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PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

Teil 1<br />

Stärken Sie den Co-Therapeuten<br />

Der mündige geriatrische Patient<br />

ZERTIFIZIERTE<br />

F O R T B<br />

3<br />

Punkte<br />

I L D U N G<br />

Teil 2<br />

Der Patient als Partner<br />

Patientenberatung als interaktiver Prozess<br />

Teil 3<br />

Informieren – Anleiten – Dokumentieren<br />

Methoden der Patientenschulung<br />

Zertifizierte Fortbildung in Zusammenarbeit mit<br />

© Thinkstock<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

51


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

Der mündige geriatrische Patient<br />

Stärken Sie den Co-Therapeuten<br />

Geriatrische Patienten sind heute älter als früher. Trotzdem besteht bei vielen eine gute Chance<br />

auf eine kurative Behandlung. Ziel jeglicher Intervention ist, dass der Patient nach dem Krankenhausaufenthalt<br />

bei guter Lebensqualität selbstständig leben kann. Um das zu erreichen,<br />

sind bei beinahe jedem Patienten Verhaltensänderungen erforderlich, die ihm mit didaktischem<br />

Geschick vermittelt werden müssen.<br />

52<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


© Thinkstock<br />

DOI: 10.1007/s00058-012-0368-2<br />

Eine der größten Herausforderungen unseres<br />

Gesundheitswesens ist die Veränderung der<br />

Bevölkerungsstruktur. Immer mehr ältere<br />

Menschen meistern in einer sich individualisierenden<br />

Welt ihren Lebensalltag ohne frühzeitig auf fremde<br />

Hilfe angewiesen zu sein. Aber es gibt auch immer<br />

mehr Hochbetagte, deren gesundheitliche Situation<br />

gekennzeichnet ist von Multimorbidität und Chronizität.<br />

Der Umgang mit medizinischen Therapien<br />

und der Umgang mit chronischer Erkrankungen erfordern<br />

jedoch nicht nur einen aufgeklärten Patienten,<br />

sondern auch einen informierten und geschulten<br />

Angehörigen. Denn sie sind es, die häufig die<br />

Pflege und Betreuung geriatrischer Patienten in der<br />

häuslichen Situation übernehmen. Patientenedukation<br />

nimmt deshalb in der geriatrischen Behandlung<br />

einen zentrale Rolle ein.<br />

DEFINITION<br />

Geriatrische Patienten sind definiert durch:<br />

▶▶Geriatrietypische Multimorbidität<br />

▶▶Höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder<br />

älter); die geriatrietypische Multimorbidität ist<br />

vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen<br />

oder durch Alter 80+ auf Grund der alterstypisch erhöhten<br />

Vulnerabilität, z. B. wegen<br />

▶▶des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen<br />

▶▶der Gefahr der Chronifizierung sowie<br />

▶▶des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie<br />

mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus<br />

(Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für<br />

Geriatrie, Deutschen Gesellschaft für Gerontologie<br />

und Geriatrie Bundesarbeitsgemeinschaft der<br />

Klinisch-Geriatrischen Einrichtungen 2007)<br />

GESETZLICHE GRUNDLAGEN<br />

Wer hat Anspruch auf Patientenedukation?<br />

▶▶Der Patient hat Anspruch auf eine optimale Behandlung. Dabei wird<br />

der Erkenntnisstand der Wissenschaft und die Versorgungssituation<br />

zugrunde gelegt.<br />

▶▶Eine Implementierung einer strukturierten Patientenschulung im stationären<br />

Alltag trägt den Anforderungen des SGB V Rechnung, da sie die<br />

eingeforderte Mitwirkung des Versicherten nach §1 sicherstellt. Außerdem<br />

ist sie eine Maßnahme zur Qualitätssicherung nach §137 SGB V.<br />

▶▶Nach §4 KrPflG gehört die Anregung und Anleitung zu gesundheitsförderlichem<br />

Verhalten zu den Ausbildungszielen in der Krankenpflege<br />

und somit auch zu den Aufgaben der Pflegenden.<br />

▶▶Für die Aufgabenverteilung und Verantwortung im Rahmen der Patientenedukation<br />

