheidenden Unterschied<br />

zwischen Gießen und <strong>Frankfurt</strong>: Gießen bildet Leute aus, die eine<br />

kritische Position gegenüber Darstellung haben, während eine<br />

Hochschule wie <strong>Frankfurt</strong> zuerst für eine traditionellere Position<br />

gegenüber einem Repräsentationstheater steht, das glaubt, dass<br />

die Welt und seine Probleme sich problemlos darstellen lassen.<br />

Gießen würde vor dem philosophischen und theoretischen Hintergrund<br />

zuerst Nein sagen zu Repräsentation und auf die Suche<br />

gehen nach neuen Formen und einer kritischen Auseinandersetzung.<br />

Deren Erfolg liegt auch darin, dass die freie Szene, wo<br />

Tiedtke Es bleibt leider sehr wenig Zeit für das, was du, Laurent,<br />

eben beschrieben hast, nämlich sich selbst einen inneren Freiraum<br />

zu erarbeiten, aus dem Kreativität entstehen kann. Deswegen<br />

wünsche ich mir, dass wir neben den Bachelor-Studiengängen, die<br />

wir jetzt entwickelt haben, noch Master-Studiengänge einrichten.<br />

In dem ganzen Dilemma zwischen Handwerk und Kreativität habe<br />

ich einen Traum: einen Master-Studiengang des Zeitgenössischen<br />

Theaters aufzubauen, wo man junge Theaterkünstler von Seiten<br />

der Regie, des Schauspiels und vielleicht auch des Tanzes oder der<br />

Performance nach den ersten Arbeitsjahren noch einmal durch eine<br />

künstlerische Aufnahmeprüfung schickt und ihnen einen zweijährigen<br />

Freiraum bietet, in dem sie ein Ensemble auf Zeit bilden und<br />

eigene künstlerische Projekte initiieren – möglicherweise in Zusammenarbeit<br />

mit der Hessischen Theaterakademie und vielleicht sogar<br />

einem Theater in Deutschland, das Renommee hat und auch die<br />

Kapazitäten, dies zu unterstützen.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass viele Absolventen nach zwei oder drei<br />

Berufsjahren durch neue Anfänger ersetzt oder aber gar nicht von<br />

anderen Theatern gesehen werden, weil niemand mehr Zeit hat<br />

herumzufahren. Dann befinden sie sich in einer Situation, die ihnen<br />

zu wenig Möglichkeit bietet, sich noch einmal anders zu entdecken.<br />

Dieses Aufbaustudium nach ersten beruflichen Erfahrungen würde<br />

ich gern mit einem Master-Studiengang verbinden. Dass Gießen als<br />

Angewandte Theaterwissenschaft so erfolgreich ist, liegt natürlich<br />

nicht nur, aber auch daran, dass deren Studierende grundsätzlich<br />

mehr Zeit haben und weniger belastet sind durch technische Fächer<br />

wie Sprechen, Gesang, Bühnenkampf etc. Die Ausbildung dort<br />

dauert in der Regel fünf bis sechs Jahre und schließt mit einem<br />

Master ab. Da bleibt genügend Zeit, viel Wissen zu vermitteln und<br />

zugleich einen kreativen Freiraum zu schaffen. Aber mit einer<br />

Ausbildung wie der unsrigen, die als grundständiger Studiengang<br />

eigentlich schon nach drei Jahren zu Ende ist, kann man gerade<br />

Prof. Marion Tiedtke<br />

üblicherweise mehr von solchen kritischeren Positionen zu finden<br />

waren, jetzt immer mehr in die „In-Szene“ kommt. Und deswegen<br />

werden die Gießener Theaterwissenschaftler plötzlich so wichtig,<br />

weil sich die Theater daran gewöhnt haben, auch ihren René<br />

Pollesch zu haben, der mit der Repräsentation kritisch umgeht –<br />

oder zumindest behauptet. Das ist für die freie Szene vielleicht<br />

kein Gewinn und bedeutet den Verlust der kritischen Position.<br />

Man findet eine Form für die Repräsentation der Nicht-Repräsentation.<br />

Aber vielleicht ist das ein anderes Thema.<br />

Tiedtke Es ist kein anderes Thema. Die Angewandte Theaterwissenschaft<br />

in Gießen hat in gewisser Weise einen Teil des zeitgenössischen<br />

Theaters geprägt, und die Frage ist, wie wir es prägen<br />

können. Unsere Stärke liegt eigentlich in der totalen Offenheit<br />

91


Foto: Andreas Reeg<br />

„Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Szenisches Vordiplom des zweiten Jahrgangs Schauspiel mit Josia Krug, Henning Kallweit, Sebastian Volk<br />

