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Leseprobe - Delius Klasing

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Frank Jung<br />

made by<br />

unter Mitarbeit<br />

von Uta & Helmut Jung<br />

<strong>Delius</strong> <strong>Klasing</strong> Verlag


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

1. Auflage<br />

ISBN 978-3-7688-3270-0<br />

© by <strong>Delius</strong>, <strong>Klasing</strong> & Co. KG, Bielefeld<br />

Schutzumschlaggestaltung und Layout: Gabriele Engel<br />

Reproduktionen: digital I data I medien, Bad Oeynhausen<br />

Druck und Bucheinband: aprinta Druck, Wemding<br />

Printed in Germany 2011<br />

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis<br />

des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise<br />

reproduziert, übertragen oder kopiert werden, wie z. B.<br />

manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer<br />

Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und<br />

Datenspeicherung.<br />

<strong>Delius</strong> <strong>Klasing</strong> Verlag, Siekerwall 21, D - 33602 Bielefeld<br />

Tel.: 0521/559-0, Fax: 0521/559-115<br />

E-Mail: info@delius-klasing.de<br />

www.delius-klasing.de


Inhalt<br />

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

Karosseriebau im Stuttgarter<br />

Karosseriewerk Reutter<br />

Die Jahre 1906–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Die Jahre 1918–1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Die Jahre 1930–1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Die Jahre 1940–1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Die Anfänge der Zusammenarbeit<br />

PORSCHE TYP 7 (1931) . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

PORSCHE TYP 8 (1932). . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

PORSCHE TYP 12 (1932) . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

PORSCHE TYP 32 (1934) . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

PORSCHE TYP 60 (1938). . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

Reutter & Porsche<br />

1949: Rückkehr nach Stuttgart . . . . . . . . . . . 64<br />

1950: Start der Produktion . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

