Wenn Reichtum Armut schafft - Deza - admin.ch
Wenn Reichtum Armut schafft - Deza - admin.ch
Wenn Reichtum Armut schafft - Deza - admin.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Eine Welt<br />
NR. 2 / JUNI 2013<br />
DAS DEZA-MAGAZIN<br />
FÜR ENTWICKLUNG<br />
UND ZUSAMMENARBEIT<br />
www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
Neue Geber – andere Muster<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan: Im Würgegriff<br />
der Na<strong>ch</strong>barn<br />
Rohstoffe: Mit mehr Transparenz<br />
zu na<strong>ch</strong>haltiger Entwicklung
Inhalt<br />
D O S S I E R<br />
SCHWELLENLÄNDER<br />
6 Neue Geber – andere Muster<br />
Immer mehr S<strong>ch</strong>wellenländer treten in der Entwicklungszusammenarbeit als<br />
neue Geber auf – mit ihnen entstehen au<strong>ch</strong> neue Dynamiken und Spielregeln<br />
12 Gemeinsam entwässern kommt günstiger<br />
Dur<strong>ch</strong> die Zusammenarbeit der S<strong>ch</strong>weiz, Brasilien und Nicaragua erhalten<br />
im zentralamerikanis<strong>ch</strong>en Land Kleinstädte ein besseres Abwassersystem<br />
14 S<strong>ch</strong>utz vor Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbru<strong>ch</strong> in West<strong>ch</strong>ina<br />
S<strong>ch</strong>weizer und <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Experten arbeiten Hand in Hand, um das Risiko<br />
einer Flutwelle dur<strong>ch</strong> einen Glets<strong>ch</strong>ersee zu minimieren<br />
16 «Südafrika ist der Gigant des Kontinents»<br />
Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin Elizabeth Sidiropoulos<br />
im Interview<br />
18 Facts & Figures<br />
H O R I Z O N T E<br />
19 Grenzkonflikte trennen Familien<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan leidet unter den Streitigkeiten um die Wasserkraft mit seinen<br />
mä<strong>ch</strong>tigen Na<strong>ch</strong>barn<br />
22 Aus dem Alltag von...<br />
Mouazamma Djamalova, DEZA-Gesundheitsbeauftragte in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
23 Das Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert<br />
Jahongir Zabirov über das rasante Leben der Jungen in Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
D E Z A<br />
24 Mehr Gesundheit, weniger Vorurteile<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz unterstützt Bosnien und Herzegowina bei der Modernisierung<br />
der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Versorgung<br />
26 Die Na<strong>ch</strong>barn helfen zuerst<br />
Ein DEZA-Projekt bildet Freiwilligengruppen für Erste Hilfe na<strong>ch</strong> Bränden<br />
oder eingestürzten Häusern in Marokkos Altstädten aus<br />
F O R U M<br />
28 <strong>Wenn</strong> <strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> <strong>Armut</strong> <strong>s<strong>ch</strong>afft</strong><br />
Viele Rohstoffe werden in Entwicklungsländern abgebaut, do<strong>ch</strong> Handel und<br />
Gewinne damit ma<strong>ch</strong>en andere – nun soll mehr Transparenz Abhilfe s<strong>ch</strong>affen<br />
31 Geht Tanu weg, hat die Familie weniger Geld<br />
Carte blan<strong>ch</strong>e: Der Äthiopier Geta<strong>ch</strong>ew Gebru über das s<strong>ch</strong>wierige<br />
Nebeneinander von S<strong>ch</strong>ule und Hirtentum in seiner Heimat<br />
K U L T U R<br />
32 Das Internet als Tonar<strong>ch</strong>iv<br />
Immer mehr alte S<strong>ch</strong>allplatten und Kassetten aus Afrika, Asien und<br />
Lateinamerika werden von MP3-Bloggern ins Internet gestellt<br />
3 Editorial<br />
4 Periskop<br />
27 Einblick DEZA<br />
34 Service<br />
35 Fernsu<strong>ch</strong>t mit Douna Loup<br />
35 Impressum<br />
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die<br />
Agentur der internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin<br />
von « Eine Welt ». Die Zeits<strong>ch</strong>rift ist aber keine offizielle<br />
Publikation im engeren Sinn ; in ihr sollen au<strong>ch</strong> andere Meinungen<br />
zu Wort kommen ; deshalb geben ni<strong>ch</strong>t alle Beiträge unbedingt<br />
den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder.<br />
2<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Editorial<br />
DEZA<br />
Der Weg entsteht im Gehen<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer, die in dieser Ausgabe im Mittelpunkt<br />
stehen, haben für die Internationale Zusammenarbeit in<br />
den vergangenen Jahren sehr stark an Bedeutung<br />
gewonnen. Der Begriff bezei<strong>ch</strong>nete ursprüngli<strong>ch</strong> die<br />
asiatis<strong>ch</strong>en «Tigerstaaten». Heute sind damit die BRICS<br />
gemeint – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika<br />
– zusammen mit einer oft grösseren Zahl weiterer<br />
Länder, die günstige wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Indikatoren aufweisen.<br />
Eine gültige Definition für S<strong>ch</strong>wellenländer existiert<br />
ni<strong>ch</strong>t – der Begriff hat au<strong>ch</strong> in fast jeder Spra<strong>ch</strong>e eine<br />
lei<strong>ch</strong>t andere Bedeutung. Fest steht:<br />
• S<strong>ch</strong>wellenländer haben politis<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t. Man<strong>ch</strong>e<br />
sind Mitglied der G-20 und bereiten damit viele internationale<br />
Ents<strong>ch</strong>eidungen vor. Au<strong>ch</strong> in der UNO und<br />
anderen Foren spielen sie eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Ihre<br />
frühere politis<strong>ch</strong>e Identität als Entwicklungsland haben<br />
sie ni<strong>ch</strong>t abgelegt und können damit auf vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
politis<strong>ch</strong>en Klaviaturen glei<strong>ch</strong>zeitig spielen.<br />
• Die industrielle Produktion der S<strong>ch</strong>wellenländer ist<br />
sehr bedeutend. Deshalb spielen sie in den Auseinandersetzungen<br />
um Rohstoffe und Energieträger<br />
eine S<strong>ch</strong>lüsselrolle. Entspre<strong>ch</strong>end gross ist ihr Ausstoss<br />
an Treibhausgasen – gross und wa<strong>ch</strong>send ihr<br />
ökologis<strong>ch</strong>er Fussabdruck.<br />
• <strong>Armut</strong> ist ein grosses Problem in S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />
In Indien gibt es mehr Arme als in Afrika. Die klassis<strong>ch</strong>e<br />
Entwicklungszusammenarbeit der OECD-Länder zieht<br />
si<strong>ch</strong> aus den S<strong>ch</strong>wellenländern zurück. Wer politis<strong>ch</strong><br />
und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> mä<strong>ch</strong>tig ist, kann ni<strong>ch</strong>t auf Entwicklungshilfe<br />
hoffen – mit der paradoxen Wirkung, dass<br />
si<strong>ch</strong> die Entwicklungshilfe heute um die Mehrheit der<br />
Armen ni<strong>ch</strong>t mehr kümmert.<br />
• Die politis<strong>ch</strong>e und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Modernisierung<br />
verläuft in S<strong>ch</strong>wellenländern anders, als es in den alten<br />
Industriestaaten der Fall war. Um Demokratie, Re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>keit,<br />
Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te ist es oft ni<strong>ch</strong>t gut bestellt,<br />
was si<strong>ch</strong> negativ auf die Lebensverhältnisse und<br />
auf die längerfristigen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Perspektiven<br />
auswirkt.<br />
• S<strong>ch</strong>wellenländer sind heute selber Akteure der Entwicklungszusammenarbeit,<br />
oft mit einer – um es diplomatis<strong>ch</strong><br />
auszudrücken – komplexen Agenda. Entwicklungsagenturen<br />
der OECD-Länder sind in ihrer Arbeit<br />
plötzli<strong>ch</strong> umgeben von Akteuren mit einem anderen<br />
Werte- und Methodenkanon.<br />
Weder die weltweite <strong>Armut</strong> no<strong>ch</strong> globale Herausforderungen<br />
wie Klimawandel, Migration, Ressourcenverknappung<br />
oder Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit sind ohne<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer lösbar. Dringend notwendig ist ein politis<strong>ch</strong>er<br />
Dialog. Die meisten sind dazu offen – gerade<br />
au<strong>ch</strong> China – au<strong>ch</strong> wenn sie ihren Weg selber bestimmen<br />
wollen.<br />
Meinungs- und Erfahrungsaustaus<strong>ch</strong> allein rei<strong>ch</strong>en<br />
ni<strong>ch</strong>t aus. Es ist wi<strong>ch</strong>tig, si<strong>ch</strong> mit S<strong>ch</strong>wellenländern in<br />
gemeinsame praktis<strong>ch</strong>e Vorhaben zu begeben, um<br />
<strong>Armut</strong> und globale Risiken besser in den Griff zu bekommen.<br />
Das ist kein Anlass für einseitige Belehrung.<br />
Die OECD-Staaten kennen die Lösungen au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />
Ein spanis<strong>ch</strong>es Spri<strong>ch</strong>wort sagt: Der Weg entsteht im<br />
Gehen. Und viele S<strong>ch</strong>wellenländer besitzen wi<strong>ch</strong>tige<br />
Erfahrungen vom Weg, den sie zurückgelegt haben.<br />
Die DEZA pflegt einen regelmässigen Austaus<strong>ch</strong> mit<br />
einzelnen S<strong>ch</strong>wellenländern. Aber au<strong>ch</strong> konkrete Vorhaben<br />
im Rahmen der Globalprogramme und in Projekten<br />
der trilateralen Zusammenarbeit zwis<strong>ch</strong>en der<br />
S<strong>ch</strong>weiz, S<strong>ch</strong>wellen- und Entwicklungsländern. Das<br />
konkrete Engagement für die Ärmsten verliert damit<br />
ni<strong>ch</strong>t an Bedeutung. Im Gegenteil: Der Forts<strong>ch</strong>ritt für<br />
die ärmsten Länder und Bevölkerungss<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten hängt<br />
in unserer globalisierten Welt wesentli<strong>ch</strong> davon ab, wie<br />
die S<strong>ch</strong>wellenländer in die Anstrengungen einbezogen<br />
werden.<br />
Martin Dahinden<br />
Direktor der DEZA<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 3
Periskop<br />
Iterrae<br />
Kurt Henseler/laif<br />
Stromlose Kühllager<br />
( jls) Die Nä<strong>ch</strong>te im Sahel und in der Sahara sind kühl,<br />
au<strong>ch</strong> wenn tagsüber bis zu 40 Grad Hitze herrs<strong>ch</strong>t. Der<br />
Franzose Pascal Fayet hat eine Baute<strong>ch</strong>nik erfunden, mit<br />
der si<strong>ch</strong> die nä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Kühle einfangen und spei<strong>ch</strong>ern<br />
lässt, um sie tagsüber an die Räume abzugeben, in denen<br />
Frü<strong>ch</strong>te, Gemüse und andere verderbli<strong>ch</strong>e Waren gelagert<br />
werden. Seine «Sahelspei<strong>ch</strong>er» reduzieren Na<strong>ch</strong>ernte-<br />
Verluste und bekämpfen den Hunger der Landbevölkerung.<br />
Das Vorgehen, das den natürli<strong>ch</strong>en Prozess der Strahlungskühlung<br />
(Gegenteil des Treibhauseffekts) nutzt,<br />
beruht au<strong>ch</strong> auf adäquater Isolierung und Ventilation.<br />
Im eigentli<strong>ch</strong>en Kühlraum bleibt die Temperatur bei 15<br />
bis 20 Grad stabil. Die mit lokalem Baumaterial erstellten<br />
Lagerhäuser produzieren Kälte ohne jegli<strong>ch</strong>en Energieverbrau<strong>ch</strong><br />
und setzen dementspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> keine<br />
Treibhausgase frei. Sie eignen si<strong>ch</strong> bestens für ni<strong>ch</strong>t elektrifizierte<br />
Landstri<strong>ch</strong>e. Na<strong>ch</strong> Tests in Burkina Faso und<br />
Niger hat Pascal Fayet letztes Jahr in Senegal einen<br />
Pilotspei<strong>ch</strong>er erri<strong>ch</strong>tet.<br />
www.greniersdusahel.com<br />
Beruf Grillenzü<strong>ch</strong>ter<br />
(jls) S<strong>ch</strong>on immer kamen in<br />
Thailand Insekten auf den Tis<strong>ch</strong>.<br />
Mehr und mehr werden sie aber<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr bloss draussen gesammelt.<br />
«Die meisten Grillen<br />
auf dem Markt kommen<br />
inzwis<strong>ch</strong>en aus kommerziellen<br />
Betrieben», sagt Yupa Hanboonsong,<br />
Insektenfors<strong>ch</strong>erin an<br />
der Universität Khon Kaen.<br />
Mit einer Kollegin zusammen<br />
hat sie vor 15 Jahren Zu<strong>ch</strong>tte<strong>ch</strong>niken<br />
eingeführt, um den<br />
Landwirten eine neue Einkommensquelle<br />
zu ers<strong>ch</strong>liessen.<br />
«Heute gibt es im Nordosten<br />
des Landes rund 20000 Grillenzü<strong>ch</strong>ter.»<br />
Die Larven werden in<br />
Gehege gelegt, und die s<strong>ch</strong>lüpfenden<br />
Grillen se<strong>ch</strong>s Wo<strong>ch</strong>en<br />
lang gefüttert, bis sie die nötige<br />
Grösse errei<strong>ch</strong>t haben. Die<br />
Na<strong>ch</strong>frage in der Hauptstadt ist<br />
markant angestiegen, seit die<br />
Zu<strong>ch</strong>tbetriebe für regelmässigen<br />
Na<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ub sorgen. Allerdings<br />
werden die Insektenzu<strong>ch</strong>ten von<br />
vers<strong>ch</strong>iedenen Krankheiten<br />
heimgesu<strong>ch</strong>t, gegen die die<br />
Bauern kaum etwas ausri<strong>ch</strong>ten<br />
können. «In diesem Berei<strong>ch</strong> gibt<br />
es no<strong>ch</strong> keine Spezialisten. Der<br />
Beruf ist neu, wir müssen ihn<br />
‹on the job› lernen», sagt eine<br />
der Zü<strong>ch</strong>terinnen.<br />
Afrikanis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>uhe auf der<br />
Überholspur<br />
(jls) 2005 hat die Äthiopierin<br />
Bethlehem Tilahun Alemu in<br />
Zenabwork, einem Quartier<br />
am Rand von Addis Abeba,<br />
wo sie aufgewa<strong>ch</strong>sen ist, eine<br />
S<strong>ch</strong>uhfabrik eröffnet. Damals<br />
25-jährig, wollte sie der armen,<br />
unterprivilegierten Bevölkerung<br />
Arbeit vers<strong>ch</strong>affen. Die Handwerker<br />
vor Ort begannen,<br />
SoleRebels herzustellen, eine<br />
bunte Kollektion von Mokassins,<br />
Sandalen und Flip-Flops. Ras<strong>ch</strong><br />
fanden die angenehmen, ho<strong>ch</strong>wertigen<br />
und vollständig von<br />
Hand mit lokalem Material<br />
gefertigten S<strong>ch</strong>uhe gar eine<br />
internationale Kunds<strong>ch</strong>aft.<br />
Inzwis<strong>ch</strong>en werden SoleRebels<br />
in fünf Dutzend Länder<br />
exportiert, hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> über<br />
Online-Händler. Die Marke hat<br />
Ges<strong>ch</strong>äfte in Addis Abeba, Wien<br />
und Taiwan eröffnet, und die<br />
Fabrik bes<strong>ch</strong>äftigt 420 Personen,<br />
120 davon vollzeit. «Wir haben<br />
im Rahmen unserer Gemeinde<br />
<strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> ges<strong>ch</strong>affen, indem<br />
wir hunderte kreativer und gut<br />
SoleRebels<br />
bezahlter Arbeitsplätze ges<strong>ch</strong>affen<br />
haben», unterstrei<strong>ch</strong>t<br />
Bethlehem Tilahun. «SoleRebels<br />
ist die erste weltweit bekannte<br />
S<strong>ch</strong>uhmarke, die aus einem<br />
Entwicklungsland stammt.»<br />
www.solerebelsfootwear.co<br />
Bald ausgemerzt<br />
(bf) Die Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO meldet<br />
Forts<strong>ch</strong>ritte bei der Bekämpfung<br />
von 17 verna<strong>ch</strong>lässigten Tropenkrankheiten.<br />
Weltweit sind davon<br />
eine Milliarde Mens<strong>ch</strong>en<br />
betroffen. Zwei Krankheiten<br />
dürften demnä<strong>ch</strong>st gar ausgemerzt<br />
sein: 2015 der seit dem<br />
Altertum bekannte Guineawurm,<br />
der zu Ges<strong>ch</strong>würen<br />
führt und vor allem no<strong>ch</strong> im<br />
Südsudan vorkommt. Und 2020<br />
die Himbeerseu<strong>ch</strong>e, eine von<br />
Bakterien verursa<strong>ch</strong>te Infektion,<br />
die Haut und Kno<strong>ch</strong>en befällt.<br />
Das Denguefieber hingegen ist<br />
auf dem Vormars<strong>ch</strong>. 2010 trat es<br />
auf allen Kontinenten auf. Rund<br />
zwei Millionen Mens<strong>ch</strong>en in<br />
über 100 Ländern erkrankten<br />
und rund 6000 Mens<strong>ch</strong>en starben<br />
daran. Gemäss Lorenzo<br />
Savioli von der WHO erhielten<br />
im Rahmen einer globalen<br />
Strategie jährli<strong>ch</strong> 711 Millionen<br />
Mens<strong>ch</strong>en eine präventive<br />
Behandlung gegen einige dieser<br />
Tropenkrankheiten. Diese Zahl<br />
müsse bis 2020 verdoppelt<br />
werden. Zusätzli<strong>ch</strong> zu den bis<br />
dahin garantierten Spenden der<br />
Pharmaindustrie (jährli<strong>ch</strong> 1,4<br />
Milliarden Behandlungen) sind<br />
laut WHO jedo<strong>ch</strong> 2 Milliarden<br />
Dollar nötig, damit bis 2015 alle<br />
Betroffenen behandelt werden<br />
können.<br />
www.who.org (tropical diseases)<br />
4<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Zei<strong>ch</strong>nung von Jean Augagneur<br />
Mehr Rentner als Kinder<br />
(bf) Bis ins Jahr 2050 wird si<strong>ch</strong><br />
laut einem Beri<strong>ch</strong>t der UNO<br />
der Anteil der über 60-Jährigen<br />
auf über 2 Milliarden verdoppeln.<br />
Erstmals werden dann<br />
mehr Senioren als unter 15-<br />
Jährige die Erde bevölkern. Dass<br />
die Mens<strong>ch</strong>en immer älter werden,<br />
führt der Beri<strong>ch</strong>t auf eine<br />
verbesserte Gesundheit ganz allgemein<br />
sowie auf bessere sozioökonomis<strong>ch</strong>e<br />
Bedingungen<br />
zurück. 64 Prozent aller älteren<br />
Mens<strong>ch</strong>en leben heute in weniger<br />
entwickelten Regionen. Bis<br />
ins Jahr 2050 wird dieser Anteil<br />
auf gegen 80 Prozent steigen,<br />
was insbesondere die Entwicklungsländer<br />
vor riesige Herausforderungen<br />
stellen wird.<br />
Kranken- und Pensionsversi<strong>ch</strong>erungen<br />
werden vermehrt<br />
Christoph Goedan/laif<br />
beanspru<strong>ch</strong>t und Gesundheits-,<br />
Pflege- und Rentensysteme<br />
müssen neu aufgebaut oder<br />
strukturiert werden. «Darüber<br />
hinaus sind die Politik und die<br />
Öffentli<strong>ch</strong>keit gefordert, die<br />
soziale Integration sowie generationenübergreifendes<br />
Denken<br />
voranzutreiben», sagt Ulri<strong>ch</strong><br />
Reinhardt, wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Leiter der Stiftung für<br />
Zukunftsfragen in Hamburg.<br />
www.un.org (Global Issues, Ageing)<br />
Fris<strong>ch</strong>haltepapier<br />
(gn) Ein trüber Gewürztrank<br />
bewahrte die S<strong>ch</strong>ülerin Kavita<br />
Shukla vor Bau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>merzen, als<br />
sie während den Ferien bei ihrer<br />
Grossmutter in Indien ungefiltertes<br />
Wasser getrunken hatte.<br />
Zurück in den USA, ging das<br />
Mäd<strong>ch</strong>en der Sa<strong>ch</strong>e auf den<br />
Grund und fand heraus, dass<br />
die Kräutermixtur Essenzen<br />
enthielt, die das Wa<strong>ch</strong>stum von<br />
Pilzen und Bakterien beeinträ<strong>ch</strong>tigen.<br />
Daraus entwickelte<br />
die junge Frau, mittlerweile<br />
hatte sie die S<strong>ch</strong>ule abges<strong>ch</strong>lossen,<br />
ein raffiniertes Produkt, mit<br />
dem sie in den USA bereits vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Preise abgeräumt hat:<br />
FreshPaper ist ni<strong>ch</strong>ts anderes als<br />
ein mit einem Kräuterelixier<br />
bespraytes Stück Papier, das die<br />
Haltbarkeit von Lebensmitteln<br />
verdoppeln bis vervierfa<strong>ch</strong>en<br />
soll. Einfa<strong>ch</strong> in Herstellung und<br />
Handhabung, so die Jungunternehmerin<br />
Kavita Shukla, könnte<br />
das «Wunderpapier» künftig<br />
au<strong>ch</strong> in Entwicklungsländern<br />
eingesetzt werden, wo es oft<br />
an Kühlungsmögli<strong>ch</strong>keiten für<br />
verderbli<strong>ch</strong>e Produkte fehlt.<br />
www.fenugreen.com<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 5
Neue Geber – andere Muster<br />
Die Verteilung ökonomis<strong>ch</strong>er und politis<strong>ch</strong>er Ma<strong>ch</strong>t ändert<br />
si<strong>ch</strong> ständig. Das wirkt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die Entwicklungszusammenarbeit<br />
aus. Seit rund einem Jahrzehnt werden neben<br />
den bisher dominierenden OECD-Staaten au<strong>ch</strong> immer mehr<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer wie Brasilien, Indien oder Südafrika zu bedeutenden<br />
Geberländern. Dadur<strong>ch</strong> entstehen neue Dynamiken<br />
und Spielregeln. Von Mirella Wepf.<br />
D O S S I E R<br />
Beim Aufbau seiner Verkehrsinfrastruktur kann Banglades<strong>ch</strong>, unter anderem in seiner Hauptstadt Dhaka, auf die<br />
Unterstützung von Indien zählen<br />
6<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
Indien ist seit 2002 eines der zehn wi<strong>ch</strong>tigsten Geberländer<br />
für Entwicklungsprojekte in Afghanistan,<br />
unterstützt Verkehrsinfrastruktur in Banglades<strong>ch</strong>,<br />
den Häuserbau für Flü<strong>ch</strong>tlinge in Sri Lanka,<br />
Wasserkraftwerke in Bhutan und vieles mehr.<br />
Brasilien investiert in Burkina Faso in die Stärkung<br />
des Gesundheitssystems und hilft mit, ein System<br />
für die Aids-Prävention aufzubauen. Ausserdem<br />
gewährt es in Angola, Ghana oder Mosambik Kredite<br />
für Infrastrukturprojekte in den Berei<strong>ch</strong>en<br />
Transport, Kommunikation und Energiegewinnung.<br />
Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Regierung hat seit 2005 mehr<br />
als 1000 südsudanesis<strong>ch</strong>en Diplomaten, Ri<strong>ch</strong>tern<br />
und anderen Funktionären Weiterbildungen angeboten.<br />
Sambia erhielt von Südafrika einen Kredit<br />
von einer Viertelmillion US-Dollar für den Bau<br />
von fünf bedeutenden Strassen; Swasiland, Sudan<br />
und andere afrikanis<strong>ch</strong>e Staaten bekamen Unterstützung<br />
im Berei<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ulwesen...<br />
«Seit rund zehn Jahren ist deutli<strong>ch</strong> spürbar, dass<br />
diese Länder eine tragende Rolle übernehmen»,<br />
erklärt Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, Sonderbeauftragter für<br />
globale na<strong>ch</strong>haltige Entwicklung post 2015. Am<br />
Entwurf der bundesrätli<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft über die<br />
internationale Zusammenarbeit 2013 bis 2016 arbeitete<br />
er massgebli<strong>ch</strong> mit.<br />
Die Bots<strong>ch</strong>aft gilt als strategis<strong>ch</strong>e Leitlinie für die<br />
DEZA und wurde vom Parlament im Herbst 2012<br />
verabs<strong>ch</strong>iedet. «Die Rolle der S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
fand zwar s<strong>ch</strong>on in den früheren Südbots<strong>ch</strong>aften<br />
Jens S<strong>ch</strong>warz/laif<br />
Die Süd-Süd-Zusammenarbeit nimmt zu<br />
All die Beispiele entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t unbedingt<br />
dem Bild, das man in westli<strong>ch</strong>en Ländern von diesen<br />
S<strong>ch</strong>wellenländern hat. Dies au<strong>ch</strong> deshalb, weil<br />
man glei<strong>ch</strong>zeitig weiss, dass in Indien selbst nahezu<br />
30 Prozent der Bevölkerung unter der <strong>Armut</strong>sgrenze<br />
leben – in Brasilien sind es mehr als<br />
20 Prozent. Südafrika hat ebenfalls mit grossen <strong>Armut</strong>sproblemen<br />
und hoher Arbeitslosigkeit zu<br />
kämpfen.<br />
Und do<strong>ch</strong>: Die Entwicklungszusammenarbeit<br />
wird immer stärker von Staaten geprägt, die vor<br />
