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Wenn Reichtum Armut schafft - Deza - admin.ch

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Eine Welt<br />

NR. 2 / JUNI 2013<br />

DAS DEZA-MAGAZIN<br />

FÜR ENTWICKLUNG<br />

UND ZUSAMMENARBEIT<br />

www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

Neue Geber – andere Muster<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan: Im Würgegriff<br />

der Na<strong>ch</strong>barn<br />

Rohstoffe: Mit mehr Transparenz<br />

zu na<strong>ch</strong>haltiger Entwicklung


Inhalt<br />

D O S S I E R<br />

SCHWELLENLÄNDER<br />

6 Neue Geber – andere Muster<br />

Immer mehr S<strong>ch</strong>wellenländer treten in der Entwicklungszusammenarbeit als<br />

neue Geber auf – mit ihnen entstehen au<strong>ch</strong> neue Dynamiken und Spielregeln<br />

12 Gemeinsam entwässern kommt günstiger<br />

Dur<strong>ch</strong> die Zusammenarbeit der S<strong>ch</strong>weiz, Brasilien und Nicaragua erhalten<br />

im zentralamerikanis<strong>ch</strong>en Land Kleinstädte ein besseres Abwassersystem<br />

14 S<strong>ch</strong>utz vor Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbru<strong>ch</strong> in West<strong>ch</strong>ina<br />

S<strong>ch</strong>weizer und <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Experten arbeiten Hand in Hand, um das Risiko<br />

einer Flutwelle dur<strong>ch</strong> einen Glets<strong>ch</strong>ersee zu minimieren<br />

16 «Südafrika ist der Gigant des Kontinents»<br />

Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin Elizabeth Sidiropoulos<br />

im Interview<br />

18 Facts & Figures<br />

H O R I Z O N T E<br />

19 Grenzkonflikte trennen Familien<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan leidet unter den Streitigkeiten um die Wasserkraft mit seinen<br />

mä<strong>ch</strong>tigen Na<strong>ch</strong>barn<br />

22 Aus dem Alltag von...<br />

Mouazamma Djamalova, DEZA-Gesundheitsbeauftragte in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

23 Das Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert<br />

Jahongir Zabirov über das rasante Leben der Jungen in Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

D E Z A<br />

24 Mehr Gesundheit, weniger Vorurteile<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz unterstützt Bosnien und Herzegowina bei der Modernisierung<br />

der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Versorgung<br />

26 Die Na<strong>ch</strong>barn helfen zuerst<br />

Ein DEZA-Projekt bildet Freiwilligengruppen für Erste Hilfe na<strong>ch</strong> Bränden<br />

oder eingestürzten Häusern in Marokkos Altstädten aus<br />

F O R U M<br />

28 <strong>Wenn</strong> <strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> <strong>Armut</strong> <strong>s<strong>ch</strong>afft</strong><br />

Viele Rohstoffe werden in Entwicklungsländern abgebaut, do<strong>ch</strong> Handel und<br />

Gewinne damit ma<strong>ch</strong>en andere – nun soll mehr Transparenz Abhilfe s<strong>ch</strong>affen<br />

31 Geht Tanu weg, hat die Familie weniger Geld<br />

Carte blan<strong>ch</strong>e: Der Äthiopier Geta<strong>ch</strong>ew Gebru über das s<strong>ch</strong>wierige<br />

Nebeneinander von S<strong>ch</strong>ule und Hirtentum in seiner Heimat<br />

K U L T U R<br />

32 Das Internet als Tonar<strong>ch</strong>iv<br />

Immer mehr alte S<strong>ch</strong>allplatten und Kassetten aus Afrika, Asien und<br />

Lateinamerika werden von MP3-Bloggern ins Internet gestellt<br />

3 Editorial<br />

4 Periskop<br />

27 Einblick DEZA<br />

34 Service<br />

35 Fernsu<strong>ch</strong>t mit Douna Loup<br />

35 Impressum<br />

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die<br />

Agentur der internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin<br />

von « Eine Welt ». Die Zeits<strong>ch</strong>rift ist aber keine offizielle<br />

Publikation im engeren Sinn ; in ihr sollen au<strong>ch</strong> andere Meinungen<br />

zu Wort kommen ; deshalb geben ni<strong>ch</strong>t alle Beiträge unbedingt<br />

den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder.<br />

2<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Editorial<br />

DEZA<br />

Der Weg entsteht im Gehen<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer, die in dieser Ausgabe im Mittelpunkt<br />

stehen, haben für die Internationale Zusammenarbeit in<br />

den vergangenen Jahren sehr stark an Bedeutung<br />

gewonnen. Der Begriff bezei<strong>ch</strong>nete ursprüngli<strong>ch</strong> die<br />

asiatis<strong>ch</strong>en «Tigerstaaten». Heute sind damit die BRICS<br />

gemeint – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika<br />

– zusammen mit einer oft grösseren Zahl weiterer<br />

Länder, die günstige wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Indikatoren aufweisen.<br />

Eine gültige Definition für S<strong>ch</strong>wellenländer existiert<br />

ni<strong>ch</strong>t – der Begriff hat au<strong>ch</strong> in fast jeder Spra<strong>ch</strong>e eine<br />

lei<strong>ch</strong>t andere Bedeutung. Fest steht:<br />

• S<strong>ch</strong>wellenländer haben politis<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t. Man<strong>ch</strong>e<br />

sind Mitglied der G-20 und bereiten damit viele internationale<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen vor. Au<strong>ch</strong> in der UNO und<br />

anderen Foren spielen sie eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Ihre<br />

frühere politis<strong>ch</strong>e Identität als Entwicklungsland haben<br />

sie ni<strong>ch</strong>t abgelegt und können damit auf vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

politis<strong>ch</strong>en Klaviaturen glei<strong>ch</strong>zeitig spielen.<br />

• Die industrielle Produktion der S<strong>ch</strong>wellenländer ist<br />

sehr bedeutend. Deshalb spielen sie in den Auseinandersetzungen<br />

um Rohstoffe und Energieträger<br />

eine S<strong>ch</strong>lüsselrolle. Entspre<strong>ch</strong>end gross ist ihr Ausstoss<br />

an Treibhausgasen – gross und wa<strong>ch</strong>send ihr<br />

ökologis<strong>ch</strong>er Fussabdruck.<br />

• <strong>Armut</strong> ist ein grosses Problem in S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />

In Indien gibt es mehr Arme als in Afrika. Die klassis<strong>ch</strong>e<br />

Entwicklungszusammenarbeit der OECD-Länder zieht<br />

si<strong>ch</strong> aus den S<strong>ch</strong>wellenländern zurück. Wer politis<strong>ch</strong><br />

und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> mä<strong>ch</strong>tig ist, kann ni<strong>ch</strong>t auf Entwicklungshilfe<br />

hoffen – mit der paradoxen Wirkung, dass<br />

si<strong>ch</strong> die Entwicklungshilfe heute um die Mehrheit der<br />

Armen ni<strong>ch</strong>t mehr kümmert.<br />

• Die politis<strong>ch</strong>e und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Modernisierung<br />

verläuft in S<strong>ch</strong>wellenländern anders, als es in den alten<br />

Industriestaaten der Fall war. Um Demokratie, Re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>keit,<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te ist es oft ni<strong>ch</strong>t gut bestellt,<br />

was si<strong>ch</strong> negativ auf die Lebensverhältnisse und<br />

auf die längerfristigen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Perspektiven<br />

auswirkt.<br />

• S<strong>ch</strong>wellenländer sind heute selber Akteure der Entwicklungszusammenarbeit,<br />

oft mit einer – um es diplomatis<strong>ch</strong><br />

auszudrücken – komplexen Agenda. Entwicklungsagenturen<br />

der OECD-Länder sind in ihrer Arbeit<br />

plötzli<strong>ch</strong> umgeben von Akteuren mit einem anderen<br />

Werte- und Methodenkanon.<br />

Weder die weltweite <strong>Armut</strong> no<strong>ch</strong> globale Herausforderungen<br />

wie Klimawandel, Migration, Ressourcenverknappung<br />

oder Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit sind ohne<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer lösbar. Dringend notwendig ist ein politis<strong>ch</strong>er<br />

Dialog. Die meisten sind dazu offen – gerade<br />

au<strong>ch</strong> China – au<strong>ch</strong> wenn sie ihren Weg selber bestimmen<br />

wollen.<br />

Meinungs- und Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong> allein rei<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t aus. Es ist wi<strong>ch</strong>tig, si<strong>ch</strong> mit S<strong>ch</strong>wellenländern in<br />

gemeinsame praktis<strong>ch</strong>e Vorhaben zu begeben, um<br />

<strong>Armut</strong> und globale Risiken besser in den Griff zu bekommen.<br />

Das ist kein Anlass für einseitige Belehrung.<br />

Die OECD-Staaten kennen die Lösungen au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

Ein spanis<strong>ch</strong>es Spri<strong>ch</strong>wort sagt: Der Weg entsteht im<br />

Gehen. Und viele S<strong>ch</strong>wellenländer besitzen wi<strong>ch</strong>tige<br />

Erfahrungen vom Weg, den sie zurückgelegt haben.<br />

Die DEZA pflegt einen regelmässigen Austaus<strong>ch</strong> mit<br />

einzelnen S<strong>ch</strong>wellenländern. Aber au<strong>ch</strong> konkrete Vorhaben<br />

im Rahmen der Globalprogramme und in Projekten<br />

der trilateralen Zusammenarbeit zwis<strong>ch</strong>en der<br />

S<strong>ch</strong>weiz, S<strong>ch</strong>wellen- und Entwicklungsländern. Das<br />

konkrete Engagement für die Ärmsten verliert damit<br />

ni<strong>ch</strong>t an Bedeutung. Im Gegenteil: Der Forts<strong>ch</strong>ritt für<br />

die ärmsten Länder und Bevölkerungss<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten hängt<br />

in unserer globalisierten Welt wesentli<strong>ch</strong> davon ab, wie<br />

die S<strong>ch</strong>wellenländer in die Anstrengungen einbezogen<br />

werden.<br />

Martin Dahinden<br />

Direktor der DEZA<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 3


Periskop<br />

Iterrae<br />

Kurt Henseler/laif<br />

Stromlose Kühllager<br />

( jls) Die Nä<strong>ch</strong>te im Sahel und in der Sahara sind kühl,<br />

au<strong>ch</strong> wenn tagsüber bis zu 40 Grad Hitze herrs<strong>ch</strong>t. Der<br />

Franzose Pascal Fayet hat eine Baute<strong>ch</strong>nik erfunden, mit<br />

der si<strong>ch</strong> die nä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Kühle einfangen und spei<strong>ch</strong>ern<br />

lässt, um sie tagsüber an die Räume abzugeben, in denen<br />

Frü<strong>ch</strong>te, Gemüse und andere verderbli<strong>ch</strong>e Waren gelagert<br />

werden. Seine «Sahelspei<strong>ch</strong>er» reduzieren Na<strong>ch</strong>ernte-<br />

Verluste und bekämpfen den Hunger der Landbevölkerung.<br />

Das Vorgehen, das den natürli<strong>ch</strong>en Prozess der Strahlungskühlung<br />

(Gegenteil des Treibhauseffekts) nutzt,<br />

beruht au<strong>ch</strong> auf adäquater Isolierung und Ventilation.<br />

Im eigentli<strong>ch</strong>en Kühlraum bleibt die Temperatur bei 15<br />

bis 20 Grad stabil. Die mit lokalem Baumaterial erstellten<br />

Lagerhäuser produzieren Kälte ohne jegli<strong>ch</strong>en Energieverbrau<strong>ch</strong><br />

und setzen dementspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> keine<br />

Treibhausgase frei. Sie eignen si<strong>ch</strong> bestens für ni<strong>ch</strong>t elektrifizierte<br />

Landstri<strong>ch</strong>e. Na<strong>ch</strong> Tests in Burkina Faso und<br />

Niger hat Pascal Fayet letztes Jahr in Senegal einen<br />

Pilotspei<strong>ch</strong>er erri<strong>ch</strong>tet.<br />

www.greniersdusahel.com<br />

Beruf Grillenzü<strong>ch</strong>ter<br />

(jls) S<strong>ch</strong>on immer kamen in<br />

Thailand Insekten auf den Tis<strong>ch</strong>.<br />

Mehr und mehr werden sie aber<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr bloss draussen gesammelt.<br />

«Die meisten Grillen<br />

auf dem Markt kommen<br />

inzwis<strong>ch</strong>en aus kommerziellen<br />

Betrieben», sagt Yupa Hanboonsong,<br />

Insektenfors<strong>ch</strong>erin an<br />

der Universität Khon Kaen.<br />

Mit einer Kollegin zusammen<br />

hat sie vor 15 Jahren Zu<strong>ch</strong>tte<strong>ch</strong>niken<br />

eingeführt, um den<br />

Landwirten eine neue Einkommensquelle<br />

zu ers<strong>ch</strong>liessen.<br />

«Heute gibt es im Nordosten<br />

des Landes rund 20000 Grillenzü<strong>ch</strong>ter.»<br />

Die Larven werden in<br />

Gehege gelegt, und die s<strong>ch</strong>lüpfenden<br />

Grillen se<strong>ch</strong>s Wo<strong>ch</strong>en<br />

lang gefüttert, bis sie die nötige<br />

Grösse errei<strong>ch</strong>t haben. Die<br />

Na<strong>ch</strong>frage in der Hauptstadt ist<br />

markant angestiegen, seit die<br />

Zu<strong>ch</strong>tbetriebe für regelmässigen<br />

Na<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ub sorgen. Allerdings<br />

werden die Insektenzu<strong>ch</strong>ten von<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Krankheiten<br />

heimgesu<strong>ch</strong>t, gegen die die<br />

Bauern kaum etwas ausri<strong>ch</strong>ten<br />

können. «In diesem Berei<strong>ch</strong> gibt<br />

es no<strong>ch</strong> keine Spezialisten. Der<br />

Beruf ist neu, wir müssen ihn<br />

‹on the job› lernen», sagt eine<br />

der Zü<strong>ch</strong>terinnen.<br />

Afrikanis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>uhe auf der<br />

Überholspur<br />

(jls) 2005 hat die Äthiopierin<br />

Bethlehem Tilahun Alemu in<br />

Zenabwork, einem Quartier<br />

am Rand von Addis Abeba,<br />

wo sie aufgewa<strong>ch</strong>sen ist, eine<br />

S<strong>ch</strong>uhfabrik eröffnet. Damals<br />

25-jährig, wollte sie der armen,<br />

unterprivilegierten Bevölkerung<br />

Arbeit vers<strong>ch</strong>affen. Die Handwerker<br />

vor Ort begannen,<br />

SoleRebels herzustellen, eine<br />

bunte Kollektion von Mokassins,<br />

Sandalen und Flip-Flops. Ras<strong>ch</strong><br />

fanden die angenehmen, ho<strong>ch</strong>wertigen<br />

und vollständig von<br />

Hand mit lokalem Material<br />

gefertigten S<strong>ch</strong>uhe gar eine<br />

internationale Kunds<strong>ch</strong>aft.<br />

Inzwis<strong>ch</strong>en werden SoleRebels<br />

in fünf Dutzend Länder<br />

exportiert, hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> über<br />

Online-Händler. Die Marke hat<br />

Ges<strong>ch</strong>äfte in Addis Abeba, Wien<br />

und Taiwan eröffnet, und die<br />

Fabrik bes<strong>ch</strong>äftigt 420 Personen,<br />

120 davon vollzeit. «Wir haben<br />

im Rahmen unserer Gemeinde<br />

<strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> ges<strong>ch</strong>affen, indem<br />

wir hunderte kreativer und gut<br />

SoleRebels<br />

bezahlter Arbeitsplätze ges<strong>ch</strong>affen<br />

haben», unterstrei<strong>ch</strong>t<br />

Bethlehem Tilahun. «SoleRebels<br />

ist die erste weltweit bekannte<br />

S<strong>ch</strong>uhmarke, die aus einem<br />

Entwicklungsland stammt.»<br />

www.solerebelsfootwear.co<br />

Bald ausgemerzt<br />

(bf) Die Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO meldet<br />

Forts<strong>ch</strong>ritte bei der Bekämpfung<br />

von 17 verna<strong>ch</strong>lässigten Tropenkrankheiten.<br />

Weltweit sind davon<br />

eine Milliarde Mens<strong>ch</strong>en<br />

betroffen. Zwei Krankheiten<br />

dürften demnä<strong>ch</strong>st gar ausgemerzt<br />

sein: 2015 der seit dem<br />

Altertum bekannte Guineawurm,<br />

der zu Ges<strong>ch</strong>würen<br />

führt und vor allem no<strong>ch</strong> im<br />

Südsudan vorkommt. Und 2020<br />

die Himbeerseu<strong>ch</strong>e, eine von<br />

Bakterien verursa<strong>ch</strong>te Infektion,<br />

die Haut und Kno<strong>ch</strong>en befällt.<br />

Das Denguefieber hingegen ist<br />

auf dem Vormars<strong>ch</strong>. 2010 trat es<br />

auf allen Kontinenten auf. Rund<br />

zwei Millionen Mens<strong>ch</strong>en in<br />

über 100 Ländern erkrankten<br />

und rund 6000 Mens<strong>ch</strong>en starben<br />

daran. Gemäss Lorenzo<br />

Savioli von der WHO erhielten<br />

im Rahmen einer globalen<br />

Strategie jährli<strong>ch</strong> 711 Millionen<br />

Mens<strong>ch</strong>en eine präventive<br />

Behandlung gegen einige dieser<br />

Tropenkrankheiten. Diese Zahl<br />

müsse bis 2020 verdoppelt<br />

werden. Zusätzli<strong>ch</strong> zu den bis<br />

dahin garantierten Spenden der<br />

Pharmaindustrie (jährli<strong>ch</strong> 1,4<br />

Milliarden Behandlungen) sind<br />

laut WHO jedo<strong>ch</strong> 2 Milliarden<br />

Dollar nötig, damit bis 2015 alle<br />

Betroffenen behandelt werden<br />

können.<br />

www.who.org (tropical diseases)<br />

4<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Zei<strong>ch</strong>nung von Jean Augagneur<br />

Mehr Rentner als Kinder<br />

(bf) Bis ins Jahr 2050 wird si<strong>ch</strong><br />

laut einem Beri<strong>ch</strong>t der UNO<br />

der Anteil der über 60-Jährigen<br />

auf über 2 Milliarden verdoppeln.<br />

Erstmals werden dann<br />

mehr Senioren als unter 15-<br />

Jährige die Erde bevölkern. Dass<br />

die Mens<strong>ch</strong>en immer älter werden,<br />

führt der Beri<strong>ch</strong>t auf eine<br />

verbesserte Gesundheit ganz allgemein<br />

sowie auf bessere sozioökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Bedingungen<br />

zurück. 64 Prozent aller älteren<br />

Mens<strong>ch</strong>en leben heute in weniger<br />

entwickelten Regionen. Bis<br />

ins Jahr 2050 wird dieser Anteil<br />

auf gegen 80 Prozent steigen,<br />

was insbesondere die Entwicklungsländer<br />

vor riesige Herausforderungen<br />

stellen wird.<br />

Kranken- und Pensionsversi<strong>ch</strong>erungen<br />

werden vermehrt<br />

Christoph Goedan/laif<br />

beanspru<strong>ch</strong>t und Gesundheits-,<br />

Pflege- und Rentensysteme<br />

müssen neu aufgebaut oder<br />

strukturiert werden. «Darüber<br />

hinaus sind die Politik und die<br />

Öffentli<strong>ch</strong>keit gefordert, die<br />

soziale Integration sowie generationenübergreifendes<br />

Denken<br />

voranzutreiben», sagt Ulri<strong>ch</strong><br />

Reinhardt, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Leiter der Stiftung für<br />

Zukunftsfragen in Hamburg.<br />

www.un.org (Global Issues, Ageing)<br />

Fris<strong>ch</strong>haltepapier<br />

(gn) Ein trüber Gewürztrank<br />

bewahrte die S<strong>ch</strong>ülerin Kavita<br />

Shukla vor Bau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>merzen, als<br />

sie während den Ferien bei ihrer<br />

Grossmutter in Indien ungefiltertes<br />

Wasser getrunken hatte.<br />

Zurück in den USA, ging das<br />

Mäd<strong>ch</strong>en der Sa<strong>ch</strong>e auf den<br />

Grund und fand heraus, dass<br />

die Kräutermixtur Essenzen<br />

enthielt, die das Wa<strong>ch</strong>stum von<br />

Pilzen und Bakterien beeinträ<strong>ch</strong>tigen.<br />

Daraus entwickelte<br />

die junge Frau, mittlerweile<br />

hatte sie die S<strong>ch</strong>ule abges<strong>ch</strong>lossen,<br />

ein raffiniertes Produkt, mit<br />

dem sie in den USA bereits vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Preise abgeräumt hat:<br />

FreshPaper ist ni<strong>ch</strong>ts anderes als<br />

ein mit einem Kräuterelixier<br />

bespraytes Stück Papier, das die<br />

Haltbarkeit von Lebensmitteln<br />

verdoppeln bis vervierfa<strong>ch</strong>en<br />

soll. Einfa<strong>ch</strong> in Herstellung und<br />

Handhabung, so die Jungunternehmerin<br />

Kavita Shukla, könnte<br />

das «Wunderpapier» künftig<br />

au<strong>ch</strong> in Entwicklungsländern<br />

eingesetzt werden, wo es oft<br />

an Kühlungsmögli<strong>ch</strong>keiten für<br />

verderbli<strong>ch</strong>e Produkte fehlt.<br />

www.fenugreen.com<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 5


Neue Geber – andere Muster<br />

Die Verteilung ökonomis<strong>ch</strong>er und politis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t ändert<br />

si<strong>ch</strong> ständig. Das wirkt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die Entwicklungszusammenarbeit<br />

aus. Seit rund einem Jahrzehnt werden neben<br />

den bisher dominierenden OECD-Staaten au<strong>ch</strong> immer mehr<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer wie Brasilien, Indien oder Südafrika zu bedeutenden<br />

Geberländern. Dadur<strong>ch</strong> entstehen neue Dynamiken<br />

und Spielregeln. Von Mirella Wepf.<br />

D O S S I E R<br />

Beim Aufbau seiner Verkehrsinfrastruktur kann Banglades<strong>ch</strong>, unter anderem in seiner Hauptstadt Dhaka, auf die<br />

Unterstützung von Indien zählen<br />

6<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

Indien ist seit 2002 eines der zehn wi<strong>ch</strong>tigsten Geberländer<br />

für Entwicklungsprojekte in Afghanistan,<br />

unterstützt Verkehrsinfrastruktur in Banglades<strong>ch</strong>,<br />

den Häuserbau für Flü<strong>ch</strong>tlinge in Sri Lanka,<br />

Wasserkraftwerke in Bhutan und vieles mehr.<br />

Brasilien investiert in Burkina Faso in die Stärkung<br />

des Gesundheitssystems und hilft mit, ein System<br />

für die Aids-Prävention aufzubauen. Ausserdem<br />

gewährt es in Angola, Ghana oder Mosambik Kredite<br />

für Infrastrukturprojekte in den Berei<strong>ch</strong>en<br />

Transport, Kommunikation und Energiegewinnung.<br />

Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Regierung hat seit 2005 mehr<br />

als 1000 südsudanesis<strong>ch</strong>en Diplomaten, Ri<strong>ch</strong>tern<br />

und anderen Funktionären Weiterbildungen angeboten.<br />

Sambia erhielt von Südafrika einen Kredit<br />

von einer Viertelmillion US-Dollar für den Bau<br />

von fünf bedeutenden Strassen; Swasiland, Sudan<br />

und andere afrikanis<strong>ch</strong>e Staaten bekamen Unterstützung<br />

im Berei<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ulwesen...<br />

«Seit rund zehn Jahren ist deutli<strong>ch</strong> spürbar, dass<br />

diese Länder eine tragende Rolle übernehmen»,<br />

erklärt Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, Sonderbeauftragter für<br />

globale na<strong>ch</strong>haltige Entwicklung post 2015. Am<br />

Entwurf der bundesrätli<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft über die<br />

internationale Zusammenarbeit 2013 bis 2016 arbeitete<br />

er massgebli<strong>ch</strong> mit.<br />

Die Bots<strong>ch</strong>aft gilt als strategis<strong>ch</strong>e Leitlinie für die<br />

DEZA und wurde vom Parlament im Herbst 2012<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet. «Die Rolle der S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

fand zwar s<strong>ch</strong>on in den früheren Südbots<strong>ch</strong>aften<br />

Jens S<strong>ch</strong>warz/laif<br />

Die Süd-Süd-Zusammenarbeit nimmt zu<br />

All die Beispiele entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t unbedingt<br />

dem Bild, das man in westli<strong>ch</strong>en Ländern von diesen<br />

S<strong>ch</strong>wellenländern hat. Dies au<strong>ch</strong> deshalb, weil<br />

man glei<strong>ch</strong>zeitig weiss, dass in Indien selbst nahezu<br />

30 Prozent der Bevölkerung unter der <strong>Armut</strong>sgrenze<br />

leben – in Brasilien sind es mehr als<br />

20 Prozent. Südafrika hat ebenfalls mit grossen <strong>Armut</strong>sproblemen<br />

und hoher Arbeitslosigkeit zu<br />

kämpfen.<br />

Und do<strong>ch</strong>: Die Entwicklungszusammenarbeit<br />

wird immer stärker von Staaten geprägt, die vor<br />

kurzem no<strong>ch</strong> selber als Entwicklungsländer galten<br />

oder seit geraumer Zeit den Status von<br />

S<strong>ch</strong>wellenländern errei<strong>ch</strong>t haben. Zu den wi<strong>ch</strong>tigsten<br />

unter ihnen zählen neben den bereits genannten<br />

insbesondere au<strong>ch</strong> China und Russland.<br />

2011 haben si<strong>ch</strong> diese fünf aufstrebenden Wirts<strong>ch</strong>aftsmä<strong>ch</strong>te<br />

zu den BRICS-Staaten zusammenges<strong>ch</strong>lossen<br />

(siehe Randspalte S. 9).<br />

Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Südkorea, die Türkei, Thailand und<br />

weitere S<strong>ch</strong>wellenländer gewinnen an Stärke und<br />

beeinflussen zunehmend die Gestaltung der globalen<br />

Wirts<strong>ch</strong>afts- und Entwicklungspolitik. Der<br />

Anteil der Süd-Süd-Zusammenarbeit an der weltweiten<br />

Öffentli<strong>ch</strong>en Entwicklungshilfe steigt denn<br />

au<strong>ch</strong> rasant. Laut einem Beri<strong>ch</strong>t der UN-Hauptabteilung<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und Soziale Angelegenheiten<br />