1951: Der tausendste Porsche . . . . . . . . . . . . 77<br />

1952: Das Jahr der Sonderaufbauten . . . . . . . 87<br />

1953: Umzug der Produktion . . . . . . . . . . . . 96<br />

1954: Der Speedster kommt . . . . . . . . . . . . 105<br />

1955: Der Porsche 356 A. . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

1956: 50 Jahre Reutter . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

1957: Produktion an der Kapazitätsgrenze . . 142<br />

1958: Vom Speedster zum Convertible D . . . 151<br />

1959: Das neue Modell: 356 B (T5). . . . . . . . 157<br />

1960: Porsche dehnt die Produktion aus . . . 165<br />

1961: 356 B T6 und Geheimauftrag T8 . . . . . 173<br />

1962: Konstruktive Zusammenarbeit . . . . . . 182<br />

1963: Das Ende einer Ära . . . . . . . . . . . . . . 188<br />

1964: Die Anfänge von Recaro . . . . . . . . . . 196<br />

Lehrwerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202<br />

Produktion 356. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206<br />

Grob- und Feinblechlager. . . . . . . . . . . . . . 208<br />

Presserei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209<br />

Werkzeugbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214<br />

Teilefertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215<br />

Rahmenbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />

Abteilung Außenhaut . . . . . . . . . . . . . . . . 224<br />

Hauptbauvorrichtung (Coupé) . . . . . . . . . . 236<br />

Rohbau (Coupé). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240<br />

Hauptbauvorrichtung<br />

(Cabriolet und Speedster) . . . . . . . . . . . . . 245<br />

Rohbau (Cabriolet und Speedster). . . . . . . . 248<br />

Lackiervorbereitung (Abteilung Rohbau) . . . 250<br />

Lackiererei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258<br />

Endmontage I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261<br />

Näherei und Sattlerei . . . . . . . . . . . . . . . . 267<br />

Spezialbereich Verdeck und Dach . . . . . . . . 270<br />

Endmontage II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274<br />

Auslieferung Karosserie. . . . . . . . . . . . . . . 279<br />

Küche und Kantine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281<br />

Endkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282<br />

Musterbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286<br />

Reutter / Porsche Werbung . . . . . . . . . . . . . 287<br />

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291<br />

Literatur / Quellenverzeichnis (Auswahl) . . . 292<br />

Bildverzeichnis / Bildquellen . . . . . . . . . . . . 295


Wilhelm Reutter<br />

* 20.5.1874 † 5.8.1939<br />

Albert Reutter<br />

* 3.8.1880 † 10.12.1944


7<br />

Vorwort<br />

Die Geschichte verleiht einer Marke wie Porsche<br />

eine unverwechselbare Identität. Denn Geschichte<br />

ist das Ureigenste, Individuellste und Wahrhaftigste,<br />

was ein Unternehmen zu bieten hat. Aber<br />

auch firmenintern ist die Historie eine wichtige<br />

Quelle an Erfahrungen und Wissen. Eine gewachsene<br />

Unternehmenskultur ist ohne die Kenntnis<br />

der eigenen Herkunft nicht denkbar. Erst durch<br />

die Tradition entstehen ein unverwechselbares<br />

Profil und eine nachhaltige Identität, da Geschichte<br />

sich nicht kreieren oder auf ein neues Produkt<br />

projizieren lässt. Als authentisch wahrgenommen<br />

wird nur, was sich auch in der Vergangenheit über<br />

einen langen Zeitraum als wertig und erfolgreich<br />

erwiesen hat – die Sportwagen mit dem Porsche-<br />

Wappen auf der Fronthaube sind hierfür das beste<br />

Beispiel.<br />

Über kaum einen anderen Automobilhersteller<br />

dürfte so viel publiziert worden sein wie über<br />

Porsche. Jährlich kommt stets ein gutes Dutzend<br />

neuer Werke hinzu, und der Beobachter ist geneigt<br />

zu fragen, ob denn inzwischen nicht schon alles<br />

über die Firmengeschichte gesagt – Verzeihung:<br />

geschrieben – sei. Ist das vor einigen Jahren in der<br />

Wissenschaft diskutierte „Ende der Geschichte“<br />

auf dem Gebiet der Automobilhistorie vielleicht<br />

schon erreicht?<br />

Eine Antwort auf diese Frage liefert dieses Buch.<br />

Frank Jung, Urenkel von Albert Reutter, zeigt auf<br />

den folgenden rund 300 Seiten sehr eindrucksvoll,<br />

welche spannenden Schlüsse ein leidenschaftlich<br />

engagierter Autor nach ausgiebigen<br />

Archiv-Recherchen und unzähligen Gesprächen<br />

mit Zeitzeugen ziehen kann. In einer beeindruckenden<br />

Tiefe zeichnet Frank Jung die gemeinsame<br />

Geschichte der Unternehmen Porsche und<br />

Reutter nach und ermöglicht dem Leser einen umfassenden<br />

Einblick in die Arbeitswelt der 1950er-<br />

Jahre. Hierfür gebührt ihm große Anerkennung,<br />

denn „Porsche 356 – made by Reutter“ nimmt unter<br />

den vielen Porsche-Büchern einen besonderen<br />

Platz ein.<br />

Dieter Landenberger<br />

Leiter Historisches Archiv<br />

Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG


8<br />

Einleitung<br />

Eine lange, bewegte Geschichte kurz und prägnant<br />

darzustellen ist nicht einfach, kurze Epochen<br />

auszuwählen wäre Stückwerk.<br />

Um dem Leser daher einen Einblick in die gesamte<br />

Geschichte der Stuttgarter Karosseriewerk<br />

Reutter & Co. GmbH zu ermöglichen, wird auch<br />

die Zeit vor der ersten Zusammenarbeit mit dem<br />

Konstruktionsbüro Porsche zusammengefasst<br />

dargestellt (Kapitel 1). Im zweiten Kapitel werden<br />

die ab 1931 gegenseitig bestehenden Geschäftsbeziehungen<br />

anhand der einzelnen, gemeinschaftlich<br />

hergestellten Porsche-Typen geschildert.<br />

Diese können als Vorläufer der Volkswagen und<br />

damit auch des Porsche 356 angesehen werden.<br />

Aus den Erfahrungen der Vorkriegszeit resultierte<br />

die erneute Kooperation nach Porsches Rückkehr<br />

aus Gmünd. Kapitel 3 beschreibt chronologisch<br />

geordnet (1949 bis 1964) diese „Vernunftehe aus<br />

Sympathie“. Hier ist die frühe Produktion der Porsche<br />

356 eingefügt, die in den Jahren 1950 bis<br />

1953 im Reutter-Werk I in der Stuttgarter Augustenstraße<br />

erfolgte. Auch viele seltene Porsche-<br />

Prototypen, bis hin zum 356er-Nachfolger 901<br />

– bei Reutter konstruiert und gebaut – finden in<br />

diesem Abschnitt Erwähnung. Bindeglied zur anschließenden<br />

Darstellung der Produktionsabläufe<br />

ist eine kurze Beschreibung der Lehrwerkstatt<br />

von Reutter – die eigene Kaderschmiede für hoch<br />

qualifizierte Mitarbeiter (Kapitel 4). Das fünfte Kapitel<br />

zeigt einmalig ausführlich die Karosserieproduktion<br />

vom rohen Blech bis zur Auslieferung der<br />

fertigen Aufbauten. Die Beschreibung beschränkt<br />

sich dabei auf die Herstellung der Porsche 356<br />

von 1953 bis 1964 im Reutter-Werk II in Stuttgart-<br />

Zuffenhausen. Die in Kapitel 6 zeitlich geordneten<br />

Anzeigen und Werbungen von Reutter mit Bezug<br />

zu Porsche fassen die Kooperation der beiden<br />

Stuttgarter Unternehmen zusammen.<br />

„Porsche 356 – made by Reutter“: Der Gedanke<br />

zur Darstellung der Porsche 356 Karosserieproduktion<br />

greift eine Idee aus dem Jahre 1953 auf:<br />

In einem kleinen Album wurde anhand von 24 Fotos<br />

die Entstehung einer Porsche 356 Karosserie<br />

im damals gerade erweiterten Reutter-Werk II in<br />

Stuttgart-Zuffenhausen geschildert. Erste schriftlich<br />

festgehaltene Berichte über Betriebsabläufe<br />

finden sich – wenn auch sehr humoristisch –<br />

in der Mitarbeiter-Zeitung „Reutter Spiegel“ aus<br />

dem Jahre 1955. Hier eine Kostprobe:<br />

17. Dezember 1955 – Besuch Werk II<br />

Es war ein Sonnabend, und in der Verwaltungsbaracke<br />

gerade die obligatorische Meisterbesprechung fällig.<br />

Entsprechend den bundesdemokratischen Gepflogenheiten<br />

nahmen die dort versammelten Ingenieure<br />

und Meister die Anweisungen und Vorwürfe entgegen<br />

und gingen sichtlich beeindruckt an ihre Arbeit.<br />

Wir machten uns an den Leiter der AVO heran und<br />

wollten etwas über die Produktionsziffern wissen. Er<br />

war allerdings sehr vorsichtig und meinte, die Zahlen<br />

seien so geheim, dass er sie schon selbst nicht mehr<br />

wisse. Wir erfuhren sie dann aber doch durch einen<br />

zufällig anwesenden Reisevertreter. (…) Noch während<br />

wir interessiert den Darstellungen lauschten, ertönte<br />

ein eruptionsartiges Geräusch von einer Werkhalle<br />

her. Wie wir erfuhren war es das Blechlager.


