Brigitte Liebig - Rainer Hampp Verlag
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18 <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001)<br />
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong> *<br />
Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz?<br />
Orientierungen zur Geschlechtergleichstellung im Kontext betrieblicher<br />
Transformationen **<br />
Geschlechterverhältnisse sind im Zuge betrieblicher Transformationen einer neuerlichen<br />
Verhandlung ausgesetzt, deren Resultat die Erfahrung und Bewältigung des<br />
Umbruchs mitbestimmt. Diese Annahme bildet den Ausgangspunkt einer Analyse, die<br />
Varianten der Wahrnehmung betrieblichen Wandels in ihren Auswirkungen auf Orientierungen<br />
zur Geschlechtergleichstellung untersucht. Gruppendiskussionen mit Vertreterinnen<br />
und Vertretern des mittleren Kaders schweizerischer Dienstleistungsunternehmen,<br />
die sich alle in tiefgreifendem Umbruch befinden, stellen die empirische Grundlage<br />
einer Diskursanalyse dar. Diese lässt nicht nur geschlechtstypische Deutungen des<br />
Wandels erkennen, sie legt auch nahe, dass der aktuelle Umbau in den Betrieben weitaus<br />
seltener die Bereitschaft zur Gleichstellung fördert, als dass er von kulturellen<br />
Formen der Ausgrenzung von Frauen begleitet ist. Die Resultate werden als Hinweis<br />
auf die Bedeutung von Maßnahmen interpretiert, die der Bewältigung der durch Reorganisationen<br />
entstehenden Herausforderungen dienen.<br />
Catalyst of Change or Tougher Competition? Gender Relations in the Context of<br />
Corporate Reorganisation<br />
In times of transition, corporate gender relations become exposed to renegotiation,<br />
the outcomes of which can strongly influence the experience and mastering<br />
of such transition. Starting from this assumption, the study reconstructs experiences of<br />
corporate reorganisation in terms of their consequences for orientations towards gender<br />
equality policies. Group discussions with male and female middle managers of<br />
Swiss service corporations undergoing profound change form the empirical basis for<br />
methods of discourse analysis. The results not only reveal gender-typical perceptions of<br />
corporate change, but also highlight that current corporate reorganisation is much<br />
more likely to lead to cultural forms of female exclusion than to support the integration<br />
of women. The findings are interpreted as an indicator for the importance of measures<br />
supporting the mastering of challenges arising from corporate change.<br />
______________________________________________________________________<br />
* Dr. <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>, Jg. 1959, Psychologisches Institut der Universität Zürich, Sozialpsychologie<br />
I, Plattenstr. 32, CH-8032 Zürich, e-mail:brigitte.liebig@access.unizh.ch.<br />
Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Organisationen, Wissenschaft und Technik, Eliten, Geschlechterverhältnisse.<br />
** Artikel eingegangen: 7.7.2000<br />
revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 1.12.2000.
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Einleitung<br />
Strukturwandel, globaler Wettbewerb und technologische Entwicklung haben<br />
grundlegende Veränderungen betrieblicher Organisations- und Arbeitsformen mit sich<br />
gebracht (z.B. Braczyk et al. 1996). In ihren Konsequenzen für die Beschäftigungs- und<br />
Aufstiegschancen von Frauen werden sie sehr unterschiedlich bewertet: Erscheinen mit<br />
dem Trend zum Bürokratie- und Hierarchieabbau, zur Dezentralisierung und Bildung<br />
kleiner, autonomer Organisationseinheiten einerseits traditionelle Formen der<br />
Geschlechterungleichheit relativiert, so sind sie andererseits offenbar von neuen informellen<br />
Mechanismen der Benachteiligung von Frauen begleitet. Neben ersten Ansätzen<br />
einer Debatte (z.B. Brumlop 1993; Goldmann 1994; Riegraf 1996; Quack 1998; Benschop/Doorewaard<br />
1998; Zeitschrift f. Frauenforschung 1998) blieb bisher weitgehend<br />
unausgelotet, welche konkreten Auswirkungen der Umbau der Betriebe auf die Möglichkeiten<br />
zur Realisierung von Gleichstellungsvorgaben hat. Insbesondere fehlt es an<br />
Analysen, welche die kulturellen Rahmenbedingungen betrieblicher Transformationen<br />
offenlegen, in deren Kontext Frauen an gleichberechtigten Partizipations- und Karrierechancen<br />
gewinnen können – oder aber verlieren.<br />
Die widersprüchlichen Auswirkungen von Reorganisationsprozessen für das betriebliche<br />
Geschlechterverhältnis weisen darauf hin, dass der strukturelle Umbau der<br />
Betriebe zwar als eine notwendige, jedoch nicht als hinreichende Voraussetzung für die<br />
Realisierung der Gleichstellungsvorgaben betrachtet werden kann. Ins Blickfeld rücken<br />
dabei Aspekte betrieblichen Wandels, die heute u.a. als Teil der „kollektiven Intelligenz“<br />
(Toffler 1990) der Unternehmen beschrieben werden: Ihre Grundlagen bilden<br />
nicht allein die Informiertheit bzw. das stetig aktualisierte Faktenwissen der Mitarbeiterschaft,<br />
wie es im Rahmen fachspezifischer Ausbildungsgänge erworben werden<br />
kann, sondern auch interpersonale Lernprozesse, denen eine eigenständige, die externen<br />
und internen Bedingungen und Verhältnisse der Unternehmen einschließende Dynamik<br />
innewohnt. In der Management- und Organisationstheorie wird dieses Lernen heute aus<br />
kognitions- und verhaltenstheoretischer Perspektive angegangen, oder aber es wird als<br />
kultureller Prozess diskutiert, d.h. als Ausdruck der Entwicklung und Veränderung kollektiver<br />
Interpretationen sozialer Wirklichkeit in Organisationen (Pawlowsky 1998).<br />
Auf die Bedeutung kollektiver Formen der Wirklichkeitsinterpretation für betriebliche<br />
Prozesse und Praktiken wird bereits seit Anfang der 80er Jahre von der Organisationskulturforschung,<br />
genauer: ihrer interpretativen Denktradition (z.B. Pondy et al.<br />
1983; Frost et al. 1991) aufmerksam gemacht. Organisationen werden hier als symbolisch-kulturelle<br />
Bedeutungssysteme oder Muster handlungsleitender Orientierungen verstanden,<br />
deren Inhalte vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Geschichte und Alltagspraxis<br />
entstehen (vgl. z.B. Smircich 1983). Im Zuge der Entwicklung des Forschungsfeldes<br />
gerieten dabei zunehmend Auffassungen ins Zentrum, welche die Kultur<br />
der Unternehmen als situatives Verständigungs- und Verhandlungsergebnis sozialer Akteure<br />
in den Vordergrund rücken und unter dem Aspekt von Interessenkonflikten und<br />
Machtbeziehungen thematisieren (vgl. Alvesson/Berg 1992; May 1997). Sie finden sich<br />
heute auch in Perspektiven vertreten, in denen betriebliche Geschlechterverhältnisse als<br />
symbolisch-kulturell hergestellt und legitimiert sowie als Ausdruck eines Kampfes um
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Realitäten und Rationalitäten zwischen den Geschlechtern beschrieben werden (vgl.<br />
z.B. Billing/Alvesson 1994; Calas/Smircich 1996; Collinson/Hearn 1996, Hearn/Collinson<br />
1998). Strukturelle Ausdrucksformen von Geschlechterdifferenz und -hierarchie<br />
gelten dabei sozusagen als Speicher ehemals interaktiv und diskursiv zwischen den Geschlechtern<br />
verhandelter Realitätsbestimmungen, die das Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses<br />
stetig wieder reaktivieren (Halford et al. 1997; s.a. Müller 1999).<br />
Die im Zusammenwirken struktureller und kultureller Faktoren gebildeten Verfestigungen<br />
betrieblicher Geschlechterbeziehungen sind, so soll hier angenommen werden,<br />
in Phasen der Reorganisation in besonderem Maße der Verflüssigung ausgesetzt. Die<br />
Neustrukturierung betrieblicher Abläufe eröffnet möglicherweise mikropolitische Handlungsspielräume<br />
und Gestaltungsmöglichkeiten, eine bis anhin „asymmetrische Geschlechterkultur“<br />
(Müller 1998) der neuerlichen Verhandlung auszusetzen. Dieser Prozess<br />
findet gleichermaßen vor dem Hintergrund betriebsgeschichtlicher Erfahrungszusammenhänge<br />
statt, wie er sich eng mit der Erfahrung des aktuellen Umbruchs und der<br />
Neuorientierung der Unternehmen verbindet. An diesen Überlegungen ansetzend, richten<br />
sich die folgenden Ausführungen auf die Frage, wie sich die kulturelle Verarbeitung<br />
betrieblicher Transformationen zu Orientierungen verhält, welche die Gleichstellung der<br />
Geschlechter betreffen. Dabei geht es nicht allein darum, die widersprüchlichen Implikationen<br />
von Reorganisationsprozessen für weibliche Erwerbschancen und Karrieren in<br />
Unternehmen zu verstehen, sondern überdies einige grundsätzliche Voraussetzungen<br />
wissenskreativer Prozesse im Rahmen betrieblichen Wandels auszuloten.<br />
Zum methodischen Verfahren<br />
Empirische Grundlage der Analyse bildet ein Vergleich schweizerischer Dienstleistungsunternehmen<br />
verschiedener Branchen, die sich alle im Umbau befinden: Sei es,<br />
dass sie als Staatsbetrieb noch am Beginn einer tiefgreifenden Unternehmensreform stehen,<br />
dass sie infolge von Deregulierungs- bzw. Privatisierungsprozessen vor die Aufgabe<br />
einer vermehrten unternehmerischen Verantwortung gestellt werden, dass sie infolge<br />
einer Unternehmens-Fusion eine Neuorientierung vornehmen müssen oder aber sich<br />
wiederholt einem Reorganisationsgeschehen ausgesetzt sehen. Die Führungsbereiche<br />
der ausgewählten Großbetriebe sind in allen Fällen männlich dominiert. 1 Gemeinsam<br />
mit weiteren 15 führenden Industrie- und Dienstleistungsunternehmen der Schweiz bilden<br />
sie Ausgangspunkt einer umfassenden, methodisch qualitativ verfahrenden Studie,<br />
die sich mit den betrieblich-kulturellen Voraussetzungen der Geschlechtergleichstellung<br />
in Wirtschaft und Verwaltung befasst. 2<br />
In den Unternehmen wurden in den Jahren 1997/98 selbstläufige Gruppendiskussionen<br />
(vgl. Bohnsack 1997) von etwa zweistündiger Dauer mit jeweils durchschnittlich<br />
sechs weiblichen und männlichen Mitgliedern des mittleren Managements durchge-<br />
1 1997/98 lag der Frauenanteil in der Belegschaft der Unternehmen zwischen 10% und ca.<br />
40%; im mittleren Management waren zu diesem Zeitpunkt etwa 2% bis max. 7% Frauen<br />
beschäftigt.<br />
2 Die Studie wurde unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Schwerpunktprogramms<br />
'Zukunft Schweiz' (1997-2000) durchgeführt (www.snf.ch).
