1,80 04 | 13 - Draußen
1,80 04 | 13 - Draußen 1,80 04 | 13 - Draußen
04 | 13 1,80 ~Straßenmagazin für Münster und das Münsterland | 0,70 Euro für den Verkäufer | www.strassenmagazin-draussen.de Verkäuferbaby geboren | Klima: Die Erde wehrt sich | Eine jüdische Lebensgeschichte
- Seite 2 und 3: Editorial Liebe Leserinnen und Lese
- Seite 4 und 5: 4 Straßenfeger Berlin
- Seite 6 und 7: Bericht | Text und Foto: Michael He
- Seite 8 und 9: Bericht | Text: Michael Schumann Di
- Seite 10 und 11: 10 derart viele Interessenverbände
- Seite 13 und 14: ohnehin “arisiert”. Am Ende mus
- Seite 15 und 16: Ich kann aber noch andere Vergleich
- Seite 17 und 18: Markus Punk Michael Heß ~ - Redakt
- Seite 19 und 20: Bericht | Text: Christine Dedeck Bi
- Seite 21 und 22: Bericht | Text und Foto: Susanne Wa
- Seite 23 und 24: Bericht | Text: Bernd Mülbrecht Ku
- Seite 25 und 26: Bericht | Text: RA Annette Poethke
- Seite 27 und 28: Rezepte | Text: Markus Kipp Löffel
- Seite 29 und 30: Juris Straßenpoesie Wen interessie
- Seite 31 und 32: Anzeigen Kompost und Blumenerde aus
<strong>04</strong> | <strong>13</strong><br />
1,<strong>80</strong><br />
~Straßenmagazin für Münster und das Münsterland | 0,70 Euro für den Verkäufer | www.strassenmagazin-draussen.de<br />
Verkäuferbaby geboren | Klima: Die Erde wehrt sich |<br />
Eine jüdische Lebensgeschichte
Editorial<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
die ~ beim Bundespräsidenten auf dem Tisch ist kein<br />
alltäglicher Anblick. Anlässlich eines Interviews, das der Chefredakteur<br />
des Berliner straßenfeger im Auftrag der sozialen<br />
Straßenzeitung in Deutschland mit Joachim Gauck führte,<br />
entstand das Foto von Seite 4. Das deutsche Staatsoberhaupt<br />
würdigte darin besonders die Straßenzeitungsverkäufer, die<br />
unter schwierigen Bedingungen die Ärmel hochkrempeln und<br />
sich für eine wirklich gute Botschaft engagieren, die lautet:<br />
„Schaut her, wir leiden nicht nur, sondern wir machen auch<br />
etwas.“ Es macht uns besonders froh, wenn unsere Leute von<br />
so prominenter Seite Anerkennung finden, denn dies entspricht<br />
genau den Zielen, die wir mit unserer Arbeit verfolgen.<br />
Das Thema Armut kommt zurzeit wieder verstärkt auf das Tapet.<br />
Der neu gewählte Papst Franziskus widmet sein Pontifikat<br />
programmatisch den Armen. Es scheint, als würde der Geist des<br />
fast vergessenen Katakombenpaktes aus dem Jahr 1965 wieder<br />
in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Damals trafen sich am<br />
Rande des Zweiten Vatikanums 40 Konzilsväter und formulierten<br />
Grundsätze für eine Kirche der Armen als Selbstverpflichtung. In<br />
der Folge schlossen sich weitere 500 Bischöfe aus aller Welt dem<br />
Pakt an. Wer diese Leitideen liest, der mag sie im Habitus des<br />
neuen katholischen Kirchenoberhauptes wiedererkennen. Die<br />
Armen dieser Welt erfahren dadurch eine Aufwertung, die der<br />
Amtskirche in meinen Augen gut zu Gesicht steht.<br />
Schließlich gab es in der letzten Zeit in Deutschland die Armutsberichte.<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband veröffentlichte<br />
2012 seine Ergebnisse zur Armut in Deutschland, die Bundesregierung<br />
im März diesen Jahres ihren Bericht. Die Ergebnisse<br />
werden kontrovers diskutiert. Es geht um die Interpretation von<br />
Zahlenwerken, um Definitionen von Armut und Armutsgefährdung,<br />
um Armutsflüchtlinge und darum, ob die Schere zwischen<br />
Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Wir, die wir<br />
mit Armut alltäglich zu tun haben, können den Zahlen Namen<br />
geben. Für uns bleiben die Menschen am wichtigsten.<br />
Carsten Scheiper<br />
Redakteur ~ e.V.<br />
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Sozial- und Betreuungsarbeit. Summe: langfristig und beliebig.<br />
• Auch in besonderen Notlagen wie zum Beispiel Haft, Krankheit oder<br />
Sterbefall tragen ihre Spenden dazu bei diese Not zu lindern.<br />
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4<br />
Straßenfeger Berlin
Impressum<br />
Herausgeber<br />
„~“ e. V.<br />
Berliner Platz 8<br />
48143 Münster<br />
Redaktionsteam<br />
Juliane Büker<br />
Michael Heß<br />
Melanie Kemper<br />
Sabrina Kipp<br />
Jonas Lichtenstein<br />
Sigi Nasner<br />
Carsten Scheiper (V.i.S.d.P.)<br />
Horst Gärtner<br />
Tel.: 0251 / 49 09 11 8<br />
redaktion@strassenmagazin-draussen.de<br />
Streetwork<br />
Sabrina Kipp<br />
s.kipp@strassenmagazin-draussen.de<br />
Internetseite<br />
www.strassenmagazin-draussen.de<br />
Administrator: Cyrus Tahbasian<br />
Texte<br />
Christine Dedeck, Lena Fiebig, Horst<br />
Gärtner, Doris Goez, Michael Heß, Markus<br />
Kipp, Sabrina Kipp, Bernd Mülbrecht,<br />
Annette Poethke, Carsten Scheiper,<br />
Manuel Schumann, Susanne Wasielewski<br />
Fotos<br />
Christine Dedeck, Doris Goez, Michael<br />
Heß, INSP / Straßenfeger Berlin, Andreas<br />
Löchte, Tobias Könneker, Anna Kopetsch,<br />
Sigi Nasner, Susanne Wasielewski<br />
Titelfoto<br />
Doris Goez<br />
Layout und Titelgestaltung<br />
Juliane Büker<br />
j.bueker@strassenmagazin-draussen.de<br />
Jonas Lichtenstein<br />
Gestaltungskonzept<br />
Lisa Schwarz/Christian Büning<br />
Druck<br />
Gutverlag Druck & Medien<br />
Auflage 7.000<br />
Unterstützt durch<br />
Siverdes-Stiftung<br />
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Wir danken allen Spendern!<br />
Artikel, die namentlich gekennzeichnet<br />
sind, geben nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion wieder.<br />
Bitte beachten Sie unsere<br />
Anzeigenkunden.<br />
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Inhalt<br />
Editorial<br />
Armut hat viele Namen<br />
Ungesunde Künstlichkeiten<br />
Auch in Münster ist Plastik- und Batterienmüll im Vormarsch<br />
Die Natur schlägt zurück<br />
„Mit einer Öko-Diktatur kämen wir nicht weiter“<br />
„Das Weinen ist schon lange vorbei“<br />
Ein Portrait von der jüdischen Münsteranerin Helge Loewenberg-Domp<br />
Meine Heimat im Dom<br />
Es kommt alles auf den Standpunkt an<br />
Löffelstarschnitt<br />
Jeder kann mitmachen!<br />
Keine Partei weniger?<br />
Das NPD-Verbot muss hohe Hürden nehmen<br />
Bildungsgerechtigkeit in NRW?<br />
Von wegen!<br />
„Die Welt ein Theater? Ja, auf jeden Fall!“<br />
Ein Interview mit der Leitung des Jungen Theaters Münster<br />
Aus alt mach Trend<br />
Neue Einzelstücke aus alten Klamotten<br />
Kurz und Knapp<br />
Freud und Leid liegen manchmal dicht beieinander<br />
Columne: ~ auf Cuba<br />
Taler vom Stern...<br />
Neues aus dem Familienrecht<br />
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Arbeitstag?<br />
Lesen<br />
Robert Krieg, Daniel Daemgen: „...und über uns kein Himmel“<br />
Rezepte<br />
Löffellamm mit Fladenbrot<br />
Schlussakkord<br />
Zwischenmenschliche Brückenschläge<br />
#<br />
5
Bericht | Text und Foto: Michael Heß<br />
Ungesunde Künstlichkeiten<br />
Auch in Münster ist Plastik- und Batterienmüll im Vormarsch<br />
C<br />
M<br />
Y<br />
CM<br />
MY<br />
CY<br />
CMY<br />
K<br />
Fast unbemerkt vollzieht sich vor unseren<br />
Augen eine Revolution, die der<br />
Verpackungen. Immer mehr Plastik dominiert<br />
in den Regalen, immer weniger<br />
natürliche Stoffe schützen die Waren.<br />
Natürlich hat auch diese Revolution<br />
längst damit begonnen, ihre Opfer zu<br />
fordern. Darüber und anderes mehr<br />
dachte ~-Redakteur Michael Heß<br />
unter anderem im hiesigen Recyclinghof<br />
nach.<br />
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Es ist eine Plage: der zunehmende Rückzug. Das Verpackungsgewicht wird<br />
Einsatz von Plastikverpackungen im niedriger, das Volumen dafür mehr. Auch<br />
Handel. Regale voll mit bunter Plaste als der Energieeinsatz für Herstellung und<br />
Verpackungsmedium für alle möglichen Entsorgung steht in keiner Relation zum<br />
Lebensmittel und Produkte. Oft genug kurzen Nutzen.<br />
sind diese dann noch zwei- oder dreifach<br />
unterverpackt. Andere Materialien befinden<br />
Tatsächlich spricht für die Verwendung<br />
sich ersichtlich auf dem Rückzug. von PET und anderen Thermoplasten<br />
Tetras oder gar Glasflaschen genießen einiges: das geringe Gewicht, die chemische<br />
außerhalb der Wein- und Getränkeregale<br />
Beständigkeit, die günstigen Kosten,<br />
bereits Minderheitenschutz. Tendenz: die Recyclingfähigkeit. Die gebrauchten<br />
MS_Anz_draußen_42,7x126_sw_RZ.pdPage 1 31.08.2009 14:29:31 Uhr<br />
weiter zurückgehend. Gäbe es für Verpackungen<br />
so etwas wie eine Rote Liste,<br />
fände sich dort heute so gut wie alles,<br />
was nicht aus Plaste oder Folie ist.<br />
Einer der unbestrittenen Stars der<br />
schönen neuen Plastikwelt ist PET. Das<br />
Kürzel steht für Polyethylterephtalat<br />
und macht sofort klar, mit Natur hat das<br />
Material nichts zu tun. Der zu den Thermoplasten<br />
zählende Kunststoff zeichnet<br />
sich durch eine hohe Bruchfestigkeit<br />
aus und wird zu Flaschen, Folien und<br />
Fasern (Polyester) verarbeitet. Flaschen<br />
sind der Hit. Flaschen für Säfte und<br />
Wasser, für Schorlen und sogar für Bier<br />
(wenngleich hier die Glasflasche heftigen<br />
Widerstand leistet). Oder die Folien und<br />
kleinen Beutel für Obst und Gemüse.<br />
Früher Naturdarm, Pergamentpapier,<br />
Holzcollies und Glas - heute Kunststoffe<br />
mit vertrackten, ja unaussprechlichen<br />
Namen. Noch das kleinste Fitzelchen<br />
Wurst und Käse ist heuer plastikversiegelt.<br />
Die Plastikwelt umgarnt uns immer<br />
mehr, doch im Grunde stört es uns nicht.<br />
“Ich habe einfach keine Lust mehr, die<br />
schweren Glasflaschen zu schleppen”,<br />
ätzt ein Bekannter auf mein schlechtes<br />
Gewissen. Was verständlich ist und doch<br />
befremdlich bleibt.<br />
Vordergründig könnte sogar Entwarnung<br />
gegeben werden. Zwar sank hierzulande<br />
der durchschnittliche Müllberg<br />
pro Nase von 1999 bis 2009 von 209 auf<br />
178 Kilogramm. Möglich machten es die<br />
neuen Müllstars wie Plastik. Glas, Metall,<br />
Keramik und so weiter sind auf dem<br />
Verpackungen werden zu winzigen Flocken<br />
geschreddert, eingeschmolzen und<br />
zu neuen Behältnissen gegossen. Für<br />
einen Teil verhält es sich so. Der andere,<br />
größere Teil wird jedoch zu einer echten<br />
Belastung für die Umwelt. Denn wie<br />
alles auf Erden hat auch diese Medaille<br />
eine dunkle Seite. Das in der Natur nicht<br />
vorkommende Material zersetzt sich<br />
äußerst langsam und wird selbst nach<br />
Jahrtausenden nicht chemisch abgebaut.<br />
Vielmehr versprödet es zu Myriaden<br />
winzigster Plastepartikel, die ihrerseits<br />
gleich Nanopartikeln weiter in die biologischen<br />
und chemischen Kreisläufe der<br />
Natur diffundieren. Niemand kann heute<br />
verlässliche Aussagen über die Folgen<br />
machen. Wenn es überhaupt so lange<br />
dauert mit dem Anrichten von Schaden.<br />
Die im Einzelfall sehr surreal wirkenden<br />
Auswirkungen des exzessiven Einsatzes<br />
von Plasten im westlichen Lebensstil<br />
kommen langsam ins Bewusstsein. Man<br />
mag den diversen Riesenstrudeln von<br />
Plastikmüll in den Ozeanen noch etwas<br />
Lustiges abgewinnen. Am bekanntesten<br />
dürfte der nordpazifische Strudel mit<br />
einer Fläche von mehreren Millionen<br />
Quadratkilometern sein. Flora und Fauna<br />
der betroffenen Gebiete werden jedoch<br />
schwer beeinträchtigt (siehe Infokasten).<br />
Mittlerweile schätzen Biologen die<br />
Menge des in den Meeren schwimmenden<br />
Plastikmülls auf das Sechsfache<br />
der Planktonmasse. Es gibt kaum noch<br />
ein Meeresgebiet, in dem nicht Abfall<br />
geschöpft werden kann. Und sei der Ort<br />
noch so entlegen in den Wasserwüsten<br />
der Ozeane.<br />
6
Noch schlechter schneiden in der<br />
Ökobilanz die 2011 verkauften etwa 1,5<br />
Milliarden Batterien und Knopfzellen<br />
mit einer Masse von 43.300 Tonnen<br />
ab. Immer mehr Anwendungsbereiche<br />
erobern sich die kleinen Kraftmeier. Ist<br />
der Einsatz in Radios und Uhren noch<br />
althergebracht, presst das Marketing der<br />
Produzenten immer neue Nutzungen in<br />
den Markt, deren Sinn sich auch nach<br />
längerem Nachdenken nicht erschließt.<br />
Seien es elektrische Zahnbürsten, mit<br />
Knopfzellen betriebene Kunstkerzen und<br />
anderer Nippes. Warum nicht das warme<br />
Licht einer echte Kerze - möchte man jeden<br />
Tag fragen. Oder die handbetriebene<br />
