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6 guerilla growing<br />

Text & Fotos: Markus Berger<br />

#130 | April 2011<br />

Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat<br />

Stechapfel<br />

STECKBRIEF<br />

STECHAPFEL<br />

Datura stramonium LINNÉ<br />

Botanik<br />

Der Stechapfel Datura<br />

stramonium ist eine einjährige,<br />

bis über einen Meter<br />

hoch wachsende, krautige<br />

Pflanze mit weißer, je nach<br />

Varietät auch lilafarbiger,<br />

aufrecht stehender, fünfzipfeliger<br />

Blüte und gezackten<br />

Blättern. Die Frucht ist eiförmig, aufrecht stehend und bestachelt.<br />

Datura stramonium bildet nierenförmigen, schwarzen<br />

Samen aus.<br />

Wirkstoffe<br />

Die Tropanalkaloide Scopolamin und Hyoscyamin, Apoatropin,<br />

Belladonin, Hyoscyamin-N-Oxyd, Tropin und viele andere.<br />

In der gesamten Pflanze finden sich Tropeine in schwankender<br />

Konzentration. Blätter enthalten 0,25 bis 0,5 Prozent,<br />

Wurzeln 0,18 bis 0,22 Prozent Wirkstoffe. In der Blüte konnten<br />

bis zu 0,61 Prozent, in den Samen bis zu 0,66 Prozent Alkaloid<br />

nachgewiesen werden. In der Trockenmasse der Blätter und Samen<br />

finden sich 0,1 bis 0,6 Prozent Alkaloid.<br />

Geschichte<br />

Datura stramonium wurde im 16. Jahrhundert in Europa<br />

eingeschleppt und war zusammen mit seinen Verwandten, der<br />

Tollkirsche (Atropa belladonna) und dem Bilsenkraut (Hyoscyamus<br />

niger), meist fester Bestandteil der Hexensalben und Hexenrituale.<br />

Der Gemeine Stechapfel wurde und wird auf dem<br />

europäischen Kontinent oftmals mit dem Zigeunertum assoziiert.<br />

Diese Tatsache könnte darin begründet sein, dass die rituelle<br />

Räucherung der Stramoniumsamen auf eine Tradition der<br />

Zigeuner zurückgeführt wird. Diese nutzen den Stechapfel zur<br />

Vertreibung, aber auch zur Einladung verschiedener Geister<br />

– oder auch als Orakel: „In der Andreasnacht (30. November) läßt<br />

man Stechapfelsamen draußen im Freien liegen und wirft sie dann<br />

am nächsten Morgen ins Feuer. Wenn die Samenkörner mit lautem<br />

Gekrach verbrennen, dann wird der Winter trocken, aber sehr kalt<br />

werden. (...) Die Zeltzigeuner befragen, um zu erfahren, ob ein Kranker<br />

gesund wird oder nicht, die ‚Zaubertrommel’. Eine Tierhaut wird<br />

mit Strichen versehen, von denen jeder eine besondere Bedeutung hat.<br />

Auf diese Haut werden 9 bis 21 Stechapfelsamen gestreut und diese<br />

durch ein bestimmte Anzahl von Schlägen (...) mittels eines kleinen<br />

Hammers in Bewegung versetzt. Die Lage der Körner auf oder zwischen<br />

den Strichen lässt dann auf Genesung oder den Tod des Kranken<br />

schließen. Dasselbe Verfahren wird auch bei kranken Tieren oder<br />

um gestohlenes Gut wiederzuerlangen, geübt.“ i<br />

„Die Zigeuner haben den Samen zu Orakelzwecken eingesetzt und<br />

auch als magisches Mittel zur Abwehr, <strong>zum</strong> Beispiel des Blitzes benutzt.<br />

Deshalb wurde der Stechapfel auch Donnerbeere genannt (...).<br />

Mittels gewisser Manipulationen mit dem Stechapfelsamen, glaubten<br />

die Zigeuner, Gesundheit und Tod bei Menschen und Tieren, sowie<br />

Erfolg und Misserfolg geplanter Unternehmen voraussagen zu<br />

können. Sie stellten auch ein Pulver aus Tollkirsche und Stechapfel<br />

mit der Bezeichnung ‚Dur’ her, welches sie zur Beseitigung unerwünschter<br />

Personen eingesetzt haben sollen (...). Diese Zigeuner<br />

hatten den Übernamen ‚Dhatureas’ oder Daturavergifter. Pulewka<br />

(1949) berichtete von Massenvergiftungen in der Türkei durch mit<br />

Datura stramonium verunreinigtem Brotmehl.“i<br />

Johnston berichtete 1854 als Zeitzeuge von verschiedenen<br />

Verwendungszwecken der Datura in Europa und auf anderen<br />

Kontinenten: „Der gemeine Stechapfel (Datura Stramonium) ist in<br />

Europa lange als narkotisch bekannt. In Deutschland und Frankreich<br />

soll der Samen nicht selten zur Verübung von Verbrechen benutzt<br />

werden. In Rußland setzt man ihn <strong>zum</strong> Biere zu, um es berauschend<br />

