Personalforschung an Hochschulen - Rainer Hampp Verlag
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<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 237<br />
1. Personalwirtschaft / Personalm<strong>an</strong>agement allgemein / Institutionelle<br />
Aspekte des Personalwesens<br />
Thomas Metz<br />
Status, Funktion und Org<strong>an</strong>isation der Personalabteilung. Ansätze<br />
einer institutionellen Theorie des Personalwesens <br />
Betreuer: Prof. Dr. Hartmut Wächter, Universität Trier<br />
Das betriebliche Personalwesen befindet sich - glaubt m<strong>an</strong> der Fachdiskussion -<br />
derzeit in einer Krise, innerhalb derer die Angemessenheit der durch Personalleute geleisteten<br />
Personalarbeit zunehmend hinterfragt wird. Im Zuge der „le<strong>an</strong>“-Debatten werden<br />
einerseits in indirekten Bereiche des Unternehmens verstärkt Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
(Outsourcing, Dezentralisierung) diskutiert, <strong>an</strong>dererseits gilt die von einem<br />
zentralen Personalwesen gesteuerte Personalpolitik oftmals als inflexibel und innovationshemmend.<br />
Ausgehend von jüngsten Befunden über eine Krise der Personalabteilung leistet<br />
die Arbeit eine kritische Analyse bisheriger personalwirtschaftlicher und org<strong>an</strong>isationstheoretischer<br />
Ansätze zur Analyse der Org<strong>an</strong>isationsproblematik des Personalwesens.<br />
Das Ergebnis zeigt, daß die Personalwirtschaftslehre bisher keinen maßgeblichen Beitrag<br />
zur Analyse und Gestaltung dieses Problembereiches liefern konnte. Als Grund dafür<br />
wird ein in der Personalwirtschaftslehre vorherrschendes funktionalistisches Denken<br />
ausgemacht, das die konkreten Träger bzw. die Institutionen der Personalfunktion ausklammert.<br />
Soweit sich personalwirtschaftliche Forscher im Rahmen einer als „besonders<br />
praxisnah“ geltenden institutionell-aufbauorg<strong>an</strong>isatorischen Perspektive dennoch<br />
zu der Org<strong>an</strong>isationsproblematik des Personalwesens äußern, folgen sie in aller Regel<br />
dem Leitbild einer gut ausgebauten zentralen Personalabteilung mit umfassenden Kompetenzen<br />
und unter Vernachlässigung <strong>an</strong>derer Träger (z.B.: Vorgesetzte, Betriebsrat,<br />
Mitarbeiter selbst). Die Krise der Personalabteilung wird auf dieser Ebene häufig als<br />
Defizit im Selbstverständnis und der Rollenauffassung der Personalleute selbst aufgefaßt.<br />
Diese einseitige Profilierungspolitik ist so l<strong>an</strong>ge <strong>an</strong>greifbar, wie sie nicht theoretisch<br />
abgesichert werden k<strong>an</strong>n. Soweit sie überdies dem funktionalistischen Fehlschluß<br />
von der Funktion auf die Institution erliegt, nimmt sie ideologische Züge <strong>an</strong>.<br />
Eine institutionelle, die Träger und Akteure der Personalarbeit ins Zentrum stellende<br />
Theorie des Personalwesens liegt im Schnittpunkt von Org<strong>an</strong>isationstheorie und<br />
Personalwirtschaftslehre. Sie muß wegen der Spezifität des „Faktors Arbeit“ einen akteursorientierten<br />
Rahmen bieten, der das Personal nicht auf das bloße Objekt von Personalarbeit<br />
reduziert, und sie muß zugleich Org<strong>an</strong>isationsstrukturen und institutionelle<br />
Arr<strong>an</strong>gements als H<strong>an</strong>dlungsergebnis erklären, ohne dabei der Fiktion der subjektiv<br />
<br />
Die Arbeit wird im Herbst 95 beim <strong>Hampp</strong>-<strong>Verlag</strong> publiziert.
238 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
freien Gestaltbarkeit der Org<strong>an</strong>isation und von Personalarbeit aufzuliegen. Kern<strong>an</strong>liegen<br />
einer institutionellen Theorie des Personalwesens ist damit die Problematik der<br />
Verbindung von „Akteurstheorie“ und „Strukturtheorie“. Konkret bedeutet dies, daß<br />
sich Org<strong>an</strong>isation und Aufgaben von Personalabteilungen sowohl aus einem mikropolitischen<br />
H<strong>an</strong>dlungsgeflecht innerhalb m<strong>an</strong>agerieller Hierarchien wie aus übergeordneten<br />
Strukturierungsmomenten der kapitalistischen Gesellschaftsformation ergeben, wobei<br />
letztere insbesondere für die Charakteristika des Personals ver<strong>an</strong>twortlich sind, aus der<br />
betriebliche Personalprobleme erst als solche entstehen.<br />
Zur weiteren Analyse dieses Zusammenh<strong>an</strong>gs wird auf die Theorie der Strukturierung<br />
des englischen Sozialtheoretikers Anthony Giddens zurückgegriffen, dessen Postulat<br />
der „Dualität von Strukturen“ das Ziel verfolgt, Strukturen als Medium und Ergebnis<br />
von H<strong>an</strong>deln darzustellen. (Org<strong>an</strong>isations-) Strukturen bestehen dieser Auffassung<br />
nach nur so l<strong>an</strong>ge, wie sie als solche von den Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern beständig<br />
reproduziert werden. Als kompetente Akteure verfügen die Org<strong>an</strong>isationsmitglieder jederzeit<br />
über die Möglichkeit, sich <strong>an</strong>ders zu verhalten, als erwartet; der Prozeß der Reproduktion<br />
darf insofern nicht mit der simplen Replikation gleichgesetzt werden. Aus<br />
diesem Grund sind die Konstitutionsbedingungen sozialer Systeme besonders erklärungsbedürftig.<br />
Dieser Ansatz macht es bezüglich des Personalwesens möglich, Mikropolitik, Mesopolitik,<br />
Industrielle Beziehungen und Gesellschaftsformation so aufein<strong>an</strong>der zu beziehen,<br />
daß eine institutionelle Theorie des Personalwesens möglich wird.<br />
Die ersten Umrisse einer solchen Theorie weisen der betrieblichen Personalarbeit<br />
das Problem der Tr<strong>an</strong>sformation von Arbeitsvermögen in Arbeitskraft als Grundproblem<br />
zu. Innerhalb der kapitalistischen Unternehmung stellt sich dieses Problem auf<br />
zweierlei Weise: Zum einen bezüglich der Koordination konkreter Einzelarbeiten im direkten<br />
Mitein<strong>an</strong>der bzw. unter Bedingungen der „Kopräsenz“ der Beteiligten (etwa innerhalb<br />
von Abteilungen oder Arbeitsgruppen). Dieser Bereich wird mit Giddens als<br />
Problem der Sozialintegration beschrieben. Zum zweiten ergibt sich für die Org<strong>an</strong>isation<br />
das Problem der Koordination und Kontrolle räumlich und zeitlich vonein<strong>an</strong>der entfernter<br />
Aktivitäten. Von dieser Koordination, hier als Problem der Systemintegration<br />
bezeichnet, hängt letztlich die „Systemität“ der Org<strong>an</strong>isation ab.<br />
Vor diesem abstrakten Hintergrund läßt sich die Problematik der Org<strong>an</strong>isation des<br />
Personalwesens folgendermaßen umreißen: Das Problem der Sozialintegration, das<br />
auch als das Problem der „Org<strong>an</strong>isation der Produktion“ bezeichnet werden k<strong>an</strong>n, gehört<br />
zum Aufgabenbereich der (direkten) Personalführung. Das Problem der Sozialintegration,<br />
das auch als Problem der „Produktion der Org<strong>an</strong>isation“ bezeichnet werden<br />
k<strong>an</strong>n, bildet die Kernaufgabe von Personalabteilungen, deren Bewältigung in der „Regularisierung“<br />
von (Personal-)Praktiken besteht. Konflikte zwischen den Trägern des<br />
Personalwesens entstehen d<strong>an</strong>n, wenn Mech<strong>an</strong>ismen der Sozialintegration und Mech<strong>an</strong>ismen<br />
der Systemintegration zuein<strong>an</strong>der in Konflikt geraten. Dabei bemißt sich die<br />
Macht der Personalabteilung d<strong>an</strong>ach, wie es ihr gelingt, materielle und autoritative Ressourcen<br />
auf sich zu konzentrieren, was nur durch einen Steuerungsverzicht <strong>an</strong>derer<br />
Träger sowie des Personals selbst möglich ist. In diesem Kontext läßt sich eine „Krise
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 239<br />
der Personalabteilung“ als das Ausein<strong>an</strong>derklaffen von Sozialintegration und Systemintegration<br />
fassen und weiter untersuchen. Die vielfach erhobenen Forderungen nach der<br />
Stärkung von Personalabteilungen stellt dabei nur eine mögliche Lösung dar, ebenso<br />
gute Gründe lassen sich für das personalwirtschaftliche Leitbild einer vollständigen<br />
Reintegration von Personalaufgaben in den Bereich der direkten Vorgesetzten <strong>an</strong>führen.<br />
Dieser erste Entwurf einer institutionellen Theorie des Personalwesens bedarf weiterer<br />
Ausarbeitungen und Verfeinerungen. Dies gilt zum einen hinsichtlich der konstitutionstheoretischen<br />
Basis, zum <strong>an</strong>deren wären die realen Konstitutionsbedingungen für<br />
Sozialintegration und Systemintegration und die Widersprüche zwischen beiden näher<br />
zu untersuchen.<br />
Eine ernstes Problem zeichnet sich für die Personalwirtschaftslehre ab: Falls sie ihre<br />
„institutionelle Präsenz“ im Unternehmen in Form ausgebauter und hierarchisch hoch<br />
<strong>an</strong>gesiedelter Personalabteilungen verlieren sollte, muß sie sich in vielen Bereichen neu<br />
orientieren, was nicht ohne Konsequenzen für ihr Grundverständnis von Org<strong>an</strong>isationen<br />
und Personal bleiben dürfte und darüber hinaus auch Fragen nach der Ausbildung künftiger<br />
Personalm<strong>an</strong>agerInnen aufwirft.<br />
Andreas Ostm<strong>an</strong>n<br />
Personelle Implikationen des M<strong>an</strong>agement-Holding Konzepts: Strategische,<br />
org<strong>an</strong>isatorische und rechtliche Einflußgrößen auf das Personalm<strong>an</strong>agement<br />
im Rahmen der Konzernführung *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Helmut Wagner, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes.<br />
Org<strong>an</strong>isationstheorie und Personalm<strong>an</strong>agement, Westfälische Wilhelms-<br />
Universität Münster<br />
Das Ziel vieler Reorg<strong>an</strong>isationsprozesse innerhalb bestehender Konzernstrukturen<br />
ist die Umsetzung des M<strong>an</strong>agement-Holding Konzepts. Die führungsorg<strong>an</strong>isatorische<br />
Konzeption der Holdingstruktur ist durch die Spitzeneinheit des Konzerns, eben die<br />
M<strong>an</strong>agement-Holding gekennzeichnet, welche lediglich konzernstrategische Aufgaben<br />
wahrnimmt. Unterhalb dieser Spitzeneinheit agieren rechtlich selbständige Konzernunternehmen<br />
verhältnismäßig autonom, d.h., sie sind für ihr wirtschaftliches H<strong>an</strong>deln innerhalb<br />
abgegrenzter Produkt/Marktkombinationen voll ver<strong>an</strong>twortlich. Die mit dieser<br />
Konzeption verbundenen Konsequenzen lassen auch die personellen Funktionen innerhalb<br />
des Konzerns nicht unberührt.<br />
Als wesentliche Einflußfaktoren auf das Personalm<strong>an</strong>agement in Holdingstrukturen<br />
lassen sich rechtliche Bestimmungen identifizieren, die dem unternehmerischen<br />
*<br />
Bergisch Gladbach; Köln: Eul 1994
240 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
H<strong>an</strong>deln und der Verfügbarkeit des "Produktionsfaktors" Mensch Grenzen setzen. Darüber<br />
hinaus ist zu klären, ob die Holdingstrukturen besondere Personalführungs-, Motivations-<br />
und Kommunikationsbeziehungen erfordern. Damit ist nach den personellen<br />
Maßnahmen zu fragen, die dafür sorgen, daß der Faktor Personal in Holdingstrukturen<br />
hinsichtlich der Konzernzielsetzung bestmöglich erschlossen und eingesetzt werden<br />
k<strong>an</strong>n.<br />
Daraus ergeben sich die zentralen Fragestellungen der Arbeit:<br />
- Welche Auswirkungen hat die führungsorg<strong>an</strong>isatorische Konzeption der M<strong>an</strong>agement-Holding<br />
auf den Personalbereich?<br />
- Welche Unterstützungsmöglichkeiten k<strong>an</strong>n das Personalm<strong>an</strong>agement der Führungsfunktion<br />
in Holdingstrukturen bieten?<br />
- Zeichnet sich das Personalm<strong>an</strong>agement in Holdingstrukturen durch Besonderheiten<br />
aus?<br />
- Sind <strong>an</strong> das Personalm<strong>an</strong>agement in Holdingstrukturen besondere Anforderungen<br />
zu stellen?<br />
Zum einen erscheint die Be<strong>an</strong>twortung dieser Fragestellungen mit Blick auf die<br />
zunehmende Konzentration der Wirtschaft interess<strong>an</strong>t, insbesondere wegen der Reorg<strong>an</strong>isation<br />
vieler Konzerne hin zur Holdingstruktur. Zum <strong>an</strong>deren findet bei Fragestellungen<br />
zum Personalm<strong>an</strong>agement der institutionelle Rahmen häufig keine Berücksichtigung.<br />
Jedoch muß auch das Personalm<strong>an</strong>agement unter Konzerngesichtspunkten gestaltet<br />
werden. Während Rechnungslegung, Fin<strong>an</strong>zierung, Besteuerung und Org<strong>an</strong>isation<br />
konzernspezifische Besonderheiten bereits eingehend berücksichtigt haben, blieb das<br />
Personalm<strong>an</strong>agement bisher weitgehend vom Konzernsachverhalt unberührt. Deshalb<br />
ist es das Ziel der Arbeit, diese Lücke - zumindest teilweise - zu schließen.<br />
Auf der Grundlage eines sachlich-<strong>an</strong>alytischen Literaturstudiums werden Besonderheiten<br />
und Gestaltungsempfehlungen für ein konzernspezifisches Konzernpersonalm<strong>an</strong>agement<br />
erarbeitet. Relev<strong>an</strong>te empirische Befunde fließen im Zuge einer Sekundärauswertung<br />
mit ein. Insgesamt verfolgt die Arbeit weniger ein theoretisches als ein<br />
pragmatisches Wissenschaftsziel.<br />
Im Anschluß <strong>an</strong> das einleitende Kapitel werden im Kapitel 2 die strategischen und<br />
org<strong>an</strong>isatorischen Besonderheiten der Holdingkonzeption sowie deren Auswirkungen<br />
auf das Personalm<strong>an</strong>agement diskutiert. Der durch das Konzept der M<strong>an</strong>agement-<br />
Holding geschaffene Rahmen, dessen hervorstechendes Merkmal die Trennung von<br />
Strategie und Operation ist, soll durch das Personalm<strong>an</strong>agement sowohl ausgefüllt als<br />
auch weiterentwickelt werden. Dies wird insbesondere aus der Unterscheidung von<br />
strategischem Personalm<strong>an</strong>agement und Personalstrategie deutlich. Sowohl das strategische<br />
Personalm<strong>an</strong>agement als auch die Personalstrategien lassen sich auf verschiedenen<br />
Strategieebenen identifizieren. Aus diesen Strategieebenen ergeben sich wiederum bestimmte<br />
Aufgabenstellungen für die ver<strong>an</strong>twortlich zeichnenden Institutionen. Aus der<br />
org<strong>an</strong>isatorischen und strategiebezogenen Trennung von Aufgabenstellungen des Personalm<strong>an</strong>agements<br />
in der Holdingstruktur, ergibt sich d<strong>an</strong>n jedoch das Erfordernis einer<br />
Integration der Aufgabenbest<strong>an</strong>dteile. Diese Integration wird unter der Richtlinien-,<br />
Anstoß-, Methodenunterstützungs- und Strategiefunktion diskutiert.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 241<br />
Über die inhaltliche Ausgestaltung der Aufgabenintegration hinaus, sind auch die<br />
org<strong>an</strong>isatorischen Gestaltungsalternativen zu berücksichtigen. Um dabei der Trennung<br />
von Strategie und Operation folgen zu können, findet die Konzentration strategischer<br />
Aufgabenstellungen in Zentralbereichen statt, während operative Aufgabenstellungen<br />
dezentral bewältigt werden.<br />
Konzernstrategien sowie die damit in Zusammenh<strong>an</strong>g stehenden org<strong>an</strong>isatorischen<br />
Voraussetzungen und Umsetzungsalternativen wirken determinierend auf das Konzernpersonalm<strong>an</strong>agement.<br />
Als weiterer Einflußbereich läßt sich darüber hinaus die Konzernverfassung<br />
identifizieren. Da sich die Holdingstruktur durch die Harmonisierung<br />
von Rechtsstruktur und Führungsstruktur auszeichnet und das Personalm<strong>an</strong>agement als<br />
Funktionsbereich stark durch rechtliche Regelungen bestimmt wird, gilt es, diesem Bereich<br />
besondere Aufmerksamkeit zu schenken.<br />
Dabei zeigen die Erörterungen zum individuellen Arbeitsrecht, daß ein Großteil<br />
der Arbeitsverhältnisse von der Konzernierung des arbeitgebenden Unternehmens unberührt<br />
bleibt. Diese Feststellung läßt sich jedoch nur bezüglich der faktischen Konzernverbindungen<br />
treffen, bei denen die abhängigen Konzerngesellschaften weitgehend<br />
autonom h<strong>an</strong>deln können. Damit bleibt die konzernpolitische H<strong>an</strong>dlungsfreiheit für solche<br />
Konzernorg<strong>an</strong>isationen gewahrt, die bewußt auf die Dezentralität ausgerichtet sind.<br />
Das Konzernpersonalm<strong>an</strong>agement wird über arbeitsrechtliche Regelungen hinaus<br />
auch von gesellschaftsrechtlichen Vorschriften bestimmt, wobei diese vorr<strong>an</strong>gig bei den<br />
personellen Verflechtungen zum Tragen kommen. Die verschiedenen Formen der personellen<br />
Verflechtungen über Mitglieder der Unternehmensorg<strong>an</strong>e sind ein bedeutendes<br />
Koordinationsinstrument in der Holdingstruktur.<br />
Während individuelles Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht personelle Fragestellungen<br />
im konzernspezifischen Zusammenh<strong>an</strong>g nicht berücksichtigen, hat der Konzernsachverhalt<br />
im kollektivarbeitsrechtlichen Bestimmungen zum Teil Berücksichtigung<br />
gefunden. Unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten wird dies mit der<br />
Etablierung eines Konzernbetriebsrats deutlich. Aber auch in bezug auf den allgemeinen<br />
Regelungsbereich des BetrVGs zeigen sich Einflüsse aus dem Konzernsachverhalt.<br />
Die konzernmäßige Zusammenfassung von Unternehmen hat ebenso Rückwirkungen<br />
auf die unternehmensbezogene Mitbestimmung. Unternehmerische Mitbestimmung<br />
kommt in den Unternehmensorg<strong>an</strong>en zur Geltung und weist damit Interdependenzen zu<br />
den gesellschaftsrechtlichen Regelungen auf. Zum einen werden personelle Verflechtungsalternativen<br />
auf Org<strong>an</strong>ebene eingeschränkt, zum <strong>an</strong>deren ergeben sich jedoch<br />
Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Mitbestimmungsebenen im Konzern.<br />
Rechtliche Determin<strong>an</strong>ten unter gleichzeitiger Berücksichtigung der konzernstrategischen,<br />
-org<strong>an</strong>isatorischen und -kulturspezifischen Gegebenheiten spielen auch für<br />
die von der M<strong>an</strong>agement-Holding betriebene Führungskräfteentwicklung eine wichtige<br />
Rolle. Unter Bewahrung einer unternehmenspolitischen Kontinuität und Stabilität ergibt<br />
sich mit der Führungskräfteentwicklung eine Möglichkeit zur Flexibilisierung und Dynamisierung<br />
der bestehenden Strukturen. Dabei bieten die Einsatzmöglichkeiten in den<br />
Konzerneinheiten gute Voraussetzungen zur Entwicklung von unternehmerischen Persönlichkeiten,<br />
die ein Erstarren der vorh<strong>an</strong>denen Konzernstrukturen verhindern können.
242 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Unterstützend auf die Führungskräfteentwicklung wirkt die Gestaltung des Anreizsystems.<br />
Diese setzt sich in seiner Gesamtheit sowohl aus immateriellen als auch materiellen<br />
Anreizen zusammen. Eine Kombination dieser Anreizkategorien k<strong>an</strong>n insbesondere<br />
für innovativ und initiativ h<strong>an</strong>delnde Führungskräfte im Venture M<strong>an</strong>agement<br />
verwirklicht werden.<br />
Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die möglicherweise zunehmende Wichtigkeit<br />
des personalgeprägten, informalen Beziehungsgefüges im Rahmen der Entwicklung<br />
von Unternehmenszusammenschlüssen. Als wichtiger Best<strong>an</strong>dteil der damit verbundenen<br />
Netzwerkstrukturen sind konzernkulturelle Gesichtspunkte zu nennen. Darauf<br />
wird in der Arbeit aber nicht eingeg<strong>an</strong>gen.<br />
Robert Schütz<br />
Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement im Kr<strong>an</strong>kenhaus<br />
Betreuer: Prof. Dr. Wolf Böhnisch, Universität Linz<br />
Problemstellung und Aufbau der Arbeit<br />
Der "Gesundheitsmarkt" hat als bisher geschützter Sektor eine eigenständige Entwicklung<br />
erlebt, erwerbswirtschaftliche Erkenntnisse schienen von geringer Relev<strong>an</strong>z,<br />
doch aktuelle Problemfelder wie Kostenexplosion im Gesundheitswesen einerseits und<br />
Personalm<strong>an</strong>gel resp. -überlastung in zentralen Gesundheitsberufen <strong>an</strong>dererseits zeigen<br />
eine Hinwendung des Kr<strong>an</strong>kenhauswesens zu betriebswirtschaftlichen Systemen und<br />
Instrumenten. Damit entsteht gerade für einen personalintensiven Sektor die Notwendigkeit,<br />
sich gezielt mit personalbezogenen Fragestellungen zu beschäftigen, die im<br />
Kr<strong>an</strong>kenhaus bis dato wenig Beachtung gefunden haben, obwohl der Personalkosten<strong>an</strong>teil<br />
bei 60 bis 70% liegt und daher eine Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Personalfragen auch<br />
eine ökonomische Facette aufweist.<br />
Aus diesem Kontext läßt sich die Zielsetzung der Arbeit ableiten, die darin besteht,<br />
den derzeitigen IST-Zust<strong>an</strong>d der Personalarbeit in Kr<strong>an</strong>kenhäusern zu erheben und zu<br />
<strong>an</strong>alysieren, um darauf aufbauend Ansatzpunkte und Maßnahmen für ihre Weiterentwicklung<br />
zu generieren.<br />
Theoretische Basis<br />
Als theoretischer Bezugsrahmen zur Analyse des IST-Zust<strong>an</strong>des und zur Erarbeitung<br />
eines SOLL-Bildes wird zum einen das Ged<strong>an</strong>kengut des Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement<br />
(HRM) her<strong>an</strong>gezogen, das in seiner historischen Entwicklung skizziert wird<br />
und dessen zentrale Aspekte diskutiert werden.<br />
Die Wurzeln des HRM liegen in den arbeits- resp. org<strong>an</strong>isationspsychologischen<br />
Theorie<strong>an</strong>sätzen hum<strong>an</strong>istischer Prägung der 50er und frühen 60er Jahre (Maslow,
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 243<br />
Drucker, Herzberg, McGregor, Argyris, Likert), die die Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung<br />
und psychologischem Wachstum in den Vordergrund rückten. Das damalige<br />
Paradigma des »self actualizing m<strong>an</strong>« und die Perspektive eines »soziotechnischen<br />
Systems« als zugrundeliegendes Org<strong>an</strong>isationsverständis bilden wesentliche Grundlagen<br />
des HRM.<br />
Der Begriff »Hum<strong>an</strong> Resources« wird auf Miles zurückgeführt, der unter dem<br />
Einfluß der gen<strong>an</strong>nten Theorie<strong>an</strong>sätze (v.a. Drucker und McGregor) drei M<strong>an</strong>agementtheorien<br />
entwickelt hat, die er mit »traditionelles Modell« (tayloristisches Ged<strong>an</strong>kengut),<br />
»Hum<strong>an</strong> Relations Modell« (Ged<strong>an</strong>kengut der Hum<strong>an</strong> Relations Bewegung) und<br />
»Hum<strong>an</strong> Resources Modell« betitelt und die sich (1) durch Annahmen über menschliche<br />
Einstellungen und Verhaltensweisen, (2) durch H<strong>an</strong>dlungsweisen des M<strong>an</strong>agement<br />
und (3) durch Erwartungen hinsichtlich der H<strong>an</strong>dlungsergebnisse unterscheiden.<br />
Empirische Untersuchungen zeigten, daß das Hum<strong>an</strong> Relations Modell in der Praxis<br />
am weitesten verbreitet ist, was Miles u.a. darauf zurückführte, daß es für Vorgesetzte<br />
komfortabler ist, die Rolle als Überwacher beizubehalten, und daß m<strong>an</strong>gels externem<br />
Druck das bisherige Vorgehen nicht überdacht wurde.<br />
Dieser letztgen<strong>an</strong>nte Aspekt führte Anf<strong>an</strong>g der 80er Jahre zur zunehmenden Verbreitung<br />
des HRM - zu den bek<strong>an</strong>ntesten Modellen zählen die amerik<strong>an</strong>ischen Ansätze<br />
der Harvard- und Michig<strong>an</strong>-Universität und die europäischen Ansätze der Stuttgarter<br />
und Züricher Universität sowie von INSEAD. Die Diskussion dieser Ansätze zielt auf<br />
die wesentlichen Grundaussagen und auf deren kritische Reflexion, um weitere Facetten<br />
eines umfassenden theoretischen Bezugsrahmens zu zeichnen.<br />
Der Versuch einer Begriffspräzisierung schließt <strong>an</strong> diese Ausführungen <strong>an</strong>, wobei<br />
in einem ersten Schritt HRM von Personalm<strong>an</strong>agement abgegrenzt wird, um in einem<br />
zweiten Schritt die Eckpfeiler des HRM <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der aktuellen Literatur festzuhalten.<br />
Dazu zählen spezifische Grund<strong>an</strong>nahmen, die insbesondere das Selbstverständnis von<br />
Personal als Potential, als wertvolle Ressource bzw. als Wettbewerbsvorteil thematisieren,<br />
und drei Orientierungslinien, die mit Strategie-, Integrations- und M<strong>an</strong>agementorientierung<br />
bezeichnet werden.<br />
Unter Strategieorientierung wird die bewußte Betonung einer Verknüpfung von<br />
Personalarbeit und Org<strong>an</strong>isationsstrategie herausgearbeitet und vom bisher empfohlenen<br />
Anpassungsverhalten (derivatives Grundverständnis) Abst<strong>an</strong>d genommen, indem<br />
die Bedeutung der Wechselwirkung von Strategie und Personalarbeit unterstrichen wird<br />
(Bedeutung der Einbindung in die Strategieformulierung; Diskussion formalsynoptischer<br />
und informal-inkrementaler Strategie<strong>an</strong>sätze). Die Integrationsorientierung<br />
des HRM steht für das Bestreben, die Einzelelemente, d.h. die verschiedenen Aufgabenfelder<br />
des HRM so aufein<strong>an</strong>der abzustimmen, daß durch die entstehende interne<br />
Konsistenz der Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und zur Stärkung<br />
der Unternehmenskultur optimiert wird. Die primäre HRM-Zuständigkeit der Linienvorgesetzten<br />
wird durch die M<strong>an</strong>agementorientierung betont, womit die Akzentverschiebung<br />
des HRM weg von den Personalspezialisten hin zu den Führungskräften <strong>an</strong>gesprochen<br />
ist.
244 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Als zweiter Bezugsrahmen wird das Kr<strong>an</strong>kenhaus als Expertenbetrieb gekennzeichnet,<br />
indem auf das org<strong>an</strong>isationstheoretische Strukturmodell von Mintzberg zurückgegriffen<br />
wird. Es werden die Besonderheiten des Org<strong>an</strong>isationstypus Profibürokratie<br />
im allgemeinen mit jenen von Kr<strong>an</strong>kenhäusern im speziellen integriert, um eine<br />
makroorg<strong>an</strong>isatorische Betrachtungsebene in die personalbezogene Diskussion einzubringen.<br />
Empirische Untersuchung<br />
Folgende Ausg<strong>an</strong>gsüberlegungen markieren den G<strong>an</strong>g der Untersuchung:<br />
(1) Erfolgreiche Kr<strong>an</strong>kenhäuser bzw. erfolgreiche Kr<strong>an</strong>kenhausabteilungen zeichnen<br />
sich nicht durch einen hohen Personalbest<strong>an</strong>d aus, sondern durch zielorientiertes<br />
Kr<strong>an</strong>kenhaus-M<strong>an</strong>agement bzw. Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement.<br />
Die derzeit verstärkt stattfindende Diskussion über die Anhebung des Personalst<strong>an</strong>des<br />
insbesondere im Pflegebereich fußt auf umstrittenen Prämissen. Ein Mehr <strong>an</strong><br />
Personal führt nicht notwendigerweise zu einem Mehr <strong>an</strong> Zufriedenheit und Leistung.<br />
Ansatzpunkte sind nicht qu<strong>an</strong>titative Aspekte wie Anzahl der Mitarbeiter pro Bett, sondern<br />
qualitative Kriterien wie effiziente Ablaufgestaltung oder Einsatz entsprechender<br />
Qualifikationen. Damit wird sich ein zielorientiertes Kr<strong>an</strong>kenhaus- und Personal-<br />
M<strong>an</strong>agement <strong>an</strong> der Ausbaustufe der Personalarbeit zeigen. Hinweise darauf bietet die<br />
Einstellung des Top-M<strong>an</strong>agement zur Personalarbeit, Maßnahmen zur Förderung der<br />
interprofessionellen Ausrichtung und vor allem die Einsatzbreite systematischer Instrumentarien.<br />
(2) Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement in einem systematischen und umfassenden Sinn<br />
existiert in den Kr<strong>an</strong>kenhäusern nicht.<br />
Bisherige Erfolge in der Personalarbeit beruhen auf Intuition und Zufall. Es dominieren<br />
Gespräche, die in vielfältigen Situationen stattfinden (Bewerbungs-, Einstellungs-,<br />
4-Augen-, Austrittsgespräche). Es fehlen aber zum einen systematische Kriterien<br />
der Gesprächsführung und -dokumentation (systematisches Mitarbeitergespräch),<br />
zum <strong>an</strong>deren werden keine <strong>an</strong>deren Instrumente eingesetzt (Funktionsdiagramm, Anforderungsprofil,<br />
Bewerbungskommissionen, Mitarbeiterbeurteilung).<br />
Ein weiterer Hinweis auf einen M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> Systematik ist die Beobachtung, daß<br />
zum einen Umweltveränderungen zu dramatischen Folgen geführt haben und zum <strong>an</strong>deren<br />
die Reaktion der Kr<strong>an</strong>kenhäuser nur sehr schwerfällig erfolgt ist (z.B. Bewältigung<br />
Pflegekräftem<strong>an</strong>gel). Ansatzpunkte wären systematische und umfassende Instrumente,<br />
die Umweltveränderungen <strong>an</strong>tizipieren lassen resp. schnelles Reagieren ermöglichen.<br />
Dazu zählen z.B. Aufgabenbereiche der Personalpl<strong>an</strong>ung (Bedarfsberechnungen, Best<strong>an</strong>dsentwicklungen)<br />
und des Personaleinsatzes (Alternativen/Ergänzungen zum Kr<strong>an</strong>kenpflegefachdienst:<br />
Stationssekretärin, Psychologe, Hol- und Bringdienst).<br />
(3) Zielorientierte Personalarbeit wird am Beitrag zur Realisierung von Org<strong>an</strong>isationsstrategien<br />
und zur Unterstützung von Strukturveränderungen gemessen.<br />
Rahmenbedingungen für org<strong>an</strong>isationalen Erfolg und Personalarbeit sind eine explizite<br />
Strategieorientierung und eine effiziente Gestaltung der Kr<strong>an</strong>kenhaus-Struktur.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 245<br />
Daher zielt die Untersuchung u.a. darauf ab, bestehende Zielorientierung und Ausgestaltung<br />
der Kr<strong>an</strong>kenhaus-Hierarchie zu eruieren.<br />
Personalarbeit im hier verst<strong>an</strong>denen Sinn erhebt keinen selbstzweckhaften Anspruch,<br />
sondern liefert einen entscheidenden Beitrag zur Zielerreichung der Kr<strong>an</strong>ken<strong>an</strong>stalt.<br />
Gerade die aktuell erlebbaren Veränderungsprozesse in Kr<strong>an</strong>kenhauseinrichtungen<br />
bedürfen einer Begleitung, die personalbezogene Systeme und Instrumente ermöglichen<br />
sollen.<br />
Die Auswahl personalbezogener Aufgabenfelder hat <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Beiträge zur Realisierung<br />
der Org<strong>an</strong>isationsstrategie und die Ausgestaltung der gewählten Aufgabenfelder<br />
strategieorientiert zu erfolgen, um dem selbstzweckhaften Charakter entgegenzuwirken.<br />
Zur Be<strong>an</strong>twortung dieser komplexen Zusammenhänge wurden zum einen Personen<br />
unterschiedlicher Professionen und Funktionen in die Daten<strong>an</strong>alyse einbezogen; das<br />
sind neben dem Top M<strong>an</strong>agement (Kollegiale Führung) auch Primarärzte, Stationsschwestern<br />
und weitere Abteilungsleiter sowie Ver<strong>an</strong>twortliche von Personalstellen.<br />
Zum <strong>an</strong>deren wurden, da die Aussagefähigkeit empirischer Forschungsarbeit von<br />
der verwendeten Methode begrenzt wird, unterschiedliche Untersuchungsmethoden<br />
eingesetzt: (1) st<strong>an</strong>dardisierter Fragebogen <strong>an</strong> 30 Kr<strong>an</strong>kenhäuser (alle konfessionellen<br />
Kr<strong>an</strong>kenhäuser Österreichs; 17% der österreichischen Bettenkapazität) und (2) Fallstudien<br />
in ausgewählten 10 Kr<strong>an</strong>kenhäusern mithilfe von teilstrukturierten Interviews, verteilten<br />
Fragebogen und Dokumenten<strong>an</strong>alyse. Zur Auswahl der Fallstudien wurden mehrere<br />
Cluster gebildet, die sich <strong>an</strong> Kontingenzfaktoren wie Art, Größe, Entwicklungsst<strong>an</strong>d<br />
und Konkurrenzsituation orientierten.<br />
Insgesamt wurden 46 Interviews geführt und 500 Fragebogen vers<strong>an</strong>dt bzw. verteilt,<br />
wobei sich die Rücklaufquote auf 79,6% beläuft.<br />
Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die Schwierigkeit bei der Reflexion der Vorüberlegungen sind das Her<strong>an</strong>ziehen<br />
plausibler Erfolgskriterien für Kr<strong>an</strong>kenhäuser. Da das bisherige Fin<strong>an</strong>zierungssystem<br />
wirtschaftliche Betriebsführung eher behindert als gefördert hat (reine Abg<strong>an</strong>gsdeckung),<br />
sind Wirtschaftlichkeitskennzahlen problematisch. Da es sich aber um konfessionelle<br />
Kr<strong>an</strong>kenhäuser h<strong>an</strong>delt und diese einen gewissen Prozentsatz <strong>an</strong> Eigenmittel<br />
beizusteuern haben, werden derartige Kennzahlen her<strong>an</strong>gezogen: Betriebsabg<strong>an</strong>g in<br />
Prozent der Budgetsumme; aktuelle Veränderungsraten bei Einführung der<br />
leistungsorientierten Fin<strong>an</strong>zierung; Personalfaktor.<br />
Als Indikatoren für den Ausprägungsgrad der Personalarbeit wurden folgende her<strong>an</strong>gezogen:<br />
St<strong>an</strong>d der Leitbilddiskussion; Vorh<strong>an</strong>densein strategischer Überlegungen;<br />
Leitungsstrukturen; Einsatz hoher Qualifikationen (z.B. Akademiker); Ausmaß personalbezogener<br />
Aktivitäten.<br />
Es fällt auf, daß bis dato v.a. ein positiver Zusammenh<strong>an</strong>g von wirtschaftlichem<br />
Erfolg mit der Ausgestaltung der Leitungsstruktur der Kr<strong>an</strong>kenhäuser besteht (eine einzige<br />
Ausnahme, die durch den Einsatz hoher Qualifikationen besticht). Sei es die Instal-
246 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
lierung einer Geschäftsführung (monokratische Kr<strong>an</strong>kenhaus-Leitung) oder eine gezielte<br />
Integration des ärztlichen Leiters in die Kr<strong>an</strong>kenhaus-Leitung - die Wirtschaftlichkeit<br />
des Kr<strong>an</strong>kenhauses wird dadurch gefördert. Daher wird m<strong>an</strong> in Zukunft, so die Prognose,<br />
nicht umhin kommen, die Leitungsstrukturen in den Kr<strong>an</strong>kenhäusern weiter zu verändern<br />
(professionelle Geschäftsführung), Führungspositionen durch weltliche Mitarbeiter<br />
zu besetzen und hohe Qualifikationen einzusetzen.<br />
Weiters ist festzustellen, daß die einzelnen Aufgabenfelder des HRM bisher noch<br />
kaum wahrgenommen werden. Nur in einigen wenigen Kr<strong>an</strong>kenhäusern, die auch sehr<br />
gute bis gute Wirtschaftlichkeitswerte erzielt haben, sind solche erkennbar (installierte<br />
und professionell besetzte Personalleitung; Intensivierung der Bildungsarbeit; Führungskräfteentwicklung;<br />
Schaffung von Bereichsleitungen in der Verwaltung). Diese<br />
Tatsache k<strong>an</strong>n auch als Bestätigung der zweiten Ausg<strong>an</strong>gsüberlegung, daß nämlich<br />
Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement in einem systematischen und umfassenden Sinn nicht<br />
existiert, betrachtet werden (wurde auch in sämtlichen Ausführungen auf der Detailebene<br />
deutlich). Eine intensivere Diskussion erfolgt zum einen im Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem<br />
Komplex »Personalführung im engeren Sinn«, der die derzeitige Rolle der Kr<strong>an</strong>kenhaus-Führungskräfte<br />
fokusiert und u.a. Ansatzpunkte skizziert, wie Führungsarbeit verbessert<br />
(z.B. Mitarbeitergespräch) und gesichert (z.B. MbO) werden k<strong>an</strong>n. Zum <strong>an</strong>deren<br />
werden Fragen der Personalpl<strong>an</strong>ung, -bereitstellung, -einführung, -entwicklung und -<br />
controlling erörtert, indem der aktuelle wissenschaftliche Diskussionsst<strong>an</strong>d dargestellt,<br />
die Ergebnisse dar<strong>an</strong> beurteilt und Empfehlungen für das Kr<strong>an</strong>kenhaus abgeleitet werden.<br />
Gezielte Aussagen werden auch zum Zust<strong>an</strong>d des strategischen M<strong>an</strong>agement getroffen,<br />
das als eines der größten Defizite der Kr<strong>an</strong>kenhausbr<strong>an</strong>che bezeichnet werden<br />
k<strong>an</strong>n (theoretischer Bezugspunkt ist in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g das Anpassungsmodell<br />
von Miles/Snow und dessen Verknüpfung mit personalstrategischen Konzepten; z.B.<br />
Wright/Snell).<br />
Bisher hatte das Thema »Personalarbeit« (bzw. Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement) in<br />
der Kr<strong>an</strong>kenhaus-Br<strong>an</strong>che nur geringe Relev<strong>an</strong>z und vermeintlich auch nur einen geringen<br />
Einfluß auf den Erfolg des einzelnen Kr<strong>an</strong>kenhauses (vermeintlich deshalb, da <strong>an</strong>dere<br />
Kr<strong>an</strong>kenhäuser bereits unter Beweis gestellt haben, daß der Erfolg deutlich verbessert<br />
werden k<strong>an</strong>n). In Zukunft würde aber eine Intensivierung personalbezogener Aktivitäten<br />
(Hum<strong>an</strong> Resource M<strong>an</strong>agement) einerseits einen Wettbewerbsvorsprung bedeuten,<br />
da vielfältige Entwicklungen eine derartige Forcierung erfordern bzw. erzwingen<br />
werden (Wertew<strong>an</strong>del, Konkurrenzdruck, Rückg<strong>an</strong>g Ordensmitglieder etc.), und <strong>an</strong>dererseits<br />
immer notweniger werdende Strukturveränderungen unterstützen.<br />
Weiterführende Fragen<br />
Die aktuelle Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem Ged<strong>an</strong>kengut des HRM zeigt, daß es<br />
sich um keinen geschlossenen Theorie<strong>an</strong>satz h<strong>an</strong>delt. Dieses Defizit verwundert nicht,<br />
wenn m<strong>an</strong> <strong>an</strong> die Theorienbildung innerhalb der Personalwirtschaftslehre als Forschungsdisziplin<br />
denkt. Das Zusammenführen unterschiedlicher Konzepte (z.B. strategische<br />
Ansätze) unter der Überschrift HRM ist aber durchaus zielführend, um den der-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 247<br />
zeitigen Diskussionsst<strong>an</strong>d und die Entwicklungstendenzen bezüglich Personalarbeit und<br />
M<strong>an</strong>agement abzubilden.<br />
Gerade die Entwicklung der Kr<strong>an</strong>kenhausbr<strong>an</strong>che erfordert ein Konzept, das dem<br />
Spezifikum Expertenbetrieb gerecht wird. Die hum<strong>an</strong>istischen Grund<strong>an</strong>nahmen auf der<br />
einen und die Stärkung der Kulturdimension auf der <strong>an</strong>deren Seite sollten das HRM dazu<br />
qualifizieren.<br />
Ein besonderer H<strong>an</strong>dlungsbedarf besteht hinsichtlich der Integration der verschiedenen<br />
Berufsgruppen, um kooperativ das Erreichen expliziter Kr<strong>an</strong>kenhaus-Ziele <strong>an</strong>zustreben.<br />
Das HRM als »Querschnittsfunktion« könnte dazu einen wesentlichen Beitrag<br />
leisten, wobei gerade die Frage der aufbauorg<strong>an</strong>isatorischen Eingliederung und konkreten<br />
Ausgestaltung der institutionalisierten Personalfunktion einen wesentlichen Stellenwert<br />
einnehmen wird.<br />
Auffallend ist die m<strong>an</strong>gelhafte Präsenz dieser Thematik in der kr<strong>an</strong>kenhausspezifischen<br />
Literatur und der M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> empirischen Arbeiten, die sich auf folgende Aspekte<br />
beziehen könnten: Ansatzpunkte für ein strategisches M<strong>an</strong>agement von Kr<strong>an</strong>kenhäusern;<br />
empirischer Nachweis des Erfolgsbeitrages von systematischem und umfassendem<br />
HRM; Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit den Leitungsstrukturen von Kr<strong>an</strong>kenhäusern.