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führt. 3 Es handelt sich dabei um Vertreterinnen und Vertreter eines Kadersegments, dem<br />
nicht allein zentrale Funktionen bei der Kommunikation betrieblicher Veränderungen<br />
zukommen (vgl. Walgenbach 1993), sondern das sich auch in besonderer Weise von<br />
dem oftmals mit Umstrukturierungen einhergehenden Stellenabbau in den Unternehmen<br />
betroffen sieht. Den Gruppendiskussionen ging eine allgemeine Einleitung in die Problemstellung<br />
der Studie sowie die konkrete Frage nach den ersten persönlichen Erfahrungen<br />
mit der Firma voraus. Hierauf folgte ein thematisch von der Gruppe weitestgehend<br />
selbst bestimmtes Gespräch von hoher kommunikativer Dichte, das auf Tonband<br />
aufgezeichnet und transkribiert wurde. 4 Bei der Auswertung des Textmaterials gelangte<br />
die ‘Dokumentarische Methode der Interpretation’ (Bohnsack 1993) zur Anwendung.<br />
Das auf den methodologischen Überlegungen der Wissenssoziologie Karl Mannheims<br />
(1964) aufbauende Verfahren erlaubt, methodisch kontrolliert gruppenspezifische Bedeutungshorizonte<br />
zu rekonstruieren und mit Hilfe ihrer Kontrastierung Typen kollektiver<br />
Orientierung zu generieren. Diese Typen, die keinen Aussagewert im Sinne von Repräsentativität<br />
beanspruchen, dienen dem Erarbeiten von „grounded theories“ (Strauss<br />
1991) über die lebensweltlichen Hintergründe spezifischer Sinnwelten.<br />
Betriebliche Transformationen und Orientierungen zur<br />
Gleichstellung: Empirische Resultate<br />
Die diskursanalytische Interpretation der Gruppendiskussionen lässt zunächst die<br />
Herausforderungen erkennen, vor die betriebliche Transformationen verschiedenster<br />
Ursache und Art die Beschäftigten der Unternehmen stellen. In den hier untersuchten<br />
Kadergruppen gehen die Veränderungen mit dem Erleben eines unterschiedlich hohen<br />
Ausmaßes an Ungewissheit und Unsicherheit einher. Steht für die eine Gruppe von Führungskräften<br />
noch die Unerlässlichkeit einer Neuorientierung im Vordergrund, wird diese<br />
Sichtweise in anderen Diskussionen von Gefühlen erheblicher Verunsicherung und<br />
rückwärtsgewandten Perspektiven überlagert. Die fallintern vergleichende Betrachtung<br />
der Gruppendiskussionen weist zudem auf die Bedeutung der sozialen Lage der Betroffenen<br />
bzw. den Einfluss von Geschlecht und Alter für das Erleben des Umbruchs hin.<br />
Allerdings zeigt sich auch, dass unter bestimmten betrieblichen Bedingungen geschlechtstypische,<br />
unter anderen Voraussetzungen geschlechtsübergreifende Situationsdeutungen<br />
an Bedeutung gewinnen.<br />
3 Die Gesprächsgruppen wurden von Kontaktpersonen in den Unternehmen zusammengestellt<br />
und vereinten mittlere Kader aus unterschiedlichen Funktionsbereichen sowie unterschiedlich<br />
langer Betriebszugehörigkeit. Die insgesamt 53 Teilnehmerinnen und 57 Teilnehmer<br />
waren im Alter zwischen 27 und 56 Jahren und verfügten mehrheitlich über Qualifikationen<br />
auf tertiärem Bildungsniveau. Dabei befanden sich unter den bis zu 35 Jahre alten Führungskräften<br />
76.5% der weiblichen Kader, während die Männer weitaus häufiger der älteren<br />
Generation angehörten: unter den 51-55-jährigen Führungskräften stellten sie 70%.<br />
4 Expertengespräche mit Gleichstellungsbeauftragten oder Personalverantwortlichen, Betriebsrundgänge,<br />
Strukturdaten zu den TeilnehmerInnen wie den Unternehmen sowie Beobachtungsprotokolle<br />
ergänzten die hier gewonnenen Informationen.
