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Marc Piollet Siegbert Micheel Kiril Manolov

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Foto: Felix Broede<br />

Musik soll<br />

aufrütteln<br />

<strong>Marc</strong> <strong>Piollet</strong> im Gespräch<br />

Du hast bereits während deines Studiums<br />

mit namhaften Dirigenten zusammen<br />

gearbeitet. Gibt es darunter einen<br />

besonders wichtigen Mentor für dich?<br />

Prägend für mich wurden vor allem John<br />

Eliot Gardiner und Michael Gielen: Gardiner<br />

aufgrund der Auseinandersetzung<br />

mit der Aufführungspraxis und Gielen<br />

wegen der strengen und intellektuellen<br />

Herangehensweise an die Musik.<br />

In Wiesbaden hast du in den letzten Jahren<br />

zahlreiche Opern geleitet, aber auch<br />

große sinfonische Werke und Oratorien<br />

aufgeführt. Was waren deine intensivsten<br />

künstlerischen Erfahrungen?<br />

Der Ring ist natürlich ein Traum, aber<br />

auch eine Herausforderung für jeden<br />

Dirigenten. Ich hatte das Glück, in Wiesbaden<br />

gleich mit dem Ring anzufangen,<br />

allerdings bin ich quer eingestiegen, als<br />

das Projekt schon zur Hälfte produziert<br />

war. Mein erstes Stück war Siegfried. Dennoch:<br />

Die folgende Arbeit am gesamten<br />

Ring ist sicherlich ein wichtiger Aspekt<br />

meiner Wiesbadener Zeit. Weitere zentrale<br />

Opernprojekte waren der Mozart-<br />

Zyklus, Der Freischütz und Verdi-Opern<br />

wie Don Carlos und zuletzt Simon Boccanegra.<br />

Im sinfonischen Bereich würde<br />

ich den Mahler-Zyklus nennen, den ich<br />

jetzt mit der Aufführung der 2. Sinfonie<br />

abschließe, und die Tatsache, dass ich<br />

hochkarätige Solisten wie Janine Jansen,<br />

Steven Isserlis, Robert Levin und Frank<br />

Peter Zimmermann verpflichten konnte.<br />

Ungewöhnliche und selten aufgeführte<br />

Stücke wie Fausts Verdammnis, Jeanne<br />

d’Arc und Genoveva lagen mir immer<br />

besonders am Herzen. Auch die Chorwerke<br />

habe ich so ausgewählt, dass sie nicht<br />

jedes Jahr aus dem gängigen Repertoire<br />

kamen, sondern auch Nischen abdeckten,<br />

so zum Beispiel Hector Berlioz‘ Romeo<br />

und Julia.<br />

Du hast Fausts Verdammnis, Jeanne<br />

d’Arc und Romeo und Julia genannt, alles<br />

Werke französischer Komponisten.<br />

Steht dir als französischem Muttersprachler<br />

auch die französische Musik<br />

besonders nahe?<br />

Da ich meine gesamte Musikausbildung<br />

in Deutschland absolviert habe, ist auch<br />

mein musikalischer Geschmack entsprechend<br />

geprägt. Die deutsch-österreichischen<br />

Komponisten spielen dabei eine<br />

zentrale Rolle. Allerdings bewundere ich<br />

unter den französischen Komponisten<br />

zum Beispiel Berlioz, den ich für einen der<br />

fortschrittlichsten Komponisten halte,<br />

der aber in Deutschland – bis auf die Symphonie<br />

fantastique – leider nicht sonderlich<br />

viel gespielt wird. Solche selten aufgeführten<br />

Werke, die von hervorragender<br />

musikalischer Qualität sind, interessieren<br />

mich sehr.<br />

Gibt es so etwas wie einen Lieblingskomponisten<br />

oder liebste Werke?<br />

Die gibt es sicherlich. Aber generell ist es<br />

so: Je intensiver man sich mit einem Werk<br />

beschäftigt, desto mehr liebt man es.<br />

Als Generalmusikdirektor dirigierst du<br />

Oper und Konzert. Reizen dich beide<br />

Sparten gleichermaßen?<br />

Ja. Ich habe in den letzten Jahren durch<br />

die Verpflichtung in Wiesbaden mehr<br />

Oper dirigiert. Das wird sich in den nächsten<br />

Jahren sicherlich zugunsten der<br />

Konzerte etwas verschieben. Aber ich<br />

will mich auch in Zukunft beiden Sparten<br />

widmen.<br />

Es braucht immer seine Zeit, bis sich ein<br />

Orchester und ein Dirigent aufeinander<br />

eingestellt haben. Hast du das Gefühl,<br />

dass das Wiesbadener Orchester und du<br />

in den acht gemeinsam verbrachten Jahren<br />

aneinander gewachsen seid?<br />

Definitiv. Zwischen dem Dirigenten und<br />

dem Orchester ist es ein Geben und<br />

Nehmen, und jede Seite muss lernen, was<br />

sie von der anderen Seite erwarten kann<br />

und wie man in allen möglichen musikalischen<br />

und menschlichen Situationen<br />

aufeinander reagieren sollte. Das muss<br />