und Simone Müller<br />

92


I n t e r v i e w<br />

gegenüber den Spielweisen und Theateransätzen. Die Ausbildung<br />

des Schauspielers ist längst nicht mehr nur von Formen des<br />

Repräsentationstheaters bestimmt. Wir schließen diese nicht aus<br />

und beschäftigen uns trotzdem zugleich mit anderen Spielweisen.<br />

Nur wer die Tradition kennt, kann sie auch in Frage stellen. Die<br />

Zukunft der Darstellenden Kunst in <strong>Frankfurt</strong> liegt für mich in der<br />

Gretchenfrage: Wie können wir hier an der Hochschule Raum<br />

und Zeit für Innovationen schaffen?<br />

FiT Was war genau mit René Pollesch, den Sie als Beispiel für<br />

einen streitbaren Regisseur angeführt haben?<br />

Chétouane Der junge Regisseur René Pollesch wurde zwar in<br />

Gießen ausgebildet, aber konnte von dieser Qualifikation jahrelang<br />

überhaupt nicht leben. Und plötzlich, nach einigen Jahren, hat<br />

seine Art, Theater zu sehen, einen Nerv der Zeit getroffen. Eine<br />

Hochschule kann, so glaube ich, nicht gleichzeitig mit der Zeit<br />

gehen. Und ich glaube nicht, dass es eine Aufgabe der Schule ist,<br />

genau zu treffen, was der aktuelle Markt gegenwärtig braucht.<br />

Vielmehr müssen wir auf die Persönlichkeiten setzen, die wir<br />

ausbilden. Die Studierenden sind diejenigen, die in Resonanz mit<br />

der Zeit stehen. Wir sollten uns überlegen, wie wir ihnen helfen,<br />

sich zu entfalten – so treffen wir eher die Zeit. Aber vielleicht nicht<br />

morgen, sondern in fünf Jahren oder in zehn. Ein Künstler kann<br />

jahrelang total allein und unverstanden sein, und auf einmal –<br />

durch geschichtliche Ereignisse oder eine Entwicklung in der<br />

Gesellschaft – will man seine Ideen auf der Bühne sehen. Es ist<br />

schwierig für eine Schule, sich die Aufgabe vorzunehmen, auf der<br />

Höhe der Zeit zu sein, dann macht sie eigentlich nur Marketing,<br />

nämlich vorher zu sagen, was die Menschen sehen wollen. Das<br />

finde ich, sollten wir den Marketingleuten und der Industrie und<br />

der Wirtschaft überlassen. Eine öffentliche „Hoch-Schule“ sollte<br />

den Leuten etwas anderes vermitteln als nur die Voraussetzungen,<br />

um einen Job zu bekommen. Zumindest sollte der Geist einer<br />

Schule weit über dieses Ziel hinausreichen. Man sollte an etwas in<br />

den Studierenden glauben – als Präsident der Hochschule, als<br />

Dekanin, als Dozent –, und es wird vielleicht, vielleicht auch nicht<br />

die Zeit treffen. Andererseits sind die künstlerischen Richtungen<br />

heutzutage so unterschiedlich, dass man nicht einmal von einem<br />

Paradigma oder einer Richtung sprechen kann. Auch die heutigen<br />

Regie-Handschriften sind so verschieden, dass man überhaupt<br />

nicht von einer Generation reden kann. Die Balance zwischen<br />

Effizienz und dem Freiraum für künstlerische Entfaltung ist sehr<br />

schwer.<br />

FiT Wie hat die Hochschule eine Chance, eine solche Balance<br />

herzustellen und damit beiden Forderungen gerecht zu werden:<br />

einer adäquaten Vorbereitung auf den Berufsmarkt und einem<br />

Freiraum für Kreativität und Experiment?<br />

Tiedtke Ich glaube, dass wir mit einem gewissen Widerspruch<br />

kämpfen müssen. Das Studium müsste einfach mehr Zeit bieten.<br />

Bei uns gibt es wöchentlich die Beschäftigung mit einer „Wahlrolle“,<br />

bei der Studenten selbstständig ihre Rolle erarbeiten. Und es<br />

gibt Eigenprojekte, die sie leisten müssen, zum Beispiel im<br />

Physiodrama-Vordiplom: Hier entwickeln sie ganz allein nonverbal<br />

