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Vortrag von Karin Satke - Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V.

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<strong>Vortrag</strong> zum 100jährigen Bestehen des Friedhofes Dorfstraße 24<br />

Freitag, den 26.8.2011 <strong>Karin</strong> <strong>Satke</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren<br />

So wie Häuser und Wohnungen zu unserem lebenswerten Bedarf gehören, ebenso<br />

benötigen wir einen allerletzten Ruheplatz, möglichst in der Nähe unserer<br />

Wohnstätte.<br />

In Kaulsdorf wurden bis Mitte des 19. Jahrhundert die Hufenbauern, Kossäten,<br />

Knechte, Mägde, Handwerker und Tagelöhner traditionsgemäß auf dem Kirchhof am<br />

Dorfanger beigesetzt. Die adligen und bürgerlichen Besitzer des Gutshofes<br />

bevorzugten meist Familiengrabstätten anderen Orts. Drei Personen wurden jedoch<br />

in der Kirche begraben; Der Gutsbesitzer Generalleutnant Christoph Adolf <strong>von</strong><br />

Wangenheim im Dezember 1709, 1755 Marie Gertraut Schulz, Ehefrau des<br />

Gutsbesitzers Samuel Friedrich Liebenwaldt, er war der Castellan des Prinzen <strong>von</strong><br />

Preußen, und 1762 seine jüngste Tochter Demoiselle Sophia Amalia.<br />

An die Existenz des Angerkirchhofes erinnert uns heute nichts mehr, da bei<br />

Aufstellung des Kriegerdenkmales im Jahre 1929 die letzten vorhandenen<br />

Grabsteine beseitigt wurden. Als einzige Sachzeugen hängen im Turmmuseum der<br />

Dorfkirche vier Totenkronenbretter, gewidmet den früh verstorbenen Kindern und<br />

ledig gebliebenen jungen Erwachsenen.<br />

Blieb die Einwohnerzahl des Dorfes seit der ersten Zählung im Jahre 1540 bis 1801<br />

zwischen 150 und 215 Personen relativ stabil, so stieg sie im neuen Jahrhundert<br />

langsam, aber stetig an und hatte sich im Jahre 1867 mit 490 Personen mehr als<br />

verdoppelt.<br />

Nach der Schließung des Kirchhofes auf dem Anger im Jahre 1866 fanden die<br />

Bestattungen auf dem neu eingerichteten Gemeindefriedhof „in den Sandenden“<br />

statt, einem 2.500 m² großes Areal an der heutigen Brodauer Straße. Bereits bei der<br />

Separation <strong>von</strong> 1848 war dieser Platz für eine Begräbnisstätte reserviert worden. Bis<br />

zur Schließung 1921 fanden dort etwa 700 Kaulsdorfer ihre letzte Ruhestätte;<br />

alteingesessene wie beispielsweise der 1. Gemeinde-vorsteher Wilhelm Ernst<br />

Bausdorf, die Bauerngutsbesitzer Karl Grunow und August Grunow, der<br />

Kossätenaltsitzer Gottlob Rahne, aber auch neu Hinzugezogene wie z. B. z der<br />

Mühlenbesitzer Blümel und zwei seiner kleinen Kinder, zwei Kinder des Küsterlehrers<br />

Engelmann, Ökonom Zander, der sich 36jährig sein Leben nahm und andere,<br />

Handwerksmeister, Arbeitsleute, Dorfarme.<br />

Der aufgelassene Friedhof wurde weiter gepflegt und 1943 gab es dort noch 12<br />

Grab-Reihen mit ansehnlichen Grabmälern. 1945 beerdigte man dort die bei den<br />

letzten Kampfhandlungen vor Ort gefallenen sowjetischen Soldaten. Anlässlich der<br />

Aufstellung des Ehrenmales entfernte man 1946 auch hier die noch vorhandenen<br />

Grabsteine.<br />

Heute stellt sich etwa die Hälfte der Begräbnisstätte in der Brodauer Straße als<br />

Grünanlage und Gedenkstätte mit dem sowjetischen Ehrenmal dar. Den in Richtung<br />