Zahnbürste, die beim Reinigungsakt nicht<br />
nur saubere Zähne schafft, sondern als<br />
Zusatznutzen noch einige Kalorien extra<br />
verbrennt? Und dann die Flut an Handys,<br />
an iPads und iPods, an Smartphones,<br />
Tablets und Konsorten. Alle brauchen<br />
sie eine umweltschädigend gefertigte<br />
Wind stecken wir unsere rot gefrorenen<br />
Nasen unter anderem in einen offenen,<br />
durch Metallplatten halbwegs abgegrenzten<br />
Container. Im Container stapelt<br />
sich sogenanntes Hartplastik, früher<br />
auch als Duroplast bekannt. “Das ist Teil<br />
eines 2012 begonnenen Versuchs zur gesonderten<br />
Erfassung”, erläutert Andreas<br />
Brügmann und schiebt nach: “Hartplastik<br />
gehört eigentlich nämlich nicht in den<br />
gelben Sack.” Wo es dennoch oft landet.<br />
Im letzten Jahr kamen 1<strong>80</strong> Tonnen<br />
zusammen. Aber was passiert mit dem<br />
Material weiter? “Wir machen nichts<br />
damit, wir erfassen den Abfall nur und<br />
leiten ihn an Entsorger wie Rethmann<br />
weiter”, präzisiert Brügmann. Ob es dafür<br />
Geld gibt, möchte ich weiter wissen. Beide<br />
AWM-Mitarbeiter lachen und stellen<br />
klar, dass es von den Entsorgern allenfalls<br />
eine geringe Gebühr zur Deckung der<br />
Kosten gebe. Das sei für alle Wertstoffe<br />
so, egal ob Altöl, Batterien, Plastik oder<br />
Tonnen solcher Batterien und Zellen<br />
im Jahr”, erläutert die AWM-Kollegin<br />
währenddessen. Hinzu kommen noch<br />
etwa 60 Tonnen Autobatterien. Wie die<br />
anderen Wertstoffe verbleiben sie nicht<br />
bei den AWM in der Eulerstraße. Das Batterierecycling<br />
erfolgt zumeist durch eine<br />
1998 gegründete Gesellschaft namens<br />
“Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem<br />
Batterien”, kurz GRS. Zur Stiftung gehören<br />
übrigens auch die kleinen grünen<br />
Sammelboxen, die in immer mehr Privathäusern<br />
zu finden sind. Hinter dem GRS<br />
(es gibt noch weitere Erfassungssysteme)<br />
stehen die Hersteller der kleinen Kraftpakete<br />
selbst. “Es ist so eine Art Grüner<br />
Punkt für Batterien”, bestätigt Monika<br />
Holtmann und weist außerdem auf die<br />
1998 erlassene Batterieverordnung als<br />
Hintergrund der GRS-Gründung hin.<br />
Ergänzt durch eine EU-Richtline 2006.<br />
Jährlich knappe 40.000 Tonnen sammelt<br />
das GRS in Deutschland heute ein und<br />
Knopfzelle aus teuren Rohstoffen und das<br />
wirft eine besonders interessante Frage<br />
auf.<br />
Nämlich: Wie viel Energie fließt in<br />
Herstellung und Entsorgung der kleinen<br />
Helferlein und wie viel Energie kann<br />
man aus ihnen ziehen? Die Antwort ist<br />
ernüchternd. Je nach Typ erfordert die<br />
Herstellung bis zu 500-mal mehr Energieeinsatz<br />
als die Nutzung hergibt. Bei<br />
der Masse der Produkte liegt der Faktor<br />
zwischen 60 und 100. Der Einsatz von<br />
Batterien ist die denkbar ineffektivste<br />
Form des Energiebezugs. Hinzu kommt<br />
die Tatsache, dass ausnahmslos alle<br />
(!) Batterien einen toxischen Mix aus<br />
Schwermetallen, Säuren und Laugen<br />
darstellen. Sie kombinieren eine extrem<br />
schlechte Bilanz in der Kernanwendung<br />
mit einer erheblichen gesundheitlicher<br />
Belastung beim Handling. Eine typische<br />
lost-lost-Situation, bei der nur der Produzent<br />
win macht. Ortstermin bei der<br />
Abfallwirtschaft Münster an der Eulerstraße.<br />
Monika Holtmann als Leiterin der<br />
Recyclinghöfe und Projektleiter Andreas<br />
Brügmann stehen trotz der eisigen Kälte<br />
Rede und Antwort. Im schneidenden<br />
Restmüll. Und da kommt einiges in<br />
Münster zusammen. Allein der Gelbe Sack<br />
brachte es 2011 auf 9.400 Tonnen. Hinzu<br />
kommen nochmals 9.200 Tonnen Gelber-<br />
Sack-Müll, die der Entsorger Rethmann<br />
aus den Restmülltonnen der Domstadt<br />
fischt. Ich versuche, mir diese Mengen in<br />
den Gärten und Parks, auf Straßen und<br />
in Höfen vorzustellen. Besser nicht, die<br />
Verdauungsprodukte des modern lifestyle<br />
tun der Natur und dem Stadtbild nicht<br />
gut.<br />
Etliche Schritte weiter stehen wir vor<br />
etwa 30 hüfthohen grünen Fässern. Wie<br />
Paradesoldaten sind sie unter einem<br />
Schild aufgereiht, auf dem “Trockenbatterien”<br />
steht. Monika Holtmann lüftet<br />
einen der mit Spannring gesicherten<br />
Deckel. Innen liegen Batterien und<br />
Knopfzellen kunterbunt durcheinander.<br />
Jede Menge Blei, Cadmium, Eisen, Lithium,<br />
Mangan, Nickel, Silber, Zink... Sicher<br />
auch Gold, wenn auch nur in Spuren. Es<br />
sind richtige Schätze, die die AWM regelmäßig<br />
zusammen tragen. Der Schlossergeselle<br />
in mir fühlt sich angesprochen.<br />
Zwecklos mein Versuch, das Fass anheben<br />
zu wollen. “Insgesamt sammeln wir 15<br />
bringt das Altmetall zu den Verwertern,<br />
die zumeist in Bremerhaven sitzen. Tendenz<br />
steigend. Immerhin, aber auch der<br />
Einsatz von Batterien steigt kontinuierlich<br />
an. Zur Zeit erwirbt jeder Bundesbürger<br />
vom Baby bis zum Tattergreis jährlich<br />
etwa 18 kleine Helferlein; in Münster sind<br />
es rund fünfeinhalb Millionen per anno.<br />
Übrigens sind auch Sie als Leser sprich<br />
Verbraucher von Batterien zur Rückgabe<br />
dieser verpflichtet. Entsorgung über den<br />
Hausmüll ist nicht. Dafür freuen sich die<br />
Umwelt und die freundlichen Mitarbeiter<br />
der AWM über ihren Besuch in den Münsteraner<br />
Wertstoffhöfen. #<br />
Clip: You will not believe your eyes<br />
http://www.youtube.com/<br />
watch?v=7xCOh_UCLJg<br />
7
Bericht | Text: Michael Schumann<br />
Die Natur schlägt zurück<br />
„Mit einer Öko-Diktatur kämen wir nicht weiter“<br />
Welche Folgen hat der Klimawandel<br />
für den Alltag, die Wirtschaft und die<br />
Sozialsysteme? Mit dieser Frage hat sich<br />
eine Gruppe von Klimaforschern und<br />
Sozialwissenschaftlern beschäftigt – der<br />
Titel ihres Buches: „Zwei Grad mehr in<br />
Deutschland“. Einer der Autoren ist<br />
der Meteorologe Professor Friedrich-<br />
Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-<br />
Institut für Klimafolgenforschung.<br />
Manuel Schumann sprach mit ihm über<br />
Klimaskeptiker, ängstliche Politiker<br />
sowie gängige Vorurteile.<br />
~: Herr Prof. Gerstengarbe, seit den<br />
50er Jahren ist die globale Durchschnittstemperatur<br />
um fast ein Grad gestiegen,<br />
laut Ihrer Prognose wird sie in den kommenden<br />
drei Jahrzehnten um weitere<br />
zwei Grad zunehmen. Worauf müssen wir<br />
uns einstellen?<br />
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W„<br />
as deprimierend ist :<br />
Du bist wie<br />
alle anderen.<br />
Was tröstlich ist :<br />
Alle anderen<br />
sind wie du. “<br />
Prof. Gerstengarbe: Wir werden mehr<br />
heiße Tage erleben, Hitzewellen werden<br />
keine Seltenheit mehr sein. Zudem<br />
müssen wir häufiger mit starken Niederschlägen<br />
rechnen. All das wird natürlich<br />
von Region zu Region unterschiedlich<br />
stark ausgeprägt sein. Plakativ gesagt:<br />
Die Tourismusbranche an der Ost- und<br />
Nordsee kann sich freuen - die Anzahl<br />
der möglichen Badetage wird steigen.<br />
Erinnern Sie sich an den Sommer des<br />
Jahres 2003?<br />
~: Der war außergewöhnlich heiß.<br />
Prof. Gerstengarbe: Im Zuge einer Hitzewelle<br />
hat es damals in Mitteleuropa<br />
etwa 70.000 Tote gegeben. Das war eine<br />
Extremsituation, die uns aufzeigte, was<br />
passieren kann, wenn wir nicht vorsorgen.<br />
Auf solche Hitzewellen müssen wir<br />
vorbereitet sein, dann wären die Folgen<br />
auch nicht derart dramatisch.<br />
~: Und die Winter<br />
werden milder?<br />
Prof. Gerstengarbe: Daran<br />
führt kein Weg vorbei. Die<br />
Schneesicherheit in den<br />
Alpen nimmt schon seit<br />
geraumer Zeit sichtbar<br />
ab. Im Schwarzwald war<br />
die Schneedecke um 1970<br />
herum etwa 90 Tage im<br />
Jahr geschlossen, mittlerweile<br />
ist das nur noch an<br />
knapp 60 Tagen der Fall.<br />
Der Skitourismus wird es<br />
daher in Zukunft schwer<br />
haben. Aber das ist nur ein<br />
Beispiel von vielen.<br />
noch hart genug, dass es schmerzt. Was<br />
heißt das konkret?<br />
Prof. Gerstengarbe: Schmerzen würde es<br />
dann, wenn die Dürre- und Hitzeperioden<br />
nicht nur in einzelnen Jahren aufträten,<br />
sondern in vielen hintereinander.<br />
Das wäre nicht nur für die Wälder und die<br />
Landwirtschaft eine unheimlich starke<br />
Belastung. So sähe es beispielsweise in<br />
Regionen wie Brandenburg düster aus,<br />
dort würden die Kiefernwälder wohl<br />
absterben.<br />
~: Apropos: Ihr Institut (Potsdam-<br />
Institut für Klimafolgenforschung, Anm.<br />
d. Red.) arbeitet seit vielen Jahren<br />
intensiv an Frühwarnsystemen, mithilfe<br />
derer Sie Empfehlungen an die Regierung<br />
geben...<br />
Prof. Gerstengarbe: … So ist es! Ich nenne<br />
Ihnen ein weiteres Beispiel: Hätten<br />
wir im Sommer nicht genügend Wasser in<br />
den Flüssen, besteht die Gefahr, dass die<br />
Reaktoren unserer Kraftwerke nicht mehr<br />
ausreichend gekühlt werden. In den<br />
vergangenen Jahren hat es solche Fälle<br />
bereits gegeben. Müssten wir mehrere<br />
Kraftwerke für eine Woche lang runterfahren,<br />
hätten wir Riesenprobleme, die<br />
Energieversorgung aufrechtzuerhalten.<br />
Derzeit reicht die Gesamtleistung der<br />
regenerativen Energien bekanntlich nicht<br />
aus, um die Folgen dieses Szenarios auszugleichen.<br />
~: Der letzte Rekord der weltweiten<br />
Mitteltemperatur war 1998, seit damals<br />
hat es keinen neuen Spitzenwert gegeben.<br />
Ist es falsch, wenn ich sage, seitdem<br />
sei kein signifikanter Trend erkennbar<br />
– weder in die eine noch in die andere<br />
Richtung?<br />
HORSTER STR. 12 FRIEDRICH-EBERT STR. 120<br />
www.moebel-schwienhorst.de<br />
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~: Sie schreiben in<br />
Ihrem Buch, Deutschland<br />
werde es weniger hart<br />
treffen als die Entwicklungsländer,<br />
aber immer<br />
Prof. Gerstengarbe: Das ist tatsächlich<br />
falsch. Zwar verzeichneten wir 1998<br />
einen Spitzenwert, aber was bitte schön<br />
sagt das aus? Nicht viel. Wir müssen<br />
uns die Schwankungsbreite über einen<br />
8
langen Zeitraum ansehen. In den 60er<br />
Jahren sang Rudi Carrell „Wann wird`s<br />
mal wieder richtig Sommer“ (lächelt). Zu<br />
jener Zeit waren mehrere Sommer hintereinander,<br />
platt gesagt, verhunzt. Erst<br />
in den 70ern ist die Temperatur wieder<br />
angestiegen – bis hinein in die 90er.<br />
Aber nochmal: Derlei ist kein Kriterium,<br />
denn was sind schon zwölf oder zwanzig<br />
Jahre?<br />
~: Was halten Sie von den Einwänden<br />
der Kritiker, die die gängigen Prognosen<br />
vehement bestreiten? Nehmen Sie<br />
diese Kollegen ernst?<br />
Prof. Gerstengarbe: Sie würden bei<br />
jedem Thema Leute finden, die das Gegenteil<br />
der gängigen Ansicht vertreten.<br />
Das ist normal. Ich sage nicht, dass unser<br />
Institut frei von Fehlern ist, das wäre<br />
töricht. Eins ist jedoch klar: Die überwiegende<br />
Mehrheit, weit mehr als 90% aller<br />
Wissenschaftler, die sich mit dem Thema<br />
befasst, ist der Meinung, dass der Mensch<br />
den Klimawandel verursacht hat. Schauen<br />
Sie sich die Messungen der letzten 100<br />
Jahre an, stellen sie relativ schnell fest,<br />
dass es a) wärmer geworden ist und b) ein<br />
Großteil dieser Erwärmung auf das CO2,<br />
also die Treibhausgase, zurückzuführen<br />
ist. Daran kommt man nicht vorbei. Auch<br />
nicht als Klimaskeptiker.<br />
~: Einige von ihnen sagen, der<br />
Einfluss der Sonne werde unterschätzt,<br />
dieser wirke sich nämlich viel stärker auf<br />
unser Klima aus als bislang angenommen.<br />
Prof. Gerstengarbe: Hier möchte ich<br />
Richard Muller aus Berkeley, einen ehemaligen<br />
Klimaskeptiker, anführen. Er hat<br />
im Berkeley Earth Project mit einigen Kollegen<br />
nachweisen wollen, dass die globale<br />
Erwärmung natürlichen Ursprungs<br />
ist. Die Gruppe um Muller kam aber zu<br />
dem Ergebnis, dass die Erwärmung menschgemacht<br />
ist und eine Änderung der<br />
solaren Einstrahlung keine Rolle spielt.<br />
Nachzulesen ist das in der New York Times<br />
vom 29. Juli 2012. Trotzdem hat die Sonne<br />
natürlich einen Einfluss auf unser Klima,<br />
sie ist schließlich unser Energiemotor,<br />
allerdings kann mit ihren Strahlungsschwankungen<br />
der Klimawandel nicht<br />