ein „physical theatre“. Doch das reicht als Zeit für die Suche nach<br />

dem eigenen Ausdruck längst nicht aus. Momentan diskutieren wir,<br />

ob wir einen freien Eigenarbeitstag in der Woche anbieten. Das<br />

ginge jedoch nur auf Kosten von anderen Fächern. Oder aber man<br />

müsste die Ausbildung prinzipiell um ein Jahr verlängern und damit<br />

mehr Zeit für den selbstständigen Künstler bieten. Der Abschluss<br />

sollte dann gleich ein Master sein, um konkurrenzfähig gegenüber<br />

den anderen 17 deutschsprachigen Schulen zu bleiben. Bisher läuft<br />

es so: Drei Jahre kompaktes Studium, es folgt ein Studienjahr der<br />

Arbeitsvermittlung, und in diesem Jahr sind unsere Studenten<br />

schon mit Gastverträgen an den Theatern tätig, was ihnen ein<br />

unheimliches Selbstbewusstsein gibt – ein Standing, die Bühnenerfahrung<br />

eben. Eigentlich bräuchten sie noch ein Jahr Kreativität,<br />

bevor es ans Geldverdienen geht. Auf diese Weise könnten sie sich<br />

selber ein Berufsfeld aufbauen und müssten nicht nur daran<br />

denken, sich in fertige Theatersysteme einzuspeisen. Sie könnten<br />

Wege und Mittel schon an der Hochschule entwickeln, um etwas<br />

Eigenes auf die Beine zu stellen und längerfristig Verbindungen<br />

zu knüpfen. Die Zukunft des schrumpfenden Stadttheaters mit all<br />

seinen finanziellen Kürzungen verlangt, dass ich als Regisseur oder<br />

Schauspieler selber kreativ werden muss für das, was ich auf der<br />

Bühne erzählen möchte – womöglich eben ohne ein fest subventioniertes<br />

Haus.<br />

FiT Hat sich die Theaterlandschaft in den letzten Jahren so<br />

verändert, dass sich Studierende heute neue Schlüsselkompetenzen<br />

aneignen müssen?<br />

Chétouane Eine schwierige Frage. Ich kann nur ein Beispiel geben:<br />

Ich glaube, mit dem, was ich heute im Theater mache und was jetzt<br />

als Richtung akzeptiert ist – unabhängig davon, ob die Leute es<br />

mögen oder nicht –, würde ich heute als Absolvent kein Engagement<br />

finden.<br />

FiT Warum nicht?<br />

Chétouane Weil ich glaube, dass die Theater heute nicht mehr den<br />

gleichen Mut haben für zunächst unlesbare, komplexere und<br />

fragilere Formen. Heute verlangt man von Regisseuren einen hohen<br />

Grad an Effizienz und Fertigkeit. Man hört es oft: Die Studierenden<br />

müssen vor allem lernen, wie man eine gute Szene macht, und<br />

dann sieht man weiter. Ich entgegne dem: „Die gute Szene“ als<br />

solche gibt es im Theater aber gar nicht. Ich höre von vielen<br />

93


I n t e r v i e w<br />

Studierenden die Frage: „Wie können wir heute mit unseren künstlerischen<br />

Ansprüchen und dem Wunsch nach Intellektualität und<br />

Reflexion des Theaters überhaupt einen Job bekommen?“ Sie<br />

wissen wohl, dass sie bloß nicht zu viel denken sollten, sonst ist<br />

das schwierig für den Beruf. Für mich steht fest: Um „effizient zu<br />

sein“, darf der Regisseur heutzutage nicht zu komplex denken.<br />

FiT Was dem Vermarktungsdruck geschuldet ist?<br />

Chétouane Absolut. Und auch einer Angst vor dem Denken, die<br />

es in der Gesellschaft gibt.<br />

FiT Stimmt einen das traurig oder zumindest nachdenklich?<br />

Tiedtke Leider sehen sich die Stadt- und Staatstheater mehr und<br />

mehr gezwungen, wie andere Wirtschaftsbetriebe sich an Effizienz<br />

zu orientieren: Die Ensembles werden immer kleiner, die Zahl der<br />

Produktionen jedoch immer größer. Viele Schauspieler erarbeiten<br />