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In jüngeren Arbeiten der Managementforschung werden unterschiedliche Formen<br />
der Problemwahrnehmung und das daraus resultierende problemlösungsorientierte Verhalten<br />
in Anlehnung an stresstheoretische Konzepte als Ergebnis einer jeweils spezifischen<br />
Relation zwischen Anforderungen und Ressourcen definiert. Dabei gilt u.a. das<br />
steigende Ausmaß an wahrgenommener Unsicherheit, das auf die zunehmende Diskrepanz<br />
zwischen diesen Variablen zurückgeleitet wird, als Ursache von Prozessen der organisationalen<br />
Schließung (vgl. z.B. Gmür 1996, Klimecki/Gmür 1997). Der hier konstatierte<br />
Zusammenhang stellt den Ausgangspunkt der folgenden fallvergleichenden<br />
Analyse dar, wobei in diese eine geschlechter-sensibilisierte Betrachtung eingeschlossen<br />
ist. Varianten der Deutung betrieblicher Transformationen sollen dabei ebenso in ihrer<br />
Verankerung in spezifischen Erfahrungszusammenhängen bzw. „Anforderungs-<br />
Ressourcen-Relationen“ (Klimecki/Gmür) dargelegt, wie in ihren Auswirkungen auf<br />
Orientierungen zu Gleichstellung der Geschlechter beschrieben werden.<br />
„Können Sie uns da ein bisschen verunsichern?“ – oder:<br />
Gleichstellung als Katalysator betrieblichen Wandels<br />
Als Ausgangspunkt der Darstellung bietet sich eine Gruppendiskussion unter mittleren<br />
Kadern eines traditionsreichen Schweizer Staatsbetriebs an, der sich noch ganz am<br />
Anfang einer Neuorientierung von einem ehemals technischen Betrieb in ein modernes<br />
Dienstleistungsunternehmen befindet. Nicht der betriebliche Wandel in seinen Folgen,<br />
sondern seine bis anhin geringe Dynamik, genauer: die Probleme der Umsetzung betrieblicher<br />
Reformen und die Überwindung von Barrieren und Widerständen der Belegschaft<br />
geraten hier den Führungskräften zum Problem. Die Ursachen der „Erstarrung“<br />
des Unternehmens werden dabei in einem von betrieblichen Hierarchien und „Verregelung“<br />
charakterisierten Arbeitsumfeld lokalisiert, in dem Denk- und Handlungsmuster<br />
ausgebildet wurden, die in ihrer Unbeweglichkeit („alles ist geordnet nach Schema F“)<br />
aus der Sicht der Kader den aktuellen Anforderungen an die Flexibilität, Autonomie und<br />
Kreativität der Beschäftigten nicht mehr genügen. In diesem Zusammenhang kommt<br />
insbesondere die kulturelle Homogenität eines ausgesprochen männlich geprägten Arbeits-<br />
und Führungskontextes zur Sprache, der sich jeglichen alternativen Erklärungsund<br />
Problemlösungsansätzen verwehrt.<br />
Gerade mit einer vermehrten kulturellen Vielfalt gehen deshalb in der Gruppe Vorstellungen<br />
betrieblichen Wandels einher. Angesichts der ausgesprochen geringen Zahl<br />
an Mitarbeiterinnen wird diese kulturelle Diversität aus Sicht der Führungskräfte zunächst<br />
durch eine größere Zahl an Frauen eingebracht. Entsprechend üben sie an der<br />
bisherigen Tatenlosigkeit des Unternehmens im Bereich der Gleichstellungsförderung<br />
Kritik, die sie als Ausdruck seiner grundsätzlich mangelnden Veränderungsbereitschaft<br />
interpretieren. Im nachfolgend angeführten Redebeitrag eines männlichen Gesprächsteilnehmers<br />
findet sich diese Situationsdeutung pointiert zusammengefasst. Deutlich<br />
werden dabei ebenfalls Vorstellungen über das Veränderungspotenzial von Frauen bzw.<br />
über die Konsequenzen ihres Einschlusses für die betrieblichen Verhältnisse:
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Am: 5 die Männer die haben alle ein unheimlich eingebranntes Bild in ihrem Kopf von<br />
einem hierarchischen Unternehmen wo alles bestens geregelt ist wir haben mal einen<br />
Generaldirektor gehabt der hat das so charakterisiert die (Unternehmensname)<br />
ist eine Kreuzung zwischen Militär und Katholischer Kirche also zwei streng hierarchisch<br />
organisierte Sachen das ist also eine überpotenzierte Hierarchie (.) nicht<br />
so sehr dass wir in unseren Umgangsformen sehr hierarchisch sind aber in der<br />
Denkweise stark rollenbezogen und zu jeder Rolle gehört ein bestimmtes Bild und<br />
eine Funktion und solange die stimmt macht man seine Arbeit und geht man da nur<br />
ein bisschen dran kratzen dann merkt man als erstes unheimliche Widerstände (.)<br />
und sehr rasch wird man direkt angefeindet also man tut einem unterstellen man täte<br />
(Unternehmensname) in Frage stellen also es wird sehr schnell ideologisch (.)<br />
und in dem Bereich sind Frauen (.) so wie ich sie kenne grundsätzlich anders strukturiert<br />
in der Denkweise also nicht so stur hierarchisch sondern man geht anders<br />
aufeinander zu und sie sind dann (.) ich stell mir vor sie müssen dann direkt wie<br />
Sprengstoff wirken an den verschiedenen Orten ich würde es mir wünschen dass<br />
sie so sind<br />
Aus dieser Sicht kommen Frauen deshalb als Motor des Aufbruchs in Betracht, da<br />
sie sich weniger an den in der Tradition männlicher Zusammenarbeit ausgebildeten<br />
Verhaltens- und Kommunikationsregeln orientieren, die nun das Unternehmen zu ersticken<br />
drohen. Die weiblichen Handlungsspielräume, so die Annahme, resultieren dabei<br />
gewissermaßen aus ihrem bisherigen Ausschluss aus den Betrieben. Gerade für die Bewältigung<br />
von Aufgaben auf der Ebene leitender Funktionen konnten sich Frauen deshalb<br />
Eigenschaften bewahren, mit denen sie den von Männern in Militär und Betriebsorganisationen<br />
erworbenen Einstellungen und Verhaltensmustern eine die Modernisierung<br />
des Unternehmens unterstützende „Unkonventionalität“ entgegenhalten. Aufgrund<br />
ihrer bisher mangelnden betrieblichen Sozialisation treiben sie potenziell die Neuausrichtung<br />
des Unternehmens voran, indem sie die „Normalität“ betrieblicher Traditionen<br />
und Orientierungen aufbrechen, „offener für Neuerungen“ und weniger ängstlich im<br />
Umgang mit Veränderungen sind. In diesem Sinne – so die Hoffnung – „müssen (Frauen)<br />
dann direkt wie Sprengstoff wirken“.<br />
In den Stellungnahmen der anwesenden Männer dokumentieren sich dabei allerdings<br />
Haltungen, die sich als Gegenposition zu den dominanten betrieblichen Orientierungen<br />
verstehen und nicht zuletzt deshalb die Allianz mit den anwesenden Vertreterinnen<br />
der weiblichen Minderheit im Unternehmen suchen. Im Effekt soll die vermehrte<br />
Integration von Frauen auch für sie „befreiend“ wirken. Deutlich wird in der Gesprächsrunde,<br />
dass sich nicht nur die weiblichen Führungskräfte im derzeitigen Führungs- und<br />
Arbeitsumfeld oftmals in ihrer Initiative gebremst empfinden, auch die männlichen Kader<br />
der Gruppe, die sich zu vehementen Befürwortern des Wandels zählen, geraten of-<br />
5 Die Folge, in der die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer das Wort ergreifen, ist mit<br />
dem Alphabet gekennzeichnet (A = erste sprechende Person); das Geschlecht der Sprechenden<br />
markieren die Buchstaben 'm' oder 'f' (maskulin oder feminin). Die Diskussionen sind<br />
hier ausschließlich unter Angabe von Pausen (.), parasprachlichen Äußerungen (lacht) sowie<br />
Betonungen (positiv) verschriftet und sprachlich leicht geglättet.
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fenbar – wie der obenstehende Redebeitrag deutlich macht – durch Kritik an gewohnten<br />
Abläufen und Regeln in den Verdacht, das Unternehmen grundlegend infrage zu stellen.<br />
In der Erfahrung mit den alltäglichen Behinderungen und Blockaden gegenüber Formen<br />
der Eigeninitiative und neuem, z.B. „nicht-technischem“ Wissen, treffen sich in der<br />
Diskussion somit die Perspektiven der weiblichen Kader und die ihrer männlichen Kollegen.<br />
Beide empfinden sich in einem Umfeld eingeengt, das aus ihrer Sicht Kommunikations-<br />
und Kooperationsformen konserviert, die einer zielorientierten und effizienten<br />
Zusammenarbeit entgegenwirken.<br />
Wenn auch das Wissen um die Bedeutung der Integration von Frauen als Katalysator<br />
fundamentaler betrieblich-kultureller Veränderungen in allen untersuchten Gruppen<br />
zutage tritt, so besitzt die Instrumentalisierung der Geschlechtergleichstellung im Dienste<br />
der betrieblichen Innovation, wie sie im vorliegenden Fallbeispiel als Denkmuster gefunden<br />
werden kann, im Rahmen der Studie Ausnahmecharakter. Dazu beitragen mag,<br />
dass einzig in dieser Untersuchungsgruppe die Suche nach Impulsen zur Veränderung<br />
im Vordergrund steht, während das betriebliche Umfeld durch ein Übermaß an betrieblichen<br />
Routinen, Ordnung und i.w.S. Sicherheit kennzeichnet ist. Und neben der marginalisierten<br />
Position der anwesenden Männer mag die fehlende ‘Ressourcenfrage’ dafür<br />
verantwortlich sein, dass sich einzig hier die männlichen Führungskräfte von der vermehrten<br />
Zusammenarbeit mit Frauen eine Verbesserung der Arbeitsatmosphäre und -<br />
abläufe („ich würde lieber mit Frauen zusammenarbeiten“) versprechen, während sich<br />
die weiblichen Kader unterstützt von den Kollegen als Agentinnen einer „ouverture<br />
d’esprit“ ins Gespräch einzubringen vermögen. Denn wie die folgende Fallrekonstruktion<br />
darlegt, verlieren in einem bereits tiefgreifend von Umbruch geprägten Erfahrungszusammenhang<br />
nicht nur die Gemeinsamkeiten der Interessen und Orientierungen der<br />
Geschlechter an Boden, männliche Kader bringen dann auch der Integration von Frauen<br />
nur noch ambivalente Haltungen entgegen.<br />
Weibliche „Hoffnungen“ – männliche „Bedenken“ oder:<br />
Gleichstellung als verschärfte Konkurrenz<br />
Ist der Prozess der Reorganisation bereits in Gang, werden im Rahmen der Studie<br />
Vorstellungen eines Aufbruchs in der Regel nur noch von weiblichen Führungskräften<br />
vertreten, während männliche Kader mehrheitlich Bedenken anmelden. Als lebensweltlicher<br />
Hintergrund unterschiedlicher Haltungen zum betrieblichen Wandel kristallisiert<br />
sich neben der Geschlechtszugehörigkeit die Zugehörigkeit zur jüngeren oder älteren<br />
Generation heraus. Exemplarisch verdeutlichen dies Gruppendiskussionen mit Kadern<br />
zweier Betriebe, bei denen es sich zum einen um ein einstmals staatliches Unternehmen<br />
handelt, das im Zuge der Teilliberalisierung seiner Muttergesellschaft wenige Monate<br />
vor dem Gespräch entstand, zum anderen um einen Schweizer Dienstleister, der sich infolge<br />
einer Fusion grundlegenden Neuerungen ausgesetzt sieht. Infolge der Transformationen<br />
dominiert in beiden Untersuchungsgruppen insbesondere unter den älteren,<br />
männlichen Führungskräften die Erfahrung eines Verlusts von Handlungsorientierung<br />
und Zukunftsperspektiven, während in erster Linie die jüngeren, weiblichen Kader die<br />
aktuellen Umbrüche als berufliche Chance interpretieren.
