10.01.2014 Aufrufe

Materialien 7 - Rundfunk

Materialien 7 - Rundfunk

Materialien 7 - Rundfunk

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1<br />

Fünfte Sitzung <strong>Rundfunk</strong> – Brecht/Enzensberger/Baudrillard<br />

Was ist der Gegenstand des als ‚Debatte‘ bezeichneten Zusammenhangs zwischen den Texten<br />

Brechts, Enzensbergers und Baudrillards?<br />

Zunächst – bei Brecht noch – die Anfänge des <strong>Rundfunk</strong>s im Medium Hörfunk oder Radio.<br />

Bei Enzensberger und Baudrillard dann die Erweiterung des <strong>Rundfunk</strong>s um das audiovisuelle<br />

Medium Fernsehen, das jedoch – bei allen medialen Unterschieden – denselben kritisierten<br />

Distributionsgesetzen unterliegt und ein ähnliches Mediendispositiv ausgebildet hat wie der<br />

Hörfunk.<br />

Bei Brecht und Enzensberger wird die Forderung nach einer Revolutionierung der<br />

Mediennutzungsfunktion und der gesellschaftlichen Teilhabe gestellt. Die Möglichkeiten des<br />

'Neue' Mediums würden, so ihre Kritik, in seinen politisch relevanten Eigenschaften<br />

restringiert und – so Enzensbergers Weiterführung – ideologisch missbraucht.<br />

In den Forderungen der beiden findet sich die implizite und – so die Kritik Baudrillards –<br />

unreflektierte Grundannahme, dass Massenmedien Kommunikation durch codierte<br />

Botschaften ermöglichen. Baudrillard greift diese gesellschaftspolitischen Überlegungen<br />

Brecht und Enzensbergers als im Kern naiv und darüber hinausgehend als von den falschen<br />

und völlig verkannten Charakteristika des <strong>Rundfunk</strong>s ausgehend an.<br />

Brecht argumentiert vor dem Hintergrund, dass dem Programm dieser Zeit eine explizit und<br />

staatlich bewusst verordnete unpolitische Ausrichtung bescheinigt werden kann. Wie Brecht<br />

schreibt war „der <strong>Rundfunk</strong> in seiner ersten Phase ein Stellvertreter. Stellvertreter des<br />

Theaters, der Oper, des Konzerts, der Vorträge der Kaffeemusik, des lokalen Teils der<br />

Presse.“ (S. 259)<br />

In dieser Phase wird ganz besonders die Evidenz der These MacLuhans deutlich: Inhalt eines<br />

neuen Mediums ist ein altes oder wie Brecht es formuliert „Man hatte plötzlich die<br />

Möglichkeit allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu<br />

sagen.“ Weil – so könnte weiter geführt werden – das Theater, die Schallplatte, das Konzert<br />

schon alles gesagt hatten.<br />

Die Charakterisierung des <strong>Rundfunk</strong>s in der Weimarer Republik als unpolitisch trifft jedoch<br />

nur bedingt zu. Wie später in Enzensbergers Kritik angesprochen wird, kann vielmehr eine<br />

subtile staatliche Einflussnahme festgestellt werden, die einerseits Sendungen politischen<br />

Inhalts – also eine demokratische Öffnung - unterbindet, andererseits jedoch z.B.<br />

unkommentiert ausgestrahlte Reden von hohen Politikern üblich werden ließ.<br />

An diesem Punkt setzt medienhistorisch die Auseinandersetzung Brechts mit dem <strong>Rundfunk</strong>


2<br />

ein. Brecht gilt als der Revolutionierer des klassischen Theaters durch die Einführung des<br />

sogenannten Entfremdungseffekts und der Bevorzugung der offenen Dramenform gegenüber<br />

der geschlossenen. Gerade durch diese sensible Analyse und versierte Nutzung der<br />

Mediendispositive des ‚alten’ Mediums Theater hatte er ein besonderes Augenmerk auf die<br />

Möglichkeiten des Neuen Mediums.<br />

Wie argumentiert nun Brecht in Bezug auf seine Forderung, dass der <strong>Rundfunk</strong> von einem<br />

Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat umzuwandeln sei:<br />

Die nicht bestellte Erfindung müsse sich erst nach einem Lebenszweck umschauen. Dieser<br />

könne aber nicht lediglich im Verschönern des Alltags liegen, indem eine Imitation der<br />

Institutionen vorgenommen wird, die bisher die Verbreitung von Sprech- und Singbarem<br />

leisteten.<br />

Eine neue Funktion des <strong>Rundfunk</strong>s könne deshalb darin bestehen, dass seine technischen<br />