Einleitung 9<br />

Mitarbeiterzeitschrift<br />

„Reutter Spiegel“<br />

(Ende 1955).<br />

Wir eilten hin und hörten, dass die Fundamente im<br />

Blechlager unter der Last des Materials eingebrochen<br />

seien. Der zuständige Meister war gerade mithilfe<br />

eines Kranes daran, die Bleche aus dem beacht lichen<br />

Einbruchstrichter zu zerren. Er meinte so etwas<br />

müsste gerade passieren, wo das Blech knapp sei.<br />

Wir kamen ins Lager. Zwei liebenswürdige Damen<br />

empfingen uns ganz in weiß mit einer Tasse Kaffee.<br />

(…) Der Lagerverwalter verhandelte gerade am Telefon<br />

wegen dringend benötigten Personals. Zwischendurch<br />

meinte er, bei ihm stimme alles, und falls etwas<br />

nicht stimme, sei nur der Einkauf schuldig.<br />

Zufällig machten wir auch gleich die Bekanntschaft<br />

des Chefkontrolleurs, der gerade die Eingänge vom<br />

Jahre 53 einer genauen Durchsicht unterzog.<br />

Wir kamen in die Sattlerei und beteiligten uns an<br />

dem beliebten Spiel der Farbeinteilung für Leder und<br />

Kunstleder. Nach längerem Hinsehen wussten wir<br />

auch nicht mehr, ob es sich um graues, grünes oder<br />

rötliches Leder handelt.<br />

Um gleich bei den Farben zu bleiben – in der Lackiererei<br />

empfing uns der Lackiermeister. Seine liebenswürdige<br />

Führung wurde unterbrochen durch einen<br />

Telefonanruf – „die Stimme meines Herrn“, meinte<br />

er lächelnd und nahm sein Hörgerät aus dem Ohr.<br />

Ein sehr geschäftiger und flinker Meister brauste auf<br />

und vorüber, wie wir hörten, war er für den Rohbau<br />

zuständig, während der Meister der Endmontage<br />

die ständig fehlenden 50% Zubehörteile suchte. (…)<br />

Ein sehr aufgeschlossener Herr der AVO zählte gerade<br />

noch die Schrauben der Karosserie und meinte,<br />

wenn er eine Schreibkraft kriege, würde noch in diesem<br />

Jahr mit einer Stückliste zu rechnen sein. (…)<br />

Im Musterbau hatte gerade der<br />

Meister nach langwierigen Versuchen<br />

die Karosserieform für den<br />

Porsche 1975 entwickelt. Die Ähnlichkeit<br />

mit der Karosserie des Modells 1905<br />

war verblüffend. (…)<br />

Auf dem Hof begegnete uns der Technische<br />

Leiter – er war sehr erstaunt, nichts von unserem<br />

Besuch erfahren zu haben. Er meinte,<br />

dass wir nochmals in sein Büro kommen<br />

sollten, denn wir würden sicherlich ein ganz<br />

falsches Bild erhalten haben. Unser Hinweis,<br />

dass wir gern unsere eigenen Eindrücke<br />

schildern wollten, wurden mit dem<br />

Ausruf abgetan: „Ach was, wenn Sie keine<br />

Techniker sind, können Sie das alles gar<br />

nicht verstehen!“<br />

Zusatz: Unsere Reporter sind im Augenblick<br />

noch angestrengt dabei, ihre Eindrücke<br />

zu sortieren. Wir haben daher die<br />

leitenden Herren der Firma Reutter um<br />

ihre Meinung gefragt. Die war klar illustriert:<br />

„Wir lassen uns trotzdem den Appetit<br />

nicht verderben!“<br />

Diese Auszüge aus der Mitarbeiter-Zeitung, also<br />

im Spiegelbild gesehene Betriebserlebnisse, machen<br />

deutlich, dass trotz aller Sorgen und Prob-


10<br />

Einleitung<br />

leme der schwierigen Nachkriegszeit und dem<br />

rasch ansteigenden äußeren Druck das Betriebsklima<br />

ein Besonderes war.<br />

Auch wenn der Autor kein ausgewiesener Techniker<br />

ist und somit – nach der Meinung der damaligen<br />

Betriebsleitung – „das alles gar nicht<br />

verstehen kann“, wagt er den Versuch einer umfassenden<br />

Berichterstattung. Nicht alles kann<br />

heute noch bis ins kleinste Detail geklärt werden,<br />

nicht alles kann rückblickend völlig korrekt berichtet<br />

werden. Insofern bittet er den Leser, sich den<br />

Appetit nicht verderben zu lassen.<br />

Trotz zeitlicher Sprünge über verschiedene Baujahre<br />

und Modellvarianten erscheint die sachorien<br />

tierte Anordnung der Produktionsabläufe in<br />

Kapitel 5 als die geeignete Form, Lücken weit gehend<br />

zu schließen. Wo Beweise fehlen, müssen<br />

Indi zien und Vermutungen herangezogen werden<br />

– der Autor hat versucht, diese Unsicherheiten so<br />

gut wie möglich auszuschließen.<br />

Auch bauliche Veränderungen erschwerten die Recherche:<br />

Im Reutter-Werk I in der Augustenstraße<br />

wurden die Zerstörungen des Krieges rasch beseitigt<br />

und die äußeren und inneren Strukturen ständig<br />

den betrieblichen Anforderungen angepasst.<br />

Im Jahre 1993 wurde der Bau jedoch im Zuge der<br />

Sanierungsmaßnahmen im Stuttgarter Westen<br />

von der Stadt als nicht denkmalschutzwürdig eingestuft<br />

und dem Erdboden gleich gemacht. Heute<br />

erinnert nur noch eine Tafel am Wohnhaus Augustenstraße<br />

82a an das Reutter-Stammhaus.<br />

Im Werk II wurden nach Beseitigung der Kriegsschäden<br />

bereits zu Produktionszeiten der Porsche<br />

356 Gebäude, Anlagen und Arbeitsprozesse laufend<br />

erweitert und verändert. Nach Übernahme<br />

durch Porsche erinnert heute dort nur noch wenig<br />

an die Anfänge und das Stuttgarter Karosseriewerk.<br />

Im Gegensatz dazu lebt die Geschichte in der Erinnerung<br />

ehemaliger Mitarbeiter weiter. Die meisten<br />