erklärt werden. Das ist Unfug.<br />
~: Aber hat es jemals ein stabiles<br />
Klima gegeben? Es war in der Vergangenheit<br />
doch schon mehrmals wesentlich<br />
wärmer als heute.<br />
Prof. Gerstengarbe: Klar ist: Es gibt den<br />
Zyklus zwischen Warm- und Eiszeit.<br />
Während der Warmzeiten war es in der<br />
Tat schon mal deutlich wärmer als heute.<br />
Das sind allerdings Veränderungen, die<br />
sich über lange Zeiträume<br />
entwickeln. Innerhalb der<br />
letzten ein-, zweitausend<br />
Jahre ist das Klima relativ<br />
stabil gewesen; selbst die<br />
kleine Eiszeit zwischen 1450<br />
und 1850 wich nicht stark<br />
davon ab. Erst danach ist<br />
die Temperatur dramatisch<br />
angestiegen.<br />
~: Wir halten fest: Veränderungen<br />
des Klimas sind<br />
der Normalfall.<br />
Prof. Gerstengarbe: Stop!<br />
Verändert sich die Temperatur,<br />
verändert sich nicht<br />
automatisch das Klima -<br />
denn das ist im Gegensatz zur<br />
Temperatur komplex. Sonst<br />
könnte manschließlich sagen<br />
„0,8 Grad mehr, na und? Das<br />
ist doch minimal.“<br />
~: Ist es das etwa nicht?<br />
Prof. Gerstengarbe: Mein Kollege und<br />
ich haben uns die Klimagebiete der Erde<br />
genau angeschaut – Wüsten, Tropen,<br />
Tundren, gemäßigte Zonen. All jene sind<br />
natürlich nicht nur charakterisiert durch<br />
die Temperatur, sondern auch durch<br />
die Verteilung des Niederschlags sowie<br />
der Vegetation, um nur zwei Punkte zu<br />
nennen. Man erkennt relativ schnell, wie<br />
sich die Klimagebiete in den letzten 100<br />
Jahren verschoben haben. Die Ursache<br />
hierfür ist eindeutig der Klimawandel. So<br />
tauen zum Beispiel die Tundren auf, und<br />
zwar um etwa 350km² pro Tag, während<br />
die Wüstenflächen zunehmen. Das sind<br />
Alarmzeichen.<br />
~: Ebenfalls umstritten ist die These,<br />
die globale Erwärmung verursache ein<br />
Artensterben. Berichtet ein Magazin über<br />
den Klimawandel, können wir fast sicher<br />
sein, dass auf dem Zeitschriftencover<br />
Eisbären abgebildet sind - ein Problem?<br />
Prof. Gerstengarbe: Das ist sehr publikumswirksam.<br />
Wenn sich Vegetationszonen<br />
verschieben, dann gibt es<br />
selbstverständlich Arten, die in andere<br />
Regionen ausweichen müssen, mit der<br />
Folge, dass sie wiederum andere Arten<br />
verdrängen. Das ist in der Tat ein ganz<br />
normaler Prozess, den wir nun allerdings<br />
verstärkt beobachten. Ob sich die Eisbären<br />
anpassen, ist noch offen. Dafür ist der<br />
Zeitraum, den wir bisher beobachtet haben,<br />
zu kurz. Ich fände es schade, wenn<br />
die Medien sich in der Debatte weiter auf<br />
eine Spezies beschränkten. Derlei wird<br />
dem Thema nicht gerecht.<br />
~: Sie meinen, die Medien seien<br />
schuld an diesem Zerrbild?<br />
Prof. Gerstengarbe: Nein. Sicherlich<br />
haben mehrere Akteure Fehler gemacht<br />
– sowohl die Tierschützer als auch die<br />
Klimaskeptiker. Aber eben auch: die Medien<br />
(lächelt). Wir verrennen uns, wenn<br />
wir ausnahmslos ideologisch argumentieren.<br />
Fest steht: Die Vegetationszonen<br />
verschieben sich, weil das Klima sich<br />
verändert, und das beeinflusst wiederum<br />
die Tierwelt, Punkt.<br />
~: Nicht eher ein Ausrufezeichen?<br />
Schließlich spricht so mancher Interessenverband<br />
inzwischen von einem<br />
„Klimakampf“, den man führe.<br />
Prof. Gerstengarbe: Ich halte so etwas<br />
für problematisch. Dass es allerdings<br />
9
10<br />
derart viele Interessenverbände gibt,<br />
die sich das Thema auf die Fahnen<br />
geschrieben haben, finde ich enorm<br />
wichtig. Wir sollten sachlich miteinander<br />
diskutieren. Eine mögliche Frage an die<br />
Umweltschützer könnte lauten: Wollt<br />
ihr die Naturschutzgebiete exakt so erhalten,<br />
wie wir sie momentan pflegen?<br />
Dann hätten wir in der Tat ein Problem,<br />
denn die Rahmenbedingungen für diese<br />
Gebiete haben sich sichtbar verändert.<br />
Man könnte ja auch sagen „Okay, ich<br />
lasse der Natur ihren Lauf - dann gibt<br />
es eben neue Arten und andere sterben<br />
aus.“ Wir haben es hier also beinahe mit<br />
philosophischen Fragen zu tun.<br />
~: Und wie beantworten Sie diese<br />
Fragen?<br />
Prof. Gerstengarbe: Ehrlich gesagt, weiß<br />
ich es nicht. Die Natur sorgt stets dafür,<br />
dass alles im Ausgleich ist. Das Problem<br />
sind indes die Menschen. Wie hilft man<br />
jenen, die in Gebieten leben, in denen<br />
sich der Klimawandel dramatisch bemerkbar<br />
macht? Dort, wo aus Ackerland<br />
Wüste wird? Es gibt etwa zwei Milliarden<br />
Menschen, die in solchen Gebieten leben.<br />
Wir brauchen daher dringend Antworten.<br />
~: Ein Appell an die Politik?<br />
Prof. Gerstengarbe: Nicht unbedingt. Wir<br />
haben im letzten Teil des Buches sowohl<br />
ein positives als auch ein negatives Szenario<br />
gemalt. Im Einklang mit unseren<br />
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Kollegen der Sozialwissenschaft sind wir<br />
der Ansicht, es müsse mehr um Eigeninitiative<br />
gehen.<br />
~: Weil die Politik meist kurzfristig<br />
denkt und handelt?<br />
Prof. Gerstengarbe: Exakt. Natürlich<br />
brauchen wir bei diesem wichtigen<br />
Thema auch politische Entscheidungen,<br />
keine Frage. Aber ein Politiker kann meist<br />
nur die Konzepte durchsetzen, hinter<br />
denen seine Wähler stehen.<br />
~: Überzeugungskraft allein reicht<br />
nicht aus?<br />
Prof. Gerstengarbe: Es ist doch so: Wird<br />
es konkret, fasst der Wähler unbequeme<br />
Entscheidungen meist als Zumutung auf<br />
und ist deshalb zunächst einmal dagegen.<br />
Das zweite Problem: Der Bundestag<br />
wird nur für vier Jahre gewählt, es ist daher<br />
nur logisch, dass Politiker kurzfristig<br />
handeln. Offensichtlich fällt es ihnen unheimlich<br />
schwer, über lange Zeiträume zu<br />
denken und entsprechende Programme<br />
auf den Weg zu bringen. Welcher Politiker<br />
traut sich, Konzepte umzusetzen, deren<br />
Früchte womöglich erst in zwanzig oder<br />
dreißig Jahren geerntet werden könnten?<br />
~: Mit anderen Worten: Unser politisches<br />
System sollte reformiert werden?<br />
Prof. Gerstengarbe: Das ist eine schwierige<br />
Frage. Ich finde, unser politisches<br />
System ist immer noch das Beste, das ich<br />
kenne. Mit einer Öko-Diktatur kämen wir<br />
auch nicht weiter – im Gegenteil. Eine<br />
einsame Entscheidung von oben herab<br />
wäre falsch.Das Problem: Wir haben nicht<br />
mehr viel Zeit! Wir müssen uns in den<br />
nächsten zehn Jahren klar positionieren,<br />
um die Entwicklung wenigstens zu<br />
bremsen. Denn: Aufhalten können wir sie<br />
ohnehin nicht. Leider.<br />
~: Schaut man sich die entsprechenden<br />
Einschaltquoten und Reaktionen<br />
vieler Zuschauer an, so hat man<br />
den Eindruck, das Thema „Klimawandel“<br />
würde sie zunehmend langweilen oder<br />
gar nerven – woran liegt das?<br />
Prof. Gerstengarbe: Das Thema ist in<br />
den Medien derart intensiv durchgekaut<br />
worden, dass es sich scheinbar<br />
irgendwann selbst erledigt. Die Erderwärmung<br />
ist freilich ein schleichender<br />
Prozess. Die Katastrophen, die in der<br />
Ferne geschehen, sehen wir lediglich<br />
wenige Minuten im Fernsehen. Wir hier<br />
in unserem High-Tech-Land spüren die<br />
Folgen des Klimawandels nur äußerst<br />
selten. Und wenn, dann meist nur<br />
positiv, Stichwort: Sommer. Das Thema<br />
hängt den Leuten mittlerweile zum Hals<br />
raus. Ich halte es deshalb auch für falsch,<br />
wenn einige Kollegen grundsätzlich auf<br />
„Katastrophen-Szenarien“ setzen, denn<br />
damit verstärken sie jene Verdrossenheit.<br />
~: Diese Kollegen sind offenbar<br />
der Meinung, nur drastische Beispiele<br />
könnten wachrütteln.<br />
Prof. Gerstengarbe: Aber das Gegenteil<br />
ist der Fall! Liest und hört man ständig<br />
Horror-Szenarien, stellt aber im eigenen<br />
Umfeld fest, es passiert ja nichts, stumpft<br />
man ab. Nach dem Motto „Was wollen<br />
diese Wissenschaftler und Politiker<br />
eigentlich? Uns geht`s doch prima!“<br />
Außerdem gibt es genug andere Themen,<br />
die uns im Alltag Sorgen bereiten – Finanzkrise,<br />
Jobverlust, sozialer Abstieg,<br />
um nur einige zu nennen.<br />
~: Herr Prof. Gerstengarbe, weshalb<br />
haben Sie das Buch geschrieben?<br />
Prof. Gerstengarbe: Um aufzuklären und<br />
Denkanstöße zu geben. Wir stellen in<br />
unserem Buch kein Schreckensszenario<br />
dar, sondern erklären verständlich, was<br />
uns wahrscheinlich erwartete, wenn wir<br />
weitermachten wie bisher. Und: Wie<br />
wir uns an die neue Situation anpassen<br />
können. Wir konzentrieren uns auf die<br />
kommenden zwanzig, dreißig Jahre,<br />
also auf einen Zeitraum, den viele Leser<br />
noch erleben werden. Wer kann schon<br />
zuverlässig sagen, was in hundert Jahren<br />
passiert? Derlei wäre Kaffeesatzleserei.<br />
Klima hat immer zu tun mit „Wenndann-Entscheidungen“.<br />
Endgültig bewerten<br />
kann man unser Buch wohlerst in<br />
zwanzig Jahren. Immerhin (lacht)! #<br />
Buchangaben: Friedrich-Wilhelm<br />
Gerstengarbe / Harald Welzer<br />
(Hg.): Zwei Grad mehr in Deutschland.<br />
Wie der Klimawandel unseren<br />
Alltag verändern wird, Fischer<br />
Taschenbuch, 320 Seiten, 12,99<br />
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Geben Sie den Löffel ~ ab…<br />
Jeder Löffel steht für mindestens eine warme Mahlzeit für<br />
Bedürftige. Besonders „prominente“, wertvolle oder außergewöhnliche<br />
Löffel sollen später ausgestellt werden. Alle<br />
anderen Löffel werden zu außergewöhnlichen Kunstwerken,<br />
die für die gute Sache verkauft werden sollen. Natürlich<br />
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können Sie ihn uns auch schicken. Bitte geben Sie<br />
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Ihrer Phantasie sind keine<br />
Grenzen gesetzt :)<br />
11
ohnehin “arisiert”. Am Ende musste es<br />
ganz schnell gehen. Im Juli 1942 fährt<br />
Helge ohne Judenstern (seit Juni 1942 galt<br />
eine Tragepflicht) nach Amsterdam, wird<br />
denunziert und zur Gestapo in Enschede<br />
vorgeladen. Erneut rettet sie ihr couragiertes<br />
Auftreten; man lässt sie freitags<br />
laufen mit der Maßgabe, montags wieder<br />
vorzusprechen. Sie tut es nicht, sondern<br />
taucht sofort ab in den Untergrund. Auf<br />
verschiedenen Wegen folgen die Eltern<br />
und Schwester Lissy. Ihr dunkelster Lebensabschnitt<br />
bricht an. Etwa zur selben<br />
Zeit wird Jochen von den Vichy-Behörden<br />
(er strandete 1940 in Südfrankreich) nach<br />
Auschwitz deportiert.<br />
“Es gab gute Niederländer und böse<br />
Niederländer”, erinnert sich Helge Loewenberg-Domp<br />
über die Jahre von 1942<br />
bis 1945. Und zuweilen waren die Grenzen<br />
fließend wie bei ihren Gastgebern<br />
in H´Nijkerk am Ijsselmeer. “Hoogland<br />
hießen sie und sie waren keine guten<br />
Menschen” ,beschreibt sie die Gastgeber.<br />
Jeden Monat kostet das Quartier 1.000<br />
Gulden und später werden sie feststellen,<br />
dass Hooglands heimlich ihre versteckten<br />
Habseligkeiten plündern. Aber das Netz<br />
der guten Holländer hält. Bertha und Dirk<br />
Wassing heißen die Nachbarn, die den<br />
Domps das Leben retten und sie in ein<br />
neues Quartier bringen.<br />
Als Grundbedingung waren die Unterkünfte<br />
in der Regel nicht einsehbar. Dennoch<br />
spielte sich das Leben ausschließlich<br />
innen ab. Sätze wie “Meine Eltern waren<br />
drei Jahre nicht draußen” und “Es wurde<br />
niemals auf einen Schlag eingekauft”<br />
,beschreiben die schwierigen Bedingungen.<br />
Die Zeit vertreiben sie sich mit<br />
Debattieren, Handarbeiten und Lesen.<br />
Lediglich Helge traut sich ab und an auf<br />
die Straßen, ein gefährliches Unterfangen.<br />
Ein stetes Problem ist zusätzlich die<br />
angespannte Versorgungslage, was nach<br />
dem “Dollen Dinsdag” im September 1944<br />
fast unlösbar wird.<br />
Die Befreiung erlebt die Famile unspektakulär.<br />
Im April 1945 gerät Nijkerk<br />
unter allierten Beschuss, der auch ihr<br />
Haus trifft. Die Hooglands fliehen und<br />
fast 70 Jahre später resümiert das unfreiwillige<br />
Mündel lakonisch: “Wir haben sie<br />
nie wiedergesehen.” Die Domps laufen<br />
den amerikanischen Befreiern entgegen,<br />
die sie in Putten treffen. Neu ausstaffiert<br />
mit Kleidung und Lebensmitteln geht<br />
es zurück nach Enschede. Vier der fünf<br />