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Verlust von Unterstützung und Privilegien<br />
Die Verschränkung geschlechts- und generationstypischer Erfahrungen und Orientierungen<br />
sei hier zunächst am Beispiel des Umgangs mit dem Wandel betrieblicher<br />
Strukturen dargelegt: Mit Blick auf neue Formen der Arbeitsteilung und Prozesse der<br />
Dehierarchisierung wird besonders von männlichen Kadern, die auf eine lange Betriebszugehörigkeit<br />
zurückblicken können, die ordnungs- und orientierungsstiftende<br />
Funktion der ehemaligen Strukturen betont. Mit der Umstrukturierung geht aus ihrer<br />
Sicht, so illustriert exemplarisch die untenstehende Textpassage, die „Kultur“ des Unternehmens<br />
und damit die Grundlage seines „guten Geistes“ verloren. In ihren Folgen<br />
droht die Zerstörung der ehemaligen Organisationsformen soziale Anomie, wenn nicht<br />
gar den „Untergang“ des Betriebs hervorzurufen.<br />
Cm: was wir natürlich bisher gehabt haben sind langzeitige stabile Organisationsformen<br />
(.) und da hat sich natürlich eine Kultur und ein Geist entwickeln können und da<br />
hat man gewusst wie man sich wo das Beziehungsnetz gewesen ist (.) mit wem<br />
man was verhandelt das ist natürlich auch ein Kulturaspekt und jetzt mit dem<br />
Change hat man tatsächlich alles die ganzen Beziehungsgeflechte kaputt gemacht<br />
und das ist natürlich (.) also aus meiner Sicht ist das natürlich der Untergang von<br />
einer Firma oft kann man das nicht machen (.) warum wir leben mit Beziehungen<br />
das ist auch Bestandteil von einer Kultur das man genau weiß wann woher man<br />
muss und wieviel es vertragen kann und wieviel (.) das System ist ja berechenbar<br />
wie ein Chef oder eine Chefin sobald sie berechenbar ist wird es interessant wenn<br />
sie unberechenbar ist es eine Katastrophe und genauso ist doch das ganze System<br />
und das Geflecht von einer Firma wenn man weiß wie man sich muss drin bewegen<br />
gibt’s einen guten Geist<br />
Zentralen Bestandteil der betrieblichen Kultur bildet für den Sprecher ein „Geflecht“<br />
sozialer Beziehungen, das Grenzen und Möglichkeiten der Einflussnahme auf<br />
Entscheidungen markiert, die Übersichtlichkeit betrieblicher Prozesse und die Berechenbarkeit<br />
der Entwicklungen garantiert – kurz: Mittel zur Bewältigung von Kontingenzen<br />
im betrieblichen Alltag bildet. Das soziale Gefüge förderte aus Sicht der Kader<br />
nicht allein die Kooperations- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sowie das Wohlbefinden<br />
am Arbeitsplatz, retrospektiv messen sie ihm vielfach eine wichtige Rolle im<br />
Rahmen ihrer beruflichen Laufbahnen zu: Als Grundlage informeller Übereinkünfte und<br />
der Verständigung zwischen Vorgesetzten und Unterstellten gewährleistete es bis anhin<br />
die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der männlichen beruflichen Karrieren. Durch die<br />
„Zerschlagung“ dieser Netzwerke gehen in ihren Augen wichtige Grundlagen der Lebensqualität<br />
am Arbeitsplatz und der beruflichen Sicherheit verloren.<br />
Als Verschlechterung der bisherigen Bedingungen erweisen sich zudem die im Zuge<br />
der vermehrten Leistungsorientierung der Betriebe gewandelten personalpolitischen<br />
Grundsätze und Leitlinien: Im Erleben der Führungskräfte stellen sich die neuen Kriterien<br />
der Rekrutierung und Beförderung als Abschied von einer ehemals um das berufliche<br />
Schicksal der Beschäftigten besorgten, „menschlichen“ oder „seriös konservativen“<br />
Personalstrategie und -förderung dar, die das „Gefühl von Sicherheit“ und „Gerechtigkeit“<br />
vermittelt haben. An die Stelle einer einst „ganzheitlichen Beurteilung“ der Mitar-
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beiter tritt aus ihrer Sicht nun ein durch „rohe Zahlen“ bestimmtes Kalkül. In diesem<br />
Licht hat sich gerade auch durch die Verflachung der Führungsstrukturen – ganz im<br />
Gegensatz zum beabsichtigten Effekt – die Distanz zu den Vorgesetzten vermehrt:<br />
Am: also das Zeug wird nicht mehr vom menschlichen Aspekt her sondern effektiv nur<br />
von Zahlen her betrachtet (.) und diejenigen die die Entscheide fällen sind sehr<br />
weit weg die müssen es nicht umsetzen<br />
Em: mhm und ich denke da hat man bisher ja wahrscheinlich irgendwie das Vertrauen<br />
gehabt<br />
Am: genau<br />
Em: dass man eigentlich gewusst hat wenn ich meine Arbeit gut mache<br />
Am: richtig<br />
Em: und lang da bin dass<br />
Bm: man hat nicht nur die rohen Zahlen angeschaut sondern das ganze angeschaut (.)<br />
und das neue Denken geht daher dass nur die Zahl zählt<br />
Verunsichernd erscheinen diese Neuerungen besonders für die langjährigen Kader<br />
jedoch vor allen Dingen angesichts von Entwicklungen, die noch fundamentaler die gewohnten<br />
Vorzeichen beruflicher Karrieren verändern. Dazu zählt, wie sich im Gesprächsausschnitt<br />
andeutet, die Entwertung beruflicher Erfahrung bzw. Betriebszugehörigkeit<br />
zugunsten stetig steigender Anforderungen an die Lernbereitschaft, Mobilität<br />
und Flexibilität der Beschäftigten. Geradezu bedrohlich wird es schließlich empfunden,<br />
dass aufgrund der „Schnelllebigkeit“ von Unternehmensentscheidungen bzw. „immer<br />
kurzfristigerer“ betrieblicher Planungshorizonte und Erfolgszyklen auch zwischen der<br />
persönlichen Leistung und den beruflichen Perspektiven im Betrieb ein Ursache-<br />
Wirkungs-Zusammenhang nicht mehr hergestellt werden kann.<br />
Gewinn von Einflussmöglichkeiten und Perspektiven<br />
In gänzlich anderer Weise nehmen die weiblichen Führungskräfte der beiden Untersuchungsgruppen<br />
die hier von den Kollegen problematisierten Folgen betrieblichen<br />
Wandels wahr: Das von den Männern als zentraler Bestandteil der betrieblichen Kultur<br />
beschriebene „soziale Netz“ des Unternehmens vermissen diese Frauen nicht. Wie aus<br />
ihren Voten deutlich wird, stellte sich für sie das an die betrieblichen Hierarchien geknüpfte<br />
Beziehungsgeflecht nämlich nicht nur als männlich dominiert und für sie weitestgehend<br />
unzugänglich dar, auf dem Hintergrund ihrer betrieblichen Karrieren haben<br />
sie es zudem in der Regel weniger als Qualität, d.h. als Basis verbindlicher Vereinbarungen<br />
und sozialer Unterstützung, als vielmehr als Ursache für die Intransparenz und<br />
Willkür von Entscheidungsprozessen erlebt:<br />
Cf: also noch vor drei vier Jahren hat man fast nicht nein sagen können (.) ich kann<br />
mich erinnern als man mich mal gefragt hat ob ich auf die Generaldirektion wechseln<br />
will und offiziell hätten sie mir nicht sagen dürfen um was für eine Stelle es<br />
sich handelt also ich hätte blindlings einfach die Bereitschaft haben müssen von<br />
(X-Stadt) nach (Y-Stadt) arbeiten zu gehen ohne zu wissen um was es geht und (...)<br />
ich glaube es hat damals schon einen Unterschied gegeben was man offiziell hätte<br />
sollen und hätte dürfen nämlich keine Offenheit und zwar im Versteckten eine
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001) 27<br />
Personalförderung und wie man selbst erlebt hat (.) je nach Vorgesetztem sehr unterschiedlich<br />
So sehen die in den Gruppendiskussionen zu Wort kommenden Frauen durch die<br />
Restrukturierung in erster Linie die daran geknüpften karrierebezogenen Privilegien der<br />
männlichen Kollegen bedroht. Neue Karrieremuster und Formen der Arbeitsorganisation<br />
werden von ihrer Seite begrüßt, da sie sich davon eine Angleichung der strukturellen<br />
Bedingungen und Merkmale ehemals vergeschlechtlichter Formen von Berufsarbeit und<br />
-karrieren erwarten. Oder wie es eine der Frauen formuliert: „Auch für Männer wird das<br />
