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Rolf Wunderer* Vom Selbst- zum Fremdvertrauen - Rainer Hampp ...

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454 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

<strong>Rolf</strong> Wunderer *<br />

<strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong> –<br />

Konzepte, Wirkungen, Märcheninterpretationen **<br />

Im Mittelpunkt des Beitrages stehen folgende Fragen:<br />

Welche Einflussfaktoren bestimmen das relativ stabile <strong>Selbst</strong>vertrauen und welche<br />

sollten noch einbezogen werden?<br />

Inwieweit kann <strong>Selbst</strong>vertrauen als Persönlichkeitsdisposition einen stabilen Kern<br />

des überwiegend als volatil diskutierten <strong>Fremdvertrauen</strong>s bilden?<br />

Wieweit beeinflusst dieser Kern die Abhängigkeit vom Verhalten anderer und<br />

damit das eigene Verhalten in Vertrauenssituationen?<br />

Was können wir in diesem Zusammenhang aus Märchen lernen – auch für das<br />

Management?<br />

From Self-confidence to Trust in Others –<br />

Concepts, Effects and Fairytales<br />

This article focuses on the following questions:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Which factors influence a relatively stable self-confidence and which further factors<br />

should be included?<br />

To what extent can self-confidence as a disposition form a stable core of trust in<br />

others which is often regarded as being volatile?<br />

To what extent does this core influence depends on the behaviour of others and<br />

thus own behaviour in trust situations?<br />

What can we, and management, learn from fairytales?<br />

Key words:<br />

Self-confidence, Trust in Others, Trust in Others as a Disposition,<br />

Concepts, Influence Relationships, Operationalisation<br />

___________________________________________________________________<br />

* Prof. em. Dr. <strong>Rolf</strong> Wunderer, Hardungstr. 22, CH – 9011 St. Gallen.<br />

E-Mail: rolf.wunderer@unisg.ch.<br />

** Artikel eingegangen: 15.4.2004<br />

revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 8.9.2004.<br />

Der Autor dankt für konstruktive Vorschläge.


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 455<br />

Die Diskussion in Wissenschaft und Managementpraxis <strong>zum</strong> interpersonellen <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

wurde in den letzten zwei Jahrzehnten breit geführt. Ähnliches gilt für die<br />

davon vorwiegend getrennte Analyse des <strong>Selbst</strong>vertrauens – meist unter den Begriffen<br />

<strong>Selbst</strong>wirksamkeit, Kontrollüberzeugung, emotionale Stabilität. Vernachlässigt bis ausgeblendet<br />

blieb die Diskussion des Einflusses von <strong>Selbst</strong>- auf <strong>Fremdvertrauen</strong>. Dies<br />

wohl auch, weil für die beiden Aspekte verschiedene Theorieansätze verwendet werden.<br />

Denn beim <strong>Selbst</strong>vertrauen dominiert die eigenschafts-, lern- und attributionstheoretische<br />

Analyse. Beim <strong>Fremdvertrauen</strong> werden dagegen entscheidungs-, handlungs-<br />

oder interaktionstheoretische Konzepte bevorzugt.<br />

Die neuere europäische Märchenforschung (vgl. dazu auch Franz 2004; Lüthi<br />

1996) konzentriert sich in der Psychologie auf tiefenpsychologische Interpretationen<br />

nach C.G. Jung (vgl. z.B. Kast 1990). In vielen – nicht nur in deutschen – Monographien<br />

wurden vor allem Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm (Grimm/<br />

Grimm 1999; Seitz 1985) analysiert. Mit einer Auswahl von 17 aus diesen 200 Märchen<br />

haben auch wir eine spezielle sowie typische Fragestellung aufgegriffen. Sie befasst<br />

sich über eine Literaturanalyse dieser „Fallstudien“ mit der Bedeutung und Verbindung<br />

von <strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong> bei ihren Heldinnen und Helden, also einer<br />

besonderen Zielgruppe (virtuell) erfolgreicher junger Menschen und Vorbilder. Natürlich<br />

kann man diesen Analysen im positivistischen Sinne keine größere empirische<br />

Beweiskraft zuschreiben als den in der Psychologie so beliebten Fallbeispielen.<br />

Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses dieses Beitrags stehen folgende Fragen:<br />

Welche Einflussfaktoren bestimmen das <strong>Selbst</strong>vertrauen und welche werden in<br />

der wissenschaftlichen Diskussion vernachlässigt?<br />

Mit welchen Formen des <strong>Selbst</strong>vertrauens lassen sich Vertrauensverletzungen<br />

leichter ertragen oder aktiv bewältigen?<br />

Inwieweit kann <strong>Selbst</strong>vertrauen als Persönlichkeitsdisposition eine ähnlich stabile<br />

Disposition des meist nur als volatil diskutierten <strong>Fremdvertrauen</strong>s bilden?<br />

Wieweit beeinflusst diese Disposition des <strong>Fremdvertrauen</strong>s die Abhängigkeit vom<br />

Verhalten anderer und damit auch das eigene Verhalten in Vertrauenssituationen?<br />

Was können wir aus Märchen lernen – auch für das Management?<br />

Zunächst sind Differenzierungen und Operationalisierungen <strong>zum</strong> Vertrauen erforderlich.<br />

Gleiches gilt für mögliche Einflussbeziehungen des <strong>Selbst</strong>vertrauens auf das<br />

<strong>Fremdvertrauen</strong>. Eine empirische Wirkungsanalyse fehlt in unserem ersten Versuch zu<br />

<strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong> mit Bezug zu Märchen und Management, der vielleicht<br />

eine weiterführende kritische Diskussion anregt.<br />

1. Vision, Verantwortung, Vorbild und Vertrauen als Managementschlagworte<br />

In der Managementdiskussion kann man vier besonders häufig gebrauchte wie auch<br />

missbrauchte Schlagworte ausmachen. Sie stehen mit ihrem auch symbolischen „V“<br />

zugleich als „Siegeszeichen“ für Führungserfolg: Vision, Vorbild, Verantwortung, Vertrauen.<br />

Alle vier werden mit Vorliebe an Sonntagsreden gefordert. Und alle werden<br />

von anderen als besonders wenig gelebt kritisiert. Visionen, Verantwortung und Vor-


456 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

bilder sind ohne Vertrauen in diese langfristig nicht realisierbar. Offe (2001) betitelt<br />

seine Monographie z.B.: „Vertrauen – Die Grundlage des sozialen Zusammenlebens“.<br />

Charismatischen Führungskräften werden Vision, Verantwortung, Vorbild und<br />

Vertrauen zugeschrieben. In einer Schrift über den Polarforscher Ernest Shackleton<br />

(Morell/Caparell 2004) schreiben ihm seine Mitarbeiter wie heutigen Bewunderer diese<br />

Attribute zu. Besonders beeindruckte sie dessen unerschütterliches <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

und „Nehmerqualität“ in seinen lebensgefährlichen und teilweise auch erfolglosen Unternehmen<br />

mit seinem Expeditionsschiff „Endurance“. Auf die Bedeutung dieser bewussten<br />

