Materialien 7 - Rundfunk
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Fünfte Sitzung <strong>Rundfunk</strong> – Brecht/Enzensberger/Baudrillard<br />
Was ist der Gegenstand des als ‚Debatte‘ bezeichneten Zusammenhangs zwischen den Texten<br />
Brechts, Enzensbergers und Baudrillards?<br />
Zunächst – bei Brecht noch – die Anfänge des <strong>Rundfunk</strong>s im Medium Hörfunk oder Radio.<br />
Bei Enzensberger und Baudrillard dann die Erweiterung des <strong>Rundfunk</strong>s um das audiovisuelle<br />
Medium Fernsehen, das jedoch – bei allen medialen Unterschieden – denselben kritisierten<br />
Distributionsgesetzen unterliegt und ein ähnliches Mediendispositiv ausgebildet hat wie der<br />
Hörfunk.<br />
Bei Brecht und Enzensberger wird die Forderung nach einer Revolutionierung der<br />
Mediennutzungsfunktion und der gesellschaftlichen Teilhabe gestellt. Die Möglichkeiten des<br />
'Neue' Mediums würden, so ihre Kritik, in seinen politisch relevanten Eigenschaften<br />
restringiert und – so Enzensbergers Weiterführung – ideologisch missbraucht.<br />
In den Forderungen der beiden findet sich die implizite und – so die Kritik Baudrillards –<br />
unreflektierte Grundannahme, dass Massenmedien Kommunikation durch codierte<br />
Botschaften ermöglichen. Baudrillard greift diese gesellschaftspolitischen Überlegungen<br />
Brecht und Enzensbergers als im Kern naiv und darüber hinausgehend als von den falschen<br />
und völlig verkannten Charakteristika des <strong>Rundfunk</strong>s ausgehend an.<br />
Brecht argumentiert vor dem Hintergrund, dass dem Programm dieser Zeit eine explizit und<br />
staatlich bewusst verordnete unpolitische Ausrichtung bescheinigt werden kann. Wie Brecht<br />
schreibt war „der <strong>Rundfunk</strong> in seiner ersten Phase ein Stellvertreter. Stellvertreter des<br />
Theaters, der Oper, des Konzerts, der Vorträge der Kaffeemusik, des lokalen Teils der<br />
Presse.“ (S. 259)<br />
In dieser Phase wird ganz besonders die Evidenz der These MacLuhans deutlich: Inhalt eines<br />
neuen Mediums ist ein altes oder wie Brecht es formuliert „Man hatte plötzlich die<br />
Möglichkeit allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu<br />
sagen.“ Weil – so könnte weiter geführt werden – das Theater, die Schallplatte, das Konzert<br />
schon alles gesagt hatten.<br />
Die Charakterisierung des <strong>Rundfunk</strong>s in der Weimarer Republik als unpolitisch trifft jedoch<br />
nur bedingt zu. Wie später in Enzensbergers Kritik angesprochen wird, kann vielmehr eine<br />
subtile staatliche Einflussnahme festgestellt werden, die einerseits Sendungen politischen<br />
Inhalts – also eine demokratische Öffnung - unterbindet, andererseits jedoch z.B.<br />
unkommentiert ausgestrahlte Reden von hohen Politikern üblich werden ließ.<br />
An diesem Punkt setzt medienhistorisch die Auseinandersetzung Brechts mit dem <strong>Rundfunk</strong>
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ein. Brecht gilt als der Revolutionierer des klassischen Theaters durch die Einführung des<br />
sogenannten Entfremdungseffekts und der Bevorzugung der offenen Dramenform gegenüber<br />
der geschlossenen. Gerade durch diese sensible Analyse und versierte Nutzung der<br />
Mediendispositive des ‚alten’ Mediums Theater hatte er ein besonderes Augenmerk auf die<br />
Möglichkeiten des Neuen Mediums.<br />
Wie argumentiert nun Brecht in Bezug auf seine Forderung, dass der <strong>Rundfunk</strong> von einem<br />
Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat umzuwandeln sei:<br />
Die nicht bestellte Erfindung müsse sich erst nach einem Lebenszweck umschauen. Dieser<br />
könne aber nicht lediglich im Verschönern des Alltags liegen, indem eine Imitation der<br />
Institutionen vorgenommen wird, die bisher die Verbreitung von Sprech- und Singbarem<br />
leisteten.<br />
Eine neue Funktion des <strong>Rundfunk</strong>s könne deshalb darin bestehen, dass seine technischen<br />
Möglichkeiten nicht nur in der bisherigen – zumindest massenmedial gesehen- reduzierten<br />
