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Nordbayerischer <strong>Kurier</strong> - Montag, 3. Juni 2013 Aus der Region 19<br />
LANDWIRTSCHAFT: Bauernhöfe wie im Bilderbuch verschwinden zusehends.<br />
Nicht nur, weil es gilt, den Anforderungen des Marktes Stand zu halten.<br />
Auch Auflagen der EU beschleunigen den Strukturwandel in der Landwirtschaft.<br />
ALTENREUTH/BAYREUTH<br />
Von Ulrike Sommerer<br />
EU sperrt den Stall zu<br />
Richtlinien: Schweinezüchter müssen investieren, wenn sie ihre Tiere künftig nochverkaufen wollen<br />
Wilfried Löwinger hat bis zuletzt gehofft,<br />
dass es vielleicht doch noch eine<br />
Sonderregelung gibt. Jetzt konnte<br />
er nicht mehr anders: Für 40 000<br />
Euro baute er seinen Schweinestall<br />
<strong>um</strong> –weil es die EU fordert. Die sagt:<br />
Schweine sollen Platz z<strong>um</strong> laufen haben<br />
und nicht mehr länger in den bisher<br />
üblichen Kastenständen gehalten<br />
werden. Wer diese Forderung<br />
nicht erfüllt, hat z<strong>um</strong> einen mit Sanktionenzurechnen.Z<strong>um</strong>anderenwird<br />
er seinen Stall wohl bald zusperren<br />
können.<br />
Denn an diese Auflage sind Qualitätssiegel<br />
geknüpft und ohne Siegel sei es<br />
fast unmöglich, die Ferkel noch verkaufen<br />
zu können, erklärt Löwinger.<br />
Der Altenreuther Landwirt ist nicht der<br />
einzige, der Geld in die Hand nehmen<br />
muss, ohne dadurch „auch nur einen<br />
Euro mehr zu verdienen“, bestätigt Dr.<br />
Ernst Heidrich, Leiter des Amts für<br />
Landwirtschaft und Ernährung in Bayreuth.<br />
Allein im Landkreis Bayreuth<br />
sind 30 Betriebe betroffen, etwa 90<br />
Prozent davon mussten <strong>um</strong>bauen.<br />
Löwinger hält sich an die Vorschriften.<br />
„Ob diese Vorschriften aber sinnvoll<br />
sind, ist ein anderes Thema“. Er schimpft<br />
auf Bürokraten, die sich am Schreibtisch<br />
Gedanken über angeblichen Tierschutz<br />
machen und von Praxis keine Ahnung<br />
haben. Die sehe bei ihm so aus, dass er,<br />
seit seine Sauen in den WGs leben, mehr<br />
verletzte Tiere habe. Rangkämpfe fordern<br />
ihren Tribut.<br />
„Für mich ist das ein Rückschritt, das<br />
hat mit Tierschutz nichts zu tun.“ Dazu<br />
komme, dass die Kontrolle über die<br />
Tiere schwieriger werde. In den Einzelboxen<br />
habe er einen Überblick gehabt,<br />
welche Sau wie viel gefressen habe.<br />
Rennen alle Schweine durcheinander,<br />
lasse sich dies z<strong>um</strong> Beispiel nicht<br />
Zentimeterweise Geld<br />
Förderung ist vom Kuhkomfort abhängig<br />
mehr überprüfen. Doch Löwinger hatte<br />
keine Wahl: Zwar gab es eine Übergangsfrist<br />
von zwölf Jahren, doch jetzt<br />
musste er handeln. 40 000 Euro habe er<br />
ohne Not investiert, denn die alte Aufstallung<br />
hätte noch zehn, 15 Jahre<br />
Dienst getan.<br />
Vorschriften dieser Art beschleunigen<br />
den Strukturwandel in der Landwirtschaft,<br />
sagt Heidrich. Kleine Höfe<br />
verschwinden schneller. Denn wer ohnehin<br />
plant, in einigen Jahren den Hof<br />
zu schließen, z<strong>um</strong> Beispiel weil es keinen<br />
Nachfolger gibt, investiert nicht<br />
mehr in einen Umbau, sondern gibt<br />
gleich auf.<br />
Derzeit sind vor allem die Schweinehalter<br />
von den Auswirkungen der EU-<br />
Richtlinien betroffen. Doch auch im<br />
Bereich der Rinderzucht wird über neue<br />
Vorschriften diskutiert, beispielsweise<br />
über ein Verbot der Anbindehaltung.<br />
Einen Vorgeschmack darauf gibt es<br />
Ende des Jahres für die Ökobauern.<br />
Dort soll die Anbindehaltung als erstes<br />
verschwinden. Sicher haben solche Regelungen<br />
positive Seiten, sagt Heidinger,<br />
doch auf viele Landwirte kommen<br />
Investitionen zu, die oft schwierig zu<br />
schultern wären.<br />
Und irgendwann wird das Verbot der<br />
Anbindehaltung auf alle Rinderställe<br />
ausgeweitet. Sicher nicht von heute auf<br />