sicher zur Norm, dass man nicht mehr davon ausgehen kann, man macht eine Lehre und<br />
kommt als junger Stufenabsolvent da rein und dann das Leiterchen rauf“.<br />
Mehr noch: Die Umbrüche wirken sich in den Augen der weiblichen Kader sogar<br />
zu ihren Gunsten aus, da sie ‘aus Erfahrung’ eine größere Flexibilität und nicht die Erwartung<br />
an eine kontinuierliche, linear aufwärts verlaufende sowie berechenbare berufliche<br />
Karriere in ihre Anstellung einbringen: „Die Sicherheit vom Arbeitsplatz haben<br />
wir ja nie gehabt“. So bewerten sie beispielsweise auch den begrenzten Charakter projektbezogener<br />
Anstellungen, in deren Rahmen leistungsbezogene Kriterien der Selektion<br />
im Vordergrund stehen und Männer nicht mehr fraglos vorgezogen werden, weil<br />
Stellen „auf Lebenszeit zu vergeben“ sind, als potenziellen Ausgangspunkt für ein Mehr<br />
an Gleichheit. Wie es u.a. die folgende Diskussionspassage zum Ausdruck bringt, assoziieren<br />
die weiblichen Kader gerade mit der vermehrten Leistungsorientierung als Ersatz<br />
für ein ehemals in den Betrieben dominantes Prestige- und Statusdenken vermehrte<br />
Möglichkeiten zur betrieblichen Neugestaltung.<br />
Df: ich merke das nur schon in meinem Bereich (...) Leute die gekommen sind und<br />
noch geprägt worden sind von (.) eben viele Leute um sich zu scharen (...) und sich<br />
so definieren über Prestige und hierarchische Elemente (.) sondern wo die Arbeit<br />
zählt und die Leute also die das Team in den Vordergrund stellen das gibt eine<br />
ganz andere Kultur das gibt auch andere Projektgruppen das gibt einiges an Chancen<br />
und ich glaube auch es ist zwar brutal wenn man so Netze zerschlägt und<br />
Strukturen völlig zerschlägt aber ich bin der Überzeugung dass es wahnsinnig<br />
wichtig ist Netze zu zerschlagen um dann wieder etwas Neues aufzubauen (...) ich<br />
glaube nur über Strukturveränderung und Neuausrichtung wie es hier läuft kann<br />
man dann auch wirklich einen fundamentalen Kulturwandel hervorrufen<br />
Hier wie in anderen Gruppendiskussionen wird von den Frauen große Bereitschaft<br />
signalisiert, an den betrieblichen Transformationen zu partizipieren. Besonders die Jüngeren<br />
und Hochqualifizierten unter ihnen fühlen sich offenbar von den betrieblichen<br />
Entwicklungen geradezu angezogen („das hat mich gereizt das Unternehmen, weil ich<br />
das Gefühl hatte, da passiert etwas“). An das „Zerschlagen“ von Beziehungsnetzen und<br />
Strukturen, an eine „neue Managergeneration“ mit „neuen Werthaltungen“, die den radikalen<br />
strukturellen und kulturellen Wandel des Unternehmens vorwärtsbringt und in<br />
der Frauen mitvertreten sind, finden sich ihre Hoffnungen geknüpft. So bringen sich<br />
diese Führungsfrauen oftmals mit Handlungsentwürfen und Visionen für die Zukunft<br />
der Unternehmens ein, die perspektivisch weit über die Vorstellungen der Männer hinausgehen<br />
und nicht zuletzt darauf zielen, die weiblichen Potenziale im Betrieb zu stärken.
28 <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001)<br />
Ungleiche Anforderungen und Ressourcen<br />
Während Dehierarchisierung, neue Selektionsmechanismen und Anforderungsprofile<br />
sowie gewandelte Beschäftigungs- und Karrieremuster besonders die männlichen<br />
Kader sowie die ältere Generation der Führungskräfte vor bis anhin unbekannte Anforderungen<br />
stellen, interpretieren die untersuchten weiblichen Führungskräfte gerade diese<br />
Neuerungen als Chance, da sie dadurch einen Teil der Behinderungen und Erschwernisse<br />
weiblicher Erwerbsbiographien und Aufstiegsmöglichkeiten aus dem Weg geräumt<br />
sehen. Mit anderen Worten: Während diejenigen, deren berufliche Orientierungen<br />
und Optionen sich mit dem ehemaligen betrieblichen Gefüge verbinden, infolge des<br />
Umbruchs in erster Linie berufliche Sicherheiten, Privilegien und Perspektiven verlieren,<br />
zählen qualifizierte Frauen bzw. all jene, die über eine größere Toleranz gegenüber<br />
dem sich beschleunigenden Wandel und beruflicher Ungewissheit verfügen, zu den Personen,<br />
die zumindest potenziell die betrieblichen Transformationen besser bewältigen<br />
und u.U. davon sogar profitieren können. Die Diskurse dokumentieren das Wissen um<br />
die aus den spezifischen Erfahrungszusammenhängen der Geschlechter und Generationen<br />
erwachsenden ungleichen Anforderungen und Ressourcen:<br />
Dm: draußen an der Front junge gute Leute die noch nicht lange dabei sind die sind das<br />
besser gewöhnt mit einem raschen Wandel umzugehen die nehmen das in Kauf<br />
dass ich morgen nicht weiß wo ich und welcher Art ich weiterarbeite (.) anders<br />
als vielleicht noch wir und andere Ältere die vielleicht noch nachtrauern den sogenannten<br />
festen starren Verhältnissen<br />
Die infolge der Restrukturierungen erwartete (oder bereits erfahrene) Angleichung<br />
der beruflichen Karrieren der Geschlechter, aber auch die Frauen im Zuge betrieblicher<br />
Entwicklungen aus ihrer Orientierung an der Diskontinuität und mangelnden Planbarkeit<br />
weiblicher Berufslaufbahnen erwachsenden, kulturellen Ressourcen zur Bewältigung<br />
des Wandels, wie sie sich hier dokumentieren, rufen bei den männlichen Kollegen<br />
ambivalente Haltungen zur Gleichstellungsfrage hervor: Denn für die Männer gerät gerade<br />
auf dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen die Frage der weiblichen Integration<br />
zur Frage einer verschärften innerbetrieblichen Konkurrenz.<br />
Zwar wird im Rahmen der gesamten Untersuchung die Notwendigkeit betrieblicher<br />
Gleichstellungsförderung nur selten ausdrücklich angezweifelt – die Widerstände<br />
sind dennoch erkennbar, wenn auch oft subtiler Natur. Ausdruck finden sie beispielsweise<br />
darin, dass männliche Kader die betriebliche Neuausrichtung selbst als Argument<br />
heranziehen, um ein inskünftig vermindertes Gleichstellungsengagement zu signalisieren:<br />
So werden etwa in einer der Untersuchungsgruppen Gleichstellungsfragen von<br />
männlicher Seite gleichsam als ‘soziales Anliegen’ und damit als Gegensatz zur neuen<br />
Leistungs- und Ergebnisorientierung des Unternehmens konstruiert („das sind Überlegungen,<br />
zu denen man vorher noch Zeit hatte in einem Staatsunternehmen, wo man den<br />
Leistungsdruck und das alles noch nicht hatte“), während gleichzeitig die von Frauen<br />
eingebrachten, nutzenorientierten Perspektiven, die auf die strategische Bedeutung von<br />
Mitarbeiterinnen für Kundenbindung und Produktemarketing verweisen, eine Abwertung<br />
erfahren. Deutlich dokumentiert sich die Zwiespältigkeit der männlichen Positionen<br />
zur Gleichstellungsfrage aber auch in der folgenden Textpassage, in der vernunfts-
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001) 29<br />
und gefühlsbestimmte Sichtweisen im Widerspruch zueinander stehen: Hier räumt der<br />
Sprecher den Kolleginnen „aus der Logik“ der neuen Situation bzw. infolge der gewandelten<br />
Kriterien der Selektion und Beförderung zunächst durchaus bessere berufliche<br />
Aufstiegschancen ein.<br />
Am: das rein mathematische Denken bewirkt natürlich an und für sich oder müsste logischerweise<br />
zur Folge haben dass der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht da<br />
kann man sagen das ist schlecht aber der Vorteil ist jetzt dass auch der Mensch der<br />
Mitarbeiter nur noch als mathematischer Bestandteil wo man dort schnell rechnen<br />
was bringt er uns was kostet er uns ob das eine Frau ist ob das ein Mann ist spielt<br />
dann keine Rolle das könnte jetzt aus der Logik einen gewissen Vorteil haben an<br />
und für sich so schlecht das ist<br />
fm?: (unverständliches Übereinanderreden)<br />