denken gerne an ihre Zeit „beim Reutter“<br />

zurück, war es doch für viele der Anfang einer langen,<br />

erfolgreichen Karriere. Noch Jahrzehnte nach<br />

der Lehrzeit in der Augustenstraße oder der gemeinsamen<br />

Arbeitszeit in Zuffenhausen pflegen<br />

viele den Kontakt zueinander.<br />

Ehemalige Mitarbeiter, Lehrlinge und Angehörige<br />

haben dankenswerterweise ihr Wissen und ihre<br />

Erinnerung in Wort und Bild – teilweise sehr persönlich<br />

– in dieses Buch eingebracht und damit<br />

die lange und intensive Zusammenarbeit der Firmen<br />

Reutter und Porsche wieder lebendig werden<br />

lassen.<br />

Ohne die erzählte Geschichte ehemaliger Mitarbeiter<br />

wäre also eine Rekonstruktion der Betriebsvorgänge<br />

nicht möglich gewesen. Zumal es Zeiten<br />

gab, in denen die laufende Dokumentation der<br />

Firmengeschichte aus vielerlei nachvollziehbaren<br />

Gründen eine eher untergeordnete Rolle gespielt<br />

hat, sodass viele Informationen durch Unachtsamkeit,<br />

Vernichtung, Weggabe und Vernachlässigung<br />

verloren gegangen sind.<br />

Darüber hinaus konnten nicht alle erhaltenen Dokumente<br />

und Informationen zur Rekonstruktion<br />

der Firmengeschichte genutzt werden. Merkantile<br />

Interessen stehen oft über der Notwendigkeit,<br />

Geschichte im Ganzen zu bewahren. Eine moralische<br />

Verpflichtung zur Unterstützung besteht natürlich<br />

nicht, auch wenn sie manches Mal wünschenswert<br />

wäre.<br />

Die ausführliche Dokumentation der automobilen<br />

Geschichte von Reutter und Porsche erfolgte<br />

daher anhand eigenen Archivmaterials (Familienarchiv<br />

Reutter) und in konstruktiver Zusammenarbeit<br />

mit Vertretern einer Vielzahl privater und<br />

institutioneller Archive. Insbesondere die Möglichkeit,<br />

die nahezu komplett erhaltene geschäftliche<br />

Korrespondenz zwischen den beiden Stuttgarter<br />

Unternehmen im historischen Archiv der<br />

Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG erstmalig einsehen<br />

und nutzen zu können, bedeutete eine wertvolle<br />

Ergänzung. Daraus gewonnene neue Informationen<br />

werden hoffentlich nicht nur Porsche-Enthusiasten<br />

begeistern.


11<br />

Karosseriebau im<br />

Stuttgarter Karosseriewerk Reutter:<br />

Die Jahre 1906–1918<br />

Die Veränderungen technischer, ökologischer und<br />

sozialer Art, die das Ende des 19. und den Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts kennzeichneten, spiegeln<br />

sich auch im Werdegang eines jungen Mannes<br />

wieder, der sich den wagemutigen Traum einer eigenen<br />

Karosseriefabrik erfüllte.<br />

Wilhelm Reutter, 1874 in Mittelschöntal bei Backnang<br />

geboren, hatte den Beruf des Sattlers erlernt<br />

und arbeitete als Meister in der Wagenfabrik<br />

Friedrich Reutter in Stuttgart. Deren Inhaber, Hermann<br />

Reutter, gestattete ihm, im Oktober 1906<br />

innerhalb der Firmenräume die Sattlerei in eigener<br />

Regie zu übernehmen, wo er sich hauptsächlich<br />

mit Motorwagen beschäftigte, wie Wilhelm<br />

Reutter in einem Brief vom 3. September 1907<br />

schreibt. In diesem Brief ist auch zu lesen, dass<br />

er sich entschlossen hat, eine eigene Fabrik unter<br />

dem Namen „Stuttgarter Carosserie und Radfabrik“<br />

zu gründen, die zunächst in 500 qm großen<br />

Geschäftsräumen in der Reuchlinstraße Nr. 9<br />

ihren Sitz hatte.<br />

In der Herstellung von Pferdewagen aller Art, wie<br />

sie in seiner alten Firma produziert wurden, sah<br />

Wilhelm Reutter keine dauerhafte Zukunft, nachdem<br />

Gottlieb Daimler seinen ersten Motorwagen<br />

vorgestellt hatte und die zunehmende Begeisterung<br />

für das Automobil sich in der Zahl neuer<br />

Hersteller zeigte. Er sah für sein Unternehmen<br />

eine gute Chance durch den in nächster Nachbarschaft<br />

angesiedelten Automobilbauer, die<br />

Daimler-Motoren-Gesellschaft in Cannstatt. Hier<br />

erhoffte er sich Aufträge, da dort nur Fahrgestelle<br />

und Motoren der Automobile hergestellt wurden.<br />

Die Kunden konnten dann unter einigen Karosserieherstellern<br />

wählen, um sich nach individuellen<br />

Wünschen eine Karosserie auf das Fahrgestell<br />

bauen zu lassen.<br />

Der Eintrag im Adressbuch:<br />

Reutter, Wilhelm Sattler<br />

Spezialität: Luxus- und Motorwagen,<br />

englische Geschirre<br />

unter welchem die am 1. Oktober 1906 gegründete<br />

Firma „Wilhelm Reutter, Automobil Carosserien<br />

jeder Art, Teilarbeiten und Reparaturen“ zu finden<br />

war, schien in den Anfängen ein wenig hoch<br />

gegriffen. Dennoch war der Betrieb wohl bereits<br />

im ersten Jahr erfolgreich, was ein Inserat in der<br />

„Frankfurter Zeitung“ belegt, in welchem Wilhelm<br />

Reutter einen Wagnermeister suchte. Christian<br />

Klein, damals noch als Kastenmacher bei der Firma<br />

Gebrüder Hoffmann in Offenbach tätig, nahm<br />

nach einigen Gesprächen die Stelle als Leiter<br />

der Wagnerei an. Zum gleichen Zeitpunkt wurde<br />

Herr Hoffmann, Meister bei der Firma Auer, als<br />

Schmiedemeister eingestellt. Die vorläufige Führungsmannschaft<br />

der „Stuttgarter Carosserie und<br />

Familienwappen.