Namensgebung für unser Thema gehen wir abschließend ein.<br />

2. <strong>Selbst</strong>vertrauen in Management und Märchen<br />

2.1 Überblick<br />

Außergewöhnliches <strong>Selbst</strong>vertrauen charakterisiert „Helden“ in Märchen und auch in<br />

Sagen. Diese zeigen sich oft zusätzlich bemerkenswert unabhängig vom <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

in ihre Interaktions- bzw. Vertragspartner.<br />

Märchenhelden wollen auch Vorbilder für Kinder und Jugendliche sein. Als Identifikationsobjekte<br />

vermitteln sie durch ihr Verhalten kulturelle Werte (z.B.: „Vertraue<br />

dir selbst“, „Hilf dir selbst“, „Lass dir helfen“ oder eben auch „Helfe anderen“). Bei<br />

der Frage nach den eigenen Vorbildern nennen Jugendliche wie Erwachsene neben<br />

Stars aus verschiedenen Lebensbereichen noch häufiger altruistische Helfer. Und e-<br />

benso sind es (Er)Dulder – nicht nur im Christentum. Diese Vorbilder bilden dann<br />

einen Kern des sog. „Kindheits-Ichs“, der im „Erwachsenen-Ich“ noch weiter wirkt.<br />

Wir sehen hier einen in der Märchenforschung vernachlässigten Ansatz. Und in<br />

der Managementdiskussion kann man Märchenhelden als jugendliche Pendants zu den<br />

„Great WOmen“ der Führungspraxis und -forschung verstehen. Sie führen zwar selten<br />

andere, aber sie leben „Visionen“, zeigen <strong>Selbst</strong>vertrauen, Dulder- und Handlungskompetenzen,<br />

kompensieren physische wie professionelle Unterlegenheit durch<br />

kreative Problemlösungen sowie durch prosoziale Netzwerkbildung. Märchen könnten<br />

insoweit eine Art Führungs- und Kooperationslehre für Heranwachsende („Leadership<br />

for Kids“) bilden.<br />

Dazu zählen Antworten auf die Fragen: „Wie gehe ich mit Mächtigen um?“<br />

(„Managing the Boss“), „Was sind sinnvolle Kooperationsstrategien“ (z.B. Wechselseitigkeit<br />

in langfristigen Beziehungen), „Wie führe ich mich selbst?“ oder „Was kennzeichnet<br />

eine Person mit hohem <strong>Selbst</strong>vertrauen?“ und „Welchen Einfluss hat letzteres<br />

auf mein <strong>Fremdvertrauen</strong> und mein soziales Handeln?“<br />

Ein dafür zweckmäßiger theoretischer Ansatz dominiert heute noch die differentielle<br />

Psychologie bzw. Testpsychologie (vgl. z.B. Sarges 1995), ebenso die eigenschaftstheoretisch<br />

ausgerichtete Führungsforschung. Gerade in der Praxis beantworten<br />

Manager noch heute die Frage: „Was bestimmt den Erfolg einer Führungskraft“<br />

(Wunderer 1971) fast ausschließlich mit Persönlichkeitsmerkmalen. Ebenso werden in<br />

der empirischen Führerforschung noch immer „Traits“ im Rahmen von merkmalsorientierten<br />

Kategorisierungsansätzen in den Mittelpunkt gestellt. Dies finden wir z.B in<br />

der beliebten Suche nach dem „Excellent“ oder gar „Charismatic Leader“ (Bass/Steyrer<br />

1995) oder nach kulturellen Unterschieden zu positiv wie negativ „herausragen-


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 457<br />

den“ Managern (vgl. Brodbeck et al. 2000; House et. al. 2004; Wunderer/Weibler<br />

2001 in der über 60 Länder umfassenden „Globe-Study“).<br />

Gleiches gilt für die Literatur zu Analysekonzepten des <strong>Selbst</strong>vertrauens – nicht<br />

aber des <strong>Fremdvertrauen</strong>s. Bei unserer Diskussion <strong>zum</strong> <strong>Selbst</strong>- sowie <strong>zum</strong> davon beeinflussten<br />

<strong>Fremdvertrauen</strong> bevorzugen wir einen lerntheoretisch erweiterten Eigenschaftsansatz<br />

(vgl. z.B. Erikson 1975; Bowlby 1975; Rotter 1967, 1980; Scheuerer-Englisch/<br />

Zimmermann 1997). Er eignet sich u.E. für die Analyse des <strong>Selbst</strong>konzepts <strong>zum</strong> Vertrauen<br />

und das individuelle Vertrauenspotential besonders. Über seine Vor- und<br />

Nachteile gibt es eine breite Diskussion (vgl. Delhees 1995; Eberl 2003; Koller 1997;<br />

Neuberger 2002; Petermann 1996; Wunderer 2003). Offe (2001, 368) fragt sich sogar,<br />

ob man sich „Vertrauen überhaupt als Ergebnis einer ‚Entscheidung’ vorstellen kann<br />

oder nicht vielmehr als eine Disposition kennzeichnen muss, die Personen nur ‚zukommt’.“<br />

Im Folgenden werden Beschreibungsansätze sowie Forschungsergebnisse <strong>zum</strong><br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen und ihrer Verbindung <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong> diskutiert. Fallbeispiele<br />

wurden dazu aus den gesammelten Märchen der Brüder Grimm ausgewählt. Ihre Analyse<br />

unter dem Aspekt „Märchen und Management“ hat uns übrigens zu dieser Diskussion<br />

angeregt.<br />

2.2 Begriffsumschreibungen <strong>zum</strong> <strong>Selbst</strong>vertrauen.<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen wird z.B. als Überzeugung „in Bezug auf die eigene Fähigkeit definiert,<br />

Handlungsabläufe zu organisieren und auszuführen“ (Neuberger 2002, 588). In<br />

der Psychologie wird hierfür der Terminus „internale Kontrollüberzeugung“ bevorzugt,<br />

denn sie liegt so in der eigenen Person begründet. Stützt es sich auf Umfeldfaktoren<br />

(z.B. Helfer in jeder Gestalt), sprechen wir von einem durch „externale Kontrollüberzeugung“<br />

begründeten <strong>Selbst</strong>vertrauen. Neben der Fähigkeit beziehen wir<br />

auch die Motivation <strong>zum</strong> vertrauensvollen Denken und Handeln ein.<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen wird nach unseren Literaturanalysen meist auf internale „<strong>Selbst</strong>wirksamkeit“<br />

reduziert. Diese Auffassung teilen wir damit nicht. Daneben lassen sich<br />

viele weitere Definitionen <strong>zum</strong> Vertrauen finden (vgl. die Übersicht bei Petermann<br />

1996, 15). Wir beziehen uns gerne auf einen Ansatz von Deutsch (1960, 1962). Dieser<br />

rückt die Bereitschaft (das Risiko) zur eigenen Verwundbarkeit durch andere in den<br />

Mittelpunkt, deren Wirkung kaum kontrollierbar ist und die zudem größeren Schaden<br />

als Nutzen zufügen kann. Diese „akzeptierte Verletzbarkeit“ trifft die Situation der Märchenhelden<br />

besonders. Denn sie riskieren oft Kopf und Kragen für unbekannte und<br />

dazu meist unzuverlässige Auftraggeber. Und Sie müssen oft schwere und lange Vertrauensverletzungen<br />

ertragen, bevor sie diesen aktiv begegnen können.<br />

Beim internalen <strong>Selbst</strong>vertrauen fokussieren wir auf drei Aspekte:<br />

Kompetenzvertrauen. Damit fühlt man sich An- bzw. Herausforderungen grundsätzlich<br />

gewachsen – u.U. auch ohne die dafür übliche professionelle Ausbildung<br />

oder Erfahrung. Denn objektiv ausgewiesene formale Qualifikation sichert subjektiv<br />

generelles Kompetenzvertrauen noch nicht.