Am: ich würde sagen die (Fusionspartner) tut alles objektiv neutral bewerten oder (.) da<br />
kann man sagen rein mathematisch also da könnte man wahrscheinlich einen<br />
Computer durchlassen die Leute tun ihre (Produkt des Fusionspartners) über den<br />
Computer rechnen dann tun sie vermutlich auch Mitarbeiter über den Computer<br />
rechnen und dann ist das eine eben eine Frau also es könnte auch eine Chance sein<br />
(.) natürlich der Mensch wird ausgenützt (lacht) aber die Frau hätte die gleiche<br />
Chance wie in Amerika wo in der Bewerbung z.Tl. die Hautfarbe nicht drauf darf<br />
usw die Religion Rassenzugehörigkeit oder z.Tl. Geschlecht einfach die Diskriminierung<br />
und Alter auch<br />
Dm: Alter an sich auch nicht<br />
Am: und wenn man jetzt alles oder die (Fusionspartner) alles abstrakt anschaut dann<br />
kann das auch eine Chance für die Frau sein dann ist das nicht der Mann der bevorzugt<br />
ist sondern tut dann rein nüchtern sachlich entscheiden<br />
Gewissermaßen theoretisch werden hier die Vorteile erwogen, die Frauen aus einem<br />
Beurteilungsverfahren erwachsen, in dessen Kontext nicht mehr „der Mensch im<br />
Mittelpunkt steht“, sondern dieser „nur noch“ mathematischen „Bestandteil“ einer „objektiv<br />
neutralen“ Kosten-Nutzen-Rechnung bildet – und dem deshalb eine „abstrakte“,<br />
d.h. geschlechtsneutrale Perspektive („dann ist das eine eben eine Frau“) innewohnt. An<br />
die Gegenüberstellung von „Computer“ und „Mensch“ findet sich dennoch implizit<br />
gleichermaßen der Widerspruch zwischen Gleichstellung und Menschlichkeit geknüpft.<br />
Denn in dem veränderten Verfahren der Leistungsbeurteilung äußert sich nicht nur eine<br />
nicht-menschliche Rationalität („Computer“), die in ihrer Orientierung an Produktivität<br />
und Effizienz der „Ausnützung“ des Menschen zuarbeitet; auf der Folie der bisherigen<br />
Ordnung („dann ist das nicht der Mann der bevorzugt ist“) erhöht ein „rein nüchtern<br />
sachliche(s)“ Vorgehen insbesondere die berufliche Konkurrenz. Zwar ist den neuen Selektionsverfahren<br />
in den Betrieben, die hier in die Nähe von Antidiskriminierungsmaßnahmen<br />
gerückt werden, aus männlicher Sicht dank der dadurch entfallenden Altersdiskriminierung<br />
(„Alter an sich auch nicht“) etwas abzugewinnen. Legitimität, i.S. eines<br />
moralisch richtigen Handelns, besitzen sie jedoch infolge ihres für Männer unmenschlichen<br />
Charakters nicht.
30 <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001)<br />
Die weibliche „Freiheit zum Ausstieg“ – oder:<br />
Geschlechtergleichstellung als Diskriminierung von Männern<br />
Aus Reorganisationsprozessen kann schließlich ausdrückliche Ablehnung von<br />
Gleichstellungsmaßnahmen erwachsen, nimmt in der Wahrnehmung der Betroffenen<br />
die Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit des Geschehens überhand. Ist dies der<br />
Fall, steht nicht mehr nur die Bewältigung von Anforderungen zur Diskussion, wie sie<br />
aus der Veränderung betrieblicher Strukturen, Prozesse oder Werteorientierungen entstehen,<br />
sondern die berufliche Existenz auf dem Spiel. Dann findet eine aktive Ausgrenzung<br />
von Frauen statt, an der auch weibliche Kader beteiligt sind. Diesen Schluss erlaubt<br />
die Rekonstruktion kollektiver Orientierungen in Diskussion unter Führungskräften<br />
eines global orientierten Dienstleistungsunternehmens, das sich in den vergangenen<br />
Jahren fortgesetzt Reorganisationen unterzog. Dieser Prozess geht mit dem Verlust des<br />
Arbeitsplatzes großer Teile der Mitarbeiterschaft, darunter insbesondere jener des mittleren<br />
Kaders einher.<br />
Mittelpunkt dieses Gesprächs bildet zunächst die Frage, wie auf die betrieblichen<br />
Entwicklungen, auf die keine Einflussnahme mehr möglich erscheint („wir werden ja<br />
nicht gefragt“) und die mehrfach als „gefährlich“ sowie als „Katastrophe“ apostrophiert<br />
werden, überhaupt noch reagiert werden kann. Zum einen geht es dabei um die Bewältigung<br />
der aktuellen Arbeitsbedingungen, die durch ein Übermaß an Belastungen charakterisiert<br />
sind. Diese entstehen nicht nur aufgrund eines über mehrere Monate währenden<br />
überdurchschnittlichen Arbeitseinsatzes, sondern insbesondere durch die fehlende<br />
Vorhersehbarkeit der ganz persönlichen Situation:<br />
Cm: die Tendenz ist ja heute ein kurzfristiges Denken man redet ja z.T. sogar von<br />
Schließung man weiß ja es ist etwas am tun man weiß nicht kann ich an dem Platz<br />
bleiben<br />
Af: ja<br />
Cm: drum eben es ist irgendwie früher hat man immer noch bei einer Frau hat man immer<br />
na mit 30 Jahren hat sie dann ein Kind dann also kann man sie gar nicht befördern<br />
aber heute ist alles so kurzfristig auch ein Mann theoretisch wird abgeschnitten<br />
unter Umständen also es ist irgendwie ich find die ganze Unternehmenskultur<br />
die wir hatten wo noch jeder ein Engagement gehabt hat<br />
Af: mhmh<br />
Cm: und sich fast noch ein bisschen verpflichtet gefühlt hat<br />
Af: mhm mhm<br />
Cm: also ich muss euch sagen vor ja in der alten Firma da bin ich irgendwie der schulde<br />
ich irgendwie noch etwas und heute wie die mit uns umgehen oder mit den Mitarbeitern<br />
umgehen muss ich sagen ja (.) so wir die mit mir umgehen da profitiere ich<br />
und wenn ich nicht mehr profitiere gehe ich und das ist heute ein bisschen das<br />
Denken allgemein<br />
Af: mhmh ja<br />
Cm: das kurzfristige und das macht mich fertig<br />
Als Anzeichen der verschärften Bedingungen wird auch hier wiederum von männlicher<br />
Seite die Angleichung männlicher Berufsbiographien an die Brüche und Chan-
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001) 31<br />
cenlosigkeit weiblicher Erwerbslaufbahnen genannt. Damit verknüpft ist für den Gesprächsteilnehmer<br />
der Niedergang einer ehemals intakten Unternehmenskultur. Darüber<br />
hinaus fallen auch hier für die männlichen Kader (unter Zustimmung der Kolleginnen)<br />
die im Zuge des Wandels zerstörten kulturellen Voraussetzungen der betrieblichen Zusammenarbeit<br />
ins Gewicht: Nicht nur wurden soziale Beziehungsnetze im Betrieb bereits<br />
vor langer Zeit „gekippt“ – es sind zudem Anzeichen eines massiven Verfalls ehemals<br />
gemeinschaftsbildender Werte wie „Achtung“ und „Respekt“ zu beobachten.<br />
Gleichsam als Durchhaltestrategie und in Reaktion auf soziale Bedingungen am Arbeitsplatz,<br />
die als entwürdigend erlebt werden („wie die mit uns umgehen“), wird das<br />
einstmalige Engagement eingeschränkt, die ehemalige Bindung ans Unternehmen vom<br />
Rückzug auf den ganz persönlichen Profit abgelöst. Dem respektlosen Umgang der Unternehmensleitung<br />
mit seinem Management parallel zur Fraglichkeit der beruflichen<br />
Zukunft haftet etwas zutiefst Destruktives an.<br />
Der subjektiv nicht mehr zu bewältigende betriebliche Wandel bildet den Rahmen<br />
für einen Diskurs, innerhalb dessen von den männlichen Führungskräften ein Kampf zur<br />
Sicherung der verbleibenden Stellen und Positionen geführt wird. Zu den hier beobachtbaren<br />
Strategien der Männer gehört, die betriebliche Ungleichstellung der Geschlechter<br />
angesichts der aktuellen Situation zu einem längst überkommenen Thema bzw. zu einem<br />
„politischen Votum“ zu erklären: Hier geht es ums nackte „Überleben“. Gleichzeitig<br />
werden den Kolleginnen eine ganze Reihe von „Vorzügen“ bzw. spezifische Ressourcen<br />
zugeschrieben: Zu diesen zählt etwa ihre rein physische Überlebensfähigkeit.<br />
Mit der Annahme, Frauen besäßen allein schon aufgrund ihrer körperlich solideren<br />
Konstitution bessere Voraussetzungen, um „den Prozess, den wir hier durchlaufen“, zu<br />
überstehen, wird nicht nur Hilflosigkeit demonstriert, sondern überdies eine biologische<br />