sind in bezug auf die Rechtssicherheit Dienstvereinbarungen<br />

zu schließen, die als verbindlich gelten.<br />

▶▶In haftungsrechtlichen Verfahren gibt die Dokumentation der Durchführung<br />

von Schulungen Rechtssicherheit. Da explizite gesetzliche<br />

Vorschriften nicht existieren, dienen in diesen Auseinandersetzungen<br />

Standards als Grundlage.<br />

Patientenedukation – Was ist das?<br />

Die Patientenedukation ist Schulung der Patienten<br />

im Hinblick auf ihre Erkrankung mittels Information,<br />

Beratung und Schulung.<br />

Patientenschulung und -information ist ein integraler<br />

Bestandteil des Krankenhausalltags. Sie befähigt<br />

den Patienten zur zielgerichteten und autonomen<br />

Entscheidung bei Verhandlungen über Behandlungsoptionen,<br />

kann eine verbesserte Compliance in der<br />

Behandlung bewirken und dazu führen, Betroffene<br />

zur Selbstpflege zu befähigen. Das wiederum kann<br />

dazu beitragen, Menschen ihre Autonomie, Würde<br />

und Selbstvertrauen zurückzugeben. Inwieweit das<br />

gelingt, hängt maßgeblich vom Betroffenen und seinen<br />

Angehörigen ab. Nur wenn der Patient beispielsweise<br />

zu einer veränderten Lebensführung bereit ist,<br />

können die Ressourcen des Patienten und seiner Angehörigen<br />

genutzt werden. Daher geht es bei der<br />

Patientenedukation darum,<br />

▶▶den Betroffenen zu befähigen, als gleichwertiger<br />

Partner bei Entscheidungen der Gesundheitsversorgung<br />

mitzuwirken (Patienten- bzw. Kundenorientierung),<br />

▶▶dem Betroffenen die Bewältigung seinen Alltags zu<br />

ermöglichen,<br />

▶▶ihm Alltagskompetenz in Bezug auf die Erkrankung<br />

und auf den Umgang mit der Krankheit in Problemsituationen<br />

zu schaffen,<br />

▶▶optionales Wissen zu bilden, das heißt, der Betroffene<br />

lernt, Kriterien zur Entscheidungsfindung zu<br />

definieren, die er in den Aushandlungsprozessen<br />

für sich persönlich zugrunde legt und<br />

▶▶dass die Mitarbeiter auf den Stationen sich an der<br />

Lebenswelt und Lebenslage des Betroffenen und<br />

seines Umfeldes orientieren.<br />

Pflege und Gesundheitsförderung<br />

Nach den Definitionen der WHO und der WHO-<br />

Ministerkonferenz vom 17. Juni 2000 kommt der<br />

Pflege in Bezug auf die Gesundheitsförderung eine<br />

Schlüsselrolle zu. Auch andere Definitionen und<br />

Sichtweisen machen die Position und die Kompetenz<br />

der Pflege in Bezug auf die Patientenedukation deutlich:<br />

„Pflege ist das Erkennen und Behandeln von<br />

menschlichen Reaktionen auf bestehende und potentielle<br />

Gesundheitsprobleme.“ (Definition der<br />

American Nursing Association ANA)<br />

KEYWORDS<br />

Patientenedukation<br />

Didaktik<br />

Multimorbidität<br />

Chronizität<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

53


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

PRIORITÄTEN<br />

Patientenedukation aus der Sicht verschiedener Gruppierungen<br />

▶▶Aus Sicht des Betroffenen geht es um eine umfassende Versorgung mit<br />

Gesundheitsleistungen, die ihm den größtmöglichen Freiraum in seinem<br />

alltäglichen Leben lassen. Zudem sind die Ressourcenoptimierung und<br />

Kostenminimierung für ihn von Bedeutung, da er gleichzeitig die Rolle<br />

des Bürgers und des Versicherten einnimmt. Er will in die Versorgung eingebunden<br />

sein und durch Transparenz seine Entwicklung mitbestimmen.<br />

▶▶Aus gesellschaftspolitischer Sicht geht es um die Sicherstellung der gesundheitlichen<br />

Versorgung und die Aufrechterhaltung des Sozialsystems.<br />

▶▶Aus gesundheitswirtschaftlicher Sicht ist eine ressourcenorientierte Arbeitsweise<br />

unter Einbeziehung der Betroffenen und die Vernetzung der<br />

Angebote von Bedeutung. Zentral ist die Patientenorientierung, die als ein<br />

Qualitätskriterium in der Gesundheitsversorgung gilt und mit der Einführung<br />

der KTQ in den Fokus der Unternehmensentwicklung gerät.<br />

▶▶Die Abgrenzung des eigenen Hauses von andere Anbietern am Markt ist<br />

für ein Unternehmen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung.<br />

▶▶Für Pflegende geht es um die Erweiterung des beruflichen Selbstverständnisses<br />

und die Orientierung auf einen gesundheitsförderlichen und ressourcenorientierten<br />

Ansatz der Patientenversorgung.<br />

Die häufigsten<br />

Krankheitsbilder in<br />

der Geriatrie<br />

<br />

Apoplex<br />

Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen<br />

Asthma und COPD<br />

Diabetes mellitus<br />

Erkrankungen des<br />

Bewegungs- und<br />

Stützapparates<br />

M. Parkinson<br />

Depression<br />

Demenz<br />

Oder: Die wichtigste Aufgabe der Pflegenden besteht<br />

in der „unmittelbaren Begleitung, Betreuung,<br />

Beratung und Versorgung von alten, behinderten,<br />

kranken und hilfebedürftigen Menschen“. Dabei soll<br />

sie im Einzelnen „die körperlichen, geistigen, seelischen<br />

und sozialen Bedürfnisse, Möglichkeiten und<br />

Probleme der anvertrauten Menschen erkennen und<br />

beurteilen“, eine ganzheitliche Pflege planen und dokumentieren<br />

und „Gesunde und Kranke motivieren<br />

und anleiten, ihre Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen.“<br />