458 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

<br />

Soziales <strong>Selbst</strong>vertrauen. Hier werden auch riskante Beziehungen eingegangen und<br />

die Gefahr von Vertrauensverletzungen niedrig gewichtet bzw. akzeptiert. Und<br />

sollten sie eintreten, dann wird deshalb die Interaktion auch nicht gleich beendet.<br />

Handlungsorientiertes <strong>Selbst</strong>vertrauen. Bei der Umsetzung von Zielen, Ideen, Aufgaben<br />

spielt man nicht lange den „Hamlet“, sondern lässt sich mehr von der Devise des<br />

„Tapferen Schneiderleins“ und anderer Märchenhelden leiten: „Frisch gewagt ist<br />

halb gewonnen“.<br />

Neben dieser positiven Einschätzung der eigenen Wirksamkeit kann <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

u.E. auch in generellen persönlichkeitstypischen „externalen Kontrollüberzeugungen“<br />

gründen. Diese bezeichnen wir als „stabiles externales <strong>Selbst</strong>vertrauen“ und differenzieren:<br />

<br />

Fatalistisches <strong>Selbst</strong>vertrauen rechnet mit günstigen Sternen oder dem Beistand von<br />

höheren Mächten. Damit werden auch schwierige Situationen besser ertragen.<br />

Soziales Netzwerkvertrauen begründet die Überzeugung, dass man auch auf dieser<br />

Erde Freunde und Helfer in der Not zur erfolgssichernden Unterstützung seiner<br />

Vorhaben gewinnen kann bzw. wird.<br />

Daneben gibt es noch das besonders von Interaktionen mit dem eigenen Umfeld beeinflusste<br />

„volatile <strong>Selbst</strong>vertrauen“, das z.B. durch Anerkennung, Ermutigung, Erfolgserlebnisse<br />

und günstige situative Kontexte gefördert wird.<br />

2.3 <strong>Selbst</strong>vertrauen im Märchen<br />

Den diskutierten Hauptformen eines internalen oder eben auch externalen <strong>Selbst</strong>vertrauens<br />

entsprechen in Grimms Märchen zwei erfolgreiche unternehmerische Typen<br />

(vgl. Wunderer 2003):<br />

Die autonomen Intrapreneure. Diese „Intracorporate Entrapreneurs“ (Pinchot 1988)<br />

verlassen sich auf ihre „<strong>Selbst</strong>wirksamkeit“, insbesondere auf ihre kreative bis<br />

trickreiche Problemlösungsfähigkeit (z.B. „Doktor Allwissend“, „Der Meisterdieb“).<br />

Im Extremfall lehnen sie sogar fremde Hilfe ab. Den Extremtyp verkörpert<br />

das „Tapfere Schneiderlein“, das beim Fangen des Einhorns wie des ebenso<br />

gefürchteten Wildschweins die dafür vom König angebotene Unterstützung<br />

durch Soldaten und Jäger rundweg ablehnt. Hier erkennen wir die von Allmachtsphantasien<br />

(„die ganze Welt soll’s erfahren!“) gespeiste Inkarnation eines<br />

ausschließlich internalen <strong>Selbst</strong>vertrauens. Bei seinem letzten Streich ist der<br />

Schneider übrigens aber doch nur erfolgreich, weil ein ihm zugetaner Diener des<br />

Königs dessen Plan zu seiner Abschiebung aus dem Reich verrät.<br />

Ebenso autonom und trickreich verhält sich der „gestiefelte Kater“, der seinem Herrn<br />

(es ist der einfältige, aber willfährige Müllersohn) den Weg <strong>zum</strong> Thron (incl. Königstochter<br />

und Ländereien des überlisteten Zauberers) ebnet. Dafür macht er dann auch<br />

Karriere als erster Minister unter seinem von ihm so erfolgreich gemanagten Boss.<br />

Sagenhelden gehören übrigens meist auch zu diesem Typus.<br />

Viele Definitionen von <strong>Selbst</strong>vertrauen reduzieren sich auf diese „internale Kontrollüberzeugung“.<br />

Die sozialen Co-Intrapreneure. Sie zählen zusätzlich auf Hilfe „von oben“ oder aus ihrem<br />

Umfeld. Im Gegensatz zu den vorher genannten „Tricksern“ zeigen sie oft


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 459<br />

weniger kreative Problemlösungskompetenz, dafür aber viel altruistische Sozialkompetenz<br />

und bewältigen so ihre schwierigen Aufgaben zusammen mit anderen.<br />

Diese sozial-kompetenten Helden dominieren im Märchen – das kann man als<br />

Botschaft verstehen. Sie werden zuweilen sogar als „Dummlinge“ verlacht, wenn<br />

sie z.B. als die meist jüngsten Geschwister den letzten Versuch wagen wollen o-<br />

der sollen (vgl. z.B. „Der arme Müllersbursch und das Kätzchen“, „Der goldene<br />

Vogel“, „Das Wasser des Lebens“, das „Märchen von einem der auszog, das<br />

Fürchten zu lernen“). Und sie haben Erfolg, weil sie zuvor hilfsbedürftigen Menschen<br />

oder Tieren ohne erkennbare Berechnung auf Gegenleistung halfen (vgl.<br />

z.B. die jüngste Tochter im „Waldhaus“ oder den „Bärenhäuter“) oder weil sie<br />

mitfühlende Helfer finden. Diese unterstützen sie dann, sei es mit wundersamen<br />

Waffen, Transport über weite Strecken oder geschickter Informationsbeschaffung<br />

(vgl. z.B „Teufel mit den drei goldenen Haaren“, „Rumpelstilzchen“).<br />

Hier finden wir also internales mit externalem <strong>Selbst</strong>vertrauen kombiniert, z.B. in die<br />

eigene Fähigkeit <strong>zum</strong> Ertragen und <strong>zum</strong> aktiven Bewältigungshandeln sowie in überirdischen<br />

Beistand (besonders im „Aschenputtel“) oder aber in ihre Begabung, über<br />

Dissonanzabbau unglückliche Situationen in günstige umzuinterpretieren – wie das<br />

„Hans im Glück“ vorlebt bzw. wie es die psychoanalytische Märchenforschung (z.B.<br />

Zielen 1987) bevorzugt interpretiert. Hier gibt es v.a. normativ-wertende (z.B. Zielen<br />

1987) bzw. kalkulative Interpretationen (z.B. von Oberender/Rudolf 2004, 298): „Aus<br />

dem Blickwinkel von Hans zeigt sich auf Basis der mikroökonomischen Nutzentheorie,<br />

dass nicht der materielle Wert das menschliche Handeln bestimmt, sondern die<br />

subjektive, d.h. die individuelle Wertschätzung eines Gutes.“ Wir sehen bei ihm mehr<br />

seine Unfähigkeit im Ertragen von negativen Folgen eigener Entscheidungen (i.S. von<br />