248 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
2. Steuerung der Personalarbeit / Strategisches Personalm<strong>an</strong>agement /<br />
Personalcontrolling<br />
Fr<strong>an</strong>k Kullak<br />
Personalstrategien in Klein- und Mittelbetrieben. Eine tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretisch<br />
fundierte empirische Analyse<br />
Betreuer: Prof. Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Weber, Prof. Dr. Mark Ebers, Universität-GH Paderborn<br />
Das grundlegende Problem der Arbeit besteht in der nicht bedarfsgerechten Versorgung<br />
vieler Klein- und Mittelbetriebe mit qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften.<br />
Während in den achtziger Jahren viele Betriebe über einen M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> qualifizierten<br />
gewerblichen Arbeitskräften klagten, sind die Betriebe seit Beginn der neunziger Jahre<br />
zunehmend von einem Arbeitskräfteüberh<strong>an</strong>g betroffen. Beide Vari<strong>an</strong>ten der nicht bedarfsgerechten<br />
Arbeitskräfteversorgung gehen mit erheblichen ökonomischen Problemen<br />
einher.<br />
Die bisherigen wissenschaftlichen Ausein<strong>an</strong>dersetzungen mit diesem Problem<br />
konzentrieren sich im wesentlichen auf die Beschreibung des Ausmaßes des Arbeitskräftem<strong>an</strong>gels<br />
und den betrieblichen Reaktionen. Darüber hinaus finden sich eine Reihe<br />
von Empfehlungen für eine erfolgreichere H<strong>an</strong>dhabung des Problems. Wenig Beachtung<br />
gefunden haben die Ursachen der unterschiedlichen Betroffenheit der Betriebe und<br />
die Gründe für die Präferenz für spezifische Reaktionsmuster. Der Überh<strong>an</strong>g <strong>an</strong> qualifizierten<br />
gewerblichen Arbeitskräften in Klein- und Mittelbetrieben war bisher nicht Gegenst<strong>an</strong>d<br />
von wissenschaftlichen Forschungsbemühungen.<br />
Nachdem der Schwerpunkt älterer Forschungsbemühungen insbesondere bei der<br />
Beschreibung des Phänomens lag, konzentriert sich diese Untersuchung auf mögliche<br />
Erklärungen. Es sollte gezeigt werden, worauf die unterschiedliche Betroffenheit der<br />
Betriebe vom M<strong>an</strong>gel bzw. Überh<strong>an</strong>g <strong>an</strong> qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften zurückzuführen<br />
ist, warum sich die Betriebe gegebenenfalls mit welchen Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen<br />
gegen ungewollte Fluktuation schützen und warum sie mit welchen Maßnahmen<br />
auf den M<strong>an</strong>gel bzw. Überh<strong>an</strong>g <strong>an</strong> qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften<br />
reagieren. Um zu einer umfassenden Erklärung zu gel<strong>an</strong>gen, fällt nach Auffassung des<br />
Verfassers der personalwirtschaftlichen Forschung die Aufgabe zu, sich den möglichen<br />
betrieblichen Erklärungs<strong>an</strong>sätzen zuzuwenden und mit Hilfe theoriegestützter empirischer<br />
Forschung herauszufinden, welche betrieblichen Faktoren in welchem Ausmaß<br />
zur Erklärung des Phänomens beitragen. In dieser Untersuchung wurden die Gründe in<br />
der von den Betrieben gewählten Personalstrategie vermutet.<br />
Ein weiteres Ziel der Untersuchung best<strong>an</strong>d in der Weiterentwicklung des in der<br />
Arbeit verwendeten theoretischen Instruments, der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie. Mögliches<br />
Vertrauen zwischen den Tr<strong>an</strong>saktionspartnern sollte in die Theorie integriert wer-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 249<br />
den. Dabei st<strong>an</strong>d die Frage im Vordergrund, inwieweit Vertrauen zwischen dem Betrieb<br />
und seinen Arbeitskräften neben den in der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie diskutierten Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen<br />
geeignet ist, opportunistisches Verhalten, hier ungewollte Kündigungen<br />
durch die Arbeitskräfte, zu verhindern.<br />
Um die auf der Grundlage der her<strong>an</strong>gezogenen Theorie abgeleiteten Hypothesen<br />
zu überprüfen, wurde eine empirische Untersuchung durchgeführt. An 1150 Klein- und<br />
Mittelbetriebe ausgewählter Br<strong>an</strong>chen und Arbeitsamtsbezirke wurde ein strukturierter<br />
Fragebogen verschickt. Die Daten von 237 Klein- und Mittelbetrieben konnten in die<br />
Auswertung einbezogen werden.<br />
Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Personalstrategien für die gesamte<br />
Analyse galt es zunächst herauszufinden, welche Personalstrategien von Klein- und<br />
Mittelbetrieben gewählt werden. Basierend auf der Theorie der Arbeitsmarktsegmentation<br />
des ISF München wurden mit der Anpassungsstrategie und der Stabilisierungsstrategie<br />
zwei idealtypische Personalstrategien ermittelt. Konstituierendes Merkmal für die<br />
Anpassungsstrategie ist die zahlenmäßige Anpassung des betrieblichen Hum<strong>an</strong>kapitals<br />
<strong>an</strong> den kurzfristigen Bedarf. Bei der Stabilisierungsstrategie sind sämtliche Maßnahmen<br />
<strong>an</strong> einer l<strong>an</strong>gfristigen und kontinuierlichen Nutzung des betrieblichen Hum<strong>an</strong>kapitals<br />
orientiert.<br />
Neben der Beschreibung der von den Klein- und Mittelbetrieben gewählten Personalstrategien<br />
galt es auch zu erklären, welche Bestimmungsgründe die Wahl einer Personalstrategie<br />
beeinflussen. Zur Verfolgung dieses explikativen Ziels wurden aus der<br />
Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie und auf der Grundlage der Kritik <strong>an</strong> derselben Bestimmungsgründe<br />
der Wahl einer Personalstrategie abgeleitet und empirisch überprüft. Die<br />
größte Erklärungskraft hat der aus der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie gewonnene Bestimmungsgrund<br />
"Hum<strong>an</strong>kapitalspezifität". Je größer die Betriebsspezifität des Hum<strong>an</strong>kapitals,<br />
desto wahrscheinlicher wählen die Betriebe die Stabilisierungsstrategie.<br />
Das zentrale Problem der Untersuchung ist die nicht adäquate Versorgung von<br />
Klein- und Mittelbetrieben mit qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften. Zunächst<br />
wurde erhoben, in welchem Ausmaß die untersuchten Klein- und Mittelbetriebe von einem<br />
M<strong>an</strong>gel bzw. Überh<strong>an</strong>g <strong>an</strong> qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften betroffen<br />
waren. Anschließend galt es zu eruieren, inwieweit die von den Betrieben gewählten<br />
Personalstrategien zur Erklärung der unterschiedlichen Betroffenheit der Betriebe beitragen.<br />
Es zeigte sich, daß bei Arbeitskräfteunterdeckung auf dem externen Arbeitsmarkt<br />
die Betriebe mit der Stabilisierungsstrategie in einem geringeren Ausmaß unter<br />
Arbeitskräftem<strong>an</strong>gel litten als die Betriebe mit der Anpassungsstrategie. Bei Arbeitskräfteüberh<strong>an</strong>g<br />
auf dem externen Arbeitsmarkt ergaben sich keine Unterschiede. Unabhängig<br />
von der Situation auf dem externen Arbeitsmarkt waren die Betriebe mit der<br />
Stabilisierungsstrategie stärker von einem Überh<strong>an</strong>g <strong>an</strong> qualifizierten gewerblichen Arbeitskräften<br />
betroffen als die Betriebe mit der Anpassungsstrategie.<br />
Zur Ermittlung möglicher Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen gegen ungewollte Kündigungen<br />
durch die Arbeitskräfte wurde wiederum auf die Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie rekurriert.<br />
Die in der gen<strong>an</strong>nten Theorie vorgesehenen institutionellen Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen<br />
und materiellen Anreize wurden durch das Vertrauen zwischen dem Betrieb und
250 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
seinen Arbeitskräften ergänzt. Entgegen der Erwartungen ist die Wahrscheinlichkeit, in<br />
Betrieben mit der Stabilisierungsstrategie mindestens einen zum Schutz gegen ungewollte<br />
Fluktuation geeigneten Sicherungsmech<strong>an</strong>ismus <strong>an</strong>zutreffen, kaum höher als in<br />
Betrieben mit der Anpassungsstrategie. Bei der Überprüfung der Wirksamkeit der alternativen<br />
Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen zeigte sich, daß Vertrauen besser vor ungewollten<br />
Kündigungen seitens der Arbeitskräfte schützt als die in der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie<br />
vorgesehenen materiellen Anreize und institutionellen Sicherungsmech<strong>an</strong>ismen. Der in<br />
der Arbeit unterbreitete Vorschlag der Erweiterung der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie um<br />
den Sicherungsmech<strong>an</strong>ismus "Vertrauen" ist offensichtlich ein vielversprechender Weg<br />
zur Fortentwicklung der Theorie.<br />
Der folgende Teil der Analyse beh<strong>an</strong>delt mögliche betriebliche Reaktionen auf einen<br />
Arbeitskräftem<strong>an</strong>gel bzw. -überh<strong>an</strong>g. Die Betriebe wurden gebeten <strong>an</strong>zugeben, ob<br />
sie die aus der einschlägigen Literatur entnommenen Maßnahmen jeweils 'bevorzugt',<br />
'eher ja', 'eher nicht' oder 'nicht/nie' ergreifen (würden). Jeder dieser Antwortkategorien<br />
wurde ein Punktwert zugeordnet. Damit war es möglich, für jede der Maßnahmen das<br />
arithmetische Mittel über alle Betriebe zu errechnen und die Maßnahmen in eine R<strong>an</strong>gfolge<br />
zu bringen. Anschließend wurden die möglichen betrieblichen Reaktionen mit den<br />
Personalstrategien in Beziehung gesetzt: Wie erwartet, werden bei Arbeitskräftem<strong>an</strong>gel<br />
Maßnahmen, die das Arbeitskräftevolumen nicht beeinflussen (z.B. Qualifizierung von<br />
eigenen Arbeitskräften), von Betrieben mit der Stabilisierungsstrategie mit größerer<br />
Wahrscheinlichkeit bevorzugt als von Betrieben mit der Anpassungsstrategie. Bei den<br />
Maßnahmen, die das Arbeitskräftevolumen beeinflussen (z.B. Einstellung von Aushilfskräften),<br />
verhält es sich umgekehrt. Ein ähnlich eindeutiger Zusammenh<strong>an</strong>g konnte<br />
bei den Reaktionen auf einen Arbeitskräfteüberh<strong>an</strong>g nicht identifiziert werden.<br />
Die Arbeit schließt mit einer Reihe von Vorschlägen für weitere Forschungsbemühungen<br />
in den Bereichen Arbeitskräfteversorgung und Theorieentwicklung. Darüber<br />
hinaus werden aus den gewonnenen Erkenntnissen praxisbezogene Gestaltungshinweise<br />
für einen effizienten Einsatz und Nutzung des betrieblichen Hum<strong>an</strong>kapitals entwickelt.<br />
Peter Schlagenhaufer<br />
Service-Orientierung als Herausforderung im Rahmen eines unternehmerischen<br />
Hum<strong>an</strong>-Ressourcen-M<strong>an</strong>agements<br />
Betreuer: Prof. Dr. Rolf Wunderer, Hochschule St. Gallen<br />
Die Arbeit der zentralen Personalabteilung in den Unternehmen besitzt seit jeher<br />
Dienstleistungs-Charakter. Anfragen von Linienführungskräften, Mitarbeitern, Fachabteilungen,<br />
Sparten und Divisionen wurden - so weit möglich - bearbeitet. Die Leistungserstellung<br />
erfolgte dabei quasi kostenlos (d.h. ohne Weiterverrechnung <strong>an</strong> die Nachfrager) und
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 251<br />
weitgehend unabhängig vom Umf<strong>an</strong>g bzw. der Zeitdauer der Auftragsbearbeitung. Anfallende<br />
Kosten wurden in einem Umlage-Verfahren auf verschiedene Kostenträger umgelegt.<br />
Dieses Vorgehen bot keine Anreize für eine optimierende Ausgestaltung der verschiedenen<br />
Tätigkeiten der zentralen Personalabteilung. Ausgehend von Ansätzen des USamerik<strong>an</strong>ischen<br />
Hum<strong>an</strong> Resource Accounting wurde etwa seit Beginn der 80er Jahre auch<br />
im deutschsprachigen Raum versucht, Tätigkeiten der Personalabteilung sowie deren Wirkungen<br />
im Rahmen von Personal-Controlling-Konzepten ökonomisch zu durchdringen. Da<br />
aber das Top-M<strong>an</strong>agement im fin<strong>an</strong>zwirtschaftlichen Bereich vorwiegend in qu<strong>an</strong>titativen<br />
Größen denkt und agiert, stieß dort das meist "weiche" Controlling des Personalbereiches<br />
auf Akzept<strong>an</strong>zprobleme. Sowohl Wissenschaft und Praxis haben als Reaktion hierauf versucht<br />
eine weitgehende Qu<strong>an</strong>tifizierung und "Be-Preisung" von Leistungen der zentralen<br />
Personalabteilung durchzuführen. Damit wurde ein wesentlicher Schritt in Richtung einer<br />
unternehmerisch orientierten Personalarbeit vollzogen. Die Philosophie eines Entre- und<br />
Intrapreneuring, die seit Beginn der 90er Jahre die wissenschaftliche Diskussion im Personalwesen<br />
mitprägt, baut nämlich unmittelbar auf den Ergebnissen der theoretischen und<br />
praktischen Personal-Controlling-Konzepte auf und thematisiert darüber hinaus Aspekte einer<br />
gesteigerten betrieblichen Wertschöpfung. Im Rahmen der Dissertation wird versucht,<br />
umfassende Service-Orientierung als Aufgabe und Ch<strong>an</strong>ce einer unternehmerischen Personalarbeit<br />
darzustellen. Dabei soll die zentrale Personalabteilung quasi wie ein<br />
"Dienstleistungs- bzw. Service-Center" agieren und als eigenständige unternehmerische<br />
Einheit mit Hilfe von Marketing-Instrumenten, -Methoden und -Konzepten interne und externe<br />
Märkte bedienen. Somit k<strong>an</strong>n Gewinnerwirtschaftung und -ausweis ermöglicht werden,<br />
was den Stellenwert der Personalarbeit im Vergleich zu <strong>an</strong>deren betrieblichen Funktionalbereichen<br />
erhöht und einen tr<strong>an</strong>sparenten Beitrag zur ökonomischen Zielerreichung des<br />
Gesamtunternehmens leistet. Das Konzept einer serviceorientierten Personalarbeit beinhaltet<br />
dabei eine ausgeprägte Dienstleistungs- und Nutzenorientierung hinsichtlich zentraler<br />
Bezugsgruppen (z.B. Kollegen in der Personalabteilung, Führungskräfte im eigenen Unternehmen,<br />
Geschäftsleitung, Behörden, Kommunen). Zur Realisierung einer solchen Stakeholder-orientierten<br />
und strategisch geprägten Service-Orientierung sind zunächst org<strong>an</strong>isationsstrukturelle<br />
Voraussetzungen für die Personalarbeit zu schaffen. Dabei k<strong>an</strong>n eine<br />
Strukturierung als Profit- bzw. Quality-Profit-Center als Ausg<strong>an</strong>gspunkt für die umfassendere<br />
Philosophie des Wertschöpfungs-Center-Konzeptes dienen. Dieses Konzept ist durch<br />
eine eher effizienzorientierte Business-Dimension und eine tendenziell effektivitätsorientierte<br />
M<strong>an</strong>agement- und Service-Dimension charakterisierbar. Im Rahmen der Dissertation<br />
wird gezeigt, daß die innerhalb der Business-Dimension ermittelten Aufw<strong>an</strong>ds- und Ertragsgrößen<br />
einerseits zur Steuerung des operativen Geschäftes dienen. Andererseits können<br />
die festgestellten qu<strong>an</strong>titativen Größen innerhalb eines strategischen Controlling-<br />
Konzeptes als Kriterium für die Evaluation gewählter Service-Strategien der M<strong>an</strong>agementund<br />
Service-Dimension dienen.<br />
Im Rahmen der Arbeit wurden empirische Erhebungen durchgeführt. In Form von<br />
Expertengesprächen wurden 14 Personalleiter und ein selbständiger Personalberater explorativ<br />
zu Aspekten serviceorientierter Personalarbeit befragt. Diese qualitativen Erhebungen<br />
wurden um eine schriftliche Befragung von 120 Personalver<strong>an</strong>twortlichen aus der Schweiz
252 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
und aus Deutschl<strong>an</strong>d ergänzt. Die Rücklaufquote der Fragebogen betrug 41%, d.h., es <strong>an</strong>tworteten<br />
49 Befragte. Nachfolgend werden die zentralen Ergebnisse des theoretischen Teiles<br />
zusammengefaßt. Dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließend sollen wesentliche Resultate des empirischen<br />
Teils skizziert werden.<br />
1) Unternehmerisches Hum<strong>an</strong>-Ressourcen-M<strong>an</strong>agement ist in die personalwirtschaftliche<br />
Phase "Entre- und Intrapreneuring" einzuordnen. Es k<strong>an</strong>n zur Förderung der<br />
ökonomischen und sozialen Effizienz des Faktors "Arbeit" beitragen. Dazu müssen<br />
unternehmerische Denk- und Verhaltensmuster auf allen Hierarchiestufen ausgelöst<br />
und unterstützt werden.<br />
2) Zur Realisierung einer ökonomisch fundierten Service-Orientierung ist innovatives,<br />
risikobereites und selbstver<strong>an</strong>twortliches H<strong>an</strong>deln aller Mitarbeiter und Führungskräfte<br />
des Personalm<strong>an</strong>agements erforderlich. Die individuelle Service-<br />
Bereitschaft ist aber aufgrund des Wertew<strong>an</strong>dels in weiten Teilen der Gesellschaft<br />
schwach ausgeprägt.<br />
3) Von den diskutierten org<strong>an</strong>isationsstrukturellen Center-Konzepten scheint das Profit-Center<br />
einer kundenorientierten und ökonomisch fundierten zentralen Personalarbeit<br />
besonders zu entsprechen.<br />
4) Basierend auf Profit-Center-Strukturen k<strong>an</strong>n schrittweise das Konzept eines Wertschöpfungs-Centers<br />
"Personal" implementiert werden. Durch die ökonomische<br />
Fundierung der eher qu<strong>an</strong>titativ orientierten Business-Dimension können ressourcenintensive<br />
und gleichzeitig wenig wertschöpfende Aktionen, Programme und<br />
Projekte identifiziert sowie auf ein Mindestmaß reduziert werden. Qualitative Audit-Instrumente<br />
der M<strong>an</strong>agement- und Service-Dimension verhindern einseitige<br />
betriebswirtschaftliche Erfolgsgrößen-Analysen. Ferner ermöglicht die Anwendung<br />
des Instrumentes der Wertschöpfungs-Ketten-Analyse die Stabilisierung<br />
bzw. Etablierung wertschöpfungsoptimaler Strukturen der Personalarbeit. Die umfassende<br />
Implementierung des Wertschöpfungs-Center-Konzeptes würde aber umf<strong>an</strong>greiche<br />
Org<strong>an</strong>isationsentwicklungsprozesse erfordern. Eine Realisation, die<br />
sich auf Teilfunktionen, wie z.B. Personalentwicklung oder Personalmarketing<br />
konzentriert, wäre leichter durchzuführen.<br />
5) Die Bezugsgruppenorientierung serviceorientierter Personalarbeit differenziert<br />
zwischen internen (z.B. Geschäftsleitung, Führungskräfte, betriebliche Arbeitnehmer-<br />
bzw. Interessenvertretungen) und externen (z.B. Behörden, Kommunen, Verbände)<br />
Bezugsgruppen. Für diese Gruppen soll serviceorientierte Personalarbeit<br />
Dienstleistungen erbringen und soweit möglich bzw. sinnvoll mit Verrechnungspreisen<br />
belegen. Um eine Ressourcenbündelung auf spezifische Bezugsgruppen zu<br />
ermöglichen, k<strong>an</strong>n auf Klassifikationsinstrumente des Marketing (Marktsegmentierung,<br />
ABC-Analyse) zurückgegriffen werden.<br />
6) Zur Pl<strong>an</strong>ung, Lenkung, Steuerung und Kontrolle serviceorientierter Personalarbeit<br />
können gewählte Service-Strategien durch ein Service-Controlling fl<strong>an</strong>kiert werden.<br />
Dadurch wird es möglich die Konstrukte "Service-Qualität" und "Kundenzufriedenheit<br />
zu evaluieren.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 253<br />
Die im Rahmen der Arbeit durchgeführten empirischen Analysen zeigten, daß in<br />
fast allen befragten Unternehmen Personalarbeit im Sinne eines Dienstleistungs-<br />
M<strong>an</strong>agements interpretiert wird.<br />
7) Nach Meinung eines Großteils der Befragten sollte die Idee einer ökonomisch fundierten<br />
und serviceorientierten Personalarbeit schrittweise verwirklicht werden.<br />
Die Funktionen "Personalentwicklung" und Personalwerbung- und -gewinnung"<br />
werden als besonders geeignet zur Einrichtung von Profit- bzw. Service-Centern<br />
innerhalb der Personalarbeit gesehen.<br />
8) Rund 20% der befragten Unternehmen stehen der Konzeption einer service- und<br />
ertragsorientierten Personalarbeit mit großer Skepsis gegenüber. Die strukturellen<br />
und personellen Voraussetzungen seien für dieses Konzept in ihren Unternehmen<br />
nicht gegeben. Die deutliche Mehrheit (80%) hält das Konzept für praktikabel und<br />
führt eine ökonomisch fundierte Service-Orientierung in spezifischen Funktionen<br />
der Personalarbeit und/oder <strong>an</strong>deren betrieblichen Sparten (z.B. EDV-Leistungen,<br />
Logistik) bereits durch. Von vielen Personalleitern wird in Zeiten hohen Kostendruckes<br />
ein Absinken der Nachfrage nach "teuren" Service-Leistungen der Personalarbeit<br />
befürchtet. Ferner besteht ihrer Ansicht nach die Gefahr einer Verdrängung<br />
strategischer Denkweisen durch Kurzfristorientierung. Besonders positiv<br />
wird von den Praktikern die mögliche Entwicklung der zentralen Personalabteilung<br />
zu einer internen Beratungs- und Service-Abteilung bewertet.<br />
9) Ein weiteres zentrales Ergebnis des empirischen Teils ist die starke Bereitschaft<br />
der Befragten "Aus- und Weiterbildungsleistungen" am externen Markt <strong>an</strong>zubieten<br />
und nachzufragen. Eine potentiell hohe Nachfrage besteht auch nach "Personal-<br />
Controlling-Instrumenten" und "M<strong>an</strong>agement-Development-Leistungen".<br />
10) Wesentliche Adressaten serviceorientierter Personalarbeit sind für die meisten<br />
Praktiker die internen Kundengruppen "Geschäftsleitung" und "Führungskräfte",<br />
während bei den externen Bezugsgruppen der "Öffentlichkeit" und den "Unternehmen,<br />
mit denen bisher kein Kontakt besteht" die größte Bedeutung beigemessen<br />
wird.<br />
11) Im Rahmen eines Service-Controlling wird die kombinierte Anwendung monetärer<br />
und nichtmonetärer Kennzahlen bzw. Indikatoren als sinnvoll erachtet. Als monetäre<br />
Kennziffern werden "Aufw<strong>an</strong>d- und Ertragsgrößen", die "Rentabilität spezifischer<br />
Service-Leistungen" sowie eine "Service-Leistungs-bezogene Erfolgsrechnung"<br />
bevorzugt. Von den nicht-monetären Indikatoren wurden "Kompetenz und<br />
Glaubwürdigkeit", "Ansprechbarkeit und Erreichbarkeit" und das "Einhalten von<br />
Prozeß-St<strong>an</strong>dards" am stärksten gewichtet.<br />
Sowohl wissenschaftliche Forschung als auch betriebliche Praxis bewegen sich im<br />
Rahmen der skizzierten Themenstellung in einem Sp<strong>an</strong>nungsfeld zwischen sozialen und<br />
ökonomischen Dimensionen des unternehmerischen Hum<strong>an</strong>-Ressourcen-M<strong>an</strong>agements.<br />
Die empirischen Ergebnisse belegen, daß die <strong>an</strong> der Befragung teilnehmenden Unternehmen<br />
innovative Ansätze aus dem Bereich der personal- bzw. betriebswirtschaftlichen Forschung<br />
innner- und zwischenbetrieblich diskutieren sowie teilweise auch schon umgesetzt<br />
haben.
254 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
3. Theoretische Grundlagen<br />
Sabine Boerner<br />
Die Org<strong>an</strong>isation zwischen offener und geschlossener Gesellschaft -<br />
Athen oder Sparta? *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Diether Gebert, Technische Universität Berlin, Fachbereich<br />
Wirtschaft und M<strong>an</strong>agement, Institut für Betriebswirtschaftslehre, Fachgebiet<br />
Org<strong>an</strong>isation, Personalwesen und Führungslehre<br />
Der Sozialphilosoph Karl Popper beschreibt als konträre Idealtypen menschlichen<br />
Zusammenlebens die offene Gesellschaft einerseits und die geschlossene Gesellschaft<br />
<strong>an</strong>dererseits. Inwiefern läßt sich diese Konzeption auf den betrieblichen Kontext übertragen<br />
und für die Org<strong>an</strong>isations- und Führungstheorie nutzbar machen?<br />
Die wesentlichen Unterschiede zwischen der offenen und der geschlossenen Gesellschaft<br />
lassen sich im Hinblick auf drei Dimensionen kontrastieren: die "<strong>an</strong>thropologische"<br />
Dimension stellt die Frage nach den Freiheitsgraden des Menschen: Voluntarismus<br />
oder Determinismus? Auf der "sozialen" Dimension wird d<strong>an</strong>ach unterschieden,<br />
ob im Gemeinwesen das Individuum oder das Kollektiv als primär schützenswert gelten.<br />
Ein entscheidender Unterschied ergibt sich schließlich auf der "erkenntnistheoretischen"<br />
Dimension mit der Frage, ob menschliches Wissen prinzipiell vorläufig, da irrtumsbehaftet<br />
ist oder ob sichere, endgültige Wahrheiten <strong>an</strong>genommen werden können.<br />
Die offene Position läßt sich damit schlagwortartig charakterisieren mit Voluntarismus,<br />
Individualismus und Vorläufigkeit, während die geschlossene Gesellschaft eher durch<br />
Determinismus, Kollektivismus und Endgültigkeit gekennzeichnet ist.<br />
Auf der Grundlage dieser theoretischen Konzeption werden Org<strong>an</strong>isationen betrachtet:<br />
Gibt es offene und geschlossene Betriebe? Untersucht wird jeweils für die org<strong>an</strong>isatorischen<br />
Gestaltungsvariablen Org<strong>an</strong>isationskultur, Führung und Gruppenarbeit,<br />
wie sich eine eher offene von eine eher geschlossenen Orientierung im Sinne Poppers<br />
unterscheiden läßt. Dabei werden jeweils Merkmale offener und geschlossener Org<strong>an</strong>isationen<br />
als Konstrukte formuliert.<br />
Als Kennzeichen einer eher offenen Führung wird beispielsweise <strong>an</strong>genommen,<br />
daß der Geführte sich primär als Subjekt (und nicht als Objekt) erlebt, daß der Führende<br />
die Unterschiedlichkeit bzw. Individualität der Mitarbeiter betont und fördert (statt Einheitlichkeit<br />
zu fordern) und daß Führender und Geführter mitein<strong>an</strong>der im Dialog stehen<br />
(<strong>an</strong>stelle eines Monologes des Vorgesetzten). Für die Zusammenarbeit in Arbeitsgrup-<br />
*<br />
Berlin, Duncker & Humblot, 1994.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 255<br />
pen wird beipielsweise erörtert, in welchem Sinne eine geschlossene Arbeitsgruppe<br />
eher Willensdurchsetzung als Willensbildung betreibt, tendenziell Interessenhomogenität<br />
(<strong>an</strong>statt Interessenheterogenität) der Mitglieder praktiziert und eher als Reservat von<br />
Dogmen und Ideologien zu betrachten ist denn als Perspektivenfundus und Diskussionsforum.<br />
Zusätzlich werden detaillierte Indikatoren entwickelt, die sich in der betrieblichen<br />
Realität wiederfinden lassen und die es ermöglichen, betriebliche Phänomene in<br />
dieser Hinsicht einzuordnen.<br />
Wenn entsprechende Muster von Offenheit und Geschlossenheit in Org<strong>an</strong>isationen<br />
identifiziert werden können, stellt sich die Frage, wie bek<strong>an</strong>nte betriebliche H<strong>an</strong>dlungsstrategien<br />
vor diesem Hintergrund einzuschätzen sind. Verwendet m<strong>an</strong> die entwickelten<br />
Indikatoren für eine Diagnose, so läßt sich betriebliches H<strong>an</strong>deln in bezug auf die Popperschen<br />
Kategorien neu bewerten. Es wird gezeigt, daß das Beispiel der charismatischen<br />
Führung auf dem Kontinuum "offene versus geschlossene Führung" eine Position<br />
illustriert, die der geschlossenen Gesellschaft nahesteht. Mit dem Konzept der teilautonomen<br />
Arbeitsgruppe wird dagegen beispielsweise eine offenheitsnahe Position im<br />
Spektrum "offene" versus "geschlossene" Gruppenarbeit realisiert.<br />
Darüber hinaus läßt sich die Frage konkretisieren, welche Wechselwirkungen zwischen<br />
der org<strong>an</strong>isationalen Ebene und der gesellschaftlichen Ebene bestehen. Ist es<br />
denkbar, daß gerade in Betrieben eine Nachfrage nach Mustern der geschlossenen Gesellschaft<br />
aktualisiert wird, die aus den zunehmend spürbaren Defiziten unserer offenen<br />
Gesellschaft erwächst? Können umgekehrt "offene Betriebe" die offene Gesellschaft<br />
fördern? Vor diesem Hintergrund sind innerbetriebliche H<strong>an</strong>dlungsweisen unter einem<br />
zusätzlichen Gesichtspunkt zu bewerten.<br />
Die typologisierende Gegenüberstellung offener und geschlossener Unternehmen<br />
soll nicht im Sinne eines Entweder-Oder verst<strong>an</strong>den werden; keines der skizzierten org<strong>an</strong>isationalen<br />
Gestaltungsmuster - weder "Sparta" noch "Athen" - erfüllt den Anspruch<br />
einer Optimallösung für die betriebliche Praxis. Ebenso wie auf der gesellschaftlichen<br />
Ebene beide Optionen - sowohl die offene Gesellschaft als auch die geschlossene Gesellschaft<br />
im Sinne Poppers - mit Vor- und Nachteilen verbunden sind, besteht vermutlich<br />
auch in Betrieben ein paralleler Bedarf nach Offenheit und Geschlossenheit. So<br />
sind sowohl aus der Perspektive der Org<strong>an</strong>isation als auch aus der Sicht der Mitarbeiter<br />
gleichzeitig Vor- und Nachteile vorstellbar. Während z. B. unter der Perspektive der<br />
Förderung von Innovativität und Kreativität das Muster der offenen Gesellschaft attraktiv<br />
erscheint, gelten <strong>an</strong>dererseits geschlossenheitsnahe Praktiken wie die Förderung einer<br />
Corporate Identity als unabdingbar. So scheint das Dilemma darin zu liegen, daß jede<br />
innerbetriebliche Öffnung (z. B. Dezentralisierung, Demokratisierung, Flexibilisierung)<br />
zugleich die Vorteile innerbetrieblicher Schließung (z. B. Ordnung, Sicherheit,<br />
Konsens, Harmonie) in Frage stellt. Vor dem Hintergrund dieser dilemmatischen Struktur<br />
"Athens" und "Spartas" werden unterschiedliche Bal<strong>an</strong>ce-Strategien diskutiert, sowohl<br />
im zeitlichen Längsschnitt als auch im zeitlichen Querschnitt. In Weiterführung<br />
dieser Überlegungen wäre etwa zu fragen, wie ein solches "Dilemma-M<strong>an</strong>agement" vor<br />
dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung konkret geh<strong>an</strong>dhabt<br />
werden könnte.
256 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
4. Personalbereitstellung / Arbeitsmarkt<br />
Thomas M. Schwarb<br />
Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl *<br />
Betreuer: Prof. Dr. W. R. Müller, Prof. Dr. W. Hill, beide Institut für Betriebswirtschaft<br />
am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel<br />
Im Bereich der Personalauswahl ist eine große Zahl von Forschungen und wissenschaftlichen<br />
Publikation zu finden. Dennoch haben die Anstrengungen der Wissenschaft<br />
die praktischen Probleme der Personalauswahl nicht gelöst. In dieser Arbeit wird<br />
deshalb untersucht, wie die Personalauswahl als wissenschaftliches Programm von der<br />
„Wissenschaftsgemeinde“ konstruiert wird und wie diese Konstruktion das Problemlösungspotential<br />
beeinflußt.<br />
Für die Analyse des wissenschaftlichen Programms der Personalauswahl wurden<br />
zwei Methoden gewählt:<br />
Eine historische Analyse der Personalauswahl, welche die groben Entwicklungslinien<br />
im Zusammenh<strong>an</strong>g mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen<br />
aufzeigt. Dabei wurde vor allem Wert darauf gelegt, zu verstehen, wie es zu Entwicklungen<br />
in der Wissenschaft kam. Diese Darstellung ist nicht repräsentativ in einem statistischen<br />
Sinn, sondern berücksichtigt vor allem diejenigen wissenschaftlichen Arbeiten,<br />
welche für den weiteren Verlauf der Entwicklung maßgebend waren.<br />
Es erfolgte eine Inhalts<strong>an</strong>alyse einer repräsentativen Auswahl von 500 wissenschaftlichen<br />
Arbeiten der letzten zehn Jahre (1984-1993), welche in Zeitschriften veröffentlicht<br />
wurden. Mit dieser Untersuchung war es möglich, Themen und Grund<strong>an</strong>nahmen<br />
der Personalauswahl als wissenschaftliches Programm zu erfassen.<br />
Diese beiden Analysen erlaubten es schließlich, das gegenwärtige Wissenschaftsprogramm<br />
darzustellen und dessen Hintergrund<strong>an</strong>nahmen, Schwerpunkte und Lücken<br />
sowie auch r<strong>an</strong>dständige, alternative Theorien herauszuarbeiten. Die so gewonnenen<br />
Erkenntnisse erlaubten einerseits die kritische Reflexion dieses Wissenschaftsprogrammes.<br />
Andererseits konnte unter Berücksichtigung der aktuellen<br />
Entwicklungen in der Gesellschaft und der Unternehmungsführung ein Reformentwurf<br />
für die Personalauswahl als wissenschaftliches Programm entwickelt werden.<br />
Die Dissertation gliedert sich in drei Teile: einen ersten einführenden und theoretischen<br />
Teil, einen zweiten Teil, in dem das wissenschaftliche Programm rekonstruiert<br />
wird, und einen dritten Teil, in dem ein Reformvorschlag entwickelt wird.<br />
*<br />
Die Arbeit erscheint im <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>.
Reform der Personalauswahl<br />
als wissenschaftliches<br />
Programm<br />
Die Personalauswahl als<br />
wissenschaftliches Programm<br />
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 257<br />
Abb. 1<br />
Schematische Darstellung des Vorgehens<br />
Teil II: Rekonstruktion der Personalauswahl<br />
als wissenschaftliches Programm<br />
Teil III: Reform der Personalauswahl<br />
als wissenschaftliches Programm<br />
⎫ ⎬⎭<br />
⎫ ⎬⎭<br />
Historische Analyse der Entwicklung<br />
der Personalauswahl<br />
Inhalts<strong>an</strong>alyse der wissenschaftlichen<br />
Publikationen der letzten zehn Jahre<br />
Schwerpunkte, Lücken und<br />
Hintergrundtheorien<br />
R<strong>an</strong>dständige, alternative<br />
Konzepte<br />
Sozio-ökonomische Einflüsse<br />
Aktuelle Trends im M<strong>an</strong>agement<br />
Bei der Untersuchung des wissenschaftlichen Programms der Personalauswahl<br />
mußte immer darauf geachtet werden, daß einerseits alle Winkel erkundet und <strong>an</strong>dererseits<br />
nicht über die Grenzen des Programms hinausgeg<strong>an</strong>gen wurde. Dieses Problem<br />
wird klar, wenn m<strong>an</strong> sich die Doppeldeutigkeit des Begriffs Personalauswahl vergegenwärtigt:<br />
Personalauswahl wird einerseits als Auswahl einer Person aus einer Gruppe<br />
von Bewerbern verst<strong>an</strong>den, oft aber auch als Gesamtprozeß von der Feststellung einer<br />
Vak<strong>an</strong>z bis zur Stellenbesetzung.<br />
Mit der Erkundung des wissenschaftlichen Programms der Personalauswahl konnte<br />
so schließlich eine L<strong>an</strong>dschaft mit stattlichen Bergen und Tälern entdeckt werden,<br />
mit Tälern bestehend aus r<strong>an</strong>dständigen, aber vielversprechenden Konzepten, und einem<br />
domin<strong>an</strong>ten Gebirge, dem klassischen Konzept der Personalauswahl, <strong>an</strong> dem nur<br />
schwer gerüttelt werden k<strong>an</strong>n.<br />
Dieses klassische Konzept der Personalauswahl sieht grob wie folgt aus: Eine Stelle<br />
ist ein wohldefiniertes, festes Aufgabenbündel, aus dem die Anforderungen <strong>an</strong> den<br />
Stelleninhaber abgeleitet werden können. Die Bewerber zeichnen sich durch unterscheidbare,<br />
relativ stabile Merkmale aus. Aus der Feststellung dieser Merkmale k<strong>an</strong>n<br />
erschlossen werden, ob die Bewerber den Anforderungen genügen. Für die Stellenbesetzung<br />
ist die Qualität des Verfahrens zur Auswahl der am besten geeigneten Person<br />
aus einer Gruppe von Bewerbern das wichtigste Element. Für die Auswahlverfahren<br />
können geeignete Instrumente entwickelt werden. Das wichtigste Gütekriterium für diese<br />
ist die Validität. Diese wiederum ist von der Objektivität und Reliabilität der Instrumente<br />
abhängig.