(DBfK, 1998)<br />

Die Pflege fungiert als Koordinator. Allerdings stellt<br />

die angespanntePersonalsituation im Krankenhaus<br />

Pflegende vor ein Problem, das jedoch durch optimierte<br />

Abläufe oft zu bewältigen wäre, beispielsweise<br />

durch Anwendung des Pflegekonzeptes Primary<br />

Nursing. Nach diesem Modell betreut die Primary<br />

Nurse eine überschaubare Patientengruppe, bei der<br />

sie deren Potenziale zur Patientenedukation gut einschätzen<br />

kann.<br />

Inhalte der Patientenedukation<br />

Auf der Grundlage der Definition des geriatrischen<br />

Patienten, der Rahmenbedingungen und der Zielsetzung<br />

der Patientenedukation, ist der Umgang mit<br />

chronischen Erkrankungen im Alltag das vordergründige<br />

Ziel der Patientenedukation in der Geriatrie.<br />

Das Pflegekonzept Trajekt-Modell, auch „Corbin-<br />

Strauss-Modell“ genannt, berücksichtigt in besonderer<br />

Weise die Situation chronisch kranker Menschen.<br />

Es wurde in den USA von der Krankenschwester und<br />

Pflegewissenschaftlerin Juliet Corbin und dem Soziologen<br />

Anselm Strauss entwickelt. Corbin und Strauss<br />

benennen die zentralen Lebensbereiche, in denen<br />

Betroffene unter anderem bei gesundheitlichen Einschränkungen<br />

und Veränderungen Anpassungs- und<br />

Bewältigungsarbeiten zu leisten haben. Dabei arbeiten<br />

sie heraus, dass die einzelnen Bereiche nicht<br />

isoliert betrachtet werden können, sondern ihr Zusammenspiel<br />

und ihre Bedeutung für die poststationäre<br />

Lebenssituation erfasst und bewertet werden<br />

müssen:<br />

▶▶Mögliche krankheits- und pflegebezogene Versorgungs-<br />

und Unterstützungserfordernisse wie Medikamenteneinnahme<br />

oder Verbandswechsel<br />

▶▶Alltagsbezogene Versorgungs- und Unterstützungserfordernisse<br />

wie flankierende Hilfsangebote zur<br />

Tagesgestaltung, Mobilität und Haushilfen<br />

▶▶Psychosoziale und biografisch bedingte Unterstützungserfordernisse<br />

der Patienten und Angehörigen<br />

wie Einschränkungen im kognitiven Bereich, Kontakte<br />

zu Selbsthilfegruppen und Freizeitstätten,<br />

erlebte prägende Ereignisse<br />

▶▶Unterstützungsbedarf hinsichtlich erwartbarer<br />

Selbstmanagement-Erfordernisse wie Schulungen<br />

zur Gestaltung der Ernährung, der Tagesgestaltung,<br />

dem Umgang mit Medikamenten und Spritzen usw.<br />

▶▶Unterstützungsbedarf bei der Auswahl und Koordination<br />

von Hilfsleistungen und Hilfsmittel<br />

Die Patientenedukation kommt nicht nur im klinischen<br />

Bereich zum Tragen, sondern sollte auch<br />

Bestandteil pflegerischer Arbeit in der ambulanten<br />

und stationären Langzeitversorgung sein. Als eine<br />

definierte Zielsetzung in den gängigen Expertenstandards<br />

ist die Patientenedukation als bindend anzusehen<br />

und in die tägliche Versorgung zu integrieren.<br />

Susanne Weiß<br />

FA ZIT FÜR DIE PFLEGE<br />

▶▶Edukation von Patienten und ihren Angehörigen<br />

ist integraler Bestandteil von Pflege.<br />

▶▶Die Pflege fungiert als Koordinator der Behandlungsprozesse<br />

und erkennt die Notwendigkeit<br />

der Patientenedukation durch den ständigen<br />

Kontakt zum Patienten.<br />

▶▶Seit der Verkürzung der Liegezeiten ist es besonders<br />

wichtig, den Patienten vor seiner Entlassung<br />

mit Informationen und Wissen über pflegerische<br />

Handlungsabläufe und Verhalten in Problemsituationen<br />

auszustatten.<br />

▶▶Patientenedukation ist es als kostensparend anzusehen,<br />

da die Betroffenen diese Tätigkeiten auch<br />

teilweise autonom ausführen können.<br />

54<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

Patientenberatung als interaktiver Prozess<br />

Der Patient als Partner<br />

Die Patientenedukation schließt eine umfassende Information und Beratung des<br />

Betroffenen hinsichtlich der verschiedenen Aspekte seiner Erkrankung ein. Gerade bei<br />

geriatrischen Patienten mit oft komplexen Krankheitsbildern ist sie oft die Voraussetzung<br />