Familienmitglieder überleben dank der<br />
guten Niederländer, Disziplin und Glück.<br />
Aber ihr Bruder Jochen bleibt in der<br />
Shoa. Nur wenige Tage vor der Befreiung<br />
Auschwitzs erliegt er den entsetzlichen<br />
Haftbedingungen.<br />
Wie sah sie selbst folglich die Nachkriegszeit?<br />
Es habe gedauert mit dem Verzeihen,<br />
aber sie sagt auch “nicht hassen<br />
zu wollen” und: “Das Weinen ist schon<br />
lange vorbei.” Anders als bei ihrer 1960<br />
verstorbenen Mutter Rosa, die den Tod<br />
Joachims nie verwandt. Bei der jüngsten<br />
Tochter glättet die Zeit ganz langsam die<br />
tiefen Wunden und der zu bewältigende<br />
Alltag trägt seinen Teil bei. 1947 heiratet<br />
sie den ehemaligen Großeinkäufer der<br />
Firma Tietz in Köln Bruno Loewenberg, der<br />
die Nazis ebenfalls im niederländischen<br />
Untergrund überlebt. Mit ihm bleibt sie<br />
zusammen bis zu seinem Tod 1986. Das<br />
Enscheder Klaviergeschäft wird zunächst<br />
wieder betrieben und 1957 aufgegeben.<br />
Denn die geschäftige Niederländerin fand<br />
längst ein anderes Betätigungsfeld: den<br />
internationalen Handel mit Flügeln, Klavieren<br />
und verwandten Instrumentarien.<br />
Sie knüpft bereits 1953 Kontakte in die<br />
DDR, fährt zu den Leipziger Messen und<br />
öffnet den volkseigenen Instrumenten<br />
den niederländischen Markt (später<br />
gelang das nochmals dem knuffigen<br />
Trabant). Zehn Jahre danach hat sie die<br />
Generalvertretung für Yamaha-Klaviere<br />
inne, damals der kommende Star. Zuerst<br />
für Europa, später nur für die Niederlande.<br />
“Damit hatte ich schon genug zu<br />
tun”, lächelt die 97-jährige Grand Dame<br />
verschmitzt. Nochmals später erschließt<br />
sie über Brasilien den südamerikanischen<br />
Markt für ihre Tasteninstrumente. Alles<br />
zusammen genügt für den “Ridderorde<br />
van Oranje-Nassau”, der ihr zum 70. Geburtstag<br />
am 5. Juni 1985 verliehen wird.<br />
Welche Energie, was für ein Wollen in<br />
dieser zierlichen Frau! Was für ein Verlust<br />
deutscher Bürgerlichkeit!<br />
Und dann gibt es noch ihre Stiftung<br />
zur Förderung von Nachwuchskünstlern<br />
in Musik und bildender Kunst.<br />
Gegründet 1987, organisiert die Stiftung<br />
jährlich mehrere Konzerte und betreut<br />
den künstlerischen Nachwuchs bis zum<br />
Flüggewerden. Aus dem Amsterdamer<br />
Concertgebouw heißt es anerkennend,<br />
es sei die beste Stiftung ihrer Art in den<br />
Niederlanden. Helge Loewenberg-Domp<br />
fasst es als ihr Vermächtnis auf: “Die<br />
jungen Leute sind phantastisch”, sagt sie<br />
über deren künstlerische und menschliche<br />
Qualitäten. Immer wieder kämen<br />
Fragen an sie, warum sie nicht weine<br />
nach dem, was sie durchmachte. Helge<br />
Loewenberg-Domp setzt ihre Tasse ab<br />
und erinnert sich und schweigt.<br />
Bis auf den Stolperstein in der Brüderstraße<br />
erinnert nichts mehr an die Domps.<br />
Selbst auf dem jüdischen Friedhof an der<br />
Einsteinstraße gibt es keine Spuren. Die<br />
Familie lebte 28 Jahre in der Domstadt,<br />
um dann in die Niederlande und nach<br />
Israel auszuwandern. Oder im Ofen der<br />
Shoa zu enden. Ein deutsch-jüdisches<br />
Schicksal. #<br />
<strong>13</strong>
Bericht | Text und Foto: Doris Goez<br />
Meine Heimat im Dom<br />
Es kommt alles auf den Standpunkt an!<br />
Ja, ich habe ihn wie so viele andere<br />
vermisst – unseren Dom. Jetzt hab´ ich<br />
ihn wieder, mein gefühltes Wohnzimmer.<br />
Die Renovierung war nötig und ist<br />
sehr gelungen. Hell und schön geputzt<br />
stehen sie da, die Wände, die Bilder,<br />
die Figuren – „das in Stein gehauene<br />
Gebet“. Warum fühle ich mich so wohl<br />
in diesen Mauern? Ja, es stimmt, ich bin<br />
sehr oft in unserer Bischofskathedrale,<br />
meistens morgens zur Messe, abends<br />
zum Vespergebet mit den Klarissen und<br />
ich mache Empfangsdienst, wobei ich<br />
den Besuchern Fragen zum Dom, zum<br />
Glauben oder Fragen des Lebens zu<br />
beantworten suche.<br />
Ich bin also oft im Dom, man kann sagen,<br />
ich gehe hier ein und aus. Wir haben<br />
hier in unserer Stadt viele wunderschöne<br />
Kirchen und beten kann man überall,<br />
aber warum fühle ich mich gerade hier im<br />
Dom so zu Hause? Ist es, weil er die Mutterkirche<br />
unseres Bistums ist, weil hier<br />
die Liturgie stimmt oder weil ich hier die<br />
große Weite unserer katholischen Kirche<br />
atme? Dieses Gefühl der Zugehörigkeit<br />
ist schwer zu begreifen. Es stimmt, an<br />
der katholischen Kirche gibt es manche<br />
berechtigte Kritik, die Medien waren ja<br />
erst kürzlich nach dem mutigen Rücktritt<br />
unseres bisherigen Papstes voll davon.<br />
Auch ich sehe so manches kritisch, aber<br />
ich fühle mich trotz alledem wohl in<br />
meinem Dom. Es gibt mir Trost und Halt,<br />
einer Kirche anzugehören, die aus gut<br />
theologischen Gründen an Bewährtem<br />
festhält und sich nicht so einfachen dem<br />
Zeitgeist hingibt. Diese Sicherheit in der<br />
Tradition verhaftet zu sein, ist für mich<br />
ein nicht zu unterschätzender Wert. Vor<br />
allem in einer Zeit die so schnelllebig<br />
ist, dass die Seele manchmal nicht mehr<br />
nachkommt. Wir leben in einer Zeit, in der<br />
so manche menschlichen Werte nur allzu<br />
leicht falsch verstandenem Liberalismus,<br />
überheblichem wissenschaftlichen<br />
Machbarkeitswahn oder ungezügeltem<br />
Kapitalismus preisgegeben werden. Für<br />
mich steht unser Dom, diese dreischiffige<br />
Basilika im Übergangsstil der Spätromanik<br />
als Sinnbild, ja als ein Bollwerk der<br />
Beständigkeit und der Verlässlichkeit<br />
da. Dies sind für mich wesentliche Werte<br />
meines Christenlebens. Auch deshalb<br />
fühle ich mich hier, in unserem Dom, so<br />
zu Hause, ja so vertraut wie in meinem<br />
eigenen Wohnzimmer.<br />
Zwischen meinem Verhältnis, um nicht<br />
zu sagen Gefühl, zu meiner Domheimat<br />
und der Lebenssituation unseren Straßenverkäufern<br />
erkenne ich so manche,<br />
nicht zu weit hergeholte Gemeinsamkeiten:<br />
Ich denke daran, dass jeder Mensch<br />
einen Platz der Geborgenheit, ja der<br />
Sicherheit und Heimat braucht. Wie ist<br />
das denn bei unseren Verkäufern? Wenn<br />
sie Glück haben, wohnen sie in kleinen,<br />
bescheidenen vier Wänden und haben so<br />
zu sagen einen privaten Rückzugsraum.<br />
Die meisten aber haben keine eigene<br />
Privatsphäre. Oft haben sie im besten<br />
Fall einen Schlafplatz für die Nacht und<br />
müssen morgens um 7.00 Uhr wieder<br />
raus auf die Straße. Manche können sich<br />
zu viert ein Zimmer teilen, kommen bei<br />
Freunden unter oder leben in sozialen<br />
Einrichtungen. Es ist eher selten bei uns<br />
in Münster, aber „Platte machen“, das<br />
heißt wirklich Tag und Nacht auf der Straße<br />
leben, ist manches Mal gewollt oder<br />
ungewollt die einzige traurige Möglichkeit,<br />
auch im Winter. Können wir, damit<br />
meine ich unsere Wohlstandsgesellschaft,<br />
die wir wenigstens ein „Dach über dem<br />
Kopf“ und ein warmes Bett besitzen,<br />
ermessen, was es heißt, kein eigenes zu<br />
Hause zu haben? Ja, wir verfügen über<br />
ein gutes soziales Netz – Gott sei Dank<br />
–, aber Sozialleistungen wie Harz IV oder<br />
Grundsicherung sind oft „zum Leben zu<br />
wenig und zum Sterben zu viel“. Unsere<br />
Verkäufer können sich durch den Verkauf<br />
der Zeitung ein mehr oder weniger<br />
menschenwürdigeres Dasein schaffen.<br />
Mancher Kranke könnte gar keiner geregelten<br />
Arbeit mehr nachgehen, und dabei<br />
ist der Verkauf unserer Zeitung ein willkommenes<br />
Zubrot. Es geht aber auch um<br />
das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun und<br />
es geht um die Würde eines Menschen.<br />
Denn die Menschenwürde ist ein hohes<br />
Gut, das uns allen im Artikel 1 des Grundgesetzes<br />
der Bundesrepublik Deutschland<br />
zugesprochen wird. Sonst könnten sie ja<br />
auch einfach auf der Straßen stehen und<br />
betteln; das gilt besonders für unsere<br />
rumänischen Verkäufer. An dieser Stelle<br />
möchte ich mich im Namen unseres ganzen<br />
~-Teams bei unseren Lesern<br />
herzlich für Ihre Treue und Unterstützung<br />
bedanken. Durch den Kauf unserer Zeitung<br />
unterstützen Sie ganz wesentlich<br />
unser soziales Engagement. DANKE!<br />
Wenn ich die sozialen Verhältnisse<br />
unserer Leute bedenke, fällt mir ganz<br />
aktuell der vor Kurzem veröffentlichte<br />
Armutsbericht unserer Bundesregierung<br />
ein. Menschen, die wie wir in sozialen<br />
Brennpunkten unserer Gesellschaft<br />
arbeiten, wissen, wie wirklichkeitsfremd<br />
und geradezu unsinnig die Behauptungen<br />
sind, dass es in Deutschland kein<br />
Armutsproblem gäbe und die Schere<br />
zwischen Arm und Reich sich nicht vergrößert<br />
hätte. Ich würde gerne einmal<br />
unseren Wirtschaftsminister Herrn Rösler,<br />
der für so manche Schönfärberei in<br />
diesem Bericht verantwortlich ist, einladen,<br />
ein halbes Jahr von Harz IV oder<br />
Grundsicherung zu leben. Dass er unsere<br />
Gesellschaft durch die Unternehmerbrille<br />
beurteilt, ist nicht verwunderlich, er<br />
gehört ja schließlich der FDP an, aber was<br />
ich ihm wirklich übel nehme ist, dass er<br />
diesen Standpunkt mit seinem Gewissen<br />
vereinbaren kann. Er kann keinen Blick<br />
für die Armen unserer Gesellschaft haben,<br />
sonst würden solche mantraartigen<br />
Sätze wie „Deutschland geht es so gut wie<br />
schon lange nicht mehr“ nicht über seine<br />
Lippen kommen können.<br />
14
Ich kann aber noch andere Vergleiche<br />
zwischen meiner Heimat im Dom und<br />
unserem Straßenmagazin ziehen. Ich<br />
kann mir in meinem Dom-Wohnzimmer<br />
jederzeit Zuspruch und Trost bei meinem<br />
Freund Jesus Christus holen. Haben unsere<br />
Verkäufer dies auch, haben sie Freunde?<br />
Ja, Gott sei Dank, unsere Verkäufer<br />
haben wenigstens ihre Gemeinschaft,<br />
uns den Vorstand und alle Mitarbeiter.<br />
Wir sind ein tolles Team. Es ist zwar<br />
jeder auf sich selbst gestellt, denn durch<br />
die individuellen Lebenseinbrüche sind<br />
viele zu Einzelkämpfern statt zu Teamplayern<br />
geworden, aber wenn es darauf<br />
ankommt, halten sie zusammen und<br />
helfen sich gegenseitig. Es berührt mich<br />
zu tiefst, wenn ich sehe, wie groß der Zusammenhalt<br />
ist, wenn einer krank wird.<br />
Da sind schon manche Tage und Nächte<br />
die Telefone heiß gelaufen. Das habe ich<br />
erst vor einigen Woche beeindruckend<br />
selbst miterleben dürfen. Da war plötzlich<br />
jeder für den Anderen da. Diesen<br />
Zusammenhalt habe ich selten so erlebt,<br />
nicht einmal unter Christenmenschen.<br />
diese wertvollen Menschen kümmern zu<br />
dürfen.<br />
Zum Schluss fällt mir noch eine etwas<br />
nachdenkliche, aber wie ich meine zutreffende<br />
Geschichte ein. Ein Rabbi wurde<br />
einmal von seinem Schüler gefragt, ob es<br />
möglich sei, reich zu sein, und trotzdem<br />
ein Herz für seine Mitmenschen zu haben.<br />
Die Antwort des Rabi:<br />
„Ja schon, - aber es wird ungleich<br />
schwerer. Ich gebe dir ein Beispiel, wie<br />
ich das meine: Schau mal durch das<br />
Fenster hinunter auf den Marktplatz und<br />
sage mir, was du dort siehst?“<br />
Der Schüler sagte: „Ich sehe dort viele<br />
Menschen.“<br />
„Das ist richtig“, sagte der Rabi. „Halte<br />
jetzt aber ein Silberpapier hinter die<br />
Glasscheibe, was siehst du dann?“<br />
Der Schüler: „Jetzt sehe ich keine Menschen<br />
mehr.<br />
„Auch das hast du richtig beobachtet“,<br />
sagte der Rabi, „denn eine Glasscheibe<br />
wird zum Spiegel, wenn du ein bisschen<br />
Silber dahinter legst, dann siehst du den<br />
Anderen nicht mehr, sondern nur noch<br />
dich selbst. #<br />
Der Dom ist jetzt sehr hell und sauber<br />
geworden. Man sieht besser, man hört<br />
besser. Um sich wohl zu fühlen, ist es<br />
nicht unwesentlich, wie unsere Umgebung<br />
gestaltet ist. Deshalb würden wir<br />
gerne umziehen. Wir platzen aus allen<br />
Nähten und wie im Dom muss auch bei<br />
uns der alte Mief raus. Für uns ist es nur<br />
äußerst schwierig, geeignete Räumlichkeiten<br />
zentral und bezahlbar zu finden.<br />
Wir suchen gemütlichere, großzügige,<br />
helle Räume; einen Mittelpunkt für die<br />
Redaktion, einen Ort zum Quatschen, und<br />
zum Essen. Wir brauchen auch einen Ort,<br />
an dem man Schweres abladen kann, so<br />
