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6 Kultur Nordbayerischer <strong>Kurier</strong> - Montag, 3. Juni 2013<br />
Dilettantismus, der das Ohr erfreut<br />
Das Bayerische Ärzteorchesterüberzeugt mit einem perfekten Klangkörper –LeereStuhlreihen in der Stadthalle mindernSpiellust nicht<br />
BAYREUTH<br />
Von Michael Weiser<br />
An Abenden wie diesem wird<br />
einem klar, wie sehr das Wort<br />
„Dilettant“ im Sprachgebrauch<br />
heruntergekommen<br />
ist. Denn damit meint man ja nicht,<br />
dass man jemanden aus Freude und<br />
<strong>um</strong> der Sache Willen ans Werk gehen<br />
sieht. Man will jemandem vielmehr ein<br />
abwertendes Urteil unterjubeln, als<br />
seien die Dilettanten an sich dermaßene<br />
Banausen wie die Handwerker im<br />
„Sommernachtstra<strong>um</strong>“. Dabei ist es im<br />
Gegenteil so, dass der Dilettant abseits<br />
des Broterwerbs zu hohen Leistungen<br />
fähig ist; man denke an den Mathematiker<br />
Alfred Pringsheim und an<br />
die Bearbeitungen von Werken seines<br />
Idols Richard Wagner.<br />
Dies sei vorausgeschickt, damit klar<br />
ist, war<strong>um</strong> man das Bayerische Ärzteorchester<br />
getrost als Dilettanten-Ensemble<br />
bezeichnen darf. In den späten<br />
60er Jahren von Reinhard Steinberg<br />
mitbegründet, ist es z<strong>um</strong> Klangkörper<br />
der Mediziner geworden, die sich nach<br />
musikalischer und medizinischer Ausbildung<br />
für den Heilberuf entschieden<br />
und nicht wie etwa Christian Gerhaher<br />
für die Bühne. Geübt wird während<br />
eines Arbeitsurlaubs im unterfränkischen<br />
Schloss Craheim, für ein<br />
Programm der vielen gemeinsamen<br />
Nenner zwischen Musikern und Publik<strong>um</strong>.<br />
Wie etwa in der Bayreuther<br />
Stadthalle. Exotisches wie Wagners<br />
selten gespielte „Faust“-Ouvertüre,<br />
Zeitgenössisches wie Wilfried Hillers<br />
Stück „Pegasus 51“ für Orchester und<br />
Jazz-Schlagzeug und Hitverdächtiges<br />
wie Anton Dvoraks Sinfonie „Aus der<br />
Als Rhythmusakrobat erwies sich Schlagzeuger Claudio Estay González, Solist am Nationaltheater, beim Konzert des Ärzteorchesters.<br />
Foto: Kolb<br />
neuen Welt“.<br />
eines fernen Sterns“ andeuten. Und, legte, die andere mit einem Doppelpedal<br />
Musik beseelt, das konnte man den Ge-<br />
geblieben. Das Ärzteorchester nahm es<br />
Ein Programm mit vorsichtigen Anreizen,<br />
ja, tatsächlich hört man ein geflügeltes<br />
nicht erreichen.<br />
sichtern der Musiker ansehen, hinter den Bayreuthern nicht kr<strong>um</strong>m, es<br />
auf Entdeckungsreise zu gehen<br />
und womöglich auch mal die zeitgenössische<br />
Pferd galoppieren und tanzen, dank<br />
der hohen Klasse des Solisten, des Na-<br />
Mit González Nachweisen technischer<br />
Klasse im Mittelteil des Konzerts<br />
deren geschlossenen Augenlidern auch<br />
der Gedanke an die leeren Sitzreihen<br />
strahlte, es machte Freude. Und gab sogar<br />
eine Zugabe. Verdi, „La forza del<br />
Musik näher anzusehen. Bei tionaltheater-Schlagzeugers Claudio wäre man aber dem Geheimnis des in der Stadthalle keinen Platz mehr destino“, dies <strong>um</strong> so schöner und be-<br />
Wilfried Hiller halten sich die Z<strong>um</strong>utungen<br />
gemessen an anderer neuer<br />
Musik zurück, in seiner Klangmalerei<br />
Estay González: Ein Rhythmusakrobat,<br />
der einen Fünf-Viertel-Takt lässig<br />
ins Hillersche Grundgerüst einstreichelt,<br />
Abends nicht auf die Schliche gekommen.<br />
Das lag nicht etwa in der Perfektion<br />
des Klankörpers –mitunter hat-<br />
hatte.<br />
Entweder, weil die Bayreuther <strong>um</strong><br />