Möglichkeiten nicht nur in der bisherigen – zumindest massenmedial gesehen- reduzierten<br />

Form eingesetzt werden. Vom reinen Zuteilen, also der Distribution von Unterhaltung, solle<br />

der Apparat der Kommunikation dienen. Brechts Überlegung geht also einfach den<br />

medientechnologisch rückwärtsgewandten Gang: Da die Funkkommunikation zwischen<br />

Sende- und Empfangsinstanz funktioniert, schließt er daraus, dass dies auch praktisch beim<br />

<strong>Rundfunk</strong> möglich sein müsste.<br />

Abgesehen davon, wie dies technisch und in der Programmgestaltung umsetzbar ist, verbindet<br />

Brecht damit inhaltliche Änderungen:<br />

Zunächst eine vermehrte politische Aufklärung, in der z.B. der Reichskanzler von seiner<br />

Tätigkeit und –wie Brecht es nennt- von seiner Berechtigung die Nation zu unterrichten.<br />

Diese Forderung steht jedoch nur exemplarisch für einen Einsatz des Mediums gegen eine<br />

allgemeine Tendenz:<br />

„Was immer der <strong>Rundfunk</strong> aber unternimmt, sein Bemühen muss es sein, jener<br />

Folgenlosigkeit entgegenzutreten, die beinahe alle unsere öffentlichen Institutionen so<br />

lächerlich macht.“ (S. 261)<br />

Folgenlosigkeit als Mentalität attestiert Brecht der Literatur und verschiedenen<br />

Bildungsinstitutionen.


3<br />

Der <strong>Rundfunk</strong> soll vielmehr ermöglichen, das die reziproke Kommunikation von statten<br />

gehen kann, die dann, so ist zu vermuten, die Kultur als Prozess weitergestaltet. Die Technik<br />

soll ermöglichen, dass „das Publikum nicht nur belehrt werden, sondern auch belehren muss.“<br />

– also dass auch auf das Medium die Inhalte seines verstreuten Publikums zurückwirken und<br />

dass nicht nur eine Sendeinstanz auf eine unbekannte Masse einwirkt, sondern dass auch der<br />

umgekehrte Vorgang die Masse personifiziert und handlungsfähig macht.<br />

Brecht bleibt vage in dem, was er sich tatsächlich unter Formen dieser Kommunikation und<br />

Wechselwirkung vorstellt. Deutlich wird jedoch, dass er antibürgerlich eingestellt ist und der<br />

bürgerlichen Unterhaltungskultur äußerst kritisch gegenübersteht.<br />

Deutlich wird dann im letzten Satz, dass Brecht nicht lediglich eine Funktion für ein<br />

vorgeblich imitierendes Medium sucht. Statt dessen hat Brecht, ohne dies im Detail<br />

auszuformulieren, die Chancen erkannt, die das Medium für die Mobilisierung der Masse<br />

birgt. In diesem Sinne möchte er es politisch instrumentalisiert für einen revolutionären<br />

Wandel sehen:<br />

„Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen...“<br />

1970 setzt Enzensbergers Bezugnahme auf die sogenannten Radiotheorien Bertolt Brechts ein.<br />

Enzensberger wie Brecht fordern gleichermaßen die modernen Massenmedien von reinen<br />

Konsumptionsmitteln zu Produktionsmitteln der Masse zu machen. Beide gehen davon aus,<br />

dass das Radio eine wechselseitige Kommunikation zuließe, dies gesellschaftlich jedoch nicht<br />

genutzt und gefordert oder möglicherweise von den Sendeinstanzen nicht gewollt ist.<br />

Die richtige Nutzung zur Kommunikation, zum demokratischen Austausch könne eine<br />

Gesellschaft derart verändern, dass das Medium zum Motor revolutionärer Veränderungen<br />

werden könne.<br />

Enzensberger prägt hier den im sozial- und medienkritischen Diskurs der 70er Jahre<br />

populären Begriff der 'Bewusstseinsindustrie'. Diese verhindert nach Enzensberger genau<br />

diese Veränderungen, indem sie technisch-konsumistische Veränderungen forciert, die dann<br />

als "universelles System" eine eskapistische Unterhaltungsindustrie etablieren. Damit wird<br />

eine gesellschaftliche Energie der politischen Mobilisierung umgeleitet, die ansonsten<br />

sozialpolitisches Potential bergen würde. Statt dessen werden durch die Bewusstseinsindustrie<br />

eine Objektivierung, also eine Handlungsunfähigkeit des Publikums geschaffen, die zu einer<br />

Entpolitisierung durch Massenmedialen Konsum führt. (S. 265)<br />

Kommunikation wird in diesem Zusammenhang explizit von den 'Produktionskräften'<br />

verhindert.<br />

Der Begriff der 'Manipulation' greift dabei laut Enzensberger jedoch zu kurz und verhindert