Form eingesetzt werden. Vom reinen Zuteilen, also der Distribution von Unterhaltung, solle<br />
der Apparat der Kommunikation dienen. Brechts Überlegung geht also einfach den<br />
medientechnologisch rückwärtsgewandten Gang: Da die Funkkommunikation zwischen<br />
Sende- und Empfangsinstanz funktioniert, schließt er daraus, dass dies auch praktisch beim<br />
<strong>Rundfunk</strong> möglich sein müsste.<br />
Abgesehen davon, wie dies technisch und in der Programmgestaltung umsetzbar ist, verbindet<br />
Brecht damit inhaltliche Änderungen:<br />
Zunächst eine vermehrte politische Aufklärung, in der z.B. der Reichskanzler von seiner<br />
Tätigkeit und –wie Brecht es nennt- von seiner Berechtigung die Nation zu unterrichten.<br />
Diese Forderung steht jedoch nur exemplarisch für einen Einsatz des Mediums gegen eine<br />
allgemeine Tendenz:<br />
„Was immer der <strong>Rundfunk</strong> aber unternimmt, sein Bemühen muss es sein, jener<br />
Folgenlosigkeit entgegenzutreten, die beinahe alle unsere öffentlichen Institutionen so<br />
lächerlich macht.“ (S. 261)<br />
Folgenlosigkeit als Mentalität attestiert Brecht der Literatur und verschiedenen<br />
Bildungsinstitutionen.
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Der <strong>Rundfunk</strong> soll vielmehr ermöglichen, das die reziproke Kommunikation von statten<br />
gehen kann, die dann, so ist zu vermuten, die Kultur als Prozess weitergestaltet. Die Technik<br />
soll ermöglichen, dass „das Publikum nicht nur belehrt werden, sondern auch belehren muss.“<br />
– also dass auch auf das Medium die Inhalte seines verstreuten Publikums zurückwirken und<br />
dass nicht nur eine Sendeinstanz auf eine unbekannte Masse einwirkt, sondern dass auch der<br />
umgekehrte Vorgang die Masse personifiziert und handlungsfähig macht.<br />
Brecht bleibt vage in dem, was er sich tatsächlich unter Formen dieser Kommunikation und<br />
Wechselwirkung vorstellt. Deutlich wird jedoch, dass er antibürgerlich eingestellt ist und der<br />
bürgerlichen Unterhaltungskultur äußerst kritisch gegenübersteht.<br />
Deutlich wird dann im letzten Satz, dass Brecht nicht lediglich eine Funktion für ein<br />
vorgeblich imitierendes Medium sucht. Statt dessen hat Brecht, ohne dies im Detail<br />
auszuformulieren, die Chancen erkannt, die das Medium für die Mobilisierung der Masse<br />
birgt. In diesem Sinne möchte er es politisch instrumentalisiert für einen revolutionären<br />
Wandel sehen:<br />
„Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen...“<br />
1970 setzt Enzensbergers Bezugnahme auf die sogenannten Radiotheorien Bertolt Brechts ein.<br />
Enzensberger wie Brecht fordern gleichermaßen die modernen Massenmedien von reinen<br />
Konsumptionsmitteln zu Produktionsmitteln der Masse zu machen. Beide gehen davon aus,<br />
dass das Radio eine wechselseitige Kommunikation zuließe, dies gesellschaftlich jedoch nicht<br />
genutzt und gefordert oder möglicherweise von den Sendeinstanzen nicht gewollt ist.<br />
Die richtige Nutzung zur Kommunikation, zum demokratischen Austausch könne eine<br />
Gesellschaft derart verändern, dass das Medium zum Motor revolutionärer Veränderungen<br />
werden könne.<br />
Enzensberger prägt hier den im sozial- und medienkritischen Diskurs der 70er Jahre<br />
populären Begriff der 'Bewusstseinsindustrie'. Diese verhindert nach Enzensberger genau<br />
diese Veränderungen, indem sie technisch-konsumistische Veränderungen forciert, die dann<br />
als "universelles System" eine eskapistische Unterhaltungsindustrie etablieren. Damit wird<br />
eine gesellschaftliche Energie der politischen Mobilisierung umgeleitet, die ansonsten<br />
sozialpolitisches Potential bergen würde. Statt dessen werden durch die Bewusstseinsindustrie<br />
eine Objektivierung, also eine Handlungsunfähigkeit des Publikums geschaffen, die zu einer<br />
Entpolitisierung durch Massenmedialen Konsum führt. (S. 265)<br />
Kommunikation wird in diesem Zusammenhang explizit von den 'Produktionskräften'<br />