258 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Die Geschichte der Personalauswahl belegt, wie eng die Entwicklungen der Personalauswahl<br />
mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verflochten sind. Den größten<br />
Einfluß auf die Personalauswahl hat die gesellschaftliche Akzept<strong>an</strong>z naturgegebener,<br />
individueller Unterschiede. Zu Beginn dieses Jahrhunderts glaubte m<strong>an</strong> beispielsweise<br />
den definitiven Nachweis für die unterschiedliche Durchschnittsintelligenz bei verschiedenen<br />
Rassen und Ethnien gefunden zu haben, Ende der zw<strong>an</strong>ziger Jahre wurde<br />
diese Annahme revidiert, erl<strong>an</strong>gte jedoch während der Zeit des Faschismus wiederum<br />
Gültigkeit. In den 60er-Jahren, vor allem im Gefolge der 68er-Bewegung, wurde diese<br />
These radikal abgelehnt. Die aktuellen Bestsellerpublikationen zeigen, daß derzeit die<br />
Idee der <strong>an</strong>geborenen, individuellen Unterschiede wieder akzeptiert wird. Es ist aber<br />
dennoch erstaunlich, daß die Wissenschaft diesem zyklischen W<strong>an</strong>del folgt und ihn<br />
nicht etwa dialektisch verarbeitet. Nur in einer Beziehung läßt sich in der wissenschaftlichen<br />
Entwicklung eine unabhängige Position feststellen, bei der Definition der Wissenschaftlichkeit:<br />
Ein wissenschaftlich fundiertes Personalauswahlverfahren richtet sich<br />
prioritär nach eigenen, technokratischen Kriterien. Widerstände dagegen werden entweder<br />
nicht beachtet oder - wenn es nicht zu vermeiden ist - als nachgelagertes Kriterium<br />
eingeführt. Ein typischer Ausdruck dafür ist, daß Beiträge zur Diskriminierungsproblematik<br />
in der Regel darauf aufbauen, daß mit der Berücksichtigung der Nichtdiskriminierungsnormen<br />
der einzelnen Unternehmung wie auch der gesamten Volkswirtschaft<br />
ein großer (bezifferter) Schaden zugefügt wird.<br />
Es wurde festgestellt, daß mit den klassischen Gütekriterien der Personalauswahl<br />
versucht wird, die Qualität des Ergebnisses (im Sinne der Präzision der Vorhersage) <strong>an</strong>zugeben.<br />
Es erstaunt daher nicht, daß in der klassischen Personalauswahl bei der Gestaltung<br />
des Auswahlprozesses vor allem die (mess-)technischen Aspekte berücksichtigt<br />
werden. Die Vernachlässigung der Erlebniswelt der beteiligten Personen und der sozialen<br />
Qualität des Prozesses im allgemeinen führt zu unerwünschten Folgen wie Selbstselektion<br />
und Diskriminierung, welche sich jedoch in den klassischen Gütekriterien der<br />
Personalauswahl nicht niederschlagen. Die in dieser Dissertation vorgeschlagenen neuen<br />
Kriterien für die Personalauswahl beziehen sich deshalb vor allem auf die Qualität<br />
des Prozesses. Dabei wird postuliert, daß die Qualität der Prozeßgestaltung die Qualität<br />
der Ergebnisse dieses Prozesses ebenfalls beeinflußt.<br />
Es konnte belegt werden, daß die Grund<strong>an</strong>nahmen des klassischen Konzepts nicht<br />
in das aktuelle Umfeld passen. Die Dynamik der ökonomischen Entwicklungen und die<br />
Trends in der Unternehmensführung weisen darauf hin, daß sich Stellen laufend w<strong>an</strong>deln<br />
müssen und nicht mehr als stabile Einheiten betrachtet werden dürfen. Entsprechend<br />
werden auch zunehmend Mitarbeiter gesucht, welche sich mit diesem W<strong>an</strong>del<br />
entwickeln können. In der Personalauswahl müssen folglich nicht (möglicherweise)<br />
stabile Merkmale der Bewerber, sondern deren Potential untersucht werden. Die klassische<br />
Personalauswahl mißt aber sehr statisch Mitarbeitereigenschaften, welche nicht<br />
(mehr) von Bedeutung sind, dies dafür um so genauer.<br />
Die Fokussierung der wissenschaftlichen Forschung auf die Personalauswahlinstrumente<br />
hat dazu geführt, daß die Mehrheit der Phasen der Personalauswahl, deren<br />
Zusammenhänge und Verknüpfung mit den betrieblichen Gegebenheiten praktisch un-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 259<br />
beachtet geblieben ist sowie ihre Bedeutung unterschätzt wird. Deshalb wird vorgeschlagen,<br />
die Forschungen auf alle für die Personalauswahl relev<strong>an</strong>ten Felder auszudehnen<br />
und die Definition des Begriffs Personalauswahl so zu erweitern, daß alle Aktivitäten<br />
im Hinblick auf eine Stellenbesetzung darunter verst<strong>an</strong>den werden. Damit sollte<br />
vermieden werden, daß die vielfältigen Interdependenzen vernachlässigt werden.<br />
Die Revision der Grund<strong>an</strong>nahmen verl<strong>an</strong>gt zudem einen Perspektivenwechsel in<br />
der Forschung, weg von den qu<strong>an</strong>tifizierend-objektivistischen hin zu qualitativen Verfahren.<br />
Aber auch die Personalauswahlpraxis sollte versuchen, die wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse nicht nur schematisch <strong>an</strong>zuwenden, sondern jeden Personalauswahlprozeß<br />
wie einen Forschungsprozeß gestalten.<br />
Der wesentliche Teil dieser Arbeit ist eine kritische Analyse des wissenschaftlichen<br />
Programms der Personalauswahl. Aus den Ergebnissen dieser Analyse wurde ein<br />
Reformentwurf abgeleitet. Dieser Entwurf ist zum Teil abstrakt und bedarf immer noch<br />
weiterer Konkretisierung. Dies hat verschiedene Gründe: Im wesentlichen basiert der<br />
Reformentwurf auf den Ergebnissen der kritischen Analyse und einer Einschätzung der<br />
aktuellen sozio-ökonomischen Entwicklung. Das bedeutet, daß sich diese Reform immer<br />
in Abgrenzung zum gegenwärtigen wissenschaftlichen Programm der Personalauswahl<br />
definiert und nicht wesentlich darüber hinausgehen k<strong>an</strong>n. Eine Vertiefung des<br />
Reformentwurfs wäre ausgesprochen spekulativ, denn es stehen dafür nicht genügend<br />
Grundlagen und Daten zur Verfügung. Diese Situation k<strong>an</strong>n eigentlich mit den Anfängen<br />
der wissenschaftlichen Personalauswahl, zu Beginn dieses Jahrhunderts, verglichen<br />
werden. Auch damals waren die Prinzipien nur grob gefaßt und weit von einer Operationalisierbarkeit<br />
entfernt. Der hier erarbeitete Reformentwurf darf folglich bezüglich<br />
seiner Differenziertheit und seiner Operationalisierbarkeit nicht mit dem gegenwärtigen,<br />
in etwa hundert Jahren entwickelten, wissenschaftlichen Programm verglichen werden.<br />
Der Reformentwurf gibt vielmehr einen möglichen Entwicklungspfad vor, entl<strong>an</strong>g dem<br />
sich die wissenschaftliche Personalauswahl weiterentwickeln k<strong>an</strong>n. Diese Aussagen<br />
dürfen jedoch nicht als Relativierung des hier entwickelten Reformentwurfs interpretiert<br />
werden, die darin enthaltenen Prinzipien bleiben bedeutend.<br />
Es ist zu hoffen, daß die Wissenschaft für die Neuorientierung des Programms<br />
vergleichbar viel Energie und Zeit aufwendet, wie sie in das klassische Programm investiert<br />
hat.<br />
Dorothee L. Stickel<br />
Marktsegmentierung als Personalmarketing-Strategie<br />
Betreuer: Prof. Dr. Rolf Wunderer, Hochschule St. Gallen<br />
Fragestellung der Untersuchung
260 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Den Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Arbeit bildet die Forderung nach einem neuen, in sich geschlossenen<br />
Konzept i.R. des Personalm<strong>an</strong>agements, das die Erfüllung sowohl der ökonomischen<br />
als auch sozialen Dimension des personalwirtschaftlichen Dualziels durch<br />
strategisches Personalmarketing zu optimieren vermag. Die bisherigen, lediglich partikularen<br />
Ansätze des Personalmarketing sollen überwunden und die Gewinnung sowie<br />
Erhaltung resp. Leistungsmotivation der (potentiellen) Mitarbeiter umfassend gewährleistet<br />
werden. Im Mittelpunkt der Arbeit wird daher die Marktsegmentierung als zielgruppenorientierte<br />
Strategie des Personalmarketing vorgestellt und als g<strong>an</strong>zheitliches,<br />
integriertes Konzept kritisch geprüft. In einer holistischen Sicht des Marktpartners in<br />
seiner Rolle als Arbeitnehmer ebenso wie als Konsument erfolgt darüber hinaus die<br />
Skizzierung einer möglichen Integration der Personal- und Absatzmarkt-bezogenen<br />
Segmentierung zu einem übergeordneten Marketingkonzept.<br />
Theoretische Basis<br />
Wissenschaftstheoretisch versteht sich die vorliegende Arbeit einerseits als Beitrag<br />
zur Grundlagenforschung i.S. eines Tr<strong>an</strong>sferversuchs zwischen den betriebswirtschaftlichen<br />
Disziplinen Marketing und Personalm<strong>an</strong>agement; die Überlegungen gründen sich<br />
dabei auf Kotlers Generic Concept of Marketing. Andererseits steht auch der Anwendungsbezug<br />
dieses Themenkreises klar im Vordergrund. Ausgewählte Absatzmarkt-<br />
Segmentierungskonzepte werden aufgegriffen und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit<br />
auf den Sektor Hum<strong>an</strong> Resources geprüft. Dabei beruht die Arbeit zu großen Teilen auf<br />
diversen Ansätzen der Werte- und Wertew<strong>an</strong>del-Forschung, exemplarisch auf Wertebzw.<br />
Lifestyle-Typologien nach Raffée/Wiedm<strong>an</strong>n und Demo-SCOPE. Schließlich<br />
werden verschiedene Konzepte der Portfolio-Analyse her<strong>an</strong>gezogen. Für Ansätze zu einer<br />
Integration von Personalmarkt- und Absatzmarkt-Segmentierung wird außerdem auf<br />
rollentheoretische Überlegungen zurückgegriffen.<br />
Vorgehen / Forschungs<strong>an</strong>satz<br />
Die dargestellte Thematik wird dabei zunächst <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer theoretischen Untersuchung<br />
bearbeitet. Hierbei wird primär das Segmentierungsfilter als Analyseinstrument<br />
für die Evaluierung verschiedener Segmentierungs<strong>an</strong>sätze im Personalmarketing<br />
entwickelt und <strong>an</strong>gewendet. Anschließend wird die Marktsegmentierung als Personalmarketing-Strategie<br />
durch eine umf<strong>an</strong>greiche empirische Studie in der unternehmerischen<br />
Realität erforscht. Dabei werden in einem ersten Schritt 179 Antwortbögen einer<br />
schriftlichen Kurzbefragung, in einem weiteren Schritt 96 ausführliche, st<strong>an</strong>dardisierte<br />
Interviews mit Personal(marketing)-Chefs aus Unternehmen verschiedenster Br<strong>an</strong>chen<br />
und Unternehmensgrößen in Deutschl<strong>an</strong>d und der Schweiz zugrundegelegt. Die Kernpunkte<br />
der Arbeit werden abschließend in einer zusammenführenden Betrachtung von<br />
Theorie und Unternehmenspraxis diskutiert.<br />
Ergebnisse der Untersuchung<br />
Auf der Informations- resp. Markterfassungsseite impliziert die Strategie der<br />
Marktsegmentierung das zentrale strategische Entscheidungsproblem der Wahl geeig-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 261<br />
neter Segmentierungskriterien. Auf der Aktions- oder Marktbearbeitungsseite umfaßt<br />
diese Strategie die Festlegung der zu bearbeitenden Zielgruppen sowie die segmentspezifische<br />
Gestaltung des personalpolitischen Instrumentariums. Erst die Verbindung dieser<br />
beiden Aspekte der zielgruppenorientierten Markterfassung und Marktbearbeitung<br />
begründen die Personalmarkt-Segmentierung als Strategie, welche systematisch strategische<br />
Erfolgspotentiale zu suchen und durchzusetzen vermag, bzw. l<strong>an</strong>gfristiges und<br />
<strong>an</strong>tizipatives Vorgehen im Personalmarketing demonstriert.<br />
Die Ermittlung der geeigneten Segmentierungsstrategie aus den diversen Segmentierungsvari<strong>an</strong>ten<br />
für den Personalmarkt wird durch den Segmentierungsfilter ermöglicht:<br />
Dieser greift die beiden zentralen Entscheidungsprobleme der Thematik - die<br />
Wahl der geeigneten Segmentierungskriterien (Informationsaspekt) und die Wahl der<br />
zu bearbeitenden Segmente (Aktionsaspekt) - auf und integriert diese beiden Grundaspekte<br />
zu einem umfassenden Prüfraster der Marktsegmentierung als Personalmarketing-Strategie.<br />
Die einzelnen Segmentierungs<strong>an</strong>sätze - soziodemographische, geographische, qualifikationsbezogene,<br />
Benefit-, Lifestyle- sowie mehrstufige Personalmarkt-<br />
Segmentierung - werden so einer systematischen Analyse unterzogen. Erst ein Segmentierungskonzept,<br />
das die Anforderungen der gen<strong>an</strong>nten beiden Analyseaspekte zu erfüllen<br />
vermag, bildet eine je unternehmensbezogen optimale Strategie der Personalmarkt-<br />
Segmentierung.<br />
Aus der Gegenüberstellung der verschiedenen theoretischen und empirischen Einzelergebnisse<br />
resultieren folgende Schlußfolgerungen:<br />
1. Personalmarketing ist unverzichtbar zur strategischen Sicherung des Unternehmens.<br />
Zunächst müssen Vorbehalte und Hemmnisse gegenüber dem Personalmarketing<br />
selbst ausgeräumt werden, um Aufgeschlossenheit für die Marktsegmentierung<br />
als Personalmarketing-Strategie zu ermöglichen.<br />
2. Effektives Personalmarketing erfordert eine klare Regelung der Zuständigkeiten,<br />
d.h., dem erk<strong>an</strong>nten Stellenwert ist auch org<strong>an</strong>isational Rechnung zu tragen.<br />
3. Der interne und externe Aspekt des Personalmarketings müssen den gleichen Stellenwert<br />
erhalten; die Marktsegmentierung als Personalmarketing-Strategie muß<br />
damit gleichermaßen auf den internen wie externen Personalmarkt ausgerichtet<br />
sein.<br />
4. Zur systematischen Evaluierung diverser Segmentierungsvari<strong>an</strong>ten ist auf das<br />
Segmentierungsfilter zurückzugreifen. D.h., als Argumentationsbasis für die einzelnen<br />
Personalmarkt-Segmentierungskonzepte sollte nicht situativer Pragmatismus<br />
entscheiden, sondern vielmehr eine systematische, auf das Unternehmen zugeschnittene<br />
Evaluation der Segmentierungsalternativen erfolgen.<br />
5. Generell ist die Notwendigkeit einer Ausweitung bestehender, klassischer Segmentierungs<strong>an</strong>sätze<br />
hin zu progressiven, g<strong>an</strong>zheitlichen Segmentierungskonzepten<br />
ersichtlich. Im Personalsektor muß die Kurzformel „Qualifikation plus“ zumindest<br />
durch den Segmentierungs<strong>an</strong>satz „Qualifikation und Benefits plus“ ersetzt werden.<br />
6. Die Personalmarkt-Segmentierung ist nach Maßgabe allgemeiner betriebswirtschaftlicher<br />
sowie personalbezogener Determin<strong>an</strong>ten zu gestalten. D.h., nicht jede
262 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Segmentierungsstrategie ist für die verschiedenen Unternehmen gleichermaßen<br />
plausibel und praktikabel, vielmehr sind in Abhängigkeit von den jeweiligen Unternehmenscharakteristika<br />
<strong>an</strong>gepaßte Konzepte zu entwickeln.<br />
7. Die Implementierung der Marktsegmentierung als Personalmarketing-Strategie<br />
muß nach einem Stufenpl<strong>an</strong> in einzelnen Etappen erfolgen - nicht zuletzt um die<br />
Akzept<strong>an</strong>z aller Beteiligten zu sichern.<br />
8. Die Multi-Segment-Strategie ist Ausdruck einer für den Personalsektor <strong>an</strong>gemessenen,<br />
strategisch orientierten Segmentwahl. Eine Single-Segment-Strategie k<strong>an</strong>n<br />
nur für wenige Teilfunktionen des externen Personalmarketing akzeptabel sein.<br />
Außerdem muß im internen Personalmarketing der präferenzlosen Erklärung aller<br />
Segmente zu Zielgruppen auch faktisch eine zielgruppenspezifische Bearbeitung<br />
des gesamten internen Personalmarkts folgen.<br />
9. Nur dort, wo die Ausweitung auf eine Personalmarkt-Segmentierung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von<br />
Lifestyle-Kriterien gelingt, ist eine partielle Integration von Absatz- und Personalmarkt-Segmentierung<br />
möglich. Letztere wird sich aber auch in diesem Falle v.a.<br />
auf Aspekte der integrierten Markterfassung und Kommunikationspolitik beschränken<br />
müssen.<br />
10. Es gibt Unternehmen, die sich aufgrund spezifischer Charakteristika für eine Vorreiterfunktion<br />
in der Anwendung der Personalmarkt-Segmentierung eignen.<br />
Nicht zuletzt ist die <strong>Personalforschung</strong> aufgerufen, die vorliegenden Ergebnisse<br />
aufzugreifen und zu einer weiteren Erhellung des skizzierten Sachverhaltes beizutragen.<br />
Über die vergleichende Gesamtschau dieser Arbeit hinaus wären vertiefte Untersuchungen<br />
einzelner Segmentierung<strong>an</strong>sätze in ihrer Relev<strong>an</strong>z für das<br />
Personalm<strong>an</strong>agement von Interesse, bspw. in Form von differenzierten Fallstudien,<br />
ebenso wie ergänzende systematische Untersuchungen zu Determin<strong>an</strong>ten der<br />
Personalmarkt-Segmentierung. Weiterer Forschungsbedarf besteht insbesondere im<br />
Bereich der integrierten Marktsegmentierung. Hierbei wären v.a. interdisziplinäre<br />
Forschungs<strong>an</strong>sätze für Wissenschaft und Praxis zukunftsweisend.<br />
5. Personalentwicklung / Weiterbildung<br />
M<strong>an</strong>fred Auer<br />
Personalentwicklung und betriebliche Mitbestimmung. Eine mikropolitische<br />
Analyse <br />
Betreuer: Prof. Dr. Steph<strong>an</strong> Laske, Universität Innsbruck<br />
Problemstellung und theoretische Basis<br />
<br />
dto., DeutscherUniversitäts<strong>Verlag</strong>, Wiesbaden 1994
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 263<br />
Die in empirischen Untersuchungen immer wieder bestätigte geringe Aufmerksamkeit<br />
der betrieblichen Interessenvertretung für Personalentwicklung findet ihre Entsprechung<br />
in der personalwirtschaftlichen Literatur. Dort finden sich - bis auf wenige<br />
Ausnahmen - keine ergiebigen Arbeiten zur betrieblichen Mitbestimmung im Bereich<br />
Personalentwicklung. In der Regel kommt die Personalentwicklungsliteratur, wenn sie<br />
diese Problematik überhaupt <strong>an</strong>spricht, nicht über die Erläuterung der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
der Betriebsverfassung hinaus. Insbesondere fehlt eine tiefergehende<br />
theoretische Analyse des Verhältnisses von Personalentwicklung und Mitbestimmung.<br />
Diesem Defizit wird in dieser Arbeit durch eine mikropolitische Analyse der Zusammenhänge<br />
von Personalentwicklung und betrieblicher Mitbestimmung begegnet<br />
werden. Ausgeg<strong>an</strong>gen wird dabei von einem "Politikmodell", das Org<strong>an</strong>isationen als<br />
politische Arenen begreift, in denen - innerhalb einer relativ stabilen Herrschaftsordnung<br />
- unterschiedliche Akteure Interessen verfolgen und Macht einsetzen. Vor diesem<br />
Hintergrund geht es darum, "Einfallstore" für politische Prozesse (Ungewißheitszonen),<br />
Interessen- und Machtbeziehungen sowie Machtmittel und deren potentiellen Einsatz<br />
im Verhältnis von Personalentwicklung und betrieblicher Mitbestimmung aufzuzeigen.<br />
Ergebnisse<br />
Die Rolle des Betriebsrates im betrieblichen Politikfeld Personalentwicklung muß<br />
insgesamt als eher bescheiden eingeschätzt werden. Die wichtigsten Ursachen dafür<br />
sind:<br />
Betriebsräte haben in der Regel nur ein geringes Interesse <strong>an</strong> einem starken Engagement<br />
in Fragen der Personalentwicklung, was in erster Linie <strong>an</strong> der für sie schwachen<br />
Legitimationswirkung von Personalentwicklung liegt. Das Vertretungsinteresse der Beschäftigten<br />
im Bereich Personalentwicklung ist offenbar nur wenig ausgeprägt. Allerdings<br />
ist auch der umgekehrte Zusammenh<strong>an</strong>g denkbar: Der geringe Mitbestimmungseinsatz<br />
von Betriebsräten im Bereich Personalentwicklung läßt keine Vertretungserwartungen<br />
in der Belegschaft entstehen. Erschwerend kommen stark divergierende bzw.<br />
konkurrierende Qualifizierungsinteressen unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen hinzu.<br />
In der Regel werden Betriebsräte durch das M<strong>an</strong>agement nicht aktiv in Entscheidungsprozesse<br />
im Bereich Personalentwicklung eingebunden - im Gegenteil: Das M<strong>an</strong>agement<br />
betrachtet die Personalentwicklung als ein Gestaltungsfeld, das von der institutionalisierten<br />
Mitbestimmung wenig berührt werden sollte. Teilweise werden Personalentwicklungsinstrumente<br />
(Qualitätszirkel, partizipative Weiterbildungskonzepte,<br />
usw.) von Betriebsleitungen auch als Mitbestimmungssurrogate eingesetzt, was die Unterstützung<br />
der Belegschaft - als eine wichtige Machtgrundlage des Betriebsrates -<br />
durchaus beeinträchtigen k<strong>an</strong>n.<br />
Die Gewerkschaften haben bis vor kurzem die betriebliche Personalentwicklung<br />
(sofern sie über die Lehrlingsausbildung hinausgeht) weitgehend vernachlässigt. Hier<br />
ist aber eine Trendwende im G<strong>an</strong>ge, die sich in Deutschl<strong>an</strong>d (nicht aber in Österreich)<br />
schon in tariflichen Regelungen niedergeschlagen hat. Tarifvertragliche Normen zur<br />
Qualifizierung sind für die betriebliche Mitbestimmung vor allem deshalb wichtig, weil
264 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Betriebsräte in der Regel nicht über eigenständige Personalentwicklungs-"Leitbilder"<br />
verfügen, die einen Bezugsrahmen für die Interessenvertretung in der Personalentwicklung<br />
bilden können. Allerdings haben die wenigen tariflichen Regelungen, vor allem<br />
aufgrund der geringen Akzept<strong>an</strong>z durch die Betriebsparteien, bisher nur geringe betriebspolitische<br />
Wirkungen gezeigt.<br />
Die rechtlichen Regelungen zeichnen sich durch einen stark reaktiven Grundzug<br />
aus. Dies wird schon dar<strong>an</strong> deutlich, daß die grundsätzliche Entscheidung über die Einführung<br />
von Berufsbildungsmaßnahmen mitbestimmungsfrei ist, d.h. in das alleinige<br />
Direktionsrecht des Arbeitgebers fällt. Außerdem stellt sich die betriebsverfassungsrechtliche<br />
Situation relativ unübersichtlich dar, da der Bereich Personalentwicklung<br />
durch die Betriebsverfassung nicht systematisch erfaßt wird. Daraus leiten sich rechtliche<br />
Unsicherheiten ab, die den politischen Einsatz dieser Rechtsnormen wesentlich erschweren.<br />
Die rechtlichen Regelungen des österreichischen Arbeitsverfassungsgesetzes<br />
sind dabei als einigermaßen schwächer als die des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes<br />
einzuschätzen.<br />
Betriebsräte nehmen sich selbst oft als zu wenig qualifiziert wahr, um im Bereich<br />
der Personalentwicklung effektiv mitbestimmen und mitwirken zu können. Dazu<br />
kommt die - in Relation zu Personal- bzw. Personalentwicklungsabteilungen - enorme<br />
Knappheit <strong>an</strong> zeitlichen und personellen Ressourcen. Im Zweifel werden diese knappen<br />
Kapazitäten meist für dringendere bzw. "lohnendere" Mitbestimmungsfelder eingesetzt.<br />
Die betriebliche Interessenvertretung in der Personalentwicklung leidet vielfach<br />
unter einem erheblichen Informationsdefizit, sowohl was den Personalentwicklungsbedarf<br />
als auch die aktuell praktizierte betriebliche Personalentwicklung <strong>an</strong>geht. Dies<br />
ist nicht nur auf eine m<strong>an</strong>gelnde Informationsweitergabe durch das (Personalentwicklungs-)M<strong>an</strong>agement<br />
zurückzuführen, sondern liegt auch <strong>an</strong> der fehlenden eigenständigen<br />
Informationsbeschaffung und -verarbeitung durch die Betriebsräte.<br />
Der starke Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen technisch-org<strong>an</strong>isatorischen Veränderungen<br />
und der - impliziten wie expliziten - Qualifizierung der Arbeitnehmer wird von Betriebsräten<br />
nur selten zum Mitbestimmungsthema gemacht. Aber gerade Technik und<br />
Org<strong>an</strong>isation schränken den Gestaltungsspielraum von Personalentwicklung erheblich<br />
ein, weshalb ihnen von seiten der Interessenvertretung besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen<br />
wäre.<br />
Die Mitbestimmungspolitik der Betriebsräte auf dem Gebiet der Personalentwicklung<br />
findet - nicht zuletzt aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung, gleichzeitig Betriebs-<br />
und Arbeitnehmerinteressen zu berücksichtigen - im Sp<strong>an</strong>nungsfeld von ökonomischen<br />
Postulaten und sozialen Forderungen statt. Dem Druck des M<strong>an</strong>agements, den<br />
ökonomischen "Notwendigkeiten" den Vorzug zu geben, stehen die Ansprüche der<br />
Gewerkschaften nach einer auf Egalitätsvorstellungen basierenden Interessenvertretung<br />
gegenüber.<br />
Aufgrund der perm<strong>an</strong>enten Bedeutungszunahme der Personalentwicklung für die<br />
Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sowie der Arbeitsplatzsicherheit und Karrierech<strong>an</strong>cen<br />
von Arbeitnehmern k<strong>an</strong>n die Vernachlässigung dieses mitbestimmungspolitischen<br />
Feldes durch die Betriebsräte als einigermaßen problematisch eingeschätzt wer-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 265<br />
den. Allerdings steht die betriebliche Interessenvertretung bei dem Versuch der Intensivierung<br />
der Mitbestimmung in Fragen der Personalentwicklung vor einem mehrfachen<br />
Dilemma: Die betriebliche Regelungsebene wird schon in traditionell gewerkschaftlichen<br />
Regelungsbereichen - wie Lohn- und Arbeitszeitpolitik - immer stärker gefordert.<br />
Gleichzeitig werden Betriebsräte mit neuen Mitbestimmungsfeldern - wie etwa Personalentwicklung<br />
- konfrontiert. Diese mehr "qualitativen" Mitbestimmungsfelder erfordern<br />
- aufgrund ihrer besonders schwierigen zentralen bzw. kollektiven betrieblichen<br />
Regelung - zusätzlich ein <strong>an</strong>deres Rollenverständnis von Betriebsräten. Ein solches -<br />
weniger ergebnis- dafür mehr prozeßorientiertes - Mitbestimmungsverständnis des Betriebsrates<br />
ist aber bisher erst in Ansätzen konzeptioniert und wird nur l<strong>an</strong>gfristig sowie<br />
in teilweise schwierigen politischen Prozessen mit den <strong>an</strong>deren Mitbestimmungsakteuren<br />
- Arbeitnehmer, M<strong>an</strong>agement und Gewerkschaften - realisiert werden können.<br />
Weiterführende Fragen<br />
Die vielfältigen Barrieren einer wirkungsvollen Stellvertretermitbestimmung durch<br />
den Betriebsrat im Bereich der Personalentwicklung legt die Forderung nach einer Intensivierung<br />
der direkten Mitbestimmung der Arbeitnehmer nahe: Personalentwicklung<br />
als Paradebeispiel für die Mitbestimmung am Arbeitsplatz? Vieles spricht dafür, doch<br />
es stellt sich sowohl die Frage nach der Durchsetzbarkeit einer stärkeren, rechtlich abgesicherten,<br />
direkten Mitbestimmung der Arbeitnehmer als auch nach den sich daraus<br />
ergebenden Konsequenzen für die Institution Betriebsrat: Prinzipiell erwächst dem Betriebsrat<br />
durch die Mitbestimmung am Arbeitsplatz eine konkurrierende "Mitbestimmungsinstitution",<br />
d.h., er verliert zumindest teilweise den Alleinvertretungs<strong>an</strong>spruch.<br />
Damit muß zwar keine Schwächung der betrieblichen Interessenvertretung verbunden<br />
sein - eine gewisse Bedrohung stellt dieses "Szenario" aber allemal dar. Deshalb ist<br />
nicht nur mit erheblichem Widerst<strong>an</strong>d von Arbeitgeberseite, sondern zum Teil wohl<br />
auch von Gewerkschafts- bzw. Betriebratsseite zu rechnen. Die Durchsetzungsch<strong>an</strong>cen<br />
der Intensivierung der Mitbestimmung am Arbeitsplatz sind insofern aktuell als relativ<br />
gering einzuschätzen.<br />
Michael Fiedler<br />
Dezentrale Org<strong>an</strong>isation und marktorientierte Steuerung der Personalentwicklung<br />
- Betriebliche Personalentwicklung nach der Profit-<br />
Center-Konzeption *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Helmut Wagner, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,<br />
insb. Org<strong>an</strong>isationstheorie und Personalm<strong>an</strong>agement, Universität Münster<br />
*<br />
<strong>Verlag</strong> Josef Eul, Bergisch Gladbach und Köln, 1994 (Reihe: Personal-M<strong>an</strong>agement; Bd. 3)
266 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Im Rahmen der Dissertation wird untersucht, ob und unter welchen Bedingungen<br />
die personalwirtschaftliche Funktion der Personalentwicklung als Profit-Center geführt<br />
werden k<strong>an</strong>n. Hierzu wird <strong>an</strong>alytisch-deskriptiv auf der Basis eines Idealmodells der<br />
Profit-Center-Konzeption die Aufgabenteilung zwischen dem org<strong>an</strong>isatorischen Bereich<br />
Personalentwicklung, den unternehmensinternen Abnehmern sowie unternehmensexternen<br />
Liefer<strong>an</strong>ten und Nachfragern von Personalentwicklungsleistungen diskutiert.<br />
Das Idealmodell der Profit-Center-Konzeption basiert auf dem Ged<strong>an</strong>ken, das betriebliche<br />
System der Personalentwicklung wettbewerblich zu gestalten. In diesem Fall<br />
k<strong>an</strong>n das Profit-Center Personalentwicklung seine Leistungen auch <strong>an</strong> unternehmensexterne<br />
Nachfrager abgeben und auch unternehmensintern im Wettbewerb mit unternehmensexternen<br />
Anbietern von Personalentwicklungsleistungen. Den mit einer solchen<br />
Umsetzung verbundenen positiven Konsequenzen, wie z. B. einer effizienten Faktorallokation<br />
oder durch den Wettbewerbsdruck erzeugten Prozeß- und Produktinnovationen,<br />
stehen allerdings auch verschiedene Nachteile bzw. Gefahren gegenüber. Die wohl<br />
größte Gefahr besteht darin, daß die betriebliche Personalentwicklung eher kurzfristig<br />
orientiert ist.<br />
Da die Arbeit nicht nur zum Ziel hat, die Profit-Center-Konzeption zu beschreiben,<br />
sondern auch den Weg zu dieser, wird einer weiteren Diskussion des Themas eine Analyse<br />
verschiedener empirischer Untersuchungen vorgeschaltet. Damit soll die in größeren<br />
Unternehmen vorzufindende Ausg<strong>an</strong>gsbasis für den herauszuarbeitenden Entwicklungsprozeß,<br />
<strong>an</strong> dessen Ende ein Profit-Center Personalentwicklung steht, aufgezeigt<br />
werden.<br />
Die Analyse verschiedener empirischer Studien aus den Jahren von 1983/84 bis<br />
1992 belegt, daß Personalentwicklung in größeren Unternehmen überwiegend als Zentralbereich<br />
in der Form eines Service-Center geführt wird. Diese Steuerungskonzeption<br />
weist erhebliche Unterschiede zu einer wettbewerblichen Steuerung nach der Profit-<br />
Center-Konzeption auf.<br />
Um nun aus einem solchen Service-Center ein Profit-Center Personalentwicklung<br />
zu entwickeln, bedarf es zunächst einer Dezentralisierung von Personalentwicklungsaufgaben.<br />
Unter diesem Aspekt sind den Führungskräften der Unternehmung in vermehrtem<br />
Umf<strong>an</strong>g vertikale und horizontale Personalentwicklungsautonomie sowie eine<br />
diesbezügliche Informationsautonomie zu übertragen. Ein entsprechend gestaltetes dezentrales<br />
Modell der Personalentwicklung wird im Rahmen der Arbeit entwickelt. Dabei<br />
wird auf Gestaltungsmöglichkeiten der Personalentwicklung zum Zweck der Anpassungs-<br />
sowie der Aufstiegsqualifizierung eingeg<strong>an</strong>gen. Eine entsprechende<br />
Gestaltung der situationsspezifischen Rahmenbedingungen der Personalentwicklung<br />
k<strong>an</strong>n letztendlich ein selbstorg<strong>an</strong>isierendes System generieren.<br />
Neben einer solchen weitgehenden Dezentralisierung von Personalentwicklungsaufgaben<br />
bedarf es einer evolutionären Entwicklungsstrategie, um das Leistungs<strong>an</strong>gebot<br />
des Service-Center auf den Wettbewerb vorzubereiten, in dem es als Profit-Center<br />
stehen wird. Diese Entwicklungsstrategie wird im Rahmen der Arbeit als Diversifikationsprozeß<br />
betrachtet. Da das neu zu schaffende Produkt Personalentwicklung in der
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 267<br />
Regel in keinem sachlichen Zusammenh<strong>an</strong>g zu den bereits von der Unternehmung vertriebenen<br />
Produkten steht und nur auf dem Weg der Eigenentwicklung realisiert werden<br />
k<strong>an</strong>n, h<strong>an</strong>delt es sich um eine laterale interne Diversifikation.<br />
Das Endstadium der herausgearbeiteten evolutionären Entwicklungsstrategie ist<br />
durch ein Profit-Center Personalentwicklung in der Form eines Anbieters sowohl von<br />
Weiterbildungs- bzw. Schulungs- als auch von Beratungsleistungen gekennzeichnet.<br />
Wie bei der Diskussion von Ressourcenausstattung, Org<strong>an</strong>isation und Zielsystem eines<br />
solchermaßen gestalteten Profit-Centers allerdings deutlich wird, birgt die Realisierung<br />
dieses Leistungsspektrums verschiedene Probleme.<br />
Eine Dezentralisierung der Personalentwicklungsaufgaben und eine Veränderung<br />
der Führungskonzeption der Personalentwicklung weg von einem Service-Center hin zu<br />
einem Profit-Center haben erhebliche Auswirkungen auf die relev<strong>an</strong>ten unternehmensinternen<br />
Leistungsbeziehungen. Hier ergibt sich zunächst das Problem der Bestimmung<br />
geeigneter Tr<strong>an</strong>sferpreise. Die der Profit-Center-Konzeption adäquate Anwendung<br />
marktkonformer Preise zieht unmittelbar eine Verteuerung der unternehmensintern ausgetauschten<br />
Personalentwicklungsleistungen nach sich. Zudem können die nunmehr in<br />
dezentraler Ver<strong>an</strong>twortung stehenden Personalentwicklungsaktivitäten nur gesteuert<br />
werden, wenn die Personalentwicklungsleistungen der Führungskräfte in irgendeiner<br />
Form beurteilbar sind. Wie allerdings festgestellt werden muß, bedarf das diesbezüglich<br />
zur Verfügung stehende Instrumentarium noch einer erheblichen Verfeinerung.<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Einführung der Profit-Center-<br />
Konzeption nur für bestimmte Personalentwicklungsleistungen und nur unter bestimmten<br />
Bedingungen sinnvoll ist. Werden entsprechende Überlegungen <strong>an</strong>gestellt, so sollte<br />
sich der Entwicklungsprozeß zu einem Profit-Center Personalentwicklung <strong>an</strong> folgenden<br />
Phasen orientieren:<br />
1. Institutionalisierung einer diesen Prozeß koordinierenden Stelle,<br />
2. weitestgehende Dezentralisierung der betrieblichen Personalentwicklungsaufgaben<br />
auf die Führungskräfte,<br />
3. Durchführung einer Stärken-/Schwächen-Analyse des Leistungs<strong>an</strong>gebotes des bestehenden<br />
Service-Center Personalentwicklung,<br />
4. Pilotierung im Rahmen einer unternehmensinternen Testphase,<br />
5. Öffnung des Leistungs<strong>an</strong>gebotes des Service-Centers für unternehmensinterne<br />
Nachfrager und erst abschließend<br />
6. Öffnung des unternehmensinternen Marktes für Personalentwicklungsleistungen<br />
auch für unternehmensexterne Anbieter.<br />
Entwickelt sich das Profit-Center l<strong>an</strong>gfristig zu einem kompetenten Anbieter von<br />
Personalentwicklungsleistungen, so k<strong>an</strong>n am Ende des Entwicklungsprozesses auch ein<br />
Outsourcing des Profit-Centers im Sinne der Gründung einer eigenen Gesellschaft stehen.<br />
Grundsätzlich ist allerdings zu berücksichtigen, daß, wie im Verlauf der Arbeit zudem<br />
herausgearbeitet wird, einige Personalentwicklungsleistungen, wie z. B. die Führungskräfteentwicklung,<br />
allein schon aus unternehmensstrategischen Erwägungen heraus<br />
auch nach der Einführung der Profit-Center-Konzeption weiter von einem Service-
268 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Center <strong>an</strong>geboten werden sollten. Dies hat zur Folge, daß für bestimmte Leistungsbereiche<br />
das Profit-Center und für <strong>an</strong>dere ein zentrales Service-Center zuständig sind.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 269<br />
Burkhard Müller<br />
Vermittlung von Methodenkompetenz für kaufmännisch administrative<br />
Tätigkeiten. Kognitives Training mit heuristischen Regeln *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Wagner, Universität Potsdam<br />
Zielsetzung der Arbeit<br />
Die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern steht immer häufiger im Zentrum<br />
der personalwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Diskussionen. Ein wesentlicher<br />
Grund ist die heute immer schneller vor<strong>an</strong>schreitende Obsoleszenz des Fachwissens.<br />
Damit kommen <strong>an</strong>deren Qualifikationen, wie z.B. dem Wissen über Methoden zur systematischen<br />
Wissens<strong>an</strong>eignung oder dem Wissen über Methoden zur systematischen<br />
Lösung von Problemen, eine immer stärkere Bedeutung zu. Hierzu finden sich in der<br />
Literatur und in der betrieblichen Praxis eine Vielzahl von Ansätzen, die unter Begriffen<br />
wie “Vermittlung von Schlüsselqualifikation“, “Förderung von Methodenkompetenz“<br />
oder “PETRA - Projekt- und tr<strong>an</strong>sferorientierter Ausbildung“ bek<strong>an</strong>nt geworden<br />
sind.<br />
Zwei zentrale Unzulänglichkeiten weisen die bisherigen Forschungsergebnisse jedoch<br />
auf:<br />
Fast alle Projekte wurden im Rahmen technisch-gewerblicher Tätigkeiten entwickelt,<br />
die sich durch die Besonderheit auszeichnen, daß i.d.R. am Ende des Lösungsprozesses<br />
über eine Funktionsprüfung (z.B. Funktionsfähigkeit einer Schaltung, Paßgenauigkeit<br />
eines Werkstückes, o.ä.) eine Rückkopplung hinsichtlich der Richtigkeit der entwickelten<br />
Lösung und damit auch hinsichtlich der Pl<strong>an</strong>ungsqualität des Problemlösungsprozesses<br />
möglich ist. Genau dieses ist bei kaufmännischen Tätigkeiten sehr häufig<br />
nicht möglich, da zwischen der vermeintlichen Lösung eines Problems und der<br />
Überprüfung dieser Lösung oftmals ein erheblicher Zeitraum liegt. Die Beratung hinsichtlich<br />
einer bestimmten Lebensversicherung k<strong>an</strong>n sich unter Umständen erst nach<br />
Jahren als falsch erweisen; eine erst d<strong>an</strong>n erfolgende Rückkopplung zu dem entsprechenden<br />
Sachbearbeiter ist für dessen Lernprozeß, der sich in einem wesentlich kürzerem<br />
Zeitraum abspielt, damit nicht mehr verwertbar.<br />
Eine weitere, auch von <strong>an</strong>deren Autoren diagnostizierte Schwierigkeit ist die häufig<br />
unzureichende Konkretisierung oder Operationalisierung der betrieblichen Anforderungen<br />
im Bereich der extrafunktionalen Qualifikationen bzw. der Schlüsselqualifikationen.<br />
Hier stehen fast immer sehr detailliert aufgeführten fachlichen Qualifikationen<br />
sehr global formulierte methodische Qualifikationen gegenüber. “Das strukturierte<br />
Vorgehen“ als ein Beispiel für diese Art von Qualifikations<strong>an</strong>forderungen macht deutlich,<br />
daß diese abstrakte Formulierung, so sie nicht vor dem Hintergrund einer betriebli-<br />
*<br />
Das Buch wird im Herbst 1995 in den Hochschulschriften zum Personalwesen, B<strong>an</strong>d 21 im<br />
<strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong> erscheinen.