kurzem no<strong>ch</strong> selber als Entwicklungsländer galten<br />
oder seit geraumer Zeit den Status von<br />
S<strong>ch</strong>wellenländern errei<strong>ch</strong>t haben. Zu den wi<strong>ch</strong>tigsten<br />
unter ihnen zählen neben den bereits genannten<br />
insbesondere au<strong>ch</strong> China und Russland.<br />
2011 haben si<strong>ch</strong> diese fünf aufstrebenden Wirts<strong>ch</strong>aftsmä<strong>ch</strong>te<br />
zu den BRICS-Staaten zusammenges<strong>ch</strong>lossen<br />
(siehe Randspalte S. 9).<br />
Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Südkorea, die Türkei, Thailand und<br />
weitere S<strong>ch</strong>wellenländer gewinnen an Stärke und<br />
beeinflussen zunehmend die Gestaltung der globalen<br />
Wirts<strong>ch</strong>afts- und Entwicklungspolitik. Der<br />
Anteil der Süd-Süd-Zusammenarbeit an der weltweiten<br />
Öffentli<strong>ch</strong>en Entwicklungshilfe steigt denn<br />
au<strong>ch</strong> rasant. Laut einem Beri<strong>ch</strong>t der UN-Hauptabteilung<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und Soziale Angelegenheiten<br />
(DESA) von 2010, lag er 2008 bei 9,5 Prozent.<br />
Andere S<strong>ch</strong>ätzungen gehen bereits von rund<br />
30 Prozent aus.<br />
Folgen für die S<strong>ch</strong>weiz<br />
Das Erstarken der S<strong>ch</strong>wellenländer hat au<strong>ch</strong> konkrete<br />
Auswirkungen auf die Arbeit der DEZA.<br />
Bruno Morandi/laif<br />
Rund ein Drittel von Russlands Entwicklungshilfebudget von über einer halben Milliarde US-Dollar<br />
im Jahr wird für Projekte in Osteuropa und zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten (oben Usbekistan) eingesetzt<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 7
Sven Torfinn/laif<br />
Brasilien unterstützt in Ghana den Kommunikationsberei<strong>ch</strong>...<br />
5 Fragen an DEZA-Vizedirektor Mi<strong>ch</strong>el Mordasini<br />
Wird jetzt alles anders?<br />
«Eine Welt»: S<strong>ch</strong>wellenländer binden ihre<br />
Entwicklungszusammenarbeit oft an politis<strong>ch</strong>e<br />
und ökonomis<strong>ch</strong>e Eigeninteressen. Wird<br />
die DEZA dies künftig au<strong>ch</strong> stärker tun?<br />
Mi<strong>ch</strong>el Mordasini: Nein. Die Art und Weise wie<br />
wir arbeiten ist bereits in unserem Eigeninteresse.<br />
Unsere Leistungen sind ein Beitrag für na<strong>ch</strong>haltige<br />
Entwicklung und zur Verminderung globaler<br />
Risiken wie der Wasserkrise. Geht es anderen Staaten<br />
gut, dient dies der S<strong>ch</strong>weiz. Zudem können wir<br />
unsere Werte und unser Know-how auf globaler<br />
Ebene einbringen – etwa im Berei<strong>ch</strong> Klimas<strong>ch</strong>utz.<br />
Was ändert si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Aufkommen der<br />
neuen Akteure für die DEZA?<br />
Wir müssen unsere Arbeit seit jeher immer wieder<br />
an neue Umstände anpassen. Wir haben einen<br />
eindrückli<strong>ch</strong>en Leistungsausweis in traditioneller<br />
Entwicklungszusammenarbeit. Diese wollen wir<br />
weiter pflegen, ergänzen sie aber fortlaufend mit<br />
neuen Arbeitsweisen, wie den thematis<strong>ch</strong>en Globalprogrammen<br />
oder trilateralen Projekten. Immer<br />
häufiger kooperieren wir au<strong>ch</strong> mit Weltkonzernen.<br />
Tatsa<strong>ch</strong>e ist: Die Globalisierung ma<strong>ch</strong>t unsere Arbeit<br />
komplexer.<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer vertreten punkto Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />
ni<strong>ch</strong>t immer dieselbe Haltung<br />
wie die S<strong>ch</strong>weiz. Trotzdem arbeiten Sie mit<br />
ihnen zusammen.<br />
Gegenfrage: Soll man draussen stehen und zus<strong>ch</strong>auen,<br />
oder versu<strong>ch</strong>en in Kontakt zu bleiben und<br />
etwas zu bewirken?<br />
Mit wel<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wellenländern arbeitet die<br />
DEZA hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>?<br />
8<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
Erwähnung, aber in viel geringerem Umfang»,<br />
meint Gerber. Er ist überzeugt, dass der Stellenwert<br />
dieser Länder weiter zunehmen wird. Die<br />
S<strong>ch</strong>weiz kooperiert mit ihnen auf vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Ebenen: im Rahmen der Globalprogramme, in<br />
multilateralen Organisationen sowie dur<strong>ch</strong> trilaterale<br />
Zusammenarbeit, bei der sie si<strong>ch</strong> mit einem<br />
S<strong>ch</strong>wellenland für Entwicklungsprojekte in einem<br />
Drittland zusammentut.<br />
Forcierte Zusammenarbeit bei globalen<br />
Herausforderungen<br />
Klimawandel, Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit, Wasserknappheit,<br />
Migration und instabile Finanzmärkte<br />
sind globale Herausforderungen, die ni<strong>ch</strong>t allein<br />
über nationale Gesetze und Massnahmen gelöst<br />
werden können. Sie erfordern grenzübers<strong>ch</strong>reitende<br />
Lösungen.<br />
Arme Bevölkerungsgruppen und Länder sind den<br />
Folgen dieser Risiken besonders ausgesetzt. Deshalb<br />
hat die DEZA – in Ergänzung zu traditionellen<br />
Formen der internationalen Zusammenarbeit<br />
– strategis<strong>ch</strong>e Globalprogramme zu diesen<br />
Themen ins Leben gerufen. Dabei forciert sie<br />
au<strong>ch</strong> die Kooperation mit S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />
Denn mit ihrem überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Wa<strong>ch</strong>stum<br />
erhöhen diese die Na<strong>ch</strong>frage na<strong>ch</strong> Rohstoffen<br />
sowie na<strong>ch</strong> Nahrungsmitteln und konkurrieren<br />
mit der lokalen Konsumgüterproduktion in<br />
Entwicklungsländern. Darüber hinaus haben die<br />
<strong>Wenn</strong> si<strong>ch</strong> gute Gelegenheiten für thematis<strong>ch</strong>e<br />
Partners<strong>ch</strong>aften bieten, sind wir sehr offen und flexibel.<br />
China ist einer der wi<strong>ch</strong>tigsten Partner punkto<br />
Klimawandel. Au<strong>ch</strong> mit Indien sind wir stark<br />
vernetzt. Länder wie Kolumbien und Peru nehmen<br />
ebenfalls an Bedeutung zu.<br />
Wel<strong>ch</strong>es sind die Stärken der S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit?<br />
In den Berei<strong>ch</strong>en Wasser, Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit<br />
und Klimas<strong>ch</strong>utz hat die S<strong>ch</strong>weiz viel Expertise zu<br />
bieten. Dur<strong>ch</strong> ihre langjährige Erfahrung ist die<br />
DEZA eine gefragte Brückenbauerin, au<strong>ch</strong> wenn<br />
wir ni<strong>ch</strong>t alle Vorhaben selber finanzieren. ■<br />
REA/laif<br />
Paul Hahn/laif<br />
...und hilft in Burkina Faso mit, ein System für die Aids-<br />
Prävention aufzubauen<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer dur<strong>ch</strong> ihren wa<strong>ch</strong>senden Konsum<br />
und die zunehmende Industrialisierung einen<br />
immer grösseren Einfluss auf das Klima.<br />
Au<strong>ch</strong> in den internationalen Organisationen<br />
nimmt der Einfluss der S<strong>ch</strong>wellenländer stetig zu.<br />
Dies ni<strong>ch</strong>t zuletzt aufgrund der wa<strong>ch</strong>senden finanziellen<br />
Beiträge, wel<strong>ch</strong>e sie an diese Institu-<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz weist unter anderem im Berei<strong>ch</strong> Wasser<br />
eine hohe Kompetenz und viel Expertise auf<br />
Die BRICS-Staaten<br />
Der Name BRIC – für<br />
Brasilien, Russland, Indien<br />
und China – war 2001<br />
vom Goldman Sa<strong>ch</strong>s-<br />
Strategen Jim O'Neill als<br />
Analysekonzept für die<br />
Zukunftsmärkte ges<strong>ch</strong>affen<br />
worden. Sieben Jahre<br />
später, am Rande eines<br />
Treffens von China, Indien<br />
und Russland, wurde daraus<br />
ein konkreter Plan.<br />
Gemeinsam mit Brasilien<br />
kam es 2009 zum ersten<br />
der jährli<strong>ch</strong>en Gipfeltreffen.<br />
Seit 2011 ist au<strong>ch</strong><br />
Südafrika Mitglied der<br />
Gruppierung. Von der<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftskraft her kann<br />
es si<strong>ch</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t mit den<br />
vier anderen messen, aber<br />
als einziger und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
stärkster Staat Afrikas<br />
ist Südafrika strategis<strong>ch</strong><br />
von grosser Bedeutung.<br />
Vergli<strong>ch</strong>en mit anderen<br />
multilateralen Gremien ist<br />
die BRICS-Allianz jedo<strong>ch</strong><br />
no<strong>ch</strong> wenig institutionalisiert.<br />
Lange wiesen die<br />
BRICS-Länder ein enormes<br />
Wa<strong>ch</strong>stum von 5 bis<br />
10 Prozent auf. Derzeit<br />
spüren allerdings au<strong>ch</strong> sie<br />
die Wirts<strong>ch</strong>aftskrise.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 9
Tadej Znidarcic/Redux/laif<br />
Ernährungsunsi<strong>ch</strong>erheit ist eine der globalen Herausforderungen – hier ein Reisfeld in Banglades<strong>ch</strong> – wel<strong>ch</strong>e grenzübers<strong>ch</strong>reitende<br />
Lösungen erfordern<br />
Landraus<strong>ch</strong><br />
Landwirts<strong>ch</strong>aftsland in<br />
Entwicklungsländern wird<br />
international gehandelt.<br />
Die wi<strong>ch</strong>tigsten Investoren<br />
kommen aus China, Indien<br />
oder Saudiarabien, aber<br />
au<strong>ch</strong> aus dem Norden.<br />
Do<strong>ch</strong> «Land Grabbing»<br />
(Landnahme) birgt grosse<br />
Gefahren für die Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit.<br />
Studien<br />
zeigen, dass der Erwerb<br />
von Land oft in Regionen<br />
mit hoher Bevölkerungsdi<strong>ch</strong>te<br />
stattfindet, und<br />
dass fast die Hälfte der<br />
Flä<strong>ch</strong>en bereits landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
genutzt wurde.<br />
Dies bedeutet, dass die<br />
ausländis<strong>ch</strong>en Investoren<br />
mit lokalen Kleinbauern<br />
konkurrenzieren. Au<strong>ch</strong><br />
Wasserreserven werden<br />
oft gefährdet, da für die<br />
Bewässerung grosser<br />
Flä<strong>ch</strong>en die Quellen teils<br />
überbeanspru<strong>ch</strong>t werden.<br />
www.fao.org (tenure voluntary<br />
guidelines)<br />
tionen bezahlen. Insofern lohnt si<strong>ch</strong> eine gute Zusammenarbeit<br />
auf thematis<strong>ch</strong>er Ebene mit diesen<br />
Nationen, um auf internationaler Ebene sozial,<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> und ökologis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>haltige Ents<strong>ch</strong>eide<br />
zu erwirken. «Bei der Erarbeitung sol<strong>ch</strong>er<br />
Abkommen», sagt Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, «kann au<strong>ch</strong> ein<br />
kleiner Staat wie die S<strong>ch</strong>weiz eine prägende Wirkung<br />
entfalten.»<br />
Ein aktuelles Beispiel, das insbesondere für Entwicklungsländer<br />
eine zukunftsträ<strong>ch</strong>tige Rolle<br />
spielt, sind die freiwilligen Ri<strong>ch</strong>tlinien zur Nutzung<br />
von Land, Wald und Fis<strong>ch</strong>gründen. Das Komitee<br />
für Ernährungssi<strong>ch</strong>erheit hat diese im Mai<br />
2012 in Rom verabs<strong>ch</strong>iedet. Die S<strong>ch</strong>weizer Delegation<br />
war an deren Ausarbeitung massgebli<strong>ch</strong><br />
mitbeteiligt. Die Ri<strong>ch</strong>tlinien sind ein erster<br />
S<strong>ch</strong>ritt, um den globalen Handel mit fru<strong>ch</strong>tbarem<br />
Ackerland in kontrolliertere Bahnen zu lenken.<br />
Neue Spielregeln, neue Gremien<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer sind jedo<strong>ch</strong> mehr als bloss einfa<strong>ch</strong><br />
neue Geldquellen. «Sie agieren anders als traditionelle<br />
Anbieter von Entwicklungszusammen-<br />
arbeit und ihre Normen unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>»,<br />
stellt die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin<br />
Elizabeth Sidiropoulos fest. Sie gilt als<br />
Expertin für S<strong>ch</strong>wellenländer, die Entwicklungszusammenarbeit<br />
leisten und kennt insbesondere<br />
das Engagement Südafrikas bestens. «Während<br />
westli<strong>ch</strong>e Länder eher altruistis<strong>ch</strong>e Motive in den<br />
Vordergrund stellen, haben aufstrebende Länder<br />
aus dem Süden und Osten weniger Hemmungen,<br />
ihren Beitrag explizit mit Eigeninteressen zu verknüpfen,<br />
da dabei Win-Win-Situationen für alle<br />
entstehen.»<br />
Mi<strong>ch</strong>ael Gerber bestätigt diese Feststellung: «Für<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer, die au<strong>ch</strong> im eigenen Land mit<br />
grossen <strong>Armut</strong>sproblemen zu kämpfen haben,<br />
wäre ein rein humanitäres Engagement im Ausland<br />
innenpolitis<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wer zu vertreten.»<br />
Laut Sidiropoulos binden die neuen Geber ihre<br />
Leistungen zudem weniger stark an Forderungen<br />
wie beispielsweise stärkere demokratis<strong>ch</strong>e Strukturen<br />
oder die Einhaltung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im<br />
Empfängerland: «Sie gewi<strong>ch</strong>ten die nationale<br />
10<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
Carlos Litulo/Redux/laif<br />
Einer der grössten Geldgeber in Mosambik ist China, wel<strong>ch</strong>es im östli<strong>ch</strong>en Afrika grosszügig in Infrastrukturprojekte<br />
investiert<br />
Souveränität ihrer Partnerländer in der Tendenz<br />
höher.»<br />
Als dritten bedeutenden Unters<strong>ch</strong>ied nennt die<br />
Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin die Herangehensweisen<br />
bezügli<strong>ch</strong> Transparenz, Evaluation und Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t<br />
bei der Entwicklungszusammenarbeit.<br />
Ein wi<strong>ch</strong>tiges Forum dafür ist der Entwicklungsauss<strong>ch</strong>uss<br />
DAC der Organisation für wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
OECD.<br />
Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Haltungen<br />
In diesem Auss<strong>ch</strong>uss arbeiten die grossen traditionellen<br />
Geberländer zusammen, um die Wirksamkeit<br />
ihrer gemeinsamen Anstrengungen zu steigern<br />
und ihre Arbeit zu koordinieren. Die BRICS-<br />
Staaten und die meisten anderen S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
bewegen si<strong>ch</strong> bisher ausserhalb dieser Strukturen.<br />
Dies teilweise sehr bewusst, weil das Gremium unter<br />
anderem zu westli<strong>ch</strong> und von rei<strong>ch</strong>en Staaten<br />
dominiert sei.<br />
«Do<strong>ch</strong> die neuen Akteure vertreten ni<strong>ch</strong>t alle die<br />
genau glei<strong>ch</strong>e Haltung», konstatiert Elizabeth<br />
Sidiropoulos. So ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> einige die Verpfli<strong>ch</strong>tungen<br />
und Ziele der Paris Deklaration des<br />
DAC und die Accra Agenda for Action dur<strong>ch</strong>aus<br />
zu eigen.<br />
Einen Wendepunkt für die verbesserte Zusammenarbeit<br />
alter und neuer Akteure – darunter au<strong>ch</strong><br />
grosse private wie beispielsweise die milliardens<strong>ch</strong>were<br />
Bill & Melinda Gates Foundation – hat<br />
das Weltforum zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit<br />
von 2011 im südkoreanis<strong>ch</strong>en<br />
Busan gebra<strong>ch</strong>t: Zum Abs<strong>ch</strong>luss der dreitägigen<br />
Debatte konnte man si<strong>ch</strong> auf einen gemeinsamen<br />
Rahmen für das zukünftige Vorgehen<br />
einigen.<br />
Denno<strong>ch</strong>, so Mi<strong>ch</strong>ael Gerber, «wird es in den<br />
nä<strong>ch</strong>sten Jahren eine grosse Herausforderung bleiben,<br />
die vers<strong>ch</strong>iedenen Akteure auf internationaler<br />
Ebene mögli<strong>ch</strong>st effizient zusammenzubringen<br />
und die vers<strong>ch</strong>iedenen Si<strong>ch</strong>tweisen unter einen<br />
Hut zu bringen.» ■<br />
Konferenz von Busan<br />
Eigenverantwortung,<br />
Harmonisierung, Transparenz,<br />
Ergebnisorientierung<br />
und gegenseitige Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t<br />
waren die<br />
Hauptthemen des 4. Weltforums<br />
zur Wirksamkeit<br />
der Entwicklungszusammenarbeit<br />
von 2011 in<br />
Busan. Seit einigen Jahren<br />
treten in der Entwicklungszusammenarbeit<br />
neue<br />
Akteure auf, darunter<br />
S<strong>ch</strong>wellenländer sowie<br />
gewi<strong>ch</strong>tige private Institutionen.<br />
In Busan einigten<br />
si<strong>ch</strong> alle Beteiligten – traditionelle<br />
Geber, Süd-Süd-<br />
Kooperationen, S<strong>ch</strong>wellenländer,<br />
Zivilgesells<strong>ch</strong>aft und<br />
private Stiftungen – auf<br />
eine gemeinsame Erklärung,<br />
um die Wirksamkeit<br />
ihrer Arbeit zu erhöhen.<br />
Entspre<strong>ch</strong>end muss au<strong>ch</strong><br />
die S<strong>ch</strong>weiz einen Aktionsplan<br />
erarbeiten, um ihre<br />
Verpfli<strong>ch</strong>tungen gegenüber<br />
der neuen globalen<br />
Partners<strong>ch</strong>aft zu erfüllen.<br />
www.oecd.org (Busan)<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 11
Gemeinsam entwässern kommt günstiger<br />
In Nicaragua erhalten einige Städte ein besseres Abwassersystem.<br />
Brasilien liefert das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Know-how, die S<strong>ch</strong>weiz<br />
bringt ihre jahrzehntelange Erfahrung mit Wasserprojekten in<br />
Nicaragua sowie ihr Beziehungsnetz ein, und Nicaragua ist für<br />
institutionelle Reformen und Kapazitätsaufbau verantwortli<strong>ch</strong>.<br />
Ein Beispiel für die Zusammenarbeit bei trilateralen Kooperationen.<br />
Kühls<strong>ch</strong>rank-Recycling<br />
Vereinzelt engagiert si<strong>ch</strong><br />
die DEZA au<strong>ch</strong> in Brasilien<br />
selbst. Dur<strong>ch</strong> das Globalprogramm<br />
Klimawandel<br />
wird etwa ein Pionierprojekt<br />
zum Recycling von<br />
Kühls<strong>ch</strong>ränken unterstützt.<br />
In zahlrei<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wellenund<br />
Entwicklungsländern<br />
werden alte Kühls<strong>ch</strong>ränke<br />
vers<strong>ch</strong>rottet, so dass klimas<strong>ch</strong>ädigende<br />
Fluor<strong>ch</strong>lorkohlenwasserstoffe<br />
freigesetzt<br />
werden. Die erste<br />
Entsorgungsanlage wurde<br />
2010 im Bundesstaat São<br />
Paulo in Betrieb genommen<br />
und bringt Verbesserungen<br />
im ökologis<strong>ch</strong>en,<br />
sozialen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Berei<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> ihre<br />
Finanzierung ist na<strong>ch</strong>haltig,<br />
weil sie auf dem Markt<br />
Klimazertifikate an Unternehmen<br />
verkaufen kann,<br />
die ihre CO2-Emissionen<br />
kompensieren wollen.<br />
Das DEZA-Projekt trägt<br />
der Tatsa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung,<br />
dass der Klimas<strong>ch</strong>utz im<br />
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit<br />
immer<br />
wi<strong>ch</strong>tiger wird und Brasilien<br />
als grösste Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />
Lateinamerikas bei der<br />
Ausarbeitung regionaler<br />
und internationaler Lösungen<br />
eine bedeutende Rolle<br />
spielt.<br />
DEZA (2)<br />
(mw) Na<strong>ch</strong> Haiti ist Nicaragua das zweitärmste<br />
Land Lateinamerikas. Sein Bruttoinlandprodukt<br />
pro Kopf lag laut Weltbank 2011 etwas unter 1300<br />
US-Dollar, das s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e lag im Verglei<strong>ch</strong><br />
dazu bei rund 80000 Dollar. Die DEZA engagiert<br />
si<strong>ch</strong> bereits seit über 30 Jahren im zentralamerikanis<strong>ch</strong>en<br />
«Land der tausend Vulkane».<br />
Neben der Förderung von kleinen und mittleren<br />
Unternehmen und Projekten im Berei<strong>ch</strong> Gouvernanz<br />
und öffentli<strong>ch</strong>er Haushalt fokussiert si<strong>ch</strong><br />
die Zusammenarbeit heute stark auf die Unterstützung<br />
von lokalen öffentli<strong>ch</strong>en Dienstleistungen<br />
und auf Infrastrukturprojekte. Ein wi<strong>ch</strong>tiger<br />
S<strong>ch</strong>werpunkt liegt dabei im Berei<strong>ch</strong> Trinkwasser,<br />
Abwasserentsorgung und Hygiene. Dur<strong>ch</strong> das<br />
langjährige Engagement der S<strong>ch</strong>weiz sind unterdessen<br />
ein stabiles Beziehungsnetz und ein grosser<br />
Erfahrungss<strong>ch</strong>atz entstanden.<br />
Hilfe für kleinere und mittlere Städte<br />
Im Februar 2011 ents<strong>ch</strong>ied das Bundesparlament,<br />
den Beitrag für Entwicklungshilfe zu erhöhen, um<br />
ihn innert fünf Jahren auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandeinkommens<br />
zu steigern. «In Nicaragua<br />
wollten wir die zusätzli<strong>ch</strong>en Mittel speziell für innovative<br />
Projekte verwenden», sagt Hubert Eisele,<br />
Leiter des DEZA-Kooperationsbüros in Managua.<br />
Während grössere Städte für die Erstellung eines<br />
Abwassersystems relativ lei<strong>ch</strong>t an Mittel kommen,<br />
sind kleinere Städte mit bis zu 10000 Einwohnern<br />
aufgrund der hohen Pro-Kopf-Kosten oft ni<strong>ch</strong>t<br />
Um die prekären Abwasserverhältnisse in kleineren<br />
Städten in Nicaragua zu lösen, arbeitet das zentralamerikanis<strong>ch</strong>e<br />
Land mit der S<strong>ch</strong>weiz und Brasilien (unten) zusammen<br />
kreditwürdig. «Die S<strong>ch</strong>weiz ist das einzige Land,<br />
das si<strong>ch</strong> nun in dieser Nis<strong>ch</strong>e engagiert», so Eisele.<br />
Teilweise ges<strong>ch</strong>ieht dies au<strong>ch</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit dem S<strong>ch</strong>wellenland Brasilien. «Im Rahmen eines<br />
Projekts verfolgen wir unter anderem das Ziel,<br />
in Pilotgemeinden ein günstigeres Abwassersystem<br />
zu erproben, um so au<strong>ch</strong> kleineren Städten den<br />
Zugang zu Krediten für die Abwasserentsorgung<br />
zu ermögli<strong>ch</strong>en.»<br />
Das System heisst «Alcantarillado condominial»<br />
(gemeinsames Abwassersystem), wurde in den<br />
80er-Jahren in Brasilien entwickelt und wird unterdessen<br />
au<strong>ch</strong> in anderen südamerikanis<strong>ch</strong>en Ländern<br />
erfolgrei<strong>ch</strong> eingesetzt. DEZA-Mitarbeiter<br />
Urs Hagnauer, operationeller Leiter der Wasserund<br />
Hygieneprojekte in Zentralamerika, bes<strong>ch</strong>reibt<br />
das Prinzip: «Im Gegensatz zu herkömmli<strong>ch</strong>en<br />
Kanalisationen werden die Leitungen weniger<br />
tief gelegt und näher beim Haus dur<strong>ch</strong>geführt.<br />
Ni<strong>ch</strong>t mitten auf der Strasse wie traditionelle<br />
Anlagen.» Das genaue Design werde lokal erarbeitet,<br />
wobei jedes Quartier (Cuadras oder Bloques)<br />
als eine eigene Einheit behandelt werde.<br />
«Daher kann man kleinere Rohre verwenden und<br />
bei den Ans<strong>ch</strong>lüssen Geld sparen.»<br />
12<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
DEZA (2)<br />
Mitbeteiligte Hausbesitzer<br />
Allerdings gilt es dabei einige Hürden zu nehmen.<br />