(DESA) von 2010, lag er 2008 bei 9,5 Prozent.<br />

Andere S<strong>ch</strong>ätzungen gehen bereits von rund<br />

30 Prozent aus.<br />

Folgen für die S<strong>ch</strong>weiz<br />

Das Erstarken der S<strong>ch</strong>wellenländer hat au<strong>ch</strong> konkrete<br />

Auswirkungen auf die Arbeit der DEZA.<br />

Bruno Morandi/laif<br />

Rund ein Drittel von Russlands Entwicklungshilfebudget von über einer halben Milliarde US-Dollar<br />

im Jahr wird für Projekte in Osteuropa und zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten (oben Usbekistan) eingesetzt<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 7


Sven Torfinn/laif<br />

Brasilien unterstützt in Ghana den Kommunikationsberei<strong>ch</strong>...<br />

5 Fragen an DEZA-Vizedirektor Mi<strong>ch</strong>el Mordasini<br />

Wird jetzt alles anders?<br />

«Eine Welt»: S<strong>ch</strong>wellenländer binden ihre<br />

Entwicklungszusammenarbeit oft an politis<strong>ch</strong>e<br />

und ökonomis<strong>ch</strong>e Eigeninteressen. Wird<br />

die DEZA dies künftig au<strong>ch</strong> stärker tun?<br />

Mi<strong>ch</strong>el Mordasini: Nein. Die Art und Weise wie<br />

wir arbeiten ist bereits in unserem Eigeninteresse.<br />

Unsere Leistungen sind ein Beitrag für na<strong>ch</strong>haltige<br />

Entwicklung und zur Verminderung globaler<br />

Risiken wie der Wasserkrise. Geht es anderen Staaten<br />

gut, dient dies der S<strong>ch</strong>weiz. Zudem können wir<br />

unsere Werte und unser Know-how auf globaler<br />

Ebene einbringen – etwa im Berei<strong>ch</strong> Klimas<strong>ch</strong>utz.<br />

Was ändert si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Aufkommen der<br />

neuen Akteure für die DEZA?<br />

Wir müssen unsere Arbeit seit jeher immer wieder<br />

an neue Umstände anpassen. Wir haben einen<br />

eindrückli<strong>ch</strong>en Leistungsausweis in traditioneller<br />

Entwicklungszusammenarbeit. Diese wollen wir<br />

weiter pflegen, ergänzen sie aber fortlaufend mit<br />

neuen Arbeitsweisen, wie den thematis<strong>ch</strong>en Globalprogrammen<br />

oder trilateralen Projekten. Immer<br />

häufiger kooperieren wir au<strong>ch</strong> mit Weltkonzernen.<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e ist: Die Globalisierung ma<strong>ch</strong>t unsere Arbeit<br />

komplexer.<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer vertreten punkto Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

ni<strong>ch</strong>t immer dieselbe Haltung<br />

wie die S<strong>ch</strong>weiz. Trotzdem arbeiten Sie mit<br />

ihnen zusammen.<br />

Gegenfrage: Soll man draussen stehen und zus<strong>ch</strong>auen,<br />

oder versu<strong>ch</strong>en in Kontakt zu bleiben und<br />

etwas zu bewirken?<br />

Mit wel<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wellenländern arbeitet die<br />

DEZA hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>?<br />

8<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

Erwähnung, aber in viel geringerem Umfang»,<br />

meint Gerber. Er ist überzeugt, dass der Stellenwert<br />

dieser Länder weiter zunehmen wird. Die<br />

S<strong>ch</strong>weiz kooperiert mit ihnen auf vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Ebenen: im Rahmen der Globalprogramme, in<br />

multilateralen Organisationen sowie dur<strong>ch</strong> trilaterale<br />

Zusammenarbeit, bei der sie si<strong>ch</strong> mit einem<br />

S<strong>ch</strong>wellenland für Entwicklungsprojekte in einem<br />

Drittland zusammentut.<br />

Forcierte Zusammenarbeit bei globalen<br />

Herausforderungen<br />

Klimawandel, Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit, Wasserknappheit,<br />

Migration und instabile Finanzmärkte<br />

sind globale Herausforderungen, die ni<strong>ch</strong>t allein<br />

über nationale Gesetze und Massnahmen gelöst<br />

werden können. Sie erfordern grenzübers<strong>ch</strong>reitende<br />

Lösungen.<br />

Arme Bevölkerungsgruppen und Länder sind den<br />

Folgen dieser Risiken besonders ausgesetzt. Deshalb<br />

hat die DEZA – in Ergänzung zu traditionellen<br />

Formen der internationalen Zusammenarbeit<br />

– strategis<strong>ch</strong>e Globalprogramme zu diesen<br />

Themen ins Leben gerufen. Dabei forciert sie<br />

au<strong>ch</strong> die Kooperation mit S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />

Denn mit ihrem überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Wa<strong>ch</strong>stum<br />

erhöhen diese die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> Rohstoffen<br />

sowie na<strong>ch</strong> Nahrungsmitteln und konkurrieren<br />

mit der lokalen Konsumgüterproduktion in<br />

Entwicklungsländern. Darüber hinaus haben die<br />

<strong>Wenn</strong> si<strong>ch</strong> gute Gelegenheiten für thematis<strong>ch</strong>e<br />

Partners<strong>ch</strong>aften bieten, sind wir sehr offen und flexibel.<br />

China ist einer der wi<strong>ch</strong>tigsten Partner punkto<br />

Klimawandel. Au<strong>ch</strong> mit Indien sind wir stark<br />

vernetzt. Länder wie Kolumbien und Peru nehmen<br />

ebenfalls an Bedeutung zu.<br />

Wel<strong>ch</strong>es sind die Stärken der S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit?<br />

In den Berei<strong>ch</strong>en Wasser, Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit<br />

und Klimas<strong>ch</strong>utz hat die S<strong>ch</strong>weiz viel Expertise zu<br />

bieten. Dur<strong>ch</strong> ihre langjährige Erfahrung ist die<br />

DEZA eine gefragte Brückenbauerin, au<strong>ch</strong> wenn<br />

wir ni<strong>ch</strong>t alle Vorhaben selber finanzieren. ■<br />

REA/laif<br />

Paul Hahn/laif<br />

...und hilft in Burkina Faso mit, ein System für die Aids-<br />

Prävention aufzubauen<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer dur<strong>ch</strong> ihren wa<strong>ch</strong>senden Konsum<br />

und die zunehmende Industrialisierung einen<br />

immer grösseren Einfluss auf das Klima.<br />

Au<strong>ch</strong> in den internationalen Organisationen<br />

nimmt der Einfluss der S<strong>ch</strong>wellenländer stetig zu.<br />

Dies ni<strong>ch</strong>t zuletzt aufgrund der wa<strong>ch</strong>senden finanziellen<br />

Beiträge, wel<strong>ch</strong>e sie an diese Institu-<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz weist unter anderem im Berei<strong>ch</strong> Wasser<br />

eine hohe Kompetenz und viel Expertise auf<br />

Die BRICS-Staaten<br />

Der Name BRIC – für<br />

Brasilien, Russland, Indien<br />

und China – war 2001<br />

vom Goldman Sa<strong>ch</strong>s-<br />

Strategen Jim O'Neill als<br />

Analysekonzept für die<br />

Zukunftsmärkte ges<strong>ch</strong>affen<br />

worden. Sieben Jahre<br />

später, am Rande eines<br />

Treffens von China, Indien<br />

und Russland, wurde daraus<br />

ein konkreter Plan.<br />

Gemeinsam mit Brasilien<br />

kam es 2009 zum ersten<br />

der jährli<strong>ch</strong>en Gipfeltreffen.<br />

Seit 2011 ist au<strong>ch</strong><br />

Südafrika Mitglied der<br />

Gruppierung. Von der<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftskraft her kann<br />

es si<strong>ch</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t mit den<br />

vier anderen messen, aber<br />

als einziger und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

stärkster Staat Afrikas<br />

ist Südafrika strategis<strong>ch</strong><br />

von grosser Bedeutung.<br />

Vergli<strong>ch</strong>en mit anderen<br />

multilateralen Gremien ist<br />

die BRICS-Allianz jedo<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> wenig institutionalisiert.<br />

Lange wiesen die<br />

BRICS-Länder ein enormes<br />

Wa<strong>ch</strong>stum von 5 bis<br />

10 Prozent auf. Derzeit<br />

spüren allerdings au<strong>ch</strong> sie<br />

die Wirts<strong>ch</strong>aftskrise.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 9


Tadej Znidarcic/Redux/laif<br />

Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit ist eine der globalen Herausforderungen – hier ein Reisfeld in Banglades<strong>ch</strong> – wel<strong>ch</strong>e grenzübers<strong>ch</strong>reitende<br />

Lösungen erfordern<br />

Landraus<strong>ch</strong><br />

Landwirts<strong>ch</strong>aftsland in<br />

Entwicklungsländern wird<br />

international gehandelt.<br />

Die wi<strong>ch</strong>tigsten Investoren<br />

kommen aus China, Indien<br />

oder Saudiarabien, aber<br />

au<strong>ch</strong> aus dem Norden.<br />

Do<strong>ch</strong> «Land Grabbing»<br />

(Landnahme) birgt grosse<br />

Gefahren für die Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit.<br />

Studien<br />

zeigen, dass der Erwerb<br />

von Land oft in Regionen<br />

mit hoher Bevölkerungsdi<strong>ch</strong>te<br />

stattfindet, und<br />

dass fast die Hälfte der<br />

Flä<strong>ch</strong>en bereits landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

genutzt wurde.<br />

Dies bedeutet, dass die<br />

ausländis<strong>ch</strong>en Investoren<br />

mit lokalen Kleinbauern<br />

konkurrenzieren. Au<strong>ch</strong><br />

Wasserreserven werden<br />

oft gefährdet, da für die<br />

Bewässerung grosser<br />

Flä<strong>ch</strong>en die Quellen teils<br />

überbeanspru<strong>ch</strong>t werden.<br />

www.fao.org (tenure voluntary<br />

guidelines)<br />

tionen bezahlen. Insofern lohnt si<strong>ch</strong> eine gute Zusammenarbeit<br />

auf thematis<strong>ch</strong>er Ebene mit diesen<br />

Nationen, um auf internationaler Ebene sozial,<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> und ökologis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>haltige Ents<strong>ch</strong>eide<br />

zu erwirken. «Bei der Erarbeitung sol<strong>ch</strong>er<br />

Abkommen», sagt Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, «kann au<strong>ch</strong> ein<br />

kleiner Staat wie die S<strong>ch</strong>weiz eine prägende Wirkung<br />

entfalten.»<br />

Ein aktuelles Beispiel, das insbesondere für Entwicklungsländer<br />

eine zukunftsträ<strong>ch</strong>tige Rolle<br />

spielt, sind die freiwilligen Ri<strong>ch</strong>tlinien zur Nutzung<br />

von Land, Wald und Fis<strong>ch</strong>gründen. Das Komitee<br />

für Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit hat diese im Mai<br />

2012 in Rom verabs<strong>ch</strong>iedet. Die S<strong>ch</strong>weizer Delegation<br />

war an deren Ausarbeitung massgebli<strong>ch</strong><br />

mitbeteiligt. Die Ri<strong>ch</strong>tlinien sind ein erster<br />

S<strong>ch</strong>ritt, um den globalen Handel mit fru<strong>ch</strong>tbarem<br />

Ackerland in kontrolliertere Bahnen zu lenken.<br />

Neue Spielregeln, neue Gremien<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer sind jedo<strong>ch</strong> mehr als bloss einfa<strong>ch</strong><br />

neue Geldquellen. «Sie agieren anders als traditionelle<br />

Anbieter von Entwicklungszusammen-<br />

arbeit und ihre Normen unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>»,<br />

stellt die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin<br />

Elizabeth Sidiropoulos fest. Sie gilt als<br />

Expertin für S<strong>ch</strong>wellenländer, die Entwicklungszusammenarbeit<br />

leisten und kennt insbesondere<br />

das Engagement Südafrikas bestens. «Während<br />

westli<strong>ch</strong>e Länder eher altruistis<strong>ch</strong>e Motive in den<br />

Vordergrund stellen, haben aufstrebende Länder<br />

aus dem Süden und Osten weniger Hemmungen,<br />

ihren Beitrag explizit mit Eigeninteressen zu verknüpfen,<br />

da dabei Win-Win-Situationen für alle<br />

entstehen.»<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Gerber bestätigt diese Feststellung: «Für<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer, die au<strong>ch</strong> im eigenen Land mit<br />

grossen <strong>Armut</strong>sproblemen zu kämpfen haben,<br />

wäre ein rein humanitäres Engagement im Ausland<br />

innenpolitis<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wer zu vertreten.»<br />

Laut Sidiropoulos binden die neuen Geber ihre<br />

Leistungen zudem weniger stark an Forderungen<br />

wie beispielsweise stärkere demokratis<strong>ch</strong>e Strukturen<br />

oder die Einhaltung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im<br />

Empfängerland: «Sie gewi<strong>ch</strong>ten die nationale<br />

10<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

Carlos Litulo/Redux/laif<br />

Einer der grössten Geldgeber in Mosambik ist China, wel<strong>ch</strong>es im östli<strong>ch</strong>en Afrika grosszügig in Infrastrukturprojekte<br />

investiert<br />

Souveränität ihrer Partnerländer in der Tendenz<br />

höher.»<br />

Als dritten bedeutenden Unters<strong>ch</strong>ied nennt die<br />

Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin die Herangehensweisen<br />

bezügli<strong>ch</strong> Transparenz, Evaluation und Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t<br />

bei der Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Ein wi<strong>ch</strong>tiges Forum dafür ist der Entwicklungsauss<strong>ch</strong>uss<br />

DAC der Organisation für wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

OECD.<br />

Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Haltungen<br />

In diesem Auss<strong>ch</strong>uss arbeiten die grossen traditionellen<br />

Geberländer zusammen, um die Wirksamkeit<br />

ihrer gemeinsamen Anstrengungen zu steigern<br />

und ihre Arbeit zu koordinieren. Die BRICS-<br />

Staaten und die meisten anderen S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

bewegen si<strong>ch</strong> bisher ausserhalb dieser Strukturen.<br />

Dies teilweise sehr bewusst, weil das Gremium unter<br />

anderem zu westli<strong>ch</strong> und von rei<strong>ch</strong>en Staaten<br />

dominiert sei.<br />

«Do<strong>ch</strong> die neuen Akteure vertreten ni<strong>ch</strong>t alle die<br />

genau glei<strong>ch</strong>e Haltung», konstatiert Elizabeth<br />

Sidiropoulos. So ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> einige die Verpfli<strong>ch</strong>tungen<br />

und Ziele der Paris Deklaration des<br />

DAC und die Accra Agenda for Action dur<strong>ch</strong>aus<br />

zu eigen.<br />

Einen Wendepunkt für die verbesserte Zusammenarbeit<br />

alter und neuer Akteure – darunter au<strong>ch</strong><br />

grosse private wie beispielsweise die milliardens<strong>ch</strong>were<br />

Bill & Melinda Gates Foundation – hat<br />

das Weltforum zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit<br />

von 2011 im südkoreanis<strong>ch</strong>en<br />

Busan gebra<strong>ch</strong>t: Zum Abs<strong>ch</strong>luss der dreitägigen<br />

Debatte konnte man si<strong>ch</strong> auf einen gemeinsamen<br />

Rahmen für das zukünftige Vorgehen<br />

einigen.<br />

Denno<strong>ch</strong>, so Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, «wird es in den<br />

nä<strong>ch</strong>sten Jahren eine grosse Herausforderung bleiben,<br />

die vers<strong>ch</strong>iedenen Akteure auf internationaler<br />

Ebene mögli<strong>ch</strong>st effizient zusammenzubringen<br />

und die vers<strong>ch</strong>iedenen Si<strong>ch</strong>tweisen unter einen<br />

Hut zu bringen.» ■<br />

Konferenz von Busan<br />

Eigenverantwortung,<br />

Harmonisierung, Transparenz,<br />

Ergebnisorientierung<br />

und gegenseitige Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t<br />

waren die<br />

Hauptthemen des 4. Weltforums<br />

zur Wirksamkeit<br />

der Entwicklungszusammenarbeit<br />

von 2011 in<br />

Busan. Seit einigen Jahren<br />

treten in der Entwicklungszusammenarbeit<br />

neue<br />

Akteure auf, darunter<br />

S<strong>ch</strong>wellenländer sowie<br />

gewi<strong>ch</strong>tige private Institutionen.<br />

In Busan einigten<br />

si<strong>ch</strong> alle Beteiligten – traditionelle<br />

Geber, Süd-Süd-<br />

Kooperationen, S<strong>ch</strong>wellenländer,<br />

Zivilgesells<strong>ch</strong>aft und<br />

private Stiftungen – auf<br />

eine gemeinsame Erklärung,<br />

um die Wirksamkeit<br />

ihrer Arbeit zu erhöhen.<br />

Entspre<strong>ch</strong>end muss au<strong>ch</strong><br />

die S<strong>ch</strong>weiz einen Aktionsplan<br />

erarbeiten, um ihre<br />

Verpfli<strong>ch</strong>tungen gegenüber<br />

der neuen globalen<br />

Partners<strong>ch</strong>aft zu erfüllen.<br />

www.oecd.org (Busan)<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 11


Gemeinsam entwässern kommt günstiger<br />

In Nicaragua erhalten einige Städte ein besseres Abwassersystem.<br />

Brasilien liefert das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Know-how, die S<strong>ch</strong>weiz<br />

bringt ihre jahrzehntelange Erfahrung mit Wasserprojekten in<br />

Nicaragua sowie ihr Beziehungsnetz ein, und Nicaragua ist für<br />

institutionelle Reformen und Kapazitätsaufbau verantwortli<strong>ch</strong>.<br />

Ein Beispiel für die Zusammenarbeit bei trilateralen Kooperationen.<br />

Kühls<strong>ch</strong>rank-Recycling<br />

Vereinzelt engagiert si<strong>ch</strong><br />

die DEZA au<strong>ch</strong> in Brasilien<br />

selbst. Dur<strong>ch</strong> das Globalprogramm<br />

Klimawandel<br />

wird etwa ein Pionierprojekt<br />

zum Recycling von<br />

Kühls<strong>ch</strong>ränken unterstützt.<br />

In zahlrei<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wellenund<br />

Entwicklungsländern<br />

werden alte Kühls<strong>ch</strong>ränke<br />

vers<strong>ch</strong>rottet, so dass klimas<strong>ch</strong>ädigende<br />

Fluor<strong>ch</strong>lorkohlenwasserstoffe<br />

freigesetzt<br />

werden. Die erste<br />

Entsorgungsanlage wurde<br />

2010 im Bundesstaat São<br />

Paulo in Betrieb genommen<br />

und bringt Verbesserungen<br />

im ökologis<strong>ch</strong>en,<br />

sozialen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Berei<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> ihre<br />

Finanzierung ist na<strong>ch</strong>haltig,<br />

weil sie auf dem Markt<br />

Klimazertifikate an Unternehmen<br />

verkaufen kann,<br />

die ihre CO2-Emissionen<br />

kompensieren wollen.<br />

Das DEZA-Projekt trägt<br />

der Tatsa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung,<br />

dass der Klimas<strong>ch</strong>utz im<br />

Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit<br />

immer<br />

wi<strong>ch</strong>tiger wird und Brasilien<br />

als grösste Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />

Lateinamerikas bei der<br />

Ausarbeitung regionaler<br />

und internationaler Lösungen<br />

eine bedeutende Rolle<br />

spielt.<br />

DEZA (2)<br />

(mw) Na<strong>ch</strong> Haiti ist Nicaragua das zweitärmste<br />

Land Lateinamerikas. Sein Bruttoinlandprodukt<br />

pro Kopf lag laut Weltbank 2011 etwas unter 1300<br />

US-Dollar, das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e lag im Verglei<strong>ch</strong><br />

dazu bei rund 80000 Dollar. Die DEZA engagiert<br />

si<strong>ch</strong> bereits seit über 30 Jahren im zentralamerikanis<strong>ch</strong>en<br />

«Land der tausend Vulkane».<br />

Neben der Förderung von kleinen und mittleren<br />

Unternehmen und Projekten im Berei<strong>ch</strong> Gouvernanz<br />

und öffentli<strong>ch</strong>er Haushalt fokussiert si<strong>ch</strong><br />

die Zusammenarbeit heute stark auf die Unterstützung<br />

von lokalen öffentli<strong>ch</strong>en Dienstleistungen<br />

und auf Infrastrukturprojekte. Ein wi<strong>ch</strong>tiger<br />

S<strong>ch</strong>werpunkt liegt dabei im Berei<strong>ch</strong> Trinkwasser,<br />

Abwasserentsorgung und Hygiene. Dur<strong>ch</strong> das<br />

langjährige Engagement der S<strong>ch</strong>weiz sind unterdessen<br />

ein stabiles Beziehungsnetz und ein grosser<br />

Erfahrungss<strong>ch</strong>atz entstanden.<br />

Hilfe für kleinere und mittlere Städte<br />

Im Februar 2011 ents<strong>ch</strong>ied das Bundesparlament,<br />

den Beitrag für Entwicklungshilfe zu erhöhen, um<br />

ihn innert fünf Jahren auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandeinkommens<br />

zu steigern. «In Nicaragua<br />

wollten wir die zusätzli<strong>ch</strong>en Mittel speziell für innovative<br />

Projekte verwenden», sagt Hubert Eisele,<br />

Leiter des DEZA-Kooperationsbüros in Managua.<br />

Während grössere Städte für die Erstellung eines<br />

Abwassersystems relativ lei<strong>ch</strong>t an Mittel kommen,<br />

sind kleinere Städte mit bis zu 10000 Einwohnern<br />

aufgrund der hohen Pro-Kopf-Kosten oft ni<strong>ch</strong>t<br />

Um die prekären Abwasserverhältnisse in kleineren<br />

Städten in Nicaragua zu lösen, arbeitet das zentralamerikanis<strong>ch</strong>e<br />

Land mit der S<strong>ch</strong>weiz und Brasilien (unten) zusammen<br />

kreditwürdig. «Die S<strong>ch</strong>weiz ist das einzige Land,<br />

das si<strong>ch</strong> nun in dieser Nis<strong>ch</strong>e engagiert», so Eisele.<br />

Teilweise ges<strong>ch</strong>ieht dies au<strong>ch</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit dem S<strong>ch</strong>wellenland Brasilien. «Im Rahmen eines<br />

Projekts verfolgen wir unter anderem das Ziel,<br />

in Pilotgemeinden ein günstigeres Abwassersystem<br />

zu erproben, um so au<strong>ch</strong> kleineren Städten den<br />

Zugang zu Krediten für die Abwasserentsorgung<br />

zu ermögli<strong>ch</strong>en.»<br />

Das System heisst «Alcantarillado condominial»<br />

(gemeinsames Abwassersystem), wurde in den<br />

80er-Jahren in Brasilien entwickelt und wird unterdessen<br />

au<strong>ch</strong> in anderen südamerikanis<strong>ch</strong>en Ländern<br />

erfolgrei<strong>ch</strong> eingesetzt. DEZA-Mitarbeiter<br />

Urs Hagnauer, operationeller Leiter der Wasserund<br />

Hygieneprojekte in Zentralamerika, bes<strong>ch</strong>reibt<br />

das Prinzip: «Im Gegensatz zu herkömmli<strong>ch</strong>en<br />

Kanalisationen werden die Leitungen weniger<br />

tief gelegt und näher beim Haus dur<strong>ch</strong>geführt.<br />

Ni<strong>ch</strong>t mitten auf der Strasse wie traditionelle<br />

Anlagen.» Das genaue Design werde lokal erarbeitet,<br />

wobei jedes Quartier (Cuadras oder Bloques)<br />

als eine eigene Einheit behandelt werde.<br />

«Daher kann man kleinere Rohre verwenden und<br />

bei den Ans<strong>ch</strong>lüssen Geld sparen.»<br />

12<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

DEZA (2)<br />

Mitbeteiligte Hausbesitzer<br />

Allerdings gilt es dabei einige Hürden zu nehmen.<br />

So kann es vorkommen, dass die Leitungen dur<strong>ch</strong><br />

den Garten des Na<strong>ch</strong>bars gelegt werden müssen.<br />

«Um Streitigkeiten zu vermeiden, ist es wi<strong>ch</strong>tig,<br />

dass die Bevölkerung von Anfang an in die Planung<br />

einbezogen ist.» Hinzu kommt, dass die Zuständigkeit<br />

bei diesem System ni<strong>ch</strong>t nur beim Wasserversorger,<br />

sondern au<strong>ch</strong> bei den Hausbesitzern<br />

liegt (lat. «condominium» bedeutet gemeinsamer<br />

Besitz). «Diese können kleinere Unterhaltsarbeiten<br />

selber vornehmen, was die Kosten zusätzli<strong>ch</strong><br />

senkt.»<br />

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass das<br />

Alcantarillado condominial etwa 40 Prozent günstiger<br />

ist als übli<strong>ch</strong>e Abwassersysteme. Die DEZA<br />

ist 2010 an einem Seminar zum Wassersektor in Perus<br />

Hauptstadt Lima auf das System gestossen. Damals<br />

stand die Besi<strong>ch</strong>tigung einer Gemeinde auf<br />

dem Programm, die über eine sol<strong>ch</strong>e Abwasserentsorgung<br />

verfügte. Weil das Konzept überzeugte,<br />

wurden daraufhin erste Kontakte zu brasilianis<strong>ch</strong>en<br />

Experten und dem brasilianis<strong>ch</strong>en Pendant<br />

der DEZA, der ABC (Agência Brasileira de Cooperação),<br />

geknüpft.<br />

Extrem motivierte Partner<br />

In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt werden nun in La Dalia und<br />