270 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
chen Problemstellung konkretisiert wird, als Zielvorgabe ungeeignet und damit der Erfolg<br />
des Trainingsprozesses in dieser Hinsicht zufällig ist.<br />
Hieraus ergibt sich als Zielsetzung für diese Veröffentlichung<br />
- die Erarbeitung der besonderen Bedingungen bei einer selbstregulierenden Qualifizierung<br />
für kaufmännisch-administrative Tätigkeiten,<br />
- die Entwicklung eines Instrumentariums zur Ableitung konkreter, <strong>an</strong> einem bestimmten<br />
Arbeitsplatz relev<strong>an</strong>ter methodischer Qualifikationen und<br />
- die Entwicklung eines Trainingskonzeptes zur Förderung dieser Qualifikationen.<br />
Theoretische Grundlagen<br />
Auf Grund der obigen Ausführungen ergibt sich bereits, daß die klassische berufsund<br />
wirtschaftspädagogische Literatur nur wenige Antworten auf die gestellten Fragen<br />
liefern k<strong>an</strong>n. Der Schwerpunkt der theoretischen Fundierung ist daher auch in dem Bereich<br />
der Arbeitspsychologie, speziell in der H<strong>an</strong>dlungsregulationstheorie und der Problemlösungstheorie<br />
zu sehen. Anh<strong>an</strong>d dieser beiden Forschungsrichtungen werden die<br />
Besonderheiten bei der Steuerung, d.h. der Regulation kaufmännischer Tätigkeiten abgeleitet.<br />
Dabei werden <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der H<strong>an</strong>dlungsregulationstheorie, die von einer Antizipations-,<br />
einer Realisations- und einer Rückkopplungsphase und unterschiedlichen Regulationsebenen<br />
ausgeht, die Schwierigkeiten bei der Rückkopplung, die entweder nicht objektiv,<br />
mit erheblichem Zeitverzug oder auch überhaupt nicht erfolgt, aufgezeigt.<br />
Für die Lösung von Problemen, die fast ausschließlich die intellektuelle Regulationsebene<br />
betreffen, wird zur weiteren Differenzierung auf die Arbeiten Dörners zurückgegriffen,<br />
bei denen zwischen interpolativen, synthetischen und dialektischen Problemen<br />
unterschieden wird. Hier zeigt sich, daß im Gegensatz zum gewerblichtechnischen<br />
Bereich im kaufmännisch-administrativen Bereich sehr häufig dialektische<br />
Problemstellungen vorherrschen, die sich durch eine sehr geringe Klarheit der Zielkriterien<br />
ausweisen; d.h., die Definition der Zielvorstellung ist hier ein Teil der Problemstellung.<br />
Dieser Tatbest<strong>an</strong>d, verbunden mit den Rückkopplungsschwierigkeiten, macht die<br />
Besonderheit bei der Selbstregulation von problemlösendem Denken im kaufmännischen<br />
Bereich aus.<br />
Verfahren zur Ermittlung der methodischen Elemente eines Tätigkeitsbereiches<br />
Erster wichtiger Teilschritt ist die im Rahmen der Arbeit entwickelte problembezogene<br />
Fachstruktur<strong>an</strong>alyse. Notwendig wird diese durch die unterschiedlichen Strukturierungsmöglichkeiten<br />
von Qualifizierungsinhalten. Die eine Form der Strukturierung<br />
orientiert sich <strong>an</strong> den tradierten fachlichen Strukturen der jeweiligen Disziplin. Im<br />
kaufmännischen Bereich k<strong>an</strong>n das zum Beispiel eine Unterteilung in die Bereiche<br />
Recht, BWL, Rechnungswesen, Mathematik usw. sein. Diese fachorientierte Strukturierung<br />
ermöglicht es dem Mitarbeiter, sich die jeweiligen Fachstrukturen zu erschließen,<br />
neue Inhalte einzuordnen und Lücken unter Umständen selber zu erkennen. Für das am
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 271<br />
Arbeitsplatz erforderliche Lösen von Problemen sind jedoch auch <strong>an</strong>dere Strukturen<br />
notwendig, bei denen die fachlichen Inhalte der einzelnen Teilbereiche unter einem tätigkeitsbezogenen<br />
Blickwinkel integriert und neu strukturiert werden müssen. Wichtig<br />
ist, daß beide Strukturen, die fachbezogene und die tätigkeitsbezogene, mitein<strong>an</strong>der in<br />
Beziehung gesetzt werden. Dieses erfordert<br />
- die tätigkeitsbezogene Zusammenstellung der fachlichen Inhalte,<br />
- die Differenzierung der möglichen Ausg<strong>an</strong>gssituationen und<br />
- die Zuordnung von Tr<strong>an</strong>saktionen zu diesen Ausg<strong>an</strong>gssituationen.<br />
Diese Vorgehensweise wird als problembezogene Fachstruktur<strong>an</strong>alyse bezeichnet.<br />
Tätigkeiten bei denen eindeutig einer bestimmten Ausg<strong>an</strong>gssituation eine bestimmte<br />
Tr<strong>an</strong>saktion, also ein bestimmter Lösungsalgorithmus, zugeordnet werden k<strong>an</strong>n, stellen<br />
nach der Definition Dörners keine Probleme sondern nur Aufgaben dar. Sie unterliegen<br />
auf Grund dieser klaren und eindeutigen Zuordnung latent der Gefahr der Automation<br />
und repräsentieren somit nicht die zukunftsträchtigen Arbeitsinhalte, die neue<br />
Qualifikationen erfordern. Ausg<strong>an</strong>gssituationen, bei denen verschiedene Tr<strong>an</strong>sformationsmech<strong>an</strong>ismen,<br />
unter Umständen in kombinierter Form, zum Einsatz kommen, bei<br />
denen sich durch ein strategisch sinnvolles Vorgehen <strong>an</strong> die optimale Lösung <strong>an</strong>genähert<br />
werden muß, sind die in der Zukunft relev<strong>an</strong>ten Tätigkeitsbereiche. Der zweite<br />
Schritt erfordert daher auf der Basis der Fachstruktur<strong>an</strong>alyse die Analyse des Problemlösungsablaufes.<br />
Trainingsverfahren<br />
Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde ein Trainingskonzept entwickelt, bei<br />
dem zwischen dem Erwerb der h<strong>an</strong>dlungsregulativen Grundlagen, d.h. dem methodischen<br />
Wissen und der Interiorisierung, d.h. der Verinnerlichung der Vorgehensweise,<br />
unterschieden wurde. Wichtig ist in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g, daß das Konzept auf einem<br />
der Zielgruppe <strong>an</strong>gemessenen Anteil <strong>an</strong> Selbständigkeit beim Erwerb der h<strong>an</strong>dlungsregulativen<br />
Grundlagen basiert. Damit k<strong>an</strong>n die Zielgruppe schrittweise vom Kennenlernen<br />
eines Lösungsalgorithmus <strong>an</strong> das selbständige Erarbeiten eines Algorithmus<br />
her<strong>an</strong>geführt werden.<br />
Empirische Ergebnisse<br />
Die gesamte Arbeit basiert auf einer empirischen Studie, die in einem Unternehmen<br />
der Versicherungswirtschaft durchgeführt wurde. Auch wenn eine statistisch signifik<strong>an</strong>te<br />
Absicherung auf Grund der relativ geringen Prob<strong>an</strong>denzahlen nicht durchgeführt<br />
werden konnte, wurde dennoch im Rahmen dieser Studie ein Testinstrumentarium<br />
entwickelt und vorgetestet; die Ergebnisse zeigen deutlich positive Tendenzen.<br />
Weitere, sich <strong>an</strong>schließende Forschungsaktivitäten könnten zum Beispiel diesen<br />
Aspekt aufgreifen oder die Entwicklung eines noch umfassenderen Konzeptes, das auch<br />
die Sozialkompetenz einschließt, <strong>an</strong>streben.<br />
Gi<strong>an</strong>-Carlo Sciuchetti
272 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Multikulturelle Führungskräfteentwicklung on the job *<br />
Betreuer: Prof. Dr. R. Wunderer (Referent) und Prof. Dr. M. Hilb (Korreferent),<br />
beide Hochschule St. Gallen<br />
Die vorliegende Arbeit untersucht die Frage, welche Methoden multikultureller<br />
Führungskräfteentwicklung besonders geeignet sind, der zunehmenden weltwirtschaftlichen<br />
Verflechtung Rechnung zu tragen. Sie soll einen Beitrag dazu leisten, auf dem<br />
Weg zu wissenschaftlich fundierten Entwicklungsmaßnahmen für die Zielgruppe "multikulturell<br />
tätige Führungskräfte" einen Schritt vor<strong>an</strong>zukommen. Das Schwergewicht<br />
liegt auf Methoden on the job. Als multikulturell tätig gilt im vorliegenden Kontext eine<br />
Führungskraft, welche in verschiedenen Kulturkreisen gearbeitet hat.<br />
Es wird versucht, die Übereinstimmung, in dieser Arbeit "Fit" gen<strong>an</strong>nt, zwischen<br />
den für eine multikulturell tätige Führungskraft erforderlichen Qualifikationen und den<br />
für eine multikulturelle Tätigkeit geeigneten Führungskräfteentwicklungsmethoden aufzuzeigen.<br />
Vor der Durchführung etwelcher Maßnahmen muß dabei nach Ansicht des<br />
Autors ein je nach Unternehmen und Zielgruppe (z.B. multikulturell tätige Führungskräfte)<br />
spezifisches Anforderungsprofil erarbeitet werden. Denn die Durchführung von<br />
Führungskräfteentwicklungsmaßnahmen hat sowohl für die Firma als auch für den Mitarbeiter<br />
nur d<strong>an</strong>n einen Nutzen, wenn sie zielorientiert ist. Die im Rahmen dieser Arbeit<br />
erläuterten Anforderungen <strong>an</strong> eine multikulturell tätige Führungskraft sind vor diesem<br />
Hintergrund nicht als allgemeingültig, sondern als Vari<strong>an</strong>te zu interpretieren. Dasselbe<br />
gilt für die erläuterten Methoden multikultureller Führungskräfteentwicklung on the<br />
job. Es sind dies in der vorliegenden Arbeit die multikulturelle Job Rotation, die multikulturell<br />
zusammengesetzte Projektgruppe, Coaching, Mentoring, Counseling sowie der<br />
Führungsstil.<br />
Die theoretische Grundlage bilden einerseits behavioristische und kognitive Lerntheorien,<br />
Modell- und Erfahrungslernen, Action Learning sowie Lernen durch soziale<br />
Einflüsse; <strong>an</strong>derseits wird auf der Basis von rollen- und situationstheoretischen Grundlagen<br />
argumentiert. Interess<strong>an</strong>t ist in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g z.B. die Erkenntnis, daß<br />
der Rollentheorie im Rahmen multikultureller Führungskräfteentwicklung on the job in<br />
Zukunft verstärkt Beachtung geschenkt werden sollte. Diese Forderung geht dabei über<br />
die ideale Zusammensetzung von Teams hinaus. Sie betrifft v.a. die Förderung von<br />
Führungskräften, welche die org<strong>an</strong>isatorische Ver<strong>an</strong>kerung multikultureller Führungskräfteentwicklung<br />
on the job begünstigen. Dabei kommt der Zusammensetzung des<br />
Top-M<strong>an</strong>agements eine Schlüsselrolle zu. Nebst der Rollentheorie spielt bei multikultureller<br />
Führungskräfteentwicklung on the job auch die Berücksichtigung situationstheoretischer<br />
Grundlagen eine entscheidende Rolle. Erwähnt sei in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
die multikulturell zusammengesetzte Projektgruppe, deren Erfolg oder Mißerfolg<br />
nicht nur durch die Persönlichkeitseigenschaften der einzelnen Mitglieder bestimmt<br />
*<br />
Die vorliegende Arbeit ist 1994 im IKU-<strong>Verlag</strong>, St. Gallen unter dem Titel "Learning by<br />
doing: Entwicklung von Führungskräften on the job" erschienen.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 273<br />
wird, sondern ebenso durch die Art der Gruppenstruktur, Gruppennormen, die Komplexität<br />
der Aufgabenstellung und durch externe Einflüsse auf die Gruppe.<br />
Auch Action Learning, Lernen durch soziale Einflüsse, Erfahrungs- und Modellernen<br />
stellen eine wesentliche Komponente multikultureller Führungskräfteentwicklung<br />
dar. In einem fremden Kulturkreis k<strong>an</strong>n on the job sowohl über soziale H<strong>an</strong>dlungsmuster<br />
als auch über Gewohnheiten, Bräuche etc. Wichtiges gelernt werden, was wiederum<br />
Führungskräfteentwicklung bedeutet, z.B. im Bereich der sozialen Kompetenz.<br />
Um den Aktualitätsgrad sowie den Praxisbezug des Themas zu berücksichtigen,<br />
werden die in der Literatur zahlreich vorh<strong>an</strong>denen empirischen Ergebnisse laufend mit<br />
den oben erwähnten Theorien verbunden. Aufsätze aus ausgewählten Zeitschriften liefern<br />
vielfältige Praxisbeispiele. Zusätzlich wurde eine Befragung bei fünfzehn Experten<br />
im Bereich der multikulturellen Führungskräfteentwicklung durchgeführt. Bei der<br />
Auswahl wurde schwergewichtig auf der Basis des Verzeichnisses der größten Unternehmen<br />
der Schweiz vorgeg<strong>an</strong>gen. Es wurde versucht, ein möglichst breites Spektrum<br />
von Br<strong>an</strong>chen zu erfassen. Zusätzlich wurden vier im multikulturellen M<strong>an</strong>agement<br />
führende Berater befragt. Als Datenerhebungsinstrument wurde das teilst<strong>an</strong>dardisierte<br />
Interview ausgewählt. Auf diese Weise konnte der qualitativen Ausrichtung des Themas<br />
Rechnung getragen werden. Daß die gewählte Methode mit gewissen Einschränkungen<br />
bei der Erfüllung der Gütekriterien verbunden ist, wurde bewußt in Kauf genommen.<br />
Zusätzlich wurde auch eine empirische Überprüfung verschiedenster Wirkungshypothesen<br />
vorgenommen.<br />
Diese ergab, daß die befragten Experten der Ansicht sind, daß es v.a. die Sozialkompetenz<br />
ist, welche durch multikulturelle Job Rotation und die multikulturell zusammengesetzte<br />
Projektgruppe wesentlich entwickelt werden k<strong>an</strong>n. Durch die besagten<br />
Methoden am wenigsten entwickelbar ist aus der Sicht der Praktiker der Bereich der<br />
M<strong>an</strong>agementkompetenz. Demgegenüber sind diese der Ansicht, daß die - je nach Kultur<br />
auch für Führungskräfte äußerst wichtige - Fachkompetenz durch multikulturelle Job<br />
Rotation und die multikulturell zusammengesetzte Projektgruppe stärker entwickelt<br />
werden können als in den Hypothesen <strong>an</strong>genommen.<br />
Aber nicht nur die empirische Überprüfung der Wirkungshypothesen brachte<br />
Grenzen multikultureller Führungskräfteentwicklung on the job zutage. Auf solche wird<br />
bei der Untersuchung der praktischen Relev<strong>an</strong>z bei den weiter oben definierten Führungskräfteentwicklungsmethoden<br />
hingewiesen. Im Bereich multikultureller Job Rotation<br />
liegen die Grenzen z.B. in der Belastung der betroffenen Familien, in der Persönlichkeit<br />
der Führungskraft als auch in der Verfügbarkeit freier Arbeitsplätze.<br />
Aufgrund solcher Grenzen werden in einem separaten Kapitel zum on the job-<br />
Konzept ergänzende Maßnahmen erläutert. Beispiele hiefür sind Orientierungsprogramme,<br />
Cross-Cultural-Trainings, Seminare, Pl<strong>an</strong>spiele, Workshops etc.. Aufgrund<br />
von z.B. kulturbedingten Gegebenheiten (z.B. fehlende Infrastruktur) sind allerdings<br />
auch diese Methoden wiederum mit einer Vielzahl von Restriktionen verbunden. Ebenfalls<br />
im Rahmen dieses Kapitels wurden Fragen der Selektion, Beurteilung und Entlöhnung<br />
von im Ausl<strong>an</strong>d tätigen Spitzenm<strong>an</strong>agern kurz erläutert.
274 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Angerissen, nicht aber vollständig be<strong>an</strong>twortet werden im Rahmen der vorliegenden<br />
Arbeit die Fragen nach der Reintegration sowie diejenige nach der Rolle des Lebenspartners<br />
bei einem Ausl<strong>an</strong>dengagement.<br />
Unbe<strong>an</strong>twortet bleibt die Frage nach dem Kosten-Nutzenverhältnis multikultureller<br />
Führungskräfteentwicklung on the job. Häufig wird von Praxisseite argumentiert, daß<br />
z.B. eine internationale Job Rotation sehr teuer sei. Es h<strong>an</strong>delt sich allerdings um eine<br />
ungenügende Betrachtungsweise, den Focus ausschließlich auf die unmittelbar entstehenden<br />
Kosten einer Methode zu legen. Vielmehr muß auch berücksichtigt werden, daß<br />
die Implementierung einer solchen Maßnahme Rückkoppelungen auf die Unternehmensstrategie,<br />
-struktur und -kultur zur Folge hat.<br />
Im letzten Kapitel werden die bei der Entstehung der vorliegenden Arbeit gewonnenen<br />
Erkenntnisse im Rahmen eines g<strong>an</strong>zheitlichen Konzepts multikultureller Führungskräfteentwicklung<br />
integriert.<br />
Im folgenden werden die zentralen Aussagen dieses Konzepts zusammengefaßt:<br />
1. G<strong>an</strong>zheitliche Ausrichtung des Konzepts, d.h. Integration in die Unternehmensstrategie,<br />
-struktur und -kultur.<br />
2. Ausg<strong>an</strong>gspunkt sind die in Zukunft erforderlichen Schlüsselqualifikationen für die<br />
betreffende Zielgruppe (z.B. multikulturell tätige Führungskräfte).<br />
3. Erst darauf abgestimmt erfolgt die Auswahl geeigneter Methoden und Instrumente.<br />
Nur auf diese Weise k<strong>an</strong>n bei der Führungskräfteentwicklung vom Gießk<strong>an</strong>nenprinzip<br />
Abst<strong>an</strong>d genommen werden.<br />
4. Auch Konzepte wie Coaching, Mentoring, Counseling sowie der Führungsstil sind<br />
als mögliche Entwicklungsmethoden mindestens zu prüfen. Gerade dem Führungsstil<br />
kommt - aufgrund der durch kulturbedingte Unterschiede erforderlichen Führungsstilvariation<br />
- im multikulturellen Kontext eine große Bedeutung zu.<br />
5. Das Schwergewicht soll bei der Umsetzung multikultureller Führungskräfteentwicklung<br />
auf Methoden on the job gelegt werden. Erfolgreiche ausl<strong>an</strong>derprobte<br />
Führungskräfte bestätigen, daß dozierte Einarbeitung in eine fremde Kultur nicht<br />
funktioniert. Die wahren Probleme tauchen erst vor Ort auf. Dies bedeutet nicht,<br />
daß vorgängig zum Ausl<strong>an</strong>dengagement keine Vorbereitungsmaßnahmen durchgeführt<br />
werden; diese sollten aber sehr praxisbezogen, selektiv und individualisiert<br />
sein. Auch ist es aufgrund fehlender Institutionen und qualifizierter Trainer nur<br />
sehr schwer möglich, in einer fremden Kultur den Mitarbeitern nutzenstiftende off<br />
the job-Entwicklungsmöglichkeiten <strong>an</strong>zubieten.<br />
6. Das vielleicht größte Problem überhaupt - das deswegen in einem Konzept berücksichtigt<br />
werden muß - ist der Bereich der persönlichen Kultur. Darunter fällt die zu<br />
bewältigende Entwurzelung aus dem vertrauten Beziehungsnetz, v.a. in eher wenig<br />
entwickelten Ländern, die Probleme des täglichen Lebens etc. Es ist unrealistisch,<br />
diese Probleme allein durch Methoden der Führungskräfteentwicklung lösen zu<br />
wollen. Vielmehr müssen diese Fragen bereits bei der Selektion multikulturell tätiger<br />
Führungskräfte berücksichtigt werden.<br />
7. Auch Maßnahmen zu einer erfolgreichen Reintegration multikulturell tätiger Führungskräfte<br />
sind zu berücksichtigen und deshalb ein wichtiger Teil des Konzepts.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 275<br />
Günter Selzer<br />
Vermittlung von Führungskompetenzen für Industriemeister in internationalen<br />
Konzernunternehmen -Konzeptionelle Grundlagen<br />
und Entwicklungstendenzen *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Wagner, Universität Potsdam<br />
1. Problemstellung<br />
P<strong>an</strong>ta rhei - alles fließt. Dieser Leitged<strong>an</strong>ke der altgriechischen Philosophie läßt<br />
sich auch als domin<strong>an</strong>tes Charakteristikum der Gesellschaft der neunziger Jahre kennzeichnen.<br />
Die Intensivierung des weltweiten Wettbewerbs, vielfältige technologische<br />
Innovationen sowie soziale Änderungen zeitigen besonders in der wirtschaftlichen<br />
Sphäre dieses Jahrzehntes weitreichende Auswirkungen. Der Deutsche Industrie- und<br />
H<strong>an</strong>delstag vergleicht diese Situation mit den Auswirkungen der ersten industriellen<br />
Revolution.<br />
Die wirtschaftlichen Aktivitäten vieler Unternehmen haben derzeit weltweite Dimensionen<br />
erreicht. Diese Veränderung vergrößert auf den Märkten die Zahl von Anbietern<br />
und Nachfragern und führt zur Verschärfung von Wettbewerbsumf<strong>an</strong>g und -intensität<br />
und gleichzeitig zu gestiegenen Qualitäts<strong>an</strong>sprüchen.<br />
Die Freigabe des europäischen Binnenmarktes 1993 läßt diesen Wettbewerbsdruck<br />
weiterhin <strong>an</strong>steigen. Unterstellt m<strong>an</strong> in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g die wohl realistische<br />
Annahme, daß sich die materiellen Rahmenbedingungen der Unternehmen in der Europäischen<br />
Gemeinschaft auf mittlere Sicht immer mehr <strong>an</strong>gleichen, so wird der Wettbewerb<br />
zunehmend über innovative Dienstleistungen und spezielles Know-how ausgetragen.<br />
Damit fällt qualifizierten Führungskräften eine entscheidende Bedeutung für die<br />
Bewältigung zukünftiger Herausforderungen zu.<br />
Die Vergrößerung der Anwendungsbreite von Basisinnovationen hat einen strukturellen<br />
W<strong>an</strong>del in der deutschen Industrie ausgelöst. Der Einsatz neuer Technologien<br />
führt zu erhöhten Anforderungen und steigenden Qualifikationen. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
sind besonders die fachübergreifenden sozialen Kompetenzen, die sogen<strong>an</strong>nten<br />
Schlüsselqualifikationen, hervorzuheben, die in Zukunft weiter <strong>an</strong> Bedeutung gewinnen.<br />
Neben Wettbewerb und Technologie fordern die Auswirkungen sozialer Änderungen<br />
weitere Qualifikationssteigerungen. So scheint die Verschiebung von Normen und<br />
Werten ein grenzübergreifendes Phänomen zu sein, das im Zuge verschiedener Interna-<br />
*<br />
<strong>Verlag</strong> Shaker, Aachen 1995.
276 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
tionalisierungstendenzen allmählich europäische Dimensionen <strong>an</strong>nimmt. Der gesellschaftliche<br />
Wertew<strong>an</strong>del hat bereits die Unternehmen erfaßt und beeinflußt entscheidend<br />
das Denken und Verhalten von Mitarbeitern. Dieser Zusammenh<strong>an</strong>g gilt insbesondere<br />
für Führungskräfte, als zentrale Elemente im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.<br />
Der Qualifikation dieser Mitarbeitergruppe kommt daher eine herausragende<br />
Bedeutung zu.<br />
Der skizzierte Prozeß des wirtschaftlichen, technischen und sozialen W<strong>an</strong>dels offenbart<br />
zw<strong>an</strong>gsläufig eine Diskrep<strong>an</strong>z zwischen Anforderung und Qualifikation. In diesem<br />
Sp<strong>an</strong>nungsfeld nehmen die berufliche Weiterbildung und die Mitarbeiterförderung<br />
am Arbeitsplatz in Form einer individuellen Personalentwicklung eine unverzichtbare<br />
zentrale Stellung ein und leisten zukünftig einen entscheidenden Beitrag, wirtschaftlichen,<br />
technischen und sozialen W<strong>an</strong>del erfolgreich zu bewältigen.<br />
Generell sind die Führungskräfte die Hauptadressaten der betrieblichen Weiterbildung<br />
und einer individuellen Personalentwicklung. Folglich schließt diese Aussage die<br />
Industriemeister ein, die in der betrieblichen Hierarchie seit jeher eine Schlüsselstellung<br />
einnehmen. Viele Institute und Autoren sehen diese führende Rolle der Meister auch<br />
zukünftig als gesichert <strong>an</strong>. Derzeit entwickeln sie sich zu den "M<strong>an</strong>agern vor Ort", die<br />
Zielsetzungen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen in die Praxis umsetzen.<br />
Daher hängt der Erfolg eines Unternehmens in entscheidendem Maße von diesen<br />
Führungskräften ab. Sie stehen im Sp<strong>an</strong>nungsfeld zwischen mittleren, zumeist akademisch<br />
vorgebildeten Führungskräften und ihren Mitarbeitern. Einerseits sollen sie den<br />
Anforderungen der Vorgesetzten und eines reibungslosen Produktionsablaufs Genüge<br />
leisten, <strong>an</strong>dererseits den Interessen ihrer Mitarbeiter Rechnung tragen. Gerade aus diesem<br />
Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung leitet sich das Berufsprestige und die berufliche<br />
Identität des Industriemeisters ab. Personaler Führungskompetenz dieser Mitarbeitergruppe<br />
fällt damit eine herausragende Bedeutung für die Unternehmen und<br />
mithin für Wirtschaft und Gesellschaft zu.<br />
Unternehmen mit unterschiedlicher Größe, Rechts- und Org<strong>an</strong>isationsstruktur tragen<br />
hauptsächlich das Wirtschaftsgeschehen. Näher betrachtet weisen diese - unter Beachtung<br />
vielfältiger org<strong>an</strong>isationstheoretischer Differenzierungen - ein funktionelles<br />
Grundmuster auf: Beschaffung, Produktion, Absatz und Verwaltung. Die einzelnen Bereiche<br />
haben im Laufe der Zeit in Wissenschaft und Praxis eine unterschiedliche Bedeutung<br />
erfahren. Der Einzug der Mikroelektronik, kundenorientierte Fertigung sowie logistischer<br />
Service stellen in den neunziger Jahren die Logistik in den Blickpunkt des Interesses.<br />
Die aktuelle und zukünftig noch zunehmende Diskussion der "le<strong>an</strong> production"<br />
unterstreicht diesen Sachverhalt weiterhin.<br />
Vor diesem Hintergrund bedauert die Deutsche Forschungsgemeinschaft, daß der<br />
herausragenden Bedeutung der beruflichen Qualifikation keine entsprechende wissenschaftliche<br />
Aufmerksamkeit gegenübersteht. Eine <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte Theorie beruflicher Weiterbildung<br />
gibt es derzeit nicht. Gerade im Industriemeisterbereich ist ein solches wissenschaftliches<br />
Defizit festzustellen, mit der Folge, daß die Meister auf die bereits beschriebenen<br />
Entwicklungstendenzen häufig nicht vorbereitet waren oder oftmals von<br />
ihnen überrascht wurden.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 277<br />
2. Einige Ergebnisse<br />
Theoretische Untermauerung und konzeptionelle Gestaltung der Vermittlung<br />
von Führungskompetenzen<br />
Als primäres Ergebnis wurde die <strong>an</strong>gestrebte theoretische Untermauerung des<br />
Themengebietes durch eine Verknüpfung von H<strong>an</strong>dlungs-, System- und Lerntheorie ermöglicht.<br />
Dabei deckt die interdisziplinäre systemtheoretische Sichtweise in erster Linie<br />
den Best<strong>an</strong>dsaspekt ab. Mit ihrer Hilfe wurde das Bildungssystem Deutschl<strong>an</strong>d in fünf<br />
Subsysteme und deren Elemente differenziert und zwar die Systeme der Allgemeinbildung,<br />
der Ausbildung, der Hochschulbildung, der beruflichen Weiterbildung sowie der<br />
Mitarbeiterförderung am Arbeitsplatz. Dabei st<strong>an</strong>den die beiden letztgen<strong>an</strong>nten Subsysteme<br />
im Vordergrund der Betrachtung.<br />
Mit der h<strong>an</strong>dlungstheoretischen Sicht wurde das Geschehen in den Unternehmen<br />
als Ergebnis von H<strong>an</strong>dlungen der Industriemeister und ihren Gesprächspartnern erklärt.<br />
Dabei ist festzustellen, daß sich mit Hilfe der sogen<strong>an</strong>nten exakten H<strong>an</strong>dlungstheorie<br />
allgemeine führungstheoretische Aussagen treffen lassen, deren Aussagekraft <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />
der H<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>alytik auf die praktische Anwendbarkeit überprüft worden ist. Als Ergebnis<br />
wurden einige optimale H<strong>an</strong>dlungsweisen in konkreten Entscheidungssituationen<br />
gefunden.<br />
Mit der Verknüpfung von H<strong>an</strong>dlungstheorie und Lerntheorie wurde zunächst die<br />
kognitive Seite des Lernens erfaßt. Durch diese Möglichkeit habe ich zugleich den<br />
Tr<strong>an</strong>sfer des Gelernten auf konkrete Entscheidungssituationen erreicht. Diese Erkenntnisse<br />
konnten auf der verhaltensbezogenen Seite des Lernens durch die Gestaltung eines<br />
Trainingskonzeptes und einer Mitarbeiterförderung am Arbeitsplatz umgesetzt werden.<br />
Einbeziehung von Erkenntnissen der Lerntheorie<br />
Die moderne Lerntheorie hat gegenüber der traditionellen Auffassung einige neuere<br />
Erkenntnisse gezeigt, die einen erheblichen Einfluß auf den Bereich der Vermittlung<br />
von Führungskompetenzen für Industriemeister ausüben. So können Defizite der<br />
Schulbildung und der <strong>an</strong>schließenden Berufsausbildung durch berufliche Weiterbildung<br />
und individuelle Personalentwicklung in weiten Teilen ausgeglichen werden, wie es die<br />
"disuse Hypothese" und der "occupational tr<strong>an</strong>fer effect" wissenschaftlich untermauern.<br />
In gewissen Grenzen sind sogar Leistungs<strong>an</strong>stiege möglich. Der Altersprozeß ist in diesem<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g also nicht primär für Lerndefizite ver<strong>an</strong>twortlich, wie l<strong>an</strong>ge behauptet<br />
wurde, denn bestimmte intellektuelle Merkmale sind im Alterungsprozeß unregelmäßig<br />
Verschiebungen und Reorg<strong>an</strong>isationen innerhalb der Lebensabschnitte unterworfen.<br />
Daher erreichen bestimmte Fähigkeiten zu unterschiedlichen Zeiten ihren Höhepunkt.<br />
In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g erzielen Erwachsene gegenüber Jüngeren Leistungsverbesserungen<br />
hinsichtlich der Schlußfolgerungen aus Themen höherer Ordnung,<br />
wenn die Gestaltung der Inhalte am konkreten Erfahrungshorizont der Erwachsenen<br />
<strong>an</strong>knüpft. Im Einzelfall hat diese Erkenntnis zur Folge, daß in den Führungsseminaren
278 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
auf die Darstellung komplizierter theoretischer Modelle zugunsten von einfacheren,<br />
konkreten Darstellungen verzichtet wird.<br />
Diese generellen Erkenntnisse ergänzen eine Reihe von zielgruppenspezifischen<br />
Aussagen. So zeigen sich Lernschwierigkeiten von Industriemeistern beispielsweise bei<br />
der Einteilung der Lernzeit, in der Beibehaltung einer kontinuierlichen Arbeitshaltung,<br />
in der Wiedergabe von Informationen mit eigenen Worten, in der Informationssammlung,<br />
dem Vermögen Informationen zu behalten, zusammenzufügen, auf die Praxis zu<br />
übertragen und Zusammenhänge aufzudecken, das Interesse am Lernstoff aufrechtzuerhalten<br />
sowie in der generellen Angst vor Testsituationen.<br />
Diese Lernschwierigkeiten und deren Ursachen sind bei der Vermittlung von Führungskompetenzen<br />
weitgehend aufzulösen, indem beispielsweise die individuelle Personalentwicklung<br />
grundsätzlich ein stetes Lernen sicherstellt und eine systematisch gepl<strong>an</strong>te<br />
Reihe von Führungsseminaren ein ständiges Training ermöglicht. Darüber hinaus<br />
habe ich einige didaktisch-methodische Erkenntnisse gefunden, deren Realisierung<br />
ein hohes Maß <strong>an</strong> Lerneffizienz ermöglicht. So ist beispielsweise ein Führungsseminar<br />
zielorientiert zu gestalten sowie zeitlich und inhaltlich sinnvoll zu gliedern, denn wenn<br />
der Stoff einen geringen Komplexitätsgrad aufweist, das Ziel klar definiert und die<br />
Sinnhaftigkeit nachvollziehbar ist, lernen die Industriemeister leichter.<br />
Weiterhin sollen die Industriemeister in den Führungsseminaren die Ergebnisse<br />
von Fallstudien und Rollenspielen zusammenfassen, deren Konsequenzen aufzeigen<br />
und präsentieren. Unsicherheiten bei der Reproduktion vermindern die Lernleistung, so<br />
daß eine Vielzahl von Präsentationen die Unsicherheiten beseitigen hilft. Darüber hinaus<br />
sollen die Industriemeister die Lerninhalte wiederholen und zusammenfassen, denn<br />
Wiederholungen gar<strong>an</strong>tieren einen Übungsgewinn.<br />
Ein weiteres Ergebnis betrifft die Vorgehensweise des Trainers. Er soll stoffliche<br />
Zusammenhänge herstellen, <strong>an</strong> der Erfahrung der Industriemeister <strong>an</strong>knüpfen und teilnehmerorientiert<br />
die subjektiven und sozialbiographischen Gegebenheiten der Industriemeister<br />
berücksichtigen. Ferner soll er grundsätzlich Sinn vermitteln und didaktisch<br />
reduzieren. Dies würde neben einer stofflichen Entlastung auch mehr Raum für das<br />
selbständige Lernen lassen. Weiterhin ist die Schnelligkeit der Stoffdarbietung am<br />
Lernniveau der Teilnehmer zu orientieren, denn es besteht eine enge Beziehung zwischen<br />
der Schnelligkeit der Informationsaufnahme und der Informationsverarbeitung.<br />
Der Trainer soll darüber hinaus eine kreative und emotional <strong>an</strong>gstfreie Lernatmosphäre<br />
schaffen und aktive Lernmethoden einsetzen, um die Lernmotivation und -aktivität zu<br />
steigern und um Lernbarrieren und -hemmungen abzubauen. Auch hier zeigt sich, daß<br />
eine positive Lerneinstellung und eine erhöhte Lernbereitschaft die normale Verminderung<br />
von Gedächtnisleistungen mit zunehmendem Alter durchaus kompensieren k<strong>an</strong>n<br />
und daß die erfolgreich erlebte Teilnahme <strong>an</strong> einer Ver<strong>an</strong>staltung der beruflichen Weiterbildung<br />
das Interesse für weitere weckt. Darüber hinaus wirkt eine Methodenvielfalt<br />
beispielsweise in Form von Rollenspielen, Arbeitsgruppen, Präsentationen, Trainerinput<br />
und Videoeinsatz verknüpft mit Visualisierungstechniken wie Metapl<strong>an</strong> den Aufmerksamkeits-,<br />
Konzentrations- und Ausdauerschwierigkeiten entgegen. Dabei steht im<br />
Vordergrund der Vermittlung von Führungskompetenzen insbesondere die Praxisnähe
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 279<br />
der Lerninhalte, denn es läßt sich eine grundsätzliche Einstellung der Industriemeister<br />
erkennen, die auf die Verwertbarkeit der Lerninhalte abzielt. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
wirkt sich auch das Konzept der positiven Verstärkung aus, denn Erfolgserlebnisse<br />
stärken die Lernmotivation. Dies erfordert den Einsatz des Instrumentes "feedback",<br />
denn ein Verhalten ändert sich um so zügiger, je weniger Zeit zwischen H<strong>an</strong>dlung und<br />
Erfolgserfahrung liegt.<br />
Zielgruppenspezifisches Instrumentarium einer individuellen Mitarbeiterförderung<br />
am Arbeitsplatz<br />
Der Einsatz von Instrumenten einer individuellen Personalentwicklung für Industriemeister<br />
bedingt zunächst eine Orientierung <strong>an</strong> verschiedenen Grundsätzen. So sind<br />
grundsätzlich alle Industriemeister zu fördern, denn der Ausschluß von bestimmten (Alters-)Gruppen<br />
würde die Demotivation und die damit verbundene Leistungsbereitschaft<br />
senken. Darüber hinaus bietet die interne Rekrutierung gegenüber einer externen mehrere<br />
Vorteile. Sie fördert zunächst gewünschte Bindungseffekte. Weiterhin k<strong>an</strong>n das<br />
Unternehmen auf bereits vorliegende Beurteilungen zurückgreifen, die verläßliche Informationen<br />
hinsichtlich der Entscheidung über zukünftige Einsatzmöglichkeiten von<br />
Industriemeistern zur Verfügung stellt. Darüber hinaus ist die externe Arbeitskräftebeschaffung<br />
meist wesentlich kostspieliger als die interne, wirkt demotivierend auf die<br />
Mitarbeiter und impliziert arbeitsrechtliche Restriktionen.<br />
In prozeßorientierter Sicht läßt sich der Aufbau einer individuellen Personalentwicklung<br />
für Industriemeister durch fünf idealtypische Phasen kennzeichnen, der Charakterisierung<br />
der Ausg<strong>an</strong>gslage, der Erarbeitung der Zielsetzungen und kritischen Erfolgsfaktoren,<br />
der Ableitung der Qualifikationen, die Durchführung der individuellen<br />
Personalentwicklungsgespräche sowie der Entwicklung von typischen Entwicklungsmustern<br />
und Karriere<strong>an</strong>kern. In diesen Phasen gel<strong>an</strong>gt das konzipierte, zielorientierte<br />
Instrumentarium der individuellen Personalentwicklung für Industriemeister zum Einsatz.<br />
Als weiteres Ergebnis habe ich erk<strong>an</strong>nt, daß die Anwendungsbedingungen die<br />
Ch<strong>an</strong>cen und Risiken definieren. So sind beispielsweise eine Steigerung von Qualifikation,<br />
Motivation, Unternehmensidentifikation und -bindung, eine Realisation von strategischen<br />
Wettbewerbsvorteilen zur l<strong>an</strong>gfristigen Unternehmenssicherung durch wettbewerbsorientierte<br />
Wertschöpfung und flexiblen Mitarbeitereinsatz, eine Gegenstrategie<br />
zu Kündigungen, eine Beschäftigungssicherung durch Mehrfachqualifikation und<br />
eine imageverbessernde Personalmarketingstrategie mit der Personalentwicklung für<br />
Industriemeister zu erreichen. Etwaige Fehlentwicklungen lassen sich durch regelmäßige<br />
Überprüfungen bereits im Ansatz korrigieren. Allerdings ist festzustellen, daß den<br />
positiven Effekten einige derzeit praktizierte negative Entwicklungen entgegenwirken.<br />
So sind konjunkturabhängige Förderungen der Industriemeister und mißbräuchlicher<br />
Einsatz des Instrumentariums aus Machtsicherungsgründen nicht auszuschließen. Folglich<br />
zeigen die Meßkriterien einer individuellen Personalentwicklung, nämlich Kontinuität<br />
und Glaubwürdigkeit unter Umständen einen starken Effizienzverlust, der sich insbesondere<br />
in einem aufkeimendem Mißtrauen und in einer ablehnenden Haltung offen-
280 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
baren. Die gleichen Wirkungen treten auf, wenn die Unternehmen die individuelle Personalentwicklung<br />
der Industriemeister eher unter kurzfristigen Kostenaspekten als unter<br />
strategisch orientierten Investitionsgesichtspunkten betrachten. Schließlich zeigt eine<br />
zeitliche Analyse, daß der Aufbau einer individuellen Personalentwicklung oft mehrere<br />
Jahre benötigt, bis der gewünschte Erfolgt eintritt. Umgekehrt führt die Vernachlässigung<br />
dieser Erkenntnis zu einem schwerlich korrigierbaren Defizit bei der Realisierung<br />
von Unternehmensstrategien.<br />
Markus Weingärtner<br />
Betriebliche Weiterbildung und Weiterbildungsberatung in mittelständischen<br />
Unternehmen<br />
Betreuer: Prof. Dr. Helmut Wagner, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,<br />
insb. Org<strong>an</strong>isationstheorie und Personalm<strong>an</strong>agement, Universität Münster<br />
1. Problemstellung und Zielsetzung<br />
In einer dynamischen Unternehmensumwelt mit steigenden Anforderungen <strong>an</strong> die<br />
Qualifikation der Mitarbeiter wird die berufsbegleitende Weiterbildung der Mitarbeiter<br />
immer mehr zu einem wichtigen betrieblichen Erfolgsfaktor. In besonderer Weise gilt<br />
dies für mittelständische Unternehmen, die ihre Marktstellung gegenüber Großunternehmen<br />
oftmals nur durch die hohe Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen sowie<br />
durch die Spezialisierung auf individuelle Kundenwünsche sichern können und daher<br />
unter perm<strong>an</strong>entem Qualifizierungsdruck stehen. Gleichzeitig verfügen mittelständische<br />
Unternehmen häufig jedoch nicht über die notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse<br />
zur systematischen und zielorientierten Gestaltung der betrieblichen Weiterbildungsarbeit.<br />
Die fachliche Unterstützung durch eine externe Weiterbildungsberatung ist daher<br />
in Erwägung zu ziehen. Ausgehend von dieser Problemlage verfolgt die vorliegende<br />
Arbeit drei zentrale Ziele:<br />
1) Darstellung und Diskussion literaturgestützter Gestaltungs<strong>an</strong>sätze zur systematischen<br />
betrieblichen Weiterbildung in kleinen und mittleren Unternehmen und Vergleich<br />
