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Stadt an Fluss, Straße und Schiene - Bezirk Oberfranken

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Verh<strong>an</strong>dlungen wurde die Strecke 1885 über den Rennsteig<br />

hinweg bis <strong>an</strong> die L<strong>an</strong>desgrenze zwischen Ludwigsstadt <strong>und</strong><br />

Probstzella weitergeführt. Dadurch war eine Verbindung<br />

zum Eisenbahnknoten Saalfeld geschaffen, <strong>und</strong> Lichtenfels<br />

lag fort<strong>an</strong> <strong>an</strong> einer zweiten Magistrale von München nach<br />

Leipzig <strong>und</strong> Berlin.<br />

Die gute Bahn<strong>an</strong>bindung prägte Lichtenfels. Große Speditionen,<br />

für die Porzell<strong>an</strong>fabriken, die Spielzeugproduzenten<br />

<strong>und</strong> die Korbh<strong>an</strong>delshäuser im fränkisch-thüringischen<br />

Grenzgebiet tätig, siedelten sich hier <strong>an</strong>. Bestimmend für die<br />

Lichtenfelser Wirtschaft wurde freilich die Korbindustrie.<br />

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte das Korbmacherh<strong>an</strong>dwerk<br />

in mehreren Dörfern <strong>und</strong> Marktflecken am<br />

Obermain <strong>und</strong> <strong>an</strong> der Rodach, besonders in Michelau, eine<br />

herausragende Bedeutung erl<strong>an</strong>gt. Um diese Stellung zu wahren<br />

<strong>und</strong> weiter auszubauen, hatten sich einzelne Flechter<br />

schon vor 1800 mit hochbeladenen Schubkarren aufgemacht<br />

<strong>und</strong> fremde Märkte aufgesucht. Bald schon setzten sie ihre<br />

Flechtwaren in Sachsen, Preußen, selbst in Russl<strong>an</strong>d ab; im<br />

frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verschickten sie ihre Ware von norddeutschen<br />

Hafenstädten aus sogar nach Nordamerika. Umgekehrt<br />

beg<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> früh, Flechtmaterialien von auswärts zu<br />

beziehen: Neben der heimischen Weide verarbeiteten die<br />

Flechter im Raum Lichtenfels um 1810 bereits Ratt<strong>an</strong>, das aus<br />

Südostasien kam.<br />

Erkennbar seit den 1820er Jahren, bildeten sich spezialisierte<br />

Korbhändler heraus; der h<strong>an</strong>deltreibende Korbmacher verschw<strong>an</strong>d<br />

binnen weniger Jahrzehnte fast gänzlich. Um 1850<br />

best<strong>an</strong>d eine Reihe von H<strong>an</strong>delshäusern in den Dörfern<br />

main- <strong>und</strong> rodachaufwärts, in denen viele Korbmacher lebten:<br />

in Michelau vor allen <strong>an</strong>deren, in Schwürbitz, Schney,<br />

74<br />

Briefkopf des Korbh<strong>an</strong>delshauses D. Bamberger, 1915. Die dargestellten Lagerhäuser (Rückgebäude von Bamberger <strong>Straße</strong> 21) sollen im<br />

Herbst 2004 abgebrochen werden.<br />

Marktzeuln, Redwitz <strong>an</strong> der Rodach <strong>und</strong> Marktgraitz. In der<br />

Folge verlegten immer mehr dieser Unternehmen ihren Sitz<br />

nach Lichtenfels; neue Firmen wurden vornehmlich hier gegründet.<br />

Vis-à-vis dem Bahnhof errichteten sich um 1880 die<br />

beiden aus Redwitz kommenden Korbhändlerfamilien Pauson<br />

<strong>und</strong> Zinn stattliche Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshäuser, <strong>an</strong>dere<br />

ließen sich in der Altstadt nieder, wieder <strong>an</strong>dere <strong>an</strong> den neu<br />

bebauten Ausfallstraßen: der Coburger, der Bamberger <strong>und</strong><br />

der Kronacher <strong>Straße</strong>.<br />

Wenngleich der Korbh<strong>an</strong>del das Rückgrat der örtlichen Wirtschaft<br />

bildete, hätte ein Besucher von Lichtenfels um die<br />

Wende vom 19. zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert unter der Woche wenig<br />

davon gesehen, ausgenommen die stattlichen Häuser, deren<br />

Fassaden sie als „Korbwaren-M<strong>an</strong>ufakturen“ auswiesen. Eigentlich<br />

war die bei solchen Aufschriften übliche Bezeichnung<br />

„M<strong>an</strong>ufaktur“ oder „Fabrik“ falsch, denn hinter den<br />

Fenstern arbeiteten vornehmlich Angestellte. Hier wurden<br />

die Flechtwaren allenfalls lackiert, mit Textilien garniert <strong>und</strong><br />

verpackt.<br />

Produziert aber wurden diese Artikel nach wie vor in den<br />

Dörfern ringsum, in den Wohnungen der Korbmacher. Deren<br />

Zahl war ungeheuer: Auf etwa 15 000 Personen schätzte<br />

m<strong>an</strong> zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts die für die Korbindustrie<br />

tätigen Heimarbeiter. Üblicherweise arbeiteten sämtliche Familien<strong>an</strong>gehörige<br />

mit.<br />

Die H<strong>an</strong>delshäuser wurden d<strong>an</strong>n am Samstag von unzähligen<br />

Korbmachern beliefert. Der aus dem nahen Dorf Trieb stammende<br />

Wirtschaftswissenschaftler Fred Benecke schilderte<br />

1921 das <strong>Straße</strong>nbild <strong>an</strong> solchen Tagen wie folgt: „eine wahre<br />

Völkerw<strong>an</strong>derung ist auf den ... <strong>Straße</strong>n zu sehen. Die einen<br />

tragen die gewagtesten Korbgebäude auf dem Rücken, <strong>an</strong>dere

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