„Stresstoleranz“) sowie sein Verhalten als „Misserfolgszurechner“.<br />

Die Formen eines external gespeisten <strong>Selbst</strong>vertrauens – fatalistisch oder sozial<br />

orientiert – verstehen wir als reife Ergänzungen zu einem sonst nur autonomen (bis<br />

autistischen) <strong>Selbst</strong>vertrauen. Denn hier wird das Beziehungsumfeld zur Stärkung der<br />

persönlichen Kontrollüberzeugung einbezogen. Der Einzelne – auch der Held – wird<br />

somit als Mängelwesen (Gehlen 1964) verstanden, das nur als „homo socialis“ (Dahrendorf<br />

1997) überleben kann. Ein beim internalen <strong>Selbst</strong>vertrauen bevorzugtes individualistisches<br />

Denk- und Handlungskonzept schlägt hier eine Brücke zu einem interaktionistischen<br />

Konzept.<br />

2.4 Operationalisierungsansätze unserer <strong>Selbst</strong>vertrauensdimensionen<br />

Beginnen wir – mit wenigen Beispielen – mit der zuvor vorgenommenen Differenzierung<br />

des internalen <strong>Selbst</strong>vertrauens, z.T. mit Bezug auf Schwarzer (2000):<br />

<br />

<br />

Kompetenzvertrauen stärkt die Überzeugung: „Bei Schwierigkeiten finde ich selbst<br />

eine Problemlösung“ oder: „Mit meiner Ausbildung und Erfahrung löse ich auch<br />

neuartige Aufgaben“.<br />

Mit sozio-emotionalem <strong>Selbst</strong>vertrauen glaubt man: „Mich bringt nicht so leicht jemand<br />

aus der Fassung“, „Gestörte Beziehungen kann ich ertragen“ oder: „Auch bei<br />

Vertrauensverletzungen finde ich eine gute Lösung“.


460 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

Bei handlungsorientiertem <strong>Selbst</strong>vertrauen leiten Maximen wie: „Es fällt mir nicht<br />

schwer, meine Ziele umzusetzen“ oder eben: „Frisch gewagt ist halb gewonnen“.<br />

Am tiefsten verankert und am frühesten sozialisiert ist das emotionale <strong>Selbst</strong>vertrauen.<br />

Es entspricht weitgehend dem sog. „Urvertrauen“ nach Erikson (1975) bzw. der erlebten<br />

Eltern-Kind-Bindung bzw. -Bestätigung nach Bowlby (1975). Dieses Vertrauen<br />

wird als „innere Gewissheit von Verlässlichkeit, Verfügbarkeit und positiver Antwortbereitschaft<br />

der wesentlichen Bezugspersonen“ verstanden (Scheuerer-Englisch/<br />

Zimmermann 1997, 28). Es stimmt auch weitgehend mit einer der fünf klassischen<br />

Persönlichkeitsvariablen („Big Five“ – Mc.Care/John 1992) überein – „emotionale<br />

Stabilität“ genannt. Letztere prägt unsere Märchenhelden erkennbar – auch im Ertragen<br />

von Vertrauensverletzungen! Und emotionale Stabilität scheint auch in neueren<br />

Messskalen die meist verwendete sowie besonders gültige und zuverlässige Dimension<br />

zu sein (vgl. Petermann 1996, Eberl 2003).<br />

Neben diesen Dimensionen eines internalen <strong>Selbst</strong>vertrauens wird nun ein external<br />

begründetes <strong>Selbst</strong>vertrauen in zwei Komponenten wieder grob operationalisiert:<br />

<br />

<br />

fatalistisches <strong>Selbst</strong>vertrauen gründet auf der grundsätzlichen – also nicht nur situativen<br />

– Erwartung von Hilfe durch ein günstiges bzw. gütiges Schicksal. Die entsprechenden<br />

Items könnten hier lauten: „Ich bin mit einer Glückshaut geboren,<br />

bin ein Glückspilz“, „Mit Gottes Hilfe wird mir das gelingen“, „Die Sterne stehen<br />

mir günstig“ oder „Ich kann auch Pechsträhnen ertragen“.<br />

soziales Netzwerkvertrauen rechnet generell mit dem Beistand von sozialen Bezugspartnern:<br />

„Da hilft mir schon jemand“, „Ich verlasse mich auf andere“,<br />

„Zwei kommen leichter durch die Welt“.<br />

3. Zur Operationalisierung von <strong>Selbst</strong>vertrauen und <strong>Fremdvertrauen</strong> in<br />

der Literatur<br />

Operationalisierungen fördern die Anschaulichkeit abstrakter Definitionen und informieren<br />

über deren Inhalt, Reichweite und Erfassungsmöglichkeiten.<br />

3.1 Beschreibungs- und Messansätze <strong>zum</strong> <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen fördert eine personenspezifische wie vorwiegend stabile Überzeugung,<br />

auch mit risikoreichen und persönlich verletzungsanfälligen Interaktionen bzw. Situationen<br />

zurechtzukommen. Diese Überzeugung kann internal (kompetenzbezogen,<br />

emotional oder aktional) sowie external (fatalistisch oder sozial) beeinflusst sein. Davon<br />

unterscheidet sich das volatile <strong>Fremdvertrauen</strong> in eine spezifische Handlungssituation<br />

– z.B. in Aufgaben, Personen oder Institutionen. Mit einem rationalen Ansatz<br />

reflektiert und kalkuliert man jeweils die aktuelle oder erwartete Situation. Diese<br />

„Konstruktion der Wirklichkeit“ bildet den Fokus der heutigen wissenschaftlichen<br />

Vertrauensdiskussion. Die Motivation zu dieser Vertrauenseinschätzung kann mit<br />

Prozesstheorien der Motivation beschrieben und erklärt werden (Vroom 1967; Eberl<br />

2003). Mit ihr werden Chancen („Wahrscheinlichkeiten“) zu Handlungs- und Erfolgserwartungen<br />

abgeleitet. Hier beeinflusst das Vertrauen in die eigene <strong>Selbst</strong>wirksamkeit<br />

die Zuversicht (Erfolgswahrscheinlichkeit), „dass man es schaffen wird“.