sich erst einstellen, und das hat auch in<br />

Wiesbaden eine Zeit gedauert. Wenn ich<br />

jetzt zurückblicke auf die letzten Jahre,<br />

hat sich die Selbstverständlichkeit in<br />

der gemeinsamen musikalischen Arbeit<br />

absolut optimiert. Das Orchester weiß,<br />

was ich möchte, und stellte sich immer<br />

natürlicher und schneller darauf ein. Das<br />

hat sich entwickelt und entwickelt sich<br />

auch immer noch. Dieser Prozess ist nie<br />

abgeschlossen.<br />

Orchester haben eine ganz eigene<br />

Dynamik. Wie stellt man sich als Dirigent<br />

auf diese unterschiedlichen Orchester<br />

ein?<br />

Jedes Orchester hat sein Potenzial.<br />

Dieses Potenzial gilt es, wenn man zum<br />

ersten Mal mit einem Orchester arbeitet,<br />

sofort zu erkennen und in eine gemeinsame<br />

Richtung zu lenken. Wesentlich ist es<br />

dabei, hellhörig und offen zu sein, um die<br />

Kräfte zu kanalisieren. Wenn man dagegen<br />

kontinuierlich mit einem Orchester<br />

arbeitet, weiß man nach einiger Zeit, wie<br />

man am besten zu dem gewünschten<br />

Ergebnis kommt. Das ist ein ganz anderer<br />

Prozess. Bei einem unbekannten<br />

Orchester muss man sich ständig neu<br />

orientieren, sich vortasten und zuhören,<br />

um ohne unnötigen Aufwand und mit der<br />

größten Klarheit das gemeinsame Ziel<br />

anzusteuern, da man in der Regel sehr<br />

wenig Zeit hat.<br />

Welche deiner internationalen Projekte<br />

haben dich in den letzten Jahren am<br />

meisten beeindruckt? Du hast zum<br />

Beispiel im März in Madrid die spektakuläre<br />

Produktion C(H)ŒURS von Alain<br />

Platel geleitet, bei der sich Tänzer und<br />

Choristen auf der Bühne treffen. (Der<br />

Abend ist am 8./9. Juni 2012 auch bei<br />

den Ludwigsburger Schlossfestspielen<br />

zu sehen.)<br />

Kunst hat – ob man will oder nicht –<br />

immer etwas Politisches. Es gilt, die Menschen<br />

zu erreichen und aufzurütteln. Dieses<br />

Aufrütteln, auch das Aufgerütteltsein<br />

als Künstler, ist das, was ich möchte. Ich<br />

halte es – vor allem in der Oper – für<br />

wesentlich, dass der Regisseur und der<br />

Dirigent mit der Umsetzung eines Stückes<br />

eine bestimmte Aussage vermitteln. Eine<br />

Aufführung soll etwas beim Publikum<br />

auslösen. Das ist für mich die politische<br />

Seite von dem, was wir tun. In dieser<br />

Hinsicht ist das Projekt in Madrid ein<br />

absoluter Glücksfall: Einerseits war da<br />

die absolut einmalige menschliche Erfahrung,<br />

wie alle im Verlauf eins geworden<br />

sind und an einem Strang gezogen haben,<br />

andererseits hat der Abend an sich eine<br />

Aussage – für das Publikum, die Künstler<br />

und für mich. Man hat fast das Gefühl,<br />

man tut damit seine Arbeit als Bürger.<br />

Du wirst in Zukunft frei arbeiten.<br />

Welche Ziele hast du dir gesteckt?<br />

Es war in den letzten Jahren immer mein<br />

Ziel, mich fest an ein Haus zu binden,<br />

weil ich der Meinung war, dass es das<br />

Schönste ist, wenn man kontinuierlich<br />

mit einem Ensemble arbeiten kann.<br />

Allerdings habe ich nach der Erfahrung<br />

aus über 20 Jahren Festengagement nun<br />

das Bedürfnis, mich davon freizumachen.<br />

Ich möchte mich die nächsten Jahre auf<br />

die reine Kunst konzentrieren und nicht<br />

auf die Organisation, die diese Kunst<br />

bestimmt. Vielleicht wird sich das auch<br />

wieder ändern, aber im Moment fühle<br />

ich, dass das richtig für mich ist.<br />

Was wünschst du deinem Publikum<br />

zum Abschied?<br />

Ich denke da an meinen Mentor Michael<br />

Gielen, der es liebte zu provozieren mit<br />

Sätzen wie: „Gefühle dienen der Fortpflanzung,<br />

in der Kunst hingegen darf<br />

man das Gehirn bemühen.“ Aber im Ernst:<br />

Ich möchte mich zunächst für das große<br />

Vertrauen bedanken und für die freundliche<br />

Beurteilung meiner Arbeit, die<br />

ich erfahren habe. Aber ich möchte das<br />

Publikum auch auffordern, offen, tolerant<br />

und interessiert an bekannter, aber auch<br />

fremder, ungemütlicher, reflektierender,<br />

infragestellender Kunst zu bleiben.<br />

Das Gespräch führte Karin Dietrich.<br />

Hessisches Staatsthea ter Wiesbaden / Theaterblatt • Juni 2012 13

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