und zu Kopfe steigend zu machen, ein Gebrauch, der früher auch in<br />

China herrschte, aber jetzt seit langer Zeit verboten ist (...).“ ii<br />

Um die betäubende Wirkung des Alkohols zu potenzieren,<br />

wurde auch in Deutschland dem Bier einige Zeit Stechapfel-<br />

Samen beigemischt.<br />

Verwendung<br />

Blätter, Blüten oder die zerstoßenen Samen werden im getrockneten<br />

Zustand geraucht oder frisch gegessen. Aus dem<br />

Kraut kann eine Salbe hergestellt werden. Bis zu vierzig Samen<br />

werden geräuchert. Auskauen der frischen Wurzel, Aufguss<br />

oder alkoholischer Auszug aus Blättern bzw. Blüten.<br />

Wirkung<br />

Die Wirkungen auf Körper und Geist sind gekennzeichnet<br />

durch die typischen Symptome einer Nachtschatten- bzw.<br />

Tropan-Intoxikation und ähneln denen, die durch Tollkirsche<br />

(Atropa spp.; siehe Teil 2 dieser Serie), Engelstrompete (Brugmansia<br />

spp.), Bilsenkraut (Hyoscyamus spp.) und Alraune<br />

(Mandragora spp.) induziert werden. Je nach Dosis können<br />

Ataxie, Atembeschleunigung, Aggression, Bewegungs- und<br />

Koordinationsstörungen, Erregung (auch sexuelle), Euphorie<br />

(z. B. Lach-Flashs), Halluzinationen, Haut- und Gesichtsrötung,<br />

Mundtrockenheit, Mydriasis (Pupillenerweiterung), Raserei,<br />

Rededrang, Tachykardie (erhöhte Pulsfrequenz), Verwirrung,<br />

Wut, und im schlimmsten Fall, sogar der Tod durch Atemlähmung<br />

die Folge eines Konsums sein. Schultes et Hofmann<br />

beschreiben die Wirkungen eines Datura-Konsums folgendermaßen:<br />

„Die physiologische Aktivität äußert sich zuerst in einem<br />

Gefühl der Ermattung, das in eine halluzinatorische Phase übergeht<br />

und schließlich mit tiefem Schlaf und Bewußtlosigkeit endet. Überdosen<br />

können zu dauernder Geistesgestörtheit oder <strong>zum</strong> Tode führen.“ iv<br />