sechs neue Rollen in einer Spielzeit zusätzlich zu ihrem Repertoire,<br />

was eigentlich ein Unding ist. Die Ensembles werden immer<br />

jünger und preisgünstiger, Bühnenberufe wie Kostümbildner oder<br />

Souffleusen werden weggespart. Ähnlich wie im Radio und<br />

Fernsehen werden die Aufführungen kleiner, journalhafter, es<br />

entstehen „Konsumhappen“, die man den Zuschauern mundgerecht<br />

anbieten will. Im Moment hat kaum jemand den Mut, ein Profil zu<br />

behaupten, das womöglich scheitert. Folglich würde nämlich die<br />

unbefriedigende Platzausnutzung einen Strudel von Kürzungen der<br />

Öffentlichen Hand nach sich ziehen. Das will man vermeiden, und<br />

deswegen werden die Theater so mutlos.<br />

Die Hochschulen müssen übrigens aufpassen, dass ihnen nicht<br />

das gleiche passiert. Kunst ist ja per definitionem ein zweckfreier<br />

Raum – das hat Kant so treffend formuliert: Kunst ist der Zweck<br />

ohne Zweck, also der Zweck an sich. Sich diesen Raum zu erhalten,<br />

ist auch die Aufgabe einer Hochschule. Künstler zu fordern und zu<br />

fördern heißt, ihnen einen zweckfreien Raum zu bieten. Wir stehen<br />

unter der Aufsicht des Ministeriums und sind ebenfalls von Geldern<br />

abhängig. Es wird immer geschaut, wie effizient wir sind, welche<br />

Berufsvermittlungen und Erfolge wir zu vermelden haben. Das ist<br />

der Widerspruch, mit dem wir umzugehen haben. Wir aber müssen<br />

die Hüter des Anderen sein: Es geht nicht bloß um Funktionstüchtigkeit,<br />

es geht nicht um die Erfüllung von Effizienz und es geht<br />

nicht um das pure Bedienen eines Arbeitsmarktes. All das führt<br />

nämlich letztlich nicht zu Kreativität, sondern nur zum Einspeisen<br />

des bestehenden Arbeitsmarktes. Doch im Kern der Kreativität<br />

geht es um Innovation, und die können wir nicht vorausberechnen.<br />

Innovation können wir nur stiften, indem wir einen Freiraum für<br />

Kreativität schaffen, der auch ein Scheitern zulässt.<br />

FiT Die Zeitverschobenheit, von der Sie, Herr Chétouane, eben<br />

gesprochen haben, nämlich zwischen der Innovation des Künstlers<br />

und der Fähigkeit der Szene, diese Innovation zu erkennen und<br />

anzuerkennen, ist auch für die Hochschule in Fragen der Ausbildung<br />

eine Herausforderung, oder?<br />

Chétouane Es ist ein Traum zu glauben, dass man seine Studierenden<br />

sofort im ersten Jahr auf die Höhe ihres Erfolges begleiten<br />

kann. Will die Hochschule Absolventen, die hochschießen wie eine<br />

Rakete, die man aber nach drei Jahren wieder vergessen hat, oder<br />

will sie Künstler hervorbringen, die sich über 40 Jahre halten?<br />

Ich werde natürlich dafür plädieren, dass man auf langen Atem und<br />

Nachhaltigkeit setzt. Ich finde die Regiestudenten, die ich derzeit,<br />

vor allem in Oslo, über mehrere Jahre begleiten kann, spannend:<br />

Man merkt, da „kocht“ etwas, man weiß noch nicht genau, was das<br />

ist. Aber sie wachsen, es entwickelt sich. Es ist unglaublich schön<br />

zu sehen, wie ein Student nach drei Jahren immer mehr realisiert,<br />

was er sich eigentlich wünscht. Aber zuerst muss man auf diesen<br />

Wunsch hören können, ihn spüren und verstehen. Andere, die mir<br />

sofort tolle Szenen bauen, deren Persönlichkeit dahinter ich aber<br />

nicht entdecken kann, finde ich nicht so spannend.<br />

FiT Braucht es bei den Lehrenden auch die prophetische Gabe,<br />

ein Potenzial zu erahnen, das erst entdeckt werden muss?<br />

Chétouane Das gehört zu Kunstschulen absolut dazu – diese Lust,<br />