Ran<strong>ch</strong>o Grande sol<strong>ch</strong>e Systeme installiert. Dabei<br />

lernen nicaraguanis<strong>ch</strong>e Handwerker das System<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur Haushalte profitieren vom neuen Abwassersystem,<br />

au<strong>ch</strong> werden dafür extra lokale Handwerker (unten)<br />

ausgebildet<br />

praxisnah kennen. Ein erster Besu<strong>ch</strong> der brasilianis<strong>ch</strong>en<br />

Experten fand im Februar 2012 statt, damit<br />

sie si<strong>ch</strong> ein Bild der lokalen Gegebenheiten<br />

ma<strong>ch</strong>en konnten. «Die bisherige Zusammenarbeit<br />

läuft sehr gut», so Hubert Eisele. «Die Nicaraguaner<br />

und Brasilianer harmonieren sehr gut zusammen<br />

und beide Seiten sind extrem motiviert.»<br />

Die nicaraguanis<strong>ch</strong>en Behörden ihrerseits sind derzeit<br />

daran, den gesetzli<strong>ch</strong>en Rahmen auf nationaler<br />

und lokaler Ebene anzupassen, um das System<br />

gut umsetzen zu können. Die Kosten für das Projekt<br />

übernehmen zu 28 Prozent Nicaragua (1,3<br />

Mio. US-Dollar), zu knapp zwei Dritteln die<br />

S<strong>ch</strong>weiz (2,95 Mio.) und zu 7 Prozent Brasilien<br />

(0,3 Mio.).<br />

Für den S<strong>ch</strong>weizer Bots<strong>ch</strong>after in Brasilien, Wilhelm<br />

Meier, ist dieses Projekt ein Vorzeigebeispiel<br />

für trilaterale Zusammenarbeit: «Die Nutzung von<br />

Synergien und der Wissensaustaus<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>einen zu<br />

gelingen.» Dem stimmt au<strong>ch</strong> ABC-Direktor Fernando<br />

José Marroni de Abreu zu: «Die S<strong>ch</strong>weiz und<br />

Brasilien ergänzen einander gut.» Die S<strong>ch</strong>weiz<br />

verfüge über sehr lange Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />

während Brasilien erst<br />

seit zehn, zwölf Jahren in diesem Berei<strong>ch</strong> aktiv sei.<br />

Au<strong>ch</strong> die finanziellen Mittel Brasiliens seien no<strong>ch</strong><br />

bes<strong>ch</strong>ränkt, do<strong>ch</strong> sei viel fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Know-how<br />

vorhanden. «I<strong>ch</strong> denke, dass die S<strong>ch</strong>weiz und Brasilien<br />

ein grosses Potenzial für weitere trilaterale<br />

Kooperationen besitzen.» ■<br />

Auswanderungsland<br />

Nicaragua<br />

Laut dem UNO-Entwicklungsprogramm<br />

UNDP<br />

leben 48 Prozent der Bevölkerung<br />

Nicaraguas<br />

unter der <strong>Armut</strong>sgrenze,<br />

1,5 Millionen Mens<strong>ch</strong>en<br />

sind unterernährt, die<br />

Kindersterbli<strong>ch</strong>keit bei unter<br />

Fünfjährigen liegt bei<br />

31 von 1000 (S<strong>ch</strong>weiz<br />

4,4). Nicaragua weist zwar<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftswa<strong>ch</strong>stum auf,<br />

do<strong>ch</strong> gefährden Hurrikane,<br />

Erdbeben und neuerdings<br />

der Klimawandel immer<br />

wieder die errei<strong>ch</strong>ten<br />

Forts<strong>ch</strong>ritte. Umso wi<strong>ch</strong>tiger<br />

ist die Unterstützung<br />

dur<strong>ch</strong> andere Staaten. Eine<br />

bedeutende Einkommensquelle<br />

sind au<strong>ch</strong> die Geldüberweisungen<br />

der Emigranten.<br />

Gemäss der<br />

Zentralbank beliefen si<strong>ch</strong><br />

diese 2011 auf 911 Millionen<br />

US-Dollar, inoffizielle<br />

S<strong>ch</strong>ätzungen von Experten<br />

gehen jedo<strong>ch</strong> von einer<br />

weit höheren Summe aus.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 13


S<strong>ch</strong>utz vor Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbru<strong>ch</strong><br />

in West<strong>ch</strong>ina<br />

Um den weltweiten Klimawandel und seine Folgen in den Griff<br />

zu bekommen, brau<strong>ch</strong>t es eine enge Zusammenarbeit von armen<br />

und rei<strong>ch</strong>en Ländern. Au<strong>ch</strong> deshalb konzentriert si<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit ni<strong>ch</strong>t nur auf die ärmsten<br />

Länder, sondern au<strong>ch</strong> auf S<strong>ch</strong>wellenländer wie Indien, Peru<br />

oder China, wo S<strong>ch</strong>weizer und <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Spezialisten Hand<br />

in Hand arbeiten, um die Risiken von Flutwellen dur<strong>ch</strong> Glets<strong>ch</strong>erseen<br />

zu minimieren.<br />

Chinas CO2-Ausstoss<br />

Global stieg der CO2-<br />

Ausstoss 2011 um drei<br />

Prozent auf 34,7 Milliarden<br />

Tonnen. Während China im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zu 2010 ein Plus<br />

von knapp zehn Prozent<br />

und Indien einen Zuwa<strong>ch</strong>s<br />

um 7,5 Prozent verzei<strong>ch</strong>nete,<br />

sanken die Emissionen<br />

in der EU um 2,8<br />

Prozent und in den USA<br />

um 1,8 Prozent. Mehr als<br />

ein Viertel der globalen<br />

Emissionen gingen auf das<br />

Konto Chinas. Die USA<br />

waren für 16 Prozent des<br />

klimas<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>en CO2-<br />

Ausstosses verantwortli<strong>ch</strong>,<br />

die EU für elf Prozent,<br />

Indien für sieben Prozent.<br />

Der Pro-Kopf-Ausstoss<br />

zeigt jedo<strong>ch</strong> ein anderes<br />

Bild: In China lag dieser<br />

bei 6,6 Tonnen, also na<strong>ch</strong><br />

wie vor tiefer als in der EU<br />

(7,3), und deutli<strong>ch</strong> unter<br />

demjenigen der USA<br />

(17,2). In Indien lag er bei<br />

1,8 Tonnen. Ni<strong>ch</strong>t zu vergessen:<br />

China produziert<br />

zu einem grossen Teil für<br />

den Westen, der so seinen<br />

CO2-Ausstoss quasi auslagert.<br />

Geotest<br />

Die <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>-s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Kamelkarawane unterwegs zum Kyagar Glets<strong>ch</strong>ersee<br />

(mw) Das unbesiedelte Shaksgam-Tal liegt dort, wo<br />

si<strong>ch</strong> Fu<strong>ch</strong>s und Hase Gute Na<strong>ch</strong>t sagen, im westli<strong>ch</strong>sten<br />

Zipfel Chinas, unweit des A<strong>ch</strong>ttausenders<br />

K2. Ein vierköpfiges S<strong>ch</strong>weizer Expertenteam unter<br />

der Leitung der Firma Geotest brau<strong>ch</strong>te 20<br />

Tage, um auf dem Rücken von Kamelen den Kyagar-Glets<strong>ch</strong>er<br />

zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

Auf 4750 Metern Höhe dur<strong>ch</strong>quert dieser das Tal<br />

und staut wie ein natürli<strong>ch</strong>er Riegel einen Zufluss<br />

des Yarkant-Flusses. «Hinter dem Glets<strong>ch</strong>er bildet<br />

si<strong>ch</strong> immer wieder ein See», erklärt Geotest-Mitarbeiter<br />

Christoph Haemmig. Aktuell könnte dieser<br />

ein Volumen von 22 Millionen Kubikmetern<br />

errei<strong>ch</strong>en. Bre<strong>ch</strong>en die Wassermassen dur<strong>ch</strong> das Eis,<br />

kommt es im Yarkant-Becken zu Flutwellen, die<br />

na<strong>ch</strong> rund 22 Stunden 560 Kilometer talabwärts<br />

Oasensiedlungen in der Taklamakan-Wüste bedrohen,<br />

wo mehrheitli<strong>ch</strong> Uiguren leben.<br />

Ans<strong>ch</strong>auungsunterri<strong>ch</strong>t am<br />

Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er<br />

In den vergangenen zehn Jahren haben fünf Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbrü<strong>ch</strong>e<br />

ni<strong>ch</strong>t nur grosse S<strong>ch</strong>äden an<br />

der Infrastruktur angeri<strong>ch</strong>tet, sondern au<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>enleben<br />

gefordert. Ein Frühwarnsystem oder<br />

detaillierte Gefahrenkarten gab es für die rund 1<br />

Million Einwohnerinnen und Einwohner bisher<br />

ni<strong>ch</strong>t. Dank eines auf drei Jahre angelegten gemeinsamen<br />

Projekts der DEZA, des Bundesamts<br />

für Umwelt (BAFU), der Geotest AG, mehrerer<br />

S<strong>ch</strong>weizer Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen sowie Planat, der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Plattform für Naturgefahren, wird si<strong>ch</strong><br />

dies bis Ende 2013 ändern. Auf <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>er Seite<br />

sind ein halbes Dutzend nationale und regionale<br />

Institutionen am Projekt beteiligt.<br />

Das Vorhaben entstand unter anderem dank einer<br />

längjährigen fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und persönli<strong>ch</strong>en Bezie-<br />

14<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

hung zwis<strong>ch</strong>en BAFU-Vizedirektor Andreas Götz<br />

und dem <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Wasserminister Chen Lei.<br />

Dieser war vor seiner Berufung na<strong>ch</strong> Peking Leiter<br />

der Wasserbaubehörde in Xinjiang und als sol<strong>ch</strong>er<br />

mit den Überflutungen am Yarkant konfrontiert.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Besu<strong>ch</strong> einer <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Delegation<br />

mit Besi<strong>ch</strong>tigung des Monitorings am Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er<br />

im Berner Oberland, wo die Flutproblematik<br />

dur<strong>ch</strong> den Klimawandel zugenommen<br />

hat, wurde 2010 das Projekt am Yarkant lanciert.<br />

Die DEZA übernahm die Finanzierung und, aufgrund<br />

ihres Beziehungsnetzes im Land, die Umsetzung<br />

des Projekts.<br />

Intensive Zusammenarbeit mit China<br />

Der Bund kooperiert auf diversen Ebenen mit<br />

China. Im Umweltberei<strong>ch</strong> kam es 2009 zu einem<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Abkommen: Der damalige Umweltminister<br />

Moritz Leuenberger und Chen Lei vereinbarten<br />

eine Zusammenarbeit in den Berei<strong>ch</strong>en<br />

Na<strong>ch</strong>haltiges Wassermanagement, Naturgefahrenprävention<br />

sowie Klimawandel. Diese umfasst unter<br />

anderem einen Wissensaustaus<strong>ch</strong>, gegenseitige<br />

Arbeitsbesu<strong>ch</strong>e, gemeinsame Fors<strong>ch</strong>ungs- und Pilotprojekte<br />

sowie die Zusammenarbeit auf internationaler<br />

Ebene.<br />

Au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Entwicklungszusammenarbeit<br />

gibt es diverse Abkommen. So einigten si<strong>ch</strong><br />

die Aussenministerien der beiden Länder 2007 auf<br />

eine Absi<strong>ch</strong>tserklärung, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> einen Dialog<br />

zu Fragen der Entwicklungszusammenarbeit und<br />

der Humanitären Hilfe vorsieht. Und 2011 wurde<br />

eine sol<strong>ch</strong>e mit dem <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Handelsministerium<br />

unterzei<strong>ch</strong>net, die als Grundlage für Entwicklungszusammenarbeitsprojekte<br />

in bestimmten<br />

Gegenden Chinas und den entwicklungspolitis<strong>ch</strong>en<br />

Dialog dient.<br />

Für das DEZA-Globalprogramm Klimawandel<br />

gehört China zu den wi<strong>ch</strong>tigsten Partnern. Zum<br />

einen aufgrund seines weltweiten politis<strong>ch</strong>en Einflusses,<br />

zum anderen, weil es zu einem der grössten<br />

CO2-Emittenten geworden ist. Wie in anderen<br />

Partnerländern, versu<strong>ch</strong>t die DEZA au<strong>ch</strong> in China,<br />

die Entwicklung nationaler und regionaler Normen<br />

zu unterstützen und lanciert innovative Pilotprojekte,<br />

die im Idealfall andernorts repliziert<br />

werden können und glei<strong>ch</strong>zeitig Erkenntnisse liefern,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Politik beeinflussen.<br />

Geotest<br />

Die völlig autarke Messstation liefert seit September 2012<br />

tägli<strong>ch</strong> via Satellit Bilder vom Glets<strong>ch</strong>er und See sowie<br />

Klimadaten<br />

S<strong>ch</strong>weizer Satellitenspezialisten,<br />

<strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Geländemessungen<br />

Das Ho<strong>ch</strong>wasser- und Klima-Monitoring am Yarkant<br />

gehört zu diesen S<strong>ch</strong>lüsselprojekten. Im<br />

Herbst 2012 installierten die Experten beim See<br />

zwei Kameras sowie Messgeräte, wel<strong>ch</strong>e Temperatur,<br />

Luftfeu<strong>ch</strong>tigkeit und weitere Klimadaten messen.<br />

Der Wasserstand kann au<strong>ch</strong> über Satelliten beoba<strong>ch</strong>tet<br />

werden. «200 Kilometer flussabwärts haben<br />

wir Radarsensoren installiert, die bei einer<br />

Flutwelle auf den Mobiltelefonen der Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />

im Tal Alarm auslösen», erklärt Haemmig.<br />

Die Bewohner eines nahegelegenen tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

Dorfes bewa<strong>ch</strong>en und warten die Anlage. No<strong>ch</strong><br />

läuft die Datenübermittlung über S<strong>ch</strong>weizer Server.<br />

Bis Ende 2013 wird dies aber von China übernommen.<br />

Parallel dazu erarbeiten S<strong>ch</strong>weizer Satellitenspezialisten<br />

unter Einbezug von <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Geländemessungen<br />

ein digitales Höhenmodell, das der<br />

Erstellung von Gefahrenhinweiskarten und damit<br />

der Siedlungsplanung dient. Au<strong>ch</strong> auf wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Ebene soll der Wissenstransfer verstärkt<br />

werden. «Derzeit versu<strong>ch</strong>en wir, au<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e<br />

Universitäten miteinzubeziehen», sagt<br />

Christoph Haemmig. «Dies, um unser Wissen weiterzugeben,<br />

aber au<strong>ch</strong>, um deren Know-how besser<br />

nutzen zu können.»<br />

Erste Kontakte, beispielsweise zu einem Glaziologen<br />

des Pekinger Instituts für Fors<strong>ch</strong>ung auf dem<br />

Tibet-Plateau seien bereits geknüpft. Zudem<br />

zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> ab, dass basierend auf den bisherigen<br />

Erfahrungen no<strong>ch</strong> weitere Monitoring-Projekte<br />

realisiert werden. ■<br />

S<strong>ch</strong>utz der Bevölkerung<br />

und des Klimas<br />

Au<strong>ch</strong> Indien, Südafrika<br />

und Peru zählen zu den<br />

S<strong>ch</strong>werpunktländern des<br />

DEZA-Globalprogramms<br />

Klimawandel. Die S<strong>ch</strong>weiz<br />

unterstützt in diesen Ländern<br />

insbesondere Aktivitäten<br />

in den Berei<strong>ch</strong>en<br />

Anpassung an den Klimawandel,<br />

Energieeffizienz<br />

und Luftreinhaltung sowie<br />

Systeme zum Monitoring<br />

der Energiepolitik. Ein bemerkenswertes<br />

Beispiel<br />

ist die dur<strong>ch</strong> die DEZA geförderte<br />

Verbreitung von<br />

energiesparenden Brennöfen<br />

für Backsteine. Diese<br />

ursprüngli<strong>ch</strong> aus China<br />

stammende Te<strong>ch</strong>nologie<br />

wird unterdessen in über<br />

13 Ländern in Asien,<br />

Südamerika und Südafrika<br />

eingesetzt und jeweils<br />

dem lokalen Kontext angepasst.<br />

Allein in Vietnam<br />

sparen die über 300 Öfen<br />

rund 150 000 Tonnen CO2.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 15


«Südafrika ist der Gigant des Kontinents»<br />

Südafrika ist die einzige Vertretung Afrikas in den G-20 und in<br />

der BRICS-Gruppe. Dies verleiht dem Land einen speziellen<br />

Status. Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin Elizabeth<br />

Sidiropoulos erläutet im Gesprä<strong>ch</strong> mit Mirella Wepf die Rolle<br />

Südafrikas auf dem Kontinent und auf globaler Ebene und beleu<strong>ch</strong>tet<br />

die Entwicklungszusammenarbeit des Landes.<br />

Julien Chatelin/laif<br />

Elizabeth Sidiropoulos<br />

ist Direktorin des South<br />

African Institute of<br />

International Affairs SAIIA<br />

sowie Chefredaktorin des<br />

South African Journal of<br />

International Affairs. Ihr<br />

Fors<strong>ch</strong>ungss<strong>ch</strong>werpunkt<br />

liegt auf Südafrikas<br />

Aussenpolitik und auf dem<br />

Einfluss von S<strong>ch</strong>wellenländern<br />

auf Afrikas globales<br />

Handeln. Die Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin<br />

ist Mitherausgeberin<br />

und Co-Autorin<br />

des 2012 ers<strong>ch</strong>ienenen<br />

Bu<strong>ch</strong>s «Development<br />

Cooperation and Emerging<br />

Powers» (Zed Books<br />

London/New York).<br />

Südafrika engagiert si<strong>ch</strong> in Burundi unter anderem im Si<strong>ch</strong>erheitssektor mit der Aus- und Weiterbildung von Polizisten<br />

«Eine Welt»: In wel<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>en engagiert<br />

si<strong>ch</strong> die südafrikanis<strong>ch</strong>e Entwicklungszusammenarbeit?<br />

Elizabeth Sidiropoulos: Ein S<strong>ch</strong>werpunkt liegt<br />

bei der Kapazitätsbildung in den Berei<strong>ch</strong>en Konfliktlösung<br />

und Service Public. Hinzu kommen Ausbildungen<br />

im Si<strong>ch</strong>erheitssektor wie zum Beispiel<br />

Polizeitraining in Burundi und Ruanda oder kleinere<br />

Beiträge für Infrastruktur. Viele Vorhaben finanzieren<br />

wir über trilaterale Kooperationen etwa<br />

mit Kanada, S<strong>ch</strong>weden und Norwegen. Ebenso<br />

wi<strong>ch</strong>tig sind die Bemühungen, in Afrika tragfähige<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftsräume zu s<strong>ch</strong>affen und mit gere<strong>ch</strong>ten<br />

Zöllen und fairen Steuersystemen die Investoren<br />

aus dem Norden besser einzubinden. Au<strong>ch</strong> in<br />

kulturelle Projekte investiert Südafrika viel. Dies,<br />

um auf dem Kontinent ein besseres Selbstbewusstsein<br />

zu s<strong>ch</strong>affen. So erhielten die wertvollen Bibliotheken<br />

in Timbuktu grosse Unterstützung; die<br />

aktuellen kriegeris<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen haben<br />

nun leider viele S<strong>ch</strong>ätze zerstört.<br />

Wo liegen die Stärken und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en der<br />

Entwicklungszusammenarbeit Südafrikas?<br />

Dur<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te unseres Landes, wel<strong>ch</strong>es einen<br />

friedli<strong>ch</strong>en Übergang zu einer neuen, demokratis<strong>ch</strong>eren<br />

Regierung ge<strong>s<strong>ch</strong>afft</strong> hat, bringen wir<br />

grosse Erfahrung und Glaubwürdigkeit für Konfliktlösungen<br />

und Post-Konflikt-Prozesse mit. Unsere<br />

grössten S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en liegen derzeit bei der strategis<strong>ch</strong>en<br />

Bündelung und beim gezielten Followup<br />

der Aktivitäten.<br />

Wie ho<strong>ch</strong> ist der finanzielle Beitrag Südafrikas?<br />

Der Beitrag des African Renaissance and International<br />

Cooperation Fund liegt bei rund 500 Millionen<br />

Rand, das entspri<strong>ch</strong>t 42 Millionen Euro.<br />

Hinzu kommen Leistungen aus anderen Ministerien<br />

wie den Departementen für Landwirts<strong>ch</strong>aft,<br />

Erziehung oder Service Public und Administration.<br />

Im Verglei<strong>ch</strong> zu Riesen wie Grossbritannien<br />

mit einem Budget von fast 10 Milliarden Euro ist<br />

16<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


S<strong>ch</strong>wellenländer<br />

dies natürli<strong>ch</strong> wenig – für unser Land mit seinen<br />

50 Millionen Einwohnern jedo<strong>ch</strong> viel.<br />

Südafrika strebt auf dem Kontinent bewusst<br />

eine Führungsrolle an?<br />

Ri<strong>ch</strong>tig. Im Verglei<strong>ch</strong> zum restli<strong>ch</strong>en Afrika ist unser<br />

Land ho<strong>ch</strong> entwickelt. In 48 von 54 afrikanis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten liegt das BIP zwis<strong>ch</strong>en 4 und 100<br />

Milliarden Dollar, in Südafrika bei über 550 Milliarden.<br />

Auf dem Kontinent ist Südafrika also ein<br />

Gigant. Do<strong>ch</strong> in einem ökonomis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

und fragilen Umfeld können au<strong>ch</strong> wir langfristig<br />

ni<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong> sein. Wir brau<strong>ch</strong>en gute Märkte<br />

und Stabilität.<br />

Sein Engagement trägt Südafrika au<strong>ch</strong> den<br />

Ruf als neuer Hegemon ein.<br />

Dabei geht es uns ähnli<strong>ch</strong> wie den USA. Man ist<br />

froh um den starken Partner, aber es gibt au<strong>ch</strong> Bedenken,<br />

von den Eigeninteressen des «grossen Bruders»<br />

dominiert zu werden. Teils zu Re<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong><br />

insgesamt, glaube i<strong>ch</strong>, nimmt Südafrika seine Rolle<br />

sehr verantwortungsvoll wahr.<br />

«In einem ökonomis<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en und fragilen<br />

Umfeld können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong> sein.»<br />

Südafrika ist seit kurzem Mitglied der<br />

BRICS. Was kann dieses Gremium errei<strong>ch</strong>en,<br />

und geht Südafrika als mit Abstand kleinster<br />

Staat darin ni<strong>ch</strong>t unter?<br />

Das 2009 gegründete Forum ist no<strong>ch</strong> sehr jung,<br />

also ist es s<strong>ch</strong>wierig, Bilanz zu ziehen. Einige Resultate<br />

sind denno<strong>ch</strong> spürbar. So zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> ab,<br />

dass nur s<strong>ch</strong>on im Rahmen der gegenseitigen Handelsbeziehungen<br />

dieser fünf Länder enorme Transaktionskosten<br />

gespart werden können. Dur<strong>ch</strong> den<br />

direkten Kontakt fällt der Umweg über die dominante<br />

Handelswährung Dollar weg. Ferner planen<br />

die BRICS, eine eigene Entwicklungsbank zu<br />

gründen. Ni<strong>ch</strong>t als Konkurrenz zur Weltbank, aber<br />

als Ergänzung. Die kleineren Partner Südafrika<br />

und Brasilien spielen neben den Riesen Russland,<br />

Indien und China eine interessante Rolle. Sie werden<br />

kaum als Rivalen gesehen und können daher<br />

oft vermitteln und neue Standpunkte einbringen.<br />

Südafrika hilft das Bündnis bei Verhandlungen in<br />

den G-20 und anderen internationalen Gremien.<br />

Candace Feit NYT/Redux/laif<br />

Mit der Unterstützung der wertvollen Bibliotheken in<br />

Timbuktu will Südafrika auf dem Kontinent ein besseres<br />

Selbstbewusstsein s<strong>ch</strong>affen<br />

Was ma<strong>ch</strong>en neue Geberländer wie Südafrika<br />

anders als traditionelle Geber?<br />

Es ist für Entwicklungsländer si<strong>ch</strong>er von Nutzen,<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e und vor allem diverse Partner zu haben.<br />

Das verringert die einseitige Abhängigkeit<br />

vom Norden. Zudem bringen einige der neuen<br />

Geber spezielles Fa<strong>ch</strong>wissen mit. Indien im Berei<strong>ch</strong><br />

Informations- und Kommunikationste<strong>ch</strong>nologie,<br />

was si<strong>ch</strong> etwa bei der Telemedizin als sehr nützli<strong>ch</strong><br />

erwiesen hat. China wiederum hat grosse Erfahrung<br />

im Berei<strong>ch</strong> Infrastruktur. Natürli<strong>ch</strong> haben die<br />

neuen Geber au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en, aber sie haben eine<br />

willkommene Debatte ausgelöst, die au<strong>ch</strong> die<br />

OECD-Staaten dazu bringt, si<strong>ch</strong> zu bewegen.<br />

Wie muss si<strong>ch</strong> die Ar<strong>ch</strong>itektur der internationalen<br />

Zusammenarbeit entwickeln, um<br />

alte und neue Partner besser einzubinden<br />

und letztli<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> zu sein?<br />