die Klangqualitäten ihrer Stadthalle<br />
merkenswerter, weil man Verdi zu seinem<br />
Jubilä<strong>um</strong>sjahr in Bayreuth ja sonst<br />
nur selten hören wird. Dilettieren hat<br />
öffnet das Stück den Blick auf Welten,<br />
ein diszipliniert-verspielter te Steinberg am Pult ganz schön da-<br />
wissen oder weil sie durch den An-<br />
als Wurzel das lateinische Wort für „er-<br />
angefangen bei den ersten schwebenden<br />
Tönen einer Tempelglocke, die<br />
Schlagwerker, der mit seiner Basstrommel<br />
ein Donnern von einer Geschwindigkeit<br />
mit zu tun, seine auseinanderstrebenden<br />
Gruppen zusammenzuhalten –, es<br />
blick des Schlagzeugs auf Abstand gehalten<br />
wurden, waren vor allem die<br />
freuen“. Man dachte, wie gesagt, so intensiv<br />
wie selten über seine Bedeu-<br />
nach Hillers Worten das „Schimmern<br />
und Präzision unter-<br />
lag in seiner Ausstrahlung. Wie sehr ersten Reihen fast gänzlich unbesetzt tung<br />
nach.<br />
Zwischen Pathos undParty<br />
Depeche Mode startenDeutschland-Tour im ausverkauftenMünchner Olympiastadion<br />
MÜNCHEN<br />
Von Elisa Britzelmeier, dpa<br />
Es ist kalt, es ist nass, die Finger sind<br />
klamm. „Lasst mich eure Hände sehen“,<br />
ruft Depeche-Mode-Frontmann<br />
Dave Gahan (51) den Fans zu. Da verwandelt<br />
sich das ausverkaufte Münchner<br />
Olympiastadion in ein klatschendes<br />
Meer aus Regenjacken und Wintermänteln.<br />
Voller Energie spielt die<br />
britische Synthie-Pop-Band am Samstagabend<br />
vor 63 000 Menschen ein<br />
zweistündiges Konzert – gelungener<br />
Start der Deutschland-Tour.<br />
Pünktlich z<strong>um</strong> Konzertbeginn macht<br />
der Dauerregen eine Pause und die<br />
fünfköpfige Gruppe eröffnet ihre Show<br />
mit den w<strong>um</strong>mernden Klängen von<br />
„Welcome To My World“ aus dem aktuellen<br />
Alb<strong>um</strong> „Delta Machine“. Die<br />
Band begeistert das Publik<strong>um</strong> mit Klassikern<br />
wie „Personal Jesus“ und „Just<br />
Can’t Get Enough“ sowie mit aktuellen<br />
Songs wie „Heaven“. <strong>Ihre</strong>n ersten Hit<br />
in Deutschland, „People Are People“,<br />
spielt Depeche Mode jedoch nicht.<br />
Im Vorfeld hatte Keyboarder Andrew<br />
Fletcher (51) bessere Konzerte<br />
versprochen: Da er mittlerweile das<br />
einzige Bandmitglied sei, das noch<br />
trinke, bekommt das Publik<strong>um</strong> jeden<br />
Abend „99,9 oder 100 Prozent“. Von<br />
den Drogengeschichten der Vergangenheit<br />
ist in München nichts zu spüren.<br />
Die Fans genießen unterschiedlichste<br />
Stimmungen, von Pathos bis<br />
Party. Gahan tänzelt gewohnt lasziv<br />
über die Bühne, bei zwei der ruhigeren<br />
Songs und einer Zugabe übernimmt<br />
Martin Gore (51) unter Jubelrufen<br />
aus dem Publik<strong>um</strong> den Gesang.<br />
Die Depeche-Mode-Musiker, die aus<br />
dem nordenglischen Basildon stammen,<br />
stehen seit rund drei Jahrzehnten<br />
gemeinsam auf der Bühne und gelten<br />
mit mehr als 100 Millionen verkauften<br />
Tonträgern als eine der erfolgreichsten<br />
Bands der Welt. Das 13.<br />
Studioalb<strong>um</strong> „Delta Machine“ schaffte<br />
es im April aus dem Stand auf Platz<br />
eins der deutschen Charts.<br />
Exaltierte Posen sind Depeche-Mode-Fans seit nunmehr 30 Jahren von Sänger<br />
David Gahan gewohnt.<br />
Foto: dpa<br />
Nike Wagner geht<br />
mit„Wagner-Idyll“<br />
Viel Zeitgenössisches beim Kunstfest Weimar<br />
WEIMAR<br />
Mit einem „Wagner-Idyll“ nimmt<br />
Kunstfest-Chefin Nike Wagner im<br />
Sommer nach zehn Jahren Abschied<br />