mit dem in empirischen Untersuchungen dokumentierten Entwicklungsst<strong>an</strong>d<br />
dieser Unternehmen in der Weiterbildung.<br />
2) Diskussion relev<strong>an</strong>ter Determin<strong>an</strong>ten einer Weiterbildungsberatung als Instrument<br />
zur Lösung von Weiterbildungsproblemen in mittelständischen Unternehmen.<br />
3) Entwicklung von Gestaltungs<strong>an</strong>sätzen zur Durchführung einer Weiterbildungsberatung<br />
in mittelständischen Unternehmen.<br />
2. Kurzdarstellung der Untersuchung
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 281<br />
Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels der Arbeit steht eine detaillierte Untersuchung<br />
der Org<strong>an</strong>isation betrieblicher Weiterbildung sowie der Phasen der Bedarfs<strong>an</strong>alyse,<br />
Pl<strong>an</strong>ung, Durchführung und Erfolgskontrolle von Weiterbildungsmaßnahmen in<br />
mittelständischen Unternehmen. Theoretischen und literaturgestützten Ansatzpunkten<br />
zu einer systematisch gestalteten Weiterbildungsarbeit in kleinen und mittleren Unternehmen<br />
wird dabei der tatsächliche Entwicklungsst<strong>an</strong>d mittelständischer Unternehmen<br />
in der Weiterbildung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen gegenübergestellt.<br />
Der Schwerpunkt der ausgewählten Untersuchungen liegt auf einer "eigenen"<br />
am Lehrstuhl für Org<strong>an</strong>isationstheorie und Personalm<strong>an</strong>agement der Universität<br />
Münster 1992 durchgeführten Befragung zu St<strong>an</strong>d und Entwicklungsperspektiven mittelständischer<br />
Unternehmen in der betrieblichen Weiterbildung. Insgesamt wird in<br />
sämtlichen Studien deutlich, daß Klein- und Mittelbetriebe im allgemeinen von einer<br />
strategisch gepl<strong>an</strong>ten und systematisch durchgeführten betrieblichen Weiterbildungsarbeit<br />
noch sehr weit entfernt sind. Nach den grundlegenden Ursachen können org<strong>an</strong>isatorische<br />
Defizite, Strategiedefizite, Steuerungsdefizite und Informationsdefizite als<br />
Hauptprobleme von mittelständischen Unternehmen in der betrieblichen Weiterbildung<br />
unterschieden werden.<br />
Gegenst<strong>an</strong>d des dritten Kapitels sind Determin<strong>an</strong>ten einer betrieblichen Weiterbildungsberatung<br />
in mittelständischen Unternehmen. Dabei werden als grundlegende Determin<strong>an</strong>ten<br />
auftragsspezifische, klientenspezifische und beraterspezifische Einflußfaktoren<br />
unterschieden. Primär auftragsspezifisch begründet sind die dem jeweiligen Beratungsauftrag<br />
zugrundeliegenden Weiterbildungsprobleme und der zeitliche Problemdruck<br />
im Unternehmen. Darüber hinaus werden die Gestaltungsmöglichkeiten einer<br />
Weiterbildungsberatung aber auch durch die Beratungskosten und die öffentlichen Förderungsmöglichkeiten<br />
für die In<strong>an</strong>spruchnahme einer Beratung beeinflußt.<br />
In Abschnitt 3.3 der Arbeit werden klientenspezifische Determin<strong>an</strong>ten einer<br />
Weiterbildungsberatung diskutiert. Wesentlich für das Zust<strong>an</strong>dekommen einer Weiterbildungsberatung<br />
sind in vielen Fällen die bisherigen Erfahrungen des Unternehmens<br />
mit externen Beratungsleistungen. Der Ablauf einer Weiterbildungsberatung wird wiederum<br />
maßgeblich davon abhängen, inwieweit Akzept<strong>an</strong>zbarrieren bei der Unternehmensleitung<br />
und den Mitarbeitern gegenüber einer Beratung abgebaut werden können.<br />
Vor allem auf Seiten des mittelständischen Unternehmers können dabei zahlreiche Akzept<strong>an</strong>zprobleme<br />
identifiziert werden, die im Selbstverständnis der eigenen Rolle, in der<br />
m<strong>an</strong>gelnden Tr<strong>an</strong>sparenz des Beratungsmarktes und in der jeweiligen Berater-Klienten-<br />
Beziehung begründet liegen. Die bisherigen Beratungserfahrungen und die Akzept<strong>an</strong>z<br />
einer Weiterbildungsberatung beeinflußen schließlich auch den Kooperationsgrad des<br />
mittelständischen Unternehmens in der Beratung, der als die Fähigkeit und die Bereitschaft<br />
des Klienten zur Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungsberater während des<br />
Beratungssprozesses definiert werden k<strong>an</strong>n.<br />
Gegenst<strong>an</strong>d von Abschnitt 3.4 der Arbeit sind Determin<strong>an</strong>ten einer Weiterbildungsberatung<br />
im Einflußbereich des Beraters. Als Schlüsselqualifikationen eines Weiterbildungsberaters<br />
werden die weiterbildungsspezifische, die beratungsspezifische und<br />
die mittelst<strong>an</strong>dsspezifische Kompetenz unterschieden. D<strong>an</strong>eben muß der Weiterbil-
282 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
dungsberater im Verlauf einer Beratung häufig auch verschiedene Beraterrollen übernehmen.<br />
Als maßgebende Rollen im Rahmen einer Weiterbildungsberatung werden die<br />
Rollen des Informationsliefer<strong>an</strong>ten, des Problemlösers und des Katalysators diskutiert.<br />
Schließlich hängen die Gestaltungsmöglichkeiten einer Weiterbildungsberatung auch<br />
vom Typ der Beratungsorg<strong>an</strong>isation ab. Ausführlich werden die Beratungsmöglichkeiten<br />
in Nonprofit-Org<strong>an</strong>isationen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen erörtert.<br />
Im vierten Kapitel der Arbeit werden schließlich verschiedene Gestaltungsaspekte<br />
einer Weiterbildungsberatung <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d eines fiktiven Beispiels diskutiert. Gegenst<strong>an</strong>d<br />
dieses Beispiels ist die Entwicklung und Einführung einer umfassenden Weiterbildungskonzeption<br />
in einem mittelständischen Unternehmen. Dazu wird ein Beratungskonzept<br />
in drei aufein<strong>an</strong>derfolgenden Beratungsstufen skizziert, in denen inhaltlich die<br />
verschiedenen Hauptdefizite mittelständischer Unternehmen in der betrieblichen Weiterbildung<br />
erneut aufgegriffen werden. Im Mittelpunkt der ersten Stufe steht der Aufbau<br />
einer dezentralen Org<strong>an</strong>isation der betrieblichen Weiterbildung zwischen der Unternehmensleitung<br />
und den direkten Vorgesetzten der Mitarbeiter. Die zweite Beratungsstufe<br />
beschäftigt sich mit Gestaltungsaspekten einer Beratung in der strategischen Weiterbildungspl<strong>an</strong>ung.<br />
In mittelständischen Unternehmen muß häufig erst das Bewußtsein<br />
für die Notwendigkeit einer strategischen Pl<strong>an</strong>ung im Unternehmen gefördert werden.<br />
Weitere Aufgaben eines Weiterbildungsberaters sind die Einführung und Erläuterung<br />
strategischer Pl<strong>an</strong>ungsinstrumente in der Weiterbildung, die Unterstützung der Unternehmensleitung<br />
bei der Erstellung eines strategischen Weiterbildungspl<strong>an</strong>s und die Beratung<br />
der Unternehmensleitung hinsichtlich der Überwachung der Strategieumsetzung.<br />
Gegenst<strong>an</strong>d der dritten Beratungsstufe ist die Beratung im operativen Weiterbildungsm<strong>an</strong>agement.<br />
Zu den Hauptaufgaben des Weiterbildungsberaters gehört hierbei die<br />
Entwicklung eines operativen Weiterbildungskonzepts mit der Empfehlung von Instrumenten<br />
und Methoden zur Steuerung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen sowie<br />
die Schulung der Vorgesetzten in der Anwendung des vorgeschlagenen Weiterbildungsinstrumentariums.<br />
Insgesamt wird in dieser Arbeit deutlich, daß mittelständische Unternehmen erhebliche<br />
Probleme in der Gestaltung einer systematischen betrieblichen Weiterbildung besitzen.<br />
Da aber gerade in diesen Unternehmen die Mitarbeiterqualifikation häufig einen<br />
entscheidenden Erfolgsfaktor darstellt, erscheint ein Abbau der aufgezeigten Weiterbildungsdefizite<br />
dringend geboten. Eine betriebliche Weiterbildungsberatung die hierbei<br />
zur fachlichen Unterstützung in Anspruch genommen wird, muß sich <strong>an</strong> den spezifischen<br />
Problemen des mittelständischen Klienten orientieren. Da der Stellenwert der<br />
Mitarbeiterqualifizierung zukünftig weiter steigen wird und mittelständische Unternehmen<br />
für Beratungsorg<strong>an</strong>isationen ein erhebliches Kundenpotential darstellen, dürfte in<br />
Zukunft mit einer zunehmenden Verbreitung einer betrieblichen Weiterbildungsberatung<br />
in mittelständischen Unternehmen zu rechnen sein. Darüber hinaus sollte sich aber<br />
auch die betriebswirtschaftliche Theorie mit dieser Thematik noch näher befassen.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 283<br />
6. Anreize / Entgeltsysteme einschließlich Mitarbeiterbeteiligung und<br />
Sozialleistungen<br />
Ruth Böck<br />
Betriebliche Kompensationspolitik im Wettbewerb nationaler sozialer<br />
Sicherungssysteme<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Sadowski, Unversität Trier<br />
Ziel: Eine stetige Zunahme <strong>an</strong> grenzüberschreitenden Pendelw<strong>an</strong>derungen wirft für<br />
die betroffenen Regionen und in der europapolitischen Diskussion verstärkt die Frage<br />
nach möglichen Ansatzpunkten zur gezielten Mobilitätsbeeinflussung auf. Deshalb wird<br />
in diesem Projekt untersucht, inwieweit unterschiedliche institutionelle Regelungen und<br />
regionenspezifische Marktgegebenheiten in den Unternehmen der Grenzregionen bestimmte<br />
personalpolitische Strategien hervorrufen, die ihrerseits die Arbeitskräftemobilität<br />
beeinflussen.<br />
Vorgehen: Ausgehend von der push-pull-Hypothese (vgl. Lee 1966) wird zunächst<br />
die betriebliche Kompensationspolitik als potentieller Einflußfaktor von Arbeitnehmermobilität<br />
herausgestellt. D<strong>an</strong>n wird jedoch entgegen <strong>an</strong>derer Studien zu diesem<br />
Themenbereich (vgl. Meyer 1986, Mohr 1986, Werner 1992) ein Perspektivenwechsel<br />
vorgenommen und die betriebliche Kompensationspolitik selbst zum Gegenst<strong>an</strong>d der<br />
Untersuchung gemacht. Ausgehend von zwei prinzipiell möglichen Kompensationsstrategien<br />
– Anreiz- und Stillhaltestrategie, die sich in der Kompensationshöhe unterscheiden<br />
– wird d<strong>an</strong>n vor dem Hintergrund tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischer Überlegungen<br />
ein Entscheidungsmodell betrieblicher Kompensationspolitik entwickelt, und es werden<br />
<strong>an</strong>schließend die relev<strong>an</strong>ten Determin<strong>an</strong>ten herausgearbeitet: die Wahrscheinlichkeit,<br />
daß es zur Mobilität kommt, die Kosten der gezielten Beeinflussung der Mobilität und<br />
die Kosten der Auswahl eines externen Bewerbers zur (Wieder-)Besetzung eines Arbeitsplatzes<br />
(vgl. Milgrom/Roberts 1992). Dabei wird unterstellt, daß die Mobilitätswahrscheinlichkeit<br />
vom An-/Abwerbedruck am regionalen Arbeitsmarkt, die Anreizkosten<br />
von den institutionellen Regelungen zur sozialen Sicherung und die (Wieder-)<br />
Besetzungskosten vom Erfolg am Absatzmarkt abhängen. Der modelltheoretischen Argumentation<br />
folgend, vergleichen Unternehmen, gegeben die Situation am Arbeitsmarkt,<br />
die beiden Kostenkomponenten mitein<strong>an</strong>der und entscheiden sich für die Anreizstrategie,<br />
wenn die Kosten der Mobilitätsbeeinflussung unter denen der Auswahl<br />
aus dem externen Bewerberpool liegen, während sie bei umgekehrter Kostenkonstellation<br />
eine Stillhaltestrategie wählen. Mit Hilfe einer empirischen Institutionen<strong>an</strong>alyse der<br />
nationalen sozialen Sicherungssysteme werden unterschiedliche fin<strong>an</strong>zielle Belastungen<br />
herausgearbeitet und auf Basis von betrieblichen Fallstudien in 50 Unternehmen der<br />
Grenzregionen (vgl. QUIPPE) Gruppen unterschiedlich wirtschaftlich erfolgreicher sowie<br />
differierendem Arbeitsmarktdruck ausgesetzter Unternehmen gebildet. Diese Ein-
284 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
teilung verläuft nicht entl<strong>an</strong>g von Br<strong>an</strong>chen- oder Betriebsgrößenklassen, was die Bedeutung<br />
der erhobenen Unternehmens- im Unterschied zu Aggregatdaten deutlich<br />
macht.<br />
Ergebnisse: Die empirische Analyse zeigt deutlich, daß Unternehmen unter starkem<br />
An-/ Abwerbedruck auf dem Arbeitsmarkt, wirtschaftlich erfolgreiche Betriebe<br />
sowie durch das soziale Sicherungssystem fin<strong>an</strong>ziell wenig belastete Firmen eine höhere<br />
Kompensation gewähren (Anreizstrategie). Darüber hinaus ist festzustellen, daß der<br />
Anteil der Grenzgänger <strong>an</strong> den Beschäftigten in Regionen mit einem hohen Anteil so<br />
charakterisierter Unternehmen deutlich höher ist als in <strong>an</strong>deren Regionen. Auf Basis<br />
dieser Ergebnisse lassen sich einige Ansatzpunkte im Bereich der nationalen sozialen<br />
Sicherungssysteme sowie der regionalen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik formulieren,<br />
die die betriebliche Kompensationspolitik beeinflussen und so zu mehr Mobilität<br />
in Europa beitragen können.<br />
Thomas Bucksteeg<br />
Vergütungspolitik in B<strong>an</strong>ken. Eine empirische Untersuchung im<br />
Kundenbetreuungsbereich von B<strong>an</strong>ken *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Oswald Neuberger, Wiso-Fakultät, Universität Augsburg<br />
B<strong>an</strong>ken machen sich bereits seit vielen Jahren Ged<strong>an</strong>ken über die Gestaltung von<br />
leistungsgerechten und motivationsfördernden Vergütungssystemen für ihre Kundenbetreuungsbereiche,<br />
ohne daß sie bisher eine in ihren Augen gute Lösung zur rationalen<br />
Bewältigung der Vergütungsrealität mit ihren Widersprüchen, Intr<strong>an</strong>sparenzen und sozialen<br />
Konflikten gefunden haben. Ideen und Vorstellungen über die Möglichkeiten einer<br />
rationalen H<strong>an</strong>dhabung der Vergütungsrealität werden u.a. von theoretischen Motivations-<br />
bzw. Leistungs<strong>an</strong>reizkonzepten genährt.<br />
Ziel der Arbeit ist es deshalb, eine wissenschaftliche Analyse und Erklärung der<br />
Vergütungsrealität zu liefern, um darauf aufbauend Überlegungen <strong>an</strong>zustellen, inwieweit<br />
eine rationale H<strong>an</strong>dhabung der Vergütungsrealität, wie sie von theoretischen Motivationsmodellen<br />
aufgezeigt wird, möglich ist, um daraus Folgerungen für die Praxis zu<br />
ziehen.<br />
Zu diesem Zweck wurden offene, d.h. erzählgenerierende und kaum strukturierte<br />
Interviews mit 23 Vertretern, insbesondere aus dem Firmenkundenbetreuungsbereich,<br />
von sechs B<strong>an</strong>ken geführt. Die entsprechenden Aussagen der Gesprächspartner wurden<br />
schriftlich protokolliert, den jeweiligen Gesprächspartnern zur Durchsicht vorgelegt<br />
und nach dem von GLaser & Strauss entwickelten Konzept der "grounded theory" aus<br />
*<br />
Bucksteeg, Thomas (1994): Vergütungspolitik in B<strong>an</strong>ken. München, Mering: <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong><br />
<strong>Verlag</strong>.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 285<br />
der qualitativen Sozialforschung interpretiert und <strong>an</strong>alysiert. Schwerpunkt der Analyse<br />
ist die innerbetriebliche Vergütungsrealität im tariflichen und nichtleitenden außertariflichen<br />
Kundenbetreuungsbereich von B<strong>an</strong>ken.<br />
Im Laufe der für diese Arbeit durchgeführten Datenerhebung (Interviews) und<br />
-<strong>an</strong>alyse hat sich die innerbetriebliche Vergütungspolitik als ein wesentlicher und prägender<br />
Best<strong>an</strong>dteil der Vergütungsrealität erwiesen. Unter innerbetrieblicher Vergütungspolitik<br />
wird die Gesamtheit der im Rahmen eines Spielregelsystems verfolgten<br />
Strategien und Spiele verst<strong>an</strong>den, über die die Org<strong>an</strong>isationsteilnehmer (Mitarbeiter,<br />
Vorgesetzte, Betriebsräte, Mitglieder der Unternehmensleitung) ihre eigenen, jeweils<br />
unterschiedlichen und teilweise auch gegensätzlichen vergütungsspezifischen Interessen<br />
zu wahren und durchzusetzen versuchen.<br />
Das Phänomen "Vergütungspolitik" wird im Rahmen der Arbeit sukzessive herausgearbeitet<br />
und <strong>an</strong>alysiert. Aus den vielfältigen, in den Interviews gesammelten Einzelaussagen<br />
werden "Themen" und "Kategorien" entwickelt, die als Bausteine einer zu<br />
entwickelnden "empirischen Theorie" der Gestaltung der Vergütungsrealität zu verstehen<br />
sind. Zur Systematisierung und Integration der Einzelaussagen wird das mikropolitische<br />
Spiele-Konzept (in Anlehnung <strong>an</strong> Crozier & Friedberg und Giddens) her<strong>an</strong>gezogen.<br />
Die erste für den empirischen Analyseteil der Arbeit entwickelte Kategorie ist das<br />
interpersonale Sp<strong>an</strong>nungsfeld der Vergütungspolitik. Es geht um die Erwartungen der<br />
Org<strong>an</strong>isationsmitglieder, die zu Rollen verdichtet und institutionalisiert sind. Es wird<br />
belegt, daß diese Rollen-Vorgaben weder konsistent noch widerspruchsfrei, trennscharf<br />
oder eindeutig sind, so daß von einem funktionalistischen "role-taking" allein nicht die<br />
Rede sein k<strong>an</strong>n. Vielmehr findet bei den vernetzten Org<strong>an</strong>isationsmitgliedern ein konfliktbeladener<br />
Prozeß des "role-making" statt, in dem die H<strong>an</strong>delnden versuchen, nach<br />
Möglichkeit ihre Interessen zu wahren, auf jeden Fall aber H<strong>an</strong>dlungsspielräume zu erhalten<br />
oder auszubauen.<br />
Das interpersonale Thema wird mit der Analyse über das "M<strong>an</strong>agement der Abhängigkeiten"<br />
weiterverfolgt. Wegen der prekären Natur des Arbeitsverhältnisses (zunächst<br />
"kauft" der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Arbeitsvermögen, aber noch nicht<br />
Arbeitsleistung), haben Unterstellte stets die Möglichkeit, durch Leistungsrestriktion<br />
oder Einschränkung ihrer nicht vertraglich geregelten, nichtsdestoweniger aber unverzichtbaren<br />
Zusatzleistung (Mitdenken, Mithilfe, Initiative, commitment, Loyalität etc.)<br />
die Zielerreichung der Vorgesetzten zu gefährden. Bei diesem "do-ut-des" müssen sich<br />
Vorgesetzte und Mitarbeiter als sehr flexibel und erfindungsreich erweisen, um nicht in<br />
die Sackgasse des "Dienstes nach Vorschrift" zu kommen. Formen der vergütungsspezifischen<br />
Konfliktlösung zur Sicherung der org<strong>an</strong>isationalen Ordnung sind unverzichtbar.<br />
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend kommt ein strategisches Thema der Vergütungspolitik<br />
zur Sprache: das Bemühen der B<strong>an</strong>ken um eine objektive Entgeltfindungssystematik,<br />
die sich <strong>an</strong> eindeutigen (ebenfalls objektiven) Kriterien orientiert. Ziel dieser<br />
Bemühungen ist es, das Sp<strong>an</strong>nungsfeld zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zu<br />
entpersonalisieren und die Austauschpartner von aufwendigen Verständigungsprozes-
286 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
sen im Rahmen der Entgeltfindung zu "entlasten". Das in vergütungsspezifischen Kontrollsystemen<br />
entscheidende Leistungskriterium "Erfolg" av<strong>an</strong>ciert als Macht-Code zum<br />
Leitbegriff im symbolischen M<strong>an</strong>agement. Problem dabei ist jedoch die Tatsache, daß<br />
sich "Leistung" aus sehr heterogenen, zum Teil widersprüchlichen und oft nicht meßund<br />
zurechenbaren Komponenten zusammensetzt. Das in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g häufig<br />
proklamierte Motto der "leistungsgerechten" Bezahlung besitzt insofern leerformelhaften<br />
Charakter.<br />
Mit diesen Überlegungen ist der Boden bereitet für das Thema der "Vergütungskultur".<br />
Es wird belegt, daß im Rahmen des "Symbolischen M<strong>an</strong>agements" jene unsichtbaren<br />
und nicht greifbaren Werte, die es zum Zwecke der Stabilisierung des Vergütungssystems<br />
aufrecht zu erhalten gilt (etwa "leistungsgerechte Vergütung"), über<br />
Worte, Taten und Dinge vergegenständlicht bzw. als solche erfahrbar gemacht werden.<br />
Als zweite vergütungsspezifische Komponente des "Symbolischen M<strong>an</strong>agements" wird<br />
die Substituierbarkeit von Geldeinkommen durch <strong>an</strong>dere Arbeitgeber-Leistungen hervorgehoben.<br />
Zum einen gehören hierzu Geldäquivalente, die leicht monetarisiert werden<br />
können (Beförderungen, Sozialleistungen, Dienstwagen etc.), zum <strong>an</strong>deren spielen<br />
aber auch weitere Statussymbole eine herausragende Rolle (z.B. Titel, Arbeitsräume<br />
und deren Ausstattung, bestimmte Privilegien).<br />
Ein weiteres Thema der Arbeit ist das sog. Gehaltstabu. Das "Geheimnis" um Vergütungsentscheidungen<br />
und individuelle Gehaltshöhen wird seiner mysteriösen Aura<br />
entkleidet und als funktionales Erfordernis identifiziert: Gerade weil die Vergütung<br />
nicht rational, einheitlich und objektiv erfolgen k<strong>an</strong>n, kommt der Verschleierung der<br />
Maßstäbe, Relationen und Fakten eine große konfliktschlichtende und kostensparende<br />
Bedeutung zu.<br />
Diese Ged<strong>an</strong>ken leiten zu einem weiteren Themenkreis über: der Betriebsratspolitik.<br />
Der Betriebsrat müßte eigentlich für ein durchschaubares, leicht nachvollziehbares,<br />
objektiviertes Vergütungssystem eintreten. Im Rahmen der Arbeit werden jedoch Belege<br />
<strong>an</strong>geführt, daß ein solcher St<strong>an</strong>dpunkt apolitisch wäre. Er würde die zahlreichen<br />
Sp<strong>an</strong>nungsfelder übersehen, in denen Betriebsräte stehen: sie sollen gewerkschaftliche<br />
Positionen vertreten, gleichzeitig aber die Interessen der lokalen Belegschaft zur Geltung<br />
bringen, sie sind selbst unterstellte Mitarbeiter, die von den Vorgesetzten, mit denen<br />
sie verh<strong>an</strong>deln, in ihren Karriere- und Gehaltsentwicklung abhängen.<br />
Der abschließende Teil der Arbeit zieht ein wertendes Resümee. Es wird gezeigt,<br />
daß theoretische Motivationsmodelle sowohl zu vage und unoperationale Voraussetzungen<br />
zugrunde legen als auch erhebliche Lücken haben, weil sie Prozesse, die in der<br />
Vergütungsrealität eine große Bedeutung haben, nicht zur Kenntnis nehmen. Die in<br />
B<strong>an</strong>ken bestehende Vergütungsrealität wird als lebendiger Beweis seiner "Fitness" gewertet.<br />
Die scheinbare Unordnung der Vergütungsrealität erweist sich als eine theoretisch<br />
noch nicht durchschaute Unordnung, die jedoch nicht naturgesetzlich sachrational<br />
zu entwickeln ist, sondern politischen Charakter hat, weil sie der Reflexivität der Subjekte<br />
Rechnung trägt. Die vorh<strong>an</strong>denen Strukturen und Regeln der Vergütung sind zugleich<br />
Bedingung und Konsequenz des H<strong>an</strong>delns der Org<strong>an</strong>isationsmitglieder, sie sind<br />
es, die die Vergütungsrealität produzieren und in ein Sp<strong>an</strong>nungsverhältnis zur "norma-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 287<br />
tiven Fassade" bringen. Diese ist nicht etwa überflüssig und abzuschaffen, sondern der<br />
notwendige Bezugspunkt für das politische H<strong>an</strong>deln, das ja kein ungeregelter Kampf aller<br />
gegen alle ist. Nur weil es Regeln gibt, können sie verletzt oder mißachtet werden,<br />
und gerade diese Verletzung/Mißachtung bei Fortdauer der Geltung schafft nutzbare<br />
Verpflichtungen.<br />
Als ein konstruktiver Vorschlag wird abschließend die Empfehlung formuliert, alle<br />
Beteiligten in Mikropolitik zu schulen, damit die unausweichlichen Ausein<strong>an</strong>dersetzungen<br />
bewußter und fairer geführt werden können. Vor den Versuchen einer übertriebenen,<br />
d.h. einseitig <strong>an</strong> rationalen "Ideal-"Lösungen ausgerichteten Gestaltung von Vergütungssystemen<br />
wird jedoch mit Blick auf die im Rahmen dieser Arbeit festgestellten<br />
sozialen Konsequenzen erfolgsorientierter Vergütungssysteme mit ihren eher negativen<br />
Auswirkungen auf den tatsächlichen Leistungsbeitrag des einzelnen zum l<strong>an</strong>gfristigen<br />
Unternehmenserfolg gewarnt.
288 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Leonhard Knoll<br />
Intertemporale Entlohnung und ökonomische Effizienz. Ein Beitrag<br />
zur Theorie und Empirie von Alters-Verdienst-Profilen *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Ekkehard Wenger, Universität Würzburg<br />
Gegenst<strong>an</strong>d der Untersuchung ist die Entwicklung von Arbeitseinkommen im Laufe<br />
des Berufslebens. Ausgehend von der neoklassischen Input-Regel der Lohnbestimmung,<br />
die für statische Betrachtungen auf vollkommenen Märkten eine effiziente Faktorallokation<br />
gewährleistet, wird theoretisch und empirisch die Frage aufgeworfen, ob<br />
über längere Zeiträume (Grenz-) Produktivität und Entlohnung parallel zuein<strong>an</strong>der verlaufen<br />
bzw. wie Abweichungen von dieser Basisvermutung ökonomisch zu interpretieren<br />
sind.<br />
Dabei wird zunächst geklärt, daß mit den in ökonomischen Modellen verwendeten<br />
Variablen die realen Phänomene "Produktivität" und "Entlohnung" hinreichend gut beschrieben<br />
werden können. Überaschenderweise stellt der mit zunehmender Seniorität<br />
wachsende Anteil von Fringe benefits hierbei die einzige bedenkliche Verzerrung für<br />
die Untersuchung von Alters-Verdienst-Profilen dar, was die im weiteren Verlauf der<br />
Arbeit diagnostizierte "Überentlohnung" in der zweiten Hälfte des Berufslebens allerdings<br />
nicht in Frage stellt, sondern sogar verstärkt.<br />
Unter dieser Vorgabe werden zunächst statische bzw. einperiodige Modelle der<br />
Lohntheorie (St<strong>an</strong>dard-Mikroökonomie, Informationsökonomie, Segmentations<strong>an</strong>sätze<br />
und Insider/outsider-Theorie) vorgestellt, weil sie für eine Reihe intertemporaler Erklärungsmuster<br />
grundlegende Ideen und Strukturen aufweisen. Im mathematischen Anh<strong>an</strong>g<br />
werden mehrere Ergebnisse (z.B. hinsichtlich linearer Entlohnung bei impliziten<br />
Kontrakten) eigenständig abgeleitet und die Zusammenhänge zwischen den verwendeten<br />
Modellen verdeutlicht.<br />
Nach diesen Vorüberlegungen werden Alters-Verdienst-Profile direkt untersucht.<br />
Zunächst wird dabei ihr empirisches Erscheinungsbild und seine Abhängigkeit von der<br />
gewählten statistischen Perspektive dargestellt. Einen Schwerpunkt setzt der Autor hinsichtlich<br />
der Trennung verschiedener Zeiteffekte auf den Verlauf der Profile, wobei er<br />
teilweise die Ergebnisse zweier von ihm mitverfaßter Diskussionsbeiträge referiert.<br />
Hier werden einerseits Verdienstfunktionen auf der Basis von Daten des Sozioökonomischen<br />
P<strong>an</strong>els (Wellen A-H) geschätzt. Durch einen Vergleich bereinigter und unbereinigter<br />
Verdienst-Profile wird deutlich, daß technischer Fortschritt hinsichtlich der<br />
Arbeitseinkommen nicht altersneutral wirkt, sondern tendenziell Älteren stärker zugute<br />
kommt. Andererseits wird der sogen<strong>an</strong>nte Kohorteneffekt von Verdienst-Profilen untersucht,<br />
also die Frage, inwieweit das Geburtsjahr ökonometrisch einen Einfluß auf Höhe<br />
und Verlauf der Entlohnung hat. Die Datengrundlage für die Bearbeitung dieser zwei-<br />
*<br />
Veröffentlicht in der Reihe "LAW AND ECONOMICS" (Hrsg.: J. Finsinger/M. Lehm<strong>an</strong>n/A.<br />
Picot), Bd. 25, des VVF-<strong>Verlag</strong>s München im Dezember 1994.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 289<br />
ten Fragestellung bietet eine Kontenstichprobe des Verb<strong>an</strong>des Deutscher Rentenversicherungsträger<br />
zum 31.12.1990. Aus ihr werden Alters-Kalenderjahr-Matrizen abgeleitet,<br />
deren Feldwerte wiederum die Basis von Verdienstfunktionen bilden. Dabei zeigt<br />
sich, daß ab den sechziger Jahren Geborene unter Bereinigung von Produktivitätswachstum<br />
und Inflation wahrscheinlich mit einem Rückg<strong>an</strong>g des Lebenseinkommens<br />
zu rechnen haben.<br />
Von grundlegender Bedeutung für die Frage nach der Produktivitätsorientierung<br />
der Entlohnung ist im empirischen Teil schließlich ein Vergleich von Alters-Verdienstmit<br />
Alters-Produktivitäts-Profilen. Sowohl außerökonomische Studien hinsichtlich allgemeiner<br />
Leistungsfähigkeitsmaße im körperlichen und geistigen Bereich als auch die<br />
Mehrzahl ökonomischer Untersuchungen, die als Näherungsmaß für die Produktivität<br />
verschiedene Näherungsgrößen verwenden, lassen hier den Schluß zu, daß zu Beginn<br />
des Berufslebens in der Regel eine "Unterentlohnung" und <strong>an</strong> seinem Ende eine "Überentlohnung"<br />
vorherrscht.<br />
Die theoretische Untersuchung intertemporaler Entlohnung greift sowohl diese Ergebnisse<br />
als auch die Erkenntnisse einperiodiger Modelle auf. Die einzigen mehrperiodigen<br />
Ansätze, die grundsätzlich mit einer grenzproduktdeterminierten Entlohnung in<br />
Einkl<strong>an</strong>g stehen, sind die in der Literatur dominierende Hum<strong>an</strong>kapitaltheorie und Suchbzw.<br />
Zuordnungsmodelle. Die entscheidende Schwäche liegt hier wie auch bei den<br />
meisten folgenden Erklärungsideen in der für längerfristige Beschäftigungsverhältnisse<br />
bzw. das g<strong>an</strong>ze Berufsleben zu kurzen Wirkungsdauer, die der unterstellten Kausalstruktur<br />
für die Realität im Normalfall zugest<strong>an</strong>den werden k<strong>an</strong>n.<br />
Systematische Abweichungen der Entlohnung von der (Grenz-)Produktivität, insbesondere<br />
im Sinne eines zu steilen Verdienst-Profils, können durch eine Reihe theoretischer<br />
Modelle erklärt werden. Informationsökonomische Ansätze, die Risikoteilungsaspekte<br />
und die Agency-Probleme von "adverse selection" sowie "moral hazard" zum<br />
Gegenst<strong>an</strong>d haben, lassen sich hier ähnlich wie mehrperiodige Monopsonlösungen als<br />
Erweiterungen ihrer einperiodigen St<strong>an</strong>dardmodelle darstellen. Neben der wiederum zu<br />
kurzen Wirkungskonsistenz wird vor allen bei der Untersuchung optimaler Risikoteilung<br />
eine elementare Fehlprogrammierung deutlich. Die Zurückhaltung von Lohnbest<strong>an</strong>dteilen<br />
im Unternehmen führt, verstärkt durch die Gefahr eines Arbeitsplatzverlusts,<br />
l<strong>an</strong>gfristig zu einer Akkumulation von unsystematischem Risiko beim Arbeitnehmer,<br />
der in diesem Bereich gerade entlastet werden sollte, und erhöht gleichzeitig<br />
die Anreize zu vertragswidrigem Verhalten in Form von vorzeitigen Entlassungen<br />
durch den Arbeitgeber.<br />
Diese Probleme werden vom einzigen Erklärungs<strong>an</strong>satz, dem keine grundsätzlichen<br />
Mängel nachzuweisen sind, als Konsequenzen der Reaktion auf Eingriffe in die<br />
Verfügungsrechte am Arbeitsmarkt interpretiert. Die in der mehrperiodigen Agency-<br />
Theorie abgeleiteten steilen Lohnprofile können nur deshalb als akzeptable Instrumente<br />
<strong>an</strong>gesehen werden, weil die bestehende Rechtsordnung in praktisch allen Industrienationen<br />
effizientere Arr<strong>an</strong>gements nicht zuläßt. Kollektive Interessenvertretungen von Arbeitnehmern<br />
stehen dabei im Mittelpunkt eines Circulus vitiosus: Einerseits verschärfen<br />
sie das bei einzelnen Arbeitnehmern relativ geringe Drohpotential hinsichtlich Leis-
290 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
tungsverweigerung und Abw<strong>an</strong>derung nach einer arbeitgeberfin<strong>an</strong>zierten Ausbildung<br />
und <strong>an</strong>dererseits können sie als Agenten ihrer Mitglieder mögliche Gefährdungen der<br />
l<strong>an</strong>gfristigen fin<strong>an</strong>ziellen Ansprüche, die zudem normalerweise impliziter Natur sind,<br />
teilweise einschränken. Insgesamt bleibt ein negatives Zwischenergebnis, bei dem Effizienzverluste<br />
nicht durch Anpassungen <strong>an</strong> "naturgegebene" Restriktionen und Unvollkommenheiten,<br />
sondern <strong>an</strong> fehlgeleitete und prinzipiell durchaus veränderbare rechtliche<br />
Rahmenbedingungen verursacht sind.<br />
Verstärkt wird diese negative Einschätzung durch den Fin<strong>an</strong>zierungsmodus, der in<br />
der Realität aufgeschobenen Lohnbest<strong>an</strong>dteilen zugrundezulegen ist. Da von den Unternehmen<br />
wegen des impliziten Charakters des Arr<strong>an</strong>gements keine Kapitaldeckungen<br />
wie z. B. bei expliziten Pensionszusagen zu bilden sind, muß ähnlich wie in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung eine Umlagefin<strong>an</strong>zierung unterstellt werden. Damit wird<br />
dieses System aber in gleicher Weise von der demographischen Entwicklung negativ<br />
beeinflußt und es kommt zu einer Poolung der dadurch bedingten Gefahren während<br />
und nach dem Arbeitsleben bei denselben Personen. Daß ältere Arbeitnehmer nicht in<br />
vollem Umf<strong>an</strong>g den Ausgleich für Ihre zu geringe Entlohnung in den ersten zehn bis<br />
zw<strong>an</strong>zig Berufsjahren realisieren, läßt sich empirisch nicht nur <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der oben zitierten<br />
Ergebnisse für die ökonometrische Auswertung der Versicherungskontenstichprobe<br />
vermuten. Die überdurchschnittlich hohe und persistente Arbeitslosigkeit in den im Beschäftigungsfall<br />
"überbezahlten" Jahren vor dem Rentenbeginn, die zum Teil durch die<br />
Senioritätsentlohnung selbst bedingt ist, ergibt bereits heute eine unzumutbare Streuung<br />
der Lebensarbeitseinkommen, ohne daß genau gesagt werden könnte, ob der Erwartungswert<br />
über alle Mitglieder der letzten Vorkriegsjahrgänge bereits unter die akkumulierte<br />
Produktivität während ihres Berufslebens gefallen ist.<br />
Die Konsequenzen, die aus den Diagnosen der Arbeit gezogen werden sollten, sind<br />
zweierlei: Zum einen muß der Gesetzgeber auch aus einem in der "Eurosklerose"-<br />
Debatte bisher vernachlässigten Gesichtspunkt über eine Liberalisierung des Arbeitsrechts<br />
nachdenken. Zum <strong>an</strong>deren ist personalwirtschaftlich l<strong>an</strong>gfristig wieder eine engere<br />
Kopplung der Entlohnung <strong>an</strong> die Produktivität zu fordern, auch wenn über wenige<br />
Jahre aufgeschobene Entlohnungsbest<strong>an</strong>dteile zumindest unter den aktuellen institutionellen<br />
Rahmenbedingungen sinnvolle Arr<strong>an</strong>gements darstellen können. Je früher beides<br />
geschieht, umso eher wird es realisierbar sein, die mittlerweile unvermeidbaren Einbußen<br />
mindestens einer Arbeitnehmergeneration auf möglichst viele Kohorten zu verteilen.<br />
Daß <strong>an</strong>dernorts zumindest das zweite Desideratum bereits klar erk<strong>an</strong>nt wird, zeigt<br />
die Dissertation abschließend <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Entwicklung des jap<strong>an</strong>ischen "nenko". Wenn<br />
das berühmteste Senioritätssystem der Welt immer stärker abgebaut wird, werden auch<br />
hierzul<strong>an</strong>de die bisherigen Alters-Verdienst-Profile zur Disposition gestellt müssen,<br />
wenn m<strong>an</strong> nicht schon bald einen neuen St<strong>an</strong>dortnachteil beklagen will.<br />
Karl Niehues
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 291<br />
Mitarbeiter als Unternehmer. Erfolgsfaktoren am Beispiel eines mittelständischen<br />
Unternehmens *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Hinterhuber, Prof. Dr. Laske, beide Universität Innsbruck<br />
1. Fragestellung der Untersuchung<br />
Im Rahmen seiner Dissertation <strong>an</strong>alysiert der Verfasser unter Berücksichtigung<br />
seiner l<strong>an</strong>gjährigen praktischen Erfahrung als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit<br />
Klein- und Mittelbetrieben Ch<strong>an</strong>cen und Möglichkeiten der Beteiligung von Mitarbeitern<br />
am Unternehmen. Die Untersuchung erfolgt <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Gerätewerk Matrei Genossenschaft<br />
m.b.H. (GWM), einem Mitarbeiterunternehmen, das dadurch gekennzeichnet<br />
ist, daß das Kapital des Unternehmens in den Händen qualifizierter Mitarbeiter liegt<br />
und die Mitarbeiter als Mitunternehmer die Geschäftspolitik bestimmen.<br />
Das GWM ist als Untersuchungsobjekt deshalb interess<strong>an</strong>t, weil es seit 40 Jahren<br />
erfolgreich am Markt tätig ist und damit im Gegensatz zu <strong>an</strong>deren Mitarbeiterunternehmen<br />
nicht wirtschaftlich gescheitert ist.<br />
Da jedoch am GWM nicht sämtliche Mitarbeiter beteiligt sind, setzt sich der Verfasser<br />
eing<strong>an</strong>gs der Arbeit damit ausein<strong>an</strong>der, welche Merkmale Mitarbeiterunternehmen<br />
ausmachen. Seine Abgrenzung ergibt, daß folgende Kriterien, die sämtlich beim<br />
GWM vorliegen, für ein Mitarbeiterunternehmen entscheidend sind:<br />
- das Kapital befindet sich maßgeblich in der H<strong>an</strong>d der Mitarbeiter;<br />
- alle Mitarbeiter müssen die Möglichkeit besitzen, Beteiligter zu werden;<br />
- die Mitarbeiter müssen aufgrund ihrer Stimmrechte die Geschäftsleitung bestimmen.<br />
2. Theoretisches Konzept<br />
Mitarbeiterunternehmen erfüllen aufgrund ihrer charakteristischen Merkmale den<br />
ökonomischen Tatbest<strong>an</strong>d der Kooperative. Die Betriebswirtschaftslehre der Kooperative<br />
konzentriert sich auf die klassischen Probleme von Mitarbeiterunternehmen und<br />
zeigt deren Ursachen auf. Dagegen wurden bisl<strong>an</strong>g nur wenige praxiserprobte Konzepte<br />
zur Lösung der Probleme von Mitarbeiterunternehmen vorgestellt.<br />
Hierauf legt der Verfasser den Schwerpunkt der Arbeit, und zwar einerseits aufbauend<br />
auf die negativen wirtschaftlichen Erfahrungen vieler Mitarbeiterunternehmen.<br />
Andererseits untersucht der Verfasser detailliert die Org<strong>an</strong>isationsstrukturen des GWM,<br />
die sich in vielfältiger Weise von <strong>an</strong>deren Mitarbeiterunternehmen unterscheiden. Der<br />
Verfasser trennt die Probleme der Kooperative in das Entscheidungsproblem als zentrales<br />
Org<strong>an</strong>isationsproblem und die ökonomischen Probleme, wie Verteilungs-, Kapitalund<br />
marktwirtschaftliche Probleme.<br />
*<br />
Niehues, Karl: Mitarbeiter als Unternehmer: Erfolgsfaktoren am Beispiel eines mittelständischen<br />
Unternehmens. Fr<strong>an</strong>kfurt/M.: Campus <strong>Verlag</strong>, 1994.