Leute auf einem Weg zu begleiten. Eine Aufnahmeprüfung ist<br />

eigentlich nichts anderes als ein Pokerspiel, bei dem man als<br />

Lehrender darauf setzt, dass es da bei dem Studierenden etwas<br />

gibt – sonst wäre es auch ein langweiliger Beruf.<br />

Tiedtke Ich würde nicht sagen, dass wir bei der Aufnahmeprüfung<br />

Visionäre sind. Die Visionen müssen ja von denen kommen, die<br />

die neue Generation bilden – wir sind ja schon ein Teil der Tradition.<br />

Deswegen finde ich schön, was Laurent über Hans Hollmann<br />

erzählt hat, der ihm genügend Freiheit in der Ausbildung ließ,<br />

obgleich er nicht immer alles verstand. Wir müssen die Freiheit<br />

haben, von uns und unserer eigenen Art, Kunst zu betreiben und<br />

zu verstehen, selbst abzusehen, um etwas Neues zu ermöglichen.<br />

Wir müssen ein Gespür dafür haben, ob jemand genügend Mut,<br />

Interesse und Kreativität besitzt, um für sich und seine Kunst<br />

einzustehen. Für mich persönlich ist es als Lehrende wichtig, neben<br />

den Inhalten der Ausbildung den Studierenden eine Arbeitshaltung<br />

zu vermitteln, eine Betrachtung des eigenen Metiers, Werte<br />

mitzugeben, die auf ein Ziel hinweisen, welches man vielleicht nicht<br />

mit jeder Produktion erfüllen kann. Wenn man eine Idealvorstellung<br />

von dem, was Kunst sein könnte, nicht hat, dann hat man über<br />

kurz oder lang auch nicht die Kraft und Energie, diesen schwierigen<br />

Weg als Künstler einzuschlagen. Die Begeisterung für die Kunst<br />

sollte zwischen Studierenden und Lehrenden das gemeinsame<br />

Zentrum sein und bleiben.<br />

bjh<br />

94


Szene aus A. Stradellas „San Giovanni Battista“, einer <strong>HfMDK</strong>-Produktion in Kloster Eberbach im Rahmen des Rheingau Musik Festivals im Jahr 2011<br />

95


S t a t e m e n t s<br />

Alma Toaspern<br />

ist im Abschluss befindliche Studentin<br />

des Studiengangs BAtanz im Ausbildungsbereich<br />

Zeitgenössischer und<br />

Klassischer Tanz an der <strong>HfMDK</strong> und<br />

studiert zudem seit September letzten<br />

Jahres bei P.A.R.T.S. in Brüssel im<br />

Research Cycle, einem Masterprogramm<br />

für Zeitgenössischen Tanz und<br />

Choreographie.<br />

Die <strong>HfMDK</strong> ist mutig. Wo findet man<br />

heute an staatlichen Hochschulen den<br />

Mut, junge Künstler in ihren aufkeimenden<br />

Ideen zu unterstützen und ihnen den<br />

Frei- und Spielraum zu geben, sich<br />

auszuprobieren und damit ernsthaft auf<br />

den Künstlerberuf vorzubereiten? Wer<br />

traut sich trotz all der Kürzungen in der<br />

Kunstsparte, junges Potenzial zu fördern<br />

in dem Vertrauen, dass in der kommenden<br />

Generation die Zukunft liegt? Die Tanzabteilung<br />

unter Dieter Heitkamp tut es.<br />

Sie traut sich in den wackeligen Spagat,<br />

ihren Studierenden eine stabile Basis<br />

etablierter Lehrmethoden anzubieten und<br />

gleichzeitig den Weg und das Verständnis<br />

für unkonventionelles Denken zu öffnen.<br />

Solange dies ihr Streben ist, hat die<br />

Tanzabteilung tiefes Vertrauen verdient.<br />

Alt ist nicht immer weise. Aber Weise sind<br />

meist alt. Mit ihren 75 Jahren darf sich<br />

die <strong>HfMDK</strong> getrost alt und weise nennen:<br />

weise genug, um ihr Alter charmant zu<br />

betonen.<br />

Dieter Heitkamp<br />

ist Professor für Tanz und Ausbildungsdirektor<br />

der Abteilung Zeitgenössischer<br />

und Klassischer Tanz an der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Foto: Valentin Fanel<br />