verhindert.<br />
Der Begriff der 'Manipulation' greift dabei laut Enzensberger jedoch zu kurz und verhindert
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eine genauere Analyse und vor allem Konsequenzen und "vorantreibenden Kräfte": der<br />
Vorwurf der Manipulation beinhalte implizit die Vorstellung "es gäbe in politischen und<br />
gesellschaftlichen Fragen eine reine, unmanipulierte Wahrheit", also als ob eine ausgemachte<br />
'Fairness' verletzt worden sei und also ob nicht der 'Gegner' z.B. Springer nicht auch davon<br />
ausgehen könnte, dass er ein moralisch legitimes Verhalten ausübt.<br />
Der politischen Linken bescheinigt Enzensberger alte bürgerliche Ängste, (S. 269), ein<br />
konservatives Abwehrverhalten gegenüber technischen Neuerungen und massenmedialen<br />
Erscheinungen, statt diese innovativ zu nutzen, wie dies Brecht forderte.<br />
Dabei wird jedoch der prinzipielle Sachverhalt nicht geleugnet. "Manipulation, zu deutsch<br />
Hand- oder Kunstgriff, heißt soviel wie zielbewußtes technisches Eingreifen in ein gegebenes<br />
Material. Wenn es sich um ein gesellschaftlich unmittelbar relevantes Eingreifen handelt, ist<br />
die Manipulation ein politischer Akt. Das ist in der Bewußtseinsindustrie prinzipiell der Fall.<br />
Jeder Gebrauch der Medien setzt also Manipulation voraus. Ein unmanipuliertes Schreiben,<br />
Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden<br />
oder nicht, sondern wer sie manipuliert." (S. 271.)<br />
Enzensberger fordert, die Bedürfnisse der Zuschauer ernst zu nehmen "Die elektronischen<br />
Medien verdanken ihre Unwiderstehlichkeit nicht irgendeinem abgefeimten Trick, sondern<br />
der elementaren Kraft tiefer gesellschaftlicher Bedürfnisse, die selbst in der heutigen<br />
depravierten Verfassung dieser Medien durchschlagen. Ein 'massenhaftes Bedürfnis nach<br />
immaterieller Vielfalt' und Mobilität' werde durch – so der Begriff Lefebvres – das spectacle<br />
permanent inszeniert. Als rauschhafter Konsum von Wegwerfsendungen und<br />
Wegwerfprodukten könnte zusammengefasst werden, was Enzensberger hier in einem<br />
analytisch konzisen kulturpsychologischen Abschnitt formuliert. Der Konsum als Fest, als<br />
Erfüllung des Versprechens der Abschaffung von Mangel, als Ästhetik die über das<br />
"Kunstschöne" hinaus geht.<br />
Hier setzt generell Baudrillards Kritik an. Bereits 1972 prognostiziert er im Grunde, dass die<br />
Steigerung der Sendeinhalte zu einer Null-Kommunikation führt, bei der 'Aufmerksamkeit' zu<br />
einer heiß umkämpften und begehrten Ware wird. Er wirft Brecht und Enzensberger einen<br />
Denkfehler vor:<br />
"Wenn Brecht und Enzensberger behaupten, die Wandlung der Medien in ein wirkliches<br />
Kommunikationsmedium sei technisch überhaupt kein Problem, dann ist das in der Tat so zu<br />
verstehen, dass das überhaupt kein technisches Problem ist." (283/4)<br />
Es fällt also gar nicht in den Bereich der Technik, denn, so die Überzeugung Baudrillards,<br />
Massenmedien dienen nicht der inhaltlichen Kommunikation, also dem Austauschs, von ihm
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Tauschprozess genannt. Konkret wird das verhindert, indem Kommunikation simuliert wird.<br />
Seine Analyse der medialen Sprechakte auf Seite 292 beruht auf der metonymischen<br />
Verschiebung, die auch Barthes dem Mythos unterstellt. Hinzu kommt die Arbitrarität der<br />
Zeichen, also der nicht natürlichen Zuordnung von Sinn.<br />
Eine gesellschaftliche Nutzung der Medien im Sinne Brechts und Enzensbergers hätte dann<br />
lediglich zur Folge, dass Sender und Empfänger in einer Person vereinigt werden. Die<br />
Manipulation wird in gewisser Hinsicht verinnerlicht." (S. 296) Im Prinzip fordert Baudrillard<br />
also lediglich, dass Enzensbergers Aussage zur 'Manipulation' wörtlich genommen wird.<br />
Wenn massenmedialer Gebrauch und massenmediales Senden immer Manipulation beinhalten<br />
muss, dann sollte es abgeschafft werden.