292 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Das Entscheidungsproblem als wesentliches org<strong>an</strong>isatorisches Problem ergibt sich<br />
in einem Mitarbeiterunternehmen, weil die Mitarbeiter als Inhaber des Unternehmens<br />
und als Beschäftigte in derselben Unternehmung gleichzeitig die Entscheidungen treffen<br />
und die getroffenen Entscheidungen ausführen müssen. Die wichtigste Frage in einem<br />
Mitarbeiterunternehmen lautet daher, wie org<strong>an</strong>isieren die Mitglieder die betrieblichen<br />
Entscheidungsprozesse?<br />
Das Verteilungsproblem resultiert daraus, daß von den Mitgliedern unterschiedliche<br />
Leistungsbeiträge erbracht werden und bei der Ergebnisverteilung zudem die Kapitalbeiträge<br />
der Mitglieder berücksichtigt werden müssen.<br />
Kapitalprobleme entstehen dadurch, daß die Mitarbeiter als Unternehmenseigentümer<br />
in der Regel nicht über genügend Kapital verfügen, um das für das Unternehmen<br />
erforderliche Eigenkapital aufzubringen. Gleichzeitig ist aufgrund der Sonderstruktur<br />
der Unternehmung Fremdkapital von Dritten nur schwer zu erhalten.<br />
Bei den marktwirtschaftlichen Problemen geht es vor allem um die Gewinnorientierung<br />
unter Berücksichtigung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips, die Marktorientierung<br />
sowie die Unternehmensentwicklung durch Investitionen und Innovationen.<br />
Neben der detaillierten Darstellung der vorgen<strong>an</strong>nten Probleme zeigt der Verfasser<br />
theoretische wie auch in der Praxis <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dte Lösungsversuche mit ihren jeweiligen<br />
wirtschaftlichen Konsequenzen in bezug auf den Erfolg des Unternehmens auf und beschreibt<br />
den vom GWM gewählten Lösungs<strong>an</strong>satz.<br />
3. Empirische Untersuchungen<br />
Im Rahmen der empirischen Datenerhebung hat sich der Verfasser intensiv mit<br />
dem inneren Aufbau des Gerätewerkes Matrei seit der Unternehmensgründung im Jahre<br />
1948 befaßt. Die ökonomische Entwicklung wird <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d einer ausführlichen Analyse<br />
sämtlicher Bil<strong>an</strong>zen aufgezeigt. Die Untersuchung des Charakters eines Mitarbeiterunternehmens<br />
erfolgt im Rahmen der Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit den Protokollen der Hauptversammlungen,<br />
der Vorst<strong>an</strong>ds- und Aufsichtsratssitzungen, von Tagungen etc. sowie<br />
mit Org<strong>an</strong>isationsunterlagen.<br />
Anh<strong>an</strong>d der Analyse der Mitgliederstruktur der Genossenschaft und der Entwicklung<br />
der Zahlenverhältnisse von Mitarbeitern und am Unternehmen beteiligten Genossen<br />
untersucht der Verfasser, ob das GWM trotz wirtschaftlicher Erfolge den Charakter<br />
eines Mitarbeiterunternehmens nicht eingebüßt hat.<br />
4. Ergebnisse der Untersuchung<br />
Wesentlicher Lösungs<strong>an</strong>satz für das Entscheidungsproblem als zentrales Org<strong>an</strong>isationsproblem<br />
in einem Mitarbeiterunternehmen ist die indirekte Beteiligung der Mitarbeiter<br />
<strong>an</strong> der Geschäftsführung. Diese wird beim Gerätewerk Matrei praktiziert, indem<br />
die beteiligten Mitarbeiter den Vorsitzenden der Genossenschaft, der zugleich Geschäftsführungsbefugnis<br />
besitzt, wählen. Die Unternehmensführung wiederum muß<br />
aufgrund der Möglichkeit der Abwahl die Mitunternehmer durch wirtschaftlichen Erfolg<br />
überzeugen. Die Genossen hingegen sind im Betriebsalltag in die Unternehmens-
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 293<br />
hierarchie eingebunden und können aus der Mit-Unternehmerstellung keine Mitsprache-Rechte<br />
ableiten.<br />
Zur Lösung der ökonomischen Probleme, sind folgende Maßnahmen notwendig:<br />
1. Verteilungsprobleme werden vermieden, indem die Wertschöpfung nicht nach<br />
Köpfen oder nach Bedarf, sondern entsprechend allgemeinen tarifvertraglichen<br />
Regelungen erfolgt, um so Differenzen unter den Genossen zu vermeiden. Darüber<br />
hinaus können in erfolgreichen Geschäftsjahren ggf. Sondervergütungen gewährt<br />
werden.<br />
2. Kapitalengpässen k<strong>an</strong>n durch Stehenlassen von Gewinnen zum Aufbau notwendigen<br />
Eigenkapitals entgegengewirkt werden. Damit es nicht zu großzügigen Entnahmen<br />
kommt, ist den Mitgliedern durch Information Verständnis für die betriebswirtschaftlichen<br />
Zusammenhänge zu vermitteln.<br />
3. Die marktwirtschaftlichen Probleme können nur gelöst werden, wenn Mitarbeiterunternehmen<br />
- ebenso wie <strong>an</strong>dere kapitalistische Unternehmen - den Gewinn als<br />
Maßstab ihres Erfolges betrachten.<br />
4. Der Verfasser macht darüber hinaus deutlich, daß aufgrund der Erfahrungen beim<br />
GWM für eine erfolgreiche Lösung der Probleme ergänzende Maßnahmen notwendig<br />
sind:<br />
- Mitgliederstruktur, d.h., entscheidend ist die Zusammensetzung und Qualifikation<br />
der Unternehmensmitglieder;<br />
- Unternehmenskultur, d.h. gemeinsame Wertorientierungen (Genossenschaftsgeist)<br />
der Mitglieder;<br />
- kooperativer Führungsstil, d.h. Einbeziehung der Mitglieder in die Unternehmensführung;<br />
- Unternehmens-Controlling, d.h. Kontrolle und Information der Entscheidenden<br />
sowie der Ausführenden durch Budgetvereinbarungen und ein entsprechendes<br />
Berichtswesen.<br />
5. Weiterführende Fragen<br />
Unter Berücksichtigung dieser Lösungs<strong>an</strong>sätze k<strong>an</strong>n nach den Untersuchungen des<br />
Verfassers das Mitarbeiterunternehmen in Anbetracht des gesellschaftlichen Wertew<strong>an</strong>dels,<br />
des technischen Fortschrittes und <strong>an</strong>derer aktueller Faktoren eine<br />
ernstzunehmende Vari<strong>an</strong>te zum klassischen pluralistischen Unternehmen, mit<br />
Gesellschaftern auf der einen und Mitarbeitern auf der <strong>an</strong>deren Seite, sein. Der<br />
Verfasser stellt Möglichkeiten der Gründung von Mitarbeiterunternehmen vor, wobei<br />
die Übertragbarkeit des Modells GWM gesondert untersucht wird.<br />
7. Führung / Verhalten in Org<strong>an</strong>isationen<br />
Erich Limpens
294 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Leistungsorientierte Differenzierung von Führungskräften. Probleme<br />
- Bedingungen - Wirkungen *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Winfried Hamel, Lehrstuhl für Unternehmensführung der<br />
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
Problemstellung<br />
Das Geschick eines Unternehmens hängt maßgeblich von einem leistungsstarken<br />
M<strong>an</strong>agement bzw. von leistungsfähigen Führungskräften ab, die in der Lage sind, ausgerichtet<br />
am ökonomischen Prinzip unter Beachtung der marktspezifischen Rahmenbedingungen<br />
sinnvolle Faktorkombinationen herbeizuführen. Insbesondere vor dem Hintergrund<br />
der derzeitigen wirtschaftlichen Situation finden "Schönwetterm<strong>an</strong>ager" keinerlei<br />
Berechtigung, so daß sich nahezu flächendeckend der Ruf nach innovativen Krisenm<strong>an</strong>agern<br />
erhärtet, bei denen die Vokabel Leistung zum zentralen Begriff av<strong>an</strong>ciert<br />
ist.<br />
Trotz des sowohl in der Literatur als auch in der Praxis als unzweifelhaft diagnostizierten<br />
Kausalzusammenh<strong>an</strong>gs zwischen Führungskräfteleistung und Unternehmenserfolg<br />
wurde bisl<strong>an</strong>g der Arbeitsleistung dispositiv tätiger Personen wenig Aufmerksamkeit<br />
geschenkt, da bis dato weder eine hinreichende Anzahl theoretisch fundierter<br />
Konzepte noch praxisrelev<strong>an</strong>ter Erfahrungen in Hinblick auf die Leistungsbeeinflussung<br />
von M<strong>an</strong>agern vorliegen. Speziell das Konstrukt einer durchgängigen leistungsbezogenen<br />
Entlohnung, das durch eine konsequente leistungsorientierte Differenzierung<br />
der Arbeitsleistung erbringenden Führungskräfte zum Ausdruck kommt, f<strong>an</strong>d bisher nur<br />
rudimentär Ankl<strong>an</strong>g. Diese Tatsache mag sicherlich seine Ursache in den erheblichen<br />
Problemen der im Rahmen einer leistungsorientierten Differenzierung notwendigen<br />
Leistungserfassung der Führungskräftetätigkeit begründen. Diese Schwierigkeiten dürfen<br />
aber nicht zum Anlaß genommen werden, der leistungsorientierten Führungskräftedifferenzierung<br />
den Rücken zuzuwenden und weiterhin der vielerorts praktizierten hierarchischen-,<br />
alters-, betriebszugehörigkeits- oder arbeitsmarktspezifischen Führungskräftedifferenzierung<br />
zu frönen, da derartige leistungsdesorientierte Differenzierungsstrukturen<br />
eine leistungsfördernde Signalwirkung in Frage stellen.<br />
Somit wird mit der vorgenommenen Untersuchung das Ziel verfolgt, über die leistungsm<strong>an</strong>ipulierende<br />
Wirkung und ggf. weiteren Wirkungen einer unternehmensseitig<br />
implementierten generalisierten leistungsorientierten Differenzierung bzw. Klassifizierung<br />
von Führungskräften zu reflektieren. Diesbezüglich bleibt auf theoretischer Ebene<br />
zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen diese Wirkungen mit welchem Erfolg realisiert<br />
werden können. Dazu bedarf es sowohl einer Registratur des Leistungserfassungssowie<br />
Differenzierungsinstrumentariums, der relev<strong>an</strong>ten Leistungsindikatoren und der<br />
sich in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g ergebenden Prämissen als auch einer unter Beachtung<br />
*<br />
Erich Limpens, Leistungsorientierte Differenzierung von Führungs-kräften, Probleme - Bedingungen<br />
- Wirkungen, Diss., Wirtschaftsverlag Bachem, Köln, 1994.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 295<br />
der betriebswirtschaftlichen Effizienzerfordernisse stattfindenden Praktikabilitätskontrolle.<br />
Mit Hilfe dieser Untersuchung sollen gemäß den Erfordernissen der wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Forschung sowohl theoretische als auch pragmatische Zielsetzungen<br />
verfolgt werden. Die in dieser Abh<strong>an</strong>dlung aus der Registratur, Charakterisierung, Illustration<br />
sowie Rezension von Problemstellungen gewonnenen Erkenntnisse wären in<br />
einem weiteren, dieser Arbeit folgenden Schritt hinsichtlich ihrer Validität auf empirischem<br />
Wege zu prüfen.<br />
Die terminologische Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem Begriff "Führungskraft" zeitigt<br />
aufgrund vielfältiger Synonyma ein wenig eindeutiges Bild. Somit ist primär eine funktional/hierarische<br />
Spezifikation unabdingbar, die zu einer konkreten Führungskräftebeschreibung<br />
führt. Demgemäß sind Führungskräfte mit Regulierungs-, Kontroll-, Motivations-,<br />
Direktions, Repräsentations-, Koordinations-, Innovations- und Pl<strong>an</strong>ungsaufgaben<br />
betraut, zu deren Erfüllung sie sich der Kommunikation und Entscheidung bedienen.<br />
Diese Funktionen werden sowohl von leitenden Angestellten (Middle-<br />
M<strong>an</strong>agement) als auch von Geschäftsführern oder Vorst<strong>an</strong>dsmitgliedern (Top-M<strong>an</strong>agement)<br />
wahrgenommen, die innerhalb der Abh<strong>an</strong>dlung eine Fokussierung erfahren<br />
und sich einer weiteren rechtlichen als auch soziologischen Spezifikation unterziehen.<br />
Untersuchungsergebnisse<br />
Zur Erfüllung der mit Hilfe der leistungsorientierten Führungskräftedifferenzierung<br />
<strong>an</strong>gestrebten Sachziele, die in einem Zieltri<strong>an</strong>gulum abgebildet werden können<br />
und sich aus Individualzielen (Leistungskonservierung, Gerechtigkeitswahrung, Leistungskontrolle,<br />
Potentialänderung), Kollektivzielen (Konfliktreduktion, Kollegialität)<br />
und Ökonomiezielen (Leistungsm<strong>an</strong>ipulation, Flexibilisierung, Synergiewirkung, Imagebeeinflussung,<br />
Pl<strong>an</strong>ungserleichterung) zusammensetzen, bedarf es eines methodisch<br />
praktikablen Instrumentariums, das von Seiten der Betroffenen <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt und wirtschaftlich<br />
vertretbar ist.<br />
Das notwendige Instrumentarium fußt einerseits auf einer verfahrenstechnischen<br />
Struktur hinsichtlich der Leistungserfassung und der Differenzierung; <strong>an</strong>dererseits sind<br />
spezielle Leistungsindikatoren von Nöten, die sich auf das Aufgabenspektrum von Führungskräften<br />
beziehen.<br />
Bezüglich der Leistungserfassung hat sich die bereits seit l<strong>an</strong>gem bek<strong>an</strong>nte <strong>an</strong>alytische<br />
Skalierung gekoppelt mit einem Stufensystem als sinnvoll herausgestellt. Als<br />
kompetente Beurteilungssubjekte zur zweckmäßigerweise jährlichen Beurteilung eignen<br />
sich in Hinblick auf das Middle- und Top-M<strong>an</strong>agement insbesondere Vorgesetzte<br />
in Verbindung mit Untergebenen.<br />
Als Leistungsindikatoren kommen sowohl inputorientierte Leistungsmerkmale -<br />
Anforderungsmerkmale und Individualmerkmale - als auch outputorienterte Leistungsmerkmale<br />
- Funktionalmerkmale und Globalmerkmale - in Frage. Anforderungsmerkmale<br />
resultieren aus der Arbeitsschwierigkeit der Führungskräftestelle und implizieren<br />
die zur herkömmlichen Bewältigung der Anforderungen notwendige Normalleistung;<br />
Individualmerkmale hingegen determinieren eine personenorientierte führungsspezifische<br />
Input-Leistung, die über die Normalleistung hinausragt und auf die Persönlichkeit
296 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
und das Arbeitsverhalten abzielt. Funktionalmerkmale fokussieren das aus den jeweils<br />
einzelnen Generalfunktionen resultierende führungsorientierte Arbeitsergebnis bzw.<br />
Funktionsergebnis; im Gegensatz dazu konkretisieren Globalmerkmale das aus dem<br />
Funktionenkonglomerat sich ergebende globale Arbeitsergebnis von dispositiv Tätigen.<br />
Im Rahmen der Fundierung der unternehmensspezifischen Leistungsindikatorenkomposition<br />
ist jedoch darauf zu achten, daß hinsichtlich der Beurteilungsobjekte sowohl inhaltliche,<br />
qu<strong>an</strong>titative, temporale sowie informatorische Erfordernisse erfüllt sind und<br />
eine wirklichkeitsgetreue Ponderabilisierungsstruktur als Bewertungsgrundlage dient.<br />
Bezüglich der Differenzierung, die als Generierung heterogener Formen aus ursprünglich<br />
homogenen Strukturen zu definieren ist, k<strong>an</strong>n aus verfahrenstechnischer<br />
Sicht zwischen einer fundamentalen (absolut/relativ), formalen (monetär/nicht monetär)<br />
und frequentiären (einmalig/mehrmalig bzw. stochastisch/regelmäßig) Dimensionierung<br />
unterschieden werden. Diesbezüglich scheint gemäß der theoretischen Diskussion eine<br />
regelmäßige relative Differenzierung sowohl auf monetärer als auch nicht monetärer<br />
Basis sinnvoll; in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g ist jedoch festzustellen, daß die Differenzierung<br />
einiger nicht-monetärer Entgeltformen insbesondere aufgrund der eingeschränkten<br />
Revidierbarkeit im Falle der Leistungsreduktion als inpraktikabel zu kennzeichnen sind.<br />
Vielfach werden leistungsorientierte Differenzierungsstrukturen von den Führungskräften,<br />
die sich in der Rolle des aktiven Beurteilers befinden, als lästige Pflicht<br />
empfunden. Die passiv betroffenen Beurteilungsobjekte scheinen im Wege der regelmäßig<br />
vorgenommenen Beurteilungen in ihren persönlichen Freiräumen beschnitten<br />
und haben auf liebgewonnene Besitzstände zu verzichten. Die aus den Beurteilungsergebnissen<br />
resultierenden Entgelte sorgen nur sol<strong>an</strong>ge für Zufriedenheit, sol<strong>an</strong>ge sie<br />
tr<strong>an</strong>sparent sind und dem Wertsystem jedes einzelnen entsprechen; diese Bedingung ist<br />
l<strong>an</strong>gfristig nur schwer erfüllbar - das Cafeteria-System scheint ein praktikabler Ausweg.<br />
Aus ökonomischer Warte sind im Rahmen der Differenzierungsimplementierung<br />
neben einer generellen Anhebung der absoluten Entgeltdimensionen zusätzliche Integrationskosten<br />
sowie regelmäßig <strong>an</strong>fallende Aktions- und Kultivationskosten zu kalkulieren,<br />
die im Einzelfall variieren.<br />
Weiterführende Fragen<br />
Metaperspektivisch wird die Effizienz der leistungsorientierten Führungskräftedifferenzierung<br />
von internen und externen Determin<strong>an</strong>ten beeinflußt. Zu den internen Determin<strong>an</strong>ten<br />
sind sowohl org<strong>an</strong>isationsimm<strong>an</strong>ente Spezifika (Org<strong>an</strong>isationsstruktur, Org<strong>an</strong>isationskultur<br />
etc.) als auch Betroffenen-Spezifika (Einflußpotential der Initiatoren,<br />
Professionalität der Beurteilungssubjekte etc.) zu subsumieren; externe Determin<strong>an</strong>ten<br />
werden durch das kulturelle, wirtschaftliche und rechtliche Umfeld repräsentiert. Trotz<br />
der Kenntnis dieser Determin<strong>an</strong>ten und ihrer jeweiligen Einzelwirkungen konnte eine<br />
Untersuchung des sich aufsp<strong>an</strong>nenden Wirkungsnetzes bisl<strong>an</strong>g nicht vorgenommen<br />
werden.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 297<br />
Klaus Niedl<br />
Mobbing/Bullying am Arbeitsplatz. Eine empirische Analyse zum<br />
Phänomen sowie zu personalwirtschaftlich relev<strong>an</strong>ten Effekten von<br />
systematischen Feindseligkeiten *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Prof. Dr. Helmut Kasper, beide Wirtschaftsuniversität<br />
Wien<br />
In den letzten drei Jahren k<strong>an</strong>n im deutschen Sprachraum die verstärkte Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />
mit einer Thematik festgestellt werden, die unter dem Begriff "Mobbing"<br />
(engl. bullying) geführt wird. Mobbing steht für ein Phänomen, das wiederkehrende<br />
Feindseligkeiten (z.B. Schlechtbeh<strong>an</strong>dlung, Schik<strong>an</strong>e, Entwertung) am Arbeitsplatz gegen<br />
Bechäftigte auf allen Hierarchieebenen zum Ausdruck bringen soll. Diese betrieblichen<br />
Störfaktoren sind PraktikerInnen und WissenschafterInnen seit l<strong>an</strong>gem bek<strong>an</strong>nt,<br />
wurden jedoch in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bisl<strong>an</strong>g nur am<br />
R<strong>an</strong>de beh<strong>an</strong>delt. In der vorliegenden Dissertation werden unter Mobbing H<strong>an</strong>dlungen<br />
einer Gruppe oder eines Individuums verst<strong>an</strong>den, denen von einer Person, die diese<br />
H<strong>an</strong>dlungen als gegen sie gerichtet wahrnimmt, ein feindseliger, demütigender oder<br />
einschüchternder Charakter zugeschrieben wird. Die H<strong>an</strong>dlungen müssen häufig auftreten<br />
und über einen längeren Zeitraum <strong>an</strong>dauern. Die betroffene Person muß sich zudem<br />
aufgrund wahrgenommener sozialer, ökonomischer, physischer oder psychischer Charakteristika<br />
außerst<strong>an</strong>de sehen, sich zu wehren oder dieser Situation zu entkommen.<br />
Brodsky markiert bereits 1976 in den USA mit seiner Arbeit "The Harassed Worker"<br />
den Beginn der Mobbingdiskussion, ohne dabei den Begriff "Mobbing" zu verwenden.<br />
In weiterer Folge tragen im Laufe der achtziger Jahre norwegische, schwedische<br />
und finnische WissenschafterInnen mit ihren Forschungsarbeiten zu einer breiten<br />
medialen Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem Thema bei. Durch das geweckte öffentliche Interesse<br />
wird Forschungsförderung möglich, die sich in einer Vielzahl empirischer Arbeiten<br />
in diesem Raum m<strong>an</strong>ifestiert. Im Gegensatz dazu können erste wissenschaftliche<br />
Abh<strong>an</strong>dlungen im deutschen Sprachraum erst seit 1992 festgestellt werden; diese beschränken<br />
sich vorwiegend auf die Rezeption sk<strong>an</strong>dinavischer Ergebnisse.<br />
Aufgrund des diagnostizierten Forschungsdefizites für den deutschen Sprachraum<br />
werden in der Dissertation die folgenden drei Bereiche beh<strong>an</strong>delt:<br />
Zum einen wird der Frage nachgeg<strong>an</strong>gen, welche personalwirtschaftlich relev<strong>an</strong>ten<br />
Aussagen auf Basis der bisl<strong>an</strong>g durchgeführten empirischen Arbeiten zu Mobbing getätigt<br />
werden können. In diesem Abschnitt wird in Form einer Literatur<strong>an</strong>alyse eine<br />
Übersicht über den St<strong>an</strong>d der empirischen Forschung gegeben. Die Ergebnisse ver<strong>an</strong>schaulichen,<br />
daß die Thematik Mobbing seit mehr als 10 Jahren vor allem von der<br />
*<br />
Klaus Niedl (1995): Mobbing/Bullying am Arbeitsplatz, Personalwirtschaftliche Schriften<br />
(Hrsg.: Eckardstein, D. v./Neuberger, O.), B<strong>an</strong>d 4, München und Mering: <strong>Hampp</strong>, 304 S.,<br />
DM 49.80.
298 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
sk<strong>an</strong>dinavischen Wissenschaft - vorwiegend aus dem Fachgebiet der Arbeits- und Org<strong>an</strong>sationspsychologie<br />
- beh<strong>an</strong>delt wird. Während die theoretische Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />
nur in Ansätzen erfolgt, ist die empirische Forschung ausgeprägt. Diese stellt das Individuum<br />
in den Mittelpunkt der Betrachtung und konzentriert sich auf Ursachen und pathogene<br />
Konsequenzen von Mobbing; eine personalwirtschaftliche Perspektive wird<br />
nur in Ausnahmefällen gewählt. Die dabei verwendeten Methoden sind zumeist qu<strong>an</strong>titative<br />
Verfahren, welche das Phänomen nur mit Unschärfen erfassen können.<br />
Die Ergebnisse in bezug auf die Verbreitung von Mobbing weisen trotz deutlicher<br />
Methodenprobleme darauf hin, daß Mobbing nicht als org<strong>an</strong>isationales R<strong>an</strong>dphänomen<br />
qualifiziert werden k<strong>an</strong>n. Die dabei zu einem bestimmten Prozeßzeitpunkt auftretenden<br />
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen können tiefgreifend sein. Zusammenh<strong>an</strong>gs<strong>an</strong>alysen<br />
in bezug auf soziodemographische Merkmale sowie Ergebnisse<br />
in bezug auf die wenigen erfaßten personalwirtschaftlichen Effekte zeigen Inkonsistenzen.<br />
Im zweiten Abschnitt der Arbeit werden aufgrund der bisl<strong>an</strong>g fehlenden empirischen<br />
Forschung im deutschen Sprachraum und des damit verbundenen Fehlens von<br />
Aussagen über grundlegende Strukturen des Phänomens zwei empirische Untersuchungen<br />
in einem österreichischen Privatunternehmen (n=63) und in einer österreichischen<br />
Kr<strong>an</strong>ken<strong>an</strong>stalt (n=368) präsentiert. Beide Erhebungen wurden als Anonymbefragung<br />
mit einer adaptierten deutschen Version des in den meisten schwedischen Untersuchungen<br />
verwendeten LIPT-Fragebogens durchgeführt. Ergänzt wird diese Version um die<br />
fünf Skalen psychischer Befindensbeeinträchtigung nach Mohr, die eine Bewertung der<br />
Befindensbeeinträchtigung erlauben.<br />
Die Ergebnisse zeigen für die beiden untersuchten Org<strong>an</strong>isationen ein im Vergleich<br />
zu Schweden höheres Ausmaß der Mobbingbetroffenheit. Unabhängig von der<br />
Klassifikation "gemobbt/nicht gemobbt" erlebt in beiden Org<strong>an</strong>isationen ein nicht unwesentlicher<br />
Anteil der Beschäftigten Feindseligkeiten, die sich als l<strong>an</strong>g<strong>an</strong>dauerndes<br />
und häufiges Auftreten mehrerer H<strong>an</strong>dlungen darstellen. Eine Analyse des Zusammenh<strong>an</strong>ges<br />
zwischen der erlebten Häufigkeit von Mobbingh<strong>an</strong>dlungen - differenziert nach<br />
H<strong>an</strong>dlungsdimensionen - und der Stärke psychischer Befindensbeeinträchtigungen ergibt<br />
in der Mehrzahl der Fälle eine signifik<strong>an</strong>t positive Beziehung. Je häufiger Mobbingh<strong>an</strong>dlungen<br />
in den einzelnen Dimensionen auftreten, desto stärker gestaltet sich der<br />
Grad der Befindensbeeinträchtigung.<br />
Aufgrund der bisl<strong>an</strong>g weitgehend fehlenden personalwirtschaftlichen Betrachtung<br />
des Mobbinggeschehens wird im dritten Abschnitt der Arbeit die Frage gestellt, welche<br />
personalwirtschaftlich relev<strong>an</strong>ten Effekte mit Mobbing verbunden sein können. Zu diesem<br />
Zweck wird eine Explorativstudie mit 10 gemobbten Personen durchgeführt, deren<br />
psychische/psychosomatische Folgen des Mobbingprozesses in einer deutschen Spezialklinik<br />
beh<strong>an</strong>delt wurden. Zur Exploration der individuellen Belastungssituation im<br />
betrieblichen und privaten Bereich wird das Computerdiagnostikum CEPAR verwendet.<br />
Die individuellen Fallstudien werden mittels problemzentrierter Interviews erhoben.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 299<br />
Die theoretische Basis dieser Untersuchung bilden streßtheoretische Ansätze (tr<strong>an</strong>saktionales<br />
Streßkonzept). Im speziellen findet der Person-Environment-Fit Ansatz<br />
nach French/Cobb/Rodgers Anwendung, der als passungstheoretischer Ansatz Streß auf<br />
die m<strong>an</strong>gelnde Kongruenz zwischen den Eigenschaften/Bedürfnissen einer Person und<br />
den Eigenschaften/Anforderungen ihrer Umwelt zurückführt. Um die von den Prob<strong>an</strong>dInnen<br />
in der Exploration gen<strong>an</strong>nten Verhaltensänderungen zu strukturieren, wird auf<br />
das EVLN-Modell nach Withey/Cooper zurückgegriffen. Dieses Modell schlägt eine<br />
Klassifikation von Reaktionen auf unbefriedigende Arbeitsplatzsituationen vor.<br />
Die explorierte Population zeichnet sich zum Zeitpunkt der Untersuchung durch<br />
deutliche Beeinträchtigungen des psychischen Befindens (z.B. Depressivität) und hinsichtlich<br />
physischer/psychosomatischer Beschwerden (z.B. beeinträchtigtes Allgemeinbefinden)<br />
aus. Damit direkt verbunden sind personalwirtschaftliche Effekte verschiedener<br />
Art (z.B. Absentismus). Weiters wird deutlich, daß bei jedem Mobbingfall von z.T.<br />
sehr unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen ausgeg<strong>an</strong>gen werden muß, die<br />
zur bewußten oder unbewußten Reaktionswahl auf die unbefriedigende Situation führen.<br />
Eine Prozeßbetrachtung ergibt, daß alle Prob<strong>an</strong>dInnen mit einer als im Sinne der<br />
Personalwirtschaft konstruktiv zu bezeichnenden Reaktion (z.B. Verbesserung der Situation,<br />
loyales Verhalten gegenüber dem Unternehmen) ihre Situation verändern wollen<br />
und zu Prozeßende mit destruktiven Formen (z.B. innere Kündigung, Kündigung) reagieren.<br />
Dies widerspricht den derzeit vorherrschenden Thesen, die von unmittelbar destruktiven<br />
Reaktionsformen im Mobbingfall ausgehen. Die Explorativstudie belegt die<br />
Bedeutung einer Prozeßbetrachtung bei künftigen Forschungen.<br />
In weiteren Forschungsarbeiten sollte vor allem eine Konzentration auf die Abgrenzungsproblematik<br />
erfolgen. Eine Weiterführung der Mobbingforschung hinsichtlich<br />
der individuellen/org<strong>an</strong>isationalen Effekte und Ursachen für Mobbing scheint erst<br />
vor dem Hintergrund einer präzisen Definition sinnvoll zu sein. Im Vordergrund sollte<br />
dabei die Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit der asymmetrischen Situation stehen, in der sich die<br />
Betroffenen befinden. Damit verbunden ist eine Weiterentwicklung der Methodik zur<br />
Erfassung von Mobbing. Aufgrund der z.T. sehr individuellen und situativen Elemente<br />
eines jeden Mobbingsprozesses gestaltet sich die Abstraktion als schwierig. Prozeßorientierte<br />
Verfahren, welche auch die individuelle Wahrnehmung von H<strong>an</strong>dlungen als<br />
feindselig prüfen, sollten dabei betont werden. Weiters fehlt eine fundierte theoretische<br />
Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit Mobbing. Vor allem systemische Ansätze, welche die Interaktivität<br />
der beteiligten Personen sowie Systemfunktionen betonen, scheinen gegenüber<br />
linearen Ansätzen (z.B. Aggressionstheorien) zielführender zu sein.<br />
Peter Walgenbach
300 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Mittleres M<strong>an</strong>agement: Aufgaben - Funktionen - Arbeitsverhalten *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Alfred Kieser, Universität M<strong>an</strong>nheim<br />
1. Hintergrund und Fragestellungen der Arbeit<br />
Wer einen Blick in die gängige deutschsprachige M<strong>an</strong>agementliteratur wirft, um<br />
Informationen zum mittleren M<strong>an</strong>agement einzuholen, findet sich schnell ernüchtert:<br />
nur äußerst sparsame, oft eher spekulative Ausführungen. Aber auch in der <strong>an</strong>gloamerik<strong>an</strong>ischen<br />
M<strong>an</strong>agementliteratur findet sich nicht viel, was dem am mittleren M<strong>an</strong>agement<br />
interessierten Leser weiterhilft. So beklagen Torrington et al. nicht zu Unrecht:<br />
"... the job of the m<strong>an</strong>ager is typically described in terms of the job of the chief<br />
executive delegated in different-sized parcels to others <strong>an</strong>d therefore similar to his" und<br />
sie vermuten, daß "... the job of the chief executive is quite different from all other m<strong>an</strong>agement<br />
jobs ..." 1<br />
Vor dem Hintergrund der noch immer aktuellen Diskussion zum Konzept des Le<strong>an</strong><br />
M<strong>an</strong>agements, bei dem Positionen im mittleren M<strong>an</strong>agement abgebaut und den verbleibenden<br />
mittleren M<strong>an</strong>agern eine völlig neue Rolle - die des internen Unternehmers -<br />
zugewiesen werden soll, bedeutet ein solches Leerfeld nicht nur für die M<strong>an</strong>agementforschung,<br />
sondern auch für die betriebswirtschaftliche Praxis eine nicht g<strong>an</strong>z unproblematische<br />
Situation. Wenn nämlich nicht klar ist, was die bisherige Rolle des mittleren<br />
M<strong>an</strong>agements ist, und es ungewiß ist, ob nicht wichtige Funktionen von den mittleren<br />
M<strong>an</strong>agern übernommen werden, auf deren Erhaltung bei der Verschl<strong>an</strong>kung der Org<strong>an</strong>isation<br />
in jedem Fall geachtet werden muß, ist nicht auszuschließen, daß die mit der<br />
Verschl<strong>an</strong>kung <strong>an</strong>visierten Ziele nicht erreicht werden.<br />
Aus der skizzierten Situation leiten sich die Fragestellungen der Arbeit ab:<br />
- Wer sind die mittleren M<strong>an</strong>ager?<br />
- Wie sind die Stellen mittlerer M<strong>an</strong>ager beschaffen? Welchen Anforderungen sehen<br />
sich die mittleren M<strong>an</strong>ager gegenüber? Welche Wahlmöglichkeiten bestehen für<br />
sie in der Gestaltung ihrer Arbeit, und wodurch wird ihr H<strong>an</strong>dlungsspielraum begrenzt?<br />
- Wie gestaltet sich der Arbeitstag mittlerer M<strong>an</strong>ager, und wie versuchen mittlere<br />
M<strong>an</strong>ager, die mit ihren Stellen verbundenen Anforderungen zu bewältigen?<br />
- Welche spezifischen Funktionen kommen mittleren M<strong>an</strong>agern in Org<strong>an</strong>isationen<br />
zu?<br />
2. Theoretischer Bezugsrahmen und methodisches Vorgehen<br />
*<br />
1<br />
Wiesbaden: Gabler, 1994<br />
Torrington, D./Weightm<strong>an</strong>, J./Johns, K. 1989: Effective M<strong>an</strong>agement. People <strong>an</strong>d Org<strong>an</strong>isation.<br />
New York, S. 5.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 301<br />
Basis des theoretischen Bezugsrahmens der Arbeit sind der "Dem<strong>an</strong>ds-Constraints-<br />
Choices-Approach" von Stewart 2 und der Ansatz von Kotter 3 , der mit den Konstrukten<br />
"Agendas", "Network-Building" und "Execution: getting networks to implement agendas"<br />
das Arbeitsverhalten von M<strong>an</strong>agern zu erklären versucht. Ausgehend von der in<br />
der Literatur vorzufindenden Kritik <strong>an</strong> den gen<strong>an</strong>nten Ansätzen werden diese einerseits<br />
mitein<strong>an</strong>der verknüpft und <strong>an</strong>dererseits in umfassendere theoretische Ansätze, wie<br />
bspw. soziologische Rollenkonzepte, eingebunden sowie durch das Skriptkonzept, das<br />
Konzept der subjektiven Theorien und die Theorie der Strukturierung erweitert.<br />
In drei Unternehmen, einer Brauerei, einer Versicherung und einer Bauunternehmung,<br />
wurden jeweils zehn, insgesamt also 30 Positionen im mittleren M<strong>an</strong>agement untersucht.<br />
Mit Hilfe einer Vielzahl unterschiedlicher Erhebungsinstrumente wurden die<br />
für die Be<strong>an</strong>twortung der Forschungsfragen erforderlichen Daten gewonnen: Dokumenten<strong>an</strong>alysen,<br />
st<strong>an</strong>dardisierte Fragebogen, halbstrukturierte Interviews mit den mittleren<br />
M<strong>an</strong>agern und deren direkten Vorgesetzten. Zudem wurden 13 mittlere M<strong>an</strong>ager für<br />
zwei oder drei Tage bei der Arbeit beobachtet.<br />
3. Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung<br />
Die mittleren M<strong>an</strong>ager: Es zeigt sich durchgängig eine enge Verbindung zwischen<br />
den von den mittleren M<strong>an</strong>agern erworbenen formalen Qualifikationen und den mit ihren<br />
Stellen verbundenen Aufgaben und Ver<strong>an</strong>twortlichkeiten. Auffällig ist zudem, daß<br />
die Karrieren der mittleren M<strong>an</strong>ager regelmäßig innerhalb eines Unternehmens und dort<br />
innerhalb eines Funktionsbereichs verlaufen. Deutsche Unternehmen scheinen <strong>an</strong>ders<br />
als bspw. britische Unternehmen Spezialisten in einem eng umrissenen Fachbereich her<strong>an</strong>ziehen<br />
zu wollen.<br />
Dieses generelle Muster spiegelt sich in den subjektiven Führungstheorien der<br />
mittleren M<strong>an</strong>ager wider. So betonen die mittleren M<strong>an</strong>ager im besonderen Maße die<br />
erforderliche fachliche Qualifikation und die Notwendigkeit, "das H<strong>an</strong>dwerk von der<br />
Pike auf gelernt zu haben", um Führungsaufgaben wahrnehmen zu können.<br />
Aus ihrem umfassenden Fachwissen und nicht aus der hierarchisch übergeordneten<br />
Position beziehen die mittleren M<strong>an</strong>ager auch ihre Autorität. Sie verstehen sich gegenüber<br />
ihren Mitarbeitern mehr als Kollegen, die eine Vorbildfunktion übernehmen, und<br />
weniger als Vorgesetzte.<br />
Die Stellen der mittleren M<strong>an</strong>ager: Die zentrale und sehr allgemein gehaltene Anforderung,<br />
mit der sich die mittleren M<strong>an</strong>ager konfrontiert sehen, ist, daß sie für einen<br />
"reibungslosen Ablauf" in ihren Abteilungen sorgen müssen. "Reibungsloser Ablauf"<br />
meint dabei, nicht nur sicherstellen, daß die Aufgaben in ihren Abteilungen entsprechend<br />
den Vorgaben erfüllt werden oder daß Störungen in den Arbeitsprozessen abgef<strong>an</strong>gen<br />
werden, sondern heißt auch, daß ein gutes Arbeitsklima in der Abteilung aufge-<br />
2<br />
3<br />
Stewart, R. 1976: Contrasts in M<strong>an</strong>agement. A Study of Different Types of M<strong>an</strong>agers' Jobs.<br />
Maidenhead.<br />
Kotter, J.P. 1982: The General M<strong>an</strong>agers. New York.
302 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
baut werden muß und Konflikte zwischen Abteilungen, die sich aus divergierenden<br />
Zielsetzungen ergeben, vermieden oder selbständig, d.h. ohne Einbeziehung höherer<br />
Hierarchieebenen, gelöst werden müssen.<br />
Die Anforderungen <strong>an</strong> die mittleren M<strong>an</strong>ager werden noch dadurch erhöht, daß ihnen<br />
aus ihrer Sicht nicht genügend und/oder nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter<br />
unterstellt sind. Die mittleren M<strong>an</strong>ager sehen sich deshalb häufig mit Problemen und<br />
Arbeiten konfrontiert, die eigentlich in den Aufgabenbereich ihrer Mitarbeiter fallen.<br />
Zugleich ist der H<strong>an</strong>dlungsspielraum der mittleren M<strong>an</strong>ager durch technokratische<br />
Steuerungsinstrumente sehr begrenzt. Wahlmöglichkeiten in der Gestaltung der eigenen<br />
Arbeit bestehen lediglich in der Art und Weise, in der innerhalb von org<strong>an</strong>isatorischen<br />
Regeln die Anforderungen bewältigt werden können. Die Schlußfolgerung, die sich<br />
hieraus ziehen läßt, ist: Um internes Unternehmertum zu ermöglichen, müßten die Entscheidungskompetenzen<br />
auf den mittleren Hierarchieebenen beträchtlich ausgeweitet<br />
werden.<br />
Die mittleren M<strong>an</strong>ager und ihre Stellen: Bei der Bewältigung der Arbeits<strong>an</strong>forderungen<br />
zeigt sich das typische Aktivitätsmuster, das in früheren Studien zum Arbeitsverhalten<br />
von M<strong>an</strong>agern beschrieben wurde. Auch der Arbeitsalltag der mittleren M<strong>an</strong>ager<br />
ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten gekennzeichnet, die regelmäßig<br />
von kurzer Dauer sind. Allerdings lassen sich eindeutige Verknüpfungen zwischen<br />
den einzelnen Arbeitsaktivitäten erkennen. Den Arbeitsalltag von M<strong>an</strong>agern als<br />
fragmentiert zu bezeichnen, wie bspw. Mintzberg es tut, 4 erscheint deshalb nicht gerechtfertigt.<br />
Vielmehr zeigen sich bei einer prozessualen und inhaltlichen Analyse der<br />
Arbeitsaktivitäten zusammenhängende H<strong>an</strong>dlungsströme. Unter Einsatz unterschiedlicher<br />
sozialer Taktiken versuchen die mittleren M<strong>an</strong>ager, die <strong>an</strong> sie gestellten Anforderungen<br />
zu bewältigen.<br />
Funktionen, die von mittleren M<strong>an</strong>agern in Unternehmen übernommen werden:<br />
Einige wichtige Funktionen, die von mittleren M<strong>an</strong>agern in Unternehmen übernommen<br />
werden, konnten identifiziert werden. Dazu gehören die Funktionen des Wissensträgers<br />
und des Wissensvermittlers. Die mittleren M<strong>an</strong>ager haben ein umf<strong>an</strong>greiches org<strong>an</strong>isationsspezifisches<br />
Erfahrungswissen aufgebaut. Sie kennen die Wege zur Lösung von<br />
Problemen bei der Arbeitsbewältigung noch im Detail. Sie sind Träger jenes org<strong>an</strong>isationalen<br />
Wissens, das nicht in formalisierter Form vorliegt. Die Weitergabe dieses Wissens<br />
ist eine wichtige Aufgabe, die den mittleren M<strong>an</strong>agern zukommt.<br />
Neben den Funktionen des Wissensträgers und Wissensvermittlers werden von den<br />
mittleren M<strong>an</strong>agern auch wichtige Pufferfunktionen übernommen. Zentral ist neben der<br />
sozialen Pufferfunktion, die der Abfederung von Konflikten aufgrund divergierender<br />
Abteilungsinteressen oder der Schlichtung von Konflikten zwischen Mitarbeitern in der<br />
Abteilung dient, die fachliche Pufferfunktion. Die mittleren M<strong>an</strong>ager müssen Störungen<br />
in den Arbeitsprozessen, die bspw. durch individuelle Fehler der Mitarbeiter entstehen,<br />
beheben, um einen reibungslosen Arbeitsablauf sicherzustellen.<br />
4<br />
Mintzberg, H. 1973: The Nature of M<strong>an</strong>agerial Work. New York.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 303<br />
Zudem sind die mittleren M<strong>an</strong>ager ein Ressourcenpolster für org<strong>an</strong>isatorischen<br />
W<strong>an</strong>del. Sie sind es, die neben den eigentlichen abteilungsbezogenen Aufgaben solche<br />
Arbeiten wie die Integration des Rechnungswesen einer akquirierten Unternehmung in<br />
das bestehende System des eigenen Unternehmens oder die Entwicklung und Umsetzung<br />
umf<strong>an</strong>greicher EDV-Projekte übernehmen.<br />
8. Besondere Beschäftigtengruppen<br />
Wolfg<strong>an</strong>g Hoefle<br />
Betriebliche Beurteilung der Produktivität älterer Arbeitnehmer<br />
und personalwirtschaftliche Maßnahmen<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dudo von Eckardstein, Prof. Dr. Anton Am<strong>an</strong>n, Wirtschaftsuniversität<br />
Wien<br />
Die vorliegende Arbeit beschreibt die Situation älterer Arbeitnehmer und die Einschätzung<br />
ihrer Produktivität, mit der in Betrieben zentrale Personalentscheidungen zusammenhängen<br />
und mit der im politischen Diskurs Maßnahmen begründet werden.<br />
Die Arbeit beginnt mit einigen "Einleitenden Bemerkungen" und Hinweisen zu deren<br />
Aufbau (erstes Kapitel). Dieser Teil der Arbeit soll ein klärender Beitrag zu einer<br />
Diskussion sein, in der die "Scheinheiligkeit" der Argumente zugunsten der älteren Arbeitnehmer<br />
Best<strong>an</strong>dteil der Argumentation ist.<br />
Im zweiten Kapitel "Definition der Grundbegriffe" werden die Begriffe "Arbeitnehmer",<br />
"älterer" und insbesondere "Arbeitsproduktivität" erörtert. In bezug auf die<br />
Arbeitsproduktivität wird auf die Schwierigkeit eingeg<strong>an</strong>gen, geeignete Indikatoren für<br />
diese zu bestimmen.<br />
Die Darstellung von "Theoretischen Ansätzen" im dritten Kapitel beschränkt sich<br />
darauf, den "psychogerontologischen Ansatz", das "gesellschaftlich-ökonomische Modell<br />
des Alters" und das "politisch-ökonomische Modell des Alters" kurz zu erläutern<br />
und unterein<strong>an</strong>der zu vergleichen.<br />
Das vierte Kapitel ("Exkurs: Arbeitsmarkt") stellt zunächst allgemeine Zusammenhänge<br />
zwischen der Arbeitsmarktsituation und der Situation von älteren<br />
Arbeitskräften her. D<strong>an</strong>ach wird auf die spezifische Situation in Österreich<br />
eingeg<strong>an</strong>gen. Das fünfte Kapitel bildet den Hauptteil der Arbeit. Die Arbeitsproduktivität älterer<br />
Arbeitnehmer wird aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf vier Ebenen beurteilt:<br />
Auf der ersten Ebene erfolgt eine Globalbeurteilung der Leistungsfähigkeit und<br />
Leistungsbereitschaft älterer Arbeitnehmer. Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um eine Literatur<strong>an</strong>alyse<br />
zu den Themen körperliche, geistige und berufliche Leistungsfähigkeit sowie Leistungsbereitschaft<br />
und Arbeitszufriedenheit älterer Arbeitnehmer.