Was mich nach 14 Jahren Arbeiten und<br />

Leben in der <strong>HfMDK</strong> immer noch<br />

herausfordert und mir große Freude<br />

bereitet, ist die einzigartige Möglichkeit,<br />

Studierende in ihrer künstlerischen<br />

Entwicklung begleiten, unterstützen und<br />

manchmal auch ver-/stören zu dürfen.<br />

Es ist aufregend und motivierend<br />

mitzuerleben, wie junge Künstlerinnen und<br />

Künstler eigene Wege finden und Risiken<br />

auf sich nehmen, neue Arbeitsweisen<br />

erproben, spannende Kunstwerke und<br />

Austauschforen schaffen, sich parallel für<br />

bessere Produktionsbedingungen einsetzen<br />

und konstruktive Vorschläge für neue<br />

Förderrichtlinien entwickeln. Das zeigt,<br />

dass künstlerische Ausbildung eng mit<br />

den Entwicklungen im aktuellen Kunstgeschehen<br />

und gesellschaftlichen Fragen<br />

verknüpft sein kann, und macht Mut, die<br />

bestehenden Ausbildungsstrukturen<br />

immer wieder auf ihre Aktualität hin zu<br />

befragen.<br />

„<strong>HfMDK</strong> bewegt“ ist die Überschrift des<br />

4. Symposiums THE ARTIST’S BODY, das<br />

im Oktober 2013 von der AG Körper &<br />

Bewegung ausgerichtet wird. Die Rolle<br />

des Körpers in der Kunst und für die<br />

künstlerische Ausbildung wird nur an<br />

wenigen Institutionen derart konsequent<br />

und spartenübergreifend wie an der<br />

<strong>HfMDK</strong> in <strong>Frankfurt</strong> untersucht. Die<br />

<strong>HfMDK</strong> ist in Bewegung. Ich bin stolz,<br />

dass die LEITBILD_diskussion öffentlich<br />

im Internet dokumentiert wird und alle<br />

Hochschulangehörigen in den Prozess<br />

einbezieht: Lehrende, Studierende und<br />

Mitarbeiter der Verwaltung.<br />

Weitere gute Gründe jetzt und hier tätig<br />

zu sein, sind die äußerst fruchtbare<br />

Zusammenarbeit innerhalb eines unvergleichlichen<br />

Netzwerkes sowie die<br />

großzügige Unterstützung engagierter und<br />

kompetenter Partner-Institutionen,<br />

Individuen, Organisationen und Stiftungen.<br />

Hinzu kommt die Diskursfreudigkeit,<br />

die Wahrnehmungsfähigkeit des<br />

Publikums, die Lust am Scheitern und das<br />

Bestreben, Praxis und Theorie zu verbinden.<br />

Das enorme vor Ort vorhandene<br />

Potenzial ist bei weitem noch nicht<br />

ausgeschöpft.<br />

Sebastian Kohlhepp<br />

ist Alumnus der <strong>HfMDK</strong>. Der lyrische<br />

Tenor studierte bis 2011 an der <strong>HfMDK</strong><br />

und ist seitdem Ensemblemitglied des<br />

Staatstheaters Karlsruhe. Zur Spielzeit<br />

2013/14 wechselt er an die Wiener<br />

Staatsoper.<br />

Die <strong>HfMDK</strong> war für mich der perfekte<br />

Ausbildungsort. Vor allem durch die<br />

Kooperation mit zahlreichen kulturellen<br />

Institutionen wie Opernhäusern und<br />

Theatern im Rhein-Main-Gebiet konnte<br />

ich schon während des Studiums<br />

regelmäßig Praxiserfahrung sammeln.<br />

Ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung<br />

und optimale Bedingungen zum Einstieg<br />

ins Berufsleben!<br />

96


W a s m i r d i e H f M D K b e d e u t e t<br />

Carolin Millner<br />

studiert Regie an der <strong>HfMDK</strong> (auf dem<br />

Bild mit ihrer Tochter Fides).<br />

Renate Hink<br />

ist seit einigen Jahren ehrenamtliche<br />

Helferin im Team des Abenddienstes.<br />

Meist sitzt sie an der Abendkasse, wo<br />