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 461<br />

Neuberger (2002, 588 f.) verweist auf ein Messkonzept von Schwarzer (2000) mit<br />

der Beurteilung: „Sie liest sich wie ein Anforderungskatalog an Führungskräfte oder<br />

wie ein Auszug aus einer impliziten Führungstheorie“. Die hier operationalisierte „generelle<br />

Kompetenzerwartung“ bezieht sich aber nur auf internal geprägtes <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

für einen „Intrapreneur“. Sie arbeitet mit zehn Items, die z.B. auch das autonome<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen des „Tapferen Schneiderleins“ charakterisieren:<br />

„1. Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir, wenn ich mich darum bemühe.<br />

2. Wenn mir jemand Widerstand leistet, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen.<br />

3. Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen.<br />

4. Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut damit zurecht kommen<br />

werde.<br />

5. In unerwarteten Situationen weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll.<br />

6. Für jedes Problem habe ich eine Lösung.<br />

7. Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen.<br />

8. Wenn ich mit einem Problem konfrontiert werde, habe ich meist mehrere Ideen,<br />

wie ich damit fertig werde.<br />

9. Wenn ich mit einer neuen Sache konfrontiert werde, weiß ich, wie ich damit umgehen<br />

kann.<br />

10. Was auch immer passiert, ich werde schon klarkommen“.<br />

Erez/Judge (2001) haben einen aus vier relevanten Eigenschaften (<strong>Selbst</strong>wirksamkeit,<br />

emotionale Stabilität, interne Kontrollüberzeugung, <strong>Selbst</strong>schätzung) bestehenden<br />

neuen Überbegriff („Core Self-Evaluation“) konstruiert und empirisch einen signifikanten<br />

positiven Einfluss auf zentrale Wertschöpfungsgrößen (Leistungsmotivation<br />

und -erfolg) nachgewiesen. Aber auch sie stellten dabei weder theoretisch noch empirisch<br />

eine Verbindung zwischen <strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong> her!<br />

3.2 Messansätze <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

In der Literatur werden viele Ansätze zur Messung von Vertrauen diskutiert (so z.B<br />

von Buck/Bierhoff 1986; Deutsch 1960; Butler 1991; Cummings/Bromiley 1996;<br />

Johnson/Swap 1982; Tyler/Degoy 1996). Teils explizit, meist implizit wird hier aber<br />

nur <strong>Fremdvertrauen</strong> thematisiert und dann bevorzugt interpersonelles – selten institutionelles<br />

(systemisches) – <strong>Fremdvertrauen</strong>. <strong>Selbst</strong>vertrauen bleibt hier eine vernachlässigte<br />

Einflussgröße, obgleich Rotter (1967, 1971) dessen Einfluss auf das <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

schon theoretisch diskutierte sowie eigene Messskalen dazu einsetzte. Sein<br />

Ansatz blieb aber umstritten (vgl. z.B. Petermann 1996; positiver Eberl 2003) bzw.<br />

unbeachtet. Denn in den Mittelpunkt rückten zunehmend entscheidungs- bzw.<br />

handlungsorientierte Ansätze <strong>zum</strong> Aufbau und Erhalt von <strong>Fremdvertrauen</strong>.<br />

Der Ansatz von Butler (1991) :<br />

Dieses häufig zitierte Konzept differenziert zehn Kategorien als Voraussetzungen für<br />

zu gewährendes (interpersonelles) Vertrauen:


462 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

Konsistenz und Vorhersehbarkeit – Erfüllung von Versprechen – Faires Verhalten<br />

– Loyales und wohlmeinendes Verhalten – Ehrlich und integer – Diskret und verschwiegen<br />

– Für Ideen ansprechbar – Offener Meinungsaustausch – Fach- und Sachkompetenz<br />

– Ist da, wenn er/sie gebraucht wird.<br />

3.3 <strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong> im Märchen<br />

Die analysierten Märchen fokussieren ganz eindeutig auf das persönlichkeitsspezifische<br />

– meist emotionale und aktionale – Grundvertrauen ihrer Helden. Wie schon angesprochen,<br />

finden sich dabei die Varianten des internalen (autonomen) sowie die des<br />

auch external begründeten <strong>Selbst</strong>vertrauens in oft ausgeprägter Form.<br />

Damit werden Enttäuschungen aus gewährtem Vertrauen in Personen, Aufgaben<br />

oder Tauschobjekte bewältigt. Typisch sind dafür folgende Beispiele: Sehr häufig halten<br />

sich die Vertragspartner nicht an ihre Versprechungen und verlangen z.B. statt einer<br />

schließlich drei erfolgreiche Proben. Ebenso verhalten sich die ausgelobten „Preise“<br />

(v.a. die Königstöchter) nicht erwartungsgemäß. Das erfahren z.B. der Froschkönig<br />

wie das Tapfere Schneiderlein: Beide Prinzessinnen wollen von diesen Märchenhelden<br />

nichts wissen, werfen sie an die Wand oder versuchen sie ins ferne Ausland<br />

abzuschieben. Und viele andere – z.B. als Tiere Verwandelte – müssen in Märchen<br />

viele Jahre geduldig auf ihre Rettung vertrauen.<br />

Eine reflektierte und kalkulative Abschätzung der Handlungssituation ist bei unseren<br />

„Great Kids“ nur selten zu erkennen. Es dominiert dagegen eine emotional wie<br />

aktional große Erfolgserwartung. Und schlechte Erfahrungen mit Personen oder Institutionen<br />

(z.B. Verträgen) spielen für ihre Handlungsmotivation und -volition keine<br />

entscheidende Rolle. Die Helden in Märchen und Sagen (Carstensen 2003) scheinen<br />

grundsätzlich vom <strong>Fremdvertrauen</strong> also weitgehend unabhängig zu sein! Statt sich ü-<br />

ber Vertrauensverletzungen zu beklagen, lautet die Antwort für den nächsten – wieder<br />

lebensgefährlichen – Auftrag: „Das ist ein Kinderspiel“ (so das „Tapfere Schneiderlein“).<br />

Oder ein bald enttäuschender Handel wird – wie vom „Hans im Glück“ – in<br />

einen guten uminterpretiert.<br />

Nicht nur Märchenhelden beherrschen dies. Auch eindeutige Fehlinvestitionen<br />

können vom Management so interpretiert werden. Diese Immunität gegenüber Verletzungen<br />

von <strong>Fremdvertrauen</strong> zeigt zuweilen Züge von naiver Vertrauensseligkeit.<br />

Hiervon sollten sich Manager zwar nicht leiten lassen. Doch zeigt das unseriöse Geschäft<br />

von Finanzhaien mit hier vertrauensseligen Kundengruppen (z.B. Ärzten) sowie<br />

auch manche so genannte „strategische Investition“ in Milliardenhöhe (z.B. in der Telekommunikationsbranche),<br />

dass selbst oberste Manager nicht davor gefeit sind.<br />

In vielen der analysierten Märchen finden wir bei den Königen – sie werden oft<br />

von Ungeheuern bedroht – eine Kombination von hilfesuchender Unfähigkeit und<br />

nahezu kopf- bis wahlloser Suche nach Helfern. Sie verfügen allenfalls noch über Positionsautorität<br />

und hoffen auf Retter mit personaler Autorität, die sie mit höchsten<br />

Erfolgsprämien anlocken. Für die Auftragsvergabe genügt den „Prinzipalen“ vermutetes<br />

emotionales und aktionales <strong>Selbst</strong>vertrauen der meist unprofessionellen „Agenten“.<br />

Ihnen vertrauen sie dann sogar die eigenen Soldaten an. Im Erfolgsfall halten sie<br />

sich aber oft nicht an ihre Versprechen und verlangen weitere Leistungen. Hier wird


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 463<br />

also z.T. beiderseits „Vertrauen“ trotz ständiger Vertrauensbrüche gezeigt bzw. ohne<br />

situativ fundiertes <strong>Fremdvertrauen</strong> beider Seiten mehrfach bis langfristig kooperiert.<br />