wie ich das in meinem Dom kann. Dank<br />
unserer äußerst erfolgreichen Löffelaktion,<br />
die Sie, liebe Leser, so großartig unterstützt<br />
haben, könnten wir jetzt auch<br />
unseren Verkäufern täglich eine warme<br />
Mahlzeit sponsern. Leider fehlen uns bis<br />
dato die Räumlichkeiten. Deshalb nochmals<br />
den dringenden Appell. Sollen Sie,<br />
liebe Leser, uns einen heißen Tipp geben<br />
können, wären wir Ihnen sehr dankbar.<br />
Ich sehe also so manche Berührungspunkte<br />
zwischen meinem gefühlten<br />
Wohnzimmer, der Bischofskathedrale,<br />
und unserem Projekt „~“. Ich<br />
bin froh und dankbar, dass ich mir im<br />
Dom immer wieder die Kraft zu meinem<br />
Dienst an unseren Leuten holen kann,<br />
und ich bin stolz und glücklich, mich um<br />
15
Stefan Bergmann<br />
Chefredakteur der MZ<br />
16<br />
Antje Vogel<br />
Kinderbuch-Illustratorin
Markus<br />
Punk<br />
Michael Heß<br />
~ - Redakteur<br />
17
Bericht | Text und Foto: Michael Heß<br />
Keine Partei weniger?<br />
Das NPD-Verbot muss hohe Hürden nehmen<br />
Das Verbot der NPD zu fordern, ist zur<br />
Zeit common sense. Ob dem Justitia einfach<br />
folgen wird, muss leider bezweifelt<br />
werden. Zu dünne scheint die juristische<br />
Grundlage. Auch der soziale Dünger des<br />
braunen Sumpfes ist durch einen Richterspruch<br />
nicht beseitigt. ~-Redakteur<br />
Michael Heß beschreibt Hürden<br />
und Umfeld des Verfahrens.<br />
Die Bundesrepublik sah bisher zwei<br />
Parteiverbote. 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht<br />
(BVG) die Sozialistische<br />
Reichspartei SRP, die sich in<br />
direkter Nachfolge der NSDAP sah. Vier<br />
Jahre später traf es die kommunistische<br />
KPD. Als dritte Partei steht nun die 1968<br />
gegründete Nationaldemokratische Partei<br />
Deutschlands (NPD) zur Disposition. Den<br />
ersten Verbotsantrag startete die Regierung<br />
Schröder im Januar 2001. Die Sache<br />
endete wie das Hornberger Schießen. Im<br />
März 2003 stellte das BVG das Verfahren<br />
aus formalen Gründen ein. Bloßer Verbalextremismus<br />
begründe kein Verbot.<br />
Nötig sei aktives grundgesetzwidriges<br />
Tun.<br />
An dieser Hürde dürfte auch das jetzige<br />
Verfahren scheitern. Zwar ließ das BVG am<br />
5. März die NPD in deren am 11. Dezember<br />
2012 gestellten Antrag auflaufen, die Verfassungstreue<br />
festzustellen. Ein solches<br />
Procedere sei generell nicht möglich. In<br />
der Hauptsache selbst sieht das anders<br />
aus. Auch wenn das BVG dem Verbotsantrag<br />
vielleicht doch zustimmt, muss das<br />
der Europäische Gerichtshof (EuGH) nicht<br />
bestätigen. Im Gegenteil, denn dessen<br />
Maßstab für ein Parteienverbot ist nochmals<br />
strenger als der des BVG.<br />
Die Neonazis beruhigen wird auch<br />
das nicht nachvollziehbare Hickhack<br />
der Demokraten. Berechtigt zu einem<br />
Verbotsantrag sind Bundesregierung,<br />
Bundestag und Bundesrat. Nur letzterer<br />
wurde bisher tätig, die Regierung selbst<br />
verweigert sich dem de facto. Erklärter<br />
Wille sieht anders aus. Das kann aber<br />
auch damit zu tun haben, das die am<br />
18. Februar im alternativen Webportal<br />
Indymedia veröffentlichten Dokumente<br />
zum Verbotsverfahren (zwei Tage später<br />
von der NPD auf ihrem Portal übernommen)<br />
in der Sache kaum Verwertbares<br />
bieten. Am populären Verbotsknochen ist<br />
beängstigend wenig juristisches Fleisch.<br />
Die Braunen wird es freuen. Mag die<br />
NPD bundespolitisch ohne Bedeutung<br />
und in finanziellen Nöten sein, ist das<br />
regional und außerparlamentarisch<br />
anders. Sie ist in zwei Landtagen und in<br />
etlichen Kommunalparlamenten vertreten<br />
und die Verbotsdebatte ist trotz des<br />
vordergründigen Lamentos kostenlose<br />
Extrawerbung. Bei Facebook gibt es aktuell<br />
17.000 “Freunde”, die Dunkelziffer<br />
wird mehrfach höher sein. Mit einem<br />
Durchschnittsalter von 37 Jahren und einem<br />
Frauenanteil von 27 Prozent schlägt<br />
sie hier manche demokratische Partei<br />
um Längen. Daneben stützt sie sich auf<br />
im rechten Spektrum gut vernetzte Untergliederungen.<br />
Auch die Nickeleien mit<br />
den “Freien Kameradschaften” ändern<br />
nichts an der faktischen Führungsrolle<br />
der NPD. Das zuletzt gewonnene Image<br />
als Kümmerer vor Ort tut ein Übriges,<br />
prägenden Einfluss auf die Jugendkultur<br />
im Osten (besonders in Nordsachsen und<br />
Meck-Pomm) zu nehmen. In bestimmten<br />
Punkten wie Einwanderung und Kriminalität<br />
kann sie auf eine schweigende<br />
Mehrheit der Bevölkerung zählen, deren<br />
Werte sich hier von denen, die Berufsdemokraten<br />
in Talkshows und Zeitungen<br />
vortragen, deutlich unterscheidet.<br />
Im niedersächsischen Eschede erschlägt<br />
der Skinhead Johannes Kneifel im August<br />
1999 einen Kritiker ihres Treibens. Das<br />
Bemerkenswerte daran: Zur Tatzeit war<br />
Kneifel schon auf dem Rückzug aus der<br />
nazistischen Szene. Er hatte Freundin,<br />
wollte eine Ausbildung beginnen und sah<br />
in den ewig gleichen Sprüchen sowie im<br />
Alkoholkonsum keine Perspektive mehr<br />
(über seinen Werdegang schrieb Kneifel<br />
das Buch “Vom Saulus zum Paulus”, das<br />
die ~ in Kürze rezensieren wird).<br />
Das lässt sich ins Große übertragen. Der<br />
Stellenwert der NPD ist vor allem als<br />
Ausfluss der sozialökonomischen Misere<br />
(nicht nur im Osten) zu begreifen. Solange<br />
thüringische Friseusen 3,18 Euro Stundenlohn<br />
“verdienen” (nur ein Beispiel<br />
unter vielen), läuft das Verbotsverfahren<br />
nicht nur ins Leere, sondern begründet<br />
Solidarisierungseffekte mit den braunen<br />
Kümmerern. Den Sumpf auszutrocknen<br />
bedeutet in erster Linie, der Jugend reale<br />
Zukunftsaussichten zu geben: Arbeit, Familie<br />
und Heim. In erster Linie ist deshalb<br />
die Politik gefragt, erst in zweiter die<br />
Polizei als untaugliche Reparaturtruppe<br />
für eine verfehlte Sozialpolitik.<br />
Auch die nächste Parteigründung wäre<br />
wohl nur eine Zeitfrage. Im thüringischen<br />
Jena als Heimat der NSU-Mörder<br />
treten Jungnazis längst wieder in aller<br />
Öffentlichkeit auf. Es sei die nächste Generation,<br />
sagen die Heimischen dort. In<br />
Münster und in anderen Städten gibt es<br />
bereits “Die Rechte” als neue Partei der<br />
Braunen für den (unwahrscheinlichen)<br />
Verbotsfall. #<br />
18
Bericht | Text: Christine Dedeck<br />
Bildungsgerechtigkeit in NRW?<br />
Von wegen!<br />
Vor zwei Jahren wurden die Studiengebühren<br />
in Nordrhein-Westfalen<br />
mit den Stimmen von SPD und Grünen<br />
abgeschafft. Seit dem Wintersemester<br />
2011/2012 kann wieder kostenlos studiert<br />
werden. Und alle Studierwilligen<br />
sollen in NRW auch ein gebührenfreies<br />
Studium absolvieren können - so steht<br />
es im Koalitionsvertrag der Rot-Grünen<br />
Landesregierung. Für junge Menschen<br />
mit Abitur sicher eine hervorragende<br />
Bildungsoption. Doch wie steht es um<br />
Schülerinnen und Schüler, denen der<br />
Zugang zu einer Hochschule verwehrt<br />
bleibt? Für einige Ausbildungsmöglichkeiten<br />
müssen diese jungen Ausbildungswilligen<br />
- ganz im Gegensatz zu<br />
Studenten - tief in die Tasche greifen.<br />
Keine Studiengebühren,<br />
dafür Schulgeld<br />
Vielleicht ist es nicht gemeinhin bekannt,<br />
aber es gibt Ausbildungsberufe,<br />
für die noch immer ein monatliches<br />
Schulgeld gezahlt werden muss. Die<br />
Beträge variieren, aber nicht selten übersteigen<br />
sie sogar das Bafög für Schüler.<br />
Und trotzdem entscheiden sich viele<br />
junge Menschen für eine Ausbildung mit<br />
Schulgeld. Denn gerade diese Berufe<br />
bieten ihnen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt<br />
und können eben auch ohne<br />
Vollabitur aufgenommen werden.<br />
Ein Beispiel sind Pharmazeutisch-<br />
Technische Assistenten, kurz PTA genannt.<br />
PTA arbeiten in Krankenhäusern,<br />
Laboren, Universitäten und öffentlichen<br />
Apotheken. Doch bevor sie ihre Arbeit<br />
aufnehmen können, muss eine schulische<br />
Ausbildung an einer Berufsfachschule<br />
für PTA absolviert werden. Denn<br />
ohne staatliche Zulassung dürfen PTA<br />
nach einem Bundesgesetz nicht arbeiten.<br />
Die Ausbildung kostet Geld. In<br />
Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt 200<br />
Euro pro Monat. Dazu kommen natürlich<br />
noch die Fahrtkosten zu einem der 16<br />
Schulstandorte oder Lernmaterial. Das<br />
ist nicht gerade wenig. Und ein aktueller<br />
Beschluss der Landesregierung wird dafür<br />
sorgen, dass diese Ausbildung im Sommer<br />
20<strong>13</strong> noch viel teurer wird.<br />
NRW spart: An der Bildung<br />
junger Menschen<br />
In ihrer Regierungserklärung hatte<br />
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft<br />
versprochen, dass in NRW eine kostenlose<br />
Ausbildung von der Kita bis<br />
zur Hochschule möglich sein soll. Doch<br />
nachdem die Studiengebühren medienwirksam<br />
abgeschafft wurden, scheint<br />
dieses Versprechen immer weiter in den<br />
Hintergrund zu rücken. Denn bisher hat<br />
das Land NRW die<br />
PTA-Ausbildung mit 73<br />
Euro pro Schüler gefördert.<br />
Diese Förderung<br />
hat Rot-Grün jetzt<br />
allerdings komplett<br />
gestrichen. Sparen ist<br />
angesagt - und das<br />
müssen junge Menschen<br />
auf dem Weg<br />
zur Erstausbildung nun<br />
austragen. Fast 400<br />
Euro Schulgeld sind<br />
dann ab diesem Sommer<br />
fällig. Pro Monat.<br />
Rund 2.000 Auszubildende<br />
sind betroffen.<br />
Und während sie<br />
Freunde und Bekannte<br />
mit Abitur kostenlos<br />
Studieren sehen, müssen<br />
die PTA-Schüler<br />
mit Nebenjobs ihre<br />
Bildung finanzieren.<br />
Lösungsvorschläge gibt<br />
es bereits. Die Informations-<br />
und Protestkampagne<br />
„NRW<br />
braucht PTA“ geht zur<br />
Zeit mit dem Problem<br />
an die Öffentlichkeit.<br />
Doch PTA sind nicht die einzigen. Auch<br />
für andere schulische Ausbildungsberufe<br />
wird ein hohes Schulgeld gezahlt. In der<br />
Hoffnung, einen sicheren Beruf für die<br />
Zukunft zu erlernen und später auf dem<br />
Arbeitsmarkt eine gute Chance zu erhalten.<br />
Bildungsgerechtigkeit sieht jedoch<br />
anders aus. Denn dafür sollten nicht<br />
nur Studenten die Möglichkeit zur kostenlosen<br />
Weiterbildung haben, sondern<br />
wirklich alle jungen Menschen in NRW. #<br />
Anzeige<br />
19
Bericht | Text und Foto: Lena Fiebig<br />
„Die Welt ein Theater? Ja, auf jeden Fall.“<br />
Ein Interview mit der Leitung des Jungen Theaters Münster<br />
Das Junge Theater kümmert sich vor<br />
allem um die kleinen Theaterliebhaber<br />
in unserer Stadt. Die Entscheidung, an<br />
einem Theater zu arbeiten, stand für die<br />
Leiterin Julia Dina Heße nicht von Anfang<br />
an fest. Ein Dozent an der Universität<br />
Münster machte sie auf ihren heutigen<br />
Beruf aufmerksam. Entgegen aller Vorurteile<br />
und Klischees wie: „Was willst du<br />
damit werden? Arbeitslos?“ ist sie ihren<br />
Weg bis an das Münsteraner Theater<br />
gegangen. Während unseres Gesprächs<br />
merke ich, mit wie viel Leidenschaft sie<br />
ihren Tätigkeiten als „Allround-Talent“<br />
im Theater nachgeht.<br />
~: Wann sind Sie zum ersten Mal<br />
in Ihrem Leben mit Theater in Berührung<br />
gekommen?<br />
Julia Heße: Ich bin schon früh von meinem<br />
Vater mit ins Theater genommen<br />
worden, weil er ein Mittwochs-Abo im<br />
Theater hatte. Also kam ich mit ungefähr<br />
9 Jahren das erste Mal in Kontakt mit<br />
Theater. Dort habe ich mir Oper und<br />
Kabarett angeschaut und das hat mir<br />
wahnsinnig gut gefallen. Der Geruch,<br />
der große Vorhang und die Schauspieler<br />
haben mich fasziniert.<br />
~: Wie führte Ihr Weg dann nach<br />
Münster und an das Stadttheater?<br />
Julia Heße: Nach meinem Abitur in<br />
Hagen wollte ich etwas studieren, das<br />
Anzeige<br />
„Sich fürs Nicht-Handeln zu entscheiden<br />
ist keine echte Wahl:<br />
Nicht-Handeln ist Nicht-Leben.“<br />
Dr. Moshe Feldenkrais<br />
Feldenkrais-Praxis Vera Lämmerzahl<br />
Ludgeristraße 114 Tel.: 0251-796707<br />
etwas breiter gefächert ist und womit<br />
ich in vielen Bereichen arbeiten kann.<br />
Ich habe mich dann für ein Studium der<br />
Germanistik, Philosophie, Kultur, Kommunikation<br />
und Management in Münster<br />
entschieden. Eigentlich hat mich ein Dozent<br />