Schule befindlichen Teil des Friedhofs nahm ab den 70er Jahren das<br />

<strong>Karin</strong> <strong>Satke</strong> 1


Grünflächenamt des Bezirkes als Bauhof in Benutzung. Seit ein paar Jahren betreibt<br />

dort der Tischlermeister Sven Peters sein Handwerk.<br />

Um die Jahrhundertwende war absehbar, dass die Kapazität des zweiten Friedhofs<br />

in wenigen Jahren erschöpft sein würde. Betrug die Einwohnerzahl 1905 noch 1239<br />

Personen; so war sie fünf Jahre später auf 2.381 angestiegen. Bereits 1903 hatte die<br />

Gemeinde die freie etwa 1,9 ha umfassende Parzelle am Nordende des Dorfes <strong>von</strong><br />

der Gutsbesitzerin Elise Voigt erworben.<br />

Als 1904 der Anlegungsplan für einen kommunal verwalteten Friedhof vorgelegt<br />

wurde, forderte der Gemeindekirchenrat mit Unterstützung des Königlichen<br />

Konsistoriums in Berlin die Einrichtung eines kirchlichen Friedhofs und war sogar<br />

bereit, der Gemeinde das Gelände abzukaufen. Doch den Argumenten der<br />

Gemeindevertretung, die freie Verfügbarkeit über die Beerdigung auch<br />

Andersgläubiger zu erlangen, konnte nichts entgegengesetzt werden, so dass<br />

letztendlich der Gemeindekirchrat im August 1904 auf einen konfessionellen Friedhof<br />

verzichtete.<br />

Am 22. Juni 1910 trat die neue Friedhofs- und Gebührenordnung in Kraft. Auch in<br />

früheren Zeiten war eine standesgemäße Beerdigung nicht ganz billig. Bei<br />

Begräbnissen im Jahre 1678 kostete das ganze, das fürstliche Geläut genannt, sogar<br />

3 Taler. Waren noch bis 1766 für Kossäten und Büdner die Grabstellen kostenlos, so<br />

mussten fortan 6 Groschen und für Kinder 3 Groschen bezahlt werden. Nach dem<br />

Gebührenverzeichnis <strong>von</strong> 1855 zahlte man je nach der Art des Begräbnisses,<br />

zwischen 10 Silbergroschen ohne Glockenläuten und bis zu 1 Taler 1 Sgr. 3 Pf. mit<br />

Leichenpredigt und Begleitung des Geistlichen.<br />

Unter Freilassung des tiefer gelegenen westlichen Teils war bei der Eröffnung des<br />

neuen Friedhofs zunächst eine Fläche <strong>von</strong> ca. 1,2 ha mit sechs unterschiedlich<br />

großen Grabfeldern als Friedhof angelegt worden. Die Grabfelder erhielten eine<br />

Einfassung mit Bäumen und Lebensbaumhecken. Bis zum Jahre 1942 fanden 1.544<br />

Erdbegräbnisse und 375 Urnenbeisetzungen statt. Die geplante Anlegung neuer<br />

Grabfelder unterblieb infolge der Kriegsereignisse.<br />

Als „einer der schönsten Friedhöfe unserer Gegend“ bezeichnete 1940 der<br />

Kaulsdorfer Journalist Hans-Otto Löggow die Begräbnisstätte an der Dorfstraße. Zu<br />

DDR-Zeiten war sie auch bei Nichtkaulsdorfern nachgefragt. Schon in den 50er<br />

Jahren hatte man das Gelände nach zwei Seiten auf die heutige Größe <strong>von</strong> 2,5 ha<br />

erweitert, und zwar nach Norden bis an die Bahnstrecke heran, sowie nordöstlich in<br />

Richtung Dorfstraße und Bahntrasse. Bei dieser Gelegenheit wurde das Nord-West-<br />

Gelände terrassenförmig mit Mauern angelegt, an denen die Grabplatten für die<br />

Erdbestattungsgrabstellen angebracht werden konnten. Die geplante erneute<br />

Ausdehnung in Richtung Wuhletal wurde nicht mehr ausgeführt.<br />

Mitte der 90er Jahre erhielt der Friedhof eine Personalunterkunft mit Wirtschaftshof<br />

und Sanitäranlagen, gleichzeitig wurden das Wasser- und Wegenetz sowie die<br />

Einfriedungen erneuert.<br />

Die Jugendstil-Trauerhalle des Kaulsdorfer Architekten Georg Bamler war bereits<br />