4. Beziehungen und Wirkungen zwischen <strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

4.1 Thesen zu Beziehungen und Wirkungen<br />

Da wir zu dieser Frage (noch) keine aktuelle empirisch fundierte Diskussion gefunden<br />

haben und auch die theoretische Forschung zurzeit diesen u.E. zentralen Aspekt vernachlässigt,<br />

werden dazu einige Überlegungen diskutiert – eklektisch und vorwiegend<br />

aus Sicht der Vertrauensgeber.<br />

a) Neben einer generellen Überzeugung in die autonome <strong>Selbst</strong>wirksamkeit wird<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen durch eine auch persönlichkeitsspezifische sowie ähnlich stabile Überzeugung<br />

(„Vertrauensbereitschaft“) in ein grundsätzlich wohlgesinntes „Umfeld“ fundiert.<br />

Letzteres kann fatalistisch (z.B. religiös) oder in einem „Urvertrauen“ (Erikson<br />

1975) in soziale Hilfe und Helfer begründet sein.<br />

b) Von diesem damit auch kontextbezogenen, aber relativ stabilen und vorwiegend<br />

emotional fundierten <strong>Selbst</strong>vertrauen (von uns auch als „Grundvertrauen“ bezeichnet) ist<br />

ein grundsätzlich volatiles <strong>Fremdvertrauen</strong> (vgl. z.B. Weibel 2002, Lewicki/Bunker 1996) in<br />

Personen, Aufgaben oder Institutionen zu unterscheiden.<br />

Dieses situative <strong>Fremdvertrauen</strong> hängt von subjektiven und situativen Erfahrungen<br />

sowie damit verbundenen Bewertungen der Vertrauensgeber ab (vgl. z.B. Osterloh/<br />

Weibel 2002). Einflussfaktoren und Voraussetzungen definieren anerkannte „Trust<br />

Inventories“ (z.B. von Buck/Bierhoff 1986; Butler 1991; Tyler/ Degoy 1996).<br />

c) Situatives <strong>Fremdvertrauen</strong> wird damit wesentlich vom – internal oder external begründeten<br />

– stabilen und persönlichkeitsspezifischen „Grundvertrauen“ beeinflusst.<br />

Dieses erweiterte <strong>Selbst</strong>vertrauen bildet den Kern eines stabilen und generellen <strong>Fremdvertrauen</strong>s<br />

im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft.<br />

d) Positive Wirkungen dieser Beeinflussung von situativem <strong>Fremdvertrauen</strong>s durch stabiles<br />

und generalisiertes <strong>Selbst</strong>vertrauen kann man v.a. in Folgendem sehen:<br />

Vertrauensvolle „Eröffnung“ von Kooperationsbeziehungen (so schon Rotter<br />

1971). Das begünstigt positiv reziprokes Verhalten der Kooperationspartner –<br />

v.a. in längerfristigen Beziehungen („unendlichen Spielen“ – Axelrod 1984; Bittl<br />

1997).<br />

Verstärkte Suche nach Kooperationspartnern und Netzwerken (Weibel 2003).<br />

<br />

<br />

<br />

Geringere Abhängigkeit von <strong>Fremdvertrauen</strong> und damit höhere Autonomie im<br />

eigenen Denken und Fühlen. Dadurch ergibt sich auch eine geringere Anfälligkeit<br />

durch Verletzungen von Vertrauenserwartungen oder -beziehungen.<br />

Leichtere Verarbeitung von Vertrauensbrüchen – z.B. durch Dissonanzabbau,<br />

Kompensation oder rationalere Einschätzung und Bewältigung von schwierigen<br />

bzw. gestörten Vertrauensbeziehungen.<br />

Höhere Neigung, Chancen zu sehen, Risiken einzugehen, Fehlertoleranz und Innovation<br />

gerade in neuen Situationen zu wagen, größere Bereitschaft <strong>zum</strong> Wandel<br />

sowie höhere Leistungsmotivation.


464 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

e) Negative Wirkungen zeigen sich in folgenden Aspekten:<br />

ea) bei hohem <strong>Selbst</strong>vertrauen der Vertrauensgeber:<br />

<br />

<br />

Reflexionsarme Bewertung von möglichen oder eingetretenen Risiken in Beziehungen<br />

zu Personen, Institutionen und Aufgaben. Dies kann auch zu gefährlicher<br />

Vertrauensseligkeit, zu Tollkühnheit oder Übermut führen.<br />

Zu stark mit Autonomie verbundenes internales <strong>Selbst</strong>vertrauen beeinträchtigt<br />

die soziale Sensibilität und Bereitschaft zur Kooperation und Netzwerkbildung.<br />

überhöhtes professionelles <strong>Selbst</strong>vertrauen („Kompetenzvertrauen“) beschränkt<br />

eine weitere Informationssuche und reduziert die Delegationsbereitschaft.<br />

eb) bei geringem <strong>Selbst</strong>vertrauen der Vertrauensgeber:<br />

<br />

<br />

<br />

Misstrauen bei neuen Interaktionsbeziehungen bzw. Herausforderungen<br />

(„Oberbedenkenträger“) oder auch nur Größenphantasien (Kast 1990).<br />

Überreaktionen bei Vertrauensbrüchen, die Kooperationsabbruch begünstigen.<br />

Vermeiden von unbekannten Kooperationsbeziehungen und damit verbundene<br />

<strong>Selbst</strong>isolierung („einsame Entscheider“, „Küchenkabinette“).<br />

Vermeidung oder Verzögerung von Innovationen. Diese Angst vor Risiko<br />

und Wandel hat z.B. Guttropf (1995) in einer umfassenden empirischen Studie<br />

für die schweizerische Innovationskultur erforscht. Wunderer/Weibler<br />

(2001) ermittelten in einer internationalen Kulturstudie für das schweizerische<br />

middlemanagement unter 60 beteiligten Ländern die größte Risikoaversion<br />

(vgl. dazu auch Wittmann 2004).<br />

Hohe Abhängigkeit von externer Anerkennung und Hilfe, eingeschränkte<br />

Autonomie im Denken und Handeln sowie geringere Leistungsmotivation.<br />

Überhöhtes <strong>Fremdvertrauen</strong>, z.B. in Opfer-Retter/Spezialistenbeziehungen.<br />

4.2 <strong>Selbst</strong>- und <strong>Fremdvertrauen</strong> in Märchen<br />

In den analysierten Märchen werden v.a. die positiven Wirkungen von hohem <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

bzw. hoher Unabhängigkeit von <strong>Fremdvertrauen</strong> in den Mittelpunkt gestellt.<br />

Der damit gezeigte Erfolg ihrer Helden soll wohl Leser und Hörer in ihrem Denken<br />

und Handeln in gleiche Richtung beeinflussen. Ähnliche Absichten kann man in der<br />

Managementliteratur vielen Erfolgsschilderungen erfolgreicher Topmanager unterstellen.<br />

Diese „Märchen“ verdanken einen guten Teil ihrer Markterfolge einer ähnlichen<br />

Suche sehr vieler Manager nach „charismatischen Vorbildern“ mit hohem – bis überhöhtem<br />

– <strong>Selbst</strong>vertrauen (vgl. z.B. Iacocca 1987; Welch 2001).<br />

Aber es findet sich auch eine Reihe von Märchen, deren Hauptfiguren durch unglückliche<br />

Umstände mit völlig überfordernden Herausforderungen konfrontiert werden,<br />

z.B. der sehr selbstbewusste wie prosoziale Junge „mit der Glückshaut“ im „Teufel<br />

mit den drei goldenen Haaren“ (vgl. auch Kast 1989). Ihnen wird durch mitleidende<br />

Menschen geholfen, wobei sie selbst eher passiv bleiben.