So kann es vorkommen, dass die Leitungen dur<strong>ch</strong><br />
den Garten des Na<strong>ch</strong>bars gelegt werden müssen.<br />
«Um Streitigkeiten zu vermeiden, ist es wi<strong>ch</strong>tig,<br />
dass die Bevölkerung von Anfang an in die Planung<br />
einbezogen ist.» Hinzu kommt, dass die Zuständigkeit<br />
bei diesem System ni<strong>ch</strong>t nur beim Wasserversorger,<br />
sondern au<strong>ch</strong> bei den Hausbesitzern<br />
liegt (lat. «condominium» bedeutet gemeinsamer<br />
Besitz). «Diese können kleinere Unterhaltsarbeiten<br />
selber vornehmen, was die Kosten zusätzli<strong>ch</strong><br />
senkt.»<br />
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass das<br />
Alcantarillado condominial etwa 40 Prozent günstiger<br />
ist als übli<strong>ch</strong>e Abwassersysteme. Die DEZA<br />
ist 2010 an einem Seminar zum Wassersektor in Perus<br />
Hauptstadt Lima auf das System gestossen. Damals<br />
stand die Besi<strong>ch</strong>tigung einer Gemeinde auf<br />
dem Programm, die über eine sol<strong>ch</strong>e Abwasserentsorgung<br />
verfügte. Weil das Konzept überzeugte,<br />
wurden daraufhin erste Kontakte zu brasilianis<strong>ch</strong>en<br />
Experten und dem brasilianis<strong>ch</strong>en Pendant<br />
der DEZA, der ABC (Agência Brasileira de Cooperação),<br />
geknüpft.<br />
Extrem motivierte Partner<br />
In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt werden nun in La Dalia und<br />
Ran<strong>ch</strong>o Grande sol<strong>ch</strong>e Systeme installiert. Dabei<br />
lernen nicaraguanis<strong>ch</strong>e Handwerker das System<br />
Ni<strong>ch</strong>t nur Haushalte profitieren vom neuen Abwassersystem,<br />
au<strong>ch</strong> werden dafür extra lokale Handwerker (unten)<br />
ausgebildet<br />
praxisnah kennen. Ein erster Besu<strong>ch</strong> der brasilianis<strong>ch</strong>en<br />
Experten fand im Februar 2012 statt, damit<br />
sie si<strong>ch</strong> ein Bild der lokalen Gegebenheiten<br />
ma<strong>ch</strong>en konnten. «Die bisherige Zusammenarbeit<br />
läuft sehr gut», so Hubert Eisele. «Die Nicaraguaner<br />
und Brasilianer harmonieren sehr gut zusammen<br />
und beide Seiten sind extrem motiviert.»<br />
Die nicaraguanis<strong>ch</strong>en Behörden ihrerseits sind derzeit<br />
daran, den gesetzli<strong>ch</strong>en Rahmen auf nationaler<br />
und lokaler Ebene anzupassen, um das System<br />
gut umsetzen zu können. Die Kosten für das Projekt<br />
übernehmen zu 28 Prozent Nicaragua (1,3<br />
Mio. US-Dollar), zu knapp zwei Dritteln die<br />
S<strong>ch</strong>weiz (2,95 Mio.) und zu 7 Prozent Brasilien<br />
(0,3 Mio.).<br />
Für den S<strong>ch</strong>weizer Bots<strong>ch</strong>after in Brasilien, Wilhelm<br />
Meier, ist dieses Projekt ein Vorzeigebeispiel<br />
für trilaterale Zusammenarbeit: «Die Nutzung von<br />
Synergien und der Wissensaustaus<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>einen zu<br />
gelingen.» Dem stimmt au<strong>ch</strong> ABC-Direktor Fernando<br />
José Marroni de Abreu zu: «Die S<strong>ch</strong>weiz und<br />
Brasilien ergänzen einander gut.» Die S<strong>ch</strong>weiz<br />
verfüge über sehr lange Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit,<br />
während Brasilien erst<br />
seit zehn, zwölf Jahren in diesem Berei<strong>ch</strong> aktiv sei.<br />
Au<strong>ch</strong> die finanziellen Mittel Brasiliens seien no<strong>ch</strong><br />
bes<strong>ch</strong>ränkt, do<strong>ch</strong> sei viel fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Know-how<br />
vorhanden. «I<strong>ch</strong> denke, dass die S<strong>ch</strong>weiz und Brasilien<br />
ein grosses Potenzial für weitere trilaterale<br />
Kooperationen besitzen.» ■<br />
Auswanderungsland<br />
Nicaragua<br />
Laut dem UNO-Entwicklungsprogramm<br />
UNDP<br />
leben 48 Prozent der Bevölkerung<br />
Nicaraguas<br />
unter der <strong>Armut</strong>sgrenze,<br />
1,5 Millionen Mens<strong>ch</strong>en<br />
sind unterernährt, die<br />
Kindersterbli<strong>ch</strong>keit bei unter<br />
Fünfjährigen liegt bei<br />
31 von 1000 (S<strong>ch</strong>weiz<br />
4,4). Nicaragua weist zwar<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftswa<strong>ch</strong>stum auf,<br />
do<strong>ch</strong> gefährden Hurrikane,<br />
Erdbeben und neuerdings<br />
der Klimawandel immer<br />
wieder die errei<strong>ch</strong>ten<br />
Forts<strong>ch</strong>ritte. Umso wi<strong>ch</strong>tiger<br />
ist die Unterstützung<br />
dur<strong>ch</strong> andere Staaten. Eine<br />
bedeutende Einkommensquelle<br />
sind au<strong>ch</strong> die Geldüberweisungen<br />
der Emigranten.<br />
Gemäss der<br />
Zentralbank beliefen si<strong>ch</strong><br />
diese 2011 auf 911 Millionen<br />
US-Dollar, inoffizielle<br />
S<strong>ch</strong>ätzungen von Experten<br />
gehen jedo<strong>ch</strong> von einer<br />
weit höheren Summe aus.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 13
S<strong>ch</strong>utz vor Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbru<strong>ch</strong><br />
in West<strong>ch</strong>ina<br />
Um den weltweiten Klimawandel und seine Folgen in den Griff<br />
zu bekommen, brau<strong>ch</strong>t es eine enge Zusammenarbeit von armen<br />
und rei<strong>ch</strong>en Ländern. Au<strong>ch</strong> deshalb konzentriert si<strong>ch</strong> die<br />
S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit ni<strong>ch</strong>t nur auf die ärmsten<br />
Länder, sondern au<strong>ch</strong> auf S<strong>ch</strong>wellenländer wie Indien, Peru<br />
oder China, wo S<strong>ch</strong>weizer und <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Spezialisten Hand<br />
in Hand arbeiten, um die Risiken von Flutwellen dur<strong>ch</strong> Glets<strong>ch</strong>erseen<br />
zu minimieren.<br />
Chinas CO2-Ausstoss<br />
Global stieg der CO2-<br />
Ausstoss 2011 um drei<br />
Prozent auf 34,7 Milliarden<br />
Tonnen. Während China im<br />
Verglei<strong>ch</strong> zu 2010 ein Plus<br />
von knapp zehn Prozent<br />
und Indien einen Zuwa<strong>ch</strong>s<br />
um 7,5 Prozent verzei<strong>ch</strong>nete,<br />
sanken die Emissionen<br />
in der EU um 2,8<br />
Prozent und in den USA<br />
um 1,8 Prozent. Mehr als<br />
ein Viertel der globalen<br />
Emissionen gingen auf das<br />
Konto Chinas. Die USA<br />
waren für 16 Prozent des<br />
klimas<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>en CO2-<br />
Ausstosses verantwortli<strong>ch</strong>,<br />
die EU für elf Prozent,<br />
Indien für sieben Prozent.<br />
Der Pro-Kopf-Ausstoss<br />
zeigt jedo<strong>ch</strong> ein anderes<br />
Bild: In China lag dieser<br />
bei 6,6 Tonnen, also na<strong>ch</strong><br />
wie vor tiefer als in der EU<br />
(7,3), und deutli<strong>ch</strong> unter<br />
demjenigen der USA<br />
(17,2). In Indien lag er bei<br />
1,8 Tonnen. Ni<strong>ch</strong>t zu vergessen:<br />
China produziert<br />
zu einem grossen Teil für<br />
den Westen, der so seinen<br />
CO2-Ausstoss quasi auslagert.<br />
Geotest<br />
Die <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>-s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Kamelkarawane unterwegs zum Kyagar Glets<strong>ch</strong>ersee<br />
(mw) Das unbesiedelte Shaksgam-Tal liegt dort, wo<br />
si<strong>ch</strong> Fu<strong>ch</strong>s und Hase Gute Na<strong>ch</strong>t sagen, im westli<strong>ch</strong>sten<br />
Zipfel Chinas, unweit des A<strong>ch</strong>ttausenders<br />
K2. Ein vierköpfiges S<strong>ch</strong>weizer Expertenteam unter<br />
der Leitung der Firma Geotest brau<strong>ch</strong>te 20<br />
Tage, um auf dem Rücken von Kamelen den Kyagar-Glets<strong>ch</strong>er<br />
zu errei<strong>ch</strong>en.<br />
Auf 4750 Metern Höhe dur<strong>ch</strong>quert dieser das Tal<br />
und staut wie ein natürli<strong>ch</strong>er Riegel einen Zufluss<br />
des Yarkant-Flusses. «Hinter dem Glets<strong>ch</strong>er bildet<br />
si<strong>ch</strong> immer wieder ein See», erklärt Geotest-Mitarbeiter<br />
Christoph Haemmig. Aktuell könnte dieser<br />
ein Volumen von 22 Millionen Kubikmetern<br />
errei<strong>ch</strong>en. Bre<strong>ch</strong>en die Wassermassen dur<strong>ch</strong> das Eis,<br />
kommt es im Yarkant-Becken zu Flutwellen, die<br />
na<strong>ch</strong> rund 22 Stunden 560 Kilometer talabwärts<br />
Oasensiedlungen in der Taklamakan-Wüste bedrohen,<br />
wo mehrheitli<strong>ch</strong> Uiguren leben.<br />
Ans<strong>ch</strong>auungsunterri<strong>ch</strong>t am<br />
Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er<br />
In den vergangenen zehn Jahren haben fünf Glets<strong>ch</strong>ersee-Ausbrü<strong>ch</strong>e<br />
ni<strong>ch</strong>t nur grosse S<strong>ch</strong>äden an<br />
der Infrastruktur angeri<strong>ch</strong>tet, sondern au<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>enleben<br />
gefordert. Ein Frühwarnsystem oder<br />
detaillierte Gefahrenkarten gab es für die rund 1<br />
Million Einwohnerinnen und Einwohner bisher<br />
ni<strong>ch</strong>t. Dank eines auf drei Jahre angelegten gemeinsamen<br />
Projekts der DEZA, des Bundesamts<br />
für Umwelt (BAFU), der Geotest AG, mehrerer<br />
S<strong>ch</strong>weizer Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen sowie Planat, der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Plattform für Naturgefahren, wird si<strong>ch</strong><br />
dies bis Ende 2013 ändern. Auf <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>er Seite<br />
sind ein halbes Dutzend nationale und regionale<br />
Institutionen am Projekt beteiligt.<br />
Das Vorhaben entstand unter anderem dank einer<br />
längjährigen fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und persönli<strong>ch</strong>en Bezie-<br />
14<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
hung zwis<strong>ch</strong>en BAFU-Vizedirektor Andreas Götz<br />
und dem <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Wasserminister Chen Lei.<br />
Dieser war vor seiner Berufung na<strong>ch</strong> Peking Leiter<br />
der Wasserbaubehörde in Xinjiang und als sol<strong>ch</strong>er<br />
mit den Überflutungen am Yarkant konfrontiert.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Besu<strong>ch</strong> einer <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Delegation<br />
mit Besi<strong>ch</strong>tigung des Monitorings am Grindelwaldglets<strong>ch</strong>er<br />
im Berner Oberland, wo die Flutproblematik<br />
dur<strong>ch</strong> den Klimawandel zugenommen<br />
hat, wurde 2010 das Projekt am Yarkant lanciert.<br />
Die DEZA übernahm die Finanzierung und, aufgrund<br />
ihres Beziehungsnetzes im Land, die Umsetzung<br />
des Projekts.<br />
Intensive Zusammenarbeit mit China<br />
Der Bund kooperiert auf diversen Ebenen mit<br />
China. Im Umweltberei<strong>ch</strong> kam es 2009 zu einem<br />
wi<strong>ch</strong>tigen Abkommen: Der damalige Umweltminister<br />
Moritz Leuenberger und Chen Lei vereinbarten<br />
eine Zusammenarbeit in den Berei<strong>ch</strong>en<br />
Na<strong>ch</strong>haltiges Wassermanagement, Naturgefahrenprävention<br />
sowie Klimawandel. Diese umfasst unter<br />
anderem einen Wissensaustaus<strong>ch</strong>, gegenseitige<br />
Arbeitsbesu<strong>ch</strong>e, gemeinsame Fors<strong>ch</strong>ungs- und Pilotprojekte<br />
sowie die Zusammenarbeit auf internationaler<br />
Ebene.<br />
Au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Entwicklungszusammenarbeit<br />
gibt es diverse Abkommen. So einigten si<strong>ch</strong><br />
die Aussenministerien der beiden Länder 2007 auf<br />
eine Absi<strong>ch</strong>tserklärung, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> einen Dialog<br />
zu Fragen der Entwicklungszusammenarbeit und<br />
der Humanitären Hilfe vorsieht. Und 2011 wurde<br />
eine sol<strong>ch</strong>e mit dem <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Handelsministerium<br />
unterzei<strong>ch</strong>net, die als Grundlage für Entwicklungszusammenarbeitsprojekte<br />
in bestimmten<br />
Gegenden Chinas und den entwicklungspolitis<strong>ch</strong>en<br />
Dialog dient.<br />
Für das DEZA-Globalprogramm Klimawandel<br />
gehört China zu den wi<strong>ch</strong>tigsten Partnern. Zum<br />
einen aufgrund seines weltweiten politis<strong>ch</strong>en Einflusses,<br />
zum anderen, weil es zu einem der grössten<br />
CO2-Emittenten geworden ist. Wie in anderen<br />
Partnerländern, versu<strong>ch</strong>t die DEZA au<strong>ch</strong> in China,<br />
die Entwicklung nationaler und regionaler Normen<br />
zu unterstützen und lanciert innovative Pilotprojekte,<br />
die im Idealfall andernorts repliziert<br />
werden können und glei<strong>ch</strong>zeitig Erkenntnisse liefern,<br />
wel<strong>ch</strong>e die Politik beeinflussen.<br />
Geotest<br />
Die völlig autarke Messstation liefert seit September 2012<br />
tägli<strong>ch</strong> via Satellit Bilder vom Glets<strong>ch</strong>er und See sowie<br />
Klimadaten<br />
S<strong>ch</strong>weizer Satellitenspezialisten,<br />
<strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Geländemessungen<br />
Das Ho<strong>ch</strong>wasser- und Klima-Monitoring am Yarkant<br />
gehört zu diesen S<strong>ch</strong>lüsselprojekten. Im<br />
Herbst 2012 installierten die Experten beim See<br />
zwei Kameras sowie Messgeräte, wel<strong>ch</strong>e Temperatur,<br />
Luftfeu<strong>ch</strong>tigkeit und weitere Klimadaten messen.<br />
Der Wasserstand kann au<strong>ch</strong> über Satelliten beoba<strong>ch</strong>tet<br />
werden. «200 Kilometer flussabwärts haben<br />
wir Radarsensoren installiert, die bei einer<br />
Flutwelle auf den Mobiltelefonen der Verantwortli<strong>ch</strong>en<br />
im Tal Alarm auslösen», erklärt Haemmig.<br />
Die Bewohner eines nahegelegenen tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
Dorfes bewa<strong>ch</strong>en und warten die Anlage. No<strong>ch</strong><br />
läuft die Datenübermittlung über S<strong>ch</strong>weizer Server.<br />
Bis Ende 2013 wird dies aber von China übernommen.<br />
Parallel dazu erarbeiten S<strong>ch</strong>weizer Satellitenspezialisten<br />
unter Einbezug von <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Geländemessungen<br />
ein digitales Höhenmodell, das der<br />
Erstellung von Gefahrenhinweiskarten und damit<br />
der Siedlungsplanung dient. Au<strong>ch</strong> auf wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Ebene soll der Wissenstransfer verstärkt<br />
werden. «Derzeit versu<strong>ch</strong>en wir, au<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e<br />
Universitäten miteinzubeziehen», sagt<br />
Christoph Haemmig. «Dies, um unser Wissen weiterzugeben,<br />
aber au<strong>ch</strong>, um deren Know-how besser<br />
nutzen zu können.»<br />
Erste Kontakte, beispielsweise zu einem Glaziologen<br />
des Pekinger Instituts für Fors<strong>ch</strong>ung auf dem<br />
Tibet-Plateau seien bereits geknüpft. Zudem<br />
zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> ab, dass basierend auf den bisherigen<br />
Erfahrungen no<strong>ch</strong> weitere Monitoring-Projekte<br />
realisiert werden. ■<br />
S<strong>ch</strong>utz der Bevölkerung<br />
und des Klimas<br />
Au<strong>ch</strong> Indien, Südafrika<br />
und Peru zählen zu den<br />
S<strong>ch</strong>werpunktländern des<br />
DEZA-Globalprogramms<br />
Klimawandel. Die S<strong>ch</strong>weiz<br />
unterstützt in diesen Ländern<br />
insbesondere Aktivitäten<br />
in den Berei<strong>ch</strong>en<br />
Anpassung an den Klimawandel,<br />
Energieeffizienz<br />
und Luftreinhaltung sowie<br />
Systeme zum Monitoring<br />
der Energiepolitik. Ein bemerkenswertes<br />
Beispiel<br />
ist die dur<strong>ch</strong> die DEZA geförderte<br />
Verbreitung von<br />
energiesparenden Brennöfen<br />
für Backsteine. Diese<br />
ursprüngli<strong>ch</strong> aus China<br />
stammende Te<strong>ch</strong>nologie<br />
wird unterdessen in über<br />
13 Ländern in Asien,<br />
Südamerika und Südafrika<br />
eingesetzt und jeweils<br />
dem lokalen Kontext angepasst.<br />
Allein in Vietnam<br />
sparen die über 300 Öfen<br />
rund 150 000 Tonnen CO2.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 15
«Südafrika ist der Gigant des Kontinents»<br />
Südafrika ist die einzige Vertretung Afrikas in den G-20 und in<br />
der BRICS-Gruppe. Dies verleiht dem Land einen speziellen<br />
Status. Die südafrikanis<strong>ch</strong>e Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin Elizabeth<br />
Sidiropoulos erläutet im Gesprä<strong>ch</strong> mit Mirella Wepf die Rolle<br />
Südafrikas auf dem Kontinent und auf globaler Ebene und beleu<strong>ch</strong>tet<br />
die Entwicklungszusammenarbeit des Landes.<br />
Julien Chatelin/laif<br />
Elizabeth Sidiropoulos<br />
ist Direktorin des South<br />
African Institute of<br />
International Affairs SAIIA<br />
sowie Chefredaktorin des<br />
South African Journal of<br />
International Affairs. Ihr<br />
Fors<strong>ch</strong>ungss<strong>ch</strong>werpunkt<br />
liegt auf Südafrikas<br />
Aussenpolitik und auf dem<br />
Einfluss von S<strong>ch</strong>wellenländern<br />
auf Afrikas globales<br />
Handeln. Die Politikwissens<strong>ch</strong>aftlerin<br />
ist Mitherausgeberin<br />
und Co-Autorin<br />
des 2012 ers<strong>ch</strong>ienenen<br />
Bu<strong>ch</strong>s «Development<br />
Cooperation and Emerging<br />
Powers» (Zed Books<br />
London/New York).<br />
Südafrika engagiert si<strong>ch</strong> in Burundi unter anderem im Si<strong>ch</strong>erheitssektor mit der Aus- und Weiterbildung von Polizisten<br />
«Eine Welt»: In wel<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong>en engagiert<br />
si<strong>ch</strong> die südafrikanis<strong>ch</strong>e Entwicklungszusammenarbeit?<br />
Elizabeth Sidiropoulos: Ein S<strong>ch</strong>werpunkt liegt<br />
bei der Kapazitätsbildung in den Berei<strong>ch</strong>en Konfliktlösung<br />
und Service Public. Hinzu kommen Ausbildungen<br />
im Si<strong>ch</strong>erheitssektor wie zum Beispiel<br />
Polizeitraining in Burundi und Ruanda oder kleinere<br />
Beiträge für Infrastruktur. Viele Vorhaben finanzieren<br />
wir über trilaterale Kooperationen etwa<br />
mit Kanada, S<strong>ch</strong>weden und Norwegen. Ebenso<br />
wi<strong>ch</strong>tig sind die Bemühungen, in Afrika tragfähige<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftsräume zu s<strong>ch</strong>affen und mit gere<strong>ch</strong>ten<br />
Zöllen und fairen Steuersystemen die Investoren<br />
aus dem Norden besser einzubinden. Au<strong>ch</strong> in<br />
kulturelle Projekte investiert Südafrika viel. Dies,<br />
um auf dem Kontinent ein besseres Selbstbewusstsein<br />
zu s<strong>ch</strong>affen. So erhielten die wertvollen Bibliotheken<br />
in Timbuktu grosse Unterstützung; die<br />
aktuellen kriegeris<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen haben<br />
nun leider viele S<strong>ch</strong>ätze zerstört.<br />
Wo liegen die Stärken und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en der<br />
Entwicklungszusammenarbeit Südafrikas?<br />
Dur<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te unseres Landes, wel<strong>ch</strong>es einen<br />
friedli<strong>ch</strong>en Übergang zu einer neuen, demokratis<strong>ch</strong>eren<br />
Regierung ge<strong>s<strong>ch</strong>afft</strong> hat, bringen wir<br />
grosse Erfahrung und Glaubwürdigkeit für Konfliktlösungen<br />
und Post-Konflikt-Prozesse mit. Unsere<br />
grössten S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en liegen derzeit bei der strategis<strong>ch</strong>en<br />
Bündelung und beim gezielten Followup<br />
der Aktivitäten.<br />
Wie ho<strong>ch</strong> ist der finanzielle Beitrag Südafrikas?<br />
Der Beitrag des African Renaissance and International<br />
Cooperation Fund liegt bei rund 500 Millionen<br />
Rand, das entspri<strong>ch</strong>t 42 Millionen Euro.<br />
Hinzu kommen Leistungen aus anderen Ministerien<br />
wie den Departementen für Landwirts<strong>ch</strong>aft,<br />
Erziehung oder Service Public und Administration.<br />
Im Verglei<strong>ch</strong> zu Riesen wie Grossbritannien<br />
mit einem Budget von fast 10 Milliarden Euro ist<br />
16<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
S<strong>ch</strong>wellenländer<br />
dies natürli<strong>ch</strong> wenig – für unser Land mit seinen<br />
50 Millionen Einwohnern jedo<strong>ch</strong> viel.<br />
Südafrika strebt auf dem Kontinent bewusst<br />
eine Führungsrolle an?<br />
Ri<strong>ch</strong>tig. Im Verglei<strong>ch</strong> zum restli<strong>ch</strong>en Afrika ist unser<br />
Land ho<strong>ch</strong> entwickelt. In 48 von 54 afrikanis<strong>ch</strong>en<br />
Staaten liegt das BIP zwis<strong>ch</strong>en 4 und 100<br />
Milliarden Dollar, in Südafrika bei über 550 Milliarden.<br />
Auf dem Kontinent ist Südafrika also ein<br />
Gigant. Do<strong>ch</strong> in einem ökonomis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />
und fragilen Umfeld können au<strong>ch</strong> wir langfristig<br />
ni<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong> sein. Wir brau<strong>ch</strong>en gute Märkte<br />
und Stabilität.<br />
Sein Engagement trägt Südafrika au<strong>ch</strong> den<br />
Ruf als neuer Hegemon ein.<br />
Dabei geht es uns ähnli<strong>ch</strong> wie den USA. Man ist<br />
froh um den starken Partner, aber es gibt au<strong>ch</strong> Bedenken,<br />
von den Eigeninteressen des «grossen Bruders»<br />
dominiert zu werden. Teils zu Re<strong>ch</strong>t. Do<strong>ch</strong><br />
insgesamt, glaube i<strong>ch</strong>, nimmt Südafrika seine Rolle<br />
sehr verantwortungsvoll wahr.<br />
«In einem ökonomis<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en und fragilen<br />
Umfeld können wir<br />
ni<strong>ch</strong>t erfolgrei<strong>ch</strong> sein.»<br />
Südafrika ist seit kurzem Mitglied der<br />
BRICS. Was kann dieses Gremium errei<strong>ch</strong>en,<br />
und geht Südafrika als mit Abstand kleinster<br />
Staat darin ni<strong>ch</strong>t unter?<br />
Das 2009 gegründete Forum ist no<strong>ch</strong> sehr jung,<br />
also ist es s<strong>ch</strong>wierig, Bilanz zu ziehen. Einige Resultate<br />
sind denno<strong>ch</strong> spürbar. So zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> ab,<br />
dass nur s<strong>ch</strong>on im Rahmen der gegenseitigen Handelsbeziehungen<br />
dieser fünf Länder enorme Transaktionskosten<br />
gespart werden können. Dur<strong>ch</strong> den<br />
direkten Kontakt fällt der Umweg über die dominante<br />
Handelswährung Dollar weg. Ferner planen<br />
die BRICS, eine eigene Entwicklungsbank zu<br />
gründen. Ni<strong>ch</strong>t als Konkurrenz zur Weltbank, aber<br />
als Ergänzung. Die kleineren Partner Südafrika<br />
und Brasilien spielen neben den Riesen Russland,<br />
Indien und China eine interessante Rolle. Sie werden<br />
kaum als Rivalen gesehen und können daher<br />
oft vermitteln und neue Standpunkte einbringen.<br />
Südafrika hilft das Bündnis bei Verhandlungen in<br />
den G-20 und anderen internationalen Gremien.<br />
Candace Feit NYT/Redux/laif<br />
Mit der Unterstützung der wertvollen Bibliotheken in<br />
Timbuktu will Südafrika auf dem Kontinent ein besseres<br />