Differenz markiert. Zudem nehmen auch hier die männlichen Gesprächsteilnehmer spezifische<br />
Handlungsfreiheiten bei den Kolleginnen wahr, deren zentrale Eigenschaft in<br />
diesem Falle wohl bemerkt in der „Freiheit zum Ausstieg“ aus dem Betrieb besteht. So<br />
bringen Frauen aus männlicher Sicht aufgrund ihrer durch Ehe/Partnerschaft gewonnenen<br />
ökonomischen Unabhängigkeit als „Zweitverdienerin“ größere „Stärke“ sowie Flexibilität<br />
in die unerträglich gewordenen Arbeitsverhältnisse ein, die es ihnen ermöglichen,<br />
selbst aus verantwortlichen Positionen auszusteigen. Die ‘Flexibilität der Frau’<br />
gilt hier somit nicht als betriebliche oder berufliche Ressource, sondern ist zum Argument<br />
des Ausschlusses gekehrt.<br />
Im Gesprächsverlauf verdichtet sich die hier konstruierte Differenz der Geschlechter:<br />
Während Männer in ihrer Selbstwahrnehmung physisch wie psychisch („Neurosen“)<br />
an der Unbeeinflussbarkeit einer Lage zu scheitern drohen, in die sie unfreiwillig<br />
„hineingestoßen werden“, besitzen die Kolleginnen die Möglichkeit, aus der entwürdigenden,<br />
„frustrierenden“ Situation „Konsequenzen“ zu ziehen, einen „Switch zu machen“<br />
und „einmal was ganz Neues zu versuchen“, kurz: zu sagen: „das macht keinen<br />
Sinn, jetzt gehe ich lieber ganz“. Mit der Attribution vermeintlich weiblicher Freiheiten<br />
erhalten Frauen dabei Schritt um Schritt einen Platz in der Arbeitsreserve zugewiesen.<br />
Die eingangs noch erwähnte Problematik der betrieblichen Geschlechtersegregation<br />
wird im untenstehenden Gesprächsausschnitt schließlich nur noch als „Zwischentief“<br />
erkannt. Explizit, wenn auch als „Freiheit“ ausgewiesen, wird Frauen der Ausstieg aus
32 <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001)<br />
dem Betrieb angetragen. Dabei findet sich der Rückzug nicht zuletzt als (männlicher)<br />
Schutz vor einem Geschehen dargelegt, das als ebenso „ungesund“ wie in seiner unaufhaltbar<br />
wachsenden Geschwindigkeit als zutiefst bedrohlich gilt.<br />
Bm: wobei wenn wir Frauen so definieren wie vorher dann ist das nur ein Zwischentief<br />
weil Frauen sind auch anpassungsfähiger (.) ich glaube dass Frauen dann schneller<br />
den Link machen zu der Welt und das sie u.U. viel schneller adaptieren können<br />
und mitnehmen als wir das heute machen weil wir einfach hineingestoßen werden<br />
ich glaube das korrigiert sich wieder dass Frauen jetzt etwas ausweichen teilweise<br />
auf andere Jobs teilweise auf andere Branchen und irgendwann wieder zurückkommen<br />
weil dass das ungesund ist was jetzt grade passiert weltweit ich meine das<br />
pfeifen die Spatzen von den Dächern das spüren wir alle dass da etwas nicht<br />
stimmt und wir sehen dass keiner von den Kapitänen bereit ist einen Zoll weit zu<br />
bremsen also müssen wir warten bis sie irgendwo den Crash produzieren<br />
Wie sich zeigt, hat die hier entwickelte kulturelle Strategie der Ausgrenzung Erfolg:<br />
Die weiblichen Kader nehmen innerhalb des von den Kollegen skizzierten Untergangsszenarios<br />
weitestgehend widerspruchslos die ihnen zugewiesenen Plätze ein. Die<br />
männliche Konstruktion der (angeblich) weiblichen ‘Freiheit zum Ausstieg’ findet bei<br />
den Frauen allein schon deshalb Resonanz, da auch sie außergewöhnlichen Belastungen<br />
bis hin zu „nicht mehr seriös“ erfüllbaren Pensen ausgesetzt sind und zusätzliche, nicht<br />
als Teil der Leitungsfunktion empfundene Aufgaben übernehmen müssen. Zentraler<br />
noch für die Unangefochtenheit der männlichen Behauptungen aber erscheint, dass diese<br />
sich auf gesellschaftliche Grundwerte berufen, zu denen nicht zuletzt die Pflicht des<br />
Mannes zur Erhaltung der Familie gehört. Denn der männliche Mitarbeiter wird ausschließlich<br />
als Ernährer von Familie und Kindern gedacht („stelle dir jetzt einen Familienvater<br />
vor“): Ob jünger oder älter, bringt er aufgrund dieser Verantwortlichkeit auch<br />
aus der Sicht der Frauen generell eine „ganz andere Ausgangslage“ in die Situation ein.<br />
„Reaktionsalternativen“, so sehen es auch die weiblichen Kader, stehen Männern selbst<br />
bei Gefahr eines beruflichen Statusverlustes nicht zur Verfügung. So erscheint die Bewahrung<br />
der Arbeitsstelle des Mannes nur allzu notwendig und legitim, selbst wenn dadurch<br />
weibliche Arbeitsplätze verloren gehen.<br />
Der Diskussionsverlauf zeigt die Auswirkungen der diskursiv ausgehandelten Reetablierung<br />
der Geschlechterordnung für die Bereitschaft zur Realisierung von Gleichstellungsmaßnahmen<br />
auf: Im Licht der hier diskutierten, massiven Verschlechterung betrieblicher<br />
Arbeitsbedingungen und mit Blick auf die gesellschaftlich-sozialen Verantwortlichkeiten<br />
der Geschlechter machen Initiativen der Gleichstellung selbst prospektiv<br />
keinen Sinn. Auf Aufforderung einer der Gesprächsteilnehmer, die Gruppe solle einmal<br />
„zwei Jahre in die Zukunft“ schauen, erscheint die von der Unternehmensleitung eingebrachte<br />
Frauenquote auf Kaderebene geradezu als „Witz“ – ruft kollektiv Gegnerschaft<br />
hervor. Die unten stehenden Ausführungen einer als Personalchefin tätigen Gesprächsteilnehmerin<br />
bringen zum Ausdruck, was die Ursachen dieser Ablehnung sind:<br />
Df: nein ich bin gegen Quoten das macht keinen Sinn das ist eben kontraproduktiv<br />
wenn man das macht ich meine auf meiner Seite stört das nicht ich kann das titulieren<br />
wir sind ein sehr modernes Unternehmen (.) habe ich abgehakt das Thema<br />
Cm: ja
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001) 33<br />
Df: wenn ich aber das Gefühl habe ich müsste jetzt ein bisschen negativ denken dann<br />
müsste ich sagen ja haben sie denn niemanden gefunden als jemanden der wieder<br />
nach einem halben Jahr aussteigt also das ist jetzt rein provokativ<br />
Cm: jaha<br />
Df: und dafür haben zwei Männer keinen Platz gehabt (.) und nachher wenn sie zurückkommen<br />
arbeiten sie 30% in einer Funktion Entschuldigung im Stab (.) weil<br />
an der Front kannst du dir das gar nicht leisten<br />
Ef: mhm<br />
Zwar gehört die Förderung von Frauen („Quoten“) zur Rhetorik eines modernen<br />
Unternehmens, tatsächlich jedoch erscheinen sie auch aus weiblicher Sicht nun „müßig“.<br />
Zum einen nämlich werden Frauen als langfristige Arbeitskräfte als ungeeignet betrachtet,<br />
da ihre berufliche Orientierung – wie zuvor verhandelt – primär auf einer intrinsischen<br />
Berufsmotivation oder freiem „Willen“, i.S. eines außerökonomischen Interesses<br />
beruht. Demzufolge tolerieren Frauen voraussichtlich auch die schlechten Bedingungen<br />
am Arbeitsplatz nicht, „sagen (...) nein, das will ich nicht“. Zum anderen wird<br />
durch die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen jenen der „Platz“ weggenommen, die berechenbar<br />
langfristige Arbeitskräfte sind, da ihrer Berufstätigkeit die Notwendigkeit der<br />
Existenzsicherung einer Familie zugrunde liegt. Gilt die ‘Freiheit zum Ausstieg’ somit<br />
einerseits als ein Privileg der Frau, das ihr erlaubt, sich zunehmend verschlechternden<br />
Arbeitsbedingungen zu entziehen, so spricht sie andererseits – besonders in einer Zeit<br />
der verschärften Konkurrenz um Stellen – gegen eine systematische Frauenförderung:<br />
In beiden Fällen muss dieses Denkmuster jeder Initiative zur betrieblichen Gleichstellung<br />
der Geschlechter entgegenwirken.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />
Der Beitrag zielte darauf, kollektive Orientierungen zur Geschlechtergleichstellung<br />
in wirtschaftlichen Unternehmen „in Funktionalitätsbezug“ (Mannheim 1980) zu Erfahrungszusammenhängen<br />