1911 fertig gestellt worden. Die Fenstergestaltung scheint in den 50-60er Jahren<br />

erneuert worden zu sein. Anfang der 80er Jahre wurde die Trauerhalle restauriert<br />

und außen neu verputzt. Der 85 Personen fassende Innenraum bekam 1994 einen<br />

neuen Farbanstrich.<br />

<strong>Karin</strong> <strong>Satke</strong> 2


Die erste Bestattung auf dem Friedhof fand vor nunmehr 100 Jahren am 19. August<br />

1911 statt. Die am 15. August 64jährig verstorbene Marie Schneider, geb. Schultze<br />

aus Schönerlinde, hatte kurz zuvor mit Ihrem Ehemann Julius Schneider ihr neues<br />

Haus in der Auguststraße 13 bezogen.<br />

Marie und Julius Schneider waren die Eltern des Kaulsdorfer Gemeindesekretärs<br />

Richard Schneider, der 30jährig im Oktober 1913 die 20jährige Margarethe Unterlauf<br />

heiratete. Sie war die Tochter des Lehrers Gustav Unterlauf und seiner Ehefrau<br />

Helene Götze, deren Vater der Besitzer des beliebten Ausflugslokals „Götzes<br />

Berggarten“ war.<br />

Der Friedhof Dorfstraße wurde nicht gleich als Begräbnisplatz angenommen. Die<br />

Kaulsdorfer bevorzugten bisweilen noch den alten Standort, denn erst fünf Monate<br />

nach der ersten kam es zu einer weiteren Belegung auf dem neuen Friedhof. Es war<br />

der am 25. Januar 1912 verstorbene 76jährige Journalist Lorenz Zopick, der wohl<br />

nicht der evangelischen Konfession angehörte, denn die Eintragung im Sterbebuch<br />

der Kirche wurde wieder durchgestrichen. Ab April 1912 verringerten sich dann die<br />

Zeitabstände zwischen den Beerdigungen.<br />

Einige der ältesten Grabsteine in der Wahlreihe 1a, westlich der Trauerhalle gelegen,<br />

sind heute noch erhalten, u. a. das dreiteilige Familien-Grabmal<br />

Grunow/Bausdorf/Mattert. Albert Bausdorf war <strong>von</strong> 1899 bis 1913 der Gemeinde-<br />

Vorsteher und bis 1920 Gemeindevertreter. Er war verheiratet mit Hedwig Götze.<br />

Ihre Tochter Margarethe wurde nur 24 Jahre alt. Die Tochter Gertrud hatte den<br />

Landwirt Karl Grunow und Tochter Frieda den Lehrer und späteren Direktor der<br />

Schule Adolfstraße Paul Mattert geheiratet.<br />

Die Inschrift eines großen, noch recht gut erhaltenen Grabsteins berichtet vom Tode<br />

des Ehepaares Friedrich Unterlauf und Auguste Bellin. Sie „gingen heim am gleichen<br />

Tag gemeinsam, wie sie gelebt, geliebt, geschafft“ haben. Ihr Sohn, Rektor Unterlauf,<br />

und seine Ehefrau Helene Götze, waren „in ihrem langen Leben umgeben <strong>von</strong> Liebe,<br />

und im himmlischen Frieden warte nun ein noch schöneres Leben auf sie“.<br />

Die Inschrift des Steines erinnert auch an den 35jährig verstorbenen bereits<br />

erwähnten Richard Schneider, der am 17. Oktober 1918 in Frankreich sein Leben<br />

ließ. Der ehemalige Kaulsdorfer Gemeinde-Sekretär und stellvertretende<br />

Standesbeamte war einer <strong>von</strong> 83 Kaulsdorfern, die zwischen den Jahren 1914 und<br />

1921 Opfer des 1. Weltkrieges wurden.<br />

Während der letzten Kampfhandlungen im April 1945 starben wieder viele<br />

Menschen. Eine Zeitzeugin berichtete: „Die Toten lagen danach wie Sand am Meer<br />

auf der Chaussee und in der Dorfstraße.“ Sie wurden vom Pfarrer Grüber und seinen<br />