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 465<br />

Dann finden sich noch Konstellationen, in denen Überforderte reziproke Hilfe<br />

erhalten. Weil sie Verletzte, Schwache, Gefährdete altruistisch unterstützt haben, helfen<br />

ihnen diese wieder (z.B. dem Müllersohn im „Gestiefelten Kater“, der die Dulderrolle<br />

des dritten Erben mit vertrauensvollem sich Helfenlassen kombiniert).<br />

Eine beispielhafte Kombination – auch für das Management – von reaktiver<br />

Dulderrolle und aktiver Handlungsfähigkeit zeigt „Aschenputtel“. Erst erträgt es beeindruckend<br />

schwere Schicksalsschläge. Vor allem den Tod der Mutter sowie das vom<br />

eigenen Vater noch unterstützte extreme Mobbing durch ihre Stiefmutter und Stiefschwestern.<br />

Dann sucht es aktiv und kreativ ihren Bräutigam, stellt ihn und seine Zuneigung<br />

dreimal auf die Probe, um sich schließlich als unattraktives Aschenputtel zu<br />

„outen“, womit sie ihren Prinzen – und auch ihre „Souveränität“ – endgültig gewinnt.<br />

Dieser findet sie auch erst nach einem dreimaligen „Schuh-Assessment“. Ihren Erfolg<br />

verdankt sie primär ihrem unzerstörbaren internal wie external fundierten <strong>Selbst</strong>vertrauen,<br />

das erkennbar durch eine tiefe Mutterbindung vorgeprägt ist.<br />

Fetscher (2000) entwickelt daraus eine eher simple Emanzipationssatire. Bettelheim<br />

(2000), Drewermann (2003), Wittmann (1987) und Kast (1998) interpretieren<br />

das Märchen aus tiefenpsychologischer Sicht wieder anders. Letztere schließt ihren<br />

Beitrag so: „Darauf zu beharren, dass ich nicht durch und durch ein Aschenputtel bin,<br />

auch wenn niemand außer mir diese Sicht teilt – das ist die große Leistung des Vertrauens<br />

in mich selbst“. Nur mit diesem stabilen <strong>Selbst</strong>vertrauen – in sich selbst und<br />

andere – kann sie ihre missgünstige und wortbrüchige Stiefmutter trotz langjähriger<br />

Enttäuschungen doch wieder bitten, den Prinzenball besuchen zu dürfen und sich<br />

dann noch dem infamen dreifachen „Erbsensortier-Test“ – mit Hilfe ihrer Tauben<br />

„von oben“ – zu stellen. Nur damit kann es auch ganz eigenständig den Plan fassen,<br />

trotz des stiefmütterlichen Verbotes, den Ball zu besuchen, sich mit Hilfe der Mutter<br />

im Himmel schöne Kleider zu beschaffen. Und nur damit vermag es, nach jedem der<br />

drei Bälle, dem geliebten Prinzen zu entfliehen, seine Liebe so auch zu testen („Trust,<br />

but verify“) und die dabei lebensbedrohenden Nachstellungen des Vaters zu ertragen.<br />

Im Vergleich dazu verharrt das ebenso berühmte, liebe und schöne Schneewittchen<br />

in einer passiv-naiven Objektrolle, die nur durch viele glückliche Schicksalsfügungen<br />

auch zu einem guten Märchenende führt.<br />

5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />

In der psychologischen und pädagogischen Vertrauensdiskussion wird <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

häufig als vorwiegend gelernte oder zugeschriebene Persönlichkeitsvariable (z.B.<br />

der emotionalen Stabilität oder <strong>Selbst</strong>wirksamkeitsüberzeugung) verstanden. In einer<br />

jüngeren Studie werden ähnliche Konstrukte (z.B. internale Kontrollüberzeugung,<br />

emotionale Stabilität, <strong>Selbst</strong>wertschätzung und <strong>Selbst</strong>wirksamkeit) zu dem neuen O-<br />

berbegriff „Core Self Evaluation“ (Erez/Judge 2001) zusammengefasst und mit Erfolgsgrößen<br />

(Leistungsmotivation und -erfolg) korreliert. Hier ergaben sich signifikante<br />

positive Zusammenhänge. Eine Verbindung <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong> wurde aber nicht<br />

analysiert bzw. vorwiegend kritisch beurteilt (z.B. Petermann 1996).<br />

Wir erweitern diese Gleichsetzung von <strong>Selbst</strong>vertrauen mit nur internalen Aspekten<br />

der Kontrollüberzeugung, und zwar zunächst, um das persönlichkeitsspezifische<br />

und ebenso weitgehend stabile externale Vertrauen in ein stets günstig geneigtes


466 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

Schicksal (Glückskind) oder in Vertrauen auf Helfer in der Not. Wenn diese Überzeugungen<br />

situationsunabhängig, also generalisiert gebildet sind, werden sie zu einer Persönlichkeitsdisposition<br />

im Sinne einer „Eigenschaft“. Neben diesem stabilen und persönlichkeitsspezifischen<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen in ein hilfreiches Umfeld ist dann noch das<br />

volatile Vertrauen in die jeweilige Handlungssituation zu analysieren. Volatiles Vertrauen<br />

kann man aber nur <strong>zum</strong> Teil mit dem interaktionstheoretischen Begriff von<br />

„<strong>Fremdvertrauen</strong>“ gleichsetzen, weil dieser meist den Einfluss des <strong>Selbst</strong>vertrauens<br />

ausblendet. Letzteres beeinflusst u.E. aber maßgeblich die subjektive Interpretation<br />

des <strong>Fremdvertrauen</strong>s.<br />

Wir plädieren für die Differenzierung des internalen <strong>Selbst</strong>vertrauens in Kompetenz-,<br />

Sozial- und Handlungsvertrauen. Dabei scheint das meist früh geprägte emotionale<br />

Grundvertrauen die zentrale und stabilste Komponente zu sein – im Märchen wie<br />

im Management. Dicht darauf folgt das handlungsorientierte Vertrauen, die Umsetzung.<br />

Deshalb sollte darauf weit mehr in Personalauswahl und -einsatz geachtet werden.<br />