Im Moment besteht no<strong>ch</strong> immer ein Misstrauen<br />

des Südens gegenüber dem Norden. Viele der neuen<br />

Player distanzieren si<strong>ch</strong> von der OECD und<br />

dem DAC-Komitee. Südafrika bildet da eher eine<br />

Ausnahme. Es bräu<strong>ch</strong>te ein neues, internationales<br />

Forum, das legitimiert, aber au<strong>ch</strong> effizient ist. Auf<br />

dem Weg dahin wüns<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> mir unter anderem<br />

von Indien, Brasilien und China ein grösseres Engagement.<br />

Die Konferenz von Busan hat eine erste<br />

Annäherung gebra<strong>ch</strong>t, aber längst ni<strong>ch</strong>t genügend.<br />

Das Risiko, dass wir no<strong>ch</strong> lange eine stark<br />

fragmentierte Lands<strong>ch</strong>aft der Entwicklungszusammenarbeit<br />

haben werden, besteht leider. ■<br />

(Aus dem Englis<strong>ch</strong>en)<br />

Südafrikas Hilfe<br />

In den 1990er-Jahren endete<br />

in Südafrika na<strong>ch</strong><br />

über 40 Jahren die<br />

Rassentrennung und<br />

ma<strong>ch</strong>te einem demokratis<strong>ch</strong>eren<br />

System Platz. Seit<br />

den Wahlen 1994 leistet<br />

das Land Entwicklungszusammenarbeit,<br />

insbesondere<br />

in Na<strong>ch</strong>barstaaten.<br />

Punktuelle Bemühungen<br />

gab es jedo<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on zu Zeiten des<br />

Apartheidregimes. Dies<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, um die<br />

diplomatis<strong>ch</strong>e Isolation zu<br />

dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en. Südafrikas<br />

Regierung sieht den<br />

Wohlstand des Landes<br />

untrennbar mit der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklung<br />

der umliegenden Staaten<br />

verknüpft. Umgekehrt<br />

s<strong>ch</strong>ätzte der Internationale<br />

Währungsfonds im Jahr<br />

2005, dass ein Prozent<br />

Wa<strong>ch</strong>stum in Südafrika –<br />

mit einem BIP von über<br />

550 Milliarden Dollar die<br />

grösste Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />

Afrikas – in den anderen<br />

Sub-Sahara-Staaten ein<br />

Wa<strong>ch</strong>stum von 0,5 bis<br />

0,75 Prozent na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong><br />

zieht.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 17


Facts & Figures<br />

1990 2010<br />

Viele Länder des Südens und Ostens haben si<strong>ch</strong> seit<br />

1990 wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> stark entwickelt und haben si<strong>ch</strong> vom<br />

Entwicklungsland zum S<strong>ch</strong>wellenland oder gar zum<br />

Industrieland gewandelt.<br />

Länder mit hohem Einkommen<br />

Länder mit überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>em Einkommen<br />

Länder mit knapp dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>em Einkommen<br />

Länder mit niedrigem Einkommen<br />

S<strong>ch</strong>lüsselzahlen<br />

• In den BRICS-Ländern leben 3 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en, das<br />

entspri<strong>ch</strong>t 40 Prozent der Weltbevölkerung.<br />

• Zwei Drittel der Mens<strong>ch</strong>en, die weniger als 2 US-Dollar pro<br />

Tag zur Verfügung haben, leben in S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />

• Brasilien, Russland, Indien und Russland erwirts<strong>ch</strong>afteten<br />

2012 laut S<strong>ch</strong>ätzungen zusammen ein Bruttoinlandprodukt<br />

(BIP) von rund 14,6 Billionen US-Dollar. Dies ist zwar<br />

niedriger als das BIP der USA (15,7 Billionen), do<strong>ch</strong> sind<br />

die Wa<strong>ch</strong>stumsraten in den S<strong>ch</strong>wellenländern deutli<strong>ch</strong><br />

höher.<br />

• Laut S<strong>ch</strong>ätzungen des UNO-Entwicklungsprogramms<br />

UNDP stammen über 9,5 Prozent der weltweiten öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklungsbeiträge aus S<strong>ch</strong>wellenländern. Ihr<br />

Beitrag hat si<strong>ch</strong> im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt.<br />

• Der Beitrag von China liegt – je na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ätzung – zwis<strong>ch</strong>en<br />

2 und 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr, der Beitrag von<br />

Indien bei rund 750 Millionen. Die S<strong>ch</strong>weiz genehmigte<br />

für die Jahre 2013 bis 2016 rund 3 Milliarden jährli<strong>ch</strong>.<br />

Links<br />

BRICS-Report<br />

www.bricsindia.in/fourthsummit.html (Documents of interest)<br />

Grundsatzpapier des Internationalen Währungsfonds: New<br />

Growth Drivers for Low-Income Countries: The Role of BRICs;<br />

IMF Policy Paper, January 12, 2011.<br />

www.imf.org<br />

Busan HLF4 – Fourth High Level Forum on Aid Effectiveness<br />

www.aideffectiveness.org/busanhlf4<br />

Publikationen<br />

«Development Cooperation and Emerging Powers; New<br />

Partners of Old Patterns» von E. Sidiropoulos, Zed Books, 2012<br />

«Dossier Aid, Emerging Economies and Global Policies –<br />

International Development Policy Nr.3», The Graduate Institute,<br />

Geneva<br />

Download Bestellung: http://poldev.revues.org/890<br />

«Coopération au développement triangulaire et politique<br />

etrangère : simple avatar de la coopération bilatérale ou<br />

nouvel intrument pour une coopération publique "globale"?»<br />

von Mi<strong>ch</strong>el Gressot. In: Politorbis Nr. 46,<br />

www.eda.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/politorbis<br />

«Swissness made in India. Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklung und<br />

die Zusammenarbeit S<strong>ch</strong>weiz – Indien» von Ri<strong>ch</strong>ard Gerster,<br />

Orell Füssli, Züri<strong>ch</strong> 2008<br />

«Aufstieg neuer Mä<strong>ch</strong>te. Die Bric-Staaten im Porträt», NZZ<br />

Fokus Nr. 52, 2012<br />

Bots<strong>ch</strong>aft über die internationale Zusammenarbeit 2013-2016<br />

der S<strong>ch</strong>weiz vom Februar 2012, insbesondere Kapitel 1.2.1<br />

www.news.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

Der Entwicklungsauss<strong>ch</strong>uss DAC der OECD<br />

www.oecd.org/dac<br />

Alejandro Balaguer/Redux/laif<br />

18<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


H O R I Z O N T E<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

Grenzkonflikte trennen Familien<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan ist der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ärmste Staat in Zentralasien.<br />

Zudem leidet neben der Grenzbevölkerung au<strong>ch</strong> die Hauptstadt<br />

Dus<strong>ch</strong>anbe seit Jahren unter den anhaltenden Konflikten um<br />

die Nutzung von Wasserkraft. Insbesondere der mä<strong>ch</strong>tige<br />

Na<strong>ch</strong>bar Usbekistan dreht deswegen regelmässig die Gasleitungen<br />

ab, s<strong>ch</strong>ränkt Stromlieferungen, den S<strong>ch</strong>ienenverkehr<br />

sowie den Grenzverkehr ein. Von Marcus Bensmann*.<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan in<br />

Kürze<br />

Hauptstadt<br />

Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

Flä<strong>ch</strong>e<br />

143100 km 2<br />

Einwohner<br />

7,6 Millionen<br />

Lebenserwartung<br />

66,5 Jahre<br />

Ethnien<br />

Tads<strong>ch</strong>iken 80%<br />

Usbeken 15%<br />

Russen, Kirgisen,<br />

andere 5%<br />

Religionen<br />

Sunni-Muslime 85%<br />

Shi’a-Muslime 5%<br />

Andere 10%<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Martin/laif<br />

Mehr als zwei Drittel der Flä<strong>ch</strong>e Tads<strong>ch</strong>ikistans sind Ho<strong>ch</strong>gebirge und liegt, wie hier im Pamirgebirge, über 3000 Meter<br />

über Meer<br />

Es war ein sonniger Tag im März, die dunkle Erde<br />

auf den Feldern um das nordtads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Dorf<br />

Rabot vom Tauwasser gewässert und bereit für die<br />

Aussaat. Ras<strong>ch</strong>id Omarow griff zu seinem Lieblingsholzstab<br />

und trieb die zwei Kühe der Familie<br />

aus dem Stall. Hinter dem verlassenen Flughafen<br />

unweit der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en Grenze kannte<br />

der Zehnjährige eine Stelle für besonders leckere<br />

Gräser. Am Horizont staken die Wa<strong>ch</strong>türme der usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Grenztruppen wie langbeinige s<strong>ch</strong>warze<br />

Insekten.<br />

Der Junge sollte den Tag ni<strong>ch</strong>t überleben. Als eine<br />

Kuh am Bein blutend zu dem Gehöft zurückkam,<br />

wusste Ra<strong>ch</strong>mon Omarow, was passiert war. Die<br />

Explosion einer Mine hatte ihn aufges<strong>ch</strong>reckt und<br />

er su<strong>ch</strong>te panis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> seinem Bub. Zwei Jahre zuvor<br />

hatte der Mann bereits zwei seiner Verwand-<br />

ten verloren, als sie Reisig an der Grenze sammelten.<br />

«I<strong>ch</strong> habe die Lei<strong>ch</strong>e meines Sohnes aus Usbekistan<br />

na<strong>ch</strong> Hause gebra<strong>ch</strong>t», erinnert si<strong>ch</strong> der Vater<br />

mit Tränen in den Augen, «hätte Ras<strong>ch</strong>id do<strong>ch</strong> auf<br />

mi<strong>ch</strong> gehört.» Der Vater hatte dem Sohn verboten,<br />

si<strong>ch</strong> der Grenze zu nähern. Um das Gehöft weht<br />

der Wind. Es ist das letzte Gebäude in der Siedlung<br />

und dahinter breitet si<strong>ch</strong> die usbekis<strong>ch</strong>e Grenze<br />

aus, mit Sta<strong>ch</strong>eldraht und Wa<strong>ch</strong>türmen.<br />

Mä<strong>ch</strong>tiger Na<strong>ch</strong>bar Usbekistan<br />

Usbekistan und Tads<strong>ch</strong>ikistan liegen ni<strong>ch</strong>t im<br />

Krieg, und do<strong>ch</strong> ist die Landesgrenze im Norden<br />

des zentralasiatis<strong>ch</strong>en Landes zur Todesfalle geworden.<br />

Seit die usbekis<strong>ch</strong>e Regierung aus Angst<br />

vor Terroristen im Jahr 2000 einseitig die Grenze<br />

Exportprodukte<br />

Aluminium, Elektrizität,<br />

Baumwolle, Frü<strong>ch</strong>te,<br />

Pflanzenöl, Textilien<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftszweige<br />

Rund 50% der aktiven<br />

Bevölkerung sind in der<br />

Landwirts<strong>ch</strong>aft tätig,<br />

12% im Industriesektor,<br />

38% im Dienstleistungsberei<strong>ch</strong><br />

Kasa<strong>ch</strong>stan<br />

Usbekistan<br />

China<br />

Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

Afghanistan<br />

Kirgistan<br />

Pakistan<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 19


Nick Hannes/Reporters/laif<br />

Marcus Bensmann<br />

Im Nordosten Tads<strong>ch</strong>ikistans sind die ethnis<strong>ch</strong>en Gruppen – links eine Gruppe Kirgisen – ebenso bunt gemis<strong>ch</strong>t wie die<br />

Tü<strong>ch</strong>er auf den lokalen Märkten<br />

Kampf ums Wasser<br />

Der Wasserkonflikt belastet<br />

die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Beziehungen.<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan plant die<br />

Vollendung des no<strong>ch</strong> zur<br />

Sowjetzeit begonnen<br />

Baus des Kraftwerkes<br />

Rogun am Quellfluss des<br />

Amu-Darja, der weiter<br />

dur<strong>ch</strong> Usbekistan und<br />

Turkmenistan bis zum<br />

Aralsee fliesst. Mit einer<br />

geplanten Kapazität von<br />

3600 Megawatt wäre<br />

Rogun eines der weltweit<br />

grössten Wasserkraftwerke.<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan will<br />

so die Energiekrise lösen<br />

und Strom na<strong>ch</strong> Pakistan<br />

oder China exportieren.<br />

Usbekistan für<strong>ch</strong>tet jedo<strong>ch</strong><br />

um den ungehinderten<br />

Wasserzufluss und setzt<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan unter Druck,<br />

blockiert S<strong>ch</strong>ienenwege<br />

und dreht den Gashahn<br />

zu. Tads<strong>ch</strong>ikistan seinerseits<br />

ist ni<strong>ch</strong>t in der Lage,<br />

die milliardens<strong>ch</strong>weren<br />

Investitionen alleine zu<br />

stemmen. Sollte der<br />

Damm trotz allem gebaut<br />

werden, bes<strong>ch</strong>wor der usbekis<strong>ch</strong>e<br />

Präsident Islam<br />

Karimow vergangenes<br />

Jahr «Kriegsgefahr». Eine<br />

Weltbankstudie zu Rogun<br />

steht aus.<br />

verminte, starben über 70 Mens<strong>ch</strong>en und über 80<br />

erlitten Verletzungen. Alle Opfer waren Zivilisten,<br />

Frauen und Kinder, die Vieh auf die Weide trieben<br />

oder Holz su<strong>ch</strong>ten.<br />

Die Todesstreifen an der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Grenze sind die grausamsten Folgen der gravierenden<br />

Grenzproblematik zwis<strong>ch</strong>en den ehemaligen<br />

Sowjetrepubliken in Zentralasien, mehr als 20<br />

Jahre na<strong>ch</strong> deren Unabhängigkeit. Besonders die<br />

Einwohner in Tads<strong>ch</strong>ikistan, dem wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

ärmsten Staat der Region zwis<strong>ch</strong>en Kaspis<strong>ch</strong>em<br />

Meer und China, leiden unter dem Konflikt mit<br />

dem unglei<strong>ch</strong> mä<strong>ch</strong>tigeren Na<strong>ch</strong>barn Usbekistan,<br />

der das Land von Westen her umgreift.<br />

Konflikt um Wasserkraft<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan steckt in einer regelre<strong>ch</strong>ten Sackgasse.<br />

Vom Osten blockiert das Pamirgebirge die<br />

Weiterfahrt, und au<strong>ch</strong> die von China gebauten<br />

Transitstrassen über den Pamir bringen nur begrenzt<br />

Entlastungen. Na<strong>ch</strong> Süden versperrt das<br />

unruhige Afghanistan den Handelsweg. Alle wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Strassen, S<strong>ch</strong>ienen, Stromleitungen und Gaspipelines<br />

verbinden das Ho<strong>ch</strong>gebirgsland über<br />

Usbekistan mit der Welt.<br />

Wie ein S<strong>ch</strong>raubstock zieht der Na<strong>ch</strong>bar die<br />

Freiräume zu. Der Grund ist der Konflikt über den<br />

Ausbau der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en Wasserkraft. Zwis<strong>ch</strong>en<br />

den beiden eng verzahnten Ländern herrs<strong>ch</strong>t Visumspfli<strong>ch</strong>t,<br />

und seit Jahrzehnten gibt es keinen<br />

Direktflug zwis<strong>ch</strong>en beiden Staaten. Allein im<br />

di<strong>ch</strong>t bevölkerten Ferghanatal verheddern si<strong>ch</strong><br />

die Grenzläufe der drei zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan, Kirgistan und Usbekistan wie in einem<br />

Kabelsalat.<br />

Dazu beherbergt Kirgistan usbekis<strong>ch</strong>e und tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e<br />

Enklaven. Im Januar eskalierte ein<br />

Grenzstreit zwis<strong>ch</strong>en den Einwohnern der usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Enklave in So<strong>ch</strong> und den kirgisis<strong>ch</strong>en<br />

Na<strong>ch</strong>bardörfern. Seither ist die Enklave blockiert.<br />

Die Grenzkonflikte töten ni<strong>ch</strong>t nur Mens<strong>ch</strong>en,<br />

sondern reissen Familien auseinander.<br />

Kas<strong>ch</strong>ibaroun Tads<strong>ch</strong>ibajewa kann ihre zwei Tö<strong>ch</strong>ter<br />

und Enkel ni<strong>ch</strong>t mehr treffen. Die füllige Tads<strong>ch</strong>ikin<br />

sitzt in dem kleinen nordtads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

Dorf im Haus ihres verstorbenen Mannes. Das<br />

einges<strong>ch</strong>ossige weiss-blau angestri<strong>ch</strong>ene Gehöft<br />

ums<strong>ch</strong>liesst einen gepflegten Garten, in dessen<br />

Mitte ein Aprikosenbaum steht. Am Horizont<br />

glänzen die s<strong>ch</strong>neebedeckten Gipfel des Vorpamirs.<br />

In einem mit bunten Teppi<strong>ch</strong>en ausgelegten Zimmer<br />

sitzt die 54-jährige Tads<strong>ch</strong>ikin und s<strong>ch</strong>lürft<br />

heissen Tee. Au<strong>ch</strong> wenn Ende Januar der Winter<br />

die Kraft verloren hat, ist der Raum feu<strong>ch</strong>t und<br />

kühl.<br />

Auseinandergerissene Familien<br />

Die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en Dörfer haben s<strong>ch</strong>on lange kein<br />

Gas mehr und der Strom wird abends und morgens<br />

nur für wenige Stunden zugeteilt. Geheizt<br />

wird mit Kohle, Holz und Dung und meist nur in<br />

einem Raum.<br />

Usbekistan dreht regelmässig Tads<strong>ch</strong>ikistan das Gas<br />

ab, s<strong>ch</strong>ränkt die Stromlieferungen oder den S<strong>ch</strong>ienenverkehr<br />

ein. Die Energiekrise trifft ni<strong>ch</strong>t nur<br />

die Dörfler, selbst in der Hauptstadt Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

20<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

sitzen die Einwohner häufig bei Kerzens<strong>ch</strong>ein in<br />

eisigen Wohnungen.<br />

An die Kälte hat si<strong>ch</strong> Tads<strong>ch</strong>ibajewa gewöhnt –<br />

aber ni<strong>ch</strong>t daran, dass sie ihre Tö<strong>ch</strong>ter und Enkel<br />

ni<strong>ch</strong>t sehen kann. Die Witwe stammt aus der usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Enklave So<strong>ch</strong> im südkirgisis<strong>ch</strong>en Landarm,<br />

der zwis<strong>ch</strong>en Usbekistan und Kirgistan eingeklemmt<br />

ist. Sie hat ihren Ehemann Abdukarim<br />

aus Tads<strong>ch</strong>ikistan kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion<br />

geheiratet. Unter Tads<strong>ch</strong>iken werden<br />

Ehen häufig innerhalb der Verwandten ges<strong>ch</strong>lossen,<br />

um die Familienbindungen zu stärken.<br />

In der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave So<strong>ch</strong> leben zu 99 Prozent<br />

Tads<strong>ch</strong>iken, entlang des Flusses So<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong><br />

von den Südausläufern des Vorpamirs dur<strong>ch</strong> die<br />

südkirgisis<strong>ch</strong>e Provinz Bakten bis kurz vor der usbekis<strong>ch</strong>en<br />

Grenze streckt. In der Sowjetzeit hatten<br />

Grenzen nur <strong>admin</strong>istrativen Charakter und waren<br />

für die Mens<strong>ch</strong>en in der Enklave ni<strong>ch</strong>t spürbar.<br />

Die Einwohner von So<strong>ch</strong> konnten in der usbekis<strong>ch</strong>en<br />

oder kirgisis<strong>ch</strong>en Sowjetrepublik arbeiten,<br />

auf den Markt gehen oder an einer tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule studieren.<br />

Der Zerfall der Sowjetunion ma<strong>ch</strong>te dem ein Ende.<br />

Als der Bruder von Tads<strong>ch</strong>ibajewa 2004 starb, wollte<br />

die gesamte Familie aus Tads<strong>ch</strong>ikistan in einem<br />

Minibus die Beerdigung in So<strong>ch</strong> besu<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong><br />

die Trauergemeinde wurde an der Grenze abgewiesen.<br />

Trotz der S<strong>ch</strong>wierigkeiten wollten die Familien<br />

in Tads<strong>ch</strong>ikistan und So<strong>ch</strong> den Kontakt<br />

ni<strong>ch</strong>t abbre<strong>ch</strong>en lassen, und die Witwe verheiratete<br />

2001 ihre zwei Tö<strong>ch</strong>ter na<strong>ch</strong> So<strong>ch</strong>. Aber es wird<br />

immer s<strong>ch</strong>wieriger, Tö<strong>ch</strong>ter und Enkel zu sehen.<br />

Hin und wieder trafen sie si<strong>ch</strong> in Kirgistan, aber<br />

na<strong>ch</strong> der Januarkrise ist au<strong>ch</strong> dieser Weg versperrt.<br />

Entleerte Dörfer und Städte<br />

Südkirgistan ums<strong>ch</strong>liesst unweit des Dorfes von<br />

Tads<strong>ch</strong>ibajewa die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Enklave Voru<strong>ch</strong>.<br />

Die 30 000 Mens<strong>ch</strong>en leben in einem kleinen<br />

Städt<strong>ch</strong>en in einer maleris<strong>ch</strong>en Gebirgsfalte. Um<br />

von der Enklave na<strong>ch</strong> Tads<strong>ch</strong>ikistan zu kommen,<br />

muss der Reisende mehrmals die Grenze passieren.<br />

Anders als bei der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave ist dieser<br />

Weg no<strong>ch</strong> offen. Und der S<strong>ch</strong>muggel blüht. Da in<br />

Kirgistan Benzin und Zement billiger sind, versorgen<br />

si<strong>ch</strong> die Tads<strong>ch</strong>iken aus der Enklave aber<br />

au<strong>ch</strong> vom Stammland bei den kirgisis<strong>ch</strong>en Händlern<br />

im Zwis<strong>ch</strong>enland. Do<strong>ch</strong> die Stimmung ist gespannt.<br />

«Häufig kommt es zu Konflikten mit kirgisis<strong>ch</strong>en<br />

Jugendli<strong>ch</strong>en», sagt auf dem Wo<strong>ch</strong>enmarkt<br />

in Voru<strong>ch</strong> der 29-jährige Tads<strong>ch</strong>ike Nariman<br />

Sadikow.<br />

Auf dem Basar werden Stoffe aus Usbekistan,<br />

Baumwolle aus Tads<strong>ch</strong>ikistan und Plastiks<strong>ch</strong>uhe aus<br />

Nick Hannes/Reporters/laif<br />

Die Bevölkerung in Tads<strong>ch</strong>ikistans Hauptstadt Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

hat si<strong>ch</strong> daran gewöhnt, dass wegen der Grenzkonflikte<br />

mit Usbekistan Strom und Gas knapp werden<br />

China feilgeboten. Dazu brutzeln die Garkü<strong>ch</strong>en.<br />

In Fett werden Teigfladen gesotten und über dem<br />

Grill tropfen die langen Lamms<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>licks. Sadikow<br />

ma<strong>ch</strong>t sein Ges<strong>ch</strong>äft in Russland. Seit Jahren<br />

verkauft er die s<strong>ch</strong>mackhaften getrockneten Aprikosen<br />

aus Voru<strong>ch</strong> in Moskau. Weil der direkte Weg<br />

dur<strong>ch</strong> Usbekistan kaum passierbar ist, sendet er die<br />

Ware über den kirgisis<strong>ch</strong>en Umweg in die russis<strong>ch</strong>e<br />

Hauptstadt und reist später mit dem Flugzeug<br />

na<strong>ch</strong>.<br />

Russland ist für viele Tads<strong>ch</strong>iken die einzige Geldquelle.<br />

Knapp eine Million Tads<strong>ch</strong>iken verdingen<br />

si<strong>ch</strong> auf den Baustellen in Russland und überweisen<br />

monatli<strong>ch</strong> Geld in die Heimat. Ohne diese Zuwendung<br />

würde die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aft vollends<br />

zusammenzubre<strong>ch</strong>en. Im Winter kommen<br />

die Tads<strong>ch</strong>iken zurück, aber sobald in Russland die<br />

Bausaison beginnt, leeren si<strong>ch</strong> die Dörfer und Städte.<br />

Au<strong>ch</strong> das tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-kirgisis<strong>ch</strong>e Verhältnis ist<br />

ni<strong>ch</strong>t frei von Spannungen. Immer wieder kommt<br />

es zu Konflikten über Wasserverteilung, Weideplätze<br />

und Transitrouten. Im Januar eskalierte unweit<br />

von Voru<strong>ch</strong> eine Massens<strong>ch</strong>lägerei zwis<strong>ch</strong>en<br />

Tads<strong>ch</strong>iken und Kirgisen.<br />

Die Minenfelder und die tagtägli<strong>ch</strong>en Grenzkonflikte<br />

haben Handel und Wandel besonders für die<br />

Mens<strong>ch</strong>en in Tads<strong>ch</strong>ikistan no<strong>ch</strong> nie so s<strong>ch</strong>wer gema<strong>ch</strong>t<br />

wie heute. ■<br />

*Marcus Bensmann arbeitet seit 1995 als freier Journalist<br />

in Zentralasien, zurzeit mit Sitz in Bis<strong>ch</strong>kek, u.a.<br />

für die «Neue Zür<strong>ch</strong>er Zeitung» und deuts<strong>ch</strong>e Medien.<br />

Er gehört dem Netzwerk www.weltreporter.net an.<br />

Grenz<strong>ch</strong>aos im<br />

Ferghanatal<br />

Bis heute belasten die willkürli<strong>ch</strong>en<br />

Grenzziehungen<br />

aus der Sowjetzeit die<br />

Stabilität in Zentralasien<br />

und insbesondere im<br />

di<strong>ch</strong>tbevölkerten Ferghanatal.<br />

In dem fru<strong>ch</strong>tbaren<br />

Landbecken verheddern<br />

si<strong>ch</strong> die Grenzläufe der drei<br />

zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten<br />

Kirgistan, Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

und Usbekistan. Die Ebene<br />

gehört zu Usbekistan,<br />

darum herum greifen zwei<br />

kirgisis<strong>ch</strong>e Landarme, und<br />

vom Süden stösst ein tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>er<br />