Selbstbewusstsein s<strong>ch</strong>affen<br />
Was ma<strong>ch</strong>en neue Geberländer wie Südafrika<br />
anders als traditionelle Geber?<br />
Es ist für Entwicklungsländer si<strong>ch</strong>er von Nutzen,<br />
zusätzli<strong>ch</strong>e und vor allem diverse Partner zu haben.<br />
Das verringert die einseitige Abhängigkeit<br />
vom Norden. Zudem bringen einige der neuen<br />
Geber spezielles Fa<strong>ch</strong>wissen mit. Indien im Berei<strong>ch</strong><br />
Informations- und Kommunikationste<strong>ch</strong>nologie,<br />
was si<strong>ch</strong> etwa bei der Telemedizin als sehr nützli<strong>ch</strong><br />
erwiesen hat. China wiederum hat grosse Erfahrung<br />
im Berei<strong>ch</strong> Infrastruktur. Natürli<strong>ch</strong> haben die<br />
neuen Geber au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en, aber sie haben eine<br />
willkommene Debatte ausgelöst, die au<strong>ch</strong> die<br />
OECD-Staaten dazu bringt, si<strong>ch</strong> zu bewegen.<br />
Wie muss si<strong>ch</strong> die Ar<strong>ch</strong>itektur der internationalen<br />
Zusammenarbeit entwickeln, um<br />
alte und neue Partner besser einzubinden<br />
und letztli<strong>ch</strong> erfolgrei<strong>ch</strong> zu sein?<br />
Im Moment besteht no<strong>ch</strong> immer ein Misstrauen<br />
des Südens gegenüber dem Norden. Viele der neuen<br />
Player distanzieren si<strong>ch</strong> von der OECD und<br />
dem DAC-Komitee. Südafrika bildet da eher eine<br />
Ausnahme. Es bräu<strong>ch</strong>te ein neues, internationales<br />
Forum, das legitimiert, aber au<strong>ch</strong> effizient ist. Auf<br />
dem Weg dahin wüns<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> mir unter anderem<br />
von Indien, Brasilien und China ein grösseres Engagement.<br />
Die Konferenz von Busan hat eine erste<br />
Annäherung gebra<strong>ch</strong>t, aber längst ni<strong>ch</strong>t genügend.<br />
Das Risiko, dass wir no<strong>ch</strong> lange eine stark<br />
fragmentierte Lands<strong>ch</strong>aft der Entwicklungszusammenarbeit<br />
haben werden, besteht leider. ■<br />
(Aus dem Englis<strong>ch</strong>en)<br />
Südafrikas Hilfe<br />
In den 1990er-Jahren endete<br />
in Südafrika na<strong>ch</strong><br />
über 40 Jahren die<br />
Rassentrennung und<br />
ma<strong>ch</strong>te einem demokratis<strong>ch</strong>eren<br />
System Platz. Seit<br />
den Wahlen 1994 leistet<br />
das Land Entwicklungszusammenarbeit,<br />
insbesondere<br />
in Na<strong>ch</strong>barstaaten.<br />
Punktuelle Bemühungen<br />
gab es jedo<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>on zu Zeiten des<br />
Apartheidregimes. Dies<br />
hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, um die<br />
diplomatis<strong>ch</strong>e Isolation zu<br />
dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en. Südafrikas<br />
Regierung sieht den<br />
Wohlstand des Landes<br />
untrennbar mit der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Entwicklung<br />
der umliegenden Staaten<br />
verknüpft. Umgekehrt<br />
s<strong>ch</strong>ätzte der Internationale<br />
Währungsfonds im Jahr<br />
2005, dass ein Prozent<br />
Wa<strong>ch</strong>stum in Südafrika –<br />
mit einem BIP von über<br />
550 Milliarden Dollar die<br />
grösste Volkswirts<strong>ch</strong>aft<br />
Afrikas – in den anderen<br />
Sub-Sahara-Staaten ein<br />
Wa<strong>ch</strong>stum von 0,5 bis<br />
0,75 Prozent na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong><br />
zieht.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 17
Facts & Figures<br />
1990 2010<br />
Viele Länder des Südens und Ostens haben si<strong>ch</strong> seit<br />
1990 wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> stark entwickelt und haben si<strong>ch</strong> vom<br />
Entwicklungsland zum S<strong>ch</strong>wellenland oder gar zum<br />
Industrieland gewandelt.<br />
Länder mit hohem Einkommen<br />
Länder mit überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>em Einkommen<br />
Länder mit knapp dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>em Einkommen<br />
Länder mit niedrigem Einkommen<br />
S<strong>ch</strong>lüsselzahlen<br />
• In den BRICS-Ländern leben 3 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en, das<br />
entspri<strong>ch</strong>t 40 Prozent der Weltbevölkerung.<br />
• Zwei Drittel der Mens<strong>ch</strong>en, die weniger als 2 US-Dollar pro<br />
Tag zur Verfügung haben, leben in S<strong>ch</strong>wellenländern.<br />
• Brasilien, Russland, Indien und Russland erwirts<strong>ch</strong>afteten<br />
2012 laut S<strong>ch</strong>ätzungen zusammen ein Bruttoinlandprodukt<br />
(BIP) von rund 14,6 Billionen US-Dollar. Dies ist zwar<br />
niedriger als das BIP der USA (15,7 Billionen), do<strong>ch</strong> sind<br />
die Wa<strong>ch</strong>stumsraten in den S<strong>ch</strong>wellenländern deutli<strong>ch</strong><br />
höher.<br />
• Laut S<strong>ch</strong>ätzungen des UNO-Entwicklungsprogramms<br />
UNDP stammen über 9,5 Prozent der weltweiten öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Entwicklungsbeiträge aus S<strong>ch</strong>wellenländern. Ihr<br />
Beitrag hat si<strong>ch</strong> im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt.<br />
• Der Beitrag von China liegt – je na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ätzung – zwis<strong>ch</strong>en<br />
2 und 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr, der Beitrag von<br />
Indien bei rund 750 Millionen. Die S<strong>ch</strong>weiz genehmigte<br />
für die Jahre 2013 bis 2016 rund 3 Milliarden jährli<strong>ch</strong>.<br />
Links<br />
BRICS-Report<br />
www.bricsindia.in/fourthsummit.html (Documents of interest)<br />
Grundsatzpapier des Internationalen Währungsfonds: New<br />
Growth Drivers for Low-Income Countries: The Role of BRICs;<br />
IMF Policy Paper, January 12, 2011.<br />
www.imf.org<br />
Busan HLF4 – Fourth High Level Forum on Aid Effectiveness<br />
www.aideffectiveness.org/busanhlf4<br />
Publikationen<br />
«Development Cooperation and Emerging Powers; New<br />
Partners of Old Patterns» von E. Sidiropoulos, Zed Books, 2012<br />
«Dossier Aid, Emerging Economies and Global Policies –<br />
International Development Policy Nr.3», The Graduate Institute,<br />
Geneva<br />
Download Bestellung: http://poldev.revues.org/890<br />
«Coopération au développement triangulaire et politique<br />
etrangère : simple avatar de la coopération bilatérale ou<br />
nouvel intrument pour une coopération publique "globale"?»<br />
von Mi<strong>ch</strong>el Gressot. In: Politorbis Nr. 46,<br />
www.eda.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/politorbis<br />
«Swissness made in India. Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklung und<br />
die Zusammenarbeit S<strong>ch</strong>weiz – Indien» von Ri<strong>ch</strong>ard Gerster,<br />
Orell Füssli, Züri<strong>ch</strong> 2008<br />
«Aufstieg neuer Mä<strong>ch</strong>te. Die Bric-Staaten im Porträt», NZZ<br />
Fokus Nr. 52, 2012<br />
Bots<strong>ch</strong>aft über die internationale Zusammenarbeit 2013-2016<br />
der S<strong>ch</strong>weiz vom Februar 2012, insbesondere Kapitel 1.2.1<br />
www.news.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
Der Entwicklungsauss<strong>ch</strong>uss DAC der OECD<br />
www.oecd.org/dac<br />
Alejandro Balaguer/Redux/laif<br />
18<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
H O R I Z O N T E<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
Grenzkonflikte trennen Familien<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan ist der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ärmste Staat in Zentralasien.<br />
Zudem leidet neben der Grenzbevölkerung au<strong>ch</strong> die Hauptstadt<br />
Dus<strong>ch</strong>anbe seit Jahren unter den anhaltenden Konflikten um<br />
die Nutzung von Wasserkraft. Insbesondere der mä<strong>ch</strong>tige<br />
Na<strong>ch</strong>bar Usbekistan dreht deswegen regelmässig die Gasleitungen<br />
ab, s<strong>ch</strong>ränkt Stromlieferungen, den S<strong>ch</strong>ienenverkehr<br />
sowie den Grenzverkehr ein. Von Marcus Bensmann*.<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan in<br />
Kürze<br />
Hauptstadt<br />
Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
Flä<strong>ch</strong>e<br />
143100 km 2<br />
Einwohner<br />
7,6 Millionen<br />
Lebenserwartung<br />
66,5 Jahre<br />
Ethnien<br />
Tads<strong>ch</strong>iken 80%<br />
Usbeken 15%<br />
Russen, Kirgisen,<br />
andere 5%<br />
Religionen<br />
Sunni-Muslime 85%<br />
Shi’a-Muslime 5%<br />
Andere 10%<br />
Mi<strong>ch</strong>ael Martin/laif<br />
Mehr als zwei Drittel der Flä<strong>ch</strong>e Tads<strong>ch</strong>ikistans sind Ho<strong>ch</strong>gebirge und liegt, wie hier im Pamirgebirge, über 3000 Meter<br />
über Meer<br />
Es war ein sonniger Tag im März, die dunkle Erde<br />
auf den Feldern um das nordtads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Dorf<br />
Rabot vom Tauwasser gewässert und bereit für die<br />
Aussaat. Ras<strong>ch</strong>id Omarow griff zu seinem Lieblingsholzstab<br />
und trieb die zwei Kühe der Familie<br />
aus dem Stall. Hinter dem verlassenen Flughafen<br />
unweit der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en Grenze kannte<br />
der Zehnjährige eine Stelle für besonders leckere<br />
Gräser. Am Horizont staken die Wa<strong>ch</strong>türme der usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Grenztruppen wie langbeinige s<strong>ch</strong>warze<br />
Insekten.<br />
Der Junge sollte den Tag ni<strong>ch</strong>t überleben. Als eine<br />
Kuh am Bein blutend zu dem Gehöft zurückkam,<br />
wusste Ra<strong>ch</strong>mon Omarow, was passiert war. Die<br />
Explosion einer Mine hatte ihn aufges<strong>ch</strong>reckt und<br />
er su<strong>ch</strong>te panis<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> seinem Bub. Zwei Jahre zuvor<br />
hatte der Mann bereits zwei seiner Verwand-<br />
ten verloren, als sie Reisig an der Grenze sammelten.<br />
«I<strong>ch</strong> habe die Lei<strong>ch</strong>e meines Sohnes aus Usbekistan<br />
na<strong>ch</strong> Hause gebra<strong>ch</strong>t», erinnert si<strong>ch</strong> der Vater<br />
mit Tränen in den Augen, «hätte Ras<strong>ch</strong>id do<strong>ch</strong> auf<br />
mi<strong>ch</strong> gehört.» Der Vater hatte dem Sohn verboten,<br />
si<strong>ch</strong> der Grenze zu nähern. Um das Gehöft weht<br />
der Wind. Es ist das letzte Gebäude in der Siedlung<br />
und dahinter breitet si<strong>ch</strong> die usbekis<strong>ch</strong>e Grenze<br />
aus, mit Sta<strong>ch</strong>eldraht und Wa<strong>ch</strong>türmen.<br />
Mä<strong>ch</strong>tiger Na<strong>ch</strong>bar Usbekistan<br />
Usbekistan und Tads<strong>ch</strong>ikistan liegen ni<strong>ch</strong>t im<br />
Krieg, und do<strong>ch</strong> ist die Landesgrenze im Norden<br />
des zentralasiatis<strong>ch</strong>en Landes zur Todesfalle geworden.<br />
Seit die usbekis<strong>ch</strong>e Regierung aus Angst<br />
vor Terroristen im Jahr 2000 einseitig die Grenze<br />
Exportprodukte<br />
Aluminium, Elektrizität,<br />
Baumwolle, Frü<strong>ch</strong>te,<br />
Pflanzenöl, Textilien<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftszweige<br />
Rund 50% der aktiven<br />
Bevölkerung sind in der<br />
Landwirts<strong>ch</strong>aft tätig,<br />
12% im Industriesektor,<br />
38% im Dienstleistungsberei<strong>ch</strong><br />
Kasa<strong>ch</strong>stan<br />
Usbekistan<br />
China<br />
Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
Afghanistan<br />
Kirgistan<br />
Pakistan<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 19
Nick Hannes/Reporters/laif<br />
Marcus Bensmann<br />
Im Nordosten Tads<strong>ch</strong>ikistans sind die ethnis<strong>ch</strong>en Gruppen – links eine Gruppe Kirgisen – ebenso bunt gemis<strong>ch</strong>t wie die<br />
Tü<strong>ch</strong>er auf den lokalen Märkten<br />
Kampf ums Wasser<br />
Der Wasserkonflikt belastet<br />
die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Beziehungen.<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan plant die<br />
Vollendung des no<strong>ch</strong> zur<br />
Sowjetzeit begonnen<br />
Baus des Kraftwerkes<br />
Rogun am Quellfluss des<br />
Amu-Darja, der weiter<br />
dur<strong>ch</strong> Usbekistan und<br />
Turkmenistan bis zum<br />
Aralsee fliesst. Mit einer<br />
geplanten Kapazität von<br />
3600 Megawatt wäre<br />
Rogun eines der weltweit<br />
grössten Wasserkraftwerke.<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan will<br />
so die Energiekrise lösen<br />
und Strom na<strong>ch</strong> Pakistan<br />
oder China exportieren.<br />
Usbekistan für<strong>ch</strong>tet jedo<strong>ch</strong><br />
um den ungehinderten<br />
Wasserzufluss und setzt<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan unter Druck,<br />
blockiert S<strong>ch</strong>ienenwege<br />
und dreht den Gashahn<br />
zu. Tads<strong>ch</strong>ikistan seinerseits<br />
ist ni<strong>ch</strong>t in der Lage,<br />
die milliardens<strong>ch</strong>weren<br />
Investitionen alleine zu<br />
stemmen. Sollte der<br />
Damm trotz allem gebaut<br />
werden, bes<strong>ch</strong>wor der usbekis<strong>ch</strong>e<br />
Präsident Islam<br />
Karimow vergangenes<br />
Jahr «Kriegsgefahr». Eine<br />
Weltbankstudie zu Rogun<br />
steht aus.<br />
verminte, starben über 70 Mens<strong>ch</strong>en und über 80<br />
erlitten Verletzungen. Alle Opfer waren Zivilisten,<br />
Frauen und Kinder, die Vieh auf die Weide trieben<br />
oder Holz su<strong>ch</strong>ten.<br />
Die Todesstreifen an der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Grenze sind die grausamsten Folgen der gravierenden<br />
Grenzproblematik zwis<strong>ch</strong>en den ehemaligen<br />
Sowjetrepubliken in Zentralasien, mehr als 20<br />
Jahre na<strong>ch</strong> deren Unabhängigkeit. Besonders die<br />
Einwohner in Tads<strong>ch</strong>ikistan, dem wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
ärmsten Staat der Region zwis<strong>ch</strong>en Kaspis<strong>ch</strong>em<br />
Meer und China, leiden unter dem Konflikt mit<br />
dem unglei<strong>ch</strong> mä<strong>ch</strong>tigeren Na<strong>ch</strong>barn Usbekistan,<br />
der das Land von Westen her umgreift.<br />
Konflikt um Wasserkraft<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan steckt in einer regelre<strong>ch</strong>ten Sackgasse.<br />
Vom Osten blockiert das Pamirgebirge die<br />
Weiterfahrt, und au<strong>ch</strong> die von China gebauten<br />
Transitstrassen über den Pamir bringen nur begrenzt<br />
Entlastungen. Na<strong>ch</strong> Süden versperrt das<br />
unruhige Afghanistan den Handelsweg. Alle wi<strong>ch</strong>tigen<br />
Strassen, S<strong>ch</strong>ienen, Stromleitungen und Gaspipelines<br />
verbinden das Ho<strong>ch</strong>gebirgsland über<br />
Usbekistan mit der Welt.<br />
Wie ein S<strong>ch</strong>raubstock zieht der Na<strong>ch</strong>bar die<br />
Freiräume zu. Der Grund ist der Konflikt über den<br />
Ausbau der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en Wasserkraft. Zwis<strong>ch</strong>en<br />
den beiden eng verzahnten Ländern herrs<strong>ch</strong>t Visumspfli<strong>ch</strong>t,<br />
und seit Jahrzehnten gibt es keinen<br />
Direktflug zwis<strong>ch</strong>en beiden Staaten. Allein im<br />
di<strong>ch</strong>t bevölkerten Ferghanatal verheddern si<strong>ch</strong><br />
die Grenzläufe der drei zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan, Kirgistan und Usbekistan wie in einem<br />
Kabelsalat.<br />
Dazu beherbergt Kirgistan usbekis<strong>ch</strong>e und tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e<br />
Enklaven. Im Januar eskalierte ein<br />
Grenzstreit zwis<strong>ch</strong>en den Einwohnern der usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Enklave in So<strong>ch</strong> und den kirgisis<strong>ch</strong>en<br />
Na<strong>ch</strong>bardörfern. Seither ist die Enklave blockiert.<br />
Die Grenzkonflikte töten ni<strong>ch</strong>t nur Mens<strong>ch</strong>en,<br />
sondern reissen Familien auseinander.<br />
Kas<strong>ch</strong>ibaroun Tads<strong>ch</strong>ibajewa kann ihre zwei Tö<strong>ch</strong>ter<br />
und Enkel ni<strong>ch</strong>t mehr treffen. Die füllige Tads<strong>ch</strong>ikin<br />
sitzt in dem kleinen nordtads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
Dorf im Haus ihres verstorbenen Mannes. Das<br />
einges<strong>ch</strong>ossige weiss-blau angestri<strong>ch</strong>ene Gehöft<br />
ums<strong>ch</strong>liesst einen gepflegten Garten, in dessen<br />
Mitte ein Aprikosenbaum steht. Am Horizont<br />
glänzen die s<strong>ch</strong>neebedeckten Gipfel des Vorpamirs.<br />
In einem mit bunten Teppi<strong>ch</strong>en ausgelegten Zimmer<br />
sitzt die 54-jährige Tads<strong>ch</strong>ikin und s<strong>ch</strong>lürft<br />
heissen Tee. Au<strong>ch</strong> wenn Ende Januar der Winter<br />
die Kraft verloren hat, ist der Raum feu<strong>ch</strong>t und<br />
kühl.<br />
Auseinandergerissene Familien<br />
Die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en Dörfer haben s<strong>ch</strong>on lange kein<br />
Gas mehr und der Strom wird abends und morgens<br />
nur für wenige Stunden zugeteilt. Geheizt<br />
wird mit Kohle, Holz und Dung und meist nur in<br />
einem Raum.<br />
Usbekistan dreht regelmässig Tads<strong>ch</strong>ikistan das Gas<br />
ab, s<strong>ch</strong>ränkt die Stromlieferungen oder den S<strong>ch</strong>ienenverkehr<br />
ein. Die Energiekrise trifft ni<strong>ch</strong>t nur<br />
die Dörfler, selbst in der Hauptstadt Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
20<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
sitzen die Einwohner häufig bei Kerzens<strong>ch</strong>ein in<br />
eisigen Wohnungen.<br />
An die Kälte hat si<strong>ch</strong> Tads<strong>ch</strong>ibajewa gewöhnt –<br />
aber ni<strong>ch</strong>t daran, dass sie ihre Tö<strong>ch</strong>ter und Enkel<br />
ni<strong>ch</strong>t sehen kann. Die Witwe stammt aus der usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Enklave So<strong>ch</strong> im südkirgisis<strong>ch</strong>en Landarm,<br />
der zwis<strong>ch</strong>en Usbekistan und Kirgistan eingeklemmt<br />
ist. Sie hat ihren Ehemann Abdukarim<br />
aus Tads<strong>ch</strong>ikistan kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion<br />
geheiratet. Unter Tads<strong>ch</strong>iken werden<br />
Ehen häufig innerhalb der Verwandten ges<strong>ch</strong>lossen,<br />
um die Familienbindungen zu stärken.<br />
In der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave So<strong>ch</strong> leben zu 99 Prozent<br />
Tads<strong>ch</strong>iken, entlang des Flusses So<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong><br />
von den Südausläufern des Vorpamirs dur<strong>ch</strong> die<br />
südkirgisis<strong>ch</strong>e Provinz Bakten bis kurz vor der usbekis<strong>ch</strong>en<br />
Grenze streckt. In der Sowjetzeit hatten<br />
Grenzen nur <strong>admin</strong>istrativen Charakter und waren<br />
für die Mens<strong>ch</strong>en in der Enklave ni<strong>ch</strong>t spürbar.<br />
Die Einwohner von So<strong>ch</strong> konnten in der usbekis<strong>ch</strong>en<br />
oder kirgisis<strong>ch</strong>en Sowjetrepublik arbeiten,<br />
auf den Markt gehen oder an einer tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule studieren.<br />
Der Zerfall der Sowjetunion ma<strong>ch</strong>te dem ein Ende.<br />
Als der Bruder von Tads<strong>ch</strong>ibajewa 2004 starb, wollte<br />
die gesamte Familie aus Tads<strong>ch</strong>ikistan in einem<br />
Minibus die Beerdigung in So<strong>ch</strong> besu<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong><br />
die Trauergemeinde wurde an der Grenze abgewiesen.<br />
Trotz der S<strong>ch</strong>wierigkeiten wollten die Familien<br />
in Tads<strong>ch</strong>ikistan und So<strong>ch</strong> den Kontakt<br />
ni<strong>ch</strong>t abbre<strong>ch</strong>en lassen, und die Witwe verheiratete<br />
2001 ihre zwei Tö<strong>ch</strong>ter na<strong>ch</strong> So<strong>ch</strong>. Aber es wird<br />
immer s<strong>ch</strong>wieriger, Tö<strong>ch</strong>ter und Enkel zu sehen.<br />
Hin und wieder trafen sie si<strong>ch</strong> in Kirgistan, aber<br />
na<strong>ch</strong> der Januarkrise ist au<strong>ch</strong> dieser Weg versperrt.<br />
Entleerte Dörfer und Städte<br />
Südkirgistan ums<strong>ch</strong>liesst unweit des Dorfes von<br />
Tads<strong>ch</strong>ibajewa die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Enklave Voru<strong>ch</strong>.<br />
Die 30 000 Mens<strong>ch</strong>en leben in einem kleinen<br />
Städt<strong>ch</strong>en in einer maleris<strong>ch</strong>en Gebirgsfalte. Um<br />
von der Enklave na<strong>ch</strong> Tads<strong>ch</strong>ikistan zu kommen,<br />
muss der Reisende mehrmals die Grenze passieren.<br />
Anders als bei der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave ist dieser<br />
Weg no<strong>ch</strong> offen. Und der S<strong>ch</strong>muggel blüht. Da in<br />
Kirgistan Benzin und Zement billiger sind, versorgen<br />
si<strong>ch</strong> die Tads<strong>ch</strong>iken aus der Enklave aber<br />
au<strong>ch</strong> vom Stammland bei den kirgisis<strong>ch</strong>en Händlern<br />
im Zwis<strong>ch</strong>enland. Do<strong>ch</strong> die Stimmung ist gespannt.<br />
«Häufig kommt es zu Konflikten mit kirgisis<strong>ch</strong>en<br />
Jugendli<strong>ch</strong>en», sagt auf dem Wo<strong>ch</strong>enmarkt<br />
in Voru<strong>ch</strong> der 29-jährige Tads<strong>ch</strong>ike Nariman<br />
Sadikow.<br />
Auf dem Basar werden Stoffe aus Usbekistan,<br />
Baumwolle aus Tads<strong>ch</strong>ikistan und Plastiks<strong>ch</strong>uhe aus<br />
Nick Hannes/Reporters/laif<br />
Die Bevölkerung in Tads<strong>ch</strong>ikistans Hauptstadt Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
hat si<strong>ch</strong> daran gewöhnt, dass wegen der Grenzkonflikte<br />
mit Usbekistan Strom und Gas knapp werden<br />
China feilgeboten. Dazu brutzeln die Garkü<strong>ch</strong>en.<br />
In Fett werden Teigfladen gesotten und über dem<br />
Grill tropfen die langen Lamms<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>licks. Sadikow<br />
ma<strong>ch</strong>t sein Ges<strong>ch</strong>äft in Russland. Seit Jahren<br />
verkauft er die s<strong>ch</strong>mackhaften getrockneten Aprikosen<br />
aus Voru<strong>ch</strong> in Moskau. Weil der direkte Weg<br />
dur<strong>ch</strong> Usbekistan kaum passierbar ist, sendet er die<br />
Ware über den kirgisis<strong>ch</strong>en Umweg in die russis<strong>ch</strong>e<br />
Hauptstadt und reist später mit dem Flugzeug<br />
na<strong>ch</strong>.<br />
Russland ist für viele Tads<strong>ch</strong>iken die einzige Geldquelle.<br />
Knapp eine Million Tads<strong>ch</strong>iken verdingen<br />
si<strong>ch</strong> auf den Baustellen in Russland und überweisen<br />
monatli<strong>ch</strong> Geld in die Heimat. Ohne diese Zuwendung<br />
würde die tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aft vollends<br />
zusammenzubre<strong>ch</strong>en. Im Winter kommen<br />