an der Universität Münster ermutigt<br />
zum Theater zu gehen. Er sagte einfach<br />
nur ganz trocken: „Sie werden Dramaturgin.“<br />
Daraufhin habe ich ein Praktikum<br />
in der Dramaturgie am Theater Münster<br />
gemacht und war begeistert. Nach meinem<br />
Studium habe ich 2 Jahre am Theater<br />
in Oberhausen gearbeitet und war dort in<br />
der Dramaturgie und der Öffentlichkeitsarbeit<br />
tätig. Anschließend bin ich erneut<br />
umgezogen, um im Bereich Kinder- und<br />
Jugendtheater am Nationaltheater in<br />
Mannheim als Dramaturgin zu arbeiten.<br />
Und jetzt bin ich hier in Münster und<br />
habe einen Vertrag für drei Spielzeiten.<br />
~: Was sind die Aufgaben einer<br />
Dramaturgin?<br />
Julia Heße: Der Dramaturg ist quasi die<br />
Schnittstelle zwischen dem Stück und<br />
dem Künstler. Ich lese viel und prüfe, ob<br />
das Material zur Stadt und zum Theater<br />
passt, erstelle daraus einen Spielplan<br />
und kontaktiere Regisseure, mit denen<br />
wir zusammenarbeiten und ein Stück<br />
inszenieren möchten. Man muss sehr<br />
sprachvernarrt sein, gerne lesen, viel<br />
hinterfragen und einfach Spaß daran<br />
haben, aus verschiedenen Lektüren und<br />
Büchern die besonderen „Perlen“<br />
herauszupicken und daraus<br />
ein Stück zu entwickeln. Ich<br />
finde es wahnsinnig spannend,<br />
tolle Figuren zu entdecken, bei<br />
denen man beim Lesen wirklich<br />
Tränen in den Augen bekommt<br />
und sich schon ein Bild davon<br />
macht, wie das auf der Bühne<br />
umgesetzt wird. Ich sitze auch<br />
viel am Schreibtisch, schreibe<br />
Programmhefte und stelle theaterpädagogische<br />
Materialien<br />
Tipp!<br />
Julie und der Riese Junior<br />
oder Kein Sonntag wie jeder andere<br />
von Alain und Didier de<br />
Neck ab 4 Jahren<br />
Premiere: 21. April 20<strong>13</strong><br />
U2 - Die neue Spielstätte<br />
20
Bericht | Text und Foto: Susanne Wasielewski<br />
für Schulen zusammen. Es ist ein sehr<br />
abwechslungsreicher Job, der mir unglaublich<br />
viel Spaß macht. Ich habe auch<br />
das Gefühl, dass die Dramaturgie immer<br />
stärker wird und eine größere Rolle einnimmt<br />
als früher.<br />
~: Muss man etwas im Bereich Theater<br />
studiert haben, um in der Branche<br />
Erfolg zu haben?<br />
Julia Heße: Es ist keine Voraussetzung<br />
für einen Job beim Theater, auch genau<br />
das studiert zu haben. Wichtig sind<br />
Praktika und Erfahrungen und vor allem<br />
Belastbarkeit. Man muss sich dem Theater<br />
schon ganz verschreiben, Leidenschaft<br />
und Bereitschaft zeigen und sich da<br />
voll reinschmeißen. Idealismus gehört<br />
sicherlich auch dazu. Außerdem ist Recherchearbeit<br />
sehr wichtig und, dass man<br />
sich in Texten gut ausdrücken kann.<br />
~!: Wie muss man sich die Zusammenarbeit<br />
mit Regisseuren vorstellen?<br />
Julia Heße: Die Regisseure sind in der Regel<br />
freie Regisseure, die meist mit einem<br />
Team aus Maske/Kostüm und einem Bühnenbildner<br />
anreisen und zusammen mit<br />
uns ein Stück erarbeiten. Die Dramaturgie<br />
und die Regie arbeiten ganz eng zusammen.<br />
Der Regisseur übernimmt eher die<br />
künstlerische Rolle und der Dramaturg<br />
die leitende Rolle. Als Dramaturgin muss<br />
ich auch einen Blick darauf haben, ob<br />
das Stück verständlich ist und dem Alter<br />
der Kinder angemessen.<br />
~: Was ist das Besondere am Jungen<br />
Theater?<br />
Julia Heße: Das Junge Theater unterscheidet<br />
sich in der Zielgruppe, die ist nämlich<br />
definiert. Es fängt bei 2-3 Jahren an und<br />
das Ende des Alters ist eigentlich offen.<br />
Wir versuchen auch immer eine Ebene für<br />
Erwachsene in die Stücke miteinzubauen.<br />
Die Frage ist ja: Was für ein Theater<br />
brauchen Kinder? Kinder sind ein sehr<br />
ehrliches, aber kein kritisches Publikum,<br />
weil sie die Kriterien für Qualität noch<br />
gar nicht kennen, sie haben noch keinen<br />
Geschmack in der Richtung entwickelt.<br />
Wir versuchen mit unseren Stücken den<br />
jungen Menschen Kriterien aufzuzeigen<br />
und ihren Geschmack weiter auszubilden.<br />
~: Ist es allgemein schwer die Jugend<br />
ins Theater zu bekommen?<br />
Julia Heße: Schulen sind unsere wichtigsten<br />
Partner und Multiplikatoren! Es ist<br />
sehr schwierig „freilaufendes“ Publikum<br />
zu bekommen. Ein Sechsjähriger kann<br />
nicht alleine entscheiden, ob er ins Theater<br />
geht, da muss ein Erwachsener mit.<br />
Neben dem Theaterjugendring bieten wir<br />
auch Workshops und Kurse für theaterbegeisterte<br />
Jugendliche an. Wir versuchen<br />
das Theater so attraktiv zu machen, dass<br />
es als Freizeitangebot neben Kino und<br />
Partys genutzt wird. Wir möchten es als<br />
etwas ganz Normales etablieren.<br />
~: Wie sieht ein typischer Tag bei<br />
Ihnen am Theater aus?<br />
Julia Heße: Die Proben sind morgens<br />
von 10-14 Uhr und abends von 18-22<br />
Uhr. Wenn ich eine Produktion als Dramaturgin<br />
betreue, bin ich oft bei den<br />
Proben anwesend. Ich sitze auch viel am<br />
Schreibtisch, schreibe Texte für die Spielhefte<br />
und Programmflyer oder vereinbare<br />
Termine mit Schulen und anderen kulturellen<br />
Einrichtungen. Es ist sehr viel<br />
Organisation und Kommunikation, aber<br />
ich liebe es Menschen kennenzulernen<br />
und mit ihnen gemeinsame Projekte zu<br />
planen.<br />
~: Glauben Sie, dass Theater auf<br />
Dauer neben TV, Kino, Internet und anderen<br />
sozialen Medien Bestand hat?<br />
Julia Heße: Man nimmt Theater ja generell<br />
anders wahr, es ist live. Ein Erlebnis,<br />
das nur an dem Tag der Aufführung so<br />
passiert. Ein Schauspieler schwitzt und<br />
weint. Das sind ganz andere Dimensionen<br />
und beim Theater einzigartig. Keins<br />
von den aktuellen Medien ist schlechter<br />
oder besser! Kino ist einfacher, da wir<br />
schon als Kinder gelernt haben, Filme zu<br />
schauen und zu entschlüsseln. Theater<br />
muss man auch lernen zu entschlüsseln,<br />
damit es einem leicht fällt, es zu verstehen.<br />
Deswegen sollten Kinder früh lernen<br />
zuzuschauen.<br />
~: Was ist für Sie persönlich Theater?<br />
Julia Heße: Theater ist für mich eine<br />
extrem bereichernde und lustvolle Möglichkeit,<br />
dem Leben verschiedene schöne<br />
Wirklichkeiten entgegenzusetzen. #<br />
Gartenbesitzer, aufgepasst:<br />
Aktion „Münsters<br />
schöne Gärten“ geht<br />
ins zweite Jahr<br />
Ein Garten ist mehr als seine<br />
Bestandteile. Meist über viele Jahre<br />
entstanden, spiegelt er das Lebensgefühl<br />
und das Schönheitsempfinden<br />
seiner Besitzer wider. Er bietet<br />
Mensch und Tier Lebensraum, lädt<br />
ein zum Ausruhen, aber auch zum<br />
Gärtnern und Experimentieren.<br />
Darf ich einen – fotografischen –<br />
Blick in Ihren Garten werfen? Dann<br />
haben Sie die Chance, dass Ihr Garten<br />
in unserer Sommerreihe „Münsters<br />
schöne Gärten“ in einem der nächsten<br />
Hefte unsere Leser verzaubert.<br />
Rufen Sie mich an unter 0251-2302215<br />
oder schicken Sie mir eine E-Mail:<br />
wasielewski-muenster@t-online.<br />
de. Die diesjährige Aktion beginnt<br />
im April und endet im September.<br />
Melden Sie sich am besten schon,<br />
bevor Ihr Garten in schönster Blüte<br />
steht!<br />
21
Bericht | Text und Fotos: Christine Dedeck<br />
Aus Alt mach Trend<br />
Neue Einzelstücke aus alten Klamotten<br />
Es wird Zeit, dem Winter Ade zu sagen.<br />
<strong>Draußen</strong> wird es nicht nur langsam<br />
wärmer, die ersten Frühjahrsblüher<br />
sprießen aus der Erde. Zu dieser Zeit beginnt<br />
man im Kleiderschrank zu wühlen<br />
und nach den leichteren Klamotten aus<br />
dem letzten Jahr zu suchen. Doch jetzt<br />
mal ganz ehrlich: So manches Teil sieht<br />
ja gar nicht mehr nach Trend aus. Doch<br />
das ist kein Grund gleich in die nächste<br />
Boutique zu flitzen. Aus den Klamotten<br />
vom letzten Jahr lassen sich wunderbar<br />
neue und angesagte Einzelstücke machen.<br />
Print-Leggins<br />
Bedrucken beginnt. Danach gut trocknen<br />
lassen - und fertig ist die selfmade Leggins<br />
mit angesagtem Art-Print.<br />
schönes Muster entstanden. Stempeln,<br />
fertig, anziehen! #<br />
22<br />
Einfarbig schwarz oder marineblau - das<br />
war einmal. Strumpfhosen und Leggins<br />
gibt es inzwischen in vielen modernen<br />
Farben wie petrol oder senfgelb. Dazu<br />
wird die sexy Beinbekleidung immer<br />
häufiger mit angesagten Prints bedruckt.<br />
Und das kann man zu Hause ganz einfach<br />
nachmachen.<br />
Das braucht ihr<br />
eine alte Leggins oder Strumpfhose aus<br />
Nylon, Stofffarbe für Textilien aus Kunstfaser,<br />
Schwamm oder Pinsel, eine Motivschablone<br />
und zwei Stückchen Pappe mit<br />
abgerundeten Ecken.<br />
So geht‘s<br />
Aus dünner Pappe könnt ihr ein Motiv<br />
ausschneiden, zum Beispiel ein Herz.<br />
Denkt daran, das Motiv nicht zu groß zu<br />
machen, schließlich dehnt sich die Leggins<br />
beim Anziehen und damit auch das<br />
Motiv. Zieht eure Leggins kurz einmal an<br />
und markiert die Stelle, die ihr bedrucken<br />
möchtet, zum Beispiel mit Schneiderkreide.<br />
Breitet dann die Leggins auf dem<br />
Boden aus und schiebt eure abgerundete<br />
Pappe in die Beine, genau unter eure<br />
Markierung. Legt eure Schablone auf und<br />
tragt die Farbe auf. Wichtig ist, das die<br />
Pappe in der Leggins den Stoff spannt,<br />
sonst wirft er Falten, sobald ihr mit dem<br />
Mach‘s geometrisch<br />
Dreiecke, Kreise oder Chevron-Muster -<br />
Geometrie liegt voll im Trend. Nicht im<br />
Klassenzimmer, sondern auf lässigen<br />
Klamotten. Mit den Mustern kann man<br />
zum Beispiel den einfachen Jeansrock<br />
aus dem letzten Sommer in ein hippes<br />
Einzelstück verwandeln.<br />
Das braucht ihr<br />
Jeansrock oder Shorts, etwas Pappe als<br />
Unterlage, Stofffarbe, ein Radiergummi,<br />
ein scharfes Messer und einen Weinkorken.<br />
So geht‘s<br />
Zeichnet mit Bleistift eine Form auf das<br />
Radiergummi. Mit einem scharfen Messer<br />
zieht die Konturen eures Motivs nach.<br />
Danach könnt ihr vorsichtig das Gummi<br />
um euer Motiv wegschneiden. Einfache<br />
Formen wie ein Dreieck könnt ihr auch<br />
komplett ausschneiden. Klebt euer Motiv<br />
auf einen Weinkorken und schon habt ihr<br />
einen selbst gemachten Stempel. Damit<br />
könnt ihr nun euer Kleidungsstück mit<br />
der Stofffarbe bedrucken. Im Beispiel<br />
auf den Fotos ist aus einem Dreieck ein
Bericht | Text: Bernd Mülbrecht<br />
Kurz und Knapp<br />
Freud und Leid liegen manchmal dicht beieinander<br />
Liebe ~ – Leserinnen<br />
und Leser,<br />
heute darf ich mich persönlich an Sie<br />
wenden, um Sie über das Schicksal eines<br />
62jährigen bulgarischen Mannes, der<br />
aktuell in unserem Haus lebt, zu informieren.<br />
Er ist einer von vielen Menschen, die im<br />
Rahmen der Erweiterung der Europäischen<br />
Union zwecks Arbeitssuche nach<br />
Deutschland gekommen ist. Ein Teil der<br />
Menschen findet aufgrund unterschiedlicher<br />
Ursachen keinen Zugang zum<br />
Arbeitsmarkt und ist deshalb auf Hilfen,<br />
auch auf Hilfen der Wohnungslosenhilfe<br />
angewiesen.<br />
Diese Entwicklung spiegelt sich auch im<br />
Haus der Wohnungslosenhilfe mit seinen<br />
niedrig-schwelligen Erst- und Basisversorgungshilfen<br />
wider.<br />
So stammten im Akutunterbringungsbereich<br />
in der Notunterkunft im ehemaligen<br />
HuK – Gebäude im Jahre 2012 von<br />
insgesamt 462 Bewohnern, 152 Personen<br />
aus Ländern der Europäischen Union. Besonders<br />
stark vertreten waren Menschen<br />
aus der Slowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien<br />
und aus den baltischen Ländern.<br />
Allen Unionsbürgern, die noch nicht in<br />
Deutschland gearbeitet haben und sich<br />
zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten<br />
ist der Zugang zu Transferleistungen<br />
verwehrt. Sie sind einem besonders<br />
hohen Armutsrisiko ausgesetzt.<br />
Dramatisch ist die Lebenslage dieser<br />
Menschen, wenn sie krank werden,<br />
schwanger sind oder Verantwortung für<br />
Kinder oder pflegebedürftige Verwandte<br />
haben. Häufig sind die Menschen nicht<br />
krankenversichert oder die Krankenkasse<br />
in den Herkunftsländern ist nicht bereit<br />
anstehende Kosten zu übernehmen.<br />
Und genau so verhält es sich bei diesem<br />
Bulgaren. Bei ihm wurde eine schwere<br />
Tumorerkrankung festgestellt. Die kostspielige<br />