Appendix in<br />

das vom Tiens<strong>ch</strong>an- und<br />

Pamirgebirge ums<strong>ch</strong>lossene<br />

Becken. Der südli<strong>ch</strong>e<br />

kirgisis<strong>ch</strong>e Landarm ums<strong>ch</strong>liesst<br />

zudem vier<br />

Enklaven, drei gehören<br />

zu Usbekistan, eine zu<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan. Die Bevölkerung<br />

der Enklaven<br />

gehört zur tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

Ethnie. Während die<br />

Tads<strong>ch</strong>iken no<strong>ch</strong> ungehindert<br />

zu der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

Enklave Voru<strong>ch</strong> reisen können,<br />

ist die Bevölkerung in<br />

der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave<br />

So<strong>ch</strong> seit dem Grenzkonflikt<br />

im Januar abges<strong>ch</strong>nitten.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 21


Aus dem Alltag von...<br />

Mouazamma Djamalova, DEZA-Gesundheitsbeauftragte in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

I<strong>ch</strong> lebe in Dus<strong>ch</strong>anbe, zehn Autominuten vom<br />

DEZA-Büro entfernt. Normalerweise beginnt<br />

mein Arbeitstag um halb neun Uhr. Eine meiner<br />

Aufgaben besteht darin, Informationen zum Gesundheitssektor<br />

zu sammeln und zu analysieren, um<br />

die Bedürfnisse unseres Landes zu klären. I<strong>ch</strong> stehe<br />

in regelmässigem Kontakt mit dem Gesundheitsministerium,<br />

den beiden S<strong>ch</strong>weizer Partnern, die<br />

unsere Projekte umsetzen, und anderen in diesem<br />

Berei<strong>ch</strong> tätigen internationalen Organisationen.<br />

Man<strong>ch</strong>mal besu<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> unsere Projekte vor<br />

Ort, so au<strong>ch</strong> heute. Einer unserer Partner, die Aga<br />

Khan Health Services (AKHS), hat gerade die Sanierung<br />

von zehn Erstversorgungszentren im 250<br />

Kilometer von der Hauptstadt entfernten Distrikt<br />

Muminabad beendet. I<strong>ch</strong> bin an die Feier zur Übergabe<br />

dieser Infrastruktur an die lokalen Gesundheitsverantwortli<strong>ch</strong>en<br />

eingeladen. Deshalb stehe<br />

DEZA<br />

zentrierte si<strong>ch</strong> auf die Spezialärzte in den Spitälern.<br />

Die heutige Regierung versu<strong>ch</strong>t, den Zugang zu<br />

verbessern und Kosten zu sparen, indem sie die<br />

Hausarztmedizin fördert.<br />

Langfristige Programme<br />

Die DEZA ist seit 1993 in<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan aktiv. Während<br />

des Bürgerkriegs unterstützte<br />

sie das Land mit<br />

humanitärer Hilfe. Na<strong>ch</strong><br />

dem Friedenss<strong>ch</strong>luss<br />

eröffnete die S<strong>ch</strong>weiz in<br />

Dus<strong>ch</strong>anbe ein Kooperationsbüro<br />

und lancierte<br />

langfristige Zusammenarbeitsprogramme.<br />

Zurzeit<br />

konzentriert si<strong>ch</strong> der<br />

Einsatz auf vier Berei<strong>ch</strong>e:<br />

Unterstützung beim Umbau<br />

des Gesundheitssystems,<br />

das primär auf die Einführung<br />

von Hausarztmedizin<br />

und Prävention ausgeri<strong>ch</strong>tet<br />

wird; verbesserter<br />

Zugang der Bevölkerung<br />

zu Trinkwasser und sanitären<br />

Anlagen; Entwicklung<br />

eines Justizsystems,<br />

das für besonders verna<strong>ch</strong>lässigte<br />

Mens<strong>ch</strong>en zugängli<strong>ch</strong>er<br />

und besser auf die<br />

Bedürfnisse aller Bürger<br />

zuges<strong>ch</strong>nitten ist; Stärkung<br />

des privaten Sektors mit<br />

dem Ziel, Stellen zu s<strong>ch</strong>affen,<br />

Wa<strong>ch</strong>stum zu generieren<br />

und die <strong>Armut</strong> zu reduzieren.<br />

www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

www.swiss-cooperation.<br />

<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/centralasia/<br />

«Könnten Sie bitte<br />

unser Dorf an ein<br />

Wassersystem<br />

ans<strong>ch</strong>liessen?»<br />

i<strong>ch</strong> für einmal um fünf Uhr auf und ma<strong>ch</strong>e mi<strong>ch</strong><br />

zusammen mit drei AKHS-Vertretern auf den Weg.<br />

Auf den vers<strong>ch</strong>neiten und glatten Strassen müssen<br />

wir sehr vorsi<strong>ch</strong>tig fahren.<br />

Gegen a<strong>ch</strong>t Uhr kommen wir an, zahlrei<strong>ch</strong>e Dorfbewohner<br />

drängen si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on um das Ambulatorium<br />

der Kreisstadt Muminabad. Au<strong>ch</strong> die lokalen<br />

Behörden sind da. In seiner Rede bedankt si<strong>ch</strong> Bezirkspräsident<br />

Pirmad Zaripov bei der S<strong>ch</strong>weiz für<br />

die Finanzierung des Projekts. Ans<strong>ch</strong>liessend führen<br />

uns die Angestellten dur<strong>ch</strong> die renovierten,<br />

möblierten und ausgerüsteten Räumli<strong>ch</strong>keiten. Besonders<br />

stolz sind sie über den Elektrokardiographen;<br />

er ist für sie quasi ein S<strong>ch</strong>atz.<br />

Gesundheitszentren gab es bereits zu sowjetis<strong>ch</strong>en<br />

Zeiten, aber ihre Leistungen waren dürftig. Na<strong>ch</strong><br />

der Unabhängigkeit fielen sie praktis<strong>ch</strong> in si<strong>ch</strong> zusammen.<br />

Unser Projekt hat ni<strong>ch</strong>t bloss ein Drittel<br />

der Krankenstationen dieses Bezirks renoviert, sondern<br />

au<strong>ch</strong> das Personal weitergebildet: Ärztinnen<br />

und Krankenpfleger haben eine allgemeinmedizinis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>ulung dur<strong>ch</strong>laufen, um die meisten Kranken<br />

vor Ort behandeln zu können. Das von der<br />

UdSSR übernommene Gesundheitssystem kon-<br />

Na<strong>ch</strong> Muminabad besu<strong>ch</strong>en wir neun weitere Gemeinden.<br />

Überall ist die Bevölkerung bei der Einweihung<br />

ihres Zentrums dabei. Der eine oder andere<br />

nützt die Gelegenheit, um mit dem Bezirkspräsidenten<br />

zu reden. In Kul<strong>ch</strong>ashma nähert si<strong>ch</strong><br />

ihm s<strong>ch</strong>ü<strong>ch</strong>tern ein alter Mann mit langem Bart<br />

und fragt: «Bitte, könnten Sie unser Dorf an ein<br />

Wassersystem ans<strong>ch</strong>liessen? Unsere armen Frauen<br />

müssen das Wasser einen Kilometer weit herholen.»<br />

Zaripov weist darauf hin, dass die DEZA in anderen<br />

Dörfern des Bezirks ebenfalls Wasserversorgungsprojekte<br />

umsetzt. «I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>aue mal, ob Kul<strong>ch</strong>ashma<br />

au<strong>ch</strong> eingebunden werden könnte», verspri<strong>ch</strong>t<br />

er.<br />

Gegen 20 Uhr bin i<strong>ch</strong> zu Hause, da kommt mir der<br />

Alte wieder in den Sinn. Der Zugang zu Trinkwasser<br />

ist in ländli<strong>ch</strong>en Gegenden extrem problematis<strong>ch</strong>.<br />

Aus eigener Erfahrung weiss i<strong>ch</strong>, wie mühsam<br />

es ist, tagtägli<strong>ch</strong> Wasser draussen holen zu müssen.<br />

Während Jahren musste i<strong>ch</strong> Kessel im Hof<br />

füllen und sie in meine Wohnung im vierten Stock<br />

hinauftragen. Inzwis<strong>ch</strong>en wurde das Trinkwassernetz<br />

in Dus<strong>ch</strong>anbe erneuert, i<strong>ch</strong> konnte mir daraufhin<br />

sogar eine Was<strong>ch</strong>mas<strong>ch</strong>ine kaufen. I<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>e<br />

mir ni<strong>ch</strong>ts mehr, als dass alle Frauen in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

ebenfalls unter sol<strong>ch</strong>en Bedingungen<br />

leben können. ■<br />

(Aufgezei<strong>ch</strong>net von Jane-Lise S<strong>ch</strong>neeberger)<br />

22<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Stimme aus... Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />

Das Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert<br />

Das Leben ist ein Puzzle. Tag für Tag versu<strong>ch</strong>en wir,<br />

ein neues Teil an den ri<strong>ch</strong>tigen Platz zu setzen. 22<br />

ist ein gutes Alter, um die S<strong>ch</strong>önheit des entstehenden<br />

Bildes ein biss<strong>ch</strong>en zu würdigen. «Alle, die<br />

lebendig sind, haben Probleme. Nur<br />

wer ni<strong>ch</strong>t lebt, hat keine Probleme», hat<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aftler I<strong>ch</strong>ak<br />

Adizes mal gesagt. Im Alter von 13 Jahren,<br />

als i<strong>ch</strong> zu arbeiten begann, da<strong>ch</strong>te<br />

i<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über sol<strong>ch</strong>e Themen<br />

na<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> wusste aber: All meine künftigen<br />

Erfahrungen werden mir helfen,<br />

die Grundlage für mein Denken zu bilden.<br />

Die Werbeagentur, die i<strong>ch</strong> später<br />

eröffnete, ist heute führend in der Bran<strong>ch</strong>e.<br />

Unzählige Probleme galt es dabei<br />

zu lösen. Mit jedem gelösten Problem<br />

merkte i<strong>ch</strong>, wie i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> entwickle<br />

und stärker werde.<br />

Das 21. Jahrhundert ist ein Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert.<br />

Mitten<br />

dur<strong>ch</strong> ständig si<strong>ch</strong> verändernde Umstände,<br />

einem rasanten Informationsfluss<br />

und grosser Konkurrenz muss si<strong>ch</strong><br />

die heutige Jugend ihren Weg zum Erwa<strong>ch</strong>sensein<br />

bahnen. Wer ni<strong>ch</strong>t agiert,<br />

si<strong>ch</strong> entwickelt, bleibt auf der Strecke.<br />

Dass i<strong>ch</strong> an der Uni bereits zum zweiten<br />

Mal das vierte Studienjahr ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liesse,<br />

ma<strong>ch</strong>t mein Leben ni<strong>ch</strong>t unvollständig.<br />

Lohnt es wirkli<strong>ch</strong>, Zeit bei der geliebten<br />

Arbeit einzusparen und der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule zu<br />

s<strong>ch</strong>enken? Lohnt die Mühe um ein Diplom, wenn<br />

die Qualität der Bildung in unserem Land unter<br />

aller Kritik ist? Verhalte i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig, wenn i<strong>ch</strong><br />

die Mögli<strong>ch</strong>keit, mit Hundertdollars<strong>ch</strong>einen Bestnoten<br />

anzulocken, wie es einige meiner Mitstudenten<br />

taten, ni<strong>ch</strong>t mal in Betra<strong>ch</strong>t ziehe? Der russis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>riftsteller Andrej Gerasimov sagte einst,<br />

alle Fragen würden in der Kindheit zurückbleiben<br />

und der erwa<strong>ch</strong>sene Mens<strong>ch</strong> kenne nur Antwor-<br />

Jahongir Zabirov studiert<br />

im 4. Studienjahr die<br />

Fa<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tung Management<br />

an der Russis<strong>ch</strong>-<br />

Tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />

(Slawistis<strong>ch</strong>en) Universität<br />

in Dus<strong>ch</strong>anbe. Daneben<br />

leitet der 22-Jährige als<br />

Direktor die Werbeagentur<br />

«adMedia», ist<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsführer der<br />

Internet-Domainfirma<br />

«get.tj» sowie leitender<br />

Redaktor der Website<br />

www.menu.tj, einem<br />

Online-Ausgehportal über<br />

Tads<strong>ch</strong>ikistan und insbesondere<br />

Dus<strong>ch</strong>anbe.<br />

ten. I<strong>ch</strong> finde aber: Es bleibt immer wi<strong>ch</strong>tig, Fragen<br />

zu stellen und diese au<strong>ch</strong> zu beantworten. Und<br />

so ist es wi<strong>ch</strong>tig, auf Beste<strong>ch</strong>ung zu verzi<strong>ch</strong>ten und<br />

klare Prioritäten zu setzen.<br />

Das Diplom wird warten müssen,<br />

ni<strong>ch</strong>t aber die Liebe. Sie ist die Grundlage<br />

von allem, das Puzzle-Fundament.<br />

Die Liebe des für mi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>önsten<br />

Mäd<strong>ch</strong>ens gab mir ni<strong>ch</strong>t nur<br />

Kraft, meine Pläne umzusetzen. Die<br />

Beziehung auf Distanz ma<strong>ch</strong>te uns<br />

stärker. Sie musste intensiver lernen,<br />

um früher in die Ferien na<strong>ch</strong> Dus<strong>ch</strong>anbe<br />

fahren zu dürfen. I<strong>ch</strong> musste<br />

mehr und effizienter arbeiten, um häufiger<br />

zu ihr in die USA zu reisen. Sie<br />

berei<strong>ch</strong>erte meine Ansi<strong>ch</strong>ten über die<br />

Welt, zwang mi<strong>ch</strong>, Eltern und Freunde<br />

mehr zu s<strong>ch</strong>ätzen, sogar meine Einstellung<br />

zu den Frauen veränderte si<strong>ch</strong><br />

positiv. Ist die Beziehung na<strong>ch</strong> drei<br />

glückli<strong>ch</strong>en Jahren au<strong>ch</strong> zu Ende, bleiben<br />

do<strong>ch</strong> uns<strong>ch</strong>ätzbare Erfahrungen<br />

und wunderbare Erinnerungen.<br />

Meine Liebe zur Heimat nähren die<br />

Mens<strong>ch</strong>en, die hier leben. Nie werde<br />

i<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>t vergessen, in der im<br />

Nirgendwo meinem Auto das Benzin<br />

ausging. Niemand war errei<strong>ch</strong>bar, mir<br />

blieb nur das Warten. Irgendwann hielt<br />

ein Auto, aus dem zwei kräftige Männer ausstiegen.<br />

Ein Überfall? Nein. Sie bra<strong>ch</strong>ten mir Benzin,<br />

Geld dafür wollten sie keines. Hilfsbereits<strong>ch</strong>aft und<br />

Offenheit für die Sorgen anderer kennzei<strong>ch</strong>nen<br />

viele Einwohner Tads<strong>ch</strong>ikistans. Die Mens<strong>ch</strong>en, mit<br />

denen i<strong>ch</strong> arbeite, s<strong>ch</strong>ätze und liebe i<strong>ch</strong> sehr: weil<br />

i<strong>ch</strong> viel von ihnen lerne (und sie hoffentli<strong>ch</strong> von<br />

mir), aber au<strong>ch</strong> für das Zusammensein, für ihre<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wärme, die dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts zu ersetzen ist.<br />

Wo Liebe ist, findet si<strong>ch</strong> Raum für Kunst und<br />

Kreativität. I<strong>ch</strong> meine damit ni<strong>ch</strong>t nur die Di<strong>ch</strong>tung,<br />

die i<strong>ch</strong> mit grosser Ernsthaftigkeit betreibe<br />

und mit der i<strong>ch</strong> an Literaturwettbewerben teilnehme.<br />

Au<strong>ch</strong> das Lesen ist ein Akt des Mitgestaltens.<br />

I<strong>ch</strong> finde immer Zeit für Lektüre: ni<strong>ch</strong>t nur<br />

motivierender, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er oder ökonomis<strong>ch</strong>er<br />

Bü<strong>ch</strong>er, sondern au<strong>ch</strong> für Werke meiner<br />

Lieblingss<strong>ch</strong>riftsteller Dostojewski und Ostrowski.<br />

Als Fazit kann i<strong>ch</strong> sagen: Jeder erfüllte Tag ist Teil<br />

des kreativen Bemühens um ein weiteres Teil im<br />

Lebens-Puzzle. ■<br />

Grabka/laif<br />

(Aus dem Russis<strong>ch</strong>en)<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 23


Mehr Gesundheit, weniger Vorurteile<br />

Immer mehr Mens<strong>ch</strong>en in Bosnien und Herzegowina leiden<br />

als Folge des Kriegs, wegen der Arbeitslosigkeit oder der <strong>Armut</strong><br />

unter psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Störungen. Die DEZA unterstützt das<br />

Land bei der Modernisierung der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Versorgung,<br />

damit die Patienten in ihrer Umgebung eine angemessene Behandlung<br />

erhalten und die Kranken ni<strong>ch</strong>t stigmatisiert werden.<br />

D E Z A<br />

Vier Kantone beteiligt<br />

Gemeinsam mit der DEZA<br />

unterstützen die Kantone<br />

Bern, Freiburg, Genf und<br />

Jura den Umbau der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />

Dienste in<br />

Bosnien und Herzegowina.<br />

Die Zusammenarbeit<br />

ist eine Premiere.<br />

Die DEZA finanziert 84<br />

Prozent des Projekts und<br />

bringt ihr Know-how ein.<br />

Die Kantone übernehmen<br />

11 Prozent des Budgets<br />

und stellen ihr Fa<strong>ch</strong>wissen<br />

im psy<strong>ch</strong>osozialen Berei<strong>ch</strong><br />

zur Verfügung. Die restli<strong>ch</strong>en<br />

5 Prozent sind<br />

dur<strong>ch</strong> lokale Beiträge<br />

abgedeckt. So reisten<br />

S<strong>ch</strong>weizer Krankenpflegerinnen<br />

na<strong>ch</strong> Bosnien,<br />

um bei der Ausbildung ihrer<br />

Kolleginnen mitzuwirken.<br />

Ein Berner Experte<br />

unterri<strong>ch</strong>tete die Direktoren<br />

der bosnis<strong>ch</strong>en Polikliniken.<br />

Ausserdem besu<strong>ch</strong>ten<br />

fünf bosnis<strong>ch</strong>e<br />

Patientenorganisationen<br />

die S<strong>ch</strong>weiz, um si<strong>ch</strong><br />

über die Funktionsweise<br />

unserer psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />

Dienste zu informieren.<br />

DEZA<br />

In 65 Gemeindezentren soll die Behandlungsqualität von psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> kranken Mens<strong>ch</strong>en verbessert werden<br />

( jls) Unter dem sozialistis<strong>ch</strong>en Regime internierte<br />

Bosnien seine Geisteskranken in grossen Psy<strong>ch</strong>iatriespitälern,<br />

wo viele von ihnen lange Jahre<br />

oder gar den Rest ihres Lebens verbra<strong>ch</strong>ten. Die<br />

meisten dieser Einri<strong>ch</strong>tungen wurden während<br />

des Krieges zerstört, was Bosnien und Herzegowina<br />

die Gelegenheit bot, das Gesundheitssystem<br />

ab 1996 von Grund auf neu aufzubauen.<br />

Einige kleinere Kliniken für Chronis<strong>ch</strong>kranke<br />

wurden weitergeführt, daneben s<strong>ch</strong>ufen die Gesundheitsbehörden<br />

Gemeindezentren für Psy<strong>ch</strong>iatriepatienten.<br />

So können diese ambulant behandelt<br />

werden und bleiben in ihr persönli<strong>ch</strong>es<br />

Umfeld und ihren Berufsalltag integriert. Do<strong>ch</strong><br />

weil finanzielle Mittel als au<strong>ch</strong> qualifiziertes Personal<br />

fehlten, wurde der Reformprozess leider<br />

gebremst. Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> zehn Jahren vermo<strong>ch</strong>te das<br />

Netz von Zentren die erwarteten Leistungen ni<strong>ch</strong>t<br />

zu erbringen.<br />

Dabei ist die Na<strong>ch</strong>frage im Land, in dem Kriegstraumata<br />

tiefe Narben hinterliessen, riesig. No<strong>ch</strong><br />

immer leiden viele Bosnierinnen und Bosnier unter<br />

posttraumatis<strong>ch</strong>em Stress. Arbeitslosigkeit sowie<br />

<strong>Armut</strong> haben die Ausbreitung psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />

Störungen no<strong>ch</strong> verstärkt. Die Depressions-,<br />

Suizid- und Gewaltquote ist sehr ho<strong>ch</strong>, die Abhängigkeit<br />

von Alkohol und Drogen nimmt zu,<br />

besonders unter den Jugendli<strong>ch</strong>en.<br />

Gesetze und Verordnungen anpassen<br />

Um die Reform neu anzus<strong>ch</strong>ieben, hat si<strong>ch</strong> Bosnien<br />

und Herzegowina an die DEZA gewandt.<br />

Diese setzt zusammen mit vier S<strong>ch</strong>weizer Kantonen<br />

seit 2010 ein Programm um, mit dem Ziel,<br />

24<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


die Psy<strong>ch</strong>iatrie zu modernisieren und die Behandlungsqualität,<br />

vor allem in den 65 Gemeindezentren,<br />

erhebli<strong>ch</strong> zu steigern.<br />

Ein Aspekt des Programms betrifft die Anpassung<br />

des gesetzli<strong>ch</strong>en und <strong>admin</strong>istrativen Rahmens.<br />

Beispielsweise musste der Leistungskatalog der<br />

Krankenversi<strong>ch</strong>erung angepasst werden, damit alle<br />

Aktivitäten der Zentren vergütet werden. Ausserdem<br />

wurde ein Gesetz über die Behandlung Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranker<br />

revidiert. Künftig müssen alle Institutionen<br />

– Zentren und Kliniken – regelmässig<br />

von unabhängigen Kommissionen überprüft werden.<br />

«Mit diesem Me<strong>ch</strong>anismus lässt si<strong>ch</strong> die Einhaltung<br />

der Patientenre<strong>ch</strong>te kontrollieren. Im Sozialismus<br />

waren Misshandlungen in den Psy<strong>ch</strong>iatriespitälern<br />

gang und gäbe», erläutert Maja Zaric,<br />

Projektverantwortli<strong>ch</strong>e im DEZA-Kooperationsbüro<br />

in Sarajevo.<br />

Weil das neue Gesundheitssystem auf einem interdisziplinären<br />

Ansatz aufbaut, haben die Gesundheitsbehörden<br />

die Zusammensetzung des<br />

Personals offiziell geregelt: Die Zentren müssen<br />

im Minimum Psy<strong>ch</strong>iater, Psy<strong>ch</strong>ologinnen, Sozialarbeiter<br />

und Krankenpflegerinnen bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />

Sind genügend Mittel vorhanden, können sie weiteres<br />

Fa<strong>ch</strong>personal wie beispielsweise Ergotherapeuten<br />

engagieren.<br />

takte zu Spital, Hausarzt, Familie und Sozialdiensten.<br />

Pflege professionalisieren<br />

Die Ausbildung ist ein weiterer zentraler Aspekt<br />

des Programms. Nutzniesser sind vor allem die 300<br />

Pflegerinnen und Pfleger aus dem Psy<strong>ch</strong>iatrieberei<strong>ch</strong>.<br />

Einst unterbes<strong>ch</strong>äftigt, haben sie nun eine<br />

Weiterbildung absolviert, dank der sie unabhängig<br />

arbeiten und den Patienten aktiver beistehen<br />

können.<br />

Die Leiter der örtli<strong>ch</strong>en Polikliniken wiederum,<br />

an die die Zentren angegliedert sind, sind in die<br />

neuen Psy<strong>ch</strong>iatriekonzepte eingeführt worden.<br />

Sie akzeptierten diese ni<strong>ch</strong>t ganz ohne Gegenwehr,<br />

wurde do<strong>ch</strong> in ihren Einri<strong>ch</strong>tungen oft<br />

Vorurteile gegenüber Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranken no<strong>ch</strong><br />

genährt. «Wir wollen den Direktoren verständli<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>en, dass sie über diese modernen Abteilungen<br />

unter ihren Fitti<strong>ch</strong>en stolz sein müssten», erklärt<br />

Maja Zaric. «Mit der Weiterbildung erhalten<br />

sie ausserdem Werkzeuge, um ihre Zentren effizienter<br />

zu führen.»<br />

Ausgebildet werden au<strong>ch</strong> «Pflegekoordinatoren»,<br />

eine neue Funktion, in der alle Mitarbeitenden<br />

über ihre herkömmli<strong>ch</strong>e Aufgabe hinaus eingesetzt<br />

werden können. Ziel ist eine bessere Begleitung<br />

der <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>en Fälle. Jedem Patienten mit<br />

s<strong>ch</strong>weren Störungen wird ein Pflegekoordinator<br />

zugeteilt. Dieser unterstützt ihn in allen <strong>admin</strong>istrativen<br />

Belangen und über ihn laufen die Kon-<br />

DEZA<br />

Mit Bes<strong>ch</strong>äftigungstherapie wird vielen Mens<strong>ch</strong>en geholfen,<br />

die no<strong>ch</strong> immer unter einem Kriegstrauma leiden<br />

Vorurteile und Stigmata bekämpfen<br />

Parallel dazu mö<strong>ch</strong>te das Programm die no<strong>ch</strong> landesweit<br />

verbreiteten Vorurteile rund um psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />

Krankheiten abbauen. Dies mit öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Kampagnen, um die Ausgrenzung von Kranken zu<br />

bekämpfen. So verbreiten etwa die Mitarbeitenden<br />

der Zentren Informationen über die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />

