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Vorwort zur Broschüre - Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V.

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Schülers Leid und Lehrers Freud? Ein Blick auf dreihundertdreißig Jahre<br />

Schulgeschichte<br />

Also lautet ein Beschluß:<br />

Daß der Mensch was lernen muß.<br />

Nicht allein das Abc<br />

Bringt den Menschen in die Höh,<br />

Nicht allein im Schreiben, Lesen<br />

Übt sich ein vernünftig Wesen;<br />

Nicht allein in Rechnungssachen<br />

Soll der Mensch sich Mühe machen;<br />

Sondern auch der Weisheit Lehren<br />

Muß man mit Vergnügen hören.<br />

(Wilhelm Busch: Max und Moritz. Vierter Streich)<br />

Der vorliegende Band vereint die Beiträge des Tages der Regional- und Heimatgeschichte<br />

<strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong> vom 29. Oktober 2011. Manch wohlmeinende Stimme hatte uns vorab<br />

gewarnt: Erstens wäre das ein furchtbar langweiliges Thema und zweitens käme da sowieso<br />

nichts Neues bei raus. Unsere Konferenz überzeugte uns vom Gegenteil und Sie, liebe<br />

Leserinnen und Leser hoffentlich auch.<br />

Sicher, von und über Schule hat jede und jeder seine Meinung. Manchmal keine gute;<br />

unangenehme Erfahrungen prägen sich oft lebenslang ein. Es gibt aber auch das Gegenteilige:<br />

„Der alte Schulhof ist der schönste Platz, den's für mich gibt,<br />

hier war ich zum ersten Mal verliebt.“<br />

So der Refrain eines einstmals populären Liedes von Wolfgang Protze aus Potsdam. Aber<br />

Protze hatte auch auf Lehrer studiert. Das hat allerdings nichts zu sagen. Aus den größten<br />

Rabauken wurden und werden häufig die besten Pädagogen. Auf jeden Fall, Sie merken es<br />

schon, treibt das Nachdenken über die persönlichen Erfahrungen in den pädagogischen<br />

Provinzen wohl jede und jeden von uns über alle Höhen und Tiefen der eigenen Gefühlswelt.<br />

Das war zu allen Zeiten so und das wird auch immer so bleiben.<br />

Insofern ist es auch nicht überraschend, wenn Sie beim Lesen der Beiträge dieses Heftes<br />

Kontinuitäten wahrnehmen werden: Schule war und ist immer konstitutiver Bestandteil von<br />

„Herrschaft“, also staatlicher Regulierung unterworfen. Peter Bahl weist in seinem<br />

„Bemerkungen <strong>zur</strong> Schulgeschichte im ländlichen Raum Brandenburgs“ – zu dem das<br />

Territorium unseres Bezirkes über Jahrhunderte hinweg gehörte – nachdrücklich auf diesen<br />

Aspekt hin: „...der geistliche Schulinspektor war in dieser seiner Eigenschaft im Grunde<br />

nichts anderes als ein landesherrlicher Amtsträger“. Er macht aber auch auf die ebenfalls seit<br />

Jahrhunderten enge Verzahnung, um nicht zu sagen Symbiose von Kirche und Staat<br />

aufmerksam, deren Trennung „keineswegs abgeschlossen ist“, wie der Autor meint und jeder<br />

mit Schule in Deutschland Befasste bestätigen kann. Bahl belegt ebenfalls sehr nachdrücklich,<br />

dass bei allem Bemühen, das Schulsystem einer landesherrlichen Zentralisierung zu<br />

unterwerfen, die Konfrontation der allgemein üblichen „Verfahren und Strukturen mit<br />

konkreten ortsüblichen Quellen“ zu häufig überraschenden Beobachtungen und<br />

Erkenntnissen, das konkrete Leben „vor Ort“ betreffend, führen kann. Durchaus mit der<br />

Konsequenz, dass gemeinhin gesichert geglaubte Auffassungen der überregionalen<br />

Schulgeschichte korrigiert werden müssen.


Hierin liegt übrigens meiner Auffassung nach der Wert der Regional- und Heimatgeschichte.<br />

Das alltägliche Leben und Erleben verläuft doch häufig etwas anders, als es sich die – um im<br />

Bilde zu bleiben – Schulbuchweisheit mitunter erträumt. Die dem <strong>zur</strong> Problemeinführung<br />

gedachten Beitrag Peter Bahls nachfolgenden Aufsätze versuchen, insgesamt das<br />

„Altbekannt-Klischeehafte“ (Bahl) zu hinterfragen und kommen tatsächlich zu<br />

bemerkenswerten Schlüssen.<br />

Karin Satke untersucht die soziale Lage der Schulmeister in Kaulsdorf bis 1826 und weist<br />

nach, dass der Begriff des „Schulmeisters“ durchaus in einem doppelten Sinne zu verstehen<br />

ist. Die Akten belegen, dass diese armen Schlucker nebenbei ein Handwerk ausüben mussten<br />

(und wenn es „nur“ die friderizianisch geforderte Seidenraupenzucht war) und dieses nicht<br />

selten die Schule zum lästigen Nebenbei verkommen ließ. Auch Christa Hübners Beitrag über<br />

„Schule um 1800“, sie nennt den ersten Namen eines bei uns tätigen Schulmannes, legt<br />

überraschende Fakten über die Schulen – bis 1813 gab es aus konfessionellen Gründen zwei –<br />

des Dorfes <strong>Marzahn</strong> vor – vor: über die Lehrer, deren Ausbildung und Pflichten auch<br />

außerhalb der Schule. Sie untersucht das schwierige Verhältnis zwischen Obrigkeit und<br />

dörflicher Gemeinde und die Rolle der wahrhaftig zwischen allen Stühlen sitzenden<br />