Behandlung vom ca. 55.000 Euro<br />
wird ihm nicht gewährt, da die Krankenkasse<br />
in Bulgarien die Kosten nicht<br />
übernimmt und er in der Bundesrepublik<br />
Deutschland keinen Anspruch auf Sozialleistungen<br />
durchsetzen kann. Ich möchte<br />
Sie nunmehr herzlich um eine Spende<br />
für den Schwerkranken bitten, damit<br />
eine Behandlung im Franziskus-Hospital<br />
einsetzen kann. Für weitere Informationen<br />
stehe ich selbstverständlich zur<br />
Verfügung.<br />
Herzlich Dank.<br />
Bankkonto: DKM<br />
Kto.-Nr.: 3594003, BLZ: 40060265<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Bernd Mülbrecht<br />
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.<br />
Sie sind die Söhne und Töchter der<br />
Sehnsucht des Lebens nach sich selber.<br />
Sie kommen durch euch,<br />
aber nicht von euch,<br />
Und obwohl sie mit euch sind,<br />
gehören sie euch doch nicht.<br />
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,<br />
aber nicht eure Gedanken,<br />
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.<br />
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus<br />
geben, aber nicht ihren Seelen,<br />
Denn ihre Seelen wohnen im Haus<br />
von morgen, das ihr nicht besuchen<br />
könnt, nicht einmal in euren Träumen.<br />
Ihr dürft euch bemühen, wie<br />
sie zu sein, aber versucht nicht,<br />
sie euch ähnlich zu machen.<br />
Denn das Leben läuft nicht rückwärts,<br />
noch verweilt es im Gestern.<br />
Ihr seid die Bogen, von denen<br />
eure Kinder als lebende Pfeile<br />
ausgeschickt werden.<br />
Der Schütze sieht das Ziel auf<br />
dem Pfad der Unendlichkeit,<br />
und Er spannt euch mit Seiner<br />
Macht, damit seine Pfeile<br />
schnell und weit fliegen.<br />
Laßt euren Bogen von der Hand des<br />
Schützen auf Freude gerichtet sein;<br />
Denn so wie Er den Pfeil liebt,<br />
der fliegt, so liebt er auch<br />
den Bogen, der fest ist.<br />
(Khalil Gibran)<br />
Afram Stefan Oprea<br />
Geb. 11.03.20<strong>13</strong><br />
3220 gr.<br />
51 cm<br />
Wir freuen uns mit den glücklichen<br />
Eltern Anita Oprea und Florin Cristea<br />
23
Bericht | Text: Julia Hagemann | Foto: Anna Kopetsch<br />
Columne: „~“ auf Cuba<br />
Taler vom Stern ...<br />
Ne kleine Deern, diesmal ne andre,<br />
die sagte: „Ich geh raus und wandre!“<br />
und packte sich ganz kuschlig ein<br />
mit Jacke, Mütze, Schal, und kein<br />
Momentchen war ihr anfangs kalt.<br />
Da sah sie einen, kahl und alt,<br />
der hatte rauhbereifte Ohren<br />
und hat auch sonst ganz schlimm gefroren.<br />
Das Mädel ahnte, was da nütze,<br />
und gab dem Mann die wollne Mütze.<br />
Sie zog sich die Kapuze auf<br />
und eilte dann im Dauerlauf<br />
zum Wald, das ist im Märchen immer<br />
die erste Wahl statt Kinderzimmer.<br />
Da stand ein blaugefrorner Junge,<br />
dem rasselte es in der Lunge,<br />
das Mädel schlüpfte aus der Jacke:<br />
„Hier, nimm! Sie hat zwar schon ne<br />
Macke,<br />
doch wärmt sie immer noch ganz gut.“,<br />
was man als Christ so eben tut.<br />
Dem nächsten Kind gab ganz banal<br />
sie Mutters selbstgestrickten Schal,<br />
denn sie begriff in dieser Nacht,<br />
dass Zeug verschenken Freude macht.<br />
Dem ersten besten alten Weibchen<br />
gab sie ihr schlank geschnittnes Leibchen,<br />
wenngleich es obenrum sehr spannte.<br />
Und gleich die nächste Unbekannte<br />
die ohne Rock den Wald durchschritt,<br />
bekam ihr Kinderröckchen mit.<br />
Ein Knabe, barfuß nach den Sümpfen,<br />
sprang fort in ihren Schuhn und Strümpfen,<br />
und einer beinahe nackten Maid<br />
gab sie ihr Thermo-Unterkleid,<br />
so ganz spontan und ohne Zieren.<br />
Jetzt war sie selber doch am Frieren<br />
und spürte fast ein wenig Reue,<br />
doch schnell besann sie sich aufs Neue,<br />
denn, wunderts dich? Wer kam vorbei?<br />
Ein ganz kompletter Nackedei!<br />
Mit Gänsehaut. Und ungekämmt.<br />
Dem gab das gute Kind sein Hemd<br />
und stand nun, scheints auch abgeschmackt,<br />
im tiefsten Wald Modell fürn Akt.<br />
Ein Modezar entdeckte sie,<br />
als er vorbeifuhr, und er schrie:<br />
„Das Kind da! Handy! Fax! Depesche!<br />
Das modelt meine Teeniewäsche!“<br />
Er hüllte sie (halt doch verklemmt)<br />
in ein besticktes Seidenhemd<br />
und zog sie in die Limousine,<br />
wobei er raunte, dass ihm schiene,<br />
sie sei vom Himmel ihm geschickt.<br />
Das Kind hat dazu nur genickt.<br />
Weil sowas jeder gerne liest,<br />
und herzhaft „Bild“ und „Stern“ genießt,<br />
wird sie - so ist der Lauf der Welt -<br />
berühmt und kriegt ein Schweinegeld<br />
für ihren jugendlichen Charme.<br />
Die sie beschenkt’, sind heut noch arm.<br />
Das wird fürn Broadway jetzt vertont.<br />
Da hat sichs Schenken doch gelohnt! #<br />
Julia Hagemann ist Autorin und<br />
Musikkabarettistin. Ihre Art könnte<br />
man - was Beobachtungsgabe,<br />
absurde Wendungen und Wortwitz<br />
betrifft - als eine Mischung aus Loriot,<br />
Per Anhalter durch die Galaxis<br />
und Georg Kreisler beschreiben. Ihre<br />
herrlich süffisanten Texte und Lieder<br />
macht sie allerdings selbst. Julia<br />
Hagemann ist auf eine liebevolle,<br />
selbstironische Art gemein und brüllend<br />
komisch, ohne sich mit lahmen<br />
Witzen unter der Gürtellinie oder mit<br />
aggressiven, beleidigenden Ausfällen<br />
aufzuhalten.<br />
Julia Hagemann tritt mit ihrem Soloprogramm<br />
am 5.4. um 20 Uhr im<br />
Cafe Arte auf.<br />
„~ auf cuba“ ist die die<br />
Columne der offenen Kabarettbühne<br />
„Cubarett“ in der ~ Die<br />
Columne ist der Ort für die Künstler<br />
des Cubarett ihr gesprochenes Wort<br />
auch lesenden Augen zu Gehör zu<br />
bringen. Das nächste Cubarett findet<br />
am 1.4.20<strong>13</strong> um 20 Uhr im Cuba Nova<br />
statt. Mit dabei: Andreas Weber, Michael<br />
Prinzhorn, Lars Golenia, Marian<br />
Heuser und Lennart Knebel!<br />
www.cubarett.de<br />
24
Bericht | Text: RA Annette Poethke<br />
§<br />
Neues aus dem Arbeitsrecht<br />
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag?<br />
Muss ich als Arbeitnehmer schon am ersten Krankheitstag die<br />
Arbeitsunfähigkeitbescheinigung beim Arbeitgeber vorlegen?<br />
Das Bundesarbeitsgericht musste sich mit folgendem Fall befassen:<br />
Die Arbeitnehmerin Annika hatte von ihrem Chef Cäsar die<br />
schriftliche Aufforderung erhalten, bei künftigen Krankheitsfällen<br />
schon ab dem ersten Tag der Erkrankung ein ärztliches<br />
Attest vorzulegen. Annika wehrt sich dagegen und klagt vor dem<br />
Arbeitsgericht auf Rücknahme dieser Anordnung.<br />
Letztinstanzlich entschied das BAG, dass die Klage von Annika<br />
unbegründet sei. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung von Cäsar,<br />
wonach er bereits am ersten Krankheitstag die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />
begehrte, sei von § 5 I 3 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz)<br />
gedeckt, wonach der Arbeitgeber die Vorlage<br />
der ärztlichen Bescheinigung früher verlangen kann. Er müsse<br />
eine solche Anordnung auch nicht begründen; auch sei es nicht<br />
erforderlich, dass er aufgrund des Verhaltens von Annika in der<br />
Vergangenheit darauf schließe, dass sie Krankheiten vortäusche.<br />
Also kann Cäsar als Chef die Vorlage der AU bereits am<br />
ersten Krankheitstag ohne jede Begründung verlangen.<br />
vgl. BAG, Urteil vom 14.11.2012 –5 AZR 886/11= BeckRS 20<strong>13</strong>, 65146<br />
Der Arbeitsgeber darf allerdings die Anordnung über die vorzeitige<br />
Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht<br />
willkürlich ausüben, sondern er muss auch den allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz beachten und Diskriminierungsverbote.<br />
Aus der bisherigen Übung im Betrieb dürfe sich auch nicht<br />
ergeben, dass der Arbeitgeber auf das Recht einer vorzeitigen<br />
Vorlage verzichtet habe. Bei Betrieben mit Betriebsrat ist das<br />
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei einer derartigen<br />
Anordnung zu beachten. #<br />
Trine ist eine äußerst menschenbezogene<br />
Katze von 4 Jahren, die ihren<br />
Dosenöffner mit ihrer verspielten Art<br />
locker um die Pfote wickeln kann. Der<br />
Mensch spielt in ihrem Leben eine sehr<br />
wichtige Rolle, mehr als ihre Artgenossen.<br />
So möchten wir sie unbedingt als<br />
Einzelkatze in einen freundlichen Haushalt,<br />
der der Katzensprache mächtig ist.<br />
Gerne können auch ältere Kinder dort<br />
leben. Eine Vermittlung als Zweitkatze<br />
möchten wir eher ausschließen, da sie<br />
in ihrem alten Zuhause häufig draußen<br />
von einem auf dem Grundstück<br />
lebenden erwachsenen Kater gemobbt<br />
wurde.<br />
Spielen und Schmusen möchte sie gerne<br />
mit ihrem Dosenöffner teilen, wobei<br />
sie aber selbst entscheiden möchte,<br />
wann dafür die richtige Zeit ist. Wenn<br />
sie müde ist, schläft sie schnurrend<br />
auf dem Sofa und genießt die Ruhe.<br />
Trine sollte aufgrund ihrer täglichen<br />
ausgiebigen Spaziergänge ein schönes<br />
Gartenumfeld angeboten werden, wo<br />
sie mit viel Freude ihre Leidenschaft<br />
ausleben darf. #<br />
Kontakt: Tel. 0251/8469757 oder www.katzenhilfe-muenster.de<br />
25
Buchtipp | Text: Michael Heß<br />
Lesen<br />
Robert Krieg, Daniel Daemgen: “...und über uns kein Himmel”<br />
Neben der Behandlung der Ostflüchtlinge<br />
in der neuen Heimat sind die<br />
unmenschlichen Zustände in den Kinderheimen<br />
der Nachkriegszeit das letzte<br />
Tabu der bundesdeutschen Geschichte.<br />
Bis in die 70er Jahren genügten die<br />
Standards in den Heimen keinesfalls<br />
den blumigen Reden in Politik und<br />
andernorts über im Westen garantierte<br />
Menschenrechte. Man darf es auch<br />
so formulieren: Bis in die 70er Jahre<br />
gab es jede Menge rechtsfreier Räume<br />
innerhalb der massiv beschworenen<br />
“freiheitlich-demokratischen Grundordnung”.<br />
Und das ganz legal. Noch ein<br />
interessantes Detail am Rande: Es waren<br />
genau diese inhumanen Zustände in<br />
den Kinderheimen, die die junge Journalistin<br />
Ulrike Meinhoff radikalisierten.<br />
Das Ende ist bekannt.<br />
Verlag Graswurzelrevolution Heidelberg<br />
2012 | 96 Seiten | Preis 14,90 EUR. |<br />
ISBN 978-3-939<strong>04</strong>5-18-2<br />
Der Münsteraner Soziologe Dr.<br />
Robert Krieg erzählt in den sparsambeklemmenden<br />
Zeichnungen des Gymnasiallehrers<br />
Daniel Daemgen eine wahre<br />
Geschichte. Fritz Blume überlebt 1936 als<br />
Einjähriger den Suizidversuch seiner<br />
Mutter samt Geschwistern. Er wird in das<br />
Lippstädter Johannes-Waisenhaus (und<br />
später in weitere Heime) eingewiesen<br />
und gelangt dadurch unwissentlich in<br />
die Mühlen der nazistischen Euthanasie.<br />
Obwohl er das Verschwinden vieler Kinder<br />
registriert, dämmert ihm die Gefahr<br />
für sein Leben erst nach Jahren. “Versuch<br />
dich nützlich zu machen. Sie dürfen dich<br />
auf keinen Fall ins Erdgeschoss bringen.<br />
Da kommt kein Kind mehr lebend raus”,<br />
warnt ihn die wohlmeinende Leiterin der<br />
Nähstube in einem der Heime. Der längst<br />
als “erblich minderwertig” eingestufte<br />
Fritz Blume begreift schnell, er passt sich<br />
an und überlebt die Nazis. Rund 200.000<br />
Heiminsassen hatten dieses Glück nicht.<br />
Doch sein Martyrium in Heimen der<br />
“öffentlichen Fürsorge” dauert bis 1953.<br />
Zwar bedrohte ab 1945 keine nazistische<br />
Euthanasie mehr das Leben der Insassen.<br />
Aber niemand zählte die traumatisierten<br />
Opfer, die als Unfall verdeckten Morde<br />
und Selbstmorde. Für die wehrlosen<br />
Insassen änderte sich faktisch nichts. Es<br />
gab sie, die Kontinuität aus eugenischen<br />
Meinungen über “nutzlose Esser” und<br />
“sozial Minderwertige”, praktizierten<br />
Sadismus, sexuellen Missbrauch und den<br />
Ausschluss von jeder höheren Bildung. In<br />
der Summe ein Päckchen, mit dem, in ein<br />
erfolgreiches Leben zu starten, unmöglich<br />
war. Kaum einer der Insassen fand später<br />
den Weg in die Öffentlichkeit. Fritz Blume<br />
ist bis heute eine der ganz wenigen<br />
Ausnahmen.<br />
Besonders beklemmend sind die in<br />
die Geschichte eingeschobenen Informationen<br />
zu den Tätern: den Vinzentinerinnenschwestern,<br />
den Pfarrer August<br />
Heide, den Schulrektor Josef Sasse, die<br />
Psychiater Dr. Theodor Niebel und Dr. Fritz<br />
Wernickel (Fritz Blume: “Sie haben nie ein<br />