morgen, und jeder neue Stall, der gebaut<br />
wird, sei ohnehin kein Anbindestall<br />
mehr. Doch „alle diese Auflagen<br />
beschleunigen auch den Wandel in<br />
Richtung größere Einheiten“. In unserer<br />
Region gebe es nach wie vor viele<br />
Platz istteuer<br />
Betriebe mit weniger als 20 Kühen. Sobald<br />
ein Verbot der Anbindehaltung<br />
kommt, werden diese verschwinden,<br />
prophezeit Heidinger.<br />
Die vielen Richtlinien zu beachten<br />
sorge auf den Höfen für schlaflose<br />
Nächte, hat Heidinger erfahren. Denn<br />
Sanktionen werden nicht nur dann verhängt,<br />
wenn tatsächliche Fehler passieren,<br />
sondern auch, wenn etwas lediglich<br />
nicht richtig aufgezeichnet wurde.<br />
Im Kopf der Bauern sei immer nur der<br />
Gedanke: Mache ich auch alles richtig?<br />
Auflagen der EU treiben beim Stallbau die Kosten in die Höhe<br />
„Rausgeschmissenes<br />
Geld“<br />
nennt Wilfried<br />
Löwinger die<br />
S<strong>um</strong>me, die er<br />
für den Umbau<br />
seines Schweinestalls<br />
aufbringen<br />
musste.<br />
40 000 Euro gab<br />
er aus, damit<br />
sein Stall den<br />
EU-Richtlinien<br />
entspricht. Andernfalls<br />
hätten<br />
ihn Sanktionen<br />
erwartet.<br />
Schlechtestenfalls<br />
hätte er<br />
seine Ferkel<br />
nicht mehr verkaufen<br />
können.<br />
Foto: Sommerer<br />
UNTERSCHWARZACH<br />
Fünf Zentimeter zu wenig –und schon<br />
gab’s weniger Geld. Vergangenes Jahr<br />
baute der 34-jährige Landwirt Thomas<br />
Meyer aus Unterschwarzach (Creußen)<br />
an den bestehenden Stall an. Wären in<br />
diesem alten Stall (Baujahr 1983) die<br />
Boxen 1,20 Meter breit und nicht nur<br />
1,15 Meter, hätte es für den Anbau einen<br />
höheren Prozentsatz Förderung gegeben<br />
–30statt 25 Prozent.<br />
Doch diese Kröte schluckte Meyer.<br />
Der Aufwand eines Umbaus zusätzlich<br />
z<strong>um</strong> Anbau hätte in keinem Verhältnis<br />
gestanden.<br />
Ansonsten hatte er keine Probleme<br />
mit den Vorschriften, die die EU ihm<br />
beim Stallbau machte. Denn „es macht<br />
gar keinen Sinn, anders zu bauen“, sagt<br />
Thomas Meyer.<br />
Deshalb war es für ihn auch klar, sich<br />
an die Anforderungen zu halten. „Wir<br />
wollen ja selbst, dass es den Kühen gutgeht.“<br />
Und: „Es baut eigentlich auch<br />
keiner mehr kleiner.“<br />
Gebaut wurde nach den Vorgaben<br />
der EU –nicht wegen dieser Vorgaben.<br />
Gebaut wurde, <strong>um</strong> den eigenen Betrieb<br />
zukunftsfähig zu halten und <strong>um</strong> sich<br />
selbst die Arbeit zu erleichtern.<br />
Vor dem Anbau waren Kühe, die kurz<br />
vorm Kalben stehen und daher nicht<br />
gemolken werden, in einem Anbindestall<br />
neben dem Wohnhaus der Familie<br />
untergebracht. Kühe, die gemolken<br />
wurden, waren im Laufstall über der<br />
Straße, sie mussten also hin und her gekarrt<br />
werden, über die Straße und mit<br />
großem Zeit- und Arbeitsaufwand.<br />
Jetzt sind alle Tiere in einem Stall untergebracht,<br />
was Zeit spart und auch<br />
Arbeitskraft. Und es gibt jetzt auf dem<br />
Hof der Familie Meyer keine Anbindehaltung<br />
mehr –einem möglichen Verbot<br />
durch die EU auch in Deutschland<br />
sieht Thomas Meyer also gelassen entgegen.<br />
us<br />
„Es macht überhaupt keinen Sinn, anders zu bauen, als die EU vorschreibt“,<br />
sagt Thomas Meyer aus Unterschwarzach. Er und seine Frau Daniela haben an<br />
den bestehenden Stall angebaut. Weil im Altbau Boxen fünf Zentimeter enger waren,<br />
als von der EU gedacht, gingen ihnen für den Anbau Fördergelder durch die Lappen.<br />
Foto: Sommerer<br />
LANKENDORF<br />
Die Kuh soll’s schön haben: Kuhkomfort heitß das Zauberwort, wenn es <strong>um</strong><br />
den Neubau von Rinderställen geht. In erster Linie bedeutet dies, dass die EU<br />
dem Tier viel Platz zubilligt. Auflagen dieser Art verteuern den Stallbau jedoch.<br />