304 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Auf der zweiten Ebene werden Einzelkriterien zur Beurteilung der Stärken/Vorteile<br />
beziehungsweise Schwächen/Nachteile der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer<br />
beh<strong>an</strong>delt. Hier werden einschlägige Forschungsergebnisse zusammengefaßt<br />
und eigene Überlegungen <strong>an</strong>gestellt. Es wurde der Versuch einer "qualitativen Zusammenstellung"<br />
von Argumenten zu Einzelaspekten der Arbeitsproduktivität (zum Beispiel:<br />
Erfahrung, M<strong>an</strong>agementfertigkeiten, Fluktuation, Personalkosten, Mobilität, Senioritätsprinzip,<br />
und so weiter) <strong>an</strong>gestellt.<br />
Auf der dritten Ebene erfolgt eine Zusammenfassung von wichtigen Aspekten der<br />
Meta-Analysen zur Produktivität älterer Arbeitnehmer in den USA. In den zwei dargestellten<br />
Meta-Analysen wurden die Ergebnisse von insgesamt 78 Studien mit 133 Stichproben<br />
beh<strong>an</strong>delt.<br />
Auf der vierten Ebene werden die Ergebnisse der selbst durchgeführten Betriebsfallstudien<br />
dargelegt. Es wurden fünf österreichische Unternehmen untersucht; vier davon<br />
können der Textil- beziehungsweise Bekleidungsindustrie und ein Unternehmen<br />
der metallverarbeitenden Industrie zugeordnet werden.<br />
In den Unternehmen wurden jeweils nicht die gesamte, sondern nur jener Teil der<br />
Belegschaft untersucht, für den in bezug auf die Arbeitsproduktivität geeignete Indikatoren<br />
bestimmt werden konnten. Insgesamt umfassen die fünf Fallstudien 621 Mitarbeiter.<br />
Untersucht wurden unter <strong>an</strong>derem die Altersstruktur, altersspezifische Unterschiede<br />
in bezug auf Fehl- beziehungsweise Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dstage, Mitarbeiterbeurteilungen und<br />
Brutto-Löhne. Es sollte weiters festgestellt werden, ob <strong>an</strong>dere Variablen (als das Lebensalter)<br />
die Arbeitsproduktivität besser prognostizieren können. Als Untersuchungsmethoden<br />
wurden folgende statistische Verfahren her<strong>an</strong>gezogen: Mittelwertberechnungen,<br />
Korrelationsberechnungen, einfache Regressions- und Vari<strong>an</strong>z<strong>an</strong>alysen.<br />
Die Ergebnisse lassen sich zu einem großen Teil in bereits vorliegende Forschungsbefunde<br />
einfügen, wie zum Beispiel: Die Anzahl der Fehl- beziehungsweise<br />
Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>dstage, "objektive" Leistungskriterien und die Brutto-Personalkosten korrelieren<br />
bis auf wenige Ausnahmen überhaupt nicht mit dem chronologischen Alter. Arbeitsplatzspezifische<br />
Erfahrung sagt hier oft mehr aus. Teilweise kommen aber auch<br />
Ergebnisse zutage, die sich mit <strong>an</strong>deren Forschungsbefunden nicht decken, wie zum<br />
Beispiel die Tatsache, daß in der untersuchten Population die älteren Arbeitnehmer -<br />
<strong>an</strong>ders als in m<strong>an</strong>chen Literaturquellen - im subjektiven Urteil der Vorgesetzten nicht<br />
schlechter abschneiden als die jüngeren.<br />
Als eine Einschränkung der Untersuchung muß die Tatsache gelten, daß die Altersklassen<br />
ab 45 Jahren nur gering besetzt waren. Das deutet auf eine frühe Ausgliederung<br />
der Älteren aus den Unternehmen hin.<br />
Es wird nicht die Auffassung vertreten, daß die ausgewiesenen Befunde verallgemeinerbar<br />
sind. Generalisierende Aussagen sind nicht möglich, da unter <strong>an</strong>derem das<br />
Geschlecht, die Art der Tätigkeit, die Größe des Betriebs, die Br<strong>an</strong>che und so weiter die<br />
Aussagen über ältere Arbeitnehmer sehr stark beeinflussen.<br />
Im sechsten Kapitel werden personalwirtschaftliche Maßnahmen zur besseren Nutzung<br />
des Potentials von älteren Arbeitskräften dargelegt. Die Gliederung erfolgt nach
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 305<br />
personalwissenschaftlichen Untersuchungsfeldern (Maßnahmen zur internen Bewußtseinsbildung,<br />
Informationssystem über Stellen und Personen, Arbeitsstrukturierung,<br />
Personalbeschaffung und Personalauswahl, Personaleinsatzpl<strong>an</strong>ung und Karrierepl<strong>an</strong>ung,<br />
Personalentwicklung, Förderung der Gesundheit, Personalführung und Personalbeurteilung,<br />
arbeitsrechtliche Maßnahmen, Vorruhest<strong>an</strong>dsseminare / flexiblere Pension,<br />
Personalabbau).<br />
Im siebten Kapitel wird darauf hingewiesen, daß es gewinnbringend wäre, vermehrt<br />
die Berufstätigkeit von älteren Frauen zu berücksichtigen. Bei empirischen Forschungen<br />
(zum Beispiel: Betriebsfallstudien) wäre es wünschenswert, umf<strong>an</strong>greichere<br />
Überlegungen über die Sinnhaftigkeit und Ergiebigkeit von (insbesondere qu<strong>an</strong>titativ<br />
orientierten) Forschungsmethoden <strong>an</strong>zustellen.<br />
9. Internationales Personalm<strong>an</strong>agement<br />
Marion Festing<br />
Strategisches Internationales Personalm<strong>an</strong>agement - eine tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretisch<br />
fundierte empirische Analyse<br />
Betreuer: Prof. Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Weber, Universität-Gesamthochschule Paderborn<br />
Das Thema der Arbeit ist im Bereich des Internationalen Personalm<strong>an</strong>agements<br />
<strong>an</strong>gesiedelt. Seine aktuelle Relev<strong>an</strong>z ergibt sich vor allem aus der zunehmenden internationalen<br />
Verflechtung der Weltwirtschaft, die sich auch auf deutsche international tätige<br />
Unternehmen auswirkt und Problemlösungen im Bereich der internationalen personalwirtschaftlichen<br />
Aktivitäten erfordert. Die Fragestellung der Untersuchung setzt <strong>an</strong><br />
drei Charakteristika der internationalen Personalm<strong>an</strong>agementforschung <strong>an</strong>: einer fehlenden<br />
Bearbeitung von strategischen Fragestellungen, einem Theorie<strong>an</strong>wendungsdefizit<br />
sowie einem M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> theoretisch gestützten empirischen Untersuchungen. Das<br />
Ziel der Arbeit besteht folglich in der Entwicklung und empirischen Überprüfung eines<br />
theoretisch gestützten Modells für strategisches internationales Personalm<strong>an</strong>agement.<br />
Die primäre theoretische Grundlage für die Modellentwicklung bildet die Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie.<br />
Dementsprechend stellen Arbeitsmarkttr<strong>an</strong>saktionen die relev<strong>an</strong>te<br />
Analyseeinheit dar. Hierunter werden die Austauschbeziehungen zwischen Arbeitnehmer<br />
und Arbeitgeber im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen verst<strong>an</strong>den, wobei<br />
die Untersuchung auf die Zielgruppe der international tätigen Führungskräfte eingegrenzt<br />
wird. Das Tauschgut der Arbeitnehmer besteht aus ihrer jeweiligen Arbeitsleistung,<br />
das des Arbeitgebers aus allen durch die personalwirtschaftlichen Subfunktionen<br />
realisierten Leistungen, die sowohl monetärer (z.B. Gehalt) als auch nicht monetärer<br />
Art (z.B. Karrieremöglichkeiten) sein können.
306 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Bei der Entwicklung des Modells wurde in zwei Schritten vorgeg<strong>an</strong>gen, die sich in<br />
unterschiedlichen Modellsegmenten widerspiegeln. Der Ausg<strong>an</strong>gspunkt der Überlegungen<br />
best<strong>an</strong>d darin, daß unterschiedliche Konstellationen in international tätigen Unternehmen<br />
jeweils unterschiedliche Anforderungen <strong>an</strong> die Aufgaben international tätiger<br />
Führungskräfte stellen (Modellsegment 1). Die unterschiedlichen Konstellationen international<br />
tätiger Unternehmen wurden primär durch die jeweilige internationale Unternehmensstrategie<br />
beschrieben. Diese wiederum wurde in Anlehnung <strong>an</strong> die auf das Unternehmensstrategie-Konzept<br />
von Porter zurückgehende Koordinations-/Konfigurations-Matrix<br />
konzeptionalisiert. Die Konkretisierung der relev<strong>an</strong>ten Anforderungen<br />
<strong>an</strong> die international tätigen Führungskräfte erfolgte <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretisch<br />
definierten Charakteristika von Arbeitsmarkttr<strong>an</strong>saktionen (Hum<strong>an</strong>kapitalspezifität,<br />
Unsicherheit). Auf dieser Basis wurden im Rahmen des Modellsegments 1<br />
die beiden im folgenden gen<strong>an</strong>nten zentralen Thesen abgeleitet: Es wurde <strong>an</strong>genommen,<br />
daß bei steigender Koordinationsintensität auch die Spezifität der international tätigen<br />
Führungskräfte des Unternehmens zunimmt. Ferner wurde bei steigender geographischer<br />
Streuung eine zunehmende Verhaltensunsicherheit in bezug auf die betrachtete<br />
Mitarbeitergruppe vermutet.<br />
Auf der Basis der Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie wurde <strong>an</strong>schließend argumentiert,<br />
daß verschiedene Arten von Arbeitsmarkttr<strong>an</strong>saktionen in verschiedenen institutionellen<br />
Arr<strong>an</strong>gements unterschiedlich effizient abgewickelt werden können (Modellsegment<br />
2). Die institutionellen Arr<strong>an</strong>gements wurden durch konsistente personalwirtschaftliche<br />
H<strong>an</strong>dlungsmuster interpretiert, aus denen internationale Personalstrategien abgeleitet<br />
werden konnten. Insgesamt werden drei internationale Personalstrategien unterschieden:<br />
die lokal orientierte Personalstrategie, die keine spezifischen personalwirtschaftlichen<br />
Maßnahmen für international tätige Führungskräfte beinhaltet, die internationale<br />
Anreizstrategie, deren Maßnahmen vorwiegend darauf ausgerichtet sind, international<br />
tätige Führungskräfte über leistungsgerechte Entlohnung <strong>an</strong> das Unternehmen zu binden,<br />
und die internationale Identifikationsstrategie, die vorwiegend über Maßnahmen<br />
der internationalen Personalentwicklung die Angleichung von individuellen und Unternehmensinteressen<br />
zum Ziel hat. Die zentrale These, die Modellsegment 2 zugrunde<br />
liegt, postuliert, daß von bestimmten Charakteristika gekennzeichnete Tr<strong>an</strong>saktionen in<br />
bestimmten institutionellen Arr<strong>an</strong>gements relativ effizienter abgewickelt werden können<br />
als in <strong>an</strong>deren.<br />
Anh<strong>an</strong>d des Modells k<strong>an</strong>n indirekt, d.h. über die Einbeziehung der Charakteristika<br />
von Arbeitsmarkttr<strong>an</strong>saktionen, überprüft werden, ob das gewählte personalwirtschaftliche<br />
H<strong>an</strong>dlungsmuster für die Zielgruppe der international tätigen Führungskräfte als<br />
effizientes institutionelles Arr<strong>an</strong>gement bei Vorliegen einer bestimmten Internationalisierungsstrategie<br />
erachtet werden k<strong>an</strong>n. Es wird in denjenigen Fällen auf eine Effizienz<br />
der Lösung geschlossen, in denen Arbeitsmarkttr<strong>an</strong>saktionen, die von bestimmten Charakteristika<br />
gekennzeichnet sind, in der durch die Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie postulierten<br />
Weise mit institutionellen Arr<strong>an</strong>gements variieren, die ebenfalls durch bestimmte<br />
Charakteristika gekennzeichnet werden können.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 307<br />
Aufgrund der Vielzahl der in einem Unternehmen zu erhebenden Variablen sowie<br />
der Komplexität der Fragestellung st<strong>an</strong>d kein geeignetes Sekundärdatenmaterial für die<br />
Konfrontation mit den theoretisch postulierten Modellbeziehungen zur Verfügung. Aus<br />
den gleichen Gründen konnte keine großzahlig <strong>an</strong>gelegte, in hohem Maße st<strong>an</strong>dardisierte<br />
empirische Untersuchung durchgeführt werden, sondern es wurde die Fallstudienmethodik<br />
verwendet. Als Forschungsstrategie für die vorliegende Untersuchung wurde die<br />
Verwendung von nomothetischen Fallstudien als geeignet erachtet, da diese eine Einordnung<br />
der Fälle in ein Klassifikationsschema auf der Basis theoretischer Überlegungen<br />
ermöglicht. Auf diese Weise konnte der Zielsetzung der empirischen Untersuchung,<br />
der Konfrontation von empirisch ermittelten Variablenbeziehungen mit den postulierten<br />
Modellbeziehungen, entsprochen werden. Methodisch erfolgt der Vergleich<br />
der theoretischen Ebene mit der Meßebene durch ein "Pattern-Matching". Als Datenerhebungstechnik<br />
wurden vorwiegend Intensivinterviews verwendet. Ergänzende Informationen<br />
resultierten aus einer zusätzlichen schriftlichen Befragung der Interviewpartner<br />
sowie aus einer Dokumenten<strong>an</strong>alyse. Die Zielgruppe der Untersuchung best<strong>an</strong>d in<br />
zehn deutschen international tätigen Unternehmen, in denen jeweils eine spiegelbildliche<br />
Datenerhebung im Stammhaus und in der jeweiligen australischen Tochtergesellschaft<br />
erfolgte.<br />
Durch die ermittelten Untersuchungsergebnisse konnten die postulierten Modellbeziehungen<br />
in hohem Maße gestützt werden. Eine vergleichende Analyse der einzelnen<br />
Fallstudien trug ferner zur Identifikation von Ansatzpunkten für Verbesserungen in<br />
den internationalen Personalm<strong>an</strong>agementpraktiken der untersuchten Unternehmen bei.<br />
Zusammenfassend k<strong>an</strong>n festgestellt werden, daß auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials<br />
eine theoretische Verallgemeinerung der im Modell postulierten Beziehungen<br />
möglich ist.<br />
Aufgrund der Anlage des theoretischen Modells werden keine detaillierten Gestaltungshinweise<br />
für personalwirtschaftliche Einzelmaßnahmen in international tätigen<br />
Unternehmen abgeleitet, sondern es steht eine g<strong>an</strong>zheitliche Betrachtungsweise im Vordergrund,<br />
die sich in der Betrachtung der internationalen Personalstrategien äußert. Nur<br />
auf dieser Ebene werden Implikationen erörtert. Durch das Modell wird also die Aufmerksamkeit<br />
von der Optimierung einzelner Aufgabenbereiche auf die Ausrichtung aller<br />
personalwirtschaftlichen Subfunktionen auf ein übergeordnetes Ziel gelenkt. Es trägt<br />
somit zur Verfolgung einer g<strong>an</strong>zheitlichen Perspektive bei.<br />
Um die Relev<strong>an</strong>z der in der vorliegenden Arbeit verwendeten tr<strong>an</strong>saktionskostentheoretischen<br />
Argumentation im Vergleich zu <strong>an</strong>deren theoretischen Argumenten einschätzen<br />
zu können, wäre die Entwicklung und empirische Überprüfung weiterer, auf<br />
<strong>an</strong>deren Theorien basierender Modelle wünschenswert.<br />
Dirk Holtbrügge
308 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Personalm<strong>an</strong>agement Multinationaler Unternehmungen in Osteuropa.<br />
Ergebnisse einer explorativen empirischen Untersuchung *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Martin K. Welge, Universität Dortmund<br />
Ausländische Investoren in den mittel- und osteuropäischen Staaten werden zunehmend<br />
mit M<strong>an</strong>agementproblemen konfrontiert, die auf unterschiedliche Werthaltungen<br />
und Verhaltensweisen sowie unzureichende Qualifikationen der inländischen Mitarbeiter<br />
und Führungskräfte zurückzuführen sind. Die effiziente Gestaltung des Personalm<strong>an</strong>agement<br />
wird dadurch zu einem zentralen Erfolgsfaktor.<br />
Der großen Bedeutung des Personalm<strong>an</strong>agement stehen bisl<strong>an</strong>g jedoch nur sehr<br />
vereinzelte empirische Untersuchungen gegenüber, die sich zudem nur auf wenige eng<br />
begrenzte Teilaspekte des Personalm<strong>an</strong>agement beschränken. Im Rahmen der Untersuchung<br />
wird deshalb die Zielsetzung verfolgt, die Gestaltung des Personalm<strong>an</strong>agement<br />
Multinationaler Unternehmungen in den mittel- und osteuropäischen Staaten empirisch<br />
zu erfassen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu <strong>an</strong>deren Ländern (insbesondere zur<br />
Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d) zu identifizieren und Hypothesen über den Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
zwischen den spezifischen Umweltbedingungen und der effizienten Gestaltung<br />
des Personalm<strong>an</strong>agement zu formulieren.<br />
Zur Verwirklichung dieser Untersuchungsziele wurde ein bewußt pluralistischer<br />
und eklektischer theoretischer Bezugsrahmen entwickelt, der mit den Bedingungen,<br />
Akteuren, Instrumenten und der Effizienz des Personalm<strong>an</strong>agement sowie der personalpolitischen<br />
Steuerung durch die Muttergesellschaft insgesamt fünf in unterschiedlicher<br />
Weise aufein<strong>an</strong>der wirkende Analyseeinheiten umfaßt.<br />
Im Rahmen einer vergleichenden Intensivfallstudie wurden <strong>an</strong>schließend 18 Joint<br />
Ventures unter Beteiligung deutscher Unternehmungen in der Rußländischen Föderation,<br />
der Ukraine, Belarus, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn untersucht. Die<br />
Datenerhebung erfolgte in Form qualitativer Interviews unter Zuhilfenahme eines in einem<br />
mehrstufigen Prozeß erstellten Interviewleitfadens. Die Interviews wurden vor Ort<br />
mit dem höchstr<strong>an</strong>gigen deutschen Direktoriumsmitglied oder der vorr<strong>an</strong>gig mit Fragen<br />
des Personalm<strong>an</strong>agement betrauten deutschen Führungskraft geführt. Die Auswahl der<br />
Untersuchungseinheiten erfolgte dabei nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung.<br />
Neben der Gestaltung des Personalm<strong>an</strong>agement wurde einem primären Untersuchungsziel<br />
folgend die Effizienz des Personalm<strong>an</strong>agements als zentrale Kategorie der<br />
Datenauswertung her<strong>an</strong>gezogen. Auf der Basis zuvor festgelegter Kriterien und<br />
Schwellenwerte der Personalm<strong>an</strong>agement-Effizienz wurden neun erfolgreiche und neun<br />
weniger erfolgreiche Joint Ventures identifiziert.<br />
*<br />
Die Arbeit wurde im Frühjahr 1995 unter dem Titel "Personalm<strong>an</strong>agement Multinationaler<br />
Unternehmungen in Osteuropa. Bedingungen-Gestaltung-Effizienz" im Gabler-<strong>Verlag</strong>,<br />
Wiesbaden (mir-Edition) veröffentlicht.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 309<br />
Als ein zentrales Ergebnis der Untersuchung k<strong>an</strong>n die große Bedeutung einer systematischen<br />
Personalbedarfspl<strong>an</strong>ung festgehalten werden. Diese resultiert insbesondere<br />
daraus, daß die Entscheidung über den zur Realisierung der Unternehmungsziele erforderlichen<br />
Personalbedarf eine zentrale Konfliktursache zwischen den Partnern darstellt<br />
und ausländische Investoren häufig dazu gedrängt werden, mehr Mitarbeiter einzustellen<br />
bzw. weiterzubeschäftigen, als nach ihrer Personalbedarfspl<strong>an</strong>ung notwendig gewesen<br />
wäre.<br />
Ein weiterer Erfolgsfaktor stellt die Personalbeschaffung dar. Es zeigt sich, daß die<br />
erfolgreichen Joint Ventures neben der Übernahme von Mitarbeitern des inländischen<br />
Partnerunternehmens parallel weitere interne und externe Wege der Bewerber<strong>an</strong>werbung<br />
nutzen. Die weniger erfolgreichen Joint Ventures beschränken sich dagegen<br />
überwiegend auf die Übernahme von Mitarbeitern des inländischen Partnerunternehmens.<br />
Die Folge davon ist häufig die direkte Übernahme starrer und wenig effizienter<br />
Mitarbeiterstrukturen, die die Durchsetzung dringend notwendiger personalpolitischer<br />
Innovationen erschwert.<br />
Deutliche Unterschiede sind auch hinsichtlich der Bewerberauswahl erkennbar.<br />
Angesichts der niedrigen Prognosevalidität formaler Kriterien zeichnen sich die erfolgreichen<br />
Joint Ventures durch die gleichzeitige Anwendung mehrerer Auswahlkriterien<br />
aus. Die weniger erfolgreichen Joint Ventures überlassen dagegen die Bewerberauswahl<br />
überwiegend dem inländischen Partner und können häufig nicht einmal über die in<br />
ihrem Joint Venture <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dten Kriterien und Verfahren Auskunft geben.<br />
Hinsichtlich der Personalentwicklung zeigten sich neben der generell größeren<br />
Bedeutung, die dieser von erfolgreichen Joint Ventures zugemessen wird, vor allem<br />
Unterschiede bei der Auswahl der Adressaten und der inhaltlichen Gestaltung. Während<br />
die erfolgreichen Joint Ventures überwiegend eine l<strong>an</strong>gfristig orientierte Führungskräfte-Entwicklung<br />
verfolgen, wenden sich die weniger erfolgreichen Joint Ventures<br />
im Rahmen der Personalentwicklung insbesondere <strong>an</strong> gewerblich-technische Mitarbeiter.<br />
Auch der Gestaltung des Arbeitsinhalts kommt in erfolgreichen Joint Ventures<br />
nicht nur eine kurzfristig orientierte Personaleinsatzfunktion, sondern auch eine l<strong>an</strong>gfristig<br />
orientierte Personalentwicklungsfunktion zu.<br />
Im Rahmen der Entgeltpolitik erweist es sich als vorteilhaft, neben den Arbeits<strong>an</strong>forderungen<br />
solche Kriterien der Entgeltdifferenzierung <strong>an</strong>zuwenden, die von den Mitarbeitern<br />
beeinflußbar sind und damit eine hohe Instrumentalität aufweisen. Dazu zählen<br />
insbesondere die individuelle Arbeitsleistung sowie die Anwesenheit. Entgegen den<br />
Ergebnissen empirischer Untersuchungen in <strong>an</strong>deren Ländern konnte dagegen zwischen<br />
der Entgelthöhe und der Arbeitsproduktivität bzw. -zufriedenheit nur ein relativ schwacher<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g festgestellt werden. Dieses Ergebnis k<strong>an</strong>n darauf zurückgeführt<br />
werden, daß die Mehrzahl der Mitarbeiter aus sozialen und kulturbedingten Gründen<br />
weniger eine Maximierung ihres Arbeitseinkommens <strong>an</strong>strebt, sondern sich bei dessen<br />
subjektiver Bewertung im Sinne der Gerechtigkeitstheorie vor allem am nationalen<br />
Durchschnittseinkommen orientiert. Darüber hinaus wurden die Einführung einer rationalen<br />
Arbeitsorg<strong>an</strong>isation, die ergonomische und <strong>an</strong>thropometrische Gestaltung der Arbeitsplätze<br />
und das im Vergleich zu inländischen Unternehmen deutlich bessere Arbeit-
310 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
geberimage als wichtige Faktoren der Arbeitszufriedenheit und -produktivität hervorgehoben.<br />
Im Bereich der Personalführung zeigte sich, daß sich erfolgreiche Joint Ventures<br />
mehrheitlich durch einen kooperativen, fördernden Führungsstil auszeichnen, während<br />
in weniger erfolgreichen Joint Ventures überwiegend ein autoritärer, <strong>an</strong>weisungsorientierter<br />
Führungsstil vorherrscht. Der Hauptgrund dafür dürfte darin liegen, daß deren<br />
Führungskräfte ihre inländischen Mitarbeiter überwiegend als wenig qualifiziert, autoritätsorientiert<br />
und primär durch materielle Anreize motivierbar einschätzen. Zwar macht<br />
das relativ niedrige Qualifikationsniveau der Mitarbeiter generell eine ausgeprägte Kontrolle<br />
erforderlich, diese erfolgt in den erfolgreichen Joint Ventures jedoch weitgehend<br />
dezentral und dient zudem weniger als Instrument der Herrschaftsausübung, als vielmehr<br />
als Ansatzpunkt für h<strong>an</strong>dlungsleitende und motivierende Maßnahmen der Führungskräfte.<br />
Die Effizienz des Personalm<strong>an</strong>agements wird schließlich in hohem Maße durch die<br />
Auswahl und Vorbereitung der ents<strong>an</strong>dten deutschen Führungskräfte bestimmt. Die Untersuchung<br />
zeigt jedoch, daß für die Auswahl der Stammhausdelegierten weniger die<br />
als besonders wichtig eingestuften verhaltensbezogenen und interkulturell-umweltbezogenen<br />
Kriterien als vielmehr persönliche und tätigkeitsbezogen-fachliche Kriterien<br />
ausschlaggebend waren, denen eine deutlich geringere Bedeutung zugemessen wird. Da<br />
gerade besonders qualifizierte Mitarbeiter eine Entsendung in die mittel- und osteuropäischen<br />
Staaten als »Strafversetzung« oder »Härtetest« empfinden, werden deshalb vielfach<br />
Mitarbeiter in diese Staaten ents<strong>an</strong>dt, denen vergleichbare Stellen in <strong>an</strong>deren Staaten<br />
oder in der deutschen Muttergesellschaft nicht <strong>an</strong>geboten worden wären.<br />
Auffallend ist auch, daß der Umf<strong>an</strong>g der Vorbereitung der Stammhausdelegierten<br />
in allen untersuchten Joint Ventures außerordentlich gering ist. Die Überwindung der in<br />
den betrachteten Staaten besonders gravierenden interkulturellen M<strong>an</strong>agementprobleme<br />
wird damit allein den ents<strong>an</strong>dten Führungskräften überlassen. Deren unzulängliche<br />
Auswahl und Vorbereitung wirkt sich zudem besonders negativ auf die Personalm<strong>an</strong>agement-Effizienz<br />
aus, da die Zahl der Stammhausdelegierten gering, deren hierarchische<br />
Position und damit deren faktischer Einfluß auf Personalm<strong>an</strong>agement-<br />
Entscheidungen dagegen relativ hoch ist.<br />
Als Implikation für zukünftige Untersuchungen erscheint die Intensivierung und<br />
Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit Forschern in den mittel- und osteuropäischen<br />
Staaten besonders wichtig. Dadurch k<strong>an</strong>n nicht nur die Gewinnung von Daten erheblich<br />
erleichtert und die Gefahr des Ethnozentrismus bei der Konzeption und Durchführung<br />
empirischer Untersuchungen eingeschränkt werden. Diese ermöglicht vor allem,<br />
den gerade im Bereich des Personalm<strong>an</strong>agements bedeutsamen Verwendungszusammenh<strong>an</strong>g<br />
der Forschung stärker zu thematisieren und neben den funktionalen auch<br />
die in dieser Untersuchung nur am R<strong>an</strong>de <strong>an</strong>gesprochenen ethischen Aspekte des Themas<br />
<strong>an</strong>gemessen zu berücksichtigen. Schließlich k<strong>an</strong>n dadurch ein weitaus größeres<br />
Hintergrundwissen zur Interpretation der gewonnenen Befunde erschlossen und die Gefahr<br />
von Fehlinterpretationen begrenzt werden.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 311<br />
Monika Weber-Fahr<br />
Multinationale Unternehmen und die Internationalisierung von Arbeitsmärkten<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Sadowski, Unversität Trier<br />
Ziel: Wie reagieren nationale Arbeitsmärkte, während sich Produkt- und Kapitalmärkte<br />
hochentwickelter Volkswirtschaften zunehmend – unter Ausnutzung von Skaleneffekten<br />
und St<strong>an</strong>dortspezifika – international org<strong>an</strong>isieren? Das Verhalten von Unternehmen<br />
als verbindendes Element zwischen den einzelnen Märkten wird für die Be<strong>an</strong>twortung<br />
dieser gerade im Hinblick auf die europäische Integration sehr bris<strong>an</strong>ten<br />
Frage in den Mittelpunkt gerückt: Das Zusammenspiel zwischen der vom Produktmarkt<br />
diktierten Arbeitsnachfrage und dem darauf reagierenden Arbeits<strong>an</strong>gebot findet im einzelnen<br />
Unternehmen seine institutionelle M<strong>an</strong>ifestation. Ziel der Arbeit ist es daher,<br />
von personalpolitischen Unternehmensentscheidungen vor dem Hintergrund der fortschreitenden<br />
Internationalisierung der Märkte auf die Entwicklung von Lohnniveau und<br />
-struktur zu schließen.<br />
Vorgehen: Die Beh<strong>an</strong>dlung von Arbeitsmarktfragen im Zusammenh<strong>an</strong>g mit der Internationalisierung<br />
der Volkswirtschaften geschieht typischerweise losgelöst von einer<br />
differenzierteren Sicht der personalpolitischen Unternehmensentscheidungen.<br />
Diese Arbeit geht daher einen <strong>an</strong>deren und neuen Weg. Das Unternehmen als wesentliche<br />
Entscheidungseinheit über die mit dem Internationalisierungsprozeß einhergehenden<br />
Personalveränderungen wird in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Die<br />
Beschäftigungs- und Entlohnungspolitik von Multinationalen Unternehmen als den wesentlichen<br />
Initiatoren und Trägern des Internationalisierungsprozesses wird <strong>an</strong>alytisch<br />
und empirisch mit jener rein nationaler Unternehmen verglichen. Der Unterschied zwischen<br />
diesen beiden Typen von Unternehmen wird – bezüglich der Auswirkungen auf<br />
die Personalentscheidungen – in einer sich durch die grenzüberschreitenden Aktivitäten<br />
<strong>an</strong>dersartigen Org<strong>an</strong>isationsform vermutet. Die Arbeitsmarktdynamik, die in der Koexistenz<br />
von auf diese Weise heterogenen Nachfragern liegen muß, wird schließlich in<br />
Beziehung gesetzt zu beobachtbaren Entwicklungen von Lohnniveau und -struktur. Die<br />
einzelnen Schritte in der Argumentation sind empirisch überprüfbar, wobei unterschiedliche<br />
Datenquellen und unterschiedliche Auswertungsmethoden her<strong>an</strong>gezogen werden.<br />
Da Großbrit<strong>an</strong>nien und die Bundesrepublik die im europäischen Kontext bedeutendsten<br />
Quellen und Empfänger ausländischer Direktinvestitionen darstellen, werden ihre Arbeitsmärkte<br />
für diese Überprüfung her<strong>an</strong>gezogen.<br />
Ergebnisse: Die Ergebnisse der Arbeit lassen vermuten, daß die zunehmende Internationalisierung<br />
entwickelter Volkswirtschaften zu einer steigenden Ungleichheit in<br />
der Vergütung des Inputfaktors Arbeit führt. Als wesentlich für die Überprüfung der<br />
zugrundeliegenden Annahme über die Verschiedenartigkeit der Personalpolitik bei multinational<br />
org<strong>an</strong>isierten und rein national org<strong>an</strong>isierten Unternehmen stellte sich die<br />
Nutzung der Daten des 1990er „Workplace Industrial Relations Survey“ heraus. Um die
312 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Vermutung über die mit der Koexistenz dementsprechend unterschiedlicher Arbeitsmarktnachfrager<br />
zusammenhängenden Entwicklung von Lohnniveaus zu überprüfen,<br />
sind im Rahmen der Quinter Studie zur Praxis der Personalpolitik in Europa (QUIPPE)<br />
Unternehmensdaten in Großbrit<strong>an</strong>nien und der Bundesrepublik zusammengetragen<br />
worden. Dies wurde unter <strong>an</strong>derem durch einen zehnmonatigen Forschungsaufenthalt<br />
im Rahmen des „Hum<strong>an</strong> Capital <strong>an</strong>d Mobility“-Programms <strong>an</strong> der Industrial Relations<br />
Research Unit der University of Warwick ermöglicht.<br />
Joachim Wolf<br />
Koordinationsprozesse im Personalm<strong>an</strong>agement global tätiger Industrieunternehmen<br />
- Empirische Analyse des<br />
Instrumenteneinsatzes *<br />
Betreuer: Prof. Dr. Klaus Macharzina, Universität Hohenheim, Stuttgart<br />
1. Problemrelev<strong>an</strong>z und Zielsetzung der Untersuchung<br />
Ausgehend von Expertenbefragungen, die auf eine erhöhte und auch in Zukunft<br />
weiter steigende Bedeutung des internationalen Personalm<strong>an</strong>agements hinweisen, ist die<br />
vorliegende Studie auf die bei grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit auftretenden<br />
personalbezogenen Sonderprobleme ausgerichtet worden.<br />
Um einen größtmöglichen Erkenntnisbeitrag zu leisten, sollte versucht werden,<br />
übergeordnete Konzeptvorschläge zu erarbeiten, die vom Fall des einzelnen Entscheidungsadressaten<br />
abstrahieren und die Personalver<strong>an</strong>twortlichen bei ihren Grundsatzentscheidungen<br />
über die Abstimmung der Teilsysteme des internationalen Personalm<strong>an</strong>agements<br />
unterstützen. Insbesondere sollte geklärt werden, inwiefern eine Abstimmung<br />
bzw. Koordination der interdependenten H<strong>an</strong>dlungen der Personalbereiche von Zentralen<br />
(Headquarters) und Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften erfolgt und welche Instrumente zum<br />
Zweck der Koordination eingesetzt werden. Auch war zu fragen, inwieweit die Koordinationsinstrumente<br />
gegenseitig substituierbar sind bzw. tatsächlich substituiert werden<br />
und unter welchen H<strong>an</strong>dlungsbedingungen zu den einzelnen Instrumenten gegriffen<br />
wird. Schließlich sollte herausgearbeitet werden, welcher ökonomische und soziale Erfolg<br />
mit einem unterschiedlichen Einsatz der Koordinationsinstrumente einhergeht.<br />
2. Untersuchungsdesign und methodisches Vorgehen<br />
Hierzu mußte in einem ersten Arbeitsschritt die Auswahl eines geeigneten theoretischen<br />
Ansatzes. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g wurden die Selbstorg<strong>an</strong>isationstheorie, die<br />
Tr<strong>an</strong>saktionskostentheorie sowie der kontingenztheoretische Ansatz geprüft, wobei die<br />
*<br />
Der Beitrag wurde von Seiten der Redaktion gekürzt. Vgl. auch die Ausführungen des Autors<br />
in ZfP 2/95: Internationale Personalm<strong>an</strong>agementkooperation - Befunde und Interpretationen<br />
aus einem empirischen Forschungsprojekt, S. 163-192.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 313<br />
problemfeldbezogene Gegenüberstellung der spezifischen Vor- und Nachteile dem<br />
letztgen<strong>an</strong>nten Ansatz den Vorzug einbrachte. In Erm<strong>an</strong>gelung hinreichender Vorarbeiten<br />
sollte die kontingenztheoretische Analyse auf eine empirische Untersuchung gestützt<br />
werden, deren Gesamtstruktur in einem weiteren Arbeitsschritt festgelegt werden<br />
mußte. Als untersuchungsleitendes Ordnungsgerüst diente ein 18 gesamtunternehmens-,<br />
ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts- und ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsumweltbezogene Kontextfaktoren,<br />
sechs Koordinationsinstrumente sowie zehn Erfolgsindikatoren berücksichtigender<br />
konzeptioneller Bezugsrahmen, der auf der Basis einer Durchsicht relev<strong>an</strong>ter Fremduntersuchungen<br />
erstellt wurde. Die empirische Untersuchung wurde auf europäische und<br />
US-amerik<strong>an</strong>ische Industrieunternehmen ausgerichtet, die im Jahre 1991 mindestens<br />
10.000 Arbeitnehmer beschäftigt und einen Weltumsatz von über zwei Milliarden DM<br />
erzielt hatten. Da sämtliche der befragten Unternehmen in mindestens drei Kontinenten<br />
Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften unterhalten, können sie als "global" bezeichnet werden. Um<br />
Perzeptionsunterschiede im Hinblick auf den Koordinationsinstrumenteneinsatz herausarbeiten<br />
zu können, wurden sowohl die Zentralen als auch jeweils mehrere in unterschiedlichen<br />
Regionen (Europa, Nord- und Südamerika, Afrika, Asien, Australien) tätige<br />
Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften, ohne daß die jeweils <strong>an</strong>deren Unternehmenssubsysteme<br />
über die Befragung informiert wurden. An der Untersuchung hatten sich schließlich 18<br />
Zentralen und 39 Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften internationaler Unternehmen beteiligt.<br />
3. Anwendungsintensität der Koordinationsinstrumente<br />
Der Auswertungsprozeß wurde in mehreren Arbeitsschritten durchgeführt. Zunächst<br />
ging es darum, auf der Basis der Headquarters- und Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsdaten<br />
die Anwendungsintensität der sechs Koordinationsinstrumente "Zentralisation", "St<strong>an</strong>dardisierung",<br />
"Berichtswesen", "Führungskräftetr<strong>an</strong>sfer", "Besuchsverkehr" und "einheitliche<br />
Führungskräftewerte (Unternehmenskultur)" zu bestimmen, zu interpretieren<br />
und mit relev<strong>an</strong>ten Fremdbefunden zu vergleichen. Nach den Befragungsergebnissen<br />
scheinen jene Personalentscheidungen überdurchschnittlich zentralisiert bzw. im Kompetenzbereich<br />
der Zentrale getroffen zu werden, die das Führungskräftem<strong>an</strong>agement<br />
sowie <strong>an</strong>dere übergeordnete personalbezogene Entscheidungs<strong>an</strong>gelegenheiten betreffen,<br />
während nicht-führungskräftebezogene einzelfallorientierte Entscheidungen mehrheitlich<br />
am Ausl<strong>an</strong>dsst<strong>an</strong>dort geh<strong>an</strong>dhabt werden. Der Zentralisationsunterschied k<strong>an</strong>n<br />
dabei hauptsächlich mit der strategischen Relev<strong>an</strong>z der erstgen<strong>an</strong>nten Entscheidungsbereiche<br />
erklärt werden. Im Vergleich zu <strong>an</strong>deren Funktionsbereichen hat sich das Personalm<strong>an</strong>agement<br />
als der am stärksten dezentralisierte herausgestellt, was insb. auf dessen<br />
starke Umweltbezogenheit zurückzuführen sein dürfte. Beim Koordinationsinstrument<br />
"St<strong>an</strong>dardisierung" scheint ein sehr ähnliches H<strong>an</strong>dhabungsmuster zu bestehen. Personalbest<strong>an</strong>dsdaten<br />
und mit Abstrichen Informationen über gepl<strong>an</strong>te<br />
Personalmaßnahmen scheinen im Mittelpunkt der ungefähr sechs bis neun Mal jährlich<br />
erfolgenden Berichterstattung der Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftspersonalbereiche <strong>an</strong> die<br />
Zentralen zu stehen. In der Position der Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftspersonalleiter finden sich<br />
fast ausschließlich Gastl<strong>an</strong>ds<strong>an</strong>gehörige, während die Position der<br />
Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsleiter in der Hälfte der Fälle mit Stamml<strong>an</strong>ds<strong>an</strong>gehörigen besetzt<br />
ist. Koordinationsorientierte Entsendungen weisen eine geringere zeitliche Erstreckung
314 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
weisen eine geringere zeitliche Erstreckung auf als jene, die der Besetzung vak<strong>an</strong>ter Positionen<br />
dienen. Beim Besuchsverkehr hat sich gezeigt, daß die Ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts-<br />
Personalbereiche vorwiegend von fachfremden Führungskräften der Zentralen bereist<br />
werden, was zur der Vermutung Anlaß gibt, daß im Personalbereich eine geringere personenorientierte<br />
Koordinationsintensität gegeben ist als in <strong>an</strong>deren Funktionsbereichen<br />
internationaler Unternehmen. Personalkoordinationsbezogene Reisen in die Zentrale<br />
scheinen hingegen hauptsächlich von den Spitzenführungskräften der Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften<br />
(Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsleiter sowie Ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts-Personalleiter)<br />
durchgeführt zu werden.<br />
Im Anschluß <strong>an</strong> die "monovariate" Analyse des Koordinationsinstrumenteneinsatzes<br />
wurde geprüft, inwieweit die Koordinationsinstrumente im Verbund oder isoliert<br />
vonein<strong>an</strong>der eingesetzt werden. Diesbezüglich geben die Daten zu der Vermutung Anlaß,<br />
daß die technokratischen Koordinationsinstrumente Zentralisation, St<strong>an</strong>dardisierung,<br />
Berichtswesen tendenziell dergestalt im Verbund eingesetzt werden, daß ein verstärkter<br />
Einsatz eines dieser Instrumente mit einer Anhebung der Koordinationsintensität<br />
der beiden <strong>an</strong>deren gepaart wird. Demgegenüber konnte bei den personenorientierten<br />
Koordinationsinstrumenten Führungskräftetr<strong>an</strong>sfer, Besuchsverkehr und Unternehmenskultur<br />
kein ebensolches Muster aufgedeckt werden.<br />
4. Kontextbezogene Analyse des Koordinationsinstrumenteneinsatzes<br />
Die Ausprägung des Koordinationsinstrumenteneinsatzes im Personalm<strong>an</strong>agement<br />
scheint von einem breiten Spektrum unternehmens- und ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsbezogener,<br />
weniger ausl<strong>an</strong>dsgesellschaftsumweltbezogener Kontextfaktoren bestimmt zu sein.<br />
Zu dieser Vermutung gibt multivariate Beh<strong>an</strong>dlung des Datenmaterials mittels multiplen<br />
linearen Regressionsmodellen Anlaß, die mehrstufig von der Erklärung einzelner<br />
