Die ungarischen Wurzeln des Nosferatu
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der Tonfall ändert sich also auch im zweiten Teil <strong>des</strong> Buches nicht; hingegen die<br />
sexuelle Einstellung von Jerne schon. Denn in diesem Teil ist sie als Vampirin- durch<br />
ihren Tod hat sie auch von Männern genug und wechselt das Ufer- hinter Frauen her.<br />
<strong>Die</strong> Dame, die sie auserwählt hat ist eine junge Ungarischlehrerin bzw. Schriftstellerin,<br />
von der nur der Anfangsbuchstabe ihres Namens bekannt ist, nämlich O.<br />
<strong>Die</strong> Großmutter hingegen, die in Helsinki ihr Unwesen treibt, ist über den langsamen<br />
Fortschritt von Jerne nicht erfreut. Sie setzt ihr ein Ultimatum:<br />
„Jerne Voltamper!<br />
Ich habe für so etwas nicht mehr die Nerven, du missratener Bastard, auch wenn du hundertmal<br />
von meinem Blute bist: du krepierst dort, wo ich dich am 6. Juli, um 18.00 Uhr erwische!<br />
Viele Küsse, Omilein<br />
PS. Nur die Ruhe, das ist nur Schweineblut.“ 109<br />
Jerne reist also nach Tallinn (Hauptstadt Estlands) und erwartet ihr Schicksal, wobei<br />
aber die einstündige Zeitverschiebung zwischen Finnland und Tallinn, der Großmutter<br />
zum letalen Verhängnis wird.<br />
8. 2. 3. Erotik wortwörtlich<br />
In Szécsi Noémis Roman wird Erotik nicht im Stil Stokers nur als Code angedeutet,<br />
sondern offen und wortwörtlich ausgesprochen. Für die Codierung besteht in der<br />
heutigen freien Zeit (gerade in Ungarn muss die neu erlangte Freiheit auch in Bezug auf<br />
das geschriebene Wort natürlich erst mit dem Ende <strong>des</strong> Kommunismus datiert werden)<br />
kein Grund, das wortwörtliche, oft vielleicht teilweise obszön erscheinende, kann als<br />
Wesenszug der modernen <strong>ungarischen</strong> Literatur angesehen werden.<br />
Bei Szécsi erfüllen die erotischen Szenen ebenfalls keine genaue Aufgabe, sie sind nicht<br />
mit dem Wesen <strong>des</strong> Vampirs und <strong>des</strong> Vampirkusses gekoppelt, und sind vielmehr als<br />
augenzwinkernde, satirische Einlage zu sehen, die nicht erotisch, sondern bewusst<br />
sexuell-banal klingen.<br />
109 vgl. ebendort [S. 184]<br />
85