für ein weiteres selbstständiges Leben. Was gehört alles dazu?<br />

© Thinkstock<br />

DOI: 10.1007/s00058-012-0369-1<br />

56<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


Patientenberatung und Information als Prozess<br />

bedeutet die systematische Bildung von Betroffenen<br />

in Pflegefragen. Sie ist Grundlage<br />

für eine spätere Patientenschulung, orientiert sich am<br />

Pflegeprozess und an den Aktivitäten des täglichen<br />

Lebens und ist somit in die Pflegeplanung integriert.<br />

Die grundsätzlichen Phasen einer praxisorientierten<br />

Patientenberatung und Information beinhalten das<br />

Geriatrische Patienten verfügen aufgrund ihres Lebensalters<br />

in der Regel über weitreichende Erfahrungen<br />

und Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit<br />

und Gesundheit.<br />

beurteilen zu können. Patienteninformationen sind<br />

auch die Grundlage für das Verstehen von Alltagseinschränkungen.<br />

Desweiteren sollten sie für den Betroffenen<br />

eine Orientierungshilfe für die Einforderung<br />

von Gesundheitsleistungen bieten.<br />

Bei geriatrischen Patienten kommt es auf eine angemessene<br />

Aufbereitung der Informationen, aber<br />

auch des Informationsmaterials an. Es muss mit altersbedingten<br />

Verschleißerscheinungen<br />

wie der Abnahme der Sehfähigkeit gerechnet<br />

werden. Wenn für einen Patienten<br />

eine Broschüre schlecht lesbar ist,<br />

kann das demotivierend sein. Seine Aufmerksamkeit<br />

nimmt ab, das Gespräch<br />

strengt ihn an, er verliert das Interesse.<br />

Befähigen, Anleiten, Üben und Bewerten pflegerischer<br />

Handlungen. Betroffene sollen für ihren Alltag<br />

Handlungskompetenz erlangen. Hier kommen<br />

auch Bestandteile der Sekundär- und Tertiärprävention<br />

ins Spiel.<br />

So wichtig ist die Informationssammlung<br />

Grundlage der Patienteninformation und Beratung<br />

ist eine differenzierte Informationssammlung. Sie<br />

sollte neben den üblichen Parametern wie Gesundheits-<br />

und Pflegeanamnese, Risikoerfassung in Form<br />

eines geriatrischen Assessments und biografischen<br />

Bestandteilen auch eine Erfassung der Motivation<br />

des Betroffenen und seiner Angehörigen zur Krankheitsbewältigung<br />

enthalten. Auch Aspekte wie Auffassungsgabe<br />

oder eventuell bestehende Wissenslücken<br />

in Bezug auf die zugrundeliegenden Erkrankungen<br />

gehören in die Informationssammlung.<br />

Weitere Aspekte können sein:<br />

▶▶Informationen zur Person und Lebenssituation, zur<br />

gesundheitlichen Situation, einschließlich der Probleme,<br />

Risiken und Erwartungen des Betroffenen<br />

▶▶Kognitive Fähigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten,<br />

Grad der Selbstständigkeit<br />

▶▶Wohnsituation, Hilfsmittelverwendung und die<br />

finanzielle Situation<br />

▶▶Grad der Compliance<br />

▶▶Informations-, Schulungs- und Beratungsbedarfe,<br />

Unterstützungsbedarfe der Angehörigen<br />

Der Informationsprozess<br />

Patienteninformation und Beratung sind differenziert<br />

voneinander zu betrachten. Während der Patient und<br />

seine Angehörigen im Beratungsprozess durch Führung<br />

selbst Problemlösungswege erkennen und formulieren,<br />

vermittelt die Pflegekraft im Informationsprozess<br />

Wissen.<br />

Der Patient und seine Angehörigen sollen in die<br />

Lage versetzt werden, Krankheiten und deren Symptome<br />

zu verstehen und einzuordnen und den Nutzen,<br />

die Risiken und Nebenwirkungen von Therapien<br />

Der Beratungsprozess<br />

Beratung setzt voraus, dass der Betroffene und seine<br />

Angehörigen Kenntnisse in Bezug auf die Erkrankung<br />

und ihre Folgen haben. Somit ist die Patienteninformation<br />

der Beratung vorgelagert. Jedoch können sich<br />

innerhalb des Beratungsprozesses weitere Bedarfe an<br />

Informationen ergeben, die zu decken sind. Beratung<br />

versteht sich als Hilfestellung bei der Suche nach zielgerichteten<br />

Lösungen und beinhaltet die gemeinsame<br />

Erarbeitung von Strategien in einem kooperativen<br />

Prozess. Schritte des Beratungsprozesses sind:<br />

▶▶Beschreibung und Analyse des Problems<br />

▶▶Entwicklung einer Zielsetzung<br />

▶▶Erarbeiten von Lösungswegen<br />

▶▶Handlungsbewertung und Entscheidung für eine<br />

Option nach Überprüfung der Realisierbarkeit<br />

▶▶Bewertung des Erfolges<br />

Bei einer Beratung muss auf eine adäquate Wortwahl<br />

geachtet werden. Informationen sind auf das Wesentliche<br />

zu beschränken und Anschauungsmaterial ist<br />

zu verwenden. Es kann hilfreich sein, die wichtigsten<br />

Ergebnisse an einem Flipchart zu visualisieren, um<br />

VERÄNDERTE PATIENTENROLLE<br />

KEYWORDS<br />

Informationsprozess<br />

Beratungsprozess<br />

Informationssammlung<br />

Bewältigungsstrategien<br />

Die Veränderungen im Gesundheitswesen verlangen von den Patienten zunehmend<br />

eine aktivere Rolle im Behandlungsprozess einzunehmen. Konzepte<br />

wie das „shared decision making“ – „den Patienten als Partner sehen“<br />

– zeigen, dass abkehrend vom traditionellen Paternalismus eine zunehmende<br />

Individualisierung und Verantwortung auf Seiten der Patienten gewünscht<br />

ist.<br />

Anforderungen an Patienteninformationen:<br />

▶▶Bedarfsgerechte Auswahl der Themen<br />

▶▶Eine dem Betroffenen angepasste Sprache<br />

▶▶Klare Strukturen des Informationsgesprächs, Raum für Fragen seitens des<br />

Patienten und seiner Angehörigen<br />

▶▶Broschüren bzw. den Bedürfnissen und Erfordernissen des Betroffenen<br />

angepasste Handouts, um Inhalte der Information nachlesen zu können<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

57


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

KRANKHEIT VERSTEHEN UND AK ZEPTIEREN<br />

Krankheit ist ein komplexes Ereignis. Dieser Ansatz der Definition des Krankheitsprozesses<br />