Die Prinzipale in Märchen gestalten ihre Selektion nur fatalistisch und unprofessionell,<br />

also in keiner Weise beispielgebend.<br />

In der ökonomischen, sozialpsychologischen und soziologischen Vertrauensdiskussion<br />

stehen interaktionistische bzw. prozessorientierte Ansätze im Mittelpunkt.<br />

Diese machen das eigene <strong>Fremdvertrauen</strong> primär von Erwartungen an oder Erfahrungen<br />

mit Interaktionspersonen oder Institutionen abhängig. Es dominiert dabei kalkulatives,<br />

reaktives und reziprokes Denken und Handeln. Und wie beim „homo oeconomicus“<br />

sind oft extrinsisch motivierte Denk- und Handlungsmuster die bevorzugte<br />

Theoriegrundlage. Dies kritisierte schon der Ökonom Joseph Schumpeter (1912) in<br />

seiner dynamischen und unternehmerorientierten Wirtschaftstheorie.<br />

Hohes internales <strong>Selbst</strong>vertrauen korreliert zwar signifikant (vgl. Eretz/Judge<br />

2001) positiv mit Leistungsmotivation und -erfolg. Daraus ist aber nicht zu schließen,<br />

dies habe nur positive Auswirkungen auf die Gestaltung vertrauensvoller Interaktionsbeziehungen.<br />

Denn wenn dieses Grundvertrauen in <strong>Selbst</strong>bezogenheit oder gar<br />

<strong>Selbst</strong>überschätzung umschlägt, sind Kooperationsbeziehungen gefährdet. Andererseits<br />

reduziert geringes <strong>Selbst</strong>vertrauen die Motivation für zu gewährendes Vertrauen.<br />

Gerade in der langfristigen Beziehungsgestaltung haben <strong>Selbst</strong>vertrauen und<br />

<strong>Fremdvertrauen</strong> grundlegende Bedeutung. Mit <strong>Selbst</strong>vertrauen werden Kooperationen<br />

schneller und offener begonnen. Und bei Verletzungen reagiert man gelassener,<br />

selbstbewusster und nicht gleich negativ reziprok („Tit for Tat“). Da können Märchenhelden<br />

noch heute als Vorbilder dienen – besonders in der Konflikthandhabung.<br />

Als kritisch wird ein nur auf internaler Kontrollüberzeugung basierendes <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

beurteilt, weil es auf ein rein autonomes Menschenbild fokussiert und das<br />

des „homo socialis“ ausblendet. Ebenso einseitig ist die Fixierung auf rein externales<br />

<strong>Selbst</strong>vertrauen (fatalistisch oder sozial), weil es sich zu wenig auf die eigenen Ressourcen<br />

verlässt oder unreflektiertes <strong>Fremdvertrauen</strong> begünstigt. Darauf sollte in Führungsgrundsätzen<br />

oder der Weiterbildung hingewiesen werden – etwa mit der Maxime<br />

„Misstrauen in Vertrauen“ (Neuberger 1997) oder eben „Trust, but verify“.<br />

Und genauso problematisch erscheint uns die heute vorherrschende einseitige<br />

Ausrichtung auf ein nur situativ beeinflusstes <strong>Fremdvertrauen</strong>.


Zeitschrift für Personalforschung, 18. Jg., Heft 4, 2004 467<br />

Weiterhin dürfte neben der Analyse von Organisationsvertrauen (vgl. z.B. Butler<br />

1991; Cummings/Bromiley 1996) die von Teamvertrauen interessieren, das man nicht<br />

nur als Summe des Individualvertrauens der Gruppenmitglieder interpretieren sollte.<br />

Dazu liefern uns die Märchen von den „Bremer Stadtmusikanten“ oder die drei Brüder<br />

in „Die Kristallkugel“ in positiver sowie die Geschichte von den „Sieben Schwaben“<br />

in negativer Ausprägung beredte Beispiele. Davon könnten gerade Projektgruppenleiter<br />

und weitere Führungskräfte lernen.<br />

Märchen überzeichnen. Die Managementforschung und -praxis steht dem in der<br />

„Verherrlichung“ von sog. „charismatischen Führern“ aber kaum nach. <strong>Selbst</strong>vertrauen<br />

eskaliert dann zu märchenhaften Allmachtsphantasien. So lautet der Untertitel<br />

der Biographie von Jack Welsh (2003): „Die Autobiographie des besten Managers der<br />

Welt“! Da braucht sich das „Tapfere Schneiderlein“ kaum dahinter zu verstecken! Das<br />

„Kindheits-Ich“ lebt eben selbst bei manchen „Great WoMan“ weiter – jedoch bei<br />

anderen auch in der viel reiferen Aschenputtelversion.<br />

Vertrauenspotential zeigt sich nicht nur im selbstbewussten Denken und Handeln,<br />

sondern auch im „fatalistischen“ Ertragen von Krisensituationen. Dazu der aktive<br />

Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in der Todeszelle: „Von guten Mächten<br />

wundersam geborgen, erwarte ich getrost, was kommen mag…“.<br />

Mit ähnlich extremer Bereitschaft zur „Endurance“ wählte Ernest Shackleton diesen<br />

Namen für sein Expeditionsschiff.<br />

„Love it, change it, endure it or leave it“ müsste damit die erweiterte Version für vertrauensbereites<br />

Verhalten in Organisationen lauten. Diese Bereitschaft <strong>zum</strong> Ertragen<br />

schwieriger Situationen (z.B. starker Vertrauensverletzungen) wird in Zeiten verstärkten<br />

Wandels zunehmend auch überlebensentscheidend für das Management. Und zugleich<br />

empfiehlt sich die theoretische und empirische Analyse dieser in Märchen vertrauenstypischen<br />

„Nehmer-Kompetenz“ bei der Definition und Messung von Vertrauen.<br />

Darüber hinaus würde „beherztes Handeln“ nach Art der Märchenhelden als<br />

Kombination von emotionalem und aktionalem <strong>Selbst</strong>bewusstsein dazu beitragen,<br />

dass auch „in der Schweiz die Umsetzung einer guten Idee nicht mehr so lange<br />

braucht“ (vgl. Guttropf 1995). Denn am professionellen <strong>Selbst</strong>vertrauen fehlt es hier<br />

ja am wenigsten. Das schließt die unverzichtbare nüchterne Evaluation nach dem<br />

Prinzip „Trust, but verify“ nicht aus.<br />

Dass Vertrauensbereitschaft und Vertrauenswürdigkeit hoch korrelieren, belegte<br />

J. Rotter in seiner Rückschau auf 14 Jahre eigene Vertrauensforschung. Sein Resümee<br />

lässt sich auf die Maxime konzentrieren „Trust and be trustworthy“:<br />

<br />

<br />

<br />

„People who trust more are less likely to lie,…are more likely to give others a second<br />

chance and to respect rights of others.“<br />

„The high-truster is likely to be unhappy, conflicted, or maladjusted; he or she is<br />

liked more and is sought out as a friend more often, both by low-trusting and by<br />

high-trusting others.“<br />

Und seine „lesson to learn“ „for us as teachers, parents, educators, psychologists“:<br />

„We cannot control the forces at work in society by ourselves, but within our<br />

own smaller circles of influence, we can model and encourage a little more trust,


468 <strong>Rolf</strong> Wunderer: <strong>Vom</strong> <strong>Selbst</strong>- <strong>zum</strong> <strong>Fremdvertrauen</strong><br />

… and a younger generation may be a little more ready for a better world – just in<br />

case there is one coming.“ (Rotter 1980, 6)<br />

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Zielen, V. (1987): Hans im Glück – Lebenslust statt Lebenslast. Zürich.

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