Oswald Neuberger - Rainer Hampp Verlag
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I. Zum Paradigma der Objektivität (Systemtheoretische Perspektive).<br />
Die Bezeichung "Objektivität" habe ich gewählt, um die fundamentale<br />
Leistung dieses Ansatzes zu charakterisieren: Es geht darum,<br />
Organisationen zu entmenschlichen. Menschen werden unter dem Regime<br />
instrumenteller Vernunft zu Objekten (Produktionsfaktoren) versachlicht,<br />
bei denen nur ganz bestimmte leistungsrelevante Aspekte interessieren.<br />
Als spezielle Funktion ist Personalwesen eingebaut in den Gesamtprozeß<br />
der betrieblichen Leistungserstellung, der sich aus systemtheoretischer<br />
sozialwissenschaftlicher Perspektive darstellen läßt als die (zum Teil<br />
unüberschaubare) Gleichzeitigkeit aneinander angeschlossener Handlungen<br />
(bzw. Entscheidungen, Kommunikationen, Erwartungen usw.).<br />
Weil dieser Prozeß nicht streng deterministisch abläuft, sondern wegen<br />
seiner Komplexität, Kontingenz und Lernfähigkeit störbar ist, wird er<br />
ununterbrochen vom System selbst überwacht oder allgemeiner gesagt:<br />
beobachtet. Die fortwährende Selbstbeobachtung von Unternehmen wird<br />
besonders eindrucksvoll belegt durch die ebenfalls ausdifferenzierte<br />
Funktion des Controlling, das die Abbildung betrieblicher Geschehnisse in<br />
Kennziffern etc. betreibt und laufend überprüft, ob Ist-, Soll- und<br />
Plandaten den erwarteten Bezug zueinander haben.<br />
Der betriebliche Leistungsprozeß ist so komplex, daß er in seiner<br />
Gesamtheit nicht lückenlos und verzögerungsfrei überschaut und abgebildet<br />
werden kann. Die Aufmerksamkeit ist vielmehr spezifisch gerichtet;<br />
bestimmte Organe beschäftigen sich mit bestimmten Problemen und<br />
entwickeln dafür auch bestimmte Beschreibungen. Dies ist ein allgemeiner<br />
Name für alle Semantiken, Sprachen, Medien usw., die eingesetzt werden,<br />
um (Selbst-)Beobachtungen zu kommunizieren. Die verfügbaren oder<br />
gewählten Beschreibungen beinhalten und spiegeln wider die Interessen,<br />
Werte und Ideologien spezifischer Interessenten ("stakeholders"). Es gibt<br />
keine umfassende, wertfreie, richtige oder wahre Beschreibung, weil es<br />
das Anliegen der beteiligten Interessengruppen ist, ihre jeweilige Sicht<br />
der Dinge (Beobachtung) durchzusetzen und allgemeinverbindlich zu machen.<br />
Zu diesem Zweck muß die Beobachtung kommuniziert werden, d.h. sie muß in<br />
Sprache oder ein anderes Medium übersetzt und es muß dafür gesorgt<br />
werden, daß alle Beteiligten diese Mitteilung verstehen und zur Grundlage<br />
ihres Erwartens, Entscheidens und Handelns machen.<br />
Beobachtungen richten sich auf vorhandene Wirklichkeiten, die spezifische<br />
Realisierungen aus einem Reich denkbarer Möglichkeiten sind. Beobachtbar<br />
ist nur, was so und nicht anders ist bzw. diese Fest-Stellung oder Ab-<br />
Grenzung konstitutiert sowohl Beobachtung wie Beobachtetes. Prinzipiell<br />
gibt es für jede Wirklichkeit die Möglichkeit des Andersseins - alles ist<br />
kontingent. Das heißt auch, daß das Bestehende, Positive konfrontiert<br />
werden kann mit Alternativen - und zwar aus zwei Motivationen: Das<br />
Bestehende kann als ein Schlechtes oder Störendes ("Problem") bezeichnet<br />
werden, für das Verbesserungen gesucht werden. Das Vorhandene kann aber<br />
auch als gut akzeptiert werden, ohne daß diese Bewertung zu Zufriedenheit<br />
und Untätigkeit führte, sondern als Ausgangspunkt für die Suche nach<br />
neuen Möglichkeiten ("Chancen") dient.<br />
In beiden Fällen (Problemen und Chancen) werden beobachterspezifische<br />
Suchrichtungen gewählt; es werden Zuschreibungen (Attributionen,<br />
Zuständigkeitserklärungen) vorgenommen, die für die weitere Bearbeitung<br />
Verantwortung zuteilen. Damit werden Beobachtungen herausgenommen aus der<br />
blinden Faktizität des Seins und zur Kenntnis gebracht ("thematisiert"),<br />
so daß sie mit systemeigenen Operationen behandelbar werden.