zu rekonstruieren, wie sie betriebliche Transformationen darstellen.<br />
Die hier skizzierte Analyse legt zunächst nahe, dass der aktuelle Umbau in den<br />
Betrieben weitaus seltener deren Offenheit für Gleichstellungsmaßnahmen fördert, als<br />
dass er von kulturellen Formen der Ausgrenzung qualifizierter Frauen begleitet ist. Dabei<br />
bestätigt sich nicht nur der im Gesamtkontext der Studie dargelegte, prinzipiell voraussetzungsvolle<br />
Charakter positiver Haltungen zur Gleichstellungsförderung im männlich<br />
dominierten Bereich des mittleren Managements (vgl. <strong>Liebig</strong> 2000, 2001). Mit<br />
Blick auf die Ausgangsthesen der vorliegenden Untersuchung erweisen sich diese Haltungen<br />
eng mit der Verarbeitung betrieblicher Transformationen verschränkt.<br />
Bereitschaft zur Integration qualifizierter Mitarbeiterinnen, das zeichnet sich in den<br />
Resultaten ab, kann sich im Zuge von Reorganisationen nur entwickeln, wenn die mit<br />
dem Wandel verknüpften Anforderungen nicht das Bewältigungsvermögen der Betroffenen<br />
übersteigen. Wie das erste Fallbeispiel des staatlichen Unternehmens zeigt, können<br />
unter diesen Voraussetzungen Frauen dann u.U. sogar als wichtige Kräfte der Erneuerung<br />
in Erscheinung treten, kann ihre Rekrutierung und Förderung als Instrument<br />
des Aufbruchs wahrgenommen werden. Diese „windows of opportunities“ (Kanter<br />
1993) verschließen sich jedoch, wenn im Zuge realen Wandels wachsende Anforderun-
34 <strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001)<br />
gen an die Veränderungsbereitschaft der Belegschaft gestellt werden. Bereits bei einem<br />
gewissermaßen ‘mittleren Anforderungsniveau’, so illustrieren die Fallrekonstruktionen,<br />
tendieren männliche Kader (besonders der älteren Generation) zur Abwehr weiblicher<br />
Integrationsbemühungen, da ihnen subjektiv durch den Umbau ehemalige soziale und<br />
kulturelle Ressourcen bzw. Privilegien verloren gehen. Der männliche Widerstand gegen<br />
die betrieblichen Transformationen geht dann Hand in Hand mit ambivalenten<br />
wenn nicht sogar ablehnenden Positionen zur Gleichstellungsförderung, da letztere angesichts<br />
der erfolgenden Vereinheitlichung berufs- und karrierebezogener Voraussetzungen<br />
der Geschlechter die innerbetriebliche Konkurrenz potenziert. Deutlich wird in<br />
diesem Zusammenhang aber auch, dass vielfach weibliche Führungskräfte – nicht zuletzt<br />
auf dem Hintergrund bis anhin ungleicher beruflicher Chancenstrukturen – dem<br />
Wandel und seinen Anforderungen mit deutlich größerer Zustimmung bis hin zu hoffnungsvollen<br />
Erwartungen begegnen, und dass sie allein aufgrund diese Mehr an kulturellen<br />
Ressourcen für die Unternehmen als Agentinnen des Wandels wirken können. Ihr<br />
innovatives Potenzial, so ist zu vermuten, kann betrieblich aber nur umgesetzt werden,<br />
wenn sich diese Frauen gegenseitig den Rücken stärken. Und ohne die Zustimmung der<br />
Kollegen vermögen sie voraussichtlich selbst bei größeren Anstrengungen auf der Ebene<br />
struktureller Maßnahmen der Gleichstellung nicht zu Gewinnerinnen der aktuellen<br />
Transformationen zu werden.<br />
Besonders wenn ein Übermaß an Unsicherheit die Möglichkeiten zur Mitgestaltung<br />
und Antizipation des betrieblichen Geschehens überwiegt, tendieren männliche<br />
Führungskräfte nämlich zur Schließung der eigenen Reihen. Ganz grundsätzlich stehen<br />
dann nicht mehr die Ziele des Unternehmens, sondern die Sorgen um die persönliche<br />
berufliche Zukunft im Vordergrund. Der Reorganisationsprozess geht dann mit zentrifugalen<br />
Kräften einher, in denen das Überleben der Einzelnen an zentraler Bedeutung<br />
gewinnt. Während Investitionen für die betriebliche Gemeinschaft geringer werden, setzen<br />
Neigungen zur Abwanderung und Verteilungskämpfe um Arbeitsplätze ein. Wissenskreative<br />
Prozesse, die der Bewältigung des Umbruchs wie einer Neuorientierung<br />
zuarbeiten, können in diesem Kontext nicht mehr entstehen. Vielmehr sind Ausstiegsphantasien,<br />
Passivität und Motivationsverlust, depressive Verstimmungen bis hin zu<br />
körperlichen Symptomen zu beobachten, wie sie sich im Kontext sozialpsychologischer<br />
Forschung als Folgen der „erlernten Hilflosigkeit“ (Seligman 1992) beschrieben finden.<br />
Auch im Verhältnis der Geschlechter, so verdeutlicht die Analyse, treten dann sozusagen<br />
‘Notstandsgesetze’ in Kraft, findet eine Rückbesinnung auf Grundsätzliches, im<br />
Sinne eines Rückgriffs auf traditionelle Denkmuster der sozialen Geschlechterordnung<br />
statt. Gleichzeitig schränkt sich der Verhandlungsspielraum von Frauen ein, werden die<br />
Impulse und Potenziale, die sie unter günstigeren Bedingungen in den Transformationsprozess<br />
einbringen, in den Hintergrund gedrängt. Anstelle dessen kommt es zum Phänomen<br />
der „Selbsteliminierung“ (Bourdieu/Passeron 1971), stellen Frauen freiwillig ihre<br />
beruflichen Interessen hinter diejenigen der Männer zurück, während letztere ihren<br />
legitimen Anspruch auf einen Arbeitsplatz einfordern. Das heißt, selbst ein betriebliches<br />
Umfeld, das über gezielte Maßnahmen zur Gleichstellung und Frauenförderung verfügt,<br />
kehrt sich dann gleichsam wieder in einen voremanzipierten Zustand.
<strong>Brigitte</strong> <strong>Liebig</strong>: Katalysator des Wandels oder verschärfte Konkurrenz? (ZfP 1/2001) 35<br />
Eine erfolgreiche Reorganisation, die vom betrieblichen Lernvermögen ebenso wie<br />
vom innovativen Potenzial der Geschlechtergleichstellung Gebrauch machen will, muss<br />
sich deshalb auch den kulturellen Begleiterscheinungen der Transformation, i.S. ihrer<br />
kollektiven Wahrnehmung und Deutung widmen. Sie darf nicht allein dem Erreichen<br />
von neuen Zielsetzungen gelten, sondern muss sich auch mit den spezifischen Widerständen<br />
und Ängsten beschäftigen, die innerbetrieblich den Umbrüchen entgegengebracht<br />
werden. Insbesondere sollte sie in Maßnahmen eingebunden sein, welche die Betroffenen<br />
darin unterstützen, die Veränderungen ihres Umfeldes aus der Haltung der<br />
Akteure zu erleben. Dazu gehört neben dem Kommunizieren der Inhalte und Ziele des<br />
Umbaus, das Ansprechen seiner Probleme, wobei – wie sich hier zeigt – besonders den<br />
männlichen, langjährigen Führungskräften Möglichkeiten zur Bewältigung der neu entstehenden<br />
Anforderungen und Kontingenzen bereitgestellt werden müssen. Entsprechende<br />
Instrumente und Strategien erscheinen angesichts der vorliegenden Resultate<br />
gleichermaßen unentbehrliche Grundlage der Bereitschaft zur Gleichstellungsförderung<br />
in Zeiten des Wandels, wie fundamentale Ressource für das Gelingen betrieblicher<br />
Neuorientierung.<br />
Literatur<br />
Alvesson, Mats/Berg, Per Olof (1992): Corporate Culture and Organizational Symbolism. An<br />
Overview. Berlin und New York.<br />
Benschop, Yvonne/Doorewaard, Hans (1998): Six of One and Half a Dozen of the Other: The<br />
Gender Subtext of Taylorism and Team-Based Work. In: Gender, Work, and Organization<br />
5, 5-18.<br />
Billing, Yvonne/Alvesson, Mats (1994): Gender, Managers, and Organizations. Berlin/New York.<br />
Bohnsack, Ralf (1993): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie und Praxis<br />
qualitativer Forschung. Opladen.<br />
Bohnsack, Ralf (1997): Gruppendiskussionsverfahren und Milieuanalyse. In: Friebertshäuser,<br />
Barbara/Prenge, Annedore (Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft.<br />
Weinheim und München, 492-502.<br />
Bourdieu, Pierre/Passeron, Jacques (1971): Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart.<br />
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