Und weiter: „Die psychoaktive Wirkung ist bei allen Datura-Arten<br />

so stark, daß man sich nicht zu fragen braucht, weshalb sie auf der<br />

ganzen Welt von Naturvölkern als Pflanzen der Götter betrachtet<br />

worden sind.“ v<br />

Das entheogen hauptwirksame Alkaloid Scopolamin wirkt<br />

in großzügiger Konzentration gleichzeitig stark halluzinogen,<br />

bewußtseinstrübend und narkotisierend. Der Konsument verfällt<br />

unter Umständen in einen Trance-ähnlichen, von Visionen<br />

geprägten Schlaf.<br />

Gefahren & Nebenwirkungen<br />

Neben den oben beschriebenen Nebenwirkungen und wegen<br />

der schwankenden Wirkstoffvorkommen in einzelnen Pflanzen<br />

kann ein Datura-Konsum schnell zu einer Überdosierung werden.<br />

Hat ein User sich eine Tropanalkaloid-Vergiftung zugezogen,<br />

kann laienhafte medikamentöse Hilfe ausschließlich per<br />

medizinischer Aktivkohle eingeleitet werden. Des weiteren ist<br />

sofort ein Notarzt zu rufen, und zwar vorzugsweise der des<br />

Rettungsdienstes, nicht der notdienstliche Hausarzt. Der Rettungsdienst<br />

ist im Notfall innerhalb von zehn Minuten vor Ort,<br />

der diensthabende niedergelassene Mediziner könnte durch<br />

andere zu behandelnde Patienten aufgehalten werden.<br />

Der Datura-Intoxikierte ist dringend zu beruhigen („Talk-<br />

Down“), und sollte, wenn möglich, Wasser oder Saft zu trinken<br />

bekommen. Hat der Konsument sich nur leicht vergiftet, kann<br />

es sein, dass die körperlichen Beschwerden nachlassen, sich<br />

vielleicht sogar (nach ein bis drei Stunden) einstellen. Ist die<br />

Vergiftung hingegen schwerwiegend, muss schlimmstenfalls<br />

mit dem Äußersten gerechnet werden.<br />

Die Internetpräsenz der Universität Erlangen/Fachbereich<br />

Pharmazeutische Biologie, bietet ein übersichtliches und informatives<br />

Kompendium <strong>zum</strong> Thema Giftpflanzen und Intoxikationen<br />

mit solchen. Auch zur Datura-stramonium-Vergiftung<br />

findet sich ein kurzes, aus der Realität gegriffenes Fall-Beispiel.<br />

Interessanterweise war der zu behandelnde Patient ein Kleinstkind:<br />

„Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen, Berlin: 9 Monate<br />

altes Kind biss in ein Blatt, nach 1 1/2 Std. Temperaturanstieg<br />

auf 38,6° C, trockene Zunge, Mydriasis, euphorisch, nach 4 Std. klangen<br />

die Symptome ab, Kind war unauffällig.“ vi<br />

Mexikanische Indianerstämme setzen den Peyote-Kaktus<br />

(Lophophora williamsii) bei Toloache-, also Datura-innoxia-<br />

Vergiftung ein. Aus welchem Grund bzw. wegen welchen Inhaltsstoffes<br />

Lophophora spp. ein wirksames Antidot bei Tropanalkaloidintoxikation<br />

ist, konnte ich bis heute nicht aufdecken.<br />

Falls allerdings hierzulande jemand unter einer akuten Nachtschattenpflanzen-Vergiftung<br />

leidet, so darf dieser Person unter<br />

keinen Umständen eventuell verfügbarer Peyote verabreicht<br />

werden.<br />

Rechtslage<br />

Die Pflanzen, Pflanzenteile und Inhaltsstoffe aller Datura-Arten<br />

unterliegen nicht dem Betäubungsmittelgesetz und sind frei<br />

verfügbar. Für wild wachsende Pflanzen gelten (bisher) keine<br />

Ernteauflagen oder -verbote. Synthetische und/oder isolierte<br />

Tropanalkaloide unterliegen dem Arzneimittelrecht, nicht aber<br />

der Betäubungsmittelverordnung. Datura stramonium ist seit<br />

dem 19. Juni 1985 (Anlage 1: 301) laut der sog. ‚Kosmetikverordnung’<br />

als kosmetischer Stoff verboten.<br />

Literatur (Auswahl):<br />

Berger, Markus (2003), Stechapfel und Engelstrompete. Ein halluzinogenes Schwesternpaar,<br />

Solothurn: Nachtschatten Verlag<br />

Berger, Markus (2004), Handbuch für den Drogennotfall, Solothurn: Nachtschatten Verlag<br />

Berger, Markus und Hotz, Oliver (2008), Die Tollkirsche – Königin der dunklen Wälder,<br />

Solothurn: Nachtschatten Verlag<br />

Frohne, Dietrich; Pfänder, Hans Jürgen (1987), Giftpflanzen, Stuttgart: Wissenschaftliche<br />

Verlagsgesellschaft<br />

Küttner, Michael (1998), Der Geist aus der Flasche – Psychedelische Handlungselemente<br />

in den Märchen der Gebrüder Grimm, The Grüne Kraft Löhrbach<br />

Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag<br />

Rätsch, Christian; Müller-Ebeling, Claudia (2003), Lexikon der Liebesmittel, Aarau: AT Verlag<br />

Roth, Lutz; Daunderer, Max; Kormann, Kurt (1994), Giftpflanzen – Pflanzengifte, Hamburg:<br />

Nikol<br />

Fußnoten:<br />

i<br />

Marzell 1922: 173 f.; zitiert in Rätsch 1998: 211:<br />

ii<br />

Vannini et Venturini 1999: 37<br />

iii<br />

Johnston 1854: 135<br />

iv<br />

Schultes et Hofmann 1998: 111<br />

v<br />

Schultes et Hofmann 1998: 111<br />

vi<br />

www.biologie.uni-erlangen.de/pharmbiol/ vor_arzneipfl,mikroorg,viren%20II/<br />

giftpflanzen.html (Link„Klassische Giftpflanzen“)

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