Wort mit uns gesprochen”). Alle waren sie<br />
wissentlich Bestandteil des mörderischen<br />
Systems, aber niemand von ihnen wurde<br />
nach 1945 für sein Tun belangt. Wie der<br />
an den Tötungen “erbkranker Kinder”<br />
aktiv beteiligte Psychiater Dr. Heinrich<br />
Stolze setzten sie ihre Karriere nach alibimäßiger<br />
Entnazifizierung ungebrochen<br />
fort. Fritz Blume versuchte noch in den<br />
70er Jahren vergeblich, mit den Tätern ins<br />
Gespräch zu kommen. Für die Fritz Blumes<br />
hat es bis heute nie einen Himmel<br />
gegeben.<br />
Die aufwühlende Graphic Novel von<br />
Robert Krieg und Daniel Daemgen fügt<br />
sich ein in die endlich beginnende Aufarbeitung<br />
des Themas. Die Opfer zu rehabilitieren<br />
und die Täter zur Rechenschaft<br />
zu ziehen, ist es höchste Zeit. Die beiden<br />
Autoren tragen einen Gutteil bei. Die lakonische<br />
Sprache Kriegs ist der Geschichte<br />
ebenso angemessen wie der spröde Strich<br />
Daemgens, der den lesenden Betrachter<br />
unweigerlich in seinen Bann zieht und<br />
die Gedanken auf das Wesentliche hinlenkt.<br />
“...und über uns kein Himmel”<br />
taugt zur schulischen Pflichtlektüre. #<br />
26
Rezepte | Text: Markus Kipp<br />
Löffellamm mit Fladenbrot<br />
Das Osterlamm hat wie viele unserer Symbole zu Feiertagen<br />
einen religiösen Hintergrund. Es wird auch Lamm Gottes<br />
(lat. „Agnus Dei“) genannt und entspringt dem christlichen<br />
Glauben. Das Lamm mit dem Kreuz ist ein Symbol für Jesus<br />
Christus und seine Auferstehung. Der österliche Brauch, Lämmer<br />
zu schlachten, ging bereits im Mittelalter stark zurück.<br />
Bis heute hat sich die Tradition des Osterlamms hauptsächlich<br />
griechisch-orthodoxen Kirche gehalten und ist Teil der<br />
jährlichen Osterfeierlichkeiten. Doch auch in der Religion der<br />
westlichen Christen hat das Osterlamm seine traditionelle<br />
Bedeutung – die Erinnerung an die Unschuld und das Leiden<br />
Christi – nicht gänzlich verloren. #<br />
Fladenbrot<br />
Zutaten<br />
• 500 g Mehl (Type 550)<br />
• 1 Würfel frische Hefe (ca. 40 g)<br />
• 1 TL Zucker<br />
• Salz<br />
• 4 EL Olivenöl<br />
• 1 Eigelb<br />
• 2 EL Sesam<br />
• 2 TL Schwarzkümmelsamen<br />
• Mehl zum Arbeiten, Backpapier für<br />
das Blech<br />
Zubereitung<br />
Das Mehl in eine große Rührschüssel<br />
sieben. In die Mitte mit einem Löffel eine<br />
Mulde drücken. Die Hefe hineinbröckeln<br />
und 5 EL lauwarmes Wasser über die<br />
Hefe gießen. 1 Prise Salz und 1 TL Zucker<br />
zufügen. Hefe mit dem Wasser und 2– 3<br />
EL Mehl vom Rand mit einer Gabel zu<br />
einem dicken Brei verrühren. Vorteig mit<br />
etwas Mehl bestäuben. Die Schüssel mit<br />
einem Tuch abdecken. Den Hefeansatz<br />
bei Zimmertemperatur 15 Min. gehen lassen,<br />
bis das Mehl auf der Oberfläche Risse<br />
zeigt. Olivenöl und das übrige Wasser<br />
dazugeben. Alles mit den Knethaken des<br />
Handmixers zu einem glatten Teig verkneten<br />
– er soll sich vom Schüsselboden<br />
lösen. Die Arbeitsfläche mit Mehl bestäuben.<br />
Den Teig darauf mit den Handballen<br />
noch 5 Min. kräftig durchkneten. Einen<br />
Teigkloß formen, zurück in die Schüssel<br />
legen, mit einem Tuch abgedeckt 30<br />
min. gehen lassen. Den Teig nochmals<br />
durchkneten, dann halbieren und auf der<br />
bemehlten Arbeitsfläche zu zwei Kugeln<br />
formen. Mit den Händen von der Mitte aus<br />
zu zwei flachen, runden Fladen (25 cm Ø)<br />
drücken, die Ränder sollen etwas wulstig<br />
bleiben. Ein Backblech mit Backpapier<br />
belegen und einen Fladen darauflegen.<br />
Vier Finger einer Hand geschlossen halten,<br />
die Fingerspitzen in Wasser tauchen<br />
und damit in die Fladen Reihen von<br />
Vertiefungen erst längs, dann quer drücken,<br />
sodass ein Rautenmuster entsteht.<br />
Backofen auf 220° (Umluft 200°) vorheizen.<br />
Eigelb und 1 EL Wasser verquirlen<br />
und die Fladen damit einpinseln. Sesam<br />
und Schwarzkümmel darüberstreuen.<br />
15 Min. zugedeckt gehen lassen. Fladen<br />
nacheinander (bei Umluft zusammen)<br />
im Ofen (2. Schiene von unten) in 15– 20<br />
Min. hellbraun backen. Herausnehmen<br />
und auf einem Kuchengitter auskühlen<br />
lassen.<br />
Löffellamm<br />
Zutaten<br />
••<br />
1 große Lammkeule mit Knochen<br />
••<br />
5 große Knoblauchzehen in kleine<br />
Stifte geschnitten<br />
••<br />
4 EL Olivenöl<br />
••<br />
1 Zweig Rosmarin<br />
••<br />
8 Blätter Salbei<br />
••<br />
1 Bund Suppengrün, gewürfelt<br />
••<br />
2 Zwiebeln gewürfelt<br />
••<br />
10 Aprikose(n), getrocknete<br />
••<br />
1 Flasche Rotwein, nicht zu trocken<br />
••<br />
2 Becher saure Sahne<br />
••<br />
Salz<br />
••<br />
Pfeffer, schwarz<br />
••<br />
Sojasauce<br />
••<br />
Brühe, gekörnte, Fleischextrakt o.ä.<br />
nach Bedarf<br />
••<br />
2 Becher Joghurt<br />
••<br />
2 TL Honig<br />
••<br />
125 g Haselnüsse und Walnüsse gemahlen<br />
••<br />
1 Prise Cayennepfeffer<br />
Zubereitung<br />
Den Backofen auf 150 °C vorheizen. Die<br />
Lammkeule abwaschen und abtupfen,<br />
Fett möglichst entfernen. Mit einem<br />
Messer mehrmals ca. 2 cm tief einstechen<br />
und die Knoblauchstifte darin „verstecken“.<br />
Mit 2 EL Öl beträufeln und gut<br />
einmassieren.<br />
In einem geeigneten Bräter das restliche<br />
Öl erhitzen und die Keule rundum anbraten.<br />
Das Suppengrün und die Zwiebeln<br />
zugeben und mit anrösten. Salzen und<br />
pfeffern. Mit einem viertel Liter Rotwein<br />
ablöschen, Rosmarin, Salbei und<br />
Aprikosen dazugeben. Fest zugedeckt in<br />
den vorgeheizten Backofen stellen. Die<br />
Lammkeule jede Stunde wenden, dabei<br />
mit zwei EL saurer Sahne bestreichen und<br />
Rotwein nachfüllen. Nach viereinhalb<br />
Stunden den Deckel abnehmen, den<br />
restlichen Rotwein angießen und den<br />
Rest saure Sahne vom ersten Becher<br />
dazugeben. Während der Bratzeit Joghurt<br />
mit Nüssen, Cayennepfeffer und Honig<br />
verrühren.<br />
Nach fünf Stunden mit einem Löffel<br />
probieren, ob sich das Fleisch vom Knochen<br />
löst. Wenn nicht, einfach noch Zeit<br />
zugeben und gelegentlich mit der Soße<br />
begießen. Keule dann aus dem Bräter<br />
nehmen, Ofenhitze auf <strong>80</strong> °C reduzieren<br />
und das Fleisch auf einer Platte im Ofen<br />
warmhalten. Den Bräter auf dem Herd<br />
erhitzen, evtl. etwas heißes Wasser zugeben<br />
und den Bratensatz am Rand lösen.<br />
Dann alles durch ein Sieb geben und gut<br />
ausdrücken. Evtl. Fett abschöpfen, dann<br />
den zweiten Becher saure Sahne mit dem<br />
Schneebesen einrühren, mit der Sojasauce<br />
und falls gewünscht mit Fleischextrakt<br />
oder gekörnter Brühe abschmecken und<br />
nochmal schön heiß werden lassen. Die<br />
Keule im Ganzen servieren und am Tisch<br />
mit dem Löffel zerteilen. Die Fleischstücke<br />
auf dem Teller mit der Rotweinsauce<br />
nappieren, in die Joghurt-Nuss-Sauce<br />
dippen und genießen. #<br />
27
Bericht | Text: Horst Gärtner<br />
Ihr ~ - Verkäufer hat die Nummer:<br />
Schlussakkord<br />
Wenn man genau hinschaut, verziehen sich –im übertragenen<br />
Sinne- im Laufe des Tages ganz oft die Wolken, die Sonne<br />
scheint, auch wenn der Himmel bedeckt ist und es regnet oder<br />
schneit!<br />
Unsere Straßenverkäuferinnen und Straßenverkäufer – nicht<br />
jede/r und nicht jeden Tag - erleben immer wieder Zeichen,<br />
immer wieder zwischenmenschliche Brückenschläge; da gibt<br />
es ein aufmunterndes Wort, vielleicht sogar ein Gespräch, da<br />
wird der Verkaufspreis des Straßenmagazins aufgerundet, da<br />
kommt eine Frau, die für die kleine Familienzusammenkunft<br />
eingekauft hat und zweigt von ihrem Einkauf zwei Würstchen<br />
ab; eine für den Verkäufer und eine vielleicht für den Hund, der<br />
sie mit großen Augen anschaut.<br />
Das und Vieles mehr gibt unseren Verkäuferinnen und Verkäufern<br />
das Gefühl: „Wir gehören dazu!“, wärmt sie, auch wenn es<br />
draußen kalt ist. Die Verkäuferinnen und Verkäufer erzählen es<br />
uns oft in der Redaktion und wir freuen uns mit ihnen; da sieht<br />
man, wie kleine Zeichen mitmenschlicher Zuwendung eine<br />
Kettenreaktion auslösen. Zum Ausklang eine andere freundliche<br />
Alltagsepisode. Ich gehe vom Parkplatz zum Supermarkt. Davor<br />
wie üblich der große „Parkplatz“ für die Einkaufswagen; auf der<br />
einen Seite der für Eltern mit Kindern, da können die Kinder<br />
vorne in ein kleines Auto einsteigen und auf der anderen Seite<br />
die für den „Großeinkauf“. Ich sehe ein etwa 3-jähriges Kind,<br />
das in das kleine Auto vor dem Einkaufswagen eingestiegen<br />
ist und das jämmerlich weint, weil die Mutter auf der anderen<br />
Seite den großen Einkaufswagen nehmen will. Der Junge<br />
schluchzt herzzerreißend. Ich gehe zum Auto zurück, habe dort<br />
einen kleinen Stoff-Seehund, der bequem in meine Handfläche<br />
passt, gehe zu dem Kleinen und sage „Wenn Du jetzt mit Mama<br />
zum Einkaufen gehst und hier aussteigst, dann bekommst Du<br />
diesen kleinen Seehund.“ Der Junge schaut mich an, hört auf<br />
zu weinen, nimmt seine Mutter bei der Hand und geht zu den<br />
anderen Einkaufswagen; meinen kleinen Seehund nimmt er<br />
nicht.<br />
Ich gehe ein paar Kleinigkeiten einkaufen, komme wieder heraus,<br />
sehe die Mutter mit dem kleinen Jungen bei den großen<br />
Einkaufswagen; er weint schon wieder bitterlich und will nicht<br />
mit in den Supermarkt. Ich gehe wieder hin, öffne wieder meine<br />
Hand, sage: Wenn du jetzt mit Mutter mitgehst, bekommst Du<br />
den Seehund noch“. Der Kleine schaut mich an, schnappt sich<br />
den Seehund, sagt „Danke“ und geht mit seiner Mutter in den<br />
Supermarkt. Der Himmel ist wolkenverhangen und trotzdem ein<br />
Sonnenstrahl.<br />
Ich wünsche Ihnen und mir, dass der März den Frühling immer<br />
stärker herauslässt, dass der Winter sich wieder am Süd- oder<br />
am Nordpol verkriecht und dass er uns bis zum nächsten Winter<br />
in Ruhe lässt.<br />
Ihr<br />
Horst Gärtner<br />
Erster Vorsitzender ~ e.V.<br />
Alistar ist ein junger, wunderschöner<br />
und selbstbewusster Rüde. Seit seiner<br />
Ankunft in unserem Tierheim hat er sich<br />
schon toll entwickelt. Nach anfänglichen<br />
Schwierigkeiten mit der Leine und<br />
Geschirr, genießt er nun jeden Spaziergang<br />
und freut sich darauf, die Welt mit<br />
seinem neuen Besitzer zu entdecken.<br />
Menschen findet er nämlich klasse<br />
und ist für Streicheleinheiten immer<br />
zu haben. Alistar zeigt sich einerseits<br />
wie ein „Junger Wilder“ und tobt gern<br />
ausgelassen herum. Andererseits ist<br />
er aber auch sensibel und mag es gar<br />
nicht, bedrängt zu werden. Daher<br />
sollte man ihn ruhig und geduldig an<br />
für ihn unbekannte Dinge heranführen.<br />
Artgenossen finden nicht immer sein<br />
Wohlwollen, lernt er sie aber in einer<br />
ruhigen und entspannten Atmosphäre<br />
kennen, gibt es keine Probleme. Da er<br />
einen deutlichen Jagd- und Schutztrieb<br />
entwickelt, ist der Besuch einer Hundeschule<br />
unerlässlich.<br />
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28
Juris Straßenpoesie<br />
Wen interessiert‘s denn schon?<br />
Alle wissens ganz genau;-<br />
Abends aus der Tagesschau:<br />
Tote Kinder, Blut und Dreck,<br />
doch wir schaun ja lieber weg,<br />
denn wir sind ja informiert,<br />
was am Tage so passiert:<br />
Bomben, Drogen, Korruption,-<br />
doch wen interessierts denn schon?<br />
Ist ja eigentlich auch egal,<br />
denn wir spürn ja nicht die Qual!<br />
Doch wenns uns dann mal berührt;<br />
Wird gleich ein Angsttanz aufgeführt<br />
meist ists dann zwar schon zu spät,-<br />
Doch man erntet,-<br />
wie man sät!<br />
Fällt dann die Bombe gerade auf dein Haus,<br />
ists mit dem Leben eben aus!<br />
Doch alle wissens ganz genau-<br />
Morgen aus der Tagesschau!<br />
Doch wen interssiert denn schon?<br />
29
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Rösnerstraße 10<br />
48155 Münster<br />
Telefon 6052-53<br />
Gemeinsam<br />
für das<br />
große Ziel<br />
Paul Demel<br />
Rechtsanwalt<br />
§<br />
Fachanwalt für<br />
Miet- und Wohnungseigentumsrecht<br />
weitere Schwerpunkte:<br />
• Baurecht<br />
• Sozialhilfe<br />
• Nachbarrecht<br />
Bahnhofsstr. 7<br />
48143 Münster<br />
Tel.: (02 51) 414 05 05<br />
Fax: (02 51) 414 05 06<br />
31
Haste mal nen Euro und nen Löffel?<br />
Sonst gibts Punk!<br />
www.strassenmagazin-draussen.de/aktionen.html