Koordinationsinstrumente über jene technokratischer und personenorientierter Koordinationsinstrumente<br />
bis hin zur Erklärung der Gesamtintensität der Koordination im internationalen<br />
Personalm<strong>an</strong>agement durchgeführt wurde. Bei einer Verdichtung auf die<br />
beiden Basisdimensionen "technokratische Koordination" und "personenorientierte Koordination"<br />
können diejenigen Ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts-Personalbereiche als durch "harte"<br />
(technokratische) Instrumente gesteuert <strong>an</strong>gesprochen werden, die Teile großer, eine<br />
St<strong>an</strong>dardisierungsstrategie verfolgender US-amerik<strong>an</strong>ischer Unternehmen sind, dabei<br />
selbst jedoch relativ klein sind, geringe Leistungsverflechtungen mit <strong>an</strong>deren Unternehmensteileinheiten<br />
und eine relativ große Personalabteilung aufweisen sowie über einen<br />
Betriebsrat mitbestimmt sind. Die unterdurchschnittliche Größe und das geringe Interdependenzniveau<br />
technokratisch gesteuerter Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften dürfte ein Indiz<br />
dafür sein, daß diese zu klein bzw. für das Gesamtunternehmen zu unbedeutend sind,<br />
um individuell, d.h. personenorientiert betreut zu werden.<br />
"Weiche" (personenorientierte) Instrumente finden sich hingegen vor allem in großen,<br />
gering diversifizierten internationalen Unternehmen mit einer vereinheitlichenden<br />
strategischen Orientierung, zahlreichen Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften und insb. dort, wo die<br />
betreffenden Ausl<strong>an</strong>dsgesellschaften jung und vergleichsweise erfolglos sind. Dabei<br />
dürfte der überdurchschnittliche Einsatz personenorientierter Koordinationsinstrumente
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 315<br />
in großen, nach St<strong>an</strong>dardisierung strebenden Unternehmen durch Überlegungen erklärbar<br />
sein. Wenn ein ungleicher Diversifikationsgrad zu einem unegalen Einsatz personenorientierter<br />
Koordinationsinstrumente führt, d<strong>an</strong>n wird dies wohl damit etwas zu tun<br />
haben, daß am ehesten noch in Unternehmen mit relativ unabhängigen Geschäftsbereichen<br />
die Informationsbroking-Funktion der Zentrale auf ein geringes Niveau zurückgefahren<br />
werden k<strong>an</strong>n. In leistungsprogrammäßig breit aufgefächerten Unternehmen k<strong>an</strong>n<br />
die Unabhängigkeit der Systemteile sogar so weit gehen, daß diese vom Top-<br />
M<strong>an</strong>agement wie Investitionen eines Fin<strong>an</strong>zportfolios beh<strong>an</strong>delt werden und die führungsbezogene<br />
Koordination ausschließlich innerhalb der Geschäftsbereiche erfolgt.<br />
Für die negative Wirkungsbeziehung zwischen Ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts<strong>an</strong>zahl und personenorientierter<br />
Koordination werden wohl die Kapazitätsgrenzen der Zentrale ver<strong>an</strong>twortlich<br />
sein. Sämtliche der referierten Variablenverschränkungen können als verläßlich<br />
<strong>an</strong>genommen werden, da die sie beschreibenden Regressionsmodelle durch hohe<br />
Bestimmtheitsmaße und die einzelnen Regressionskoeffizienten durch über der 5%-<br />
Schwelle liegende Signifik<strong>an</strong>zniveaus gekennzeichnet sind.<br />
5. Erfolgs<strong>an</strong>alyse des Koordinationsinstrumenteneinsatzes<br />
Die in zwei Untersuchungsschritten durchgeführte und wiederum auf Regressionsmodelle<br />
gestützte Erfolgs<strong>an</strong>alyse hat deutlich werden lassen, daß der über personalbereichs-,<br />
ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts- und gesamtunternehmensbezogene Kriterien operationalisierte<br />
Erfolg nur bedingt mit der Variation des personalwirtschaftlichen Koordinationsinstrumenteneinsatzes<br />
erklärt werden k<strong>an</strong>n. Hieraus darf jedoch keineswegs auf eine<br />
geringe Bedeutung personalwirtschaftlicher Koordinationsprozesse oder sogar des Personalm<strong>an</strong>agements<br />
<strong>an</strong> sich geschlossen werden, weil <strong>an</strong>zunehmen ist, daß die Interaktion<br />
zwischen Koordinationsinstrumenteneinsatz und Erfolg durch intervenierende Variablen<br />
geregelt wird. Nichtsdestotrotz hat sich eines der sechs Koordinationsinstrumente,<br />
nämlich die Wertehomogenität der Personalführungskräfte, als durchgängiger Erfolgsstifter<br />
des internationalen Personalm<strong>an</strong>agements bzw. der internationalen Unternehmenstätigkeit<br />
erwiesen. Besonders erfolgreich sind demnach jene Institutionen, bei denen<br />
die Headquarters- und Ausl<strong>an</strong>dsgesellschafts-Personalführungskräfte relativ homogene<br />
Werthaltungen bezüglich Entscheidungsstil, Risikobereitschaft, prinzipieller<br />
H<strong>an</strong>dlungseinstellung, Offenheit gegenüber fremden Kulturen sowie im Unternehmen<br />
vorherrschenden Interessengruppen aufweisen. Bestätigt werden konnten damit die Ergebnisse<br />
der nationalen und internationalen M<strong>an</strong>agementforschung, welche auf die erfolgsstiftende<br />
Bedeutung der Unternehmenskultur hinweisen. Daß aber auch der Einsatz<br />
der übrigen Koordinationsinstrumente erfolgswirksam ist und daß die im Schrifttum<br />
artikulierte These einer mittelbaren Beziehung zwischen Koordinationsinstrumenteneinsatz<br />
und Erfolg Beachtung verdient, konnte im zweiten Erfolgs<strong>an</strong>alyseschritt belegt<br />
werden, wo die strategische Orientierung der Unternehmen als wichtige intervenierende<br />
Variable herausgearbeitet werden konnte. Im einzelnen hat es sich gezeigt, daß<br />
jene internationalen Personalbereiche bzw. Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich<br />
sind, die den Koordinationsinstrumenteneinsatz des Personalm<strong>an</strong>agements in Anlehnung<br />
<strong>an</strong> ein auf Macharzina sowie Roth/Schweiger/Morrison zurückgehendes und in
316 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Koordinationsmuster gestalten. Den mit personalstrategischen Aufgabenfeldern betrauten<br />
Führungskräften ist somit zu empfehlen, erst einmal die strategische Grundorientierung<br />
ihres Unternehmens ("Selektionsstrategie", "Einzelmarktstrategie", "Integrationsstrategie"<br />
oder "Interaktionsstrategie") zu ermitteln und hierauf aufbauend die Intensität<br />
der im Personalbereich einzusetzenden Koordinationsinstrumente zu bestimmen.<br />
10. Pl<strong>an</strong>ung / Methoden / EDV-Unterstützung der Personalarbeit<br />
Ramona Alt<br />
Implementierung von Informationssystemen in Umbruchsituationen.<br />
Prozeßstudie zur Einführung von Personalinformationssystemen in<br />
ostdeutschen Industrieunternehmen<br />
Betreuer: Prof. Dr. Rainhart L<strong>an</strong>g, Technische Universität Chemnitz-Zwickau<br />
In der Arbeit werden Implementierungsprozesse von Personalinformationssystemen<br />
in ostdeutschen Industrieunternehmen unter den besonderen Bedingungen der gesellschaftlichen<br />
Tr<strong>an</strong>sformation untersucht. Besonderes Anliegen ist es dabei, empirische<br />
Muster der Prozeßverläufe herauszuarbeiten und optionsreduzierenden Mech<strong>an</strong>ismen<br />
nachzugehen. Da mit der gegenwärtigen Implementierung die umbruchsbedingt<br />
weitreichende Offenheit von H<strong>an</strong>dlungsspielräumen in den Unternehmen verringert und<br />
H<strong>an</strong>dlungspfade für weitere Implementierungsprozesse vorstrukturiert werden, kommt<br />
den derzeit ablaufenden Prozessen eine große Bedeutung zu. Über unmittelbare Einblicke<br />
in die H<strong>an</strong>dlungsabläufe und die sich abzeichnenden Tendenzen hinaus steht die<br />
Tragfähigkeit theoretischer Bezugsrahmen zur Diskussion, die eine Verbindung der<br />
Makroebene des "Systemumbruchs" und der Mikroebene von Implementierungsprozessen<br />
<strong>an</strong>streben.<br />
Als Ausg<strong>an</strong>gspunkt für den eigenen Untersuchungsrahmen werden implementierungsrelev<strong>an</strong>te<br />
theoretische Ansätze auf ihre Eignung für das Thema untersucht. In diesem<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g erfolgt eine Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit konträren theoretischen Her<strong>an</strong>gehensweisen<br />
(kontingenztheoretisch geprägte, ökonomie-technikdeterminierte und<br />
kontrolltheoretische Ansätze, <strong>an</strong>wendungs- und bedürfnisorientierte Ansätze, Netzwerk<strong>an</strong>sätze,<br />
systemtheoretische sowie politikorienierte Ansätze). Als Zwischenresümee<br />
läßt sich dabei festhalten: Mittels traditioneller Theorie<strong>an</strong>gebote sind die aktuellen<br />
Prozesse vielfach nicht zufriedenstellend erklärbar, da die etablierten Ansätze i.d.R. ein<br />
stabiles gesellschaftliches Umfeld der Implementierungsprozesse unterstellen. Werden<br />
die Ansätze <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Anforderungen beurteilt, die für Situationen grundlegenden<br />
W<strong>an</strong>dels zu erfüllen sind, ergeben sich jedoch unterschiedliche Anknüpfungspunkte für<br />
einen Bezugs- und Interpretationsrahmen.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 317<br />
Entsprechend dem Erkenntnisinteresse der Arbeit erscheint eine mikropolitisch deskriptive<br />
Prozeß<strong>an</strong>alyse als am ehesten geeignet. Um den Besonderheiten eines gesellschaftlichen<br />
Umbruchs Rechnung zu tragen, wird die mikropolitische Her<strong>an</strong>gehensweise<br />
mit org<strong>an</strong>isationskulturellen Bezügen ergänzt. Es wird versucht, eine mikropolitische<br />
Perspektive, die Kultur nur als Modalität der Machtausübung thematisiert, mit einer<br />
kulturellen Perspektive, bei der i.d.R. Machtverhältnisse weitgehend ausgeblendet bleiben,<br />
zu verschränken.<br />
Die Materialgrundlage der h<strong>an</strong>dlungsbezogenen interpretativen Analyse bilden 11<br />
Fallstudien in mittleren und großen ostdeutschen Industrieunternehmen verschiedener<br />
Br<strong>an</strong>chen in unterschiedlicher wirtschaftlicher Lage und differenzierter Anbindung <strong>an</strong><br />
westliche Partner. Die ausgewählten Unternehmen decken hinsichtlich der eingeführten<br />
Personalinformationssysteme eine breite Palette ab. Die Erhebungen erfolgten im Zeitraum<br />
von J<strong>an</strong>uar 1991 bis Dezember 1992. Als Methodeninstrumentarium wurde die<br />
Kombination von halbst<strong>an</strong>dardisierten Interviews, Beobachtung und Dokumenten<strong>an</strong>alyse<br />
gewählt. Im Sinne einer prozeßbegleitenden Untersuchung wurden auf Basis eines<br />
Mehrperspektiven<strong>an</strong>satzes Gespräche mit Führungskräften und Mitarbeitern der Anwenderabteilungen,<br />
Beschäftigten der EDV-Abteilungen sowie Vertretern des Betriebsrats<br />
geführt.<br />
Unter Anwendung des entwickelten Bezugs- und Interpretationsrahmens werden<br />
zunächst relev<strong>an</strong>te Akteure und ihre Beziehungsmuster im Rahmen von Implementierungsprozessen<br />
herausgearbeitet und dabei der Einfluß von Macht- und Interessenstrukturen<br />
sowie von kulturellen Schemata sichtbar gemacht. Fallübergreifend lassen sich<br />
zumindest drei typische Muster von Prozeßverläufen unterscheiden, denen sich die<br />
Fallstudien mehr oder weniger zuordnen lassen:<br />
- Implementierung in oktroyierender Vorgehensweise,<br />
- zweckbezogene und kooperative Zusammenarbeit bei der Implementierung sowie<br />
- beziehungsgesteuerte Implementierung bei passiv <strong>an</strong>passendem Verhalten unternehmensinterner<br />
Akteure.<br />
Die Prozeßtypen werden unter den Aspekten der Reduktion von Kontingenz sowie<br />
der Koordination und Durchsetzung von Interessen <strong>an</strong>alysiert. Hervorhebenswert ist<br />
dabei, daß es aufgrund der Notwendigkeit, den Unternehmensbest<strong>an</strong>d zu sichern und<br />
die Konkurrenzfähigkeit zu erreichen, häufig eine weitgehende Zielkomplementarität<br />
zu geben scheint, die ihrerseits eine beschleunigte Implementierung unterstützte. Trotz<br />
der Verpflichtung auf das gemeinsame Interesse am Unternehmenserhalt und der Koordination<br />
über einen gemeinsamen kulturellen Kontext waren Konfliktlinien zu beobachten,<br />
v.a. zwischen M<strong>an</strong>agement und EDV-Abteilung sowie M<strong>an</strong>agement und Betriebsrat.<br />
Musterübergreifend war festzustellen, daß möglichst umf<strong>an</strong>greiche Investitionen in<br />
die technische Ausstattung als außerordentlich notwendig erachtet wurden. Von einer<br />
technischen Modernisierung erwarteten die ostdeutschen Akteure nicht nur einen<br />
schnellen Anschluß <strong>an</strong> das technische, sondern auch <strong>an</strong> das ökonomische Niveau westlicher<br />
Unternehmen. Die konkreten Auswahlverfahren wurden stark abhängig von den<br />
vorh<strong>an</strong>denen Kontakten zu westlichen Unternehmen getroffen. Insgesamt zeigen die
318 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Fälle, daß nach wie vor technokratische Einführungsprozesse überwiegen, in denen<br />
Muster aus der Verg<strong>an</strong>genheit unter den gravierenden Bedingungen der Ungewißheit<br />
reproduziert werden. Das betrifft vor allem ein:<br />
- hierarchisches Vorgehen mit einem großen Anteil <strong>an</strong> Außensteuerung,<br />
- in Verbindung mit der Arbeitsteilung ein Denken in Zuständigkeiten,<br />
- die Sichtweise, wonach Implementierung häufig als technisch-technologisches<br />
Problem und Aufgabe von EDV-Spezialisten betrachtet wird.<br />
Dadurch, daß die Implementierung nur in wenigen Händen liegt, wird schnell Eindeutigkeit<br />
und Orientierungssicherheit erl<strong>an</strong>gt. Damit wird aber nicht nur Passivität bei<br />
breiten Beschäftigtenkreisen reproduziert. Durch die Ausgrenzung aus einem Lernprozeß<br />
verschlechtern sich auch ihre zukünftigen Einflußch<strong>an</strong>cen.<br />
Ansätze für ein stärker partizipatives und kooperatives Her<strong>an</strong>gehen zeigten sich in<br />
Fällen der Einführung eines neuen Führungskonzept durch den Käufer, bei Kontakten<br />
mit Vertretern westlicher Unternehmen und der kritischen Reflexion ostdeutscher Führungskräfte<br />
über ihr eigenes Verhalten oder dem Einsatz westlicher M<strong>an</strong>ager. Relev<strong>an</strong>t<br />
sind auch die Aktivitäten von Betriebsräten. Träger aktiver Einflußnahme auf die Implementierungsprozesse<br />
waren vor allem hochqualifizierte Betriebsratsmitglieder mit<br />
technischer Ausbildung, die jedoch weitgehend in den typischen Mustern der Technikgläubigkeit<br />
und Machbarkeit durch Technik verhaftet blieben. Anzeichen für deutliche<br />
Brüche mit traditionellen Vorgehensweisen zeigten sich auch, wenn mit dem z.T. starken<br />
Abbau von betrieblichen EDV-Abteilungen oder ihrer Ausgliederung aus dem Unternehmen<br />
die Fachabteilungen <strong>an</strong> Einfluß gew<strong>an</strong>nen und eine stärker nutzerorientierte<br />
Sicht einbrachten.<br />
Da die eingeschlagenen Strategien prinzipiell Suchcharakter tragen dürften, ist<br />
nach der Stabilität von Situationsdeutungen und den dar<strong>an</strong> ausgerichteten Verhaltensweisen<br />
zu fragen. Wie die Fallstudien zeigen, ist insbesondere die Zuschreibung von<br />
Expertenwissen zu westlichen Partnern, aber auch der Glaube <strong>an</strong> perfekte technische<br />
Lösungen brüchig geworden.<br />
Insgesamt läßt der St<strong>an</strong>d der Untersuchungen vermuten, daß eine Stabilisierung aller<br />
drei vorgefundenen Prozeßtypen im Bereich des Möglichen liegt. Mit welchem Erfolg<br />
die unterschiedlichen Her<strong>an</strong>gehensweisen verbunden sind, die Klärung dieser Frage<br />
muß weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Dabei lassen jedoch nicht nur<br />
der explorative Charakter und die zeitliche Befristung der Untersuchung eine Weiterarbeit<br />
sinnvoll erscheinen. Durch eine Ausdehnung auf eine größere Anzahl von Unternehmen<br />
könnte eine stärkere Verallgemeinerung der Ergebnisse erreicht werden. In<br />
theoretischer Hinsicht leistet die Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur konzeptionellen<br />
Fundierung von Prozeß<strong>an</strong>alysen in Umbruchsituationen. Ungelöste Probleme bestehen<br />
jedoch nach wie bezüglich der Konzeptualisierung von Strukturdimensionen und hierauf<br />
bezogener H<strong>an</strong>dlungsbezugsrahmen, die der Praxis gerecht werden.<br />
11. Arbeitsbeziehungen
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 319<br />
Musewa M‘Bayo<br />
Unternehmerische Selbstregulierung und internationale Regulierung: Zwei<br />
Ansätze zur Angleichung arbeits- und sozialrechtlicher Defizite in Entwicklungsländern<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Sadowski, Unversität Trier<br />
Ziel: Die wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen in Entwicklungsländern wird<br />
durch ausgeprägte arbeits- und sozialrechtliche Lücken gekennzeichnet. Während die<br />
Internationale Arbeitsorg<strong>an</strong>isation (ILO) diese Defizite durch Normensetzung im Rahmen<br />
der Arbeitsbeziehungen und die Weltb<strong>an</strong>k sowie der Internationale Währungsfonds<br />
(IWF) durch Konditionen bei der Kreditvergabe auszugleichen versuchen, beheben<br />
einige Betriebe die staatlichen Defizite, indem sie ihrer Belegschaft Sozialleistungen<br />
gewähren. Es ist zu vermuten, daß betriebliche Sozialleistungen einen wesentlichen<br />
Beitrag zur sozialen Sicherung in diesen Länder leisten können. Motive zur Gewährung<br />
betrieblicher Sozialleistungen stehen deshalb im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung.<br />
Vorgehen: Um die Frage nach den betrieblichen Motiven, die zur Gewährung betrieblicher<br />
Sozialleistungen in den industriell wenig entwickelten und institutionell wenig<br />
regulierten Ländern führten, zu be<strong>an</strong>tworten, wurden zwei Thesen aufgestellt. Es<br />
wurde zum einem vermutet, daß die Unternehmen aus dem internen Druck heraus, ihren<br />
Personalbedarf zu decken und Fluktuationskosten zu vermeiden, ihrer Belegschaft freiwillig<br />
betriebliche Sozialleistungen gewähren. Zum <strong>an</strong>deren wurde vermutet, daß das<br />
betriebliche Sozialengagement von den Konditionen internationaler Fin<strong>an</strong>zinstitutionen,<br />
insbesondere vom IWF und der Weltb<strong>an</strong>k bei der Kreditgewährung <strong>an</strong> das Entwicklungsl<strong>an</strong>d,<br />
und von den internationalen Arbeitsst<strong>an</strong>dards der ILO abhängt. Als Untersuchungsobjekt<br />
wurde das zairische Bergbauunternehmen Gécamines gewählt, weil sich<br />
das Bergbauunternehmen in Zaire stark bei der Gewährung betrieblicher Sozialleistungen<br />
engagiert hat. Außerdem ist das Unternehmen das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen<br />
Zaires. Zur empirischen Überprüfung der Vermutungen war die Einbeziehung<br />
eines Kontrollbetriebs notwendig, von dem m<strong>an</strong> weiß, daß er freiwillig betriebliche<br />
Sozialleistungen gewährt, aber <strong>an</strong>dererseits nicht unter dem Einfluß der internationalen<br />
Org<strong>an</strong>isationen (ILO, IWF und Weltb<strong>an</strong>k) steht. Es bot sich <strong>an</strong>, einen Betrieb aus<br />
Deutschl<strong>an</strong>d im 19. Jahrhundert auszuwählen, der sich vor der gesetzlichen Regulierung<br />
(Bismarcksche Sozialgesetze) sozial engagiert hat, wie z.B. die Firma Krupp, die<br />
im Deutschl<strong>an</strong>d des 19. Jahrhunderts im Bereich der Sozialpolitik Pionierarbeit geleistet<br />
hat.<br />
Ergebnisse: Das zairische Bergbauunternehmen hat hauptsächlich aus dem internen<br />
betrieblichen Druck, den Personalbedarf zu decken, freiwillig betriebliche Sozialleistungen<br />
gewährt und nicht etwa aufgrund des Einflusses internationaler Org<strong>an</strong>isationen.<br />
Die Fallstudie zeigt demnach, daß internationale Org<strong>an</strong>isationen bisher wenig Einfluß<br />
auf die arbeits- und sozialrechtliche Regulierung der industriell wenig entwickelten
320 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Wirtschaften gehabt haben und daß Pionierleistungen hauptsächlich von Unternehmen<br />
ausgehen.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 321<br />
12. Methoden der <strong>Personalforschung</strong><br />
<strong>Rainer</strong> Krütten<br />
Synthetische Unternehmensstichproben und betriebliche Personalpolitik<br />
Betreuer: Prof. Dr. Dieter Sadowski, Unversität Trier<br />
Ziel: In diesem Projekt soll, ausgehend von statistischen Aggregatdaten über Wirtschaftszweige<br />
und Br<strong>an</strong>chen, denen Erhebungen bei den Unternehmen zugrunde liegen,<br />
eine Stichprobe „synthetisch“ erzeugt werden, die zum Testen von Hypothesen auf einzelwirtschaftlicher<br />
Ebene genutzt werden k<strong>an</strong>n.<br />
Vorgehen: Eine im Forschungsprogramm des IAAEG formulierte einzelwirtschaftliche<br />
Fundierung der Org<strong>an</strong>isationsforschung setzt qu<strong>an</strong>titative Informationen über eine<br />
große Zahl dieser Org<strong>an</strong>isationen voraus. So sind weitere Fortschritte in der Arbeitsnachfragetheorie<br />
nur zu erwarten, wenn entsprechende Massedaten verfügbar sind<br />
(Hamermesh 1991). In den verg<strong>an</strong>genen Jahren ist nun ein Verfahren entwickelt worden,<br />
aus aggregierten Statistiken (R<strong>an</strong>dverteilungen) verschiedener Merkmale einer unbek<strong>an</strong>nten<br />
Grundgesamtheit fiktive, aber mit den R<strong>an</strong>dverteilungen verträgliche Stichprobenelemente<br />
zu rekonstruieren.<br />
Zu diesem Zweck kommt ein Algorithmus, das „Simulated Annealing“, zur Anwendung,<br />
bei dem, ausgehend von einer beliebigen Ausg<strong>an</strong>gsverteilung für die zu generierenden<br />
Variablen, die Merkmalsausprägungen der Variablen so verändert werden,<br />
daß eine möglichst gute Reproduktion der zugrundegelegten R<strong>an</strong>dverteilungen erfolgt.<br />
Dieser iterative Prozeß wird zum einen durch eine Kostenfunktion, die die Abweichungen<br />
von den R<strong>an</strong>dverteilungen mißt, und zum <strong>an</strong>deren durch einen „Kühlpl<strong>an</strong>“, der die<br />
Zahl der Verschlechterungen sukzessive absenkt, gesteuert. Die theoretische Analyse<br />
des Verfahrens weist nach, daß die vom Algorithmus erzeugten Verteilungen gegen eine<br />
„entropiemaximale“ Verteilung konvergieren, also nur soweit von der Ausg<strong>an</strong>gsverteilung<br />
abweichen, wie es die vorgegebenen R<strong>an</strong>dbedingungen erfordern. Das Konstruktionsprinzip<br />
der „maximalen Entropie“ liegt vielen theoretischen Verteilungen zugrunde.<br />
Im zweiten Teil des Projekts sollen das verwendete Verfahren und die konstruierte<br />
Stichprobe auf Validität überprüft werden. Die Rekonstruktion real existierender Stichproben<br />
durch das verwendete Verfahren würde auf eine Eignung zur Konstruktion synthetischer<br />
Stichproben hindeuten. In einem subst<strong>an</strong>zwissenschaftlichen Teil soll am<br />
Beispiel der Determin<strong>an</strong>ten der betrieblichen Schwerbehindertenbeschäftigung <strong>an</strong>alysiert<br />
werden, inwieweit der Einsatz einzelwirtschaftlicher Daten zu <strong>an</strong>deren Ergebnissen<br />
führt als Analysen, die mit Aggregat- und/oder Individualdaten durchgeführt wurden.
322 <strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95)<br />
Ergebnisse: In Testläufen, für die die entsprechende entropiemaximale Verteilung<br />
bek<strong>an</strong>nt ist, konnten gute Anpassungen <strong>an</strong> diese Verteilung und die entsprechenden<br />
R<strong>an</strong>dbedingungen nachgewiesen werden. Die theoretisch postulierten Eigenschaften<br />
werden somit von dem implementierten Algorithmus erfüllt. Die Rekonstruktion von<br />
ausgewählten Variablen aus der „Bonner Stichprobe“ als „reale Stichprobe“ k<strong>an</strong>n als<br />
gelungen bezeichnet werden, da die Mittelwerte und St<strong>an</strong>dardabweichungen, obwohl<br />
nicht explizit in den R<strong>an</strong>dbedingungen vorgegeben, gut abgebildet wurden. Bei der Erzeugung<br />
einer synthetischen Unternehmensstichprobe auf der Basis der Arbeitsstättenzählung<br />
von 1987 zeigen sich überwiegend gute Anpassungen, wenn auch in den R<strong>an</strong>dbereichen<br />
(z.B. sehr große Unternehmen) die Qualität der Approximation abnimmt und<br />
die Zahl der erzeugbaren Variablen begrenzt zu sein scheint.<br />
Bernd Schw<strong>an</strong>dt<br />
„Erzähl mir nix“ - Gesprächsverlauf und Regelaush<strong>an</strong>dlung in den<br />
Besprechungen von Industriemeistern 5<br />
Betreuer: Prof. Dr. Oswald Neuberger, Wiso-Fakultät, Universität Augsburg<br />
Die Arbeit untersucht wöchentliche Arbeitsbesprechungen in einem Produktionsbetrieb.<br />
Mit einem qualitativen Zug<strong>an</strong>g werden Gesprächsverlauf und Regelaush<strong>an</strong>dlungsprozesse<br />
untersucht.<br />
Theoretische Verortung<br />
Die Arbeit beginnt mit einer theoretischen St<strong>an</strong>dortbestimmung, in der eine Prozeßperspektive<br />
auf den Org<strong>an</strong>isationsprozeß gewählt wird. Org<strong>an</strong>isationen werden als<br />
Ort politischer Entscheidungen verst<strong>an</strong>den, die vorzugsweise in Gesprächen zust<strong>an</strong>de<br />
kommen. Diese Gespräche werden als rhetorische Ereignisse betrachtet, in denen Menschen<br />
versuchen, sich über eine Sache und über ein<strong>an</strong>der zu verständigen - dabei wird<br />
insbesondere auf die Theorie mündlicher Kommunikation von Hellmut Geißner (1981)<br />
Bezug genommen. Diese sprechwissenschaftliche Perspektive wird kombiniert mit einer<br />
org<strong>an</strong>isationspsychologischen. In Anlehnung <strong>an</strong> die Regelaush<strong>an</strong>dlungsperspektive<br />
von Schienstock, Hofbauer & Flecker (1991) und die Theorie sozialer Regelsysteme<br />
von Burns & Flam (1987) wird untersucht, wie die Beteiligten <strong>an</strong>gesichts der vielfältigen<br />
H<strong>an</strong>dlungserfordernisse mit den vorh<strong>an</strong>denen org<strong>an</strong>isatorischen Regeln umgehen.<br />
5<br />
Veröffentlicht im Mai 1995 im <strong>Rainer</strong> <strong>Hampp</strong> <strong>Verlag</strong>, München und Mering. B<strong>an</strong>d 8 der<br />
Reihe Org<strong>an</strong>isation & Personal, hrsg. von Oswald Neuberger. Die Dissertationsfassung trägt<br />
den Titel „Da könnten wer jetzt stundenl<strong>an</strong>g drüber diskutiern, das bringt nix“. Wenn das<br />
Sprechen zur Arbeit wird: Gesprächsverlauf und Regelaush<strong>an</strong>dlung in den Besprechungen<br />
von Industriemeistern.
<strong>Personalforschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Hochschulen</strong> (ZfP 3/95) 323<br />
Zugrunde liegt die Annahme, daß org<strong>an</strong>isatorische Regeln kein klares, stabiles Gefüge<br />
zentral gepl<strong>an</strong>ter und logisch konstistenter Regeln und Vorschriften sind, sondern im<br />
sozialen Prozeß teils zufällig entst<strong>an</strong>den sind und ständigen Aush<strong>an</strong>dlungen und Veränderungen<br />
unterliegen; unter dieser Perspektive werden demgemäß Aush<strong>an</strong>dlungs- und<br />
Sinnherstellungsprozesse besonders betont.<br />
In einer ausführlichen Literaturübersicht werden die z.T. sehr verstreuten, vorwiegend<br />
aus dem <strong>an</strong>gloamerik<strong>an</strong>ischen Sprachraum stammenden Beiträge zu Gesprächen<br />
in Org<strong>an</strong>isationen aus Linguistik, Ethnologie, Soziologie und Org<strong>an</strong>isationskulturforschung<br />
zusammengetragen.<br />
Methoden<br />
Die Arbeit versteht sich in ihrem Grundzug<strong>an</strong>g als ethnographisch und interpretativ.<br />
Ausg<strong>an</strong>gsinteresse war, die „Gesprächskultur“ eines Unternehmens möglichst facettenreich<br />
zu erfassen und in ihrer Bedeutung für Org<strong>an</strong>isationskultur insgesamt zu verstehen.<br />
Daher wurde eine sehr offene Zug<strong>an</strong>gsweise gewählt, die in der teilnehmenden<br />
Beobachtung über 4 Monate, Aufzeichnung der stattfindenden Besprechungen, Interviews<br />
und „Feldnotizen“ best<strong>an</strong>d. Erst in der Auswertungsphase wurde <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d des vorh<strong>an</strong>denen<br />
Materials spezifischere Fragestellungen entwickelt. Die drei schließlich verfolgten<br />
Fragestellungen sind:<br />
Der Gesprächsverlauf wird hinsichtlich Beteiligung, Gesprächsleitung, Themen<br />
und Themenwechseln, Tempo und Pausen, Dialekt- und St<strong>an</strong>dardvariationen, Wiederholungen<br />
und Unterbrechungen und ähnlicher Parameter untersucht. Ziel ist, eine - in<br />
der gesprächs<strong>an</strong>alytischen Forschung kaum vorh<strong>an</strong>dene - Analyse von Besprechungen<br />
im Arbeitskontext vorzunehmen.<br />
Im Hinblick auf die vorkommende Metaphorik werden von den am Gespräch Beteiligten<br />
benutzte Bezeichnungen für Arbeit, Personen, Gespräche und Sprechen untersucht.<br />
Dieser Ansatz bezieht sich sowohl auf die Metaphern<strong>an</strong>alyse nach Lakoff und<br />
Johnson (1980) und Deetz (1986), aber auch auf die Untersuchung von „native terminology“,<br />
wie sie in der Ethnographie der Kommunikation“ (Hymes, Gumperz, Philipsen)<br />
verw<strong>an</strong>dt wird.<br />
Der dritte Fokus sind org<strong>an</strong>isatorische Regeln und Regelaush<strong>an</strong>dlungsprozesse.<br />
Konkret ist damit gemeint, wie mit dem Konflikt zwischen ein<strong>an</strong>der widersprechenden<br />
Regeln umgeg<strong>an</strong>gen wird (z.B. ungestörter Produktionsablauf bei möglichst geringem<br />
Personalst<strong>an</strong>d), wie bisl<strong>an</strong>g gültige Regeln modifiziert, in ihrer Dringlichkeit neu bewertet<br />
oder auch klar umg<strong>an</strong>gen werden oder wie in der Besprechung neue Regeln gefunden<br />
werden. Die große Verschiedenheit von ungeschriebenen Gewohnheitsregeln,<br />
technischen Produktions<strong>an</strong>weisungen, Dienstwegen, Geschäftsleitungsbeschlüssen,<br />
formalen Zuständigkeiten macht eine klare Abgrenzung dieser Regeltypen schwer.<br />
Gleichzeitig wird durch die ethnographisch-offene Her<strong>an</strong>gehensweise der Arbeit die<br />
g<strong>an</strong>ze Breite und Vieldeutigkeit von org<strong>an</strong>isatorischen Regeln <strong>an</strong>schaulich.<br />
Deutlich wird in der Analyse auch die wechselseitige Bedingtheit von Org<strong>an</strong>isation<br />
und Org<strong>an</strong>isieren: der „gegebene Rahmen“ Org<strong>an</strong>isation gibt Regeln vor - die Orga-
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nisationsmitglieder bestätigen und verändern beständig diese Regeln und konstituieren<br />
in ihren Gesprächen Org<strong>an</strong>isation. Die Besprechung wird damit zu dem zentralen Ereignis,<br />
um sich darüber zu verständigen, was Sinn und Zweck der Org<strong>an</strong>isation ist. Wie<br />
und was hier geredet wird, schafft Org<strong>an</strong>isation.<br />
Material<br />
Grundlage der Arbeit sind etwa 20 Stunden Tonaufnahmen von 16, im Zeitraum<br />
von 4 Monaten wöchentlich stattfindenden Arbeitsbesprechungen in einem mittelständischen<br />
Produktionsbetrieb. Es h<strong>an</strong>delt sich um eine feste Gruppe von 10 Teilnehmern,<br />
durchweg Männer, mit einer Betriebszugehörigkeit von 15 bis 40 Jahren. Die Analysen<br />
konzentrieren sich auf 5 exemplarisch ausgewählte Szenen von insgesamt 70 Minuten,<br />
die nach unterschiedlichen methodischen Schwerpunkten ausgewertet werden. Hinzu<br />
kommen begleitende Einzelinterviews mit den Teilnehmern der Besprechung und Beobachtungsdaten.<br />
In den untersuchten Gesprächssequenzen geht es u.a. um die Absprache von Produktionsabläufen,<br />
die Überschreitung von Kostenvor<strong>an</strong>schlägen, unklare Zuständigkeiten,<br />
die Aufklärung eines bis dahin unerklärlichen Fehlers während der Endkontrolle<br />
und Unzufriedenheit mit der Arbeit der Betriebsh<strong>an</strong>dwerker.<br />
Ergebnisse<br />
Unter dem gesprächs<strong>an</strong>alytischen Aspekt zeichnen sich die untersuchten Sequenzen<br />
durch hohe Themenzahl, großes Sprechtempo, kaum vorh<strong>an</strong>dene Pausen aus. Es<br />
scheint einen - wenn auch im Rahmen der Arbeit nicht beweisbaren - Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
zwischen dem Sprechtempo und der Akkordproduktion im Betrieb zu geben, was sich<br />
auch in der Metaphorik widerspiegelt. (s.u.) Die Verteilung der Gesprächs<strong>an</strong>teile ist<br />
deutlich ungleich. Während der die Besprechung leitende Betriebsleiter immer zwischen<br />
30 und 50% der Gesprächsbeiträge und Gesamtredezeit hat, liegen die <strong>an</strong>deren<br />
Teilnehmer meist zwischen 5 und 20%. Darin kommt seine Mehrfachfunktion als Gesprächsleiter,<br />
Vorgesetzter, inhaltlich Beteiligter deutlich zum Audruck. Die praktischen<br />
Schwierigkeiten, in einem traditionell hierarchisch ausgerichteten Produktionsbetrieb<br />
eine partizipativ ausgestaltete Besprechung einzuführen (erklärtes Ziel des Betriebsleiters),<br />
während „alte“ Rollenerwartungen unverändert gelten, werden dar<strong>an</strong><br />
ebenfalls deutlich.<br />
Weiter werden temporale Indikatoren wie Unterbrechungen oder l<strong>an</strong>ge Pausen und<br />
sprecherische Indikatoren wie große Lautstärke, ungewöhnliches Sprechtempo oder<br />
Wechsel zwischen St<strong>an</strong>dard und Dialekt in ihrer Bedeutung für Gesprächsverlauf und<br />
Sinnkonstitution untersucht. In diesen Mikro<strong>an</strong>alysen wird verdeutlicht, wie „der Ton<br />
die Musik macht“, welche ein wesentliches Moment von Gesprächskultur ist.<br />
Im metaphorischen Bereich werden sogen<strong>an</strong>nte „tote Metaphern“ (Lakoff & Johnson<br />
1980) identifiziert - damit sind vereinfacht gesagt in den Alltagsgebrauch „abgesunkene“<br />
(!) metaphorische Wortbedeutungen gemeint - z.B. etwas be-greifen (als ob<br />
m<strong>an</strong> es <strong>an</strong>fassen könnte) . Diese finden sich häufig in der „native terminology“, also
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den Bezeichnungen, die die Angehörigen einer Sprechergemeinschaft für kommunikative<br />
Ereignisse, Arbeit oder Personen benutzen. Dabei deuten wiederkehrende Äußerungen<br />
wie „alles muß rund laufen“ und „Hauptsache, es gibt keinen Abriß“ auf die<br />
Durchdringung des Arbeitsalltags von einer Fließb<strong>an</strong>dmetaphorik hin, die sich bis in<br />
das oft sehr hohe Sprechtempo und das gegenseitige Ergänzen dabei nicht schnell genug<br />
zu Ende geführter Sätze fortsetzt. Äußerungen wie „jeder schreit gleich“ und „do<br />
werd sich <strong>an</strong>gekrische“ verweisen sowohl auf den hohen Lärmpegel in der Produktion,<br />
der ein „laut spreche“ erforderlich macht und sich auch im leisen Besprechungsraum<br />
fortsetzt, wie auch auf häufig lautstark ausgetragene Konflikte.<br />
Bezeichnungen wie „die Ärmel hochkremple“ und „sich mal die Händ dreckig mache“<br />
eines gelernten Schlossers werden vom Betriebsleiter - dem einzigen Akademiker<br />
der Runde - mit „der hat schon genug am Hals“ und „der hat sein Kopfzerbrechen“ be<strong>an</strong>twortet:<br />
die verwendeten Begriffe verweisen nicht nur auf unterschiedliche Konzeptionen<br />
von „Arbeit“, sondern auch auf damit einhergehende Berufsrollenkonflikte.<br />
Hinsichtlich der Regeln und Regelaush<strong>an</strong>dlung gibt es eine Fülle von Beobachtungen.<br />
Gemeint sind hier weniger die Regeln im Sinne von Mustern der sozialen Interaktion<br />
- darüber wird unter dem Aspekt der Gesprächs<strong>an</strong>alyse einiges ausgesagt -, sondern<br />
betriebliche Regeln wie Zuständigkeiten, allgemeine Vorschriften, Produktionsvorschriften,<br />
Akkordvorgaben oder Geschäftsleitungsbeschlüsse. Ein auftretendes Grundproblem<br />
ist, daß die Meister zur Aufrechterhaltung einer „reibungslosen“ Produktion<br />
ständig gegen einzelne Regeln verstoßen - z.B. indem sie sich über großzügig kalkulierte<br />
Akkordzeiten eine Personalreserve von 1 bis 2 M<strong>an</strong>n sichern, die bei Maschinenausfällen<br />
oder hohem Kr<strong>an</strong>kenst<strong>an</strong>d ihre H<strong>an</strong>dlungsfähigkeit erhält. Oder indem ein Kostenvorschlag<br />
„nichtsahnend“ überschritten wird, weil die Einhaltung des „Dienstweges“<br />
zur Bewilligung weiterer Gelder die Fertigstellung einer benötigten Vorrichtung um 3 -<br />
4 Wochen verzögern würde.<br />
D<strong>an</strong>eben werden bestehende Regelungen in der Besprechung teils <strong>an</strong>gesprochen,<br />
um ihre Funktionalität zu überdenken, teils wegen ihrer „Unlogik“ attackiert - wenn<br />
zum Beispiel die Schlosser relativ teure Ventile nicht mehr durch Auswechseln einer<br />
Dichtung reparieren dürfen, während gleichzeitig wichtige Anschaffungen mit dem<br />
Verweis auf Kosteneinsparungen nicht bewilligt werden. Hier wird von den Meistern<br />
eine Konsistenz betrieblicher Regelungen eingefordert - was den Betriebsleiter in die<br />
Verlegenheit bringt, als Repräsent<strong>an</strong>t der Geschäftsleitung Regeln zu verteidigen, die er<br />
persönlich auch kritisiert. Aber „wo käme m<strong>an</strong> da hin“, wenn m<strong>an</strong> alle Regeln außer<br />
Kraft setzen dürfte: denn letztlich „baut“ Org<strong>an</strong>isation auf das außer-Frage-stellen bestimmter<br />
Regeln und Vorschriften. Die Bal<strong>an</strong>ce zwischen „sturer“ Regeleinhaltung und<br />
deren „pragmatischer“ Umgehung wird so ständig neu ausgeh<strong>an</strong>delt.<br />
Die unterschiedlichen Formen, Regeln zu thematisieren und teils direkt, teils indirekt<br />
deren Veränderung zu betreiben bzw. diese zu verhindern, sind insbesondere auch<br />
unter einer mikropolitischen Perspektive aufschlußreich. Hierzu beinhalten die 5 Analysen<br />
viel Anschauungsmaterial.<br />
Die Arbeit ist aufgrund ihrer ethnographisch-interpretativen Zug<strong>an</strong>gs in ihren Ergebnissen<br />
(zw<strong>an</strong>gsweise) „diffuser“ als qu<strong>an</strong>titative Forschungsprojekte. Der Fokus auf
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Gesprächsprozesse und die darin stattfindende Sinndeutung darüber, was die Org<strong>an</strong>isation<br />
ist und wie der Prozeß des Org<strong>an</strong>isierens verlaufen sollte, läßt diese Vorgehensweise<br />
dem Gegenst<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gemessen, weil heuristisch wertvoll erscheinen. Die Arbeit vermittelt<br />
damit nicht zuletzt einen differenzierten Einblick in die - in der <strong>an</strong>gloamerik<strong>an</strong>ischen<br />
Forschung weit verbreiteren - Formen ethnographischer Org<strong>an</strong>isationsforschung.<br />
Literatur<br />
Burns, T.; Flam, H.; 1987: The shaping of social org<strong>an</strong>ization. Social rule system theory with<br />
appliccations. Beverly Hills: Sage.<br />
Deetz, S. 1986. Metaphors <strong>an</strong>d the discursive production <strong>an</strong>d reproduction of org<strong>an</strong>ization. In: L.<br />
Thayer (ed) Org<strong>an</strong>ization - Communication. Emerging Perspectives. B<strong>an</strong>d 1, S. 168-182.<br />
Norwood, NJ: Ablex.<br />
Geißner, H. 1981. Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Königstein:<br />
Scriptor. (2. Aufl. Fr<strong>an</strong>kfurt 1988)<br />
Lakoff, G; Johnson, M. 1980. Metaphors we live by. Chicago: Univ. of Chicago Press.<br />
Schienstock, G.; Hofbauer, J.; Flecker, J. . 1991. Interessenskonflikte und Konsensmech<strong>an</strong>ismen<br />
in der neueren Org<strong>an</strong>isationssoziologie. In E. Hildebr<strong>an</strong>dt, (Hrsg.) Betriebliche Sozialverfassung<br />
unter Veränderungsdruck, S. 55-84. Berlin: rainer bohn.