12<br />

Karosseriebau im Stuttgarter Karosseriewerk Reutter<br />

Stuttgarter Karosseriewerk Reutter & Co.<br />

Inhaber W. & A. Reutter<br />

Stuttgart<br />

Reuchlinstr. 9, Augustenstr. 82<br />

Werkstattbild der Firma<br />

„Wilhelm Reutter<br />

Automobil Carosserien<br />

jeder Art“ (1908).<br />

Kopf eines<br />

Rechnungsformulars<br />

der<br />

Firma Wilhelm<br />

Reutter (1906).<br />

Radfabrik“ wurde schließlich im Jahre 1909 durch<br />

Albert Reutter, den jüngeren Bruder Wilhelm Reutters,<br />

als „Kaufmann für Kontor und Reise“ vervollständigt.<br />

Die dynamische Unternehmensentwicklung zeigte<br />

sich an der rasch wachsenden Mitarbeiterzahl,<br />

die im Jahre 1908 bereits auf 20 angestiegen<br />

war. Alle waren Spezialisten: Wagner, Schmiede,<br />

Schlosser, Flaschner, Sattler und Lackierer.<br />

Mit dem Eintritt von Albert Reutter in die Firma<br />

als Teilhaber und Kaufmännischer Leiter veränderte<br />

sich ihr gesellschaftsrechtlicher Status. Nunmehr<br />

firmierte sie unter dem Namen:<br />

Auch der Platz in der Reuchlinstraße wurde zu<br />

klein und man zog mit der Wagnerei in die Augustenstraße<br />

82 ein, dem langjährigen Stammsitz<br />

des Karosseriewerks.<br />

Es wurden in den Anfangszeiten nur Einzelkarosserien<br />

aus Holz nach Kundenwünschen gefertigt,<br />

wobei später zudem Cabriolets, Limousinen und<br />

Sportwagen für verschiedene in- und ausländische<br />

Firmen hergestellt wurden.<br />

Dies war für die Firma technisch interessant, aber<br />

sehr aufwändig und es stellte sich die Frage der<br />

Kostenreduzierung durch die zusätzliche Anfertigung<br />

von Kleinserien, bei denen allerdings die<br />

handwerkliche Qualitätsarbeit immer im Vordergrund<br />

stehen musste.<br />

Mit einem Auftrag der Wiener Hofwagen fabrik<br />

Armbruster zur Fertigung gleichartiger Phaetonund<br />

Limousinen-Rohkarosserien betrat das Unternehmen<br />

Neuland, da die nach Wien gelieferten<br />

Karosserien mit 1 - mm Aluminiumblech<br />

beschlagen wurden. Diese erste Exkursion in die<br />

blechbeplankte Karosserie wurde jedoch aufgrund<br />

des Mangels an technischem Know-how schnell<br />

wieder beendet und man kehrte zur Anfertigung<br />

der qualitativ hochwertigen, individuellen Automobilkarosserie<br />

aus Holz zurück.<br />

Albert Reutter wurde nach seinem Eintritt in die<br />

Firma 1909 zum eigentlichen Motor des Betriebes.<br />

Von Anfang an war jedoch die Produktphilosophie<br />

beider Brüder Reutter entscheidend für den<br />

Erfolg: höchste Qualität und zufriedene Kunden –<br />

neben stark motivierten Mitarbeitern. Grundvoraussetzungen<br />

hierfür waren Ordnung, Disziplin<br />

und fachliches Können. Anforderungen, die man<br />

an sich selbst stellte, erwartete man auch von Materiallieferanten.<br />

Rechnungen wurden pünktlich<br />

bezahlt, Lieferzusagen genau eingehalten.


Die Jahre 1906–1918 13<br />

Werbung für die<br />

patentierte „Reform-<br />

Karosserie“ (Mai 1913).<br />

Funktionszeichnung<br />

zu Patent Nr. 225555<br />

vom 24. Juli 1909 über<br />

ein „Klappverdeck<br />

mit Vordach, insbesondere<br />

für Motorfahrzeuge“<br />

(links).<br />

Reutter-Erzeugnisse hatten ihren Preis, aber Geschäftspartner<br />

und Kunden konnten sich auf eine<br />

solide, qualitativ hochwertige Arbeit der Firma<br />

Reutter verlassen.<br />

Einen gewaltigen Schritt nach vorne tat das Unternehmen<br />

durch das am 24. Juli 1909 erteilte<br />

Deutsche Reichspatent eines „Klappverdecks<br />

mit Vordach, insbesondere für Motorfahrzeuge“.<br />

Die unter der Bezeichnung „Reform-Karosserie“<br />

beworbene Neuerung war eine Kombination der<br />

Vorteile des Phaetons (Sommerfahrzeug) und der<br />

Limousine (Winterfahrzeug), unter Ausschluss<br />

der negativen Eigenschaften (im Winter zu kalt /<br />

im Sommer zu warm). Diesen Aufbau kann man<br />

heute mit dem eines Cabriolets vergleichen. Der<br />

Schritt von der „Einzweck-Karosserie“ zur universell<br />

einsetzbaren war vollzogen und hiermit erreichte<br />

das Unternehmen einen Bekanntheitsgrad<br />

bis nach „Hamburg, Kassel und Zürich“, was eine<br />

Ausweitung des Kundenkreises und neue Aufträge<br />

bedeutete. Die neue „Reform-Karosserie“ wurde<br />

zu einem wesentlichen Bestandteil der Fertigung.<br />

1914 erschien erstmals<br />

in der Werbung der Reiter<br />

als Symbol für die<br />

Reutter-Karosserien.


14<br />

Karosseriebau im Stuttgarter Karosseriewerk Reutter<br />

Eines der letzten Bilder<br />

von Wilhelm Reutter<br />

mit den Kindern seines<br />

Bruders, Charlotte<br />

und Otto (1915).<br />

Während des Krieges wurden zwar einige Fahrzeuge<br />

für Privatkunden fertig gestellt, die Produktion<br />

musste jedoch im Wesentlichen auf militärisch<br />

wichtige Dinge umgestellt werden. Viele der Mitarbeiter<br />

waren zum aktiven Kriegsdienst eingezogen<br />

worden, wie auch Albert Reutter selbst. Erst<br />

nachdem sich der Gesundheitszustand seines<br />

Bruders Wilhelm – er war wegen seiner Erkrankung<br />

nicht eingezogen worden – sehr verschlechterte,<br />

wurde Albert Reutter 1915 vom Militärdienst<br />

freigestellt.<br />

Viele Mitarbeiter kehrten nicht mehr aus dem<br />

Krieg zurück und qualifiziertes Personal zu finden<br />

gestaltete sich schwierig.<br />

Werbung in der<br />

Zeitschrift „Motor“<br />

(Januar 1914).<br />

In einer Anzeige aus dem Jahre 1912 wurden bereits<br />

folgende Karosserievarianten angeboten:<br />

Sportlimousine, hochmoderner Stadtwagen<br />

Sport-Phaeton, allerleichteste Bauart als Sommerkarosserie<br />

Sportlimousine, hochelegante Spezialkarosserie<br />

Landaulet-Karosserie (neueste Form der regulären<br />

Landaulet-Karosserie-Type), und endlich<br />

Reutter’s-Reform-Karosserie.D.R.P., in drei verschiedenen<br />

Typen.<br />

Das Firmenlogo des „Stuttgarter Karosseriewerk<br />

Reutter & Co.“ fand sich in der kurzen Zeit seit<br />

Bestehen des Unternehmens auf repräsentativen<br />

Fahrzeugen von Daimler und Benz sowie Wanderer,<br />

BMW, Stoewer, Opel, Adler und Horch und<br />

vereinzelt auch auf ausländischen Fahrzeugen wie<br />

Buick, Nash, Hupmobile oder Cadillac.<br />

Der Erste Weltkrieg brachte für die im Aufstieg<br />

begriffene Firma einen erheblichen Rückschlag.