Dorfschullehrer. Und – das kommt oft zu kurz – wir erfahren auch einiges über die Schüler<br />

des Dorfes.<br />

Schule ist nicht nur Institution, Schule ist auch der Raum, in dem sie stattfindet. Oftmals sind<br />

Schulbauten Typenbauten, die beim Bau eher den Regeln der Sparsamkeit (man nennt das<br />

heute „Standardabsenkungen“) unterworfen wurden, denn den Bedürfnissen ihrer künftigen<br />

Nutzerinnen und Nutzer. Karl-Heinz Gärtner macht uns mit Paul Tarruhn, einem Architekten<br />

bekannt, dessen Schulbauten auch im heutigen Bezirk <strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong> prägend sind.<br />

Tarruhns Schulbauten im Bezirk – alle in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entstanden –<br />

sind schöne Beispiele für eine Baugesinnung, die sich jenseits des wilhelminischen schönen<br />

Scheins zunehmend diesen Bedürfnissen zu stellen begann.<br />

Der Beitrag von Dorothee Ifland versucht das wohl finsterste Kapitel in der Geschichte<br />

unseres Schulwesens zu beleuchten: Schule im Nationalsozialismus. Angesichts der Fülle des<br />

vorliegenden Materials musste sie sich auf die aufschlussreichen Themen der Durchsetzung<br />

der NS-Ideologie im Schulalltag und ebendiesen Schulalltag unter den Kriegsbedingungen ab<br />

1939 beschränken. Hier knüpft Lutz Prieß mit seinen Untersuchungen über den Neuanfang<br />

der Volksschulen nach 1945 in Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und <strong>Marzahn</strong> nahtlos an. Das<br />

„Dritte Reich“ war nicht nur verantwortlich dafür, dass die Gebäudesubstanz unserer Schulen<br />

sich im Mai 1945 in einem verheerenden Zustand befand. Prieß berichtet sehr anschaulich<br />

darüber, mit welchen Problemen sich das hiesige Schulwesen angesichts einer nazistisch<br />

geprägten Lehrerschaft und entsprechend kontaminiertem Unterrichtsmaterial befand.<br />

Besonders wertvoll ist mir, dass er die Erfahrungen der Neulehrergeneration in seine Arbeit<br />

einbezieht.<br />

Die beiden abschließenden Aufsätze befassen sich mit einem Problemfeld, dass nicht nur<br />

schulhistorisch, sondern auch in der tagespolitischen Debatte unseres Landes nach wie vor<br />

Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen ist: Mit der mitnichten problemlos verlaufenen<br />

Durchsetzung des sozialistischen Schulsystems der DDR (Wolfgang Brauer) im Territorium<br />

des späteren Großbezirkes und dessen Ersetzung durch die Übernahme des Westberliner<br />

Schulsystems (Manfred Teresiak) nach dem Inkrafttreten der Einigungsvertrages 1990.<br />

Abgerundet wird diese Publikation mit einer Auflistung aller Schulstandorte unseres Bezirkes<br />

(Renate Schilling und Roy Lücke), die in den Jahren von 1945 bis 2010 bei nachweisbar sind.


Damit legt der <strong>Heimatverein</strong> die erste komplexere Darstellung der Schulgeschichte von<br />

<strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong> als Bestandteil der Schulgeschichte Brandenburgs und der Stadt Berlin<br />

wohl überhaupt vor. Wir sind uns der Lücken bewusst: Beispielsweise mussten wir sowohl<br />

aus Platzgründen als auch aus Gründen des noch nicht ausreichenden Forschungsstandes<br />

verzichten auf die Geschichte der Schule und des Bildungswesens unseres Territoriums in der<br />

Zeit der Weimarer Republik und die der zwar nur ein knappes Jahrzehnt angedauert<br />

habenden, aber dennoch bis heute nachwirkenden Schule in den beiden sozialistischen<br />

Stadtbezirken <strong>Marzahn</strong> und <strong>Hellersdorf</strong>. Das muss späteren Darstellungen vorbehalten<br />

bleiben. Für Hinweise, Kritiken, Empfehlungen und auch tätige Mitarbeit in dieser Richtung –<br />

und natürlich was die hier vorliegenden Beiträge anbelangt – wären die Herausgeber und die<br />

Autorinnen und Autoren sehr dankbar.<br />

Dank sagen möchte ich abschließend den Autorinnen und Autoren und allen, die uns mit Rat<br />

und Tat <strong>zur</strong> Seite standen. Unser Dank geht an alle, die uns Abbildungen beziehungsweise<br />

Bildrechte <strong>zur</strong> Verfügung stellten. Dank sagen möchte ich den drei Redakteuren Dr. Christa<br />

Hübner, Evelyn Marquardt und Dr. Manfred Teresiak, ebenso dem Gestalter Waldemar-<br />

Vincenty Seifert. Last but not least gilt dies auch dem Bezirksmuseum <strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong><br />

und seiner Leiterin Dorothee Ifland.<br />

Wolfgang Brauer<br />

Berlin-Biesdorf im Januar 2012<br />

Die Konferenz, auf deren Beiträgen dieser Band beruht, war eine Veranstaltung, die der<br />

<strong>Heimatverein</strong> gemeinsam mit dem Bezirksmuseum durchgeführt hatte. Wir sehen diese<br />

Publikation in enger Korrespondenz <strong>zur</strong> Ausstellung „Nicht allein das A-B-C. Aus der<br />

<strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong>er Schulgeschichte“, die vom 31. Januar bis zum 14. Oktober 2012 im<br />

<strong>Marzahn</strong>-<strong>Hellersdorf</strong>er Bezirksmuseum zu sehen ist.

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