die Tads<strong>ch</strong>iken zurück, aber sobald in Russland die<br />
Bausaison beginnt, leeren si<strong>ch</strong> die Dörfer und Städte.<br />
Au<strong>ch</strong> das tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>-kirgisis<strong>ch</strong>e Verhältnis ist<br />
ni<strong>ch</strong>t frei von Spannungen. Immer wieder kommt<br />
es zu Konflikten über Wasserverteilung, Weideplätze<br />
und Transitrouten. Im Januar eskalierte unweit<br />
von Voru<strong>ch</strong> eine Massens<strong>ch</strong>lägerei zwis<strong>ch</strong>en<br />
Tads<strong>ch</strong>iken und Kirgisen.<br />
Die Minenfelder und die tagtägli<strong>ch</strong>en Grenzkonflikte<br />
haben Handel und Wandel besonders für die<br />
Mens<strong>ch</strong>en in Tads<strong>ch</strong>ikistan no<strong>ch</strong> nie so s<strong>ch</strong>wer gema<strong>ch</strong>t<br />
wie heute. ■<br />
*Marcus Bensmann arbeitet seit 1995 als freier Journalist<br />
in Zentralasien, zurzeit mit Sitz in Bis<strong>ch</strong>kek, u.a.<br />
für die «Neue Zür<strong>ch</strong>er Zeitung» und deuts<strong>ch</strong>e Medien.<br />
Er gehört dem Netzwerk www.weltreporter.net an.<br />
Grenz<strong>ch</strong>aos im<br />
Ferghanatal<br />
Bis heute belasten die willkürli<strong>ch</strong>en<br />
Grenzziehungen<br />
aus der Sowjetzeit die<br />
Stabilität in Zentralasien<br />
und insbesondere im<br />
di<strong>ch</strong>tbevölkerten Ferghanatal.<br />
In dem fru<strong>ch</strong>tbaren<br />
Landbecken verheddern<br />
si<strong>ch</strong> die Grenzläufe der drei<br />
zentralasiatis<strong>ch</strong>en Staaten<br />
Kirgistan, Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
und Usbekistan. Die Ebene<br />
gehört zu Usbekistan,<br />
darum herum greifen zwei<br />
kirgisis<strong>ch</strong>e Landarme, und<br />
vom Süden stösst ein tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>er<br />
Appendix in<br />
das vom Tiens<strong>ch</strong>an- und<br />
Pamirgebirge ums<strong>ch</strong>lossene<br />
Becken. Der südli<strong>ch</strong>e<br />
kirgisis<strong>ch</strong>e Landarm ums<strong>ch</strong>liesst<br />
zudem vier<br />
Enklaven, drei gehören<br />
zu Usbekistan, eine zu<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan. Die Bevölkerung<br />
der Enklaven<br />
gehört zur tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
Ethnie. Während die<br />
Tads<strong>ch</strong>iken no<strong>ch</strong> ungehindert<br />
zu der tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
Enklave Voru<strong>ch</strong> reisen können,<br />
ist die Bevölkerung in<br />
der usbekis<strong>ch</strong>en Enklave<br />
So<strong>ch</strong> seit dem Grenzkonflikt<br />
im Januar abges<strong>ch</strong>nitten.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 21
Aus dem Alltag von...<br />
Mouazamma Djamalova, DEZA-Gesundheitsbeauftragte in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
I<strong>ch</strong> lebe in Dus<strong>ch</strong>anbe, zehn Autominuten vom<br />
DEZA-Büro entfernt. Normalerweise beginnt<br />
mein Arbeitstag um halb neun Uhr. Eine meiner<br />
Aufgaben besteht darin, Informationen zum Gesundheitssektor<br />
zu sammeln und zu analysieren, um<br />
die Bedürfnisse unseres Landes zu klären. I<strong>ch</strong> stehe<br />
in regelmässigem Kontakt mit dem Gesundheitsministerium,<br />
den beiden S<strong>ch</strong>weizer Partnern, die<br />
unsere Projekte umsetzen, und anderen in diesem<br />
Berei<strong>ch</strong> tätigen internationalen Organisationen.<br />
Man<strong>ch</strong>mal besu<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> unsere Projekte vor<br />
Ort, so au<strong>ch</strong> heute. Einer unserer Partner, die Aga<br />
Khan Health Services (AKHS), hat gerade die Sanierung<br />
von zehn Erstversorgungszentren im 250<br />
Kilometer von der Hauptstadt entfernten Distrikt<br />
Muminabad beendet. I<strong>ch</strong> bin an die Feier zur Übergabe<br />
dieser Infrastruktur an die lokalen Gesundheitsverantwortli<strong>ch</strong>en<br />
eingeladen. Deshalb stehe<br />
DEZA<br />
zentrierte si<strong>ch</strong> auf die Spezialärzte in den Spitälern.<br />
Die heutige Regierung versu<strong>ch</strong>t, den Zugang zu<br />
verbessern und Kosten zu sparen, indem sie die<br />
Hausarztmedizin fördert.<br />
Langfristige Programme<br />
Die DEZA ist seit 1993 in<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan aktiv. Während<br />
des Bürgerkriegs unterstützte<br />
sie das Land mit<br />
humanitärer Hilfe. Na<strong>ch</strong><br />
dem Friedenss<strong>ch</strong>luss<br />
eröffnete die S<strong>ch</strong>weiz in<br />
Dus<strong>ch</strong>anbe ein Kooperationsbüro<br />
und lancierte<br />
langfristige Zusammenarbeitsprogramme.<br />
Zurzeit<br />
konzentriert si<strong>ch</strong> der<br />
Einsatz auf vier Berei<strong>ch</strong>e:<br />
Unterstützung beim Umbau<br />
des Gesundheitssystems,<br />
das primär auf die Einführung<br />
von Hausarztmedizin<br />
und Prävention ausgeri<strong>ch</strong>tet<br />
wird; verbesserter<br />
Zugang der Bevölkerung<br />
zu Trinkwasser und sanitären<br />
Anlagen; Entwicklung<br />
eines Justizsystems,<br />
das für besonders verna<strong>ch</strong>lässigte<br />
Mens<strong>ch</strong>en zugängli<strong>ch</strong>er<br />
und besser auf die<br />
Bedürfnisse aller Bürger<br />
zuges<strong>ch</strong>nitten ist; Stärkung<br />
des privaten Sektors mit<br />
dem Ziel, Stellen zu s<strong>ch</strong>affen,<br />
Wa<strong>ch</strong>stum zu generieren<br />
und die <strong>Armut</strong> zu reduzieren.<br />
www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
www.swiss-cooperation.<br />
<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>/centralasia/<br />
«Könnten Sie bitte<br />
unser Dorf an ein<br />
Wassersystem<br />
ans<strong>ch</strong>liessen?»<br />
i<strong>ch</strong> für einmal um fünf Uhr auf und ma<strong>ch</strong>e mi<strong>ch</strong><br />
zusammen mit drei AKHS-Vertretern auf den Weg.<br />
Auf den vers<strong>ch</strong>neiten und glatten Strassen müssen<br />
wir sehr vorsi<strong>ch</strong>tig fahren.<br />
Gegen a<strong>ch</strong>t Uhr kommen wir an, zahlrei<strong>ch</strong>e Dorfbewohner<br />
drängen si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on um das Ambulatorium<br />
der Kreisstadt Muminabad. Au<strong>ch</strong> die lokalen<br />
Behörden sind da. In seiner Rede bedankt si<strong>ch</strong> Bezirkspräsident<br />
Pirmad Zaripov bei der S<strong>ch</strong>weiz für<br />
die Finanzierung des Projekts. Ans<strong>ch</strong>liessend führen<br />
uns die Angestellten dur<strong>ch</strong> die renovierten,<br />
möblierten und ausgerüsteten Räumli<strong>ch</strong>keiten. Besonders<br />
stolz sind sie über den Elektrokardiographen;<br />
er ist für sie quasi ein S<strong>ch</strong>atz.<br />
Gesundheitszentren gab es bereits zu sowjetis<strong>ch</strong>en<br />
Zeiten, aber ihre Leistungen waren dürftig. Na<strong>ch</strong><br />
der Unabhängigkeit fielen sie praktis<strong>ch</strong> in si<strong>ch</strong> zusammen.<br />
Unser Projekt hat ni<strong>ch</strong>t bloss ein Drittel<br />
der Krankenstationen dieses Bezirks renoviert, sondern<br />
au<strong>ch</strong> das Personal weitergebildet: Ärztinnen<br />
und Krankenpfleger haben eine allgemeinmedizinis<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>ulung dur<strong>ch</strong>laufen, um die meisten Kranken<br />
vor Ort behandeln zu können. Das von der<br />
UdSSR übernommene Gesundheitssystem kon-<br />
Na<strong>ch</strong> Muminabad besu<strong>ch</strong>en wir neun weitere Gemeinden.<br />
Überall ist die Bevölkerung bei der Einweihung<br />
ihres Zentrums dabei. Der eine oder andere<br />
nützt die Gelegenheit, um mit dem Bezirkspräsidenten<br />
zu reden. In Kul<strong>ch</strong>ashma nähert si<strong>ch</strong><br />
ihm s<strong>ch</strong>ü<strong>ch</strong>tern ein alter Mann mit langem Bart<br />
und fragt: «Bitte, könnten Sie unser Dorf an ein<br />
Wassersystem ans<strong>ch</strong>liessen? Unsere armen Frauen<br />
müssen das Wasser einen Kilometer weit herholen.»<br />
Zaripov weist darauf hin, dass die DEZA in anderen<br />
Dörfern des Bezirks ebenfalls Wasserversorgungsprojekte<br />
umsetzt. «I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>aue mal, ob Kul<strong>ch</strong>ashma<br />
au<strong>ch</strong> eingebunden werden könnte», verspri<strong>ch</strong>t<br />
er.<br />
Gegen 20 Uhr bin i<strong>ch</strong> zu Hause, da kommt mir der<br />
Alte wieder in den Sinn. Der Zugang zu Trinkwasser<br />
ist in ländli<strong>ch</strong>en Gegenden extrem problematis<strong>ch</strong>.<br />
Aus eigener Erfahrung weiss i<strong>ch</strong>, wie mühsam<br />
es ist, tagtägli<strong>ch</strong> Wasser draussen holen zu müssen.<br />
Während Jahren musste i<strong>ch</strong> Kessel im Hof<br />
füllen und sie in meine Wohnung im vierten Stock<br />
hinauftragen. Inzwis<strong>ch</strong>en wurde das Trinkwassernetz<br />
in Dus<strong>ch</strong>anbe erneuert, i<strong>ch</strong> konnte mir daraufhin<br />
sogar eine Was<strong>ch</strong>mas<strong>ch</strong>ine kaufen. I<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>e<br />
mir ni<strong>ch</strong>ts mehr, als dass alle Frauen in Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
ebenfalls unter sol<strong>ch</strong>en Bedingungen<br />
leben können. ■<br />
(Aufgezei<strong>ch</strong>net von Jane-Lise S<strong>ch</strong>neeberger)<br />
22<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Stimme aus... Tads<strong>ch</strong>ikistan<br />
Das Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert<br />
Das Leben ist ein Puzzle. Tag für Tag versu<strong>ch</strong>en wir,<br />
ein neues Teil an den ri<strong>ch</strong>tigen Platz zu setzen. 22<br />
ist ein gutes Alter, um die S<strong>ch</strong>önheit des entstehenden<br />
Bildes ein biss<strong>ch</strong>en zu würdigen. «Alle, die<br />
lebendig sind, haben Probleme. Nur<br />
wer ni<strong>ch</strong>t lebt, hat keine Probleme», hat<br />
der Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aftler I<strong>ch</strong>ak<br />
Adizes mal gesagt. Im Alter von 13 Jahren,<br />
als i<strong>ch</strong> zu arbeiten begann, da<strong>ch</strong>te<br />
i<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über sol<strong>ch</strong>e Themen<br />
na<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> wusste aber: All meine künftigen<br />
Erfahrungen werden mir helfen,<br />
die Grundlage für mein Denken zu bilden.<br />
Die Werbeagentur, die i<strong>ch</strong> später<br />
eröffnete, ist heute führend in der Bran<strong>ch</strong>e.<br />
Unzählige Probleme galt es dabei<br />
zu lösen. Mit jedem gelösten Problem<br />
merkte i<strong>ch</strong>, wie i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> entwickle<br />
und stärker werde.<br />
Das 21. Jahrhundert ist ein Ho<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>windigkeits-Jahrhundert.<br />
Mitten<br />
dur<strong>ch</strong> ständig si<strong>ch</strong> verändernde Umstände,<br />
einem rasanten Informationsfluss<br />
und grosser Konkurrenz muss si<strong>ch</strong><br />
die heutige Jugend ihren Weg zum Erwa<strong>ch</strong>sensein<br />
bahnen. Wer ni<strong>ch</strong>t agiert,<br />
si<strong>ch</strong> entwickelt, bleibt auf der Strecke.<br />
Dass i<strong>ch</strong> an der Uni bereits zum zweiten<br />
Mal das vierte Studienjahr ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liesse,<br />
ma<strong>ch</strong>t mein Leben ni<strong>ch</strong>t unvollständig.<br />
Lohnt es wirkli<strong>ch</strong>, Zeit bei der geliebten<br />
Arbeit einzusparen und der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule zu<br />
s<strong>ch</strong>enken? Lohnt die Mühe um ein Diplom, wenn<br />
die Qualität der Bildung in unserem Land unter<br />
aller Kritik ist? Verhalte i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig, wenn i<strong>ch</strong><br />
die Mögli<strong>ch</strong>keit, mit Hundertdollars<strong>ch</strong>einen Bestnoten<br />
anzulocken, wie es einige meiner Mitstudenten<br />
taten, ni<strong>ch</strong>t mal in Betra<strong>ch</strong>t ziehe? Der russis<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>riftsteller Andrej Gerasimov sagte einst,<br />
alle Fragen würden in der Kindheit zurückbleiben<br />
und der erwa<strong>ch</strong>sene Mens<strong>ch</strong> kenne nur Antwor-<br />
Jahongir Zabirov studiert<br />
im 4. Studienjahr die<br />
Fa<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>tung Management<br />
an der Russis<strong>ch</strong>-<br />
Tads<strong>ch</strong>ikis<strong>ch</strong>en<br />
(Slawistis<strong>ch</strong>en) Universität<br />
in Dus<strong>ch</strong>anbe. Daneben<br />
leitet der 22-Jährige als<br />
Direktor die Werbeagentur<br />
«adMedia», ist<br />
Ges<strong>ch</strong>äftsführer der<br />
Internet-Domainfirma<br />
«get.tj» sowie leitender<br />
Redaktor der Website<br />
www.menu.tj, einem<br />
Online-Ausgehportal über<br />
Tads<strong>ch</strong>ikistan und insbesondere<br />
Dus<strong>ch</strong>anbe.<br />
ten. I<strong>ch</strong> finde aber: Es bleibt immer wi<strong>ch</strong>tig, Fragen<br />
zu stellen und diese au<strong>ch</strong> zu beantworten. Und<br />
so ist es wi<strong>ch</strong>tig, auf Beste<strong>ch</strong>ung zu verzi<strong>ch</strong>ten und<br />
klare Prioritäten zu setzen.<br />
Das Diplom wird warten müssen,<br />
ni<strong>ch</strong>t aber die Liebe. Sie ist die Grundlage<br />
von allem, das Puzzle-Fundament.<br />
Die Liebe des für mi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>önsten<br />
Mäd<strong>ch</strong>ens gab mir ni<strong>ch</strong>t nur<br />
Kraft, meine Pläne umzusetzen. Die<br />
Beziehung auf Distanz ma<strong>ch</strong>te uns<br />
stärker. Sie musste intensiver lernen,<br />
um früher in die Ferien na<strong>ch</strong> Dus<strong>ch</strong>anbe<br />
fahren zu dürfen. I<strong>ch</strong> musste<br />
mehr und effizienter arbeiten, um häufiger<br />
zu ihr in die USA zu reisen. Sie<br />
berei<strong>ch</strong>erte meine Ansi<strong>ch</strong>ten über die<br />
Welt, zwang mi<strong>ch</strong>, Eltern und Freunde<br />
mehr zu s<strong>ch</strong>ätzen, sogar meine Einstellung<br />
zu den Frauen veränderte si<strong>ch</strong><br />
positiv. Ist die Beziehung na<strong>ch</strong> drei<br />
glückli<strong>ch</strong>en Jahren au<strong>ch</strong> zu Ende, bleiben<br />
do<strong>ch</strong> uns<strong>ch</strong>ätzbare Erfahrungen<br />
und wunderbare Erinnerungen.<br />
Meine Liebe zur Heimat nähren die<br />
Mens<strong>ch</strong>en, die hier leben. Nie werde<br />
i<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>t vergessen, in der im<br />
Nirgendwo meinem Auto das Benzin<br />
ausging. Niemand war errei<strong>ch</strong>bar, mir<br />
blieb nur das Warten. Irgendwann hielt<br />
ein Auto, aus dem zwei kräftige Männer ausstiegen.<br />
Ein Überfall? Nein. Sie bra<strong>ch</strong>ten mir Benzin,<br />
Geld dafür wollten sie keines. Hilfsbereits<strong>ch</strong>aft und<br />
Offenheit für die Sorgen anderer kennzei<strong>ch</strong>nen<br />
viele Einwohner Tads<strong>ch</strong>ikistans. Die Mens<strong>ch</strong>en, mit<br />
denen i<strong>ch</strong> arbeite, s<strong>ch</strong>ätze und liebe i<strong>ch</strong> sehr: weil<br />
i<strong>ch</strong> viel von ihnen lerne (und sie hoffentli<strong>ch</strong> von<br />
mir), aber au<strong>ch</strong> für das Zusammensein, für ihre<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wärme, die dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts zu ersetzen ist.<br />
Wo Liebe ist, findet si<strong>ch</strong> Raum für Kunst und<br />
Kreativität. I<strong>ch</strong> meine damit ni<strong>ch</strong>t nur die Di<strong>ch</strong>tung,<br />
die i<strong>ch</strong> mit grosser Ernsthaftigkeit betreibe<br />
und mit der i<strong>ch</strong> an Literaturwettbewerben teilnehme.<br />
Au<strong>ch</strong> das Lesen ist ein Akt des Mitgestaltens.<br />
I<strong>ch</strong> finde immer Zeit für Lektüre: ni<strong>ch</strong>t nur<br />
motivierender, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er oder ökonomis<strong>ch</strong>er<br />
Bü<strong>ch</strong>er, sondern au<strong>ch</strong> für Werke meiner<br />
Lieblingss<strong>ch</strong>riftsteller Dostojewski und Ostrowski.<br />
Als Fazit kann i<strong>ch</strong> sagen: Jeder erfüllte Tag ist Teil<br />
des kreativen Bemühens um ein weiteres Teil im<br />
Lebens-Puzzle. ■<br />
Grabka/laif<br />
(Aus dem Russis<strong>ch</strong>en)<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 23
Mehr Gesundheit, weniger Vorurteile<br />
Immer mehr Mens<strong>ch</strong>en in Bosnien und Herzegowina leiden<br />
als Folge des Kriegs, wegen der Arbeitslosigkeit oder der <strong>Armut</strong><br />
unter psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Störungen. Die DEZA unterstützt das<br />
Land bei der Modernisierung der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Versorgung,<br />
damit die Patienten in ihrer Umgebung eine angemessene Behandlung<br />
erhalten und die Kranken ni<strong>ch</strong>t stigmatisiert werden.<br />
D E Z A<br />
Vier Kantone beteiligt<br />
Gemeinsam mit der DEZA<br />
unterstützen die Kantone<br />
Bern, Freiburg, Genf und<br />
Jura den Umbau der psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />
Dienste in<br />
Bosnien und Herzegowina.<br />
Die Zusammenarbeit<br />
ist eine Premiere.<br />
Die DEZA finanziert 84<br />
Prozent des Projekts und<br />
bringt ihr Know-how ein.<br />
Die Kantone übernehmen<br />
11 Prozent des Budgets<br />
und stellen ihr Fa<strong>ch</strong>wissen<br />
im psy<strong>ch</strong>osozialen Berei<strong>ch</strong><br />
zur Verfügung. Die restli<strong>ch</strong>en<br />
5 Prozent sind<br />
dur<strong>ch</strong> lokale Beiträge<br />
abgedeckt. So reisten<br />
S<strong>ch</strong>weizer Krankenpflegerinnen<br />
na<strong>ch</strong> Bosnien,<br />
um bei der Ausbildung ihrer<br />
Kolleginnen mitzuwirken.<br />
Ein Berner Experte<br />
unterri<strong>ch</strong>tete die Direktoren<br />
der bosnis<strong>ch</strong>en Polikliniken.<br />
Ausserdem besu<strong>ch</strong>ten<br />
fünf bosnis<strong>ch</strong>e<br />
Patientenorganisationen<br />
die S<strong>ch</strong>weiz, um si<strong>ch</strong><br />
über die Funktionsweise<br />
unserer psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />
Dienste zu informieren.<br />
DEZA<br />
In 65 Gemeindezentren soll die Behandlungsqualität von psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> kranken Mens<strong>ch</strong>en verbessert werden<br />
( jls) Unter dem sozialistis<strong>ch</strong>en Regime internierte<br />
Bosnien seine Geisteskranken in grossen Psy<strong>ch</strong>iatriespitälern,<br />
wo viele von ihnen lange Jahre<br />
oder gar den Rest ihres Lebens verbra<strong>ch</strong>ten. Die<br />
meisten dieser Einri<strong>ch</strong>tungen wurden während<br />
des Krieges zerstört, was Bosnien und Herzegowina<br />
die Gelegenheit bot, das Gesundheitssystem<br />
ab 1996 von Grund auf neu aufzubauen.<br />
Einige kleinere Kliniken für Chronis<strong>ch</strong>kranke<br />
wurden weitergeführt, daneben s<strong>ch</strong>ufen die Gesundheitsbehörden<br />
Gemeindezentren für Psy<strong>ch</strong>iatriepatienten.<br />
So können diese ambulant behandelt<br />
werden und bleiben in ihr persönli<strong>ch</strong>es<br />
Umfeld und ihren Berufsalltag integriert. Do<strong>ch</strong><br />
weil finanzielle Mittel als au<strong>ch</strong> qualifiziertes Personal<br />
fehlten, wurde der Reformprozess leider<br />
gebremst. Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> zehn Jahren vermo<strong>ch</strong>te das<br />
Netz von Zentren die erwarteten Leistungen ni<strong>ch</strong>t<br />
zu erbringen.<br />
Dabei ist die Na<strong>ch</strong>frage im Land, in dem Kriegstraumata<br />
tiefe Narben hinterliessen, riesig. No<strong>ch</strong><br />
immer leiden viele Bosnierinnen und Bosnier unter<br />
posttraumatis<strong>ch</strong>em Stress. Arbeitslosigkeit sowie<br />
<strong>Armut</strong> haben die Ausbreitung psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />
Störungen no<strong>ch</strong> verstärkt. Die Depressions-,<br />
Suizid- und Gewaltquote ist sehr ho<strong>ch</strong>, die Abhängigkeit<br />
von Alkohol und Drogen nimmt zu,<br />
besonders unter den Jugendli<strong>ch</strong>en.<br />
Gesetze und Verordnungen anpassen<br />
Um die Reform neu anzus<strong>ch</strong>ieben, hat si<strong>ch</strong> Bosnien<br />
und Herzegowina an die DEZA gewandt.<br />
Diese setzt zusammen mit vier S<strong>ch</strong>weizer Kantonen<br />
seit 2010 ein Programm um, mit dem Ziel,<br />
24<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
die Psy<strong>ch</strong>iatrie zu modernisieren und die Behandlungsqualität,<br />
vor allem in den 65 Gemeindezentren,<br />
erhebli<strong>ch</strong> zu steigern.<br />
Ein Aspekt des Programms betrifft die Anpassung<br />
des gesetzli<strong>ch</strong>en und <strong>admin</strong>istrativen Rahmens.<br />
Beispielsweise musste der Leistungskatalog der<br />
Krankenversi<strong>ch</strong>erung angepasst werden, damit alle<br />
Aktivitäten der Zentren vergütet werden. Ausserdem<br />
wurde ein Gesetz über die Behandlung Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranker<br />
revidiert. Künftig müssen alle Institutionen<br />
– Zentren und Kliniken – regelmässig<br />
von unabhängigen Kommissionen überprüft werden.<br />
«Mit diesem Me<strong>ch</strong>anismus lässt si<strong>ch</strong> die Einhaltung<br />
der Patientenre<strong>ch</strong>te kontrollieren. Im Sozialismus<br />
waren Misshandlungen in den Psy<strong>ch</strong>iatriespitälern<br />
gang und gäbe», erläutert Maja Zaric,<br />
Projektverantwortli<strong>ch</strong>e im DEZA-Kooperationsbüro<br />
in Sarajevo.<br />
Weil das neue Gesundheitssystem auf einem interdisziplinären<br />
Ansatz aufbaut, haben die Gesundheitsbehörden<br />
die Zusammensetzung des<br />
Personals offiziell geregelt: Die Zentren müssen<br />
im Minimum Psy<strong>ch</strong>iater, Psy<strong>ch</strong>ologinnen, Sozialarbeiter<br />
und Krankenpflegerinnen bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />
Sind genügend Mittel vorhanden, können sie weiteres<br />
Fa<strong>ch</strong>personal wie beispielsweise Ergotherapeuten<br />
engagieren.<br />
takte zu Spital, Hausarzt, Familie und Sozialdiensten.<br />
Pflege professionalisieren<br />
Die Ausbildung ist ein weiterer zentraler Aspekt<br />
des Programms. Nutzniesser sind vor allem die 300<br />
Pflegerinnen und Pfleger aus dem Psy<strong>ch</strong>iatrieberei<strong>ch</strong>.<br />
Einst unterbes<strong>ch</strong>äftigt, haben sie nun eine<br />
Weiterbildung absolviert, dank der sie unabhängig<br />
arbeiten und den Patienten aktiver beistehen<br />
können.<br />
Die Leiter der örtli<strong>ch</strong>en Polikliniken wiederum,<br />
an die die Zentren angegliedert sind, sind in die<br />
neuen Psy<strong>ch</strong>iatriekonzepte eingeführt worden.<br />
Sie akzeptierten diese ni<strong>ch</strong>t ganz ohne Gegenwehr,<br />
wurde do<strong>ch</strong> in ihren Einri<strong>ch</strong>tungen oft<br />
Vorurteile gegenüber Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranken no<strong>ch</strong><br />