stammt aus der Phänomenologie und spiegelt die Sicht aus<br />

der Lebenswelt des Betroffenen wider. Krankheit spielt sich nicht objektiv<br />

außerhalb des Körpers ab, sondern ist das, was man als Person erlebt und<br />

was durch dieses Erleben seine spezifische Form erhält. In der Interaktion<br />

mit seiner Umgebung verleiht der Betroffene seiner Erkrankung Sinn und<br />

Bedeutung. Dies ist entscheidend für den Krankheitsprozess und macht<br />

die Abhängigkeit von der Umgebung und den äußeren Einflüssen deutlich.<br />

Der Krankheitsprozess unterteilt sich in vier Phasen:<br />

▶▶Phase der Unsicherheit<br />

▶▶Phase des Gestörtseins<br />

▶▶Suche nach dem Gleichgewicht<br />

▶▶Streben nach dem Wohlbefinden<br />

In den ersten beiden Phasen erfolgt in der Regel die Diagnosestellung, die<br />

Interventionen zur Rekonstruktion sollten bereits in der zweiten ansetzen<br />

und in der dritten Phase fortgeführt werden. Zu den Interventionen zählt<br />

neben möglichen Therapien unter anderem auch die Patientenedukation.<br />

Sie soll eine dauerhafte Verhaltensänderung erwirken.<br />

Patienten-Informations-Zentren<br />

– PIZ<br />

1999 wurde am<br />

Märkischen Klinikum<br />

in Lüdenscheid das<br />

erste Patienten-Informations-Zentrum<br />

(PIZ) in Deutschland<br />

eröffnet. Vorbild waren<br />

die in den USA<br />

etablierten „patient<br />

learning center“.<br />

Mittlerweile finden<br />

sich mehrere solcher<br />

Informationszentren<br />

an deutschen Akutkliniken<br />

– und es<br />

entstehen immer<br />

mehr.<br />

dem Patienten/Angehörigen die Möglichkeit zu geben,<br />

auf schon besprochene Punkte Bezug zu nehmen.<br />

Geriatrische Patienten und ihre Angehörigen verfügen<br />

aufgrund ihres Lebensalters in der Regel über<br />

weitreichende Erfahrungen und Bewältigungsstrategien<br />

im Umgang mit Krankheit und Gesundheit.<br />

Häufig sind diese nur vergessen oder der Betroffene<br />

ist sich darüber nicht im Klaren, dass ihm seine schon<br />

bekannten Strategien bei der Lösung eines Problems<br />

helfen können. Diese können innerhalb der Beratung<br />

wieder in das Bewusstsein zurückgeholt werden und<br />

so dem Betroffenen zur Verfügung stehen.<br />

Eine typische Beratungssituation<br />

Auf der Station befindet sich eine 78-jährige Patientin.<br />

Sie ist zuhause gestürzt und mit einer Oberschenkelhalsfraktur<br />

ins Krankenhaus gekommen. Bis zu<br />

diesem Zeitpunkt hat sie sich zuhause allein versorgt,<br />

ist nun aber sehr beunruhigt, da sie Angst hat, wieder<br />

zu stürzen. In der Klinik wurde noch ein latenter<br />

Diabetes mellitus Typ II festgestellt. Außerdem hat<br />

ihre Sehkraft sehr nachgelassen, was letztendlich auch<br />

zum Sturz führte. Sie und ihre Tochter, die sie unterstützen<br />

will, bitten um eine Beratung.<br />

Beschreibung des Problems. Zu Beginn bitten Sie<br />

die Patientin und ihre Tochter, die häusliche Situation<br />

zu beschreiben. Skizzieren Sie die Bandbreite des<br />

Problems durch gezielte Fragen:<br />

▶▶Was wissen Sie über Ihre Erkrankungen?<br />

▶▶Wie sehen Sie Ihr Gesundheitsproblem?<br />

▶▶Worüber sorgen Sie sich am meisten?<br />

Entwicklung einer Zielsetzung. Die Patientin<br />

möchte weiterhin selbstständig zu Hause leben. Aber<br />

sie möchte nicht mehr alles allein machen müssen.<br />

Analyse des Problems. Die Patientin äußert, dass<br />

ihr das Einkaufen und die Zubereitung von Mahlzeiten<br />

Schwierigkeiten bereitet, dass ihr häufig etwas<br />

herunterfällt, was sie nur mühsam wieder aufheben<br />

kann. Und: Was ist, wenn sie bei einem Sturz nicht<br />

in der Lage ist, das Telefon zu erreichen?<br />

Erarbeiten von Lösungswegen. Es geht in der Beratung<br />

nie darum, Lösungen vorzugeben. Der Patient<br />

und seine Angehörigen werden aufgefordert, selbst<br />

Lösungsmöglichkeiten zu finden:<br />

▶▶Was denken Sie, können sie jetzt tun?<br />

▶▶Was müssen Sie wissen, um Ihre Ziele zu erreichen?<br />

▶▶Wie können Sie Unterstützung organisieren?<br />

▶▶Was können Angehörige leisten?<br />

Handlungsbewertung und Entscheidung. In unserem<br />

Fall formuliert die Patientin, dass es gut wäre,<br />

wenn eine Haushaltshilfe zur Seite stände und das<br />

Mittagessen ins Haus käme. Auch eine Klingel oder<br />

ein schnurloses Telefon, was sie bei sich trägt, wäre<br />

nicht schlecht. Auch die Tochter besucht sie zweimal<br />

pro Woche. Die Pflegekraft sieht die Möglichkeit der<br />

Pflegestufe I und informiert die Patientin über das<br />

Antragsverfahren.<br />

Bei einer Beratung ist die Rolle der Pflegekraft entscheidend.<br />

Sie kann aufgrund der Anamnese, des<br />

Assessments und der genannten Möglichkeiten die<br />

Realisierbarkeit mit den Betroffenen erörtern und<br />

bei Bedarf auch noch weitere Informationen geben.<br />

Susanne Weiß<br />

FA ZIT FÜR DIE PFLEGE<br />

▶▶Patienteninformation bedeutet Wissensvermittlung,<br />

die Informationen werden gezielt gegeben<br />

▶▶Bei der Patientenbefragung kommt der Pflegekraft<br />

eine beobachtende und fragende Rolle zu.<br />

Mit Informationen und Lösungsvorschlägen hält<br />

sie sich zurück.<br />

▶▶Pateinteninformation und Patientenberatung sind<br />

die Grundlage für eine Patientenschulung.<br />

58<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

Methoden der Patientenschulung<br />

Informieren – Anleiten – Dokumentieren<br />

Die Möglichkeiten, eine Patientenschulung zu strukturieren sind vielfältig. Ob Methodenmix<br />

oder eine bestimmte Methode – Sie haben die Qual der Wahl. Das Ziel, die Erlangung<br />

von Kompetenzen zum eigenständigen Umgang mit gesundheits spezifischen Problemen,<br />

sollte jedoch nicht aus den Augen verloren werden.<br />

Ziel einer Patientenschulung ist die erfolgreiche<br />

Vermittlung von Kompetenzen zum eigenständigen<br />

Umgang mit gesundheitsspezifischen<br />

Problemen. Betroffene und Angehörige lernen,<br />

selbstständig mit Maßnahmen zur Vermeidung<br />

und Behandlung von Erkrankungen umzugehen. Das<br />

geschieht in einzelnen Schritten:<br />

▶▶Einschätzung des Lernbedürfnisses und<br />

der Lernmotivation<br />

▶▶Festlegen der Lernziele<br />

▶▶Durchführung der Schulung<br />

▶▶Überprüfung und ggf. Wiederholung des Lernstoffs<br />

Bei der Planung und Durchführung von Schulungseinheiten<br />

stehen die individuellen Bedürfnisse des<br />

KEYWORDS<br />

Lerntypen<br />

Methodenmix<br />

Schulungsmethoden<br />

Ulcus cruris<br />

QUALITÄT SICHERN<br />

Patientenschulungen ...<br />

▶▶können krankheits- oder krankheitsartenbezogen<br />

erfolgen.<br />

▶▶können auf bestimmte Symptome fokussieren<br />

und ausgehend<br />

davon Bewältigungsstrategien formulieren.<br />

▶▶müssen in Standards formuliert sein und Checklisten<br />

zur Ermittlung<br />

eines effektiven Beginns, der Durchführung und<br />

der Erfolgsbewertung enthalten.<br />

▶▶müssen Kontinuität sicherstellen, auf individuelle<br />

Fragen und Problemkonstellationen reagieren.<br />

▶▶müssen sich in den Pflegealltag implementieren<br />

lassen.<br />

▶▶setzen den Willen zum interdisziplinären Arbeiten<br />

voraus.<br />

▶▶müssen integraler, interdisziplinärer Bestandteil<br />

der Behandlung sein.<br />

▶▶müssen dokumentiert werden, da verschiedene<br />

Berufsgruppen involviert sind und Transparenz<br />

Voraussetzung für Effektivität und Erfolg ist.<br />

© Kerstin Protz, Hamburg<br />

DOI: 10.1007/s00058-012-0370-8<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