Gesundheit in S<strong>ch</strong>ulen und Betrieben. «Aus<br />

Angst, dass man mit dem Finger auf sie zeigt und<br />

sie als Verrückte abstempelt, wagen es viele Patienten<br />

ni<strong>ch</strong>t, die Gemeindezentren aufzusu<strong>ch</strong>en»,<br />

bedauert Maja Zaric. «Wir müssen der Bevölkerung<br />

erklären, dass psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Störungen Krankheiten<br />

sind, wie andere au<strong>ch</strong>, und dass es keinen<br />

Grund gibt, si<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>ämen oder jene abzuweisen,<br />

die darunter leiden.»<br />

In diesem Sinn wurde die Zusammenarbeit mit<br />

30 Psy<strong>ch</strong>iatriepatienten-Organisationen eingeführt.<br />

Es geht darum, deren Fähigkeiten zu stärken,<br />

damit sie die Interessen ihrer Mitglieder<br />

wahrnehmen und mit den Behörden kommunizieren<br />

können. «Wir helfen ihnen», sagt Maja<br />

Zaric, «si<strong>ch</strong> bewusst zu werden, dass sie in der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielen und dass<br />

die Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranken vollwertige Mitglieder der<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft sind.» ■<br />

(Aus dem Französis<strong>ch</strong>en)<br />

Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ere<br />

Psy<strong>ch</strong>iatrie<br />

Lange war die Internierung<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> Kranker die einzige<br />

Behandlungsform in<br />

der industrialisierten Welt.<br />

Die moderne, auf einem<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eren Pflegeansatz<br />

basierende Psy<strong>ch</strong>iatrie<br />

forderte daraufhin, Patienten<br />

in ihrem gewohnten<br />

Umfeld zu belassen: Ab<br />

den 60er-Jahren «entinstitutionalisierten»<br />

die Länder<br />

des Westens ihre psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />

Dienste, s<strong>ch</strong>lossen<br />

die grossen Anstalten<br />

und ersetzten sie dur<strong>ch</strong><br />

dezentrale Ambulatorien.<br />

In Osteuropa setzte diese<br />

Bewegung später ein.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Kriegszerstörungen<br />

wurde sie in Bosnien<br />

und Herzegowina jedo<strong>ch</strong><br />

bes<strong>ch</strong>leunigt. Andere<br />

Länder wie Estland oder<br />

Litauen haben seit dem<br />

Ende des Kommunismus<br />

zahlrei<strong>ch</strong>e Spitäler ges<strong>ch</strong>lossen.<br />

Anderswo,<br />

in der Slowakei und in<br />

Slowenien, kommt die<br />

Entinstitutionalisierung wesentli<strong>ch</strong><br />

langsamer voran.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />

25


Die Na<strong>ch</strong>barn helfen zuerst<br />

Die Bevölkerung in den historis<strong>ch</strong>en Altstädten Marokkos ist<br />

bei Katastrophen besonders gefährdet, weil professionelle Retter<br />

nur s<strong>ch</strong>wer dur<strong>ch</strong> die engen Gassen kommen. Se<strong>ch</strong>s marokkanis<strong>ch</strong>e<br />

Städte bilden nun mit Unterstützung der DEZA Freiwilligengruppen<br />

mit Altstadtbewohnern für die Erste Hilfe aus.<br />

DEZA<br />

Türkis<strong>ch</strong>es Konzept<br />

Der Aufbau des Netzes<br />

von Freiwilligengruppen in<br />

Marokko lehnt si<strong>ch</strong> an ein<br />

für die Türkei entwickeltes<br />

Projekt an. Dort ist die<br />

Idee zur S<strong>ch</strong>affung na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Rettungskolonnen<br />

entstanden.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Erdbeben von<br />

Izmit 1999 stellten die<br />

internationalen Rettungskräfte<br />

fest, dass viele<br />

Mens<strong>ch</strong>enleben hätten<br />

gerettet werden können,<br />

wenn es den Na<strong>ch</strong>barn<br />

und Bekannten der Opfer<br />

ni<strong>ch</strong>t an Material und<br />

Ausbildung gefehlt hätte.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en 2001 und 2006<br />

etablierte die DEZA deshalb<br />

ein sol<strong>ch</strong>es System<br />

in Istanbul und in anderen<br />

Erdbebenregionen des<br />

Landes. Rund hundert<br />

Freiwilligenkolonnen wurden<br />

ausgebildet und ausgerüstet.<br />

Das Konzept<br />

weckte sodann das<br />

Interesse der iranis<strong>ch</strong>en<br />

Behörden, die mit einer<br />

DEZA-Ans<strong>ch</strong>ubhilfe ähnli<strong>ch</strong>e<br />

Kolonnen in Teheran<br />

ins Leben riefen.<br />

Freiwillige Retter sensibilisieren die Bewohner einer marokkanis<strong>ch</strong>en Medina über die Risiken bei Umweltkatastrophen<br />

oder sonstigen Unglücksfällen<br />

(jls) Die Medinas in den marokkanis<strong>ch</strong>en Städten<br />

haben si<strong>ch</strong> seit Jahrhunderten ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong> kaum<br />

verändert. Nur Fussgänger und Esel gelangen dur<strong>ch</strong><br />

das Gewirr der Gäss<strong>ch</strong>en. Kommt es zu einer Katastrophe,<br />

bleiben Feuerwehrautos und Ambulanzen<br />

oft stecken. Dabei sind Unfälle in diesen Altstadtvierteln<br />

häufig, so etwa dur<strong>ch</strong> Einsturz alter<br />

Gebäude, Brände oder Gasexplosionen. Marokko<br />

ist zudem einem erhöhten Erdbeben-, Übers<strong>ch</strong>wemmungs-<br />

und Dürrerisiko ausgesetzt.<br />

Nationales Freiwilligennetz<br />

Um den Verlust an Mens<strong>ch</strong>enleben und Material<br />

bei Katastrophen einzudämmen, hat die DEZA<br />

2008 in der Medina von Fès ein Projekt zur S<strong>ch</strong>affung<br />

freiwilliger na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Retter lanciert.<br />

«Oft dauert es Stunden oder gar Tage, bis offizielle<br />

Rettungskräfte vor Ort eintreffen. Für die<br />

Opfer ist diese Zeitspanne jedo<strong>ch</strong> von ents<strong>ch</strong>eidender<br />

Bedeutung.<br />

Die in den Quartieren stationierten lokalen Helfer<br />

sind sehr ras<strong>ch</strong> einsatzbereit und können Leben<br />

retten», erklärt Simon Ts<strong>ch</strong>urr, Projektleiter bei der<br />

Humanitären Hilfe der DEZA. Die Freiwilligen<br />

engagieren si<strong>ch</strong> in ihrem Wohngebiet. Dur<strong>ch</strong> ihre<br />

guten Ortskenntnisse wissen sie au<strong>ch</strong>, wie Verletzte<br />

am s<strong>ch</strong>nellsten zu bergen sind.<br />

Jede der Kolonnen besteht aus dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 40<br />

Mitgliedern und verfügt über einen Material- und<br />

Ausrüstungscontainer mit Halogenlampen, Hämmern,<br />

S<strong>ch</strong>aufeln, Generatoren, hydraulis<strong>ch</strong>en Hebevorri<strong>ch</strong>tungen,<br />

Arbeitskleidern, Helmen, Masken<br />

usw. Die Helfer absolvieren eine se<strong>ch</strong>stägige Ausbildung,<br />

bei der sie in Rettungste<strong>ch</strong>nik, Erste Hilfe<br />

und Brandbekämpfung eingeführt werden. Die<br />

Theoriekurse werden mit regelmässigen Übungen<br />

vor Ort ergänzt.<br />

Die marokkanis<strong>ch</strong>en Behörden sind von der Effizienz<br />

der in Fès ges<strong>ch</strong>affenen Kolonnen überzeugt<br />

und haben die DEZA gebeten, ihr Projekt auf die<br />

Medinas von Meknès, Tanger, Tétouan, Chef<strong>ch</strong>aouen<br />

und Lara<strong>ch</strong>e auszudehnen. Der Rekrutierungs-<br />

und Ausbildungsprozess läuft bereits. Bis<br />

Ende 2014 werden rund 30 Kolonnen im Einsatz<br />

sein. Das auf andere Städte erweiterbare Netz arbeitet<br />

künftig eng mit dem nationalen Zivils<strong>ch</strong>utz<br />

zusammen, der für die Katastrophenbewältigung<br />

verantwortli<strong>ch</strong> ist.<br />

Ende 2014 zieht si<strong>ch</strong> die DEZA aus dem Projekt<br />

zurück. Damit die Freiwilligengruppen ihre Tätigkeit<br />

autonom weiterführen können, wird eine marokkanis<strong>ch</strong>e<br />

Stiftung gegründet, wel<strong>ch</strong>e die Na<strong>ch</strong>haltigkeit<br />

und Ausbaufähigkeit des Systems si<strong>ch</strong>erstellt.<br />

■<br />

(Aus dem Französis<strong>ch</strong>en)<br />

26 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Einblick DEZA<br />

Tyler Hicks/NYT/Redux/laif<br />

Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz in<br />

Pakistan<br />

(ung) Mehrere Regionen Pakistans<br />

wurden 2010 von<br />

Ho<strong>ch</strong>wassern heimgesu<strong>ch</strong>t,<br />

wel<strong>ch</strong>e zahlrei<strong>ch</strong>e Opfer und<br />

beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>äden hinterliessen.<br />

Besonders stark betroffen<br />

war das Chail-Tal im<br />

Swat-Bezirk. Die Humanitäre<br />

Hilfe der DEZA hilft nun, S<strong>ch</strong>äden<br />

dur<strong>ch</strong> die regelmässig auf<br />

das Land niedergehenden<br />

Wassermassen vorzubeugen.<br />

Dieses Jahr verwirkli<strong>ch</strong>t sie<br />

die zweite Phase eines Projekts<br />

zur Stabilisierung der Hänge,<br />

zur Vermeidung von Erdruts<strong>ch</strong>en<br />

und zum Bau von<br />

Dämmen entlang der Flussufer.<br />

Dank diesen Arbeiten<br />

werden rund 2000 Haushalte<br />

ihre Kulturen und andweitige<br />

Anlagen zur Si<strong>ch</strong>erung ihrer<br />

Existenzgrundlage während<br />

der Regenzeit besser s<strong>ch</strong>ützen<br />

können. Mit dem Projekt<br />

werden ausserdem die<br />

Bevölkerung und die Behörden<br />

für die Risiken der Regenzeit<br />

sensibilisiert.<br />

Projektdauer: 2013<br />

Volumen: 325 000 CHF<br />

Rettungsdienste in<br />

Armenien<br />

(ung) Armenien leidet immer<br />

wieder unter Erdbeben, Erdruts<strong>ch</strong>en<br />

und Übers<strong>ch</strong>wemmungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Interventionsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

der Lokalbehörden<br />

überfordern. Mehrere<br />

Jahre lang hat deshalb die<br />

Humanitäre Hilfe der DEZA<br />

das armenis<strong>ch</strong>e Katastrophens<strong>ch</strong>utz-Ministerium<br />

bei<br />

Karl-Heinz Raa<strong>ch</strong>/laif<br />

der Ausbildung von lokalen<br />

Rettungskräften und der<br />

Verbesserung ihrer Fa<strong>ch</strong>kompetenz<br />

unterstützt. Aufgrund<br />

dieser Erfahrungen setzt sie<br />

si<strong>ch</strong> nun für ein völlig dezentralisiertes<br />

Rettungssystem<br />

ein. Mit Unterstützung der<br />

DEZA stellt das Ministerium<br />

in den Provinzen Eriwan,<br />

S<strong>ch</strong>irak und Syunik S<strong>ch</strong>nellrettungs-Gruppen<br />

auf die<br />

Beine. Insgesamt werden 141<br />

Rettungsleute ausgebildet und<br />

ausgerüstet sowie Ausbildungsmethoden<br />

und Koordinationsme<strong>ch</strong>anismen<br />

verbessert.<br />

Damit werden die Einsatzteams<br />

auf Notsituationen vorbereitet,<br />

damit sie ras<strong>ch</strong> und<br />

effizient reagieren können.<br />

Projektdauer: 2013 bis 2015<br />

Volumen: 950 000 CHF<br />

Bulgarien bekämpft<br />

Autos<strong>ch</strong>iebereien<br />

(mpe) Autodiebstähle und<br />

-s<strong>ch</strong>iebereien sind in Bulgarien<br />

seit langem eine weitverbreitete<br />

Plage. Das Problem hat<br />

insofern an Aktualität gewonnen,<br />

als die Regierung dem<br />

S<strong>ch</strong>engener Abkommen beitreten<br />

mö<strong>ch</strong>te. Deshalb muss<br />

die Bekämpfung der organisierten<br />

Kriminalität, die diesen<br />

lukrativen Handel kontrolliert,<br />

verstärkt werden. Ein Projekt<br />

unterstützt die Bemühungen<br />

Bulgariens, die Si<strong>ch</strong>erheitsanforderungen<br />

gegenüber der<br />

EU zu erfüllen. Finanziert wird<br />

es im Rahmen des S<strong>ch</strong>weizer<br />

EU-Erweiterungsbeitrags. Mit<br />

dem Projekt wird einerseits<br />

Jean-Luc Luyssen/Neus/laif<br />

die Ausrüstung finanziert, andererseits<br />

geht es vor allem<br />

um eine verbesserte Ausbildung<br />

und gestärkte Kapazitäten.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en der Leitung<br />

der bulgaris<strong>ch</strong>en Kriminalpolizei<br />

und der Neuenburger<br />

Kantonspolizei wurde eine<br />

Partners<strong>ch</strong>aft gebildet. Au<strong>ch</strong><br />

der Austaus<strong>ch</strong> mit Bundesstellen<br />

wie der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Zollverwaltung, wel<strong>ch</strong>e<br />

ein direktes Interesse an einer<br />

effizienten Kriminalitätsbekämpfung<br />

in Europa haben,<br />

ist vorgesehen.<br />

Projektdauer: 2012 bis 2015<br />

Volumen: 800 000 CHF<br />

Gesundheitserziehung in<br />

der Ukraine<br />

(mpe) Seit mehreren Jahren<br />

engagiert si<strong>ch</strong> die DEZA in<br />

der Ukraine für die perinatale<br />

Gesundheit. Vergangenes<br />

Jahr wurde gemeinsam mit<br />

der Unicef ein Projekt lanciert,<br />

wel<strong>ch</strong>es die Förderung der<br />

Prävention zum Ziel hat, da<br />

diese im öffentli<strong>ch</strong>en Gesundheitswesen<br />

zu kurz kommt.<br />

Aufgrund von Ersterfahrungen<br />

soll via vers<strong>ch</strong>iedene Kanäle<br />

besser über verantwortungsvolles<br />

Handeln und Verhalten<br />

informiert werden, damit gesunde<br />

S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aften<br />

si<strong>ch</strong>ergestellt und die Risiken<br />

für künftige Eltern und Neugeborene<br />

minimiert werden.<br />

Ausserdem arbeitet man<br />

daran, die Koordination zwis<strong>ch</strong>en<br />

Gesundheitsdiensten<br />

vers<strong>ch</strong>iedener Ebenen und<br />

den Sozialdiensten besser zu<br />

Hervé Vincent/REA/laif<br />

koordinieren. Das Projekt bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st auf<br />

fünf Bezirke.<br />

Projektdauer: 2012 bis 2015<br />

Volumen: 2,7 Millionen CHF<br />

Ts<strong>ch</strong>ad: Reintegration der<br />

Rückkehrer<br />

(bm) Mehr als 130 000 während<br />

der Libyenkrise geflohene<br />

Ts<strong>ch</strong>ader sind seit 2011<br />

zurückgekehrt. Dies führt in<br />

den Aufnahmegemeinden zu<br />

starken sozialen Spannungen.<br />

Der Zustrom destabilisiert<br />

die Bevölkerung vor Ort, wel<strong>ch</strong>e<br />

bereits unter äusserst<br />

prekären Bedingungen lebt,<br />

unter einer unsi<strong>ch</strong>eren Ernährungslage<br />

leidet und nur zu<br />

wenigen Grunddienstleistungen<br />

Zugang hat. Ende 2012<br />

bes<strong>ch</strong>loss die DEZA, ein<br />

Projekt zur Wiedereingliederung<br />

von Migranten in den<br />

drei wi<strong>ch</strong>tigsten Regionen im<br />

Norden des Landes (Borkou,<br />

Ennedi und Tibesti) zu unterstützen.<br />

Das von der Internationalen<br />

Organisation für<br />

Migration IOM umgesetzte<br />

Projekt unterstützt rund 50<br />

Aufnahmegemeinden mit insgesamt<br />

über 120 000 Einwohnern.<br />

Insbesondere sollen<br />

damit der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Zusammenhalt, die Solidarität<br />

sowie der Dialog zwis<strong>ch</strong>en<br />

Migranten und Bewohnern gestärkt<br />

werden. Daneben zielt<br />

man au<strong>ch</strong> auf bessere und<br />

diversifiziertere sozioökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Infrastrukturen vor Ort ab.<br />

Projektdauer: 2012 bis 2014<br />

Volumen: 2,9 Millionen CHF<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 27


<strong>Wenn</strong> <strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> <strong>Armut</strong> <strong>s<strong>ch</strong>afft</strong><br />

Rohstoffe sind ein gutes Ges<strong>ch</strong>äft. Allerdings ni<strong>ch</strong>t für alle: In<br />

rohstoffrei<strong>ch</strong>en Entwicklungsländern leben 1,5 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en<br />

in <strong>Armut</strong>, während korrupte Eliten und internationale<br />

Konzerne die Gewinne aus dem Rohstoffges<strong>ch</strong>äft mit den ärmsten<br />

Ländern einstrei<strong>ch</strong>en. Bestrebungen für mehr Transparenz<br />

sollen Abhilfe s<strong>ch</strong>affen. Von Gabriela Neuhaus.<br />

Per-Anders Pettersson/laif<br />

F O R U M<br />

In der Mine von Ruashi in der Demokratis<strong>ch</strong>en Republik Kongo bauen rund 4000 Arbeiter von Hand Kupfer ab<br />

Gemessen an seinen Bodens<strong>ch</strong>ätzen ist Afrika ein<br />

rei<strong>ch</strong>er Kontinent. Ob begehrte mineralis<strong>ch</strong>e Rohstoffe<br />

wie Gold, Diamanten und Kobalt oder die<br />

ras<strong>ch</strong> zunehmende Förderung von Erdöl und Erdgas:<br />

Das boomende Ges<strong>ch</strong>äft mit den natürli<strong>ch</strong>en<br />

Ressourcen sollte den armen Ländern eigentli<strong>ch</strong><br />

Entwicklung und Wohlstand bringen. Oft ist jedo<strong>ch</strong><br />

das Gegenteil der Fall. So leben zum Beispiel<br />

in Sambia zwei Drittel der Bevölkerung in <strong>Armut</strong>,<br />

obs<strong>ch</strong>on das Land mit Kupfer und Kobalt über besonders<br />

begehrte Exportprodukte verfügt. Deren<br />

Abbau und Vermarktung werden von international<br />

operierenden Konzernen kontrolliert, seit der<br />

Bergbau als Folge der Rohstoffkrise in den 1990er-<br />

Jahren und auf Druck der Weltbank und dem Internationalen<br />

Währungsfonds IWF privatisiert<br />

worden ist.<br />

Heute gehört zum Beispiel die Mopani-Mine, die<br />

grösste Kupfermine Afrikas, einer To<strong>ch</strong>tergesells<strong>ch</strong>aft<br />

des S<strong>ch</strong>weizer Rohstoffkonzerns Glencore.<br />

Aufgrund investorenfreundli<strong>ch</strong>er Lizenz- und<br />

Steuerbedingungen fliesst nur ein Bru<strong>ch</strong>teil der<br />

üppigen Gewinne aus dem Rohstoffges<strong>ch</strong>äft in die<br />

Staatskasse. Damit ist Sambia kein Einzelfall: Der<br />

African Economic Outlook 2012 s<strong>ch</strong>ätzt, dass das<br />

Millenniums-Entwicklungsziel «Halbierung der<br />

<strong>Armut</strong>» au<strong>ch</strong> in Afrika hätte errei<strong>ch</strong>t werden können,<br />

wären die Gewinne aus dem Rohstoffhandel<br />

ni<strong>ch</strong>t abgezogen, sondern auf dem Kontinent selber<br />

reinvestiert worden.<br />

Begehrter Handelsplatz S<strong>ch</strong>weiz<br />

Laut S<strong>ch</strong>ätzungen der OECD entgehen den Entwicklungsländern<br />

allein dur<strong>ch</strong> Steuerhinterziehung<br />

und -vermeidung jährli<strong>ch</strong> bis zu einer Billion<br />

Dollar. Die grossen Player im Rohstoffsektor<br />

28<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


neigen besonders stark zu sol<strong>ch</strong>en Praktiken, wie<br />

eine Weltbankstudie zeigt. Die Strukturen dieser<br />

Konzerne, die 24 Stunden pro Tag rund um den<br />

Globus ihr Business betreiben, sind ho<strong>ch</strong>gradig<br />

vers<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>telt und unübersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz entwickelte si<strong>ch</strong> in den letzten Jahren<br />

zu einem beliebten Standort für sol<strong>ch</strong>e Unternehmen,<br />

die hierzulande von attraktiven Rahmenbedingungen<br />

wie einem starken Finanzplatz,<br />

Le Figaro Magazine/laif<br />

Niger ma<strong>ch</strong>t mit der Offenlegungspfli<strong>ch</strong>t bei Rohstoffges<strong>ch</strong>äften – unter anderem beim Abbau von Uranerz – gute<br />

Erfahrungen<br />

limitierten Auflagen bezügli<strong>ch</strong> Transparenz sowie<br />

steuerli<strong>ch</strong>en Sonderregelungen für Unternehmen<br />

und rei<strong>ch</strong>e Privatpersonen profitieren. Heute werden<br />

s<strong>ch</strong>ätzungsweise 15 bis 25 Prozent des weltweiten<br />

Rohstoffhandels über die S<strong>ch</strong>weiz abgewickelt:<br />

Genf ist mit einem Anteil von 35 Prozent<br />

der wi<strong>ch</strong>tigste Handelsplatz für Erdöl, die Hälfte<br />

des weltweiten Kaffee- sowie des Zuckerhandels<br />

laufen über die S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Ein weiteres Beispiel ist Gold, das im Gegensatz<br />

zum Grossteil der übrigen Rohstoffe au<strong>ch</strong> physis<strong>ch</strong><br />

in die S<strong>ch</strong>weiz gelangt und hier veredelt wird. Mit<br />

einem jährli<strong>ch</strong>en Bruttogewinn von über 20 Milliarden<br />

Franken tragen die Rohstofffirmen mit<br />

Sitz in der S<strong>ch</strong>weiz heute 3,5 Prozent zur Wirts<strong>ch</strong>aftsleistung<br />

bei und haben damit traditionell<br />

wi<strong>ch</strong>tige Bran<strong>ch</strong>en wie Mas<strong>ch</strong>inenbau oder Tourismus<br />

überholt.<br />

Abhängig von finanzkräftigen Partnern<br />

Während langer Zeit erfolgte der Aufs<strong>ch</strong>wung der<br />

Rohstoffbran<strong>ch</strong>e in der S<strong>ch</strong>weiz quasi hinter vers<strong>ch</strong>lossenen<br />

Türen. Der Grossteil der Firmen ist in<br />

Privatbesitz und tritt in der Öffentli<strong>ch</strong>keit kaum<br />

in Ers<strong>ch</strong>einung. Mit einer Studie über ausbeuteris<strong>ch</strong>e<br />

Ges<strong>ch</strong>äftspraktiken von Glencore in der Demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Republik Kongo lancierten die ökumenis<strong>ch</strong>en<br />

Hilfswerke Brot für alle und Fastenopfer<br />

2011 erstmals eine breitere Debatte über Zusammenhänge<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Rohstoffhandelsplatz<br />

S<strong>ch</strong>weiz und dem oft zitierten «Rohstoff-Flu<strong>ch</strong>»<br />

in den armen Ländern des Südens. Ein Begriff, der<br />

bereits zu Kolonialzeiten geprägt wurde, als die Bodens<strong>ch</strong>ätze<br />

in den heutigen Entwicklungsländern<br />

von den Kolonialmä<strong>ch</strong>ten als ihr Eigentum beanspru<strong>ch</strong>t<br />

und ausgebeutet wurden.<br />

Damals wie heute basiert der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Elend der Mens<strong>ch</strong>en und dem Rohstoffrei<strong>ch</strong>tum<br />

in diesen Ländern ni<strong>ch</strong>t auf einem<br />

Flu<strong>ch</strong>, sondern auf handfesten Ma<strong>ch</strong>tkonstellationen.<br />

Dabei spielen die Erpressbarkeit s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er<br />

Staaten, wie au<strong>ch</strong> weitverbreitete Korruption in<br />

zahlrei<strong>ch</strong>en Entwicklungsländern, eine wi<strong>ch</strong>tige<br />

Rolle.<br />

Der beste Beweis dafür ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass starke<br />

Staaten wie Norwegen oder Kanada problemlos in<br />

Was sind Rohstoffe?<br />

Als Rohstoff bezei<strong>ch</strong>net<br />

man natürli<strong>ch</strong>e Ressourcen,<br />

die ausser ihrer<br />

Gewinnung oder Ernte<br />

no<strong>ch</strong> keine oder erst eine<br />

geringe Verarbeitung erfahren<br />

haben. Im aktuellen<br />

Diskurs unters<strong>ch</strong>eidet man<br />

drei Kategorien: Die fossilen<br />

Energieträger Erdgas,<br />

Erdöl und Kohle, mineralis<strong>ch</strong>e<br />

Rohstoffe – dazu<br />

gehören Erze, Metalle und<br />

seltene Erden – sowie die<br />

Agrarrohstoffe. Die beiden<br />

ersten Rohstoffkategorien<br />

zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />

aus, dass sie ni<strong>ch</strong>t reproduzierbar<br />

sind. Damit bergen<br />

sie für ihre Besitzer<br />

eine einmalige Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />

dur<strong>ch</strong> Abbau und Verkauf<br />

daraus Gewinn zu s<strong>ch</strong>lagen.<br />

Die Na<strong>ch</strong>frage ist in<br />

den letzten Jahren laufend<br />

gestiegen und nimmt weiter<br />

zu. Experten gehen<br />

davon aus, dass zwis<strong>ch</strong>en<br />

2011 und 2050 mehr<br />

Rohstoffe abgebaut werden,<br />

als in allen früheren<br />

Epo<strong>ch</strong>en zusammen.<br />

Literaturhinweis: Rohstoff –<br />

das gefährli<strong>ch</strong>ste Ges<strong>ch</strong>äft<br />

der S<strong>ch</strong>weiz, Erklärung von<br />

Bern (hrsg) Salis Verlag AG<br />

Züri<strong>ch</strong>, 2012<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />

29


Die Haltung der DEZA<br />

Für eine na<strong>ch</strong>haltige<br />

Nutzung natürli<strong>ch</strong>er<br />

Ressourcen, die in<br />

Förderländern zu einer<br />

ebensol<strong>ch</strong>en Entwicklung<br />

beiträgt, brau<strong>ch</strong>t es erhöhte<br />

Transparenz und<br />

Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t für<br />

Ges<strong>ch</strong>äfte mit Rohstoffen.<br />

Darüber hinaus brau<strong>ch</strong>t es<br />

internationale Standards<br />

für die Ges<strong>ch</strong>äftstätigkeit<br />

von multinationalen Unternehmen<br />

in rohstoffexportierenden<br />

Entwicklungsländern<br />

– namentli<strong>ch</strong> in<br />

den Berei<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te,<br />

Umwelts<strong>ch</strong>utz und<br />

Investitionen. In den<br />

Partnerländern zielen Projekte<br />

und Programme von<br />

DEZA und SECO zudem<br />

darauf hin, die Regierungen<br />

und Verwaltungen so<br />

zu stärken, dass sie die<br />

Interessen ihrer Länder bei<br />

Verhandlungen mit internationalen<br />

Unternehmen besser<br />

vertreten sowie entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Steuersysteme<br />

einführen und dur<strong>ch</strong>setzen<br />

können. Ein weiteres<br />

Ziel ist die Stärkung<br />

einer demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Kontrolle, zum Beispiel<br />

dur<strong>ch</strong> Parlamente und<br />

Organisationen der Zivilgesells<strong>ch</strong>aft.<br />

Rohstoffberi<strong>ch</strong>t<br />

Ende März hat der Bundesrat<br />

den Grundlagenberi<strong>ch</strong>t<br />

Rohstoffe mit Hintergründen,<br />

volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Bedeutung und Massnahme-Empfehlungen<br />

für<br />

die S<strong>ch</strong>weiz veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

Mehr dazu im Dossier<br />

«Die S<strong>ch</strong>weiz und der<br />

Rohstoffhandel» unter:<br />

www.eda.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

(Aktuell, Dossiers)<br />

Martial Trezzini/Keystone<br />

Ein Drittel des weltweiten Handels mit Rohöl und<br />

Erdölprodukten wird über Genf abgewickelt<br />

der Lage sind, ihre Rohstoffressourcen für den<br />

Wohlstand im eigenen Land zu nutzen. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt,<br />

weil sie die Kontrolle über die Ges<strong>ch</strong>äfte weitgehend<br />

selber in der Hand haben.<br />

Arme Länder hingegen, die weder über das notwendige<br />

Kapital für den Abbau ihrer Ressourcen<br />

verfügen no<strong>ch</strong> über genügend Kapazitäten, um<br />

diese auf dem Weltmarkt abzusetzen, sind auf die<br />

Zusammenarbeit mit finanzkräftigen Partnern angewiesen.<br />

Besonders gross ist die Ma<strong>ch</strong>tkonzentration<br />

bei Konzernen wie Glencore, die die gesamte<br />

Werts<strong>ch</strong>öpfungskette von der Rohstoffgewinnung<br />

bis zum Endabnehmer kontrollieren. Weil<br />

sie au<strong>ch</strong> über Lagerräume und Logistik verfügen,<br />

sind sie zudem in der Lage, Märkte zu steuern und<br />

zu manipulieren. «Je grösser und umfassender ein<br />

Konzern, desto grösser ist die Gefahr, dass er die<br />

Preise diktiert», sagt Alexandra Gillies vom Revenue<br />

Wat<strong>ch</strong> Institute, einer internationalen Organisation,<br />

die si<strong>ch</strong> für mehr Transparenz im Rohstoffhandel<br />

einsetzt.<br />

Mehr Li<strong>ch</strong>t ins Rohstoffges<strong>ch</strong>äft<br />

Seit rund zehn Jahren sind auf internationaler Ebene<br />

Bestrebungen im Gang, mehr Li<strong>ch</strong>t in die internationalen<br />

Rohstoffges<strong>ch</strong>äfte zu bringen. So<br />

engagiert si<strong>ch</strong> zum Beispiel die Extractive Industries<br />

Transparency Initiative EITI für die Offenlegung<br />

der Geldbeträge, die Staaten für Rohstoffexporte<br />

kassieren. In Ländern, die si<strong>ch</strong> der Initiative<br />

anges<strong>ch</strong>lossen haben, müssen sowohl der Staat<br />

wie die beteiligten Firmen die Geldflüsse im Rohstoffsektor<br />

publizieren. Ein erster S<strong>ch</strong>ritt in die<br />

ri<strong>ch</strong>tige Ri<strong>ch</strong>tung, sagt Gillies, weil so Korruption<br />

s<strong>ch</strong>wieriger werde und man Anhaltspunkte darüber<br />

erhalte, wie fair ein Ges<strong>ch</strong>äft ablaufe.<br />

Länder wie Niger, wo nebst den Geldflüssen au<strong>ch</strong><br />

die Verträge zwis<strong>ch</strong>en dem Staat und den Rohstofffirmen<br />

öffentli<strong>ch</strong> publiziert werden, haben damit<br />

gute Erfahrungen gema<strong>ch</strong>t, wie Ali Idrissa,<br />

Vertreter der Organisation «Publish what you pay»<br />

ausführt: «Dank der Offenlegung haben wir herausgefunden,<br />

dass bei Uranges<strong>ch</strong>äften Geld versickert<br />

ist; zudem muss si<strong>ch</strong> heute, wer in unserem<br />

Land Ges<strong>ch</strong>äfte ma<strong>ch</strong>en will, unseren Standards<br />

beugen. Damit si<strong>ch</strong> die armen Länder aber wirkli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ützen und von ihrem Rohstoffrei<strong>ch</strong>tum<br />

profitieren können, brau<strong>ch</strong>t es internationale Transparenz.»<br />

Neue Gesetze in den USA und der EU zielen in<br />

diese Ri<strong>ch</strong>tung: Der im Juli 2010 verabs<strong>ch</strong>iedete<br />

Dodd-Frank Act verlangt von börsenkotierten Unternehmen<br />

in den USA, dass sie publizieren, wie<br />

viel sie den Herkunftsländern für Erdöl, Gas und<br />

mineralis<strong>ch</strong>e Rohstoffe bezahlen. Unternehmen<br />

mit Sitz in der EU müssen künftig ebenfalls Informationen<br />

über Geldtransaktionen und Verträge<br />

im Rohstoffhandel offen legen.<br />

Geteilte Meinungen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

Und wie positioniert si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz? Die Meinungen,<br />

wie viel Transparenz im Rohstoffsektor<br />

nötig und vertretbar ist, gehen hierzulande auseinander.<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz ist zwar im Board der Transparenz-Initiative<br />

EITI vertreten und unterstützt<br />

deren Bestrebungen finanziell und bei der Umsetzung<br />

in den Rohstoff exportierenden Ländern.<br />

Aber gesetzli<strong>ch</strong>e Regulierungen im eigenen Land<br />

lehnte die offizielle S<strong>ch</strong>weiz in diesem Berei<strong>ch</strong> bis<br />

anhin ab und setzt auf Dialog und freiwillige Selbstregulierung<br />

der Unternehmen.<br />

Ni<strong>ch</strong>tregierungsorganisationen wie die Erklärung<br />

von Bern oder Swissaid sowie vers<strong>ch</strong>iedene Vorstösse<br />

im Parlament fordern hingegen verbindli<strong>ch</strong>e<br />

Regulierungen und warnen davor, dass der Rohstoffsektor<br />

ohne Anpassung an internationale<br />

Transparenz-Standards na<strong>ch</strong> dem Finanzsektor zu<br />

einem neuen Reputationsrisiko für die S<strong>ch</strong>weiz<br />

werden könnte. ■<br />

30<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Carte blan<strong>ch</strong>e<br />

Geht Tanu weg, hat die Familie weniger Geld<br />

Tanu Gufu ist ein Idol in ihrem<br />

kleinen Dorf. Viele Kinder wollen<br />

so sein wie sie: eine S<strong>ch</strong>ule<br />

absolvieren, Geld verdienen und<br />

die Eltern und die Ges<strong>ch</strong>wister<br />

unterstützen. Geboren wurde<br />

Tanu in einem äthiopis<strong>ch</strong>en<br />

Nomadendorf in der Borana-<br />

Ebene in der Provinz Oromia.<br />

Wie viele Mäd<strong>ch</strong>en in ihrem<br />

Dorf hütete sie als Kind S<strong>ch</strong>afe<br />

und Ziegen, dann aber s<strong>ch</strong>lug<br />

sie einen anderen Weg ein. Tanu<br />

besu<strong>ch</strong>te die Grunds<strong>ch</strong>ule in<br />

einem ni<strong>ch</strong>tformellen Bildungszentrum<br />

in der Nähe ihres<br />

Dorfes. Die internationale<br />

Bildungsinitiative Education for<br />

all (EFA) und die Bildungsbestrebungen<br />

im Rahmen der<br />

Millennium-Entwicklungsziele<br />

der Vereinten Nationen (MDGs)<br />

haben in vielen afrikanis<strong>ch</strong>en<br />

Ländern, darunter Äthiopien,<br />

den Anstoss gegeben, die<br />

«Grunds<strong>ch</strong>ulbildung für alle» in<br />

Angriff zu nehmen. Damit Tanu<br />

ihre S<strong>ch</strong>ulbildung na<strong>ch</strong> der<br />

Grunds<strong>ch</strong>ule fortsetzen konnte,<br />

musste sie ihr Dorf verlassen.<br />

Dieser Gedanke bereitete ihrer<br />

Mutter Sorgen, denn die Familie<br />

war auf das Kindereinkommen<br />

angewiesen. Die Eltern liessen<br />

Tanu aber au<strong>ch</strong> aus einem anderen<br />

Grund ungern ziehen: Auf<br />

Distanz konnten sie die To<strong>ch</strong>ter<br />

weniger s<strong>ch</strong>ützen und kontrollieren.<br />

Denno<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden<br />

si<strong>ch</strong> die Eltern s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für<br />

die S<strong>ch</strong>ulbildung, und Tanu<br />

meldete si<strong>ch</strong> in einem etwa 45<br />

Kilometer von ihrem Dorf entfernten<br />

katholis<strong>ch</strong>en Internat an.<br />

Trotz der Hindernisse auf ihrem<br />

Weg beendete Tanu die weiterführende<br />

S<strong>ch</strong>ule und besu<strong>ch</strong>te<br />

ans<strong>ch</strong>liessend die Haramaya<br />

Universität, wo sie mit einem<br />

Ba<strong>ch</strong>elor in Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und<br />

Denkmals<strong>ch</strong>utz abs<strong>ch</strong>loss. Stolz<br />

sagt sie: «I<strong>ch</strong> bin das erste<br />

Mäd<strong>ch</strong>en aus meinem Dorf mit<br />

einem Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulabs<strong>ch</strong>luss.»<br />

Zurzeit unterri<strong>ch</strong>tet Tanu an einer<br />

S<strong>ch</strong>ule in einem Städt<strong>ch</strong>en<br />

namens Fin<strong>ch</strong>awa. Dort setzt sie<br />

Vanessa Vick/NYT/Redux/laif<br />

si<strong>ch</strong> als Leiterin des «Gender<br />

Mainstreaming» für die<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung der Frauen ein.<br />

Ihr Wuns<strong>ch</strong> ist es, dass deutli<strong>ch</strong><br />

weniger Mäd<strong>ch</strong>en die S<strong>ch</strong>ulbildung<br />

na<strong>ch</strong> der Grunds<strong>ch</strong>ule<br />

abbre<strong>ch</strong>en. Tanu will ein Vorbild<br />

sein für die Tausenden von<br />

Nomadenmäd<strong>ch</strong>en, die davon<br />

träumen, zu der wa<strong>ch</strong>senden<br />

Zahl gebildeter Nomadenfrauen<br />

zu gehören.<br />

Vor Kurzem hat si<strong>ch</strong> Äthiopiens<br />

Regierung bereit gezeigt, von<br />

der konventionellen S<strong>ch</strong>ulbildung<br />

abzuwei<strong>ch</strong>en und das<br />

Bildungsangebot an die Bedürfnisse<br />

der Hirtennomaden anzupassen.<br />

Damit hätten deutli<strong>ch</strong><br />

mehr Nomadenkinder die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit, eine Grunds<strong>ch</strong>ule<br />

zu besu<strong>ch</strong>en – so wie Tanu. Die<br />

Grunds<strong>ch</strong>ule ist in Äthiopien<br />

für alle Kinder gratis, die höhere<br />

S<strong>ch</strong>ulbildung dagegen teuer und<br />

deshalb für die Nomaden uners<strong>ch</strong>wingli<strong>ch</strong>.<br />

Will man diese<br />

Familien unterstützen, muss die<br />

Existenzgrundlage der Hirtennomaden<br />

gesi<strong>ch</strong>ert und ihr<br />

Einkommen breiter abgestützt<br />

werden. Nur so werden sie ihren<br />

Kindern eine höhere S<strong>ch</strong>ulbildung<br />

finanzieren können.<br />

Ausbildung und Jobsu<strong>ch</strong>e sind<br />

eine Alternative zum Leben als<br />

Hirtennomade, do<strong>ch</strong> Stellen<br />

sind rar. Inzwis<strong>ch</strong>en sind zwar<br />

mehr Kinder aus Nomadenfamilien<br />

in höheren S<strong>ch</strong>ulen<br />

einges<strong>ch</strong>rieben, do<strong>ch</strong> ob si<strong>ch</strong><br />

Bildung und Nomadenleben<br />

vereinen lassen, ist eine andere<br />

Frage. Um ihre Identität s<strong>ch</strong>ützen<br />

zu können, müssen sie si<strong>ch</strong><br />

Wissen über die aktuellen politis<strong>ch</strong>en,<br />

sozialen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Prozesse aneignen.<br />

Bildung bedeutet für die junge<br />

Generation au<strong>ch</strong>, die eigene<br />

Persönli<strong>ch</strong>keit entfalten und si<strong>ch</strong><br />

berufli<strong>ch</strong> weiterentwickeln zu<br />

können und dadur<strong>ch</strong> das Leben<br />

in ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft massgebli<strong>ch</strong><br />

mitzugestalten. Bevor es soweit<br />

ist, steht allerdings no<strong>ch</strong><br />

viel Arbeit an: Die traditionelle<br />

Erziehung muss in die formale<br />

S<strong>ch</strong>ulbildung einfliessen können<br />

und Teil des Lehrplans sein. Nur<br />

so können die Konflikte und<br />

Spannungen zwis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ule<br />

und Eltern gelöst werden, die<br />

unweigerli<strong>ch</strong> auftau<strong>ch</strong>en, wenn<br />

diese zwei Welten aufeinanderprallen:<br />

Während die Nomaden<br />

Wert darauf legen, dass ihre<br />

Kinder die traditionellen Werte,<br />

Normen und Bräu<strong>ch</strong>e erlernen,<br />

um e<strong>ch</strong>te Mitglieder der<br />

Hirtengemeins<strong>ch</strong>aft zu werden,<br />

bereitet die S<strong>ch</strong>ule die Kinder<br />

auf die Mögli<strong>ch</strong>keiten und<br />

Chancen in der modernen<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft vor. ■<br />

(Aus dem Englis<strong>ch</strong>en)<br />

Geta<strong>ch</strong>ew Gebru ist Mitbegründer<br />

und Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />

der privaten Fors<strong>ch</strong>ungsund<br />

Entwicklungsorganisation<br />

MARIL mit Sitz in Äthiopien.<br />

Derzeit ist er Präsident der<br />

Äthiopis<strong>ch</strong>en Viehzu<strong>ch</strong>t-Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(Ethiopian Society of<br />

Animal Production). Gebru bes<strong>ch</strong>äftigt<br />

si<strong>ch</strong> seit Jahren mit<br />

Fors<strong>ch</strong>ung und Sensibilisierungsarbeit<br />

in den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Hirtengebieten Äthiopiens<br />

und Nordkenias und ist ausgewiesener<br />

Kenner des Risikomanagements<br />

im Berei<strong>ch</strong><br />

Hirtentum.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 31


Das Internet als Tonar<strong>ch</strong>iv<br />

MP3-Blogger in den USA und Europa sammeln alte S<strong>ch</strong>allplatten und Kassetten<br />

aus Afrika, Asien und Lateinamerika und bieten sie im Internet frei und franko<br />

zum Download an. Das stösst bei Musikfreunden auf Gegenliebe, führt aber au<strong>ch</strong><br />

Kritiker auf den Plan. Von Thomas Burkhalter*.<br />

werden – und wurden: Funk aus<br />

Nigeria, Jazz aus Äthiopien, kubanis<strong>ch</strong>e<br />

Musik aus dem Kongo<br />

oder psy<strong>ch</strong>edelis<strong>ch</strong>er Rock aus<br />

der Arabis<strong>ch</strong>en Welt, alles<br />

Zeugen früher Globalisierungsströme<br />

der 1960er- und 70er-<br />

Jahre. Oder regionale Popmusik:<br />

Der billig produzierte Handy-<br />

K U L T U R<br />

Auf der Fahrt im Minibus in die<br />

nordmalis<strong>ch</strong>e Wüstenstadt Kidal<br />

hört Christopher Kirkley sie<br />

zum ersten Mal – die Kakophonie<br />

aus regionalen Pophits, die<br />

aus den Handys seiner Mitfahrer<br />

an seine Ohren s<strong>ch</strong>allen. Die<br />

Musik fasziniert ihn: «Das ist<br />

keine sanfte Weltmusik für westli<strong>ch</strong>e<br />

Ohren. Die Musik ist billig<br />

produziert, nimmt internationale<br />

Trends auf und hat do<strong>ch</strong> einen<br />

lokalen Sound.» Bald darauf<br />

taus<strong>ch</strong>t Kirkley Tracks mit den<br />

Leuten in Kidal: Von seinem<br />

Computer auf ihre Handys, und<br />

von ihren Handys auf seine<br />

Harddisk. Er produziert die LPs<br />

«Music from Saharan Cellphones»,<br />

heute zwei Kultplatten<br />

in der Bloggerszene.<br />

Promotion und Vertrieb laufen<br />

über «Sahelsounds».<br />

MP3-Blogs: Alte Platten und<br />

quere Sounds<br />

«Sahelsounds» ist einer von unzähligen<br />

MP3-Blogs im<br />

Internet. Sie tragen klingende<br />

Namen wie «Monrakplengthai»<br />

(bezaubernde Lieder Thailands),<br />

«Excavated Shellac» (ausgebaggerte<br />

S<strong>ch</strong>ellack-Platten),<br />

«Awesome Tapes from Africa»<br />

(Fantastis<strong>ch</strong>e Kassetten aus<br />

Afrika) oder «Madtrotter-<br />

Treasure-Hunt» (Irrer S<strong>ch</strong>atzjäger).<br />

Die MP3-Blogger stöbern<br />

bei Strassenhändlern na<strong>ch</strong><br />

raren Kassetten, auf Flohmärkten<br />

na<strong>ch</strong> Vinyl, und mit anderen<br />

Sammlern taus<strong>ch</strong>en sie S<strong>ch</strong>ellackplatten.<br />

Mark Tear von «Snap, Crackle<br />

& Pop» erklärt die typis<strong>ch</strong>en<br />

Arbeitss<strong>ch</strong>ritte, wenn der<br />

Tonträger s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zuhause<br />

liegt: «I<strong>ch</strong> putze die neu erworbene<br />

S<strong>ch</strong>allplatte, überspiele sie<br />

auf meinen Computer, s<strong>ch</strong>neide<br />

das Audiofile in einzelne Tracks<br />

und lade das digitale Album auf<br />

einen Online-Spei<strong>ch</strong>er. Auf<br />

meinen Blog setze i<strong>ch</strong> das<br />

Coverbild, Informationen und<br />

den Link zu diesem Online-<br />

Spei<strong>ch</strong>er. Jeder kann das Album<br />

jetzt von dort gratis auf seinen<br />

Computer herunterladen». Das<br />

sei zwar kein Rock’n’Roll, sagt<br />

er, aber eine s<strong>ch</strong>öne Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

am Abend, wenn die<br />

Kinder im Bett lägen.<br />

Im Fokus der MP3-Blogs stehen<br />

rare Tonträger, die entweder im<br />

Markt ni<strong>ch</strong>t mehr erhältli<strong>ch</strong> sind<br />

oder aber von traditionellen<br />

Mainstream-Medien, nationalen<br />

Ar<strong>ch</strong>iven oder der musikethnologis<strong>ch</strong>en<br />

Fors<strong>ch</strong>ung ignoriert<br />

Pop aus Mali, der die Gesangsstimmen<br />

dur<strong>ch</strong> eine Autotune-<br />

Software jagt und man<strong>ch</strong>mal<br />

wie von einem anderen Stern<br />

klingt.<br />

Oder der fiebrig s<strong>ch</strong>nelle<br />

Shangaan-Electro aus Südafrika.<br />

Blogger Wills Glasspiegel fand<br />

ihn beim Surfen auf YouTube.<br />

Er reiste na<strong>ch</strong> Südafrika, traf die<br />

lokalen Produzenten und half<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> bei der Veröffentli<strong>ch</strong>ung<br />

des ersten Shangaan-<br />

Sammelalbums. New Wave<br />

Dabké aus Syrien und Shaabi-<br />

Pop aus Ägypten sind weitere<br />

Popmusikstile, die lange als Müll,<br />

Kits<strong>ch</strong> oder kulturell minderwertig<br />

abgetan wurden und jetzt<br />

massenhaft neue Hörer finden.<br />

Neuer Wind in der<br />

Musikethnologie<br />

Da si<strong>ch</strong> weltweit nur wenige<br />

Länder professionelle Tonar<strong>ch</strong>ive<br />

leisten, kommt diesen MP3-<br />

Blogs im Hinblick auf<br />

Dokumentation und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung<br />

eine gewisse<br />

Wi<strong>ch</strong>tigkeit zu – au<strong>ch</strong> wenn sie<br />

ein professionelles Ar<strong>ch</strong>iv natürli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t ersetzen.<br />

Den Aufwand, den etwa die<br />

S<strong>ch</strong>weizer Landesphonothek<br />

Fonoteka beim Putzen, Flicken,<br />

Digitali-sieren, Dokumentieren<br />

und Katalogisieren von Tonträgern<br />

leistet, können die Blogger<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t aufbringen.<br />

S<strong>ch</strong>on früher haben Musikethnologen<br />

Sammlungen und<br />

Ar<strong>ch</strong>ive mit Feldaufnahmen<br />

von meist ländli<strong>ch</strong>er Musik<br />

aus der ganzen Welt angelegt.<br />

Christopher Kirkley von<br />

«Sahelsounds» bezei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong><br />

denn au<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>eiden als<br />

«Hobby-Musikethnologen».<br />

Zur ethnographis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung<br />

stellt er grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />

Fragen wie: Was heisst ‘Dokumentieren’<br />

im digitalen Zeitalter?<br />

«I<strong>ch</strong> nahm in der Sahara<br />

mit teuren Mikrofonen einen<br />

Bluesgitarristen auf, und um<br />

mi<strong>ch</strong> herum s<strong>ch</strong>nitten Jugendli<strong>ch</strong>e<br />

dieselbe Musik mit ihren<br />

Handys mit. Wel<strong>ch</strong>e Rolle bleibt<br />

mir da no<strong>ch</strong>, als amerikanis<strong>ch</strong>er<br />

Musikethnologe?»<br />

Während MP3-Blogging für<br />

32 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


viele Hobby bleibt, ma<strong>ch</strong>en andere<br />

damit Karriere. Brian<br />

Shimkovitz vom Blog<br />

«Awesome Tapes from Africa»<br />

kaufte in Afrika Tausende von<br />

Kassetten und tritt heute als<br />

Kassetten-DJ in der ganzen<br />

Welt auf. Jonathan Ward von<br />

«Excavated Shellac» ist Herausgeber<br />

der 4CD Box «Opika<br />

Erlös der LPs «Music From<br />

Saharan Cellphones» gehe<br />

zurück an die Musiker, betont<br />

Kirkley: «Wir sollten Musiker<br />

aus der Sahara ni<strong>ch</strong>t anders behandeln<br />

als Musiker aus unserer<br />

Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft.»<br />

Kolonialismus und andere<br />

Attacken<br />

Die meisten Blogger seien<br />

Männer, aus den USA und<br />

Europa, weiss und heterosexuell,<br />

s<strong>ch</strong>reibt Portia Seddon in einem<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Artikel zu<br />