von Weimar. Der Titel sei ein Widerspruch<br />
in sich. „Wagner steht für Überdimensioniertes,<br />
das Idyll verbindet<br />
man eher mit dem lauschigen kleinen<br />
Weimar“, sagt die Urenkelin des Komponisten<br />
Richard Wagner. „Wir präsentieren<br />
den verschlankten, den reduzierten,<br />
den idyllischen Wagner zu<br />
seinem 200. Geburtstag im Spiegel der<br />
zeitgenössischen Kunst.“ Für große<br />
Aufführungen fehle auch das Budget.<br />
Besucher können sich von 23. August<br />
bis 14. September auf einen verkürzten<br />
„Ring des Nibelungen“ mit dem<br />
Salzburger Marionettentheater und auf<br />
einen verfremdeten „Lohengrin“ aus<br />
der Sicht Georg Nussba<strong>um</strong>ers freuen –<br />
im neuen Kunstfest-Spielort in Weimar,<br />
dem sanierungsbedürftigen alten<br />
Schießhaus und seinem verwilderten<br />
Park. Im Original ist „Lohengrin“ im<br />
Deutschen Nationaltheater zu sehen.<br />
Kulturnotizen<br />
Africa-Festival in Halle verlegt: „Es war<br />
die richtige Entscheidung zur richtigen<br />
Zeit. Das bestätigen uns auch alle<br />
Behörden.“ Z<strong>um</strong> ersten Mal in der 25-<br />
jährigen Geschichte des Würzburger<br />
Africa-Festivals ist die <strong>vier</strong>tägige Veranstaltung<br />
wegen Hochwassers spontan<br />
abgesagt worden, Mitorganisator<br />
Stefan Oschmann zeigte sich am Sonntag<br />
zufrieden mit der Umplanung. Alle<br />
Abendkonzerte –und damit das Kernprogramm<br />
des Festivals –fanden statt<br />
auf den Mainwiesen in einer Halle am<br />
Hauptbahnhof statt. Am ersten Festivaltag<br />
zählten die Veranstalter mehr<br />
als 15 000 Besucher, üblicherweise<br />
kommen rund 100 000 Besucher an allen<br />
<strong>vier</strong> Tagen. Die Stadt hat laut Oschmann<br />
eine Spendenaktion für das Festival<br />
gestartet, <strong>um</strong> die Verluste der Veranstalter<br />
auszugleichen.<br />
Heimspiel auf der Bühne: Seit Jahren<br />
ermittelt Schauspieler Dietmar Bär als<br />
Kölner „Tatort“-Kommissar Freddy<br />
Schenk, doch seine wirklichen Heimspiele<br />
hat er im Boch<strong>um</strong>er Schauspielhaus.<br />
„Jeder Abend in Boch<strong>um</strong> ist<br />
ein Ereignis, ein Fest“, sagt Bär. „Für<br />
mich sind das Heimspiele. Das ist meine<br />
Stadt, das ist meine Region, ich gehör<br />
hierher.“ Bär spielt am 7. Juni in<br />
Boch<strong>um</strong> in der Premiere von Carl<br />
Sternheims „Aus dem bürgerlichen<br />
Heldenleben“ die Hauptrolle des Theobald<br />
Maske.<br />
dpa<br />
„Nieder mit Wagner!“ ist ein Abend<br />
mit französischen Liedern überschrieben.<br />
Außerdem gibt es einen Wagner-<br />
St<strong>um</strong>mfilm von 1913 sowie Diskussionen<br />
z<strong>um</strong> Wagner-Gesang gestern und<br />
heute. In der Galerie ACC zeigen junge<br />
Künstler Arbeiten unter dem Lohengrin-Motto<br />
„Mein lieber Schwan“. Star-<br />
Geiger Gideon Kremer und die Kremerata<br />
Baltica spielen Kammermusik von<br />
Franz Liszt und Franz Schubert. Choreograph<br />
William Forsythe wird mit<br />
seiner Company und dem Semperoper-<br />
Ballett mit drei Stücken zu erleben sein.<br />
Traditionell eröffnet wird das Kunstfest<br />
mit dem Konzert „Gedächtnis Buchenwald“<br />
in Erinnerung an die 56 000 Toten<br />
des Konzentrationslagers.<br />
Die Klassikerstadt Weimar will nach<br />
der Ära Nike Wagners, die 2014 Intendantin<br />
des Beethovenfestes Bonn werden<br />
soll, neue Wege gehen. Das zur<br />
deutschen Wiedervereinigung 1990<br />
gegründete Festival wird dem Deutschen<br />
Nationaltheater als Sparte angegliedert.<br />
Künstlerischer Leiter wird<br />
Christian Holtzhauer.<br />
dpa