Hans Engelbrecht aus Lankendorf rechnet, dass ihm beim Stallbau durch EU-<br />
Richtlinien rund 100 000 Euro Mehrkosten entstanden sind. Foto: Archiv/Ritter<br />
Wenig Spielra<strong>um</strong><br />
„Es gibt beim Stallbau wenig Spielra<strong>um</strong>,<br />
überhaupt anders zu denken“,<br />
sagt Jürgen Ganzleben.Der 40-jährige<br />
Landwirt aus Neudorf (Bad Berneck)<br />
hat im vergangenem Jahr zusammen<br />
mit seinem Kollegen Karl Ordnung einen<br />
neuen Stall für 100 Rinder gebaut.<br />
Auf die Fördergelder könne bei<br />
einem solchen Bau nicht verzichtet<br />
werden, also baue man nach den<br />
Richtlinien der EU, erklärt Ganzleben.<br />
Probleme hätten ihm diese Auflagen<br />
aber nicht bereitet. Die Arbeit im<br />
alten Anbindestall sei wesentlich<br />
schwerer gewesen als jetzt im neuen,<br />
EU-konformen Stall. Denn auch das<br />
müsse man bei einem Neubau im Auge<br />
behalten: Die Arbeit auf dem Hof<br />
müsse bewältigt werden können. us<br />
100 000 Euro. Mindestens. Hans Engelbrecht<br />
aus Lankendorf nennt die<br />
S<strong>um</strong>me schulterzuckend. 100 000 Euro<br />
Mehrkosten für seinen neuen Stall<br />
–nur wegen der Auflagen der EU. Die<br />
sehen vor allem eines vor: Kuhkomfort.<br />
In erster Linie heißt das, dass die<br />
Kuh genug Platz braucht.<br />
Ein Beispiel: Jede Kuh muss im Stall<br />
fünf Quadratmeter nutzen können.<br />
Oder: Laufgänge zwischen den Liegeboxenreihen<br />
müssen mindestens 2,40<br />
Meter breit sein, am Futtertisch mindestens<br />
3,50 Meter. Der Kuh müsse ein<br />
Liegeplatz mit trockenem Stroh oder<br />
einer sogenannten Komfortmatte (eine<br />
bequeme G<strong>um</strong>mimatte) zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Doch Platz kostet Geld. Jeder Zentimeter,<br />
den ein Stall breiter und länger<br />
wird,verschlingtS<strong>um</strong>men.Engelbrecht<br />
lag selbst viel am sogenannten Kuhkomfort<br />
–eine Kuh, die sich wohl fühlt,<br />
bringe mehr Leistung. Stress dagegen<br />
könne bei Kühen zu Unfruchtbarkeit<br />
führen, er wirke sich auf die MilchmengeunddieInhaltsstoffederMilchaus.<br />
Also ist’s dem Bauern nicht egal, wie<br />
es der Kuh geht. Und so hat Engelbrecht<br />
ohnehin viel Ra<strong>um</strong> pro Kuh vorgesehen,<br />
mehr noch als die EU. Er hat den Stall<br />
sehr hoch gebaut (für bessere Luft), das<br />
Dach isoliert, eine Massagebürste für<br />
die Kühe eingebaut und natürlich die<br />
Anbindehaltung aufgegeben. Engelbrecht<br />
hat mehr getan, als nötig gewesenwäre.<br />
Vorschriften einzuhalten kostet Geld.<br />
Doch wer die Vorschriften nicht einhält,<br />
erhält keine Förderung. So einfach ist<br />
das. Also wird Geld ausgegeben, <strong>um</strong><br />
Zuschüsse zu erhalten. 20 000 Euro<br />
beispielsweise habe es gekostet einen<br />
offiziellen Betreuer für den Stallbau zu<br />
engagieren.UndeinsolcherBetreuerist<br />
eben auch eine Voraussetzung <strong>um</strong> Fördergelderzuerhalten.<br />
Gegängelt fühlt sich Engelbrecht<br />
durch EU-Auflagen beim Stallbau aber<br />
nicht. Da gebe es ganz andere Baustellen,<br />
sagt er und holt eine 118 Seiten<br />
starke Broschüre heraus. Voll mit Auflagen<br />
die Bauern erfüllen müssen, wollen<br />
sie Fördergelder über Cross Compliance<br />
bekommen, grob gesagt für die<br />
Einhaltung von Umweltstandards, eigentlich<br />
gedacht als Ausgleich für ungleiche<br />
Erzeugungsbedingungen auf<br />
demWeltmarkt.<br />
Die Familie Engelbrecht hat den Stall<br />
–inerster Linie –nicht wegen der Anforderungen<br />
aus Brüssel gebaut. Sondern<br />
<strong>um</strong> in der Landwirtschaft eine Zukunft<br />
zu haben, will Sohn Christian den<br />
Hofdochweiterführen.<br />
Noch ist die Anbindehaltung in<br />
Deutschland nicht verboten, das Verbot<br />
wird aber kommen. Wer dann seinen<br />
Stall nicht entsprechend aufgerüstet<br />
hat, „für den heißt es dann irgendwann:<br />
zusperren“.<br />
us