59


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

PÜT TERVERBAND<br />

(= Kompressionsverband in Gegenwickeltechnik)<br />

1 Der Verband beginnt an der Großzehe<br />

und läuft über den Fußrücken zur Kleinzehe.<br />

Die Binde wird zwei- bis dreimal<br />

zirkulär um den Vorfuß geführt und …<br />

2 … über den Fußrücken in Richtung<br />

Achillessehne gewickelt.<br />

3 Beginn Fersenschloss Innenknöchel:<br />

Die Binde verläuft von der Achillessehne<br />

im 45°-Winkel über das Fußgewölbe …<br />

4 … über den Fußrücken in Richtung<br />

Achillessehne (Ende Fersenschloss<br />

Innenknöchel)<br />

5 Beginn Fersenschloss Außenknöchel:<br />

Am Außenknöchel im 45°-Winkel über das<br />

Fußgewölbe in Richtung Fußrücken<br />

6 Ferse schließen (Ende Fersenschloss<br />

Außenknöchel)<br />

7 Die Binde um das Sprunggelenk nach<br />

unten zum Achillessehnenansatz führen<br />

und anschließend …<br />

8 … in halbüberlappenden Zirkulärtouren<br />

mit konstantem Zug das Bein<br />

hinaufwickeln<br />

9 Der fertige Verband der ersten Binde endet<br />

zwei Finger breit unter der Kniescheibe.<br />

Die zweite Kurzzugbinde wird über die<br />

Erste gewickelt – in gleicher Technik, allerdings<br />

in gegenläufiger Richtung. Sie beginnt<br />

an den Zehengrundgelenken mit einer<br />

Bindentour von der Kleinzehe über den<br />

Fußrücken zur Großzehe<br />

Betroffenen und seiner Angehörigen sowie die Berücksichtigung<br />

des Lerntyps und somit die Wahl der<br />

Lernform im Vordergrund. Jeder Lerntyp, ob visuell<br />

(sehen), auditiv (hören) oder haptisch (Berührung),<br />

erfordert unterschiedliche Strategien zur Wissensvermittlung<br />

und Erlangung der Handlungskompetenz.<br />

Eine Patientenschulung sollte immer in einer verständlichen<br />

Sprache und unter Zuhilfenahme verschiedener<br />

Visualisierungen (z.B. Broschüren, Modelle,<br />

Filme) durchgeführt werden. Weiterhin sind<br />

auf eine entspannte Atmosphäre und eine wertschätzende<br />

Haltung zu achten. Auch muss die Pflegekraft<br />

die Einheiten so gestalten, dass der Betroffene moti-<br />

viert in die Schulung geht und sein erworbenes Wissen<br />

auch gefestigt wird. Dabei sollten die Schulungseinheiten<br />

aufeinander aufbauen und so lange wiederholt<br />

werden, bis der Betroffene sicher im Umgang<br />

mit dem Thema ist. Je nach Bedarf können mehrere<br />

Schulungseinheiten notwendig sein, um eine Überforderung<br />

des Betroffenen zu vermeiden.<br />

Die Methodenwahl<br />

Die ansonsten in der Erwachsenenschulung üblichen<br />

frontalen Vorträge mit medialer Unterstützung (z.B.<br />

Powerpoint-Präsentation) sind bei Schulung geriatrischer<br />

Patienten nur begrenzt einsetzbar. Es sollte<br />

vielmehr auf interaktive Methoden oder solche mit<br />

60<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


KOMPRESSIONSVERBAND NACH SIGG (modifiziert)<br />

praktischer Ausrichtung zurückgegriffen werden.<br />

Voraussetzung ist, dass ein ausgearbeitetes Manual<br />

vorliegt.<br />

Die Möglichkeiten, eine Patientenschulung zu<br />

strukturieren sind vielfältig. Grundsätzlich sollte die<br />

Methode zum Thema der Schulung und zum Lerntyp<br />

und -stil des Betroffenen passen:<br />

▶▶Rollenspiele (mit wechselnden Rollen) und andere<br />

Spiel-Formen<br />

▶▶Anleitungen mit Übungssequenzen/Fertigkeitentraining<br />

▶▶Videos mit anschließenden Diskussionen am Fall<br />

▶▶Interaktive Computerprogramme<br />

▶▶Anschauungsmaterial (z.B. Modelle)<br />

▶▶Eine Auswahl von Hilfsmitteln<br />

Alle Methoden können in Einzelanleitung und gegebenenfalls<br />

auch in Kleingruppenarbeit angewendet<br />

werden. Bewährt hat sich auch die Kombination verschiedener<br />

Methoden.<br />

Patientenschulung am Beispiel<br />

„chronische Wunde“<br />

In Bezug auf chronische Wunden umfassen die Schulungseinheiten<br />

den allgemeinen Umgang mit der<br />

Wunde, die spezielle Art der Wunde und den Umgang<br />

mit aus der Wunde resultierenden Einschränkungen.<br />

Mögliche Beratungs- und Schulungsthemen sind:<br />

▶▶Wundursache und Wundheilung<br />

▶▶Umgang mit den Beschwerden<br />

▶▶Vermeidung verschiedener Traumata<br />

▶▶Bedeutung von Schmerz und Exsudat<br />

▶▶Sachgerechte Durchführung der Maßnahmen zur<br />

Wundheilung<br />

▶▶Wirksame Hautpflege<br />

Die krankheitsspezifischen Inhalte der Beratung und<br />

Schulung richten sich nach den zu erlangenden Kompetenzen<br />

des Betroffenen in Bezug auf das Selbstmanagement.<br />

Ein wichtiger Punkt innerhalb der Selbstmanagementkompetenzen<br />

bei vorliegendem Ulcus<br />

cruris ist die Akzeptanz und Durchführung einer<br />

Kompressionstherapie. Dabei steht das Anziehen von<br />

Kompressionsstrümpfen, nicht selten auch das Wickeln<br />

der Beine im Vordergrund, wenn das Anziehen<br />

der Strümpfe eine zu hohe Schmerzbelastung darstellt.<br />

Der Fall<br />

Die 78-jährige Patientin leidet auf Grund einer venösen<br />

Rückflussstörung seit mehreren Jahren immer<br />

wieder an Unterschenkelgeschwüren. Sie beklagt sich,<br />

dass das aktuelle Geschwür nicht heilt und sie sich<br />

damit sehr eingeschränkt fühlt. Zurzeit kommt morgens<br />

eine Schwester von der Hauskrankenpflege, die<br />

ihr die Beine wickelt. Abends wickelt die Patientin<br />

die Beine selbstständig ab. Bis jetzt hat sie die Kompressionstherapie<br />

zwar akzeptiert, aber wenn es ihr<br />

zu warm an den Beinen wurde oder sie ausgehen<br />

1 Der Verband beginnt an der Großzehe<br />

und läuft über den Fußrücken zur Kleinzehe.<br />

Zwei bis drei Touren werden mit<br />

2/3-Deckung um den Fuß gewickelt. Die<br />

nächste Bindentour schließt die Ferse ein.<br />

3 … in Richtung Ferse. Nach Einschluss<br />

der Ferse wandert die Binde wieder<br />

zum Fußrücken.<br />

5 Dann wird die Binde in halbüber -<br />

lap penden Zirkulärtouren zum Wadenansatz<br />

gewickelt. Hier endet die erste<br />

Binde.<br />

7 In weiteren Achtertouren mit<br />

1/2-Deckung gleichmäßig kniewärts wickeln.<br />

9 Der am Knie endende Schlauchverband<br />

wird über den Kompressionsverband<br />

geschla gen; der an den Zehen endende<br />

Schlauchverband wird über den Verband<br />

gezogen.<br />

2 Nun läuft die Binde vom Fußrücken<br />

unter dem Fußgewölbe her zurück zum<br />

Fußrücken …<br />

4 Vom Fußrücken geht es zum Fußgewölbe,<br />

hoch zum Fußrücken, Einschluss<br />

der Achillessehne, zurück zum Fußrücken<br />

und zum Fußgewölbe. Nun verläuft die<br />

Binde herauf zum Fußgelenk und um<br />

das Fußgelenk herum.<br />

6 Ab Wadenmuskelansatz wird die zweite<br />

Binde angewickelt. Sie wird schräg an der<br />

Innenseite des Unterschenkels angesetzt<br />

und läuft von oben nach hinten unten und<br />

wieder nach vorne oben (Achtertour).<br />

8 Zwei Finger breit unterhalb der<br />

Kniescheibe endet der Verband mit<br />

einer Zirkulärtour.<br />

10 Fertiger Schlauchverband-Überzug.<br />

Die Enden können bei Bedarf mit<br />

Pflasterstreifen fixiert werden.<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