15<br />

Die Jahre 1918–1930<br />

Die politischen Wirren der Nachkriegsjahre brachten<br />

eine wirtschaftlich schwierige Zeit für Unternehmer<br />

und Mitarbeiter. Die steigende Inflation<br />

verschärfte die Situation zusätzlich.<br />

1923 kam es zu einem Streik beim „Stuttgarter Karosseriewerk<br />

Reutter & Co.“, den auch die Kunden<br />

zu spüren bekamen, die seither in Bezug auf Liefertreue<br />

verwöhnt waren.<br />

Nach anfänglicher Produktion von Zimmer- und<br />

Küchenschränken – um Holzarbeitern und Lackierern<br />

eine Arbeit zu geben – konnte man durch den<br />

Eingang von Reparaturaufträgen langsam zum ursprünglichen<br />

Unternehmenszweck, dem Karosseriebau,<br />

zurückkehren.<br />

Eine über mehrere Jahre sichere Einnahmequelle<br />

brachten die Aufträge der belgischen Firma<br />

„Doyen & Fis“, die Limousinen und Phaeton auf<br />

Fahrgestellen der Daimler-Motorengesellschaft<br />

bauen ließen.<br />

Das tragende Element der Karosserien blieb noch<br />

für längere Zeit Holz, die Holz-Grundgerippe wurden<br />

jedoch immer häufiger mit Blech beplankt.<br />

Als besonders fortschrittlich galt die „Weymann-<br />

Karosserie“ – von Charles Torrés Weymann in<br />

Paris entwickelt – deren Holzgerippe mit einer<br />

von einem Drahtgeflecht gehaltenen Wattierung<br />

gepolstert und mit Kunstleder bespannt wurde.<br />

Auch das „Stuttgarter Karosseriewerk Reutter<br />

& Co.“ hatte 1924 eine Lizenz von Weymann erworben<br />

und begab sich mit der Herstellung dieser<br />

Karosserien auf das Gebiet der preiswerteren<br />

Serienfertigung. Diese Karosseriebauart hielt sich<br />

relativ lange; grundsätzlich setzte sich aber die in<br />

der Herstellung günstigere Blechverkleidung immer<br />

mehr durch, da sie wesentlich bessere Eigenschaften<br />

bot.<br />

Diese Entwicklung veränderte nicht nur die Karosserien<br />

der Autos, sondern auch die personelle und<br />

maschinelle Zusammensetzung in den Karosseriewerken.<br />

So war die Firma Reutter gezwungen<br />

diesen Wandel mitzugehen. „Auch im technischen<br />

Büro waren früher im Wesentlichen ,Holzwürmer‘<br />

tätig gewesen, meist gelernte Stellmacher. (...) Sie<br />

dachten in Holz, und sie konstruierten in Holz, sie<br />

kannten diesen Werkstoff mit all seinen guten und<br />

schlechten Eigenschaften. (...) Nun kam der neue,<br />

für sie tote Werkstoff Stahl, von dem sie nichts ver­<br />

Hauptkunden der<br />

1920er-Jahre waren die<br />

Daimler-Motoren-Gesellschaft,<br />

Benz & Cie.<br />

und nach Fusion ab<br />

1926 die neue Daimler-<br />

Benz AG. Zeichnung<br />

Nr. 2416: Mercedes<br />

Sport-Phaeton.