MP3-Blogs auf norient.com.<br />

Kritiker setzen genau hier an:<br />

Das sei kultureller Postkolonialismus,<br />

neuzeitli<strong>ch</strong>er Audio-<br />

Tourismus oder gar akustis<strong>ch</strong>er<br />

Karrieren als DJs und Produzenten<br />

ankurbeln.<br />

Allerdings ist dabei so wenig<br />

Geld zu verdienen, dass man die<br />

Relationen wahren sollte.<br />

Wi<strong>ch</strong>tiger ist, dass diese MP3-<br />

Blogs neue musikalis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ätze<br />

heben.<br />

Die MP3-Blogger sind keine<br />

grossen Institutionen mit<br />

Christopher Kirkley<br />

politis<strong>ch</strong> oder sozialkritis<strong>ch</strong> äussern.<br />

■<br />

*Thomas Burkhalter, Musikethnologe,<br />

arbeitet als freis<strong>ch</strong>affender<br />

Kulturjournalist und betreibt das<br />

Online-Netzwerk Norient<br />

www.norient.com<br />

Pende», einer Sammlung mit<br />

raren S<strong>ch</strong>ellackplatten aus<br />

Afrika, aufgenommen zwis<strong>ch</strong>en<br />

1909 und 1960. Das Album ist<br />

für einen Grammy nominiert,<br />

als bestes historis<strong>ch</strong>es Album<br />

von 2012.<br />

Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e<br />

Fragen<br />

MP3-Blogging steht aber au<strong>ch</strong><br />

in der Kritik. Die grossen<br />

Massenspei<strong>ch</strong>er, auf denen<br />

MP3-Blogs ihre Musik ho<strong>ch</strong>laden<br />

und zum Download anbieten,<br />

werden dur<strong>ch</strong> geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Verfügung immer wieder<br />

ges<strong>ch</strong>lossen: Zu viele von<br />

Copyrights ges<strong>ch</strong>ützte Daten<br />

wurden ho<strong>ch</strong>- und heruntergeladen.<br />

Die Blogger verstehen diese<br />

Diskussionen um Urheberre<strong>ch</strong>te<br />

nur bedingt. Erstens ist die<br />

Musik auf ihren Blogs meistens<br />

sonst nirgends erhältli<strong>ch</strong>.<br />

Zweitens s<strong>ch</strong>ätzten gerade die<br />

heute aktiven Nis<strong>ch</strong>enmusiker<br />

diese Blogs als wirksame<br />

Promotionsplattformen. Und<br />

die Blogger klären bei ihren<br />

kommerziellen Veröffentli<strong>ch</strong>ungen<br />

Urheberre<strong>ch</strong>te ab und<br />

zahlen Lizenzgebühren. Der<br />

Rassismus. Europäer und US-<br />

Amerikaner plünderten die<br />

Musik des Südens.<br />

Die Blogger ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> zu<br />

diesen Fragen dur<strong>ch</strong>aus ihre<br />

Gedanken. Nick Barbery von<br />

«Ghost Capital» sagt, er sei<br />

selbstkritis<strong>ch</strong>, und diesen komplexen<br />

Fragen gegenüber au<strong>ch</strong><br />

unsi<strong>ch</strong>er. Letztli<strong>ch</strong> wolle er aber<br />

s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t neue Klänge aus fernen<br />

Ländern freilegen – ob das etwa<br />

unethis<strong>ch</strong> sei? Man dürfe do<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t verbieten, Globale Musik<br />

zu su<strong>ch</strong>en, sie zu erfors<strong>ch</strong>en und<br />

über sie zu diskutieren.<br />

Natürli<strong>ch</strong> bleibt die ewige<br />

Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> fremder und exotis<strong>ch</strong>er<br />

Musik au<strong>ch</strong> bei MP3<br />

Blogs präsent. Gelegentli<strong>ch</strong><br />

kommt au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein<br />

s<strong>ch</strong>ales Gefühl auf. Etwa wenn<br />

Blogger in Afrika aktuelle<br />

Popkassetten kaufen, ins Netz<br />

stellen und international ihre<br />

Sahelsounds<br />

Finanzkraft und Definitionshoheit.<br />

<strong>Wenn</strong> man Afrika, Asien<br />

und Lateinamerika ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

nur als «fremd» oder «exotis<strong>ch</strong>»<br />

definieren und hören will, so<br />

müssten eigentli<strong>ch</strong> vor allem<br />

grosse Institutionen vorangehen.<br />

So etwa die no<strong>ch</strong> immer überwiegend<br />

konservativen Institute<br />

für Musikethnologie, die internationale<br />

Kulturförderung, die<br />

in ni<strong>ch</strong>t-westli<strong>ch</strong>er Musik immer<br />

Lokalkolorit hören will,<br />

und die internationalen NGOs,<br />

die mit Musikern aus dem<br />

«Weltsüden» nur dann arbeiten,<br />

wenn sie ni<strong>ch</strong>t allzu unbequeme<br />

Musik ma<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> aber dafür<br />

Ausgewählte Diskographie<br />

• «Shangaan Electro – New Wave<br />

Dance Music from South Africa»,<br />

2010, Honest Jon’s Records<br />

• «Music from Saharan<br />

Cellphones [Vol 1 und 2]», 2013,<br />

Sahelsounds<br />

• «Next Stop... Soweto» [Serie],<br />

2010, Strut Records<br />

• «Opika Pende: Africa at 78<br />

RPM (Recordings from 1909-<br />

1960s), 2012, Dust to Digital<br />

• «Waking Up S<strong>ch</strong>eherazade,<br />

Vol2», 2010, Grey Past Records<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />

33


Service<br />

Multimedia<br />

DEZA-News per Mail<br />

Der DEZA-Newsletter<br />

bietet eine Auswahl der<br />

wi<strong>ch</strong>tigsten News zur<br />

S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit<br />

und<br />

Humanitären Hilfe. Jede<br />

Ausgabe beleu<strong>ch</strong>tet ausserdem<br />

ein aktuelles<br />

Thema und informiert<br />

über Projekte, Publikationen,<br />

Filme und Ereignisse.<br />

Der E-Newsletter<br />

ers<strong>ch</strong>eint alle zwei<br />

Monate auf Deuts<strong>ch</strong>,<br />

Englis<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong><br />

und Italienis<strong>ch</strong>. Er kann<br />

auf der DEZA-Website<br />

abonniert werden:<br />

www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>.<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz und die<br />

erweiterte EU<br />

An der Jahreskonferenz der<br />

S<strong>ch</strong>weizer Ostzusammenarbeit<br />

vom 31. Mai in Bern informieren<br />

die DEZA und das Staatssekretariat<br />

für Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

SECO über Projekte im<br />

Rahmen des Beitrags der<br />

S<strong>ch</strong>weiz an die zwölf jüngsten<br />

Mitgliedsstaaten der EU.<br />

Mit diesem so genannten<br />

Erweiterungsbeitrag von 1,257<br />

Milliarden Franken unterstützt<br />

die S<strong>ch</strong>weiz den Abbau von<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und sozialen<br />

Unglei<strong>ch</strong>heiten innerhalb der<br />

Europäis<strong>ch</strong>en Union und festigt<br />

ihre Beziehungen zu Europa.<br />

Der Anlass ist öffentli<strong>ch</strong>.<br />

Jahreskonferenz der S<strong>ch</strong>weizer<br />

Ostzusammenarbeit, 31. Mai<br />

im Hotel National, Bern;<br />

Information und Anmeldung:<br />

www.erweiterungsbeitrag.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

Anlässe<br />

Filme/DVDs<br />

Entwicklung in Bild und Ton<br />

(pf) Videosequenzen, Radiosendungen<br />

und Blogs werden immer<br />

wi<strong>ch</strong>tiger für die Informationsarbeit<br />

zur Entwicklungspolitik.<br />

Aus diesem Grund<br />

haben die Dokumentationszentren<br />

von Alliance Sud in Bern<br />

und Lausanne ein zweispra<strong>ch</strong>iges<br />

Multimedia-Portal in Deuts<strong>ch</strong><br />

und Französis<strong>ch</strong> entwickelt. Im<br />

Dezember 2012 wurde die Site<br />

mit rund 100 Videoclips pro<br />

Spra<strong>ch</strong>e freiges<strong>ch</strong>altet, do<strong>ch</strong> tägli<strong>ch</strong><br />

werden es mehr. Der thematis<strong>ch</strong><br />

gegliederte Zugang wurde<br />

absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> auf zehn S<strong>ch</strong>lüsselberei<strong>ch</strong>e<br />

der Entwicklung, darunter<br />

Landwirts<strong>ch</strong>aft, Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />

Wirts<strong>ch</strong>aft, Energie und<br />

Rohstoffe bes<strong>ch</strong>ränkt. Die Filme<br />

– kaum je länger als zehn<br />

Minuten – sind hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

in Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong> und<br />

Englis<strong>ch</strong>. Neben Videoclips bietet<br />

das Portal au<strong>ch</strong> andere<br />

Online-Ressourcen, so etwa<br />

Tondokumente, Infografiken,<br />

Fotos und spezialisierte Blogs.<br />

Für dieses multimediale Angebot<br />

haben die Dokumentalisten<br />

von Alliance Sud und der DEZA<br />

eng zusammengearbeitet.<br />

www.alliancesud.<strong>ch</strong>/multimedia<br />

Goldene Zerstörung<br />

der Natur<br />

(dg) Ein internationales Bergbauunternehmen<br />

reist mit der<br />

gesamten Infrastruktur von<br />

Borneo na<strong>ch</strong> Guinea und verwandelt<br />

das umliegende Land<br />

in eine grosse Goldminenwüste.<br />

Der Film «Gold über alles» offenbart<br />

eine Welt, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />

die Mine für immer verändert,<br />

und porträtiert Mens<strong>ch</strong>en, die in<br />

Guinea mit diesen Veränderun-<br />

Musik<br />

gen leben müssen. Der anfängli<strong>ch</strong>en<br />

Euphorie, Arbeit gefunden<br />

zu haben, folgt jedo<strong>ch</strong> bald<br />

Ernü<strong>ch</strong>terung. Der mehrfa<strong>ch</strong><br />

ausgezei<strong>ch</strong>nete Film zeigt die<br />

dur<strong>ch</strong> die Mine ausgelösten ökonomis<strong>ch</strong>en,<br />

ökologis<strong>ch</strong>en und<br />

sozialen Veränderungen. Die gigantis<strong>ch</strong>e<br />

Naturzerstörung korreliert<br />

mit den krassen Unters<strong>ch</strong>ieden<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Lebenswelten<br />

der Firmenmitarbeiter<br />

und der einheimis<strong>ch</strong>en Bevölkerung,<br />

die ums Überleben<br />

kämpft. Ein ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>es<br />

Beispiel für eine fehlges<strong>ch</strong>lagene<br />

Entwicklung.<br />

«Gold über alles», Dokumentarfilm<br />

von Robert Nugent, F/Australien<br />

2007; Information und Beratung:<br />

education21/Filme für eine Welt<br />

Tel. 031 321 00 30,<br />

www.filmeeinewelt.<strong>ch</strong><br />

Unerhörte Urmusik<br />

(er) Es ist ein Hörs<strong>ch</strong>ock für mit<br />

westli<strong>ch</strong>en Melodien, Rhythmen<br />

und Harmonien vertraute<br />

Ohren. Bewirkt wird er dur<strong>ch</strong><br />

langgezogene, an- und abs<strong>ch</strong>wellende,<br />

dunkle wie li<strong>ch</strong>te, hie und<br />

da au<strong>ch</strong> quengelnde Klangspuren<br />

von S<strong>ch</strong>almeien, Kno<strong>ch</strong>enflöten,<br />

Hörnern und Trompeten.<br />

Dumpfe Paukens<strong>ch</strong>läge, trocken<br />

tönende Trommelwirbel und hell<br />

metallis<strong>ch</strong> hallende Zimbeln setzen<br />

Akzente. Und da finden si<strong>ch</strong><br />

aussergewöhnli<strong>ch</strong> faszinierende<br />

Stimmen in liturgis<strong>ch</strong>en, meditativ<br />

skandierenden Solo- und<br />

abgründig tief vibrierenden<br />

Chorgesängen. Es gilt einzutau<strong>ch</strong>en<br />

in die jahrhundertealten sakralen<br />

Klangrituale von zwölf<br />

buddhistis<strong>ch</strong>en Mön<strong>ch</strong>en. Diese<br />

verliessen letztes Jahr zum ersten<br />

Mal ihr weltabges<strong>ch</strong>iedenes<br />

Kloster im kleinen Himalaja-<br />

Königrei<strong>ch</strong> Bhutan, um am<br />

Inners<strong>ch</strong>weizer Volkskulturfest<br />

«Obwald» aufzutreten. Dana<strong>ch</strong><br />

gingen sie ins Studio. Das<br />

Resultat ist ein bisher no<strong>ch</strong> nie<br />

gehörtes, wahrhaft unerhörtes<br />

Klangereignis.<br />

Ausstellung<br />

«Rituals – Buddhist Monks from<br />

the Punakha Dzong in Bhutan»<br />

(Electric Mermaid Music<br />

Production/buddhist-monksbhutan.com)<br />

Exzellentes Klangbild<br />

(er) Der 63-jährige malis<strong>ch</strong>e<br />

Sänger und Songs<strong>ch</strong>reiber Salif<br />

Keita gehört seit Jahrzehnten zu<br />

den populärsten und bekanntesten<br />

Musikern Afrikas. Nun verkündet<br />

er, dass sein neustes<br />

Werk, geprägt von einem überras<strong>ch</strong>end<br />

progressiven Klangbild<br />

mit groovenden Pop-, Rock-,<br />

Jazz- und Electro-Anleihen, viellei<strong>ch</strong>t<br />

seine letzte CD sei. Darauf<br />

wirken u. a. der Londoner<br />

Rapper Roots Manuva, die kamerunis<strong>ch</strong>e<br />

Sax-Legende Manu<br />

Dibango oder die junge US-<br />

Jazzbassistin Esperanza Spalding<br />

mit. Zu hören ist Bobby<br />

McFerrin in einem Stimmen-<br />

Duett mit Keita. Die Be<strong>ch</strong>ertrommel<br />

Djembe oder das<br />

Griot-Saiteninstrument N’goni<br />

sorgen für Mandika-Finessen,<br />

die in die Beine fahren. Unter<br />

die Haut gehen zudem eindringli<strong>ch</strong>e<br />

Liebeslieder und engagiert<br />

kritis<strong>ch</strong>e Songtexte von<br />

Salif Keita. Dieses exzellente<br />

Album bleibt hoffentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

sein letztes!<br />

Salif Keita: «Talé» (Universal Music<br />

France/Musikvertrieb)<br />

Museum im neuen Kleid<br />

(jls) Das Internationale Rotkreuz-<br />

und Rothalbmondmuseum<br />

in Genf hat seine Türen<br />

na<strong>ch</strong> fast zweijähriger S<strong>ch</strong>liessung<br />

wiedereröffnet. In dieser<br />

Zeit wurde die Dauerausstellung<br />

34 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013


Bü<strong>ch</strong>er<br />

komplett neu gestaltet. Die<br />

Auffris<strong>ch</strong>ung war nötig, da si<strong>ch</strong><br />

die humanitäre Arbeit in den<br />

vergangenen 25 Jahren – die<br />

vorherige Ausstellung datiert<br />

aus dem Jahr 1988 – enorm<br />

entwickelt hat. In ihrer neuen<br />

Form ist sie als erlebnisrei<strong>ch</strong>e<br />

Einführung in die Welt der humanitären<br />

Tätigkeit konzipiert<br />

und in drei thematis<strong>ch</strong>e Räume<br />

gegliedert: «Die Mens<strong>ch</strong>enwürde<br />

verteidigen», «Familienbande<br />

wiederherstellen» und «Risiken<br />

von Naturgefahren begrenzen».<br />

In jedem Raum dur<strong>ch</strong>laufen die<br />

Besu<strong>ch</strong>erinnen und Besu<strong>ch</strong>er<br />

erst eine Sensibilisierungsphase,<br />

die sie emotional anspri<strong>ch</strong>t. In<br />

einer zweiten Etappe stehen<br />

Informationen und ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Hintergründe des Roten<br />

Kreuzes im Vordergrund. Die<br />

Räume wurden von drei international<br />

bekannten Ar<strong>ch</strong>itekten<br />

bzw. Bühnenbildnern aus<br />

Brasilien, Burkina Faso und<br />

Japan gestaltet.<br />

Öffnungszeiten und weitere<br />

Informationen: www.redcrossmuseum.<strong>ch</strong><br />

oder Tel. 022 748 95 11.<br />

Am Sultanshof in Kamerun<br />

(bf) Der kamerunis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>riftsteller<br />

Patrice Nganang verwebt<br />

in seinem neusten Werk «Der<br />

S<strong>ch</strong>atten des Sultans» mündli<strong>ch</strong><br />

überlieferte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten mit in<br />

Ar<strong>ch</strong>iven dokumentierten<br />

Ereignissen. Herausgekommen<br />

ist ein ebenso anregender wie<br />

Impressum<br />

«Eine Welt» ers<strong>ch</strong>eint viermal jährli<strong>ch</strong> in<br />

deuts<strong>ch</strong>er, französis<strong>ch</strong>er und italienis<strong>ch</strong>er<br />

Spra<strong>ch</strong>e.<br />

Herausgeberin<br />

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit<br />

(DEZA) des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departementes<br />

für auswärtige Angelegenheiten (EDA)<br />

Redaktionskomitee<br />

Martin Dahinden (verantwortli<strong>ch</strong>)<br />

Catherine Vuffray (Gesamtkoordination)<br />

Marie-Noëlle Bossel, Beat Felber, Patrick<br />

Kohler, André Marty, Pierre Maurer, Özgür Ünal<br />

Redaktion<br />

Beat Felber (bf –Produktion)<br />

Gabriela Neuhaus (gn) Jane-Lise<br />

aufregender Roman. Hauptfigur<br />

darin ist die junge Historikerin<br />

Bertha, wel<strong>ch</strong>e aus den USA<br />

na<strong>ch</strong> Youndé reist, um die<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Kameruns zu erfors<strong>ch</strong>en.<br />

Hier lernt sie die<br />

80-jährige Sara kennen, wel<strong>ch</strong>e<br />

ihr die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Njoya<br />

erzählt, dem Herrs<strong>ch</strong>er des<br />

Königrei<strong>ch</strong>s Bamum, wel<strong>ch</strong>er<br />

von 1894 bis 1933 mit seinem<br />

Hofstaat in Mont Plaisant lebte.<br />

Sara wurde als Neunjährige ihrer<br />

Mutter entrissen und dem Sultan<br />

Njoya als Frau ges<strong>ch</strong>enkt. Im<br />

Laufe ihres langen Lebens wurde<br />

sie so Zeugin unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster<br />

Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten von Liebe,<br />

Eifersu<strong>ch</strong>t, Ma<strong>ch</strong>t und Tod,<br />

wel<strong>ch</strong>e sie nun Bertha erzählt.<br />

Nganang hat für sein Bu<strong>ch</strong> a<strong>ch</strong>t<br />

Jahre lang in Ar<strong>ch</strong>iven auf drei<br />

Kontinenten gefors<strong>ch</strong>t und<br />

mit zahllosen Mens<strong>ch</strong>en in<br />

seiner Heimat geredet. Das<br />

Resultat ist ni<strong>ch</strong>t nur spannend,<br />

sondern au<strong>ch</strong> ein Plädoyer für<br />

eine neue Art von Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung.<br />

«Der S<strong>ch</strong>atten des Sultans» von<br />

Patrice Nganang, Peter Hammer<br />

Verlag 2012<br />

S<strong>ch</strong>neeberger (jls) Mirella Wepf (mw) Ernst<br />

Rieben (er) Luca Beti (italienis<strong>ch</strong>e Version)<br />

Gestaltung<br />

Laurent Coc<strong>ch</strong>i, Lausanne<br />

Lithografie und Druck<br />

Vogt-S<strong>ch</strong>ild Druck AG, Derendingen<br />

Wiedergabe<br />

Der Na<strong>ch</strong>druck von Artikeln ist, na<strong>ch</strong> Bewilligung<br />

dur<strong>ch</strong> die Redaktion, unter Quellenangabe<br />

gestattet. Belegexemplare erwüns<strong>ch</strong>t<br />

Abonnemente und Adressänderungen<br />

«Eine Welt» ist gratis (nur in der S<strong>ch</strong>weiz)<br />

erhältli<strong>ch</strong> bei: EDA, Informationsdienst,<br />

Bundeshaus West, 3003 Bern<br />

Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Kongos<br />

als Bestseller<br />

(jls) Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />

Demokratis<strong>ch</strong>en Republik<br />

Kongo (ehemals Zaïre) wurde<br />

bislang in keinem umfassenden<br />

Werk für ein breites Publikum<br />

bes<strong>ch</strong>rieben. Diese Lücke füllt<br />

das Bu<strong>ch</strong> «Kongo» des Belgiers<br />

David van Reybrouck, der dafür<br />

fünf Jahre re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>iert, 5000<br />

Dokumente gesi<strong>ch</strong>tet und über<br />

500 Personen befragt hat. Er<br />

thematisiert das we<strong>ch</strong>selhafte<br />

S<strong>ch</strong>icksal des riesigen Landes<br />

von der Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te über die<br />

Sklaverei, die Kolonialisierung<br />

dur<strong>ch</strong> Belgien, die Unabhängigkeit,<br />

die Herrs<strong>ch</strong>aft Mobutus<br />

und die Ma<strong>ch</strong>tergreifung Kabilas<br />

bis hin zum Auftau<strong>ch</strong>en der <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en<br />

Investoren. Mehrere<br />

Literaturpreise zeugen von der<br />

Qualität dieses Historiografie,<br />

Literatur und Reportage verbindenden<br />

Werks. Es zei<strong>ch</strong>net sowohl<br />

die grosse Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als<br />

au<strong>ch</strong> diejenige der Mens<strong>ch</strong>en,<br />

die Tag für Tag um ihr Überleben<br />

kämpfen, na<strong>ch</strong>. Trotz des<br />

Umfangs von 700 Seiten und<br />

dem ni<strong>ch</strong>t bestsellerträ<strong>ch</strong>tigen<br />

Thema hat die niederländis<strong>ch</strong>e<br />

Originalausgabe riesigen Erfolg.<br />

In Belgien und den Niederlanden<br />

wurden 250 000 Exemplare<br />

verkauft. Übersetzungen in<br />

ein halbes Dutzend anderer<br />

Spra<strong>ch</strong>en sind angekündigt.<br />

David van Reybrouck: «Kongo»,<br />

Suhrkamp, Juni 2013<br />

E-Mail: info@deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

Tel. 031 322 44 12<br />

Fax 031 324 90 47<br />

Internet : www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />

860215346<br />

Der Umwelt zuliebe gedruckt auf <strong>ch</strong>lorfrei<br />

geblei<strong>ch</strong>tem Papier<br />

Gesamtauflage: 52 200<br />

Ums<strong>ch</strong>lag: Tila Patil und sein Sohn Dilip in<br />

Dhulia, Indien; Scott Eells/Redux/laif<br />

ISSN 1661-1667<br />

Elisa Larvego<br />

Fernsu<strong>ch</strong>t<br />

Eine Oase in Antananarivo<br />

Die französis<strong>ch</strong>-s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>riftstellerin Douna Loup, 31,<br />

lebt in Genf und hat bislang zwei<br />

Erzählbände sowie den mehrfa<strong>ch</strong><br />

preisgekrönten Roman<br />

«L’Embrasure» veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />

Mit 18 kam i<strong>ch</strong> als Volontärin in<br />

die madagassis<strong>ch</strong>e Hauptstadt.<br />

Die Stadt wirkte riesig, do<strong>ch</strong> die<br />

Waisenheim-S<strong>ch</strong>ule, an der i<strong>ch</strong> arbeitete,<br />

war eine Oase. Die Kinder<br />

füllten meine Tage aus. I<strong>ch</strong> übernahm<br />

ihr La<strong>ch</strong>en und ihre halb<br />

französis<strong>ch</strong>e, halb madagassis<strong>ch</strong>e<br />

Spra<strong>ch</strong>e. Antananarivo fesselte<br />

mi<strong>ch</strong>: Die Gassen mit den<br />

Treppenkaskaden, die Openair-<br />

Metzgereien und vor allem<br />

die Stimmungen. I<strong>ch</strong> mo<strong>ch</strong>te<br />

die einfa<strong>ch</strong>en Verkaufsstände,<br />

die Gesi<strong>ch</strong>ter, die mi<strong>ch</strong> ungeniert<br />

anspra<strong>ch</strong>en. I<strong>ch</strong> mo<strong>ch</strong>te die<br />

Spra<strong>ch</strong>e, in der die Sonne «Auge<br />

des Tages» und das Meer «heiliges<br />

Wasser» heisst. Später habe<br />

i<strong>ch</strong> die madagassis<strong>ch</strong>e Musik entdeckt,<br />

insbesondere die Kultgruppe<br />

Mahaleo und den Sänger<br />

Ricky Olombelo. I<strong>ch</strong> habe Gedi<strong>ch</strong>te<br />

von Rabearivelo gelesen,<br />

seine Presque-Songes und seine<br />

Calepins Bleus, ein Tagebu<strong>ch</strong>, das<br />

er bis kurz vor seinem Suizid 1938<br />

geführt hat. Letzthin hat mi<strong>ch</strong><br />

Johary Ravaloson mit seinem<br />

Roman «Géotropiques» in die<br />

Gassen Antananarivos, zu den<br />

dunklen Gerü<strong>ch</strong>en und zum<br />

Branden der Dünung an den<br />

Gestaden der Roten Insel entführt.<br />

Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 35


«Es ist für Entwicklungsländer si<strong>ch</strong>er<br />

von Nutzen, zusätzli<strong>ch</strong>e und vor allem<br />

diverse Partner zu haben.»<br />

Elizabeth Sidiropoulos, Seite 17<br />

«Während Jahren musste i<strong>ch</strong> Wasserkessel<br />

im Hof füllen und sie in<br />

meine Wohnung im vierten Stock<br />

hinauftragen.»<br />

Mouazamma Djamalova, Seite 22<br />

«Inzwis<strong>ch</strong>en sind zwar mehr Kinder<br />

aus Nomadenfamilien in höheren<br />

S<strong>ch</strong>ulen einges<strong>ch</strong>rieben, do<strong>ch</strong> ob si<strong>ch</strong><br />

Bildung und Nomadenleben vereinen<br />

lassen, ist eine andere Frage.»<br />

Geta<strong>ch</strong>ew Gebru, Seite 31

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