61


PflegeKolleg<br />

Patientenedukation<br />

METHODISCHE GLIEDERUNG<br />

Patientenschulungen lassen sich gliedern in:<br />

Einschätzung, Planung, Information, Durchführung und Bewertung.<br />

▶▶Einschätzung.<br />

Bevor eine Schulung stattfinden kann, sind die Motivation, der<br />

Kenntnisstand und die Ziele des Betroffenen in einem Vorgespräch<br />

zu erfassen. Die Kriterien zur Einschätzung dieser<br />

Punkte müssen im Vorfeld festgelegt werden und durch<br />

Instru mente operationalisiert werden. Äußerungen von Patienten<br />

und Angehörigen wie direkte Fragen, indirekte Äußerungen,<br />

aber auch körperliche Gesten, die bei der Pflege bemerkt<br />

werden, gelten als Indikator für einen Schulungsbedarf,<br />

der dann nach bestimmten Kriterien eingeschätzt werden<br />

muss. Diese Kriterien sowie die Ergebnisse des Vorgesprächs<br />

sollten von den Pflegenden in einem Erfassungsbogen festgelegt<br />

werden.<br />

▶▶Planung.<br />

Ist in der Einschätzung ein Schulungsbedarf des Betroffenen<br />

und das Vorhandensein der notwendigen kognitiven Ressourcen<br />

festgestellt, so ist es Sache der Pflegenden, diese Ergebnisse<br />

zusammen mit dem Betroffenen zu spiegeln und einen<br />

Schulungsplan aufzustellen. Hier kann die Pflegen de andere<br />

Berufsgruppen und Angebote einbeziehen, in die Planung<br />

integrieren und mit dem Behandlungsverlauf koordinieren.<br />

Der Plan enthält Angaben zu den Zielen, den Beteiligten, der<br />

Art, den Inhalten, der geplanten Dauer sowie eine Spalte zur<br />

Bewertung der Einzelschulung. Dieser Schulungsplan, der die<br />

individuelle Abweichung von den Leitlinien zur Behandlung<br />

erklären und dokumentieren kann, kann Bestandteil der<br />

clinical pathways sein.<br />

▶▶Information.<br />

Stellt sich heraus, dass ein grundlegendes Wis sens defizit über<br />

die Erkrankung beim Patienten vorliegt, muss dieses Defizit im<br />

Vorfeld der Schulung durch den betreuenden Arzt ausgeglichen<br />

werden. Außerdem steht dieser – koordiniert durch die<br />

Pflegenden – bei individuellen Fragen auch innerhalb der Schulung<br />

zur Verfügung. Bei allgemeinen Fragen zu Krankheit und<br />

Gesundheit ist die Pflegende kompetent und kann in dieser<br />

oder der Durchführungsphase ein Informationsgespräch einfügen.<br />

▶▶Durchführung.<br />

Nachdem alle relevanten Daten aufgenommen sind und der<br />

Betroffene durch Wissen befähigt ist, Entscheidungen zu treffen,<br />

kann die Pflegende die einzelnen Schulungsinhalte in<br />

einem gemein sa men Aushandlungsprozess mit dem Betroffenen<br />

planen und diese in Module umsetzen. Dabei integriert<br />

sie auch Schulungen, die von anderen Berufsgruppen, beispielsweise<br />

der Diätberatung, angeboten werden, koordiniert<br />

alle Angebote und fügt sie in den Behandlungsverlauf ein.<br />

Modu le zu pflegerischen Aspekten werden von den Pflegenden<br />

selber durchgeführt und in den Tagesablauf eingebaut.<br />

Wenn es um die Erlangung von Fertigkeiten geht, werden<br />

diese an mehreren Terminen geübt, bis der Betroffene in<br />

der Durchführung sicher ist.<br />

▶▶Bewertung.<br />

Im Anschluss an die Patientenschulung dokumentiert die<br />

Pflegende die Durchführung und die Erfolgseinschätzung der<br />

Schulung im Schulungsplan. Diese Bewertung findet nach jeder<br />

einzelnen Schulung statt und sollte auch ein Statement<br />

des Betroffenen enthalten. In einem Abschlussbericht wird<br />

dann die gesamte Schulung bewertet.<br />

wollte, hat sie sich die Beine immer wieder abgewickelt.<br />

Sonst ist die auf ihr Äußeres bedachte Rentnerin<br />

sehr rüstig und am Tage viel unterwegs.<br />

Einschätzung des Lernbedürfnisses und der Lernmotivation.<br />

Die Patientin äußert das Bedürfnis, situationsbedingt<br />

mit der Kompression umgehen zu<br />

wollen. Sie will nicht auf die Schwester angewiesen<br />

sein. Doch wenn sie sich die Beine zwischendurch<br />

abwickelt, weiß sie nicht, wie sie den Verband wieder<br />

angelegt bekommt. Aufgrund ihrer Agilität ist sie<br />

hochgradig motiviert, den eigenständigen Umgang<br />

mit der Kompressionstherapie zu erlernen. Sie ist ein<br />

auditiv-haptischer Lerntyp und praktisch veranlagt.<br />

Durch frühere Schulungen ist der Patientin bewusst,<br />

wie wichtig eine kontinuierliche Kompression<br />

für die Heilung des Ulcus cruris venosum ist. Sie<br />

lernte auch schon verschiedene Möglichkeiten der<br />

Kompressionstherapie kennen. Strümpfe will sie nicht<br />

anziehen, weil sie beim Überziehen starke Schmerzen<br />

verursachen. In Absprache mit dem behandelnden<br />

Arzt soll nun das Wickeln der Beine erlernt werden.<br />

Die Pflegekraft dokumentiert ihre Einschätzung<br />

im Schulungsprotokoll.<br />

Festlegen der Lernziele. Die festgelegten Ziele müssen<br />

messbar, realistisch und nachvollziehbar sein. Sie<br />

fokussieren auf das zugrundeliegende Problem und<br />

sind durch das Verhalten des Betroffenen beeinflussbar.<br />

Die Lernziele werden in der Dokumentation<br />

protokolliert. In dem Beispiel können die Ziele wie<br />

folgt aussehen:<br />

▶ ▶Die Patientin lernt, was sie beim Wickeln der Beine<br />

zu beachten hat.<br />

▶ ▶Die Patientin nimmt eine Position ein, die ihr das<br />

Erreichen der Beine möglich macht.<br />

▶ ▶Die Patientin kann den Kompressionsverband faltenfrei<br />

nach der richtigen Methode anlegen.<br />

▶ ▶Die Patientin ist sicher im Umgang mit der Kompressionstherapie.<br />

62<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)