16<br />

Karosseriebau im Stuttgarter Karosseriewerk Reutter<br />

Ganzseitige Werbung<br />

in Zeitschrift „Motor“<br />

(Juli / August 1921).<br />

Auf der Automobilausstellung<br />

1921 in<br />

Berlin präsentierte<br />

Reutter eine ziselierte<br />

Aluminium-Karosserie.<br />

Der handgearbeitete<br />

Aufbau war ein<br />

Publikumsmagnet<br />

und demonstrierte die<br />

vielfältige Leistungsfähigkeit<br />

des Stuttgarter<br />

Karosseriewerks.<br />

standen. Sie mussten lernen, dass auch er verschiedene<br />

Eigenschaften haben konnte. (...) Es bedurfte<br />

einer völlig anderen Ausbildung, um dieses Material<br />

berechnen und verarbeiten zu können. Und nicht<br />

nur das Material für die Karosserieteile selbst, sondern<br />

auch für die Konstruktion von Werkzeugen und<br />

Vorrichtungen, die erst die Voraussetzungen für eine<br />

gleichmäßigere, bessere, schnellere und letzten Endes<br />

billigere Fertigung brachten“ (Zitat Friedrich<br />

Greger).<br />

1921 präsentierte Reutter auf der Automobilausstellung<br />

in Berlin als Besonderheit einen Phaeton<br />

mit einer ziselierten Karosserie aus Aluminium<br />

und wollte so die Leistungsfähigkeit des Unternehmens<br />

darstellen. 1924 erschien eine Werbung<br />

mit dem Hinweis auf den Bau von „Aluminiumkarosserien,<br />

nach patentiertem Verfahren mattiert“.<br />

Die Jahre nach dem Krieg waren somit unter<br />

Schwierigkeiten, aber durch viele eingegangene<br />

Aufträge ohne Krise überstanden. Mit dem Gewinn<br />

des Unternehmens sah es aufgrund der steigenden<br />

Inflation, der guten Arbeitslage zum Trotz,<br />

allerdings schlecht aus. Daher waren Aufträge aus<br />

dem Ausland willkommen, die in Devisen abgerechnet<br />

wurden. Hierzu gehörten Bestellungen<br />

aus Belgien, der Schweiz, südamerikanischen<br />

Ländern und sogar China.<br />

Am 15. September 1923 wurde die Inflation von<br />

Amts wegen beendet und neues Geld ausgegeben.<br />

Der Rentenmark folgte die Reichsmark (RM).<br />

Es wurde in Deutschland wieder ein geordnetes<br />

Wirtschaften möglich, was sich auf den Automobilmarkt<br />

und damit natürlich auch auf den Karosseriebau<br />

auswirkte.<br />

In dieser Zeit war es das große Verdienst von Albert<br />

Reutter und seiner Mannschaft, die Umstellung<br />

von der Einzel- auf die Serienfertigung voranzutreiben.<br />

Alle Last lag nun auf seinen Schultern,<br />

da sein Bruder Wilhelm ab 1918 bis zu seinem Tod<br />

am 5. August 1939 die Firma nie mehr betreten<br />

sollte. Dennoch verweigerte Wilhelm die Zustimmung<br />

zum Verkauf seiner Anteile an seinen Bruder<br />

Albert. Stattdessen wurde 1925 Ernst Körner,<br />

dem „Privatsekretär“ von Wilhelm Reutter, „eine<br />

lebenslängliche Anstellung“ in der Firma Stuttgarter<br />

Karosseriewerk Reutter & Co. zugestanden. Er<br />

hatte in dieser Funktion Wilhelm Reutters Interessen<br />

zu vertreten und mit Albert Reutter zusammenzuarbeiten.<br />

Am 23. November 1927 wurden neue Strukturen


Die Jahre 1918–1930 17<br />

Nachweis jedes<br />

Reutter-Aufbaus ist<br />

ein Schild des Herstellers.<br />

Hier eine<br />

frühe Karosse rie-<br />

Plakette (ca. 1923).<br />

Eigenentwicklungen<br />

wie dieses<br />

Türschloss zur<br />

Steigerung des Fahrkomforts<br />

wurden im<br />

Lizenzvertrieb vermarktet<br />

– eine nicht<br />

zu unterschätzende<br />

Einnahmequelle<br />

(1924).<br />

geschaffen und die Firma in eine GmbH umgewandelt.<br />

Ab diesem Zeitpunkt firmierte das Unternehmen<br />

als „Stuttgarter Karosseriewerk Reutter &<br />

Co. GmbH“.<br />

Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in<br />

Deutschland änderte sich allmählich das Straßenbild.<br />

Etliche Kleinwagenhersteller erkannten die<br />

Chance, den Deutschen ihren Traum vom eigenen<br />

Automobil zu erfüllen. Im Jahre 1924 waren 420 000<br />

Fahrzeuge zugelassen, im Jahre 1928 waren es bereits<br />

1,2 Millionen Fahrzeuge. Das Auto begann in<br />

Deutschland zu einem allgemeinen Gebrauchsgut<br />

zu werden. An dem Erfolg der Kleinwagenherstellung<br />

hatte Reutter zwar keinen Anteil, aber auch<br />

hier gingen zahlreiche neue Bestellungen ein. Diese<br />

kamen meist direkt von Automobilherstellern,<br />

die Kleinserien in Auftrag gaben. Die Tagesproduktion<br />

stieg von einem über drei, sechs auf zwölf<br />

Wagen, da man Arbeitsgänge rationalisieren und<br />

Karosserien der gleichen Bauart herstellen konnte.<br />

Auf diese Weise fertigte man parallel bis zu<br />

vier verschiedene Karosserietypen für Automobilfirmen<br />

wie Adler, Austro-Daimler, Ansaldo, Benz,<br />

BMW, Bugatti, Buick, Daimler, Dixi, Fiat, Horch,<br />

Mauser, Maybach, Minerva, NSU, Opel, Steiger<br />

und Wanderer und ab 1926 Daimler-Benz. Die Kapazitäten<br />

des Werkes waren so stets voll ausgelastet,<br />

die Belegschaftszahlen lagen zwischen 200<br />

und 400 Mitarbeitern. Aufträge zu Einzelanfertigungen<br />

waren bei Unternehmensleitung und Mitarbeitern<br />

gerne gesehen, konnte man so doch sein<br />

hohes fachliches Können unter Beweis stellen.<br />

Für das Design der Reutter-Karosserien zeichneten<br />

ab 1927 bzw.1930 die beiden Konstrukteure<br />

und Techniker August Riede<br />

und Rudolf Lüders verantwortlich, die<br />

ihre Zeichnungen mit „AR“ und „L“ signierten.<br />

Nicht selten findet man die Anmerkung<br />

„Sonderanfertigung“ in den Kommissionsbüchern<br />

als Zeichen für den Auftrag eines<br />

Prototyps, also einer ersten Ausführung. War dieser<br />

Auftrag zufrieden stellend, folgte nicht selten<br />

der Auftrag für die Serie.<br />

Neben Einzel- und Sonderaufbauten für nahezu<br />

alle Fahrzeughersteller der Zeit waren Aufträge<br />

zu Aufbauten auf Fahrgestelle der Stuttgarter<br />

Firma Daimler-Benz noch die Haupteinnahmequelle<br />

für das Karosseriewerk. Aus der Fusion<br />

Auch als Lizenznehmer<br />

war Reutter aktiv:<br />

Seit 1924 baute man<br />

in Lizenz der französischen<br />

Firma Weymann<br />

Karosserien in<br />

Holz-Leichtbauweise.