genährt. «Wir wollen den Direktoren verständli<strong>ch</strong><br />
ma<strong>ch</strong>en, dass sie über diese modernen Abteilungen<br />
unter ihren Fitti<strong>ch</strong>en stolz sein müssten», erklärt<br />
Maja Zaric. «Mit der Weiterbildung erhalten<br />
sie ausserdem Werkzeuge, um ihre Zentren effizienter<br />
zu führen.»<br />
Ausgebildet werden au<strong>ch</strong> «Pflegekoordinatoren»,<br />
eine neue Funktion, in der alle Mitarbeitenden<br />
über ihre herkömmli<strong>ch</strong>e Aufgabe hinaus eingesetzt<br />
werden können. Ziel ist eine bessere Begleitung<br />
der <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>en Fälle. Jedem Patienten mit<br />
s<strong>ch</strong>weren Störungen wird ein Pflegekoordinator<br />
zugeteilt. Dieser unterstützt ihn in allen <strong>admin</strong>istrativen<br />
Belangen und über ihn laufen die Kon-<br />
DEZA<br />
Mit Bes<strong>ch</strong>äftigungstherapie wird vielen Mens<strong>ch</strong>en geholfen,<br />
die no<strong>ch</strong> immer unter einem Kriegstrauma leiden<br />
Vorurteile und Stigmata bekämpfen<br />
Parallel dazu mö<strong>ch</strong>te das Programm die no<strong>ch</strong> landesweit<br />
verbreiteten Vorurteile rund um psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />
Krankheiten abbauen. Dies mit öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Kampagnen, um die Ausgrenzung von Kranken zu<br />
bekämpfen. So verbreiten etwa die Mitarbeitenden<br />
der Zentren Informationen über die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />
Gesundheit in S<strong>ch</strong>ulen und Betrieben. «Aus<br />
Angst, dass man mit dem Finger auf sie zeigt und<br />
sie als Verrückte abstempelt, wagen es viele Patienten<br />
ni<strong>ch</strong>t, die Gemeindezentren aufzusu<strong>ch</strong>en»,<br />
bedauert Maja Zaric. «Wir müssen der Bevölkerung<br />
erklären, dass psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Störungen Krankheiten<br />
sind, wie andere au<strong>ch</strong>, und dass es keinen<br />
Grund gibt, si<strong>ch</strong> zu s<strong>ch</strong>ämen oder jene abzuweisen,<br />
die darunter leiden.»<br />
In diesem Sinn wurde die Zusammenarbeit mit<br />
30 Psy<strong>ch</strong>iatriepatienten-Organisationen eingeführt.<br />
Es geht darum, deren Fähigkeiten zu stärken,<br />
damit sie die Interessen ihrer Mitglieder<br />
wahrnehmen und mit den Behörden kommunizieren<br />
können. «Wir helfen ihnen», sagt Maja<br />
Zaric, «si<strong>ch</strong> bewusst zu werden, dass sie in der<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft eine wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielen und dass<br />
die Psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>kranken vollwertige Mitglieder der<br />
Gemeins<strong>ch</strong>aft sind.» ■<br />
(Aus dem Französis<strong>ch</strong>en)<br />
Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ere<br />
Psy<strong>ch</strong>iatrie<br />
Lange war die Internierung<br />
psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> Kranker die einzige<br />
Behandlungsform in<br />
der industrialisierten Welt.<br />
Die moderne, auf einem<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eren Pflegeansatz<br />
basierende Psy<strong>ch</strong>iatrie<br />
forderte daraufhin, Patienten<br />
in ihrem gewohnten<br />
Umfeld zu belassen: Ab<br />
den 60er-Jahren «entinstitutionalisierten»<br />
die Länder<br />
des Westens ihre psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en<br />
Dienste, s<strong>ch</strong>lossen<br />
die grossen Anstalten<br />
und ersetzten sie dur<strong>ch</strong><br />
dezentrale Ambulatorien.<br />
In Osteuropa setzte diese<br />
Bewegung später ein.<br />
Dur<strong>ch</strong> die Kriegszerstörungen<br />
wurde sie in Bosnien<br />
und Herzegowina jedo<strong>ch</strong><br />
bes<strong>ch</strong>leunigt. Andere<br />
Länder wie Estland oder<br />
Litauen haben seit dem<br />
Ende des Kommunismus<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e Spitäler ges<strong>ch</strong>lossen.<br />
Anderswo,<br />
in der Slowakei und in<br />
Slowenien, kommt die<br />
Entinstitutionalisierung wesentli<strong>ch</strong><br />
langsamer voran.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />
25
Die Na<strong>ch</strong>barn helfen zuerst<br />
Die Bevölkerung in den historis<strong>ch</strong>en Altstädten Marokkos ist<br />
bei Katastrophen besonders gefährdet, weil professionelle Retter<br />
nur s<strong>ch</strong>wer dur<strong>ch</strong> die engen Gassen kommen. Se<strong>ch</strong>s marokkanis<strong>ch</strong>e<br />
Städte bilden nun mit Unterstützung der DEZA Freiwilligengruppen<br />
mit Altstadtbewohnern für die Erste Hilfe aus.<br />
DEZA<br />
Türkis<strong>ch</strong>es Konzept<br />
Der Aufbau des Netzes<br />
von Freiwilligengruppen in<br />
Marokko lehnt si<strong>ch</strong> an ein<br />
für die Türkei entwickeltes<br />
Projekt an. Dort ist die<br />
Idee zur S<strong>ch</strong>affung na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Rettungskolonnen<br />
entstanden.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Erdbeben von<br />
Izmit 1999 stellten die<br />
internationalen Rettungskräfte<br />
fest, dass viele<br />
Mens<strong>ch</strong>enleben hätten<br />
gerettet werden können,<br />
wenn es den Na<strong>ch</strong>barn<br />
und Bekannten der Opfer<br />
ni<strong>ch</strong>t an Material und<br />
Ausbildung gefehlt hätte.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en 2001 und 2006<br />
etablierte die DEZA deshalb<br />
ein sol<strong>ch</strong>es System<br />
in Istanbul und in anderen<br />
Erdbebenregionen des<br />
Landes. Rund hundert<br />
Freiwilligenkolonnen wurden<br />
ausgebildet und ausgerüstet.<br />
Das Konzept<br />
weckte sodann das<br />
Interesse der iranis<strong>ch</strong>en<br />
Behörden, die mit einer<br />
DEZA-Ans<strong>ch</strong>ubhilfe ähnli<strong>ch</strong>e<br />
Kolonnen in Teheran<br />
ins Leben riefen.<br />
Freiwillige Retter sensibilisieren die Bewohner einer marokkanis<strong>ch</strong>en Medina über die Risiken bei Umweltkatastrophen<br />
oder sonstigen Unglücksfällen<br />
(jls) Die Medinas in den marokkanis<strong>ch</strong>en Städten<br />
haben si<strong>ch</strong> seit Jahrhunderten ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong> kaum<br />
verändert. Nur Fussgänger und Esel gelangen dur<strong>ch</strong><br />
das Gewirr der Gäss<strong>ch</strong>en. Kommt es zu einer Katastrophe,<br />
bleiben Feuerwehrautos und Ambulanzen<br />
oft stecken. Dabei sind Unfälle in diesen Altstadtvierteln<br />
häufig, so etwa dur<strong>ch</strong> Einsturz alter<br />
Gebäude, Brände oder Gasexplosionen. Marokko<br />
ist zudem einem erhöhten Erdbeben-, Übers<strong>ch</strong>wemmungs-<br />
und Dürrerisiko ausgesetzt.<br />
Nationales Freiwilligennetz<br />
Um den Verlust an Mens<strong>ch</strong>enleben und Material<br />
bei Katastrophen einzudämmen, hat die DEZA<br />
2008 in der Medina von Fès ein Projekt zur S<strong>ch</strong>affung<br />
freiwilliger na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Retter lanciert.<br />
«Oft dauert es Stunden oder gar Tage, bis offizielle<br />
Rettungskräfte vor Ort eintreffen. Für die<br />
Opfer ist diese Zeitspanne jedo<strong>ch</strong> von ents<strong>ch</strong>eidender<br />
Bedeutung.<br />
Die in den Quartieren stationierten lokalen Helfer<br />
sind sehr ras<strong>ch</strong> einsatzbereit und können Leben<br />
retten», erklärt Simon Ts<strong>ch</strong>urr, Projektleiter bei der<br />
Humanitären Hilfe der DEZA. Die Freiwilligen<br />
engagieren si<strong>ch</strong> in ihrem Wohngebiet. Dur<strong>ch</strong> ihre<br />
guten Ortskenntnisse wissen sie au<strong>ch</strong>, wie Verletzte<br />
am s<strong>ch</strong>nellsten zu bergen sind.<br />
Jede der Kolonnen besteht aus dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 40<br />
Mitgliedern und verfügt über einen Material- und<br />
Ausrüstungscontainer mit Halogenlampen, Hämmern,<br />
S<strong>ch</strong>aufeln, Generatoren, hydraulis<strong>ch</strong>en Hebevorri<strong>ch</strong>tungen,<br />
Arbeitskleidern, Helmen, Masken<br />
usw. Die Helfer absolvieren eine se<strong>ch</strong>stägige Ausbildung,<br />
bei der sie in Rettungste<strong>ch</strong>nik, Erste Hilfe<br />
und Brandbekämpfung eingeführt werden. Die<br />
Theoriekurse werden mit regelmässigen Übungen<br />
vor Ort ergänzt.<br />
Die marokkanis<strong>ch</strong>en Behörden sind von der Effizienz<br />
der in Fès ges<strong>ch</strong>affenen Kolonnen überzeugt<br />
und haben die DEZA gebeten, ihr Projekt auf die<br />
Medinas von Meknès, Tanger, Tétouan, Chef<strong>ch</strong>aouen<br />
und Lara<strong>ch</strong>e auszudehnen. Der Rekrutierungs-<br />
und Ausbildungsprozess läuft bereits. Bis<br />
Ende 2014 werden rund 30 Kolonnen im Einsatz<br />
sein. Das auf andere Städte erweiterbare Netz arbeitet<br />
künftig eng mit dem nationalen Zivils<strong>ch</strong>utz<br />
zusammen, der für die Katastrophenbewältigung<br />
verantwortli<strong>ch</strong> ist.<br />
Ende 2014 zieht si<strong>ch</strong> die DEZA aus dem Projekt<br />
zurück. Damit die Freiwilligengruppen ihre Tätigkeit<br />
autonom weiterführen können, wird eine marokkanis<strong>ch</strong>e<br />
Stiftung gegründet, wel<strong>ch</strong>e die Na<strong>ch</strong>haltigkeit<br />
und Ausbaufähigkeit des Systems si<strong>ch</strong>erstellt.<br />
■<br />
(Aus dem Französis<strong>ch</strong>en)<br />
26 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Einblick DEZA<br />
Tyler Hicks/NYT/Redux/laif<br />
Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz in<br />
Pakistan<br />
(ung) Mehrere Regionen Pakistans<br />
wurden 2010 von<br />
Ho<strong>ch</strong>wassern heimgesu<strong>ch</strong>t,<br />
wel<strong>ch</strong>e zahlrei<strong>ch</strong>e Opfer und<br />
beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>äden hinterliessen.<br />
Besonders stark betroffen<br />
war das Chail-Tal im<br />
Swat-Bezirk. Die Humanitäre<br />
Hilfe der DEZA hilft nun, S<strong>ch</strong>äden<br />
dur<strong>ch</strong> die regelmässig auf<br />
das Land niedergehenden<br />
Wassermassen vorzubeugen.<br />
Dieses Jahr verwirkli<strong>ch</strong>t sie<br />
die zweite Phase eines Projekts<br />
zur Stabilisierung der Hänge,<br />
zur Vermeidung von Erdruts<strong>ch</strong>en<br />
und zum Bau von<br />
Dämmen entlang der Flussufer.<br />
Dank diesen Arbeiten<br />
werden rund 2000 Haushalte<br />
ihre Kulturen und andweitige<br />
Anlagen zur Si<strong>ch</strong>erung ihrer<br />
Existenzgrundlage während<br />
der Regenzeit besser s<strong>ch</strong>ützen<br />
können. Mit dem Projekt<br />
werden ausserdem die<br />
Bevölkerung und die Behörden<br />
für die Risiken der Regenzeit<br />
sensibilisiert.<br />
Projektdauer: 2013<br />
Volumen: 325 000 CHF<br />
Rettungsdienste in<br />
Armenien<br />
(ung) Armenien leidet immer<br />
wieder unter Erdbeben, Erdruts<strong>ch</strong>en<br />
und Übers<strong>ch</strong>wemmungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e die Interventionsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
der Lokalbehörden<br />
überfordern. Mehrere<br />
Jahre lang hat deshalb die<br />
Humanitäre Hilfe der DEZA<br />
das armenis<strong>ch</strong>e Katastrophens<strong>ch</strong>utz-Ministerium<br />
bei<br />
Karl-Heinz Raa<strong>ch</strong>/laif<br />
der Ausbildung von lokalen<br />
Rettungskräften und der<br />
Verbesserung ihrer Fa<strong>ch</strong>kompetenz<br />
unterstützt. Aufgrund<br />
dieser Erfahrungen setzt sie<br />
si<strong>ch</strong> nun für ein völlig dezentralisiertes<br />
Rettungssystem<br />
ein. Mit Unterstützung der<br />
DEZA stellt das Ministerium<br />
in den Provinzen Eriwan,<br />
S<strong>ch</strong>irak und Syunik S<strong>ch</strong>nellrettungs-Gruppen<br />
auf die<br />
Beine. Insgesamt werden 141<br />
Rettungsleute ausgebildet und<br />
ausgerüstet sowie Ausbildungsmethoden<br />
und Koordinationsme<strong>ch</strong>anismen<br />
verbessert.<br />
Damit werden die Einsatzteams<br />
auf Notsituationen vorbereitet,<br />
damit sie ras<strong>ch</strong> und<br />
effizient reagieren können.<br />
Projektdauer: 2013 bis 2015<br />
Volumen: 950 000 CHF<br />
Bulgarien bekämpft<br />
Autos<strong>ch</strong>iebereien<br />
(mpe) Autodiebstähle und<br />
-s<strong>ch</strong>iebereien sind in Bulgarien<br />
seit langem eine weitverbreitete<br />
Plage. Das Problem hat<br />
insofern an Aktualität gewonnen,<br />
als die Regierung dem<br />
S<strong>ch</strong>engener Abkommen beitreten<br />
mö<strong>ch</strong>te. Deshalb muss<br />
die Bekämpfung der organisierten<br />
Kriminalität, die diesen<br />
lukrativen Handel kontrolliert,<br />
verstärkt werden. Ein Projekt<br />
unterstützt die Bemühungen<br />
Bulgariens, die Si<strong>ch</strong>erheitsanforderungen<br />
gegenüber der<br />
EU zu erfüllen. Finanziert wird<br />
es im Rahmen des S<strong>ch</strong>weizer<br />
EU-Erweiterungsbeitrags. Mit<br />
dem Projekt wird einerseits<br />
Jean-Luc Luyssen/Neus/laif<br />
die Ausrüstung finanziert, andererseits<br />
geht es vor allem<br />
um eine verbesserte Ausbildung<br />
und gestärkte Kapazitäten.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en der Leitung<br />
der bulgaris<strong>ch</strong>en Kriminalpolizei<br />
und der Neuenburger<br />
Kantonspolizei wurde eine<br />
Partners<strong>ch</strong>aft gebildet. Au<strong>ch</strong><br />
der Austaus<strong>ch</strong> mit Bundesstellen<br />
wie der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Zollverwaltung, wel<strong>ch</strong>e<br />
ein direktes Interesse an einer<br />
effizienten Kriminalitätsbekämpfung<br />
in Europa haben,<br />
ist vorgesehen.<br />
Projektdauer: 2012 bis 2015<br />
Volumen: 800 000 CHF<br />
Gesundheitserziehung in<br />
der Ukraine<br />
(mpe) Seit mehreren Jahren<br />
engagiert si<strong>ch</strong> die DEZA in<br />
der Ukraine für die perinatale<br />
Gesundheit. Vergangenes<br />
Jahr wurde gemeinsam mit<br />
der Unicef ein Projekt lanciert,<br />
wel<strong>ch</strong>es die Förderung der<br />
Prävention zum Ziel hat, da<br />
diese im öffentli<strong>ch</strong>en Gesundheitswesen<br />
zu kurz kommt.<br />
Aufgrund von Ersterfahrungen<br />
soll via vers<strong>ch</strong>iedene Kanäle<br />
besser über verantwortungsvolles<br />
Handeln und Verhalten<br />
informiert werden, damit gesunde<br />
S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aften<br />
si<strong>ch</strong>ergestellt und die Risiken<br />
für künftige Eltern und Neugeborene<br />
minimiert werden.<br />
Ausserdem arbeitet man<br />
daran, die Koordination zwis<strong>ch</strong>en<br />
Gesundheitsdiensten<br />
vers<strong>ch</strong>iedener Ebenen und<br />
den Sozialdiensten besser zu<br />
Hervé Vincent/REA/laif<br />
koordinieren. Das Projekt bes<strong>ch</strong>ränkt<br />
si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st auf<br />
fünf Bezirke.<br />
Projektdauer: 2012 bis 2015<br />
Volumen: 2,7 Millionen CHF<br />
Ts<strong>ch</strong>ad: Reintegration der<br />
Rückkehrer<br />
(bm) Mehr als 130 000 während<br />
der Libyenkrise geflohene<br />
Ts<strong>ch</strong>ader sind seit 2011<br />
zurückgekehrt. Dies führt in<br />
den Aufnahmegemeinden zu<br />
starken sozialen Spannungen.<br />
Der Zustrom destabilisiert<br />
die Bevölkerung vor Ort, wel<strong>ch</strong>e<br />
bereits unter äusserst<br />
prekären Bedingungen lebt,<br />
unter einer unsi<strong>ch</strong>eren Ernährungslage<br />
leidet und nur zu<br />
wenigen Grunddienstleistungen<br />
Zugang hat. Ende 2012<br />
bes<strong>ch</strong>loss die DEZA, ein<br />
Projekt zur Wiedereingliederung<br />
von Migranten in den<br />
drei wi<strong>ch</strong>tigsten Regionen im<br />
Norden des Landes (Borkou,<br />
Ennedi und Tibesti) zu unterstützen.<br />
Das von der Internationalen<br />
Organisation für<br />
Migration IOM umgesetzte<br />
Projekt unterstützt rund 50<br />
Aufnahmegemeinden mit insgesamt<br />
über 120 000 Einwohnern.<br />
Insbesondere sollen<br />
damit der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Zusammenhalt, die Solidarität<br />
sowie der Dialog zwis<strong>ch</strong>en<br />
Migranten und Bewohnern gestärkt<br />
werden. Daneben zielt<br />
man au<strong>ch</strong> auf bessere und<br />
diversifiziertere sozioökonomis<strong>ch</strong>e<br />
Infrastrukturen vor Ort ab.<br />
Projektdauer: 2012 bis 2014<br />
Volumen: 2,9 Millionen CHF<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 27
<strong>Wenn</strong> <strong>Rei<strong>ch</strong>tum</strong> <strong>Armut</strong> <strong>s<strong>ch</strong>afft</strong><br />
Rohstoffe sind ein gutes Ges<strong>ch</strong>äft. Allerdings ni<strong>ch</strong>t für alle: In<br />
rohstoffrei<strong>ch</strong>en Entwicklungsländern leben 1,5 Milliarden Mens<strong>ch</strong>en<br />
in <strong>Armut</strong>, während korrupte Eliten und internationale<br />
Konzerne die Gewinne aus dem Rohstoffges<strong>ch</strong>äft mit den ärmsten<br />
Ländern einstrei<strong>ch</strong>en. Bestrebungen für mehr Transparenz<br />
sollen Abhilfe s<strong>ch</strong>affen. Von Gabriela Neuhaus.<br />
Per-Anders Pettersson/laif<br />
F O R U M<br />
In der Mine von Ruashi in der Demokratis<strong>ch</strong>en Republik Kongo bauen rund 4000 Arbeiter von Hand Kupfer ab<br />
Gemessen an seinen Bodens<strong>ch</strong>ätzen ist Afrika ein<br />
rei<strong>ch</strong>er Kontinent. Ob begehrte mineralis<strong>ch</strong>e Rohstoffe<br />
wie Gold, Diamanten und Kobalt oder die<br />
ras<strong>ch</strong> zunehmende Förderung von Erdöl und Erdgas:<br />
Das boomende Ges<strong>ch</strong>äft mit den natürli<strong>ch</strong>en<br />
Ressourcen sollte den armen Ländern eigentli<strong>ch</strong><br />
Entwicklung und Wohlstand bringen. Oft ist jedo<strong>ch</strong><br />
das Gegenteil der Fall. So leben zum Beispiel<br />
in Sambia zwei Drittel der Bevölkerung in <strong>Armut</strong>,<br />
obs<strong>ch</strong>on das Land mit Kupfer und Kobalt über besonders<br />
begehrte Exportprodukte verfügt. Deren<br />
Abbau und Vermarktung werden von international<br />
operierenden Konzernen kontrolliert, seit der<br />
Bergbau als Folge der Rohstoffkrise in den 1990er-<br />
Jahren und auf Druck der Weltbank und dem Internationalen<br />
Währungsfonds IWF privatisiert<br />
worden ist.<br />
Heute gehört zum Beispiel die Mopani-Mine, die<br />
grösste Kupfermine Afrikas, einer To<strong>ch</strong>tergesells<strong>ch</strong>aft<br />
des S<strong>ch</strong>weizer Rohstoffkonzerns Glencore.<br />
Aufgrund investorenfreundli<strong>ch</strong>er Lizenz- und<br />
Steuerbedingungen fliesst nur ein Bru<strong>ch</strong>teil der<br />
üppigen Gewinne aus dem Rohstoffges<strong>ch</strong>äft in die<br />
Staatskasse. Damit ist Sambia kein Einzelfall: Der<br />
African Economic Outlook 2012 s<strong>ch</strong>ätzt, dass das<br />
Millenniums-Entwicklungsziel «Halbierung der<br />
<strong>Armut</strong>» au<strong>ch</strong> in Afrika hätte errei<strong>ch</strong>t werden können,<br />
wären die Gewinne aus dem Rohstoffhandel<br />
ni<strong>ch</strong>t abgezogen, sondern auf dem Kontinent selber<br />
reinvestiert worden.<br />
Begehrter Handelsplatz S<strong>ch</strong>weiz<br />
Laut S<strong>ch</strong>ätzungen der OECD entgehen den Entwicklungsländern<br />
allein dur<strong>ch</strong> Steuerhinterziehung<br />
und -vermeidung jährli<strong>ch</strong> bis zu einer Billion<br />
Dollar. Die grossen Player im Rohstoffsektor<br />
28<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
neigen besonders stark zu sol<strong>ch</strong>en Praktiken, wie<br />
eine Weltbankstudie zeigt. Die Strukturen dieser<br />
Konzerne, die 24 Stunden pro Tag rund um den<br />
Globus ihr Business betreiben, sind ho<strong>ch</strong>gradig<br />
vers<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>telt und unübersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz entwickelte si<strong>ch</strong> in den letzten Jahren<br />
zu einem beliebten Standort für sol<strong>ch</strong>e Unternehmen,<br />
die hierzulande von attraktiven Rahmenbedingungen<br />
wie einem starken Finanzplatz,<br />
Le Figaro Magazine/laif<br />
Niger ma<strong>ch</strong>t mit der Offenlegungspfli<strong>ch</strong>t bei Rohstoffges<strong>ch</strong>äften – unter anderem beim Abbau von Uranerz – gute<br />
Erfahrungen<br />
limitierten Auflagen bezügli<strong>ch</strong> Transparenz sowie<br />
steuerli<strong>ch</strong>en Sonderregelungen für Unternehmen<br />
und rei<strong>ch</strong>e Privatpersonen profitieren. Heute werden<br />
s<strong>ch</strong>ätzungsweise 15 bis 25 Prozent des weltweiten<br />
Rohstoffhandels über die S<strong>ch</strong>weiz abgewickelt:<br />
Genf ist mit einem Anteil von 35 Prozent<br />
der wi<strong>ch</strong>tigste Handelsplatz für Erdöl, die Hälfte<br />
des weltweiten Kaffee- sowie des Zuckerhandels<br />
laufen über die S<strong>ch</strong>weiz.<br />
Ein weiteres Beispiel ist Gold, das im Gegensatz<br />
zum Grossteil der übrigen Rohstoffe au<strong>ch</strong> physis<strong>ch</strong><br />
in die S<strong>ch</strong>weiz gelangt und hier veredelt wird. Mit<br />
einem jährli<strong>ch</strong>en Bruttogewinn von über 20 Milliarden<br />
Franken tragen die Rohstofffirmen mit<br />
Sitz in der S<strong>ch</strong>weiz heute 3,5 Prozent zur Wirts<strong>ch</strong>aftsleistung<br />
bei und haben damit traditionell<br />
wi<strong>ch</strong>tige Bran<strong>ch</strong>en wie Mas<strong>ch</strong>inenbau oder Tourismus<br />
überholt.<br />
Abhängig von finanzkräftigen Partnern<br />
Während langer Zeit erfolgte der Aufs<strong>ch</strong>wung der<br />
Rohstoffbran<strong>ch</strong>e in der S<strong>ch</strong>weiz quasi hinter vers<strong>ch</strong>lossenen<br />
Türen. Der Grossteil der Firmen ist in<br />
Privatbesitz und tritt in der Öffentli<strong>ch</strong>keit kaum<br />
in Ers<strong>ch</strong>einung. Mit einer Studie über ausbeuteris<strong>ch</strong>e<br />
Ges<strong>ch</strong>äftspraktiken von Glencore in der Demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Republik Kongo lancierten die ökumenis<strong>ch</strong>en<br />
Hilfswerke Brot für alle und Fastenopfer<br />
2011 erstmals eine breitere Debatte über Zusammenhänge<br />
zwis<strong>ch</strong>en dem Rohstoffhandelsplatz<br />
S<strong>ch</strong>weiz und dem oft zitierten «Rohstoff-Flu<strong>ch</strong>»<br />
in den armen Ländern des Südens. Ein Begriff, der<br />
bereits zu Kolonialzeiten geprägt wurde, als die Bodens<strong>ch</strong>ätze<br />
in den heutigen Entwicklungsländern<br />
von den Kolonialmä<strong>ch</strong>ten als ihr Eigentum beanspru<strong>ch</strong>t<br />
und ausgebeutet wurden.<br />
Damals wie heute basiert der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />
dem Elend der Mens<strong>ch</strong>en und dem Rohstoffrei<strong>ch</strong>tum<br />
in diesen Ländern ni<strong>ch</strong>t auf einem<br />
Flu<strong>ch</strong>, sondern auf handfesten Ma<strong>ch</strong>tkonstellationen.<br />
Dabei spielen die Erpressbarkeit s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er<br />