Helfern geborgen und vor das Eingangstor des Friedhofs gelegt. Es waren 53<br />

deutsche Soldaten, etliche Zivilpersonen, z. B die Lehrerin der Kaulsdorfer Schule<br />

Frl. Fischer, aber auch 40 Selbstmörder. Beerdigt wurden sie rechts und links des<br />

Hauptweges. Am südlichen Grenzweg entstand dann 1997 ein gesondertes<br />

Gedenkfeld mit einheitlich gestalteten Grabsteinen für die Soldaten des II.<br />

Weltkrieges.<br />

Oberhalb da<strong>von</strong> gab es ein kleines Feld für die <strong>von</strong> den Eltern mit in den Freitod<br />

genommenen Kinder. Dahin brachte man auch die an den grassierenden Epidemien<br />

verstorbenen Kinder, u. a. die vier Kinder der Anna Lehmann, drei starben an<br />

Typhus, eines an Herzversagen. Frau Lehmann fuhr über 50 Jahre lang fast jeden<br />

Tag zu den Grabstellen ihrer Kinder.<br />

<strong>Karin</strong> <strong>Satke</strong> 3


Von den fünf Kaulsdorfer Generationen, die in 100 Jahren hier zur letzten Ruhestätte<br />

versammelt sind, seien noch einige Persönlichkeiten namentlich benannt.<br />

1. Die Gutsbesitzerin Frau Amtmann Elise Voigt, geb. Landre, auf deren<br />

ehemaligem Land der Friedhof entstanden war. Von ihrem Vater, Adolf<br />

Landre, Besitzer der Berliner Weißbierbrauerei, hatte sie das Kaulsdorfer Gut<br />

geerbt, sie starb 1920<br />

2. Der 1921 verstorbenen Reinhold Neander war Kaufmann und<br />

Restaurantbetreiber aus der Frankfurter Straße<br />

3. Für den Schriftsteller Ernst Edler <strong>von</strong> der Planitz wurde 1935 kein<br />

Gedenkstein an seinem Grab errichtet.<br />

4. Mehrere Angehörige der Kaulsdorfer Schmiedemeister-Generationen<br />

Kettmann liegen hier;<br />

5. Auch Angehörige der Familie des Baumeisters Schröder und<br />

6. Frieda Hirsekorn, die bei den Kaulsdorfern heute noch bekannte<br />

Fabrikbesitzerin der Märkischen Wachsschmelze.<br />

7. Der über Kaulsdorf hinaus bekannte Gründer der Spirituosenfabrik Sergei<br />

Schilkin und Ehefrau Erna sowie seine Eltern Apollon und Natalie Schilkin.<br />

8. Der weniger bekannte Kaulsdorfer Bildhauer und Metallgießer Hans Füssel<br />

9. Der Vorsitzende des 1991 gegründeten <strong>Heimatverein</strong>s <strong>Hellersdorf</strong>-Kaulsdorf-<br />

Mahlsdorf e.V., Friedrich Wilhelm Bretschneider<br />

10. der 2007 verstorbene beliebte Karikaturist und Pressezeichner Willy Moese<br />

und<br />

11. Der Kirchenarchivrat Max-Ottokar Kunzendorf<br />

Sie alle fanden hier ihre letzte Ruhestätte.<br />

Der 100jährige Kaulsdorfer Friedhof Dorfstraße ist nicht nur eine Gedenkstätte und<br />

ein sehr wertvolles Biotop, er ist auch eine außerordentliche Kulturstätte, auf dem wir<br />

Geschichte ablesen können. Daher ist es begrüßenswert, dass anstelle der<br />

namenlosen seit jüngster Zeit so genannte halbanonyme Beisetzungen getreten<br />

sind. Die Stelen inmitten der fünf Grabfelder tragen die Namen der in diesem Feld<br />

Liegenden. Auch ihr Andenken bleibt nun für eine kleine Ewigkeit bewahrt und die<br />

Angehörigen haben wieder einen Ort zum Trauern.<br />

Ich wünsche allen Anwesenden Gesundheit und ein langes Leben und bedanke mich<br />

für Ihr Interesse.<br />

<strong>Karin</strong> <strong>Satke</strong> 4

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