18<br />

Karosseriebau im Stuttgarter Karosseriewerk Reutter<br />

Neben Grundaufbau<br />

und Karosserie-Außenhaut<br />

war Reutter<br />

auch für die Innenausstattung<br />

verantwortlich.<br />

Die Möglichkeiten<br />

waren für die<br />

damalige Zeit nahezu<br />

unbegrenzt: Elektrische<br />

Deckenbeleuchtung,<br />

Leselampe,<br />

Telefon-Sprechapparat<br />

zum Fahrer und<br />

eine Vase sind Merkmale<br />

dieser luxuriösen<br />

Innenausstattung.<br />

Nach der Lehre im väterlichen<br />

Betrieb lernte<br />

Gottlob Auwärter drei<br />

Jahre den Beruf des<br />

Karosseriebauers bei<br />

Reutter. Nach erfolgreicher<br />

Meisterprüfung<br />

(1927) gründete er –<br />

auch auf Basis seiner<br />

bei Reutter erlernten<br />

Fähigkeiten – eine eigene<br />

Karosseriefirma<br />

für Omnibusse. Diese<br />

erlangte unter dem<br />

Namen NEOPLAN<br />

(ab 1953) Weltruf.<br />

1926 entstanden, waren bereits zuvor sowohl die<br />

Daimler-Motoren-Gesellschaft (Stuttgart), sowie<br />

die Firma Benz & Cie. (Mannheim) Kunden von<br />

Reutter. Seit Anfang der 1920er-Jahre stand der<br />

Daimler-Motoren-Gesellschaft ein eigenes Karosseriewerk<br />

in Sindelfingen zu Verfügung, sodass<br />

nach und nach die Aufträge für Reutter auf Einzelfahrzeuge<br />

reduziert wurden. Nach Gründung<br />

der neuen Firma Daimler-Benz AG gingen die Bestellungen<br />

bis Anfang der 1930er-Jahre so deutlich<br />

zurück, dass sich die Geschäftsleitung bei Reutter<br />

verstärkt um neue Kunden und Aufträge bemühen<br />

musste.<br />

Ungefähr auf die Mitte der 1920er-Jahre ist der<br />

Beginn einer jahrelangen Geschäftsbeziehung<br />

mit den Wanderer-Werken in Chemnitz zu datieren.<br />

Die Chancen für Reutter standen gut, mit<br />

ihnen einen neuen Hauptkunden gewinnen zu<br />

können, denn aus Kapazitätsmangel im eigenen<br />

Karosseriebau vergaben die Wanderer-Werke Aufträge<br />

an Fremdfirmen. Im Karosseriewerk Reutter


291<br />

Danksagung<br />

Für die Unterstützung bei den Vorbereitungen zum<br />

Buch „Porsche 356 – made by Reutter“ kann ich an dieser<br />

Stelle leider nicht allen namentlich danken, die es<br />

verdient hätten. Es waren zu viele!<br />

Aus der Gruppe ehemaliger „Reutterianer“ möchte ich<br />

mich besonders bei dem Meister der Lehrwerkstatt,<br />

Herrn Eugen Böpple, für seine Unterlagen und Informationen<br />

bedanken, die das „Aufspüren“ alter Mitarbeiter<br />

erst ermöglichten.<br />

Daneben haben mir ehemalige Chefkonstrukteure wie<br />

Herr Theodor Bauer oder deren Nachkommen wie Herr<br />

Dr. Dr. Ewald Riede und Herr Rüdeger Lüders immer<br />

geholfen, das Dunkel der Firmengeschichte zu beleuchten.<br />

Stellvertretend für die ehemaligen Lehrlinge sei Herrn<br />

Jörg Beierbach und Herrn Siegfried Leibbrand gedankt.<br />

Mit vielen historischen Bildern, Zeichnungen und teilweise<br />

sehr genauen Erinnerungen zu Personen und<br />

Werksabläufen waren sie wichtige Zeitzeugen.<br />

Ebenso sei allen, die mit ihrer Zeit, mit kurzen oder<br />

längeren Geschichten aus der Vergangenheit geholfen<br />

und/oder ihr privates Fotoalbum für dieses Buch geöffnet<br />

haben, herzlich gedankt. Die Bereitschaft, an das<br />

Karosseriewerk und seine Mitarbeiter zu erinnern, war<br />

überwältigend. Bitte beachten Sie die Quellenangabe zu<br />

den verwendeten Bildern; die Vielzahl der Bildquellen<br />

zeigt die enorme Unterstützung.<br />

Unser Buch „Stuttgarter Karosseriewerk Reutter – von<br />

der Reformkarosserie zum Porsche 356“ diente als<br />

Grundlage für den Überblick der Zeit von 1906 bis 1949.<br />

Herrn Dr. Bernd Wiersch danke ich nochmals für die<br />

seinerzeitige große Hilfe bei der textlichen Buchgestaltung.<br />

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich Personen und<br />

Institutionen erwähnen, die eine tragende Stütze zu<br />

diesem Buch waren: Herzlichen Dank an Herrn Dieter<br />

Landenberger, Herrn Dieter Gross und Herrn Dr. Heinz<br />

Rabe (Historisches Archiv Porsche). Historische Akten,<br />

Bilder und Zeitschriften erstmals im Archiv einsehen<br />

und verwenden zu dürfen, bedeutete Arbeit und besondere<br />

Freude zugleich. Herrn Jens Torner (ebenfalls Historisches<br />

Archiv Porsche) bin ich zu besonderem Dank<br />

für seinen „Dienst deutlich über die Vorschrift hinaus“<br />

verpflichtet.<br />

Ich danke den Verantwortlichen des Museums „PROTO -<br />

TYP“ / Hamburg (Thomas König) und der Stiftung<br />

Domnick / Nürtingen (Dr. Werner Esser) für ihre Unterstützung.<br />

Herrn Dr. E.h. Konrad Auwärter und seinen Mitarbeitern<br />

danke ich für die unermüdliche Hilfe und Zusammenarbeit<br />

bei der Oldtimerveranstaltung „Retro Classics ® “<br />

in Stuttgart, ebenso wie vielen weiteren Personen, die<br />

mir mit Rat und Tat zur Seite standen.<br />

Herrn Uwe Biegner sei herzlich gedankt für die fachund<br />

sachkundige Hilfe bei der Bildzusammenstellung,<br />

Fragen der Datierung und Klärung vieler kleiner Details.<br />

Dem <strong>Delius</strong> <strong>Klasing</strong> Verlag (Bielefeld) danke ich für die<br />

erneut gute Zusammenarbeit.<br />

Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank meinen Eltern<br />

für ihre Unterstützung in allen Bereichen und damit die<br />

Möglichkeit, die Recherchen und Arbeiten zu diesem<br />

Buch durchführen zu können. Ohne sie hätte das Buch<br />

nicht entstehen können.<br />

Koblenz, im Frühjahr 2011<br />

Frank Jung<br />

Zu Fragen, Anregungen, Kritik und Hinweisen kontaktieren<br />

Sie mich gerne unter: www.reutter-karosserie.de

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