Staaten, wie au<strong>ch</strong> weitverbreitete Korruption in<br />
zahlrei<strong>ch</strong>en Entwicklungsländern, eine wi<strong>ch</strong>tige<br />
Rolle.<br />
Der beste Beweis dafür ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass starke<br />
Staaten wie Norwegen oder Kanada problemlos in<br />
Was sind Rohstoffe?<br />
Als Rohstoff bezei<strong>ch</strong>net<br />
man natürli<strong>ch</strong>e Ressourcen,<br />
die ausser ihrer<br />
Gewinnung oder Ernte<br />
no<strong>ch</strong> keine oder erst eine<br />
geringe Verarbeitung erfahren<br />
haben. Im aktuellen<br />
Diskurs unters<strong>ch</strong>eidet man<br />
drei Kategorien: Die fossilen<br />
Energieträger Erdgas,<br />
Erdöl und Kohle, mineralis<strong>ch</strong>e<br />
Rohstoffe – dazu<br />
gehören Erze, Metalle und<br />
seltene Erden – sowie die<br />
Agrarrohstoffe. Die beiden<br />
ersten Rohstoffkategorien<br />
zei<strong>ch</strong>nen si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong><br />
aus, dass sie ni<strong>ch</strong>t reproduzierbar<br />
sind. Damit bergen<br />
sie für ihre Besitzer<br />
eine einmalige Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />
dur<strong>ch</strong> Abbau und Verkauf<br />
daraus Gewinn zu s<strong>ch</strong>lagen.<br />
Die Na<strong>ch</strong>frage ist in<br />
den letzten Jahren laufend<br />
gestiegen und nimmt weiter<br />
zu. Experten gehen<br />
davon aus, dass zwis<strong>ch</strong>en<br />
2011 und 2050 mehr<br />
Rohstoffe abgebaut werden,<br />
als in allen früheren<br />
Epo<strong>ch</strong>en zusammen.<br />
Literaturhinweis: Rohstoff –<br />
das gefährli<strong>ch</strong>ste Ges<strong>ch</strong>äft<br />
der S<strong>ch</strong>weiz, Erklärung von<br />
Bern (hrsg) Salis Verlag AG<br />
Züri<strong>ch</strong>, 2012<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />
29
Die Haltung der DEZA<br />
Für eine na<strong>ch</strong>haltige<br />
Nutzung natürli<strong>ch</strong>er<br />
Ressourcen, die in<br />
Förderländern zu einer<br />
ebensol<strong>ch</strong>en Entwicklung<br />
beiträgt, brau<strong>ch</strong>t es erhöhte<br />
Transparenz und<br />
Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftspfli<strong>ch</strong>t für<br />
Ges<strong>ch</strong>äfte mit Rohstoffen.<br />
Darüber hinaus brau<strong>ch</strong>t es<br />
internationale Standards<br />
für die Ges<strong>ch</strong>äftstätigkeit<br />
von multinationalen Unternehmen<br />
in rohstoffexportierenden<br />
Entwicklungsländern<br />
– namentli<strong>ch</strong> in<br />
den Berei<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te,<br />
Umwelts<strong>ch</strong>utz und<br />
Investitionen. In den<br />
Partnerländern zielen Projekte<br />
und Programme von<br />
DEZA und SECO zudem<br />
darauf hin, die Regierungen<br />
und Verwaltungen so<br />
zu stärken, dass sie die<br />
Interessen ihrer Länder bei<br />
Verhandlungen mit internationalen<br />
Unternehmen besser<br />
vertreten sowie entspre<strong>ch</strong>ende<br />
Steuersysteme<br />
einführen und dur<strong>ch</strong>setzen<br />
können. Ein weiteres<br />
Ziel ist die Stärkung<br />
einer demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Kontrolle, zum Beispiel<br />
dur<strong>ch</strong> Parlamente und<br />
Organisationen der Zivilgesells<strong>ch</strong>aft.<br />
Rohstoffberi<strong>ch</strong>t<br />
Ende März hat der Bundesrat<br />
den Grundlagenberi<strong>ch</strong>t<br />
Rohstoffe mit Hintergründen,<br />
volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Bedeutung und Massnahme-Empfehlungen<br />
für<br />
die S<strong>ch</strong>weiz veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />
Mehr dazu im Dossier<br />
«Die S<strong>ch</strong>weiz und der<br />
Rohstoffhandel» unter:<br />
www.eda.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
(Aktuell, Dossiers)<br />
Martial Trezzini/Keystone<br />
Ein Drittel des weltweiten Handels mit Rohöl und<br />
Erdölprodukten wird über Genf abgewickelt<br />
der Lage sind, ihre Rohstoffressourcen für den<br />
Wohlstand im eigenen Land zu nutzen. Ni<strong>ch</strong>t zuletzt,<br />
weil sie die Kontrolle über die Ges<strong>ch</strong>äfte weitgehend<br />
selber in der Hand haben.<br />
Arme Länder hingegen, die weder über das notwendige<br />
Kapital für den Abbau ihrer Ressourcen<br />
verfügen no<strong>ch</strong> über genügend Kapazitäten, um<br />
diese auf dem Weltmarkt abzusetzen, sind auf die<br />
Zusammenarbeit mit finanzkräftigen Partnern angewiesen.<br />
Besonders gross ist die Ma<strong>ch</strong>tkonzentration<br />
bei Konzernen wie Glencore, die die gesamte<br />
Werts<strong>ch</strong>öpfungskette von der Rohstoffgewinnung<br />
bis zum Endabnehmer kontrollieren. Weil<br />
sie au<strong>ch</strong> über Lagerräume und Logistik verfügen,<br />
sind sie zudem in der Lage, Märkte zu steuern und<br />
zu manipulieren. «Je grösser und umfassender ein<br />
Konzern, desto grösser ist die Gefahr, dass er die<br />
Preise diktiert», sagt Alexandra Gillies vom Revenue<br />
Wat<strong>ch</strong> Institute, einer internationalen Organisation,<br />
die si<strong>ch</strong> für mehr Transparenz im Rohstoffhandel<br />
einsetzt.<br />
Mehr Li<strong>ch</strong>t ins Rohstoffges<strong>ch</strong>äft<br />
Seit rund zehn Jahren sind auf internationaler Ebene<br />
Bestrebungen im Gang, mehr Li<strong>ch</strong>t in die internationalen<br />
Rohstoffges<strong>ch</strong>äfte zu bringen. So<br />
engagiert si<strong>ch</strong> zum Beispiel die Extractive Industries<br />
Transparency Initiative EITI für die Offenlegung<br />
der Geldbeträge, die Staaten für Rohstoffexporte<br />
kassieren. In Ländern, die si<strong>ch</strong> der Initiative<br />
anges<strong>ch</strong>lossen haben, müssen sowohl der Staat<br />
wie die beteiligten Firmen die Geldflüsse im Rohstoffsektor<br />
publizieren. Ein erster S<strong>ch</strong>ritt in die<br />
ri<strong>ch</strong>tige Ri<strong>ch</strong>tung, sagt Gillies, weil so Korruption<br />
s<strong>ch</strong>wieriger werde und man Anhaltspunkte darüber<br />
erhalte, wie fair ein Ges<strong>ch</strong>äft ablaufe.<br />
Länder wie Niger, wo nebst den Geldflüssen au<strong>ch</strong><br />
die Verträge zwis<strong>ch</strong>en dem Staat und den Rohstofffirmen<br />
öffentli<strong>ch</strong> publiziert werden, haben damit<br />
gute Erfahrungen gema<strong>ch</strong>t, wie Ali Idrissa,<br />
Vertreter der Organisation «Publish what you pay»<br />
ausführt: «Dank der Offenlegung haben wir herausgefunden,<br />
dass bei Uranges<strong>ch</strong>äften Geld versickert<br />
ist; zudem muss si<strong>ch</strong> heute, wer in unserem<br />
Land Ges<strong>ch</strong>äfte ma<strong>ch</strong>en will, unseren Standards<br />
beugen. Damit si<strong>ch</strong> die armen Länder aber wirkli<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>ützen und von ihrem Rohstoffrei<strong>ch</strong>tum<br />
profitieren können, brau<strong>ch</strong>t es internationale Transparenz.»<br />
Neue Gesetze in den USA und der EU zielen in<br />
diese Ri<strong>ch</strong>tung: Der im Juli 2010 verabs<strong>ch</strong>iedete<br />
Dodd-Frank Act verlangt von börsenkotierten Unternehmen<br />
in den USA, dass sie publizieren, wie<br />
viel sie den Herkunftsländern für Erdöl, Gas und<br />
mineralis<strong>ch</strong>e Rohstoffe bezahlen. Unternehmen<br />
mit Sitz in der EU müssen künftig ebenfalls Informationen<br />
über Geldtransaktionen und Verträge<br />
im Rohstoffhandel offen legen.<br />
Geteilte Meinungen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
Und wie positioniert si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz? Die Meinungen,<br />
wie viel Transparenz im Rohstoffsektor<br />
nötig und vertretbar ist, gehen hierzulande auseinander.<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz ist zwar im Board der Transparenz-Initiative<br />
EITI vertreten und unterstützt<br />
deren Bestrebungen finanziell und bei der Umsetzung<br />
in den Rohstoff exportierenden Ländern.<br />
Aber gesetzli<strong>ch</strong>e Regulierungen im eigenen Land<br />
lehnte die offizielle S<strong>ch</strong>weiz in diesem Berei<strong>ch</strong> bis<br />
anhin ab und setzt auf Dialog und freiwillige Selbstregulierung<br />
der Unternehmen.<br />
Ni<strong>ch</strong>tregierungsorganisationen wie die Erklärung<br />
von Bern oder Swissaid sowie vers<strong>ch</strong>iedene Vorstösse<br />
im Parlament fordern hingegen verbindli<strong>ch</strong>e<br />
Regulierungen und warnen davor, dass der Rohstoffsektor<br />
ohne Anpassung an internationale<br />
Transparenz-Standards na<strong>ch</strong> dem Finanzsektor zu<br />
einem neuen Reputationsrisiko für die S<strong>ch</strong>weiz<br />
werden könnte. ■<br />
30<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Carte blan<strong>ch</strong>e<br />
Geht Tanu weg, hat die Familie weniger Geld<br />
Tanu Gufu ist ein Idol in ihrem<br />
kleinen Dorf. Viele Kinder wollen<br />
so sein wie sie: eine S<strong>ch</strong>ule<br />
absolvieren, Geld verdienen und<br />
die Eltern und die Ges<strong>ch</strong>wister<br />
unterstützen. Geboren wurde<br />
Tanu in einem äthiopis<strong>ch</strong>en<br />
Nomadendorf in der Borana-<br />
Ebene in der Provinz Oromia.<br />
Wie viele Mäd<strong>ch</strong>en in ihrem<br />
Dorf hütete sie als Kind S<strong>ch</strong>afe<br />
und Ziegen, dann aber s<strong>ch</strong>lug<br />
sie einen anderen Weg ein. Tanu<br />
besu<strong>ch</strong>te die Grunds<strong>ch</strong>ule in<br />
einem ni<strong>ch</strong>tformellen Bildungszentrum<br />
in der Nähe ihres<br />
Dorfes. Die internationale<br />
Bildungsinitiative Education for<br />
all (EFA) und die Bildungsbestrebungen<br />
im Rahmen der<br />
Millennium-Entwicklungsziele<br />
der Vereinten Nationen (MDGs)<br />
haben in vielen afrikanis<strong>ch</strong>en<br />
Ländern, darunter Äthiopien,<br />
den Anstoss gegeben, die<br />
«Grunds<strong>ch</strong>ulbildung für alle» in<br />
Angriff zu nehmen. Damit Tanu<br />
ihre S<strong>ch</strong>ulbildung na<strong>ch</strong> der<br />
Grunds<strong>ch</strong>ule fortsetzen konnte,<br />
musste sie ihr Dorf verlassen.<br />
Dieser Gedanke bereitete ihrer<br />
Mutter Sorgen, denn die Familie<br />
war auf das Kindereinkommen<br />
angewiesen. Die Eltern liessen<br />
Tanu aber au<strong>ch</strong> aus einem anderen<br />
Grund ungern ziehen: Auf<br />
Distanz konnten sie die To<strong>ch</strong>ter<br />
weniger s<strong>ch</strong>ützen und kontrollieren.<br />
Denno<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden<br />
si<strong>ch</strong> die Eltern s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für<br />
die S<strong>ch</strong>ulbildung, und Tanu<br />
meldete si<strong>ch</strong> in einem etwa 45<br />
Kilometer von ihrem Dorf entfernten<br />
katholis<strong>ch</strong>en Internat an.<br />
Trotz der Hindernisse auf ihrem<br />
Weg beendete Tanu die weiterführende<br />
S<strong>ch</strong>ule und besu<strong>ch</strong>te<br />
ans<strong>ch</strong>liessend die Haramaya<br />
Universität, wo sie mit einem<br />
Ba<strong>ch</strong>elor in Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und<br />
Denkmals<strong>ch</strong>utz abs<strong>ch</strong>loss. Stolz<br />
sagt sie: «I<strong>ch</strong> bin das erste<br />
Mäd<strong>ch</strong>en aus meinem Dorf mit<br />
einem Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulabs<strong>ch</strong>luss.»<br />
Zurzeit unterri<strong>ch</strong>tet Tanu an einer<br />
S<strong>ch</strong>ule in einem Städt<strong>ch</strong>en<br />
namens Fin<strong>ch</strong>awa. Dort setzt sie<br />
Vanessa Vick/NYT/Redux/laif<br />
si<strong>ch</strong> als Leiterin des «Gender<br />
Mainstreaming» für die<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung der Frauen ein.<br />
Ihr Wuns<strong>ch</strong> ist es, dass deutli<strong>ch</strong><br />
weniger Mäd<strong>ch</strong>en die S<strong>ch</strong>ulbildung<br />
na<strong>ch</strong> der Grunds<strong>ch</strong>ule<br />
abbre<strong>ch</strong>en. Tanu will ein Vorbild<br />
sein für die Tausenden von<br />
Nomadenmäd<strong>ch</strong>en, die davon<br />
träumen, zu der wa<strong>ch</strong>senden<br />
Zahl gebildeter Nomadenfrauen<br />
zu gehören.<br />
Vor Kurzem hat si<strong>ch</strong> Äthiopiens<br />
Regierung bereit gezeigt, von<br />
der konventionellen S<strong>ch</strong>ulbildung<br />
abzuwei<strong>ch</strong>en und das<br />
Bildungsangebot an die Bedürfnisse<br />
der Hirtennomaden anzupassen.<br />
Damit hätten deutli<strong>ch</strong><br />
mehr Nomadenkinder die<br />
Mögli<strong>ch</strong>keit, eine Grunds<strong>ch</strong>ule<br />
zu besu<strong>ch</strong>en – so wie Tanu. Die<br />
Grunds<strong>ch</strong>ule ist in Äthiopien<br />
für alle Kinder gratis, die höhere<br />
S<strong>ch</strong>ulbildung dagegen teuer und<br />
deshalb für die Nomaden uners<strong>ch</strong>wingli<strong>ch</strong>.<br />
Will man diese<br />
Familien unterstützen, muss die<br />
Existenzgrundlage der Hirtennomaden<br />
gesi<strong>ch</strong>ert und ihr<br />
Einkommen breiter abgestützt<br />
werden. Nur so werden sie ihren<br />
Kindern eine höhere S<strong>ch</strong>ulbildung<br />
finanzieren können.<br />
Ausbildung und Jobsu<strong>ch</strong>e sind<br />
eine Alternative zum Leben als<br />
Hirtennomade, do<strong>ch</strong> Stellen<br />
sind rar. Inzwis<strong>ch</strong>en sind zwar<br />
mehr Kinder aus Nomadenfamilien<br />
in höheren S<strong>ch</strong>ulen<br />
einges<strong>ch</strong>rieben, do<strong>ch</strong> ob si<strong>ch</strong><br />
Bildung und Nomadenleben<br />
vereinen lassen, ist eine andere<br />
Frage. Um ihre Identität s<strong>ch</strong>ützen<br />
zu können, müssen sie si<strong>ch</strong><br />
Wissen über die aktuellen politis<strong>ch</strong>en,<br />
sozialen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Prozesse aneignen.<br />
Bildung bedeutet für die junge<br />
Generation au<strong>ch</strong>, die eigene<br />
Persönli<strong>ch</strong>keit entfalten und si<strong>ch</strong><br />
berufli<strong>ch</strong> weiterentwickeln zu<br />
können und dadur<strong>ch</strong> das Leben<br />
in ihrer Gemeins<strong>ch</strong>aft massgebli<strong>ch</strong><br />
mitzugestalten. Bevor es soweit<br />
ist, steht allerdings no<strong>ch</strong><br />
viel Arbeit an: Die traditionelle<br />
Erziehung muss in die formale<br />
S<strong>ch</strong>ulbildung einfliessen können<br />
und Teil des Lehrplans sein. Nur<br />
so können die Konflikte und<br />
Spannungen zwis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ule<br />
und Eltern gelöst werden, die<br />
unweigerli<strong>ch</strong> auftau<strong>ch</strong>en, wenn<br />
diese zwei Welten aufeinanderprallen:<br />
Während die Nomaden<br />
Wert darauf legen, dass ihre<br />
Kinder die traditionellen Werte,<br />
Normen und Bräu<strong>ch</strong>e erlernen,<br />
um e<strong>ch</strong>te Mitglieder der<br />
Hirtengemeins<strong>ch</strong>aft zu werden,<br />
bereitet die S<strong>ch</strong>ule die Kinder<br />
auf die Mögli<strong>ch</strong>keiten und<br />
Chancen in der modernen<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft vor. ■<br />
(Aus dem Englis<strong>ch</strong>en)<br />
Geta<strong>ch</strong>ew Gebru ist Mitbegründer<br />
und Ges<strong>ch</strong>äftsführer<br />
der privaten Fors<strong>ch</strong>ungsund<br />
Entwicklungsorganisation<br />
MARIL mit Sitz in Äthiopien.<br />
Derzeit ist er Präsident der<br />
Äthiopis<strong>ch</strong>en Viehzu<strong>ch</strong>t-Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
(Ethiopian Society of<br />
Animal Production). Gebru bes<strong>ch</strong>äftigt<br />
si<strong>ch</strong> seit Jahren mit<br />
Fors<strong>ch</strong>ung und Sensibilisierungsarbeit<br />
in den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Hirtengebieten Äthiopiens<br />
und Nordkenias und ist ausgewiesener<br />
Kenner des Risikomanagements<br />
im Berei<strong>ch</strong><br />
Hirtentum.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 31
Das Internet als Tonar<strong>ch</strong>iv<br />
MP3-Blogger in den USA und Europa sammeln alte S<strong>ch</strong>allplatten und Kassetten<br />
aus Afrika, Asien und Lateinamerika und bieten sie im Internet frei und franko<br />
zum Download an. Das stösst bei Musikfreunden auf Gegenliebe, führt aber au<strong>ch</strong><br />
Kritiker auf den Plan. Von Thomas Burkhalter*.<br />
werden – und wurden: Funk aus<br />
Nigeria, Jazz aus Äthiopien, kubanis<strong>ch</strong>e<br />
Musik aus dem Kongo<br />
oder psy<strong>ch</strong>edelis<strong>ch</strong>er Rock aus<br />
der Arabis<strong>ch</strong>en Welt, alles<br />
Zeugen früher Globalisierungsströme<br />
der 1960er- und 70er-<br />
Jahre. Oder regionale Popmusik:<br />
Der billig produzierte Handy-<br />
K U L T U R<br />
Auf der Fahrt im Minibus in die<br />
nordmalis<strong>ch</strong>e Wüstenstadt Kidal<br />
hört Christopher Kirkley sie<br />
zum ersten Mal – die Kakophonie<br />
aus regionalen Pophits, die<br />
aus den Handys seiner Mitfahrer<br />
an seine Ohren s<strong>ch</strong>allen. Die<br />
Musik fasziniert ihn: «Das ist<br />
keine sanfte Weltmusik für westli<strong>ch</strong>e<br />
Ohren. Die Musik ist billig<br />
produziert, nimmt internationale<br />
Trends auf und hat do<strong>ch</strong> einen<br />
lokalen Sound.» Bald darauf<br />
taus<strong>ch</strong>t Kirkley Tracks mit den<br />
Leuten in Kidal: Von seinem<br />
Computer auf ihre Handys, und<br />
von ihren Handys auf seine<br />
Harddisk. Er produziert die LPs<br />
«Music from Saharan Cellphones»,<br />
heute zwei Kultplatten<br />
in der Bloggerszene.<br />
Promotion und Vertrieb laufen<br />
über «Sahelsounds».<br />
MP3-Blogs: Alte Platten und<br />
quere Sounds<br />
«Sahelsounds» ist einer von unzähligen<br />
MP3-Blogs im<br />
Internet. Sie tragen klingende<br />
Namen wie «Monrakplengthai»<br />
(bezaubernde Lieder Thailands),<br />
«Excavated Shellac» (ausgebaggerte<br />
S<strong>ch</strong>ellack-Platten),<br />
«Awesome Tapes from Africa»<br />
(Fantastis<strong>ch</strong>e Kassetten aus<br />
Afrika) oder «Madtrotter-<br />
Treasure-Hunt» (Irrer S<strong>ch</strong>atzjäger).<br />
Die MP3-Blogger stöbern<br />
bei Strassenhändlern na<strong>ch</strong><br />
raren Kassetten, auf Flohmärkten<br />
na<strong>ch</strong> Vinyl, und mit anderen<br />
Sammlern taus<strong>ch</strong>en sie S<strong>ch</strong>ellackplatten.<br />
Mark Tear von «Snap, Crackle<br />
& Pop» erklärt die typis<strong>ch</strong>en<br />
Arbeitss<strong>ch</strong>ritte, wenn der<br />
Tonträger s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zuhause<br />
liegt: «I<strong>ch</strong> putze die neu erworbene<br />
S<strong>ch</strong>allplatte, überspiele sie<br />
auf meinen Computer, s<strong>ch</strong>neide<br />
das Audiofile in einzelne Tracks<br />
und lade das digitale Album auf<br />
einen Online-Spei<strong>ch</strong>er. Auf<br />
meinen Blog setze i<strong>ch</strong> das<br />
Coverbild, Informationen und<br />
den Link zu diesem Online-<br />
Spei<strong>ch</strong>er. Jeder kann das Album<br />
jetzt von dort gratis auf seinen<br />
Computer herunterladen». Das<br />
sei zwar kein Rock’n’Roll, sagt<br />
er, aber eine s<strong>ch</strong>öne Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
am Abend, wenn die<br />
Kinder im Bett lägen.<br />
Im Fokus der MP3-Blogs stehen<br />
rare Tonträger, die entweder im<br />
Markt ni<strong>ch</strong>t mehr erhältli<strong>ch</strong> sind<br />
oder aber von traditionellen<br />
Mainstream-Medien, nationalen<br />
Ar<strong>ch</strong>iven oder der musikethnologis<strong>ch</strong>en<br />
Fors<strong>ch</strong>ung ignoriert<br />
Pop aus Mali, der die Gesangsstimmen<br />
dur<strong>ch</strong> eine Autotune-<br />
Software jagt und man<strong>ch</strong>mal<br />
wie von einem anderen Stern<br />
klingt.<br />
Oder der fiebrig s<strong>ch</strong>nelle<br />
Shangaan-Electro aus Südafrika.<br />
Blogger Wills Glasspiegel fand<br />
ihn beim Surfen auf YouTube.<br />
Er reiste na<strong>ch</strong> Südafrika, traf die<br />
lokalen Produzenten und half<br />
s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> bei der Veröffentli<strong>ch</strong>ung<br />
des ersten Shangaan-<br />
Sammelalbums. New Wave<br />
Dabké aus Syrien und Shaabi-<br />
Pop aus Ägypten sind weitere<br />
Popmusikstile, die lange als Müll,<br />
Kits<strong>ch</strong> oder kulturell minderwertig<br />
abgetan wurden und jetzt<br />
massenhaft neue Hörer finden.<br />
Neuer Wind in der<br />
Musikethnologie<br />
Da si<strong>ch</strong> weltweit nur wenige<br />
Länder professionelle Tonar<strong>ch</strong>ive<br />
leisten, kommt diesen MP3-<br />
Blogs im Hinblick auf<br />
Dokumentation und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung<br />
eine gewisse<br />
Wi<strong>ch</strong>tigkeit zu – au<strong>ch</strong> wenn sie<br />
ein professionelles Ar<strong>ch</strong>iv natürli<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t ersetzen.<br />
Den Aufwand, den etwa die<br />
S<strong>ch</strong>weizer Landesphonothek<br />
Fonoteka beim Putzen, Flicken,<br />
Digitali-sieren, Dokumentieren<br />
und Katalogisieren von Tonträgern<br />
leistet, können die Blogger<br />
s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t aufbringen.<br />
S<strong>ch</strong>on früher haben Musikethnologen<br />
Sammlungen und<br />
Ar<strong>ch</strong>ive mit Feldaufnahmen<br />
von meist ländli<strong>ch</strong>er Musik<br />
aus der ganzen Welt angelegt.<br />
Christopher Kirkley von<br />
«Sahelsounds» bezei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong><br />
denn au<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>eiden als<br />
«Hobby-Musikethnologen».<br />
Zur ethnographis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung<br />
stellt er grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />
Fragen wie: Was heisst ‘Dokumentieren’<br />
im digitalen Zeitalter?<br />
«I<strong>ch</strong> nahm in der Sahara<br />
mit teuren Mikrofonen einen<br />
Bluesgitarristen auf, und um<br />
mi<strong>ch</strong> herum s<strong>ch</strong>nitten Jugendli<strong>ch</strong>e<br />
dieselbe Musik mit ihren<br />
Handys mit. Wel<strong>ch</strong>e Rolle bleibt<br />
mir da no<strong>ch</strong>, als amerikanis<strong>ch</strong>er<br />
Musikethnologe?»<br />
Während MP3-Blogging für<br />
32 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
viele Hobby bleibt, ma<strong>ch</strong>en andere<br />
damit Karriere. Brian<br />
Shimkovitz vom Blog<br />
«Awesome Tapes from Africa»<br />
kaufte in Afrika Tausende von<br />
Kassetten und tritt heute als<br />
Kassetten-DJ in der ganzen<br />
Welt auf. Jonathan Ward von<br />
«Excavated Shellac» ist Herausgeber<br />
der 4CD Box «Opika<br />
Erlös der LPs «Music From<br />
Saharan Cellphones» gehe<br />
zurück an die Musiker, betont<br />
Kirkley: «Wir sollten Musiker<br />
aus der Sahara ni<strong>ch</strong>t anders behandeln<br />
als Musiker aus unserer<br />
Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft.»<br />
Kolonialismus und andere<br />
Attacken<br />
Die meisten Blogger seien<br />
Männer, aus den USA und<br />
Europa, weiss und heterosexuell,<br />
s<strong>ch</strong>reibt Portia Seddon in einem<br />
wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Artikel zu<br />
MP3-Blogs auf norient.com.<br />
Kritiker setzen genau hier an:<br />
Das sei kultureller Postkolonialismus,<br />
neuzeitli<strong>ch</strong>er Audio-<br />
Tourismus oder gar akustis<strong>ch</strong>er<br />
Karrieren als DJs und Produzenten<br />
ankurbeln.<br />
Allerdings ist dabei so wenig<br />
Geld zu verdienen, dass man die<br />
Relationen wahren sollte.<br />
Wi<strong>ch</strong>tiger ist, dass diese MP3-<br />
Blogs neue musikalis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ätze<br />
heben.<br />
Die MP3-Blogger sind keine<br />
grossen Institutionen mit<br />
Christopher Kirkley<br />
politis<strong>ch</strong> oder sozialkritis<strong>ch</strong> äussern.<br />
■<br />
*Thomas Burkhalter, Musikethnologe,<br />
arbeitet als freis<strong>ch</strong>affender<br />
Kulturjournalist und betreibt das<br />
Online-Netzwerk Norient<br />
www.norient.com<br />
Pende», einer Sammlung mit<br />
raren S<strong>ch</strong>ellackplatten aus<br />
Afrika, aufgenommen zwis<strong>ch</strong>en<br />
1909 und 1960. Das Album ist<br />
für einen Grammy nominiert,<br />
als bestes historis<strong>ch</strong>es Album<br />
von 2012.<br />
Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und ethis<strong>ch</strong>e<br />
Fragen<br />
MP3-Blogging steht aber au<strong>ch</strong><br />
in der Kritik. Die grossen<br />
Massenspei<strong>ch</strong>er, auf denen<br />
MP3-Blogs ihre Musik ho<strong>ch</strong>laden<br />
und zum Download anbieten,<br />
werden dur<strong>ch</strong> geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Verfügung immer wieder<br />
ges<strong>ch</strong>lossen: Zu viele von<br />
Copyrights ges<strong>ch</strong>ützte Daten<br />
wurden ho<strong>ch</strong>- und heruntergeladen.<br />
Die Blogger verstehen diese<br />
Diskussionen um Urheberre<strong>ch</strong>te<br />
nur bedingt. Erstens ist die<br />
Musik auf ihren Blogs meistens<br />
sonst nirgends erhältli<strong>ch</strong>.<br />
Zweitens s<strong>ch</strong>ätzten gerade die<br />
heute aktiven Nis<strong>ch</strong>enmusiker<br />
diese Blogs als wirksame<br />
Promotionsplattformen. Und<br />
die Blogger klären bei ihren<br />
kommerziellen Veröffentli<strong>ch</strong>ungen<br />
Urheberre<strong>ch</strong>te ab und<br />
zahlen Lizenzgebühren. Der<br />
Rassismus. Europäer und US-<br />
Amerikaner plünderten die<br />
Musik des Südens.<br />
Die Blogger ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> zu<br />
diesen Fragen dur<strong>ch</strong>aus ihre<br />
Gedanken. Nick Barbery von<br />
«Ghost Capital» sagt, er sei<br />
selbstkritis<strong>ch</strong>, und diesen komplexen<br />
Fragen gegenüber au<strong>ch</strong><br />
unsi<strong>ch</strong>er. Letztli<strong>ch</strong> wolle er aber<br />
s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t neue Klänge aus fernen<br />
Ländern freilegen – ob das etwa<br />
unethis<strong>ch</strong> sei? Man dürfe do<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t verbieten, Globale Musik<br />
zu su<strong>ch</strong>en, sie zu erfors<strong>ch</strong>en und<br />
über sie zu diskutieren.<br />
Natürli<strong>ch</strong> bleibt die ewige<br />
Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> fremder und exotis<strong>ch</strong>er<br />
Musik au<strong>ch</strong> bei MP3<br />
Blogs präsent. Gelegentli<strong>ch</strong><br />
kommt au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein<br />
s<strong>ch</strong>ales Gefühl auf. Etwa wenn<br />
Blogger in Afrika aktuelle<br />
Popkassetten kaufen, ins Netz<br />
stellen und international ihre<br />
Sahelsounds<br />
Finanzkraft und Definitionshoheit.<br />
<strong>Wenn</strong> man Afrika, Asien<br />
und Lateinamerika ni<strong>ch</strong>t mehr<br />
nur als «fremd» oder «exotis<strong>ch</strong>»<br />
definieren und hören will, so<br />
müssten eigentli<strong>ch</strong> vor allem<br />
grosse Institutionen vorangehen.<br />
So etwa die no<strong>ch</strong> immer überwiegend<br />
konservativen Institute<br />
für Musikethnologie, die internationale<br />
Kulturförderung, die<br />
in ni<strong>ch</strong>t-westli<strong>ch</strong>er Musik immer<br />
Lokalkolorit hören will,<br />
und die internationalen NGOs,<br />
die mit Musikern aus dem<br />
«Weltsüden» nur dann arbeiten,<br />
wenn sie ni<strong>ch</strong>t allzu unbequeme<br />
Musik ma<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> aber dafür<br />
Ausgewählte Diskographie<br />
• «Shangaan Electro – New Wave<br />
Dance Music from South Africa»,<br />
2010, Honest Jon’s Records<br />
• «Music from Saharan<br />
Cellphones [Vol 1 und 2]», 2013,<br />
Sahelsounds<br />
• «Next Stop... Soweto» [Serie],<br />
2010, Strut Records<br />
• «Opika Pende: Africa at 78<br />
RPM (Recordings from 1909-<br />
1960s), 2012, Dust to Digital<br />
• «Waking Up S<strong>ch</strong>eherazade,<br />
Vol2», 2010, Grey Past Records<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013<br />
33
Service<br />
Multimedia<br />
DEZA-News per Mail<br />
Der DEZA-Newsletter<br />
bietet eine Auswahl der<br />
wi<strong>ch</strong>tigsten News zur<br />
S<strong>ch</strong>weizer Entwicklungszusammenarbeit<br />
und<br />
Humanitären Hilfe. Jede<br />
Ausgabe beleu<strong>ch</strong>tet ausserdem<br />
ein aktuelles<br />
Thema und informiert<br />
über Projekte, Publikationen,<br />
Filme und Ereignisse.<br />
Der E-Newsletter<br />
ers<strong>ch</strong>eint alle zwei<br />
Monate auf Deuts<strong>ch</strong>,<br />
Englis<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong><br />
und Italienis<strong>ch</strong>. Er kann<br />
auf der DEZA-Website<br />
abonniert werden:<br />
www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>.<br />
Die S<strong>ch</strong>weiz und die<br />
erweiterte EU<br />
An der Jahreskonferenz der<br />
S<strong>ch</strong>weizer Ostzusammenarbeit<br />
vom 31. Mai in Bern informieren<br />
die DEZA und das Staatssekretariat<br />
für Wirts<strong>ch</strong>aft<br />
SECO über Projekte im<br />
Rahmen des Beitrags der<br />
S<strong>ch</strong>weiz an die zwölf jüngsten<br />
Mitgliedsstaaten der EU.<br />
Mit diesem so genannten<br />
Erweiterungsbeitrag von 1,257<br />
Milliarden Franken unterstützt<br />
die S<strong>ch</strong>weiz den Abbau von<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und sozialen<br />
Unglei<strong>ch</strong>heiten innerhalb der<br />
Europäis<strong>ch</strong>en Union und festigt<br />
ihre Beziehungen zu Europa.<br />
Der Anlass ist öffentli<strong>ch</strong>.<br />
Jahreskonferenz der S<strong>ch</strong>weizer<br />
Ostzusammenarbeit, 31. Mai<br />
im Hotel National, Bern;<br />
Information und Anmeldung:<br />
www.erweiterungsbeitrag.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
Anlässe<br />
Filme/DVDs<br />
Entwicklung in Bild und Ton<br />
(pf) Videosequenzen, Radiosendungen<br />
und Blogs werden immer<br />
wi<strong>ch</strong>tiger für die Informationsarbeit<br />
zur Entwicklungspolitik.<br />
Aus diesem Grund<br />
haben die Dokumentationszentren<br />
von Alliance Sud in Bern<br />
und Lausanne ein zweispra<strong>ch</strong>iges<br />
Multimedia-Portal in Deuts<strong>ch</strong><br />
und Französis<strong>ch</strong> entwickelt. Im<br />
Dezember 2012 wurde die Site<br />
mit rund 100 Videoclips pro<br />
Spra<strong>ch</strong>e freiges<strong>ch</strong>altet, do<strong>ch</strong> tägli<strong>ch</strong><br />
werden es mehr. Der thematis<strong>ch</strong><br />
gegliederte Zugang wurde<br />
absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> auf zehn S<strong>ch</strong>lüsselberei<strong>ch</strong>e<br />
der Entwicklung, darunter<br />
Landwirts<strong>ch</strong>aft, Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />
Wirts<strong>ch</strong>aft, Energie und<br />
Rohstoffe bes<strong>ch</strong>ränkt. Die Filme<br />
– kaum je länger als zehn<br />
Minuten – sind hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
in Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong> und<br />
Englis<strong>ch</strong>. Neben Videoclips bietet<br />
das Portal au<strong>ch</strong> andere<br />
Online-Ressourcen, so etwa<br />
Tondokumente, Infografiken,<br />
Fotos und spezialisierte Blogs.<br />
Für dieses multimediale Angebot<br />
haben die Dokumentalisten<br />
von Alliance Sud und der DEZA<br />
eng zusammengearbeitet.<br />
www.alliancesud.<strong>ch</strong>/multimedia<br />
Goldene Zerstörung<br />
der Natur<br />
(dg) Ein internationales Bergbauunternehmen<br />
reist mit der<br />
gesamten Infrastruktur von<br />
Borneo na<strong>ch</strong> Guinea und verwandelt<br />
das umliegende Land<br />
in eine grosse Goldminenwüste.<br />
Der Film «Gold über alles» offenbart<br />
eine Welt, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong><br />
die Mine für immer verändert,<br />
und porträtiert Mens<strong>ch</strong>en, die in<br />
Guinea mit diesen Veränderun-<br />
Musik<br />
gen leben müssen. Der anfängli<strong>ch</strong>en<br />
Euphorie, Arbeit gefunden<br />
zu haben, folgt jedo<strong>ch</strong> bald<br />
Ernü<strong>ch</strong>terung. Der mehrfa<strong>ch</strong><br />
ausgezei<strong>ch</strong>nete Film zeigt die<br />
dur<strong>ch</strong> die Mine ausgelösten ökonomis<strong>ch</strong>en,<br />
ökologis<strong>ch</strong>en und<br />
sozialen Veränderungen. Die gigantis<strong>ch</strong>e<br />
Naturzerstörung korreliert<br />
mit den krassen Unters<strong>ch</strong>ieden<br />
zwis<strong>ch</strong>en den Lebenswelten<br />
der Firmenmitarbeiter<br />
und der einheimis<strong>ch</strong>en Bevölkerung,<br />
die ums Überleben<br />
kämpft. Ein ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>es<br />
Beispiel für eine fehlges<strong>ch</strong>lagene<br />
Entwicklung.<br />
«Gold über alles», Dokumentarfilm<br />
von Robert Nugent, F/Australien<br />
2007; Information und Beratung:<br />
education21/Filme für eine Welt<br />
Tel. 031 321 00 30,<br />
www.filmeeinewelt.<strong>ch</strong><br />
Unerhörte Urmusik<br />
(er) Es ist ein Hörs<strong>ch</strong>ock für mit<br />
westli<strong>ch</strong>en Melodien, Rhythmen<br />
und Harmonien vertraute<br />
Ohren. Bewirkt wird er dur<strong>ch</strong><br />
langgezogene, an- und abs<strong>ch</strong>wellende,<br />
dunkle wie li<strong>ch</strong>te, hie und<br />
da au<strong>ch</strong> quengelnde Klangspuren<br />
von S<strong>ch</strong>almeien, Kno<strong>ch</strong>enflöten,<br />
Hörnern und Trompeten.<br />
Dumpfe Paukens<strong>ch</strong>läge, trocken<br />
tönende Trommelwirbel und hell<br />
metallis<strong>ch</strong> hallende Zimbeln setzen<br />
Akzente. Und da finden si<strong>ch</strong><br />
aussergewöhnli<strong>ch</strong> faszinierende<br />
Stimmen in liturgis<strong>ch</strong>en, meditativ<br />
skandierenden Solo- und<br />
abgründig tief vibrierenden<br />
Chorgesängen. Es gilt einzutau<strong>ch</strong>en<br />
in die jahrhundertealten sakralen<br />
Klangrituale von zwölf<br />
buddhistis<strong>ch</strong>en Mön<strong>ch</strong>en. Diese<br />
verliessen letztes Jahr zum ersten<br />
Mal ihr weltabges<strong>ch</strong>iedenes<br />
Kloster im kleinen Himalaja-<br />
Königrei<strong>ch</strong> Bhutan, um am<br />
Inners<strong>ch</strong>weizer Volkskulturfest<br />
«Obwald» aufzutreten. Dana<strong>ch</strong><br />
gingen sie ins Studio. Das<br />
Resultat ist ein bisher no<strong>ch</strong> nie<br />
gehörtes, wahrhaft unerhörtes<br />
Klangereignis.<br />
Ausstellung<br />
«Rituals – Buddhist Monks from<br />
the Punakha Dzong in Bhutan»<br />
(Electric Mermaid Music<br />
Production/buddhist-monksbhutan.com)<br />
Exzellentes Klangbild<br />
(er) Der 63-jährige malis<strong>ch</strong>e<br />
Sänger und Songs<strong>ch</strong>reiber Salif<br />
Keita gehört seit Jahrzehnten zu<br />
den populärsten und bekanntesten<br />
Musikern Afrikas. Nun verkündet<br />
er, dass sein neustes<br />
Werk, geprägt von einem überras<strong>ch</strong>end<br />
progressiven Klangbild<br />
mit groovenden Pop-, Rock-,<br />
Jazz- und Electro-Anleihen, viellei<strong>ch</strong>t<br />
seine letzte CD sei. Darauf<br />
wirken u. a. der Londoner<br />
Rapper Roots Manuva, die kamerunis<strong>ch</strong>e<br />
Sax-Legende Manu<br />
Dibango oder die junge US-<br />
Jazzbassistin Esperanza Spalding<br />
mit. Zu hören ist Bobby<br />
McFerrin in einem Stimmen-<br />
Duett mit Keita. Die Be<strong>ch</strong>ertrommel<br />
Djembe oder das<br />
Griot-Saiteninstrument N’goni<br />
sorgen für Mandika-Finessen,<br />
die in die Beine fahren. Unter<br />
die Haut gehen zudem eindringli<strong>ch</strong>e<br />
Liebeslieder und engagiert<br />
kritis<strong>ch</strong>e Songtexte von<br />
Salif Keita. Dieses exzellente<br />
Album bleibt hoffentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
sein letztes!<br />
Salif Keita: «Talé» (Universal Music<br />
France/Musikvertrieb)<br />
Museum im neuen Kleid<br />
(jls) Das Internationale Rotkreuz-<br />
und Rothalbmondmuseum<br />
in Genf hat seine Türen<br />
na<strong>ch</strong> fast zweijähriger S<strong>ch</strong>liessung<br />
wiedereröffnet. In dieser<br />
Zeit wurde die Dauerausstellung<br />
34 Eine Welt Nr.2 / Juni 2013
Bü<strong>ch</strong>er<br />
komplett neu gestaltet. Die<br />
Auffris<strong>ch</strong>ung war nötig, da si<strong>ch</strong><br />
die humanitäre Arbeit in den<br />
vergangenen 25 Jahren – die<br />
vorherige Ausstellung datiert<br />
aus dem Jahr 1988 – enorm<br />
entwickelt hat. In ihrer neuen<br />
Form ist sie als erlebnisrei<strong>ch</strong>e<br />
Einführung in die Welt der humanitären<br />
Tätigkeit konzipiert<br />
und in drei thematis<strong>ch</strong>e Räume<br />
gegliedert: «Die Mens<strong>ch</strong>enwürde<br />
verteidigen», «Familienbande<br />
wiederherstellen» und «Risiken<br />
von Naturgefahren begrenzen».<br />
In jedem Raum dur<strong>ch</strong>laufen die<br />
Besu<strong>ch</strong>erinnen und Besu<strong>ch</strong>er<br />
erst eine Sensibilisierungsphase,<br />
die sie emotional anspri<strong>ch</strong>t. In<br />
einer zweiten Etappe stehen<br />
Informationen und ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Hintergründe des Roten<br />
Kreuzes im Vordergrund. Die<br />
Räume wurden von drei international<br />
bekannten Ar<strong>ch</strong>itekten<br />
bzw. Bühnenbildnern aus<br />
Brasilien, Burkina Faso und<br />
Japan gestaltet.<br />
Öffnungszeiten und weitere<br />
Informationen: www.redcrossmuseum.<strong>ch</strong><br />
oder Tel. 022 748 95 11.<br />
Am Sultanshof in Kamerun<br />
(bf) Der kamerunis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>riftsteller<br />
Patrice Nganang verwebt<br />
in seinem neusten Werk «Der<br />
S<strong>ch</strong>atten des Sultans» mündli<strong>ch</strong><br />
überlieferte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten mit in<br />
Ar<strong>ch</strong>iven dokumentierten<br />
Ereignissen. Herausgekommen<br />
ist ein ebenso anregender wie<br />
Impressum<br />
«Eine Welt» ers<strong>ch</strong>eint viermal jährli<strong>ch</strong> in<br />
deuts<strong>ch</strong>er, französis<strong>ch</strong>er und italienis<strong>ch</strong>er<br />
Spra<strong>ch</strong>e.<br />
Herausgeberin<br />
Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit<br />
(DEZA) des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departementes<br />
für auswärtige Angelegenheiten (EDA)<br />
Redaktionskomitee<br />
Martin Dahinden (verantwortli<strong>ch</strong>)<br />
Catherine Vuffray (Gesamtkoordination)<br />
Marie-Noëlle Bossel, Beat Felber, Patrick<br />
Kohler, André Marty, Pierre Maurer, Özgür Ünal<br />
Redaktion<br />
Beat Felber (bf –Produktion)<br />
Gabriela Neuhaus (gn) Jane-Lise<br />
aufregender Roman. Hauptfigur<br />
darin ist die junge Historikerin<br />
Bertha, wel<strong>ch</strong>e aus den USA<br />
na<strong>ch</strong> Youndé reist, um die<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Kameruns zu erfors<strong>ch</strong>en.<br />
Hier lernt sie die<br />
80-jährige Sara kennen, wel<strong>ch</strong>e<br />
ihr die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Njoya<br />
erzählt, dem Herrs<strong>ch</strong>er des<br />
Königrei<strong>ch</strong>s Bamum, wel<strong>ch</strong>er<br />
von 1894 bis 1933 mit seinem<br />
Hofstaat in Mont Plaisant lebte.<br />
Sara wurde als Neunjährige ihrer<br />
Mutter entrissen und dem Sultan<br />
Njoya als Frau ges<strong>ch</strong>enkt. Im<br />
Laufe ihres langen Lebens wurde<br />
sie so Zeugin unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster<br />
Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten von Liebe,<br />
Eifersu<strong>ch</strong>t, Ma<strong>ch</strong>t und Tod,<br />
wel<strong>ch</strong>e sie nun Bertha erzählt.<br />
Nganang hat für sein Bu<strong>ch</strong> a<strong>ch</strong>t<br />
Jahre lang in Ar<strong>ch</strong>iven auf drei<br />
Kontinenten gefors<strong>ch</strong>t und<br />
mit zahllosen Mens<strong>ch</strong>en in<br />
seiner Heimat geredet. Das<br />
Resultat ist ni<strong>ch</strong>t nur spannend,<br />
sondern au<strong>ch</strong> ein Plädoyer für<br />
eine neue Art von Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung.<br />
«Der S<strong>ch</strong>atten des Sultans» von<br />
Patrice Nganang, Peter Hammer<br />
Verlag 2012<br />
S<strong>ch</strong>neeberger (jls) Mirella Wepf (mw) Ernst<br />
Rieben (er) Luca Beti (italienis<strong>ch</strong>e Version)<br />
Gestaltung<br />
Laurent Coc<strong>ch</strong>i, Lausanne<br />
Lithografie und Druck<br />
Vogt-S<strong>ch</strong>ild Druck AG, Derendingen<br />
Wiedergabe<br />
Der Na<strong>ch</strong>druck von Artikeln ist, na<strong>ch</strong> Bewilligung<br />
dur<strong>ch</strong> die Redaktion, unter Quellenangabe<br />
gestattet. Belegexemplare erwüns<strong>ch</strong>t<br />
Abonnemente und Adressänderungen<br />
«Eine Welt» ist gratis (nur in der S<strong>ch</strong>weiz)<br />
erhältli<strong>ch</strong> bei: EDA, Informationsdienst,<br />
Bundeshaus West, 3003 Bern<br />
Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Kongos<br />
als Bestseller<br />
(jls) Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
Demokratis<strong>ch</strong>en Republik<br />
Kongo (ehemals Zaïre) wurde<br />
bislang in keinem umfassenden<br />
Werk für ein breites Publikum<br />
bes<strong>ch</strong>rieben. Diese Lücke füllt<br />
das Bu<strong>ch</strong> «Kongo» des Belgiers<br />
David van Reybrouck, der dafür<br />
fünf Jahre re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>iert, 5000<br />
Dokumente gesi<strong>ch</strong>tet und über<br />
500 Personen befragt hat. Er<br />
thematisiert das we<strong>ch</strong>selhafte<br />
S<strong>ch</strong>icksal des riesigen Landes<br />
von der Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te über die<br />
Sklaverei, die Kolonialisierung<br />
dur<strong>ch</strong> Belgien, die Unabhängigkeit,<br />
die Herrs<strong>ch</strong>aft Mobutus<br />
und die Ma<strong>ch</strong>tergreifung Kabilas<br />
bis hin zum Auftau<strong>ch</strong>en der <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en<br />
Investoren. Mehrere<br />
Literaturpreise zeugen von der<br />
Qualität dieses Historiografie,<br />
Literatur und Reportage verbindenden<br />
Werks. Es zei<strong>ch</strong>net sowohl<br />
die grosse Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als<br />
au<strong>ch</strong> diejenige der Mens<strong>ch</strong>en,<br />
die Tag für Tag um ihr Überleben<br />
kämpfen, na<strong>ch</strong>. Trotz des<br />
Umfangs von 700 Seiten und<br />
dem ni<strong>ch</strong>t bestsellerträ<strong>ch</strong>tigen<br />
Thema hat die niederländis<strong>ch</strong>e<br />
Originalausgabe riesigen Erfolg.<br />
In Belgien und den Niederlanden<br />
wurden 250 000 Exemplare<br />
verkauft. Übersetzungen in<br />
ein halbes Dutzend anderer<br />
Spra<strong>ch</strong>en sind angekündigt.<br />
David van Reybrouck: «Kongo»,<br />
Suhrkamp, Juni 2013<br />
E-Mail: info@deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
Tel. 031 322 44 12<br />
Fax 031 324 90 47<br />
Internet : www.deza.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong><br />
860215346<br />
Der Umwelt zuliebe gedruckt auf <strong>ch</strong>lorfrei<br />
geblei<strong>ch</strong>tem Papier<br />
Gesamtauflage: 52 200<br />
Ums<strong>ch</strong>lag: Tila Patil und sein Sohn Dilip in<br />
Dhulia, Indien; Scott Eells/Redux/laif<br />
ISSN 1661-1667<br />
Elisa Larvego<br />
Fernsu<strong>ch</strong>t<br />
Eine Oase in Antananarivo<br />
Die französis<strong>ch</strong>-s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>riftstellerin Douna Loup, 31,<br />
lebt in Genf und hat bislang zwei<br />
Erzählbände sowie den mehrfa<strong>ch</strong><br />
preisgekrönten Roman<br />
«L’Embrasure» veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />
Mit 18 kam i<strong>ch</strong> als Volontärin in<br />
die madagassis<strong>ch</strong>e Hauptstadt.<br />
Die Stadt wirkte riesig, do<strong>ch</strong> die<br />
Waisenheim-S<strong>ch</strong>ule, an der i<strong>ch</strong> arbeitete,<br />
war eine Oase. Die Kinder<br />
füllten meine Tage aus. I<strong>ch</strong> übernahm<br />
ihr La<strong>ch</strong>en und ihre halb<br />
französis<strong>ch</strong>e, halb madagassis<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>e. Antananarivo fesselte<br />
mi<strong>ch</strong>: Die Gassen mit den<br />
Treppenkaskaden, die Openair-<br />
Metzgereien und vor allem<br />
die Stimmungen. I<strong>ch</strong> mo<strong>ch</strong>te<br />
die einfa<strong>ch</strong>en Verkaufsstände,<br />
die Gesi<strong>ch</strong>ter, die mi<strong>ch</strong> ungeniert<br />
anspra<strong>ch</strong>en. I<strong>ch</strong> mo<strong>ch</strong>te die<br />
Spra<strong>ch</strong>e, in der die Sonne «Auge<br />
des Tages» und das Meer «heiliges<br />
Wasser» heisst. Später habe<br />
i<strong>ch</strong> die madagassis<strong>ch</strong>e Musik entdeckt,<br />
insbesondere die Kultgruppe<br />
Mahaleo und den Sänger<br />
Ricky Olombelo. I<strong>ch</strong> habe Gedi<strong>ch</strong>te<br />
von Rabearivelo gelesen,<br />
seine Presque-Songes und seine<br />
Calepins Bleus, ein Tagebu<strong>ch</strong>, das<br />
er bis kurz vor seinem Suizid 1938<br />
geführt hat. Letzthin hat mi<strong>ch</strong><br />
Johary Ravaloson mit seinem<br />
Roman «Géotropiques» in die<br />
Gassen Antananarivos, zu den<br />
dunklen Gerü<strong>ch</strong>en und zum<br />
Branden der Dünung an den<br />
Gestaden der Roten Insel entführt.<br />
Eine Welt Nr.2 / Juni 2013 35
«Es ist für Entwicklungsländer si<strong>ch</strong>er<br />
von Nutzen, zusätzli<strong>ch</strong>e und vor allem<br />
diverse Partner zu haben.»<br />
Elizabeth Sidiropoulos, Seite 17<br />
«Während Jahren musste i<strong>ch</strong> Wasserkessel<br />
im Hof füllen und sie in<br />
meine Wohnung im vierten Stock<br />
hinauftragen.»<br />
Mouazamma Djamalova, Seite 22<br />
«Inzwis<strong>ch</strong>en sind zwar mehr Kinder<br />
aus Nomadenfamilien in höheren<br />
S<strong>ch</strong>ulen einges<strong>ch</strong>rieben, do<strong>ch</strong> ob si<strong>ch</strong><br />
Bildung und Nomadenleben vereinen<br />
lassen, ist eine andere Frage.»<br />
Geta<strong>ch</strong>ew Gebru, Seite 31