sie sich über einen guten Kartenverkauf<br />

und das Wiedersehen von „Stammkunden“<br />

der Hochschule freut.<br />

Sarah Grahneis<br />

studierte bis 2012 an der <strong>HfMDK</strong><br />

Theater- und Orchestermanagement<br />

(TheO) und arbeitet seit der Spielzeit<br />

2012/13 als Musiktheaterdramaturgin<br />

am Staatstheater Braunschweig. Sie ist<br />

Stipendiatin der „Akademie Musiktheater<br />

heute“ der Deutschen Bank Stiftung<br />

2012–2014.<br />

Die Vernetzung verschiedener Fachbereiche<br />

der <strong>HfMDK</strong> unter einem Dach<br />

ermöglichte mir, Produktionen mit<br />

Tänzern, Musikern und Sängern zu<br />

verwirklichen, was an einer regulären<br />

Regie- und Schauspielschule schwieriger<br />

zu organisieren gewesen wäre. Neben<br />

den vielen Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />

erscheinen in meinem Studium<br />

immer wieder neue Wegbegleiter, aber<br />

auch „Wegewidersacher“; keine Konstante<br />

weist mir den rechten Weg. So gibt es<br />

niemanden, dem ich nacheifern muss,<br />

sondern lediglich zeitweise will. Ich<br />

entscheide selbst, von wem ich mir<br />

welche Seite und welche Eigenschaft<br />

abschaue und für mich auf nun ganz<br />

eigene Weise umsetzen möchte. Ich folge<br />

eine Weile seinem Schritt, bis ich in einen<br />

neuen, unbekannten Seitenweg abbiege.<br />

Foto: Christina Wildgrube<br />

Das Besondere des Studiums an der<br />

<strong>HfMDK</strong> zeichnete sich letztendlich durch<br />

einen wunderbaren Kontrast aus:<br />

Einerseits war da der sehr intime Rahmen<br />

des „TheO“-Studiums, der eine intensive<br />

Lernatmosphäre mit ausgezeichneten<br />

Dozenten ermöglicht hat. Andererseits<br />

gab es die Einbettung des Studiengangs<br />

in eine Hochschule, die von ihrer Vielfalt<br />

lebt. Insbesondere für meinen persönlichen<br />

Werdegang ist es eine Bereicherung<br />

gewesen, schon in der Ausbildung<br />

mit den verschiedenen darstellenden<br />

Künsten in Berührung zu kommen. So<br />

konnte ich bereits im Studium ein Gespür<br />

für die unterschiedlichen Qualitäten und<br />

Bedürfnisse der Sparten und ihrer<br />

Künstler entwickeln, mit denen ich nun im<br />

Beruf täglich zusammenarbeite.<br />

Nach 40 Jahren am Flughafen wollte ich<br />

in meinem Ehrenamt mit vielen, wenn<br />

möglich jungen Menschen zu tun haben.<br />

Durch meinen Freund, Willy Egli, kam ich<br />

zur <strong>HfMDK</strong>. Es begeistert mich immer<br />

wieder, so viele junge, engagierte und<br />

talentierte Student/innen zu treffen und<br />

ihren weiteren Weg an die Oper oder ans<br />

Theater zu verfolgen.<br />

97


Foto: Lena Obst<br />

Szene aus „Kassandra.Sehen“ am Hessischen Staatstheater Wiesbaden im Frühjahr 2013, Inszenierung und Kostüme von Ksenia Ravvina,<br />

<strong>HfMDK</strong>-Regiestudentin. Im Bild: Franziska Werner, Andrea Schuler und Rajko Geith, <strong>HfMDK</strong>-Schauspielstudent.<br />

Geigerin Leidy Patricia Garcia während einer Probe im Großen Saal der <strong>HfMDK</strong>.<br />

98


Tubist Karel Skopek und Komponist Helmut Lachenmann nach einer Probe im Rahme eines Projektes der Internationale Ensemble Modern<br />

Akademie und des Instituts für Zeitgenössische Musik mit Helmut Lachenmann im Großen Saal der <strong>HfMDK</strong> im Frühjahr 2010.<br />