4<br />

eine genauere Analyse und vor allem Konsequenzen und "vorantreibenden Kräfte": der<br />

Vorwurf der Manipulation beinhalte implizit die Vorstellung "es gäbe in politischen und<br />

gesellschaftlichen Fragen eine reine, unmanipulierte Wahrheit", also als ob eine ausgemachte<br />

'Fairness' verletzt worden sei und also ob nicht der 'Gegner' z.B. Springer nicht auch davon<br />

ausgehen könnte, dass er ein moralisch legitimes Verhalten ausübt.<br />

Der politischen Linken bescheinigt Enzensberger alte bürgerliche Ängste, (S. 269), ein<br />

konservatives Abwehrverhalten gegenüber technischen Neuerungen und massenmedialen<br />

Erscheinungen, statt diese innovativ zu nutzen, wie dies Brecht forderte.<br />

Dabei wird jedoch der prinzipielle Sachverhalt nicht geleugnet. "Manipulation, zu deutsch<br />

Hand- oder Kunstgriff, heißt soviel wie zielbewußtes technisches Eingreifen in ein gegebenes<br />

Material. Wenn es sich um ein gesellschaftlich unmittelbar relevantes Eingreifen handelt, ist<br />

die Manipulation ein politischer Akt. Das ist in der Bewußtseinsindustrie prinzipiell der Fall.<br />

Jeder Gebrauch der Medien setzt also Manipulation voraus. Ein unmanipuliertes Schreiben,<br />

Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden<br />

oder nicht, sondern wer sie manipuliert." (S. 271.)<br />

Enzensberger fordert, die Bedürfnisse der Zuschauer ernst zu nehmen "Die elektronischen<br />

Medien verdanken ihre Unwiderstehlichkeit nicht irgendeinem abgefeimten Trick, sondern<br />

der elementaren Kraft tiefer gesellschaftlicher Bedürfnisse, die selbst in der heutigen<br />

depravierten Verfassung dieser Medien durchschlagen. Ein 'massenhaftes Bedürfnis nach<br />

immaterieller Vielfalt' und Mobilität' werde durch – so der Begriff Lefebvres – das spectacle<br />

permanent inszeniert. Als rauschhafter Konsum von Wegwerfsendungen und<br />

Wegwerfprodukten könnte zusammengefasst werden, was Enzensberger hier in einem<br />

analytisch konzisen kulturpsychologischen Abschnitt formuliert. Der Konsum als Fest, als<br />

Erfüllung des Versprechens der Abschaffung von Mangel, als Ästhetik die über das<br />

"Kunstschöne" hinaus geht.<br />

Hier setzt generell Baudrillards Kritik an. Bereits 1972 prognostiziert er im Grunde, dass die<br />

Steigerung der Sendeinhalte zu einer Null-Kommunikation führt, bei der 'Aufmerksamkeit' zu<br />

einer heiß umkämpften und begehrten Ware wird. Er wirft Brecht und Enzensberger einen<br />

Denkfehler vor:<br />

"Wenn Brecht und Enzensberger behaupten, die Wandlung der Medien in ein wirkliches<br />

Kommunikationsmedium sei technisch überhaupt kein Problem, dann ist das in der Tat so zu<br />

verstehen, dass das überhaupt kein technisches Problem ist." (283/4)<br />

Es fällt also gar nicht in den Bereich der Technik, denn, so die Überzeugung Baudrillards,<br />

Massenmedien dienen nicht der inhaltlichen Kommunikation, also dem Austauschs, von ihm


5<br />

Tauschprozess genannt. Konkret wird das verhindert, indem Kommunikation simuliert wird.<br />

Seine Analyse der medialen Sprechakte auf Seite 292 beruht auf der metonymischen<br />

Verschiebung, die auch Barthes dem Mythos unterstellt. Hinzu kommt die Arbitrarität der<br />

Zeichen, also der nicht natürlichen Zuordnung von Sinn.<br />

Eine gesellschaftliche Nutzung der Medien im Sinne Brechts und Enzensbergers hätte dann<br />

lediglich zur Folge, dass Sender und Empfänger in einer Person vereinigt werden. Die<br />

Manipulation wird in gewisser Hinsicht verinnerlicht." (S. 296) Im Prinzip fordert Baudrillard<br />

also lediglich, dass Enzensbergers Aussage zur 'Manipulation' wörtlich genommen wird.<br />

Wenn massenmedialer Gebrauch und massenmediales Senden immer Manipulation beinhalten<br />

muss, dann sollte es abgeschafft werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!