Die ungarischen Wurzeln des Nosferatu
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zweier scharfer Zähne, die die Haut nur berührten und dort verharrten. In schwüler Erregung<br />
schloß ich die Augen und wartete- wartete mit klopfendem Herzen.“ 90<br />
Von der Literaturwissenschaft wurde dieser linguale Code folgendermaßen entziffert:<br />
Zähne= Penis; Haut= Jungfernhäutchen; Beißen= Penetration; Sterben= Orgasmus. Das<br />
Blut Harkers, nach dem die Vamps gieren, steht- so die Forscher- klar für seinen<br />
Samen. In dieselbe Kerbe schlägt später Monika Sznajdermann (sie untersuchte die<br />
Mythologie von Pest, Cholera und AIDS), die in ihrer Studie namens „AIDS und<br />
Vampire“ feststellt, dass der tödliche HIV-Virus ,„die Quintessenz von etwas<br />
Schmutzigem, irgendwas Ansteckendem und Beschmutzendem“´ ist. Genau diese<br />
Eigenschaften werden- so Sznajdermann- dem Vampir in der völkischen Mythologie<br />
zugeschrieben. Auch er bewirkt- genauso wie AIDS oder Syphilis- eine sexuelle<br />
Vergiftung. 91<br />
Auch die Bandbreite der Gefühle, die Harker empfindet, ist bemerkenswert:<br />
Vom „Angsttraum und tödliche Furcht“ am Anfang (stark negative Gefühle) über<br />
„honigsüß und abstoßende Bitterkeit“ (Positives und Negatives stehen gegeneinander)<br />
bis hin zu „schwüler Erregung“ reicht die Bandbreite; das heißt, dass das Abscheuliche<br />
nach und nach herabgestuft wird, sodass die ganze Szenerie zum Schluss hin, nichts<br />
mehr Schreckliches in sich birgt, sondern von Harker- zu seiner Rettung sei gesagt, dass<br />
er in dieser Situation nicht Herr seiner Gefühle, also gewissermaßen in Trance ist<br />
(<strong>des</strong>wegen auch kein Verstoß gegen die Liebe zu Mina)- herbeigesehnt wird.<br />
Im Übrigen hat der Vampir, obwohl als Mann oft attraktiv (als Frau ja immer besonders<br />
anziehend) dargestellt, eine nicht ganz einfache Beziehung zur Sexualität. Während<br />
einige der Wissenschaftler den oben angeführten Code zur Bestimmung seines Wesens<br />
(oder auch seines Autors) heranziehen, sehen sich die Vertreter der Psychoanalyse,<br />
durch die Biss-Szenen an Elemente der „Mutter-Säuglings-Beziehung“ erinnert, wie<br />
Paulowitz in ihrer Arbeit „Nippen darf ich nur an dir- Vampirtexte der<br />
deutschsprachigen Literatur <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts“, anführt:<br />
90 alle drei Zitate aus: Stoker, Bram: Dracula [S. 46-47]<br />
91 vgl. Janion, Maria: A vámpir- Szimbolikus biográfia [S.47-48]<br />
Weiteres Beispiel: Collard, Cyrill: Vad éjszakák. Kozmopolisz Rt., Budapest, 1995.<br />
Der an AIDS erkrankte und einige Tage nach der Überreichung <strong>des</strong> Caesar-Preises verstorbene homosexuelle<br />
Schriftsteller, beschreibt in seinem autobiografischen Roman die vampirische Wollust der Nächte, das<br />
verdorbene Blut (= das mit AIDS infizierte Sperma) vgl. Janion, Maria: ebenda [S.49].<br />
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