99


IMPRESSUM<br />

<strong>Frankfurt</strong> in Takt – Magazin der<br />

Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

Eschersheimer Landstraße 29–39<br />

60322 <strong>Frankfurt</strong> am Main<br />

www.hfmdk-frankfurt.de<br />

Herausgeber<br />

Thomas Rietschel, Präsident der <strong>HfMDK</strong><br />

Idee und Konzept<br />

Dr. Sylvia Dennerle<br />

sylvia.dennerle@hfmdk-frankfurt.de<br />

Telefon 069/154 007 170<br />

Redaktion<br />

Björn Hadem (bjh) bhadem@arcor.de<br />

Redaktionsbeirat<br />

Dr. Sylvia Dennerle, Beate Eichenberg,<br />

Prof. Hedwig Fassbender, Björn Hadem,<br />

Anatol Riemer, Thomas Rietschel,<br />

Dr. Andreas Odenkirchen,<br />

Prof. Eike Wernhard<br />

Autoren<br />

Prof. Ralph Abelein, Silke Altmannsberger,<br />

Prof. Dr. Peter Cahn, Dr. Julia Cloot,<br />

Ulrike Crespo, Fani Girizoti, Sarah Grahneis,<br />

Jonathan Granzow, Doris Greiner,<br />

Björn Hadem (bjh), Dr. Eva Hanau,<br />

Prof. Dieter Heitkamp, Renate Hink,<br />

Daniela Kabs, Bettina Kessler,<br />

Prof. Felix Koch, Sebastian Kohlhepp,<br />

Matthias Kowalczyk, Hernando Leal,<br />

Bernd Loebe, Carolin Millner,<br />

Dr. Stephan Pauly, Thomas Rietschel,<br />

Sabine Rosenberger,<br />

Prof. Laura Ruiz Ferreres,<br />

Prof. Michael Sanderling,<br />

Prof. Michael Schneider, Christoph Schulte,<br />

Verena Schwenk, Prof. Dr. Felix Semmelroth,<br />

Katrina Szederkenyi, Alma Toaspern,<br />

Ruth Wagner, Prof. Eike Wernhard<br />

Fotos<br />

Fotos: cyberpaddock (1), Valentin Fanel (4),<br />

Jürgen Friedel (1), Martin Geier (1),<br />

Björn Hadem (41), Udo Hesse (1),<br />

Hindemith Institut <strong>Frankfurt</strong> (1), Institut für<br />

Stadtgeschichte <strong>Frankfurt</strong> am Main (4),<br />

Internationale Leo-Kestenberg-Gesellschaft (1),<br />

Jüdisches Museum der Stadt <strong>Frankfurt</strong><br />

am Main (1), Andreas Kessler (1),<br />

Philipps-Universität Marburg (1), Lena Obst (1)<br />

Andreas Reeg (16), Maik Scharfscheer (1),<br />

Schott Music GmbH & Co. KG (1),<br />

Frank Widmann (1), Christina Wildgrube (1),<br />

wikimedia, wissenmedia (2)<br />

Layout<br />

Opak Werbeagentur<br />

Anzeigen<br />

Björn Hadem<br />

Erscheinungsweise: jeweils zu<br />

Beginn des Semesters<br />

Druck<br />

k+e druck ag<br />

Drittmittelkonto<br />

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Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01<br />

Fraspa 1822<br />

International Payments<br />

IBAN: DE71 5005 0201 0200 1380 90<br />

SWIFT-BIC: HELADEF1822<br />

GESAMTKONZEPT DES JUBILÄUMS<br />

AG 75 mit Prof. Hubert Buchberger,<br />

Dr. Sylvia Dennerle, Beate Eichenberg,<br />

Daniela Kabs, Dr. Andreas Odenkirchen,<br />

Heinke Poulsen, Gaby von Rauner und<br />

Anna-Rosa Schütz<br />

Veranstaltungsmanagement<br />

Daniela Kabs, Nina Koch,<br />

Joseph Hangstein (FSJ Kultur)<br />

Tontechnik<br />

Christoph Schulte<br />

Veranstaltungstechnik<br />

Jesica Janßen<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Dr. Sylvia Dennerle, Björn Hadem,<br />

Gaby von Rauner, Anna-Rosa Schütz (FSJ<br />

Kultur)<br />

Fundraising<br />

Beate Eichenberg und Heinke Poulsen<br />

Freundlich unterstützt von<br />

Gesellschaft der Freunde und Förderer der<br />

Hochschule für Musik und Darstellende<br />

Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Main, Hessisches<br />

Ministerium für Wissenschaft und Kunst,<br />

Patronatsverein des Dr. Hoch`s Konservatorium<br />

Medienpartner:<br />

hr2-kultur, <strong>Frankfurt</strong>er Allgemeine –<br />

Zeitung für Deutschland<br />

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