Durchführung der Schulung. Bei der Planung der<br />

Schulungseinheiten entschließt sich die Pflegekraft,<br />

das Erlernen des Wickelns der Beine in kleinere Schulungseinheiten<br />

aufzuteilen. Zunächst wickelt sie selbst<br />

die Beine und erläutert bei der Gelegenheit, was beim<br />

Anlegen der Binde zu beachten ist. Besonders fokussiert<br />

sie dabei auf den Zug und die Faltenfreiheit der<br />

Binde. Sie erläutert, wie die Patientin am Fuß vorgehen<br />

kann, damit sie im Anschluss noch in die Straßenschuhe<br />

kommt. Sie lässt die Patientin den Verband<br />

anfassen und auch mal daran ziehen, um die sie mit<br />

der Materie vertraut zu machen.<br />

Im nächsten Schritt stellt sich die Pflegekraft als<br />

Übungspatientin zur Verfügung und bittet die Patientin,<br />

das Wickeln des Beines bei ihr zu versuchen.<br />

Während dieser Tätigkeit gibt sie zeitnahes Feedback<br />

über Druck und Position des Verbandes. Dies sollte<br />

mehrmals geübt werden.<br />

Dann gibt sie der Patientin Hinweise, wie sie ihre<br />

Beine selbstständig erreichen kann (zu Hilfe nehmen<br />

eines Hockers, das Übereinanderschlagen der Beine).<br />

Gegebenenfalls muss das eine Weile geübt werden.<br />

Jetzt leitet die Pflegekraft die Patientin beim eigenständigen<br />

Wickeln der Beine an, gibt zeitnahes Feedback<br />

und korrigiert gegebenenfalls die Wickeltechnik.<br />

Die Pflegekraft dokumentiert die Planung der<br />

Schulungseinheiten mit Ort, voraussichtlicher Dauer<br />

und Inhalten und die einzelnen Schulungserfolge<br />

nach Abschluss der jeweiligen Schulungseinheit.<br />

Überprüfung und Wiederholung des Erlernten. Als<br />

Abschluss der Übungseinheiten lässt die Pflegekraft<br />

sich das Wickeln der Beine zeigen. Abgeschlossen ist<br />

die Schulung, wenn die Patientin ein vollständiges<br />

Anlegen der Kompressionsbinde selbstständig schafft,<br />

ohne dass die Pflegekraft eingreifen musste. Dies wird<br />

ebenfalls im Schulungsprotokoll dokumentiert.<br />

FA ZIT FÜR DIE PFLEGE<br />

▶▶In einer Patientenschulung werden Kompetenzen<br />

zum eigenständigen Umgang mit gesundheitsspezifischen<br />

Problemen vermittelt.<br />

▶▶Dabei müssen die festgelegten Ziele messbar, realistisch<br />

und nachvollziehbar sein.<br />

▶▶Eine Patientenschulung sollte in einer verständlichen<br />

Sprache und unter Zuhilfenahme verschiedener<br />

Visualisierungen durchgeführt werden.<br />

▶▶Die Schulungseinheiten müssen wiederholt werden,<br />

bis der Betroffene sicher im Umgang mit<br />

dem Thema ist.<br />

▶▶Die Patientenschulung muss dokumentiert und<br />

der Erfolg eingeschätzt werden.<br />

VIER LERNTYPEN NACH VESTER<br />

Die Lerntypentheorie von Frederic Vester (1975)<br />

geht von vier Lerntypen aus:<br />

▶▶Lernen durch Hören und Sprechen (auditiv):<br />

Diese Strategie passt zu Lernenden, die aufmerksam<br />

zuhören und sich gut merken, was sie hören.<br />

▶▶Lernen durch das Auge, durch Beobachtung<br />

(visuell): Das Strategie wenden Menschen an, die<br />

gern lesen, mitschreiben, zeichnen.<br />

▶▶Lernen durch Anfassen und Fühlen (haptisch):<br />

Wer am liebsten selbst mit anpackt um zu begreifen,<br />

experimentierfreudig ist und lernt, indem er<br />

etwas tut, sollte auf diese Weise lernen.<br />

▶▶Lernen durch eine geistige Leistung (intellektuell):<br />

Das heißt, Lerngegenstände auch aus abstrakten<br />

Informationen, z.B. aus einer Formel, erfassen<br />

zu können.<br />

Die Einteilung in Lerntypen ist allerdings umstritten.<br />

Wissenschaftler bezweifeln, dass das Lernen von<br />

Persönlichkeitsmerkmalen abhängig ist. Eher spielen<br />

wohl die Motivation, die persönlichen Ziele des<br />

Lernenden und die Lerninhalte eine wichtige Rolle.<br />

Literatur<br />

1. Müller-Mundt G et al. Patientenedukation – (k)ein zentrale-<br />

Thema in der deutschen Pflege? Pflege und Gesellschaft,<br />

2000; 2: 42-53<br />

2. Klug-Redman B. Patientenschulung und -beratung. 1996<br />

3. Pflege Heute. 4. Auflage, 2007<br />

4. SVR. Gutachten des Sachverständigenrats „Bedarfsgerechtigkeit<br />

und Wirtschaftlichkeit“. 2000/2001; Bd I–III<br />

5. Steimel R. Angehörige individuell schulen. Pflegebrief 2001;<br />

7: 4-6<br />

6. Thomas B, Wirnitzer B. Patienten und Pflegende in einer neuen<br />

Rolle. Pflegezeitschrift 2001;7: 469-473<br />

Susanne Weiß<br />

Dipl.-Pflegewirtin (FH)<br />

Dozentin für Pflege in der Aus-,<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Lychener Str. 81, 10437 Berlin<br />

susanne.weiss@berlin.de<br />

<strong>Heilberufe</strong> / Das Pflegemagazin 2012; 64 (3)<br />

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