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Oswald Neuberger - Rainer Hampp Verlag

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<strong>Oswald</strong> <strong>Neuberger</strong>*<br />

Personalpraxis im Spannungsfeld von Objektivität,<br />

Intersubjektivität und Subjektivität<br />

Die Personalwirtschaftslehre als wissenschaftliche Reflexion der<br />

Personalpraxis hat ihren Gegenstand bislang überwiegend in einer<br />

objektivierenden oder verdinglichenden Weise betrachtet und vor allem<br />

Verfahren der Herstellung und Handhabung von "Personal" analysiert und<br />

entwickelt. Im Selbstverständnis von Personal-Verantwortlichen und -<br />

Beratern zeigt sich demgegenüber eine auffällige Tendenz,<br />

"Persönlichkeit" (oder: den Menschen) in den Mittelpunkt zu rücken<br />

und/oder gemeinsames Handeln als Strategie der Verlebendigung von<br />

Institutionen und Strukturen des Personalwesens zu empfehlen. Der<br />

vorliegende Beitrag schlägt dementsprechend drei theoretische<br />

Perspektiven vor, um die meist unausgesprochenen Vorannahmen in der<br />

Diskussion der Personal-Fachleute zu entschlüsseln: eine objektivierendsystemtheoretische,<br />

die sich auf die Institution Personalwesen<br />

beschränkt, eine intersubjektiv-handlungstheoretische, die die<br />

Zusammenarbeit von Personen in Rollen betont (Personalarbeit) und<br />

schließlich eine subjektiv-identitäts-theoretische, die dem Eigenwert und<br />

Eigensinn von Persönlichkeit das größte Gewicht gibt. Es wird die These<br />

vertreten, daß jede Aktivität und Leistung der Personalpraxis unter allen<br />

drei Perspektiven analysiert werden muß und daß diese drei Sichtweisen<br />

nicht harmonisierbar sind.<br />

Personalwesen oder Personalwirtschaft ist eine betriebliche Institution;<br />

ihre Aufgabe ist, Personal zu produzieren und zu erhalten. Im folgenden<br />

wird zwischen Personalwesen und Personalwirtschaft kein Unterschied<br />

gemacht. "Wesen" wird hier nicht als Seins- oder Substanzbegriff<br />

gebraucht, sondern wird im Ursinn des Wortes verstanden als das "Tun und<br />

Treiben" (hier: des Personals); Wirtschaft meint ursprünglich das Haus-<br />

Wesen (griech.: oikos) und schließt - wie in der Öko-Nomie behandelt -<br />

den haushälterischen Umgang mit Werten ein.<br />

Üblicherweise denkt man, es ginge beim Personalwesen um die Wahrnehmung<br />

der "menschlichen Belange"; Personalwesen sei in besonderer Weise der<br />

"Humanisierung" (Vermenschlichung) von Arbeit und Organisation<br />

verpflichtet. Diese Betrachtungsweise unterstellt, man wüßte, was als<br />

"menschenwürdig" oder "menschengerecht" zu gelten habe; sie geht zudem<br />

davon aus, daß (nur) eine bestimmte betriebliche Einrichtung<br />

(Institution) für "menschliche" Bedingungen verantwortlich sei. Damit<br />

wird die Fülle der Aufgaben der Personalpraxis - nämlich den<br />

Produktionsfaktor "Personal" optimal zu beschaffen, einzusetzen und zu<br />

nutzen - einer speziellen Einrichtung delegiert (dem Personalwesen,<br />

lokalisiert in der Personalabteilung). Historisch gesehen hat sich diese<br />

Spezial-Einrichtung Personalwesen relativ spät ausdifferenziert (und noch<br />

später teilweise professionalisiert), während Personalarbeit von allem<br />

Anfang an von Vorgesetzten und einzelnen Spezialisten betrieben wurde.<br />

Personalpraxis hat somit einen Doppel-Charakter: Sie erfolgt einerseits<br />

in spezialisierten Stellen, die ausschließlich mit der Ausübung<br />

generalisierter und formalisierter personalwirtschaftlicher Verfahren<br />

betraut sind (Personalwesen als Institution); andererseits ist Personalarbeit<br />

diffus im Unternehmen verteilt, sie wird von allen betrieblichen<br />

Vorgesetzten in einer Art Lückenbüßer-Funktion wahrgenommen und sie<br />

widmet sich den durch Institutionalisierung und (Konditional-<br />

)Programmierung nicht erledigten oder gar erst erzeugten Problemen.


Personalwesen-Lehre ist die wissenschaftliche Reflexion der<br />

Personalpraxis und die systematische und kritische Weitergabe von<br />

Anschauungen, Verfahren und Erfahrungen zu diesem Erkenntnisbereich.<br />

Die folgende Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen der Personalpraxis<br />

ist orientiert an drei verschiedenen theoretischen Zugängen, mit denen<br />

sich die - oft unausgesprochenen - Vorannahmen ordnen lassen, die der<br />

Diskussion von Fachthemen bei Theoretikern und Praktiker zugrundeliegen.<br />

Zur Kritik und Entwicklung der Personalpraxis ist es wichtig, Positionen<br />

zu finden, von denen aus Unterscheidungen getroffen werden. Kritik ist<br />

Differenzierung und setzt Grenz-Ziehung voraus. Je nach gewähltem<br />

Standpunkt ändert sich der Blickwinkel und jeweils andere Probleme und<br />

Lösungen werden sichtbar. Grundannahme der folgenden Überlegungen ist,<br />

daß die Gegenüberstellung der drei unversöhnlichen Ansätze - die in Tabelle<br />

1 zusammengefaßt sind - eine immanente Kritik erlaubt, weil die<br />

jeweils anderen Sichtweisen mit besonderer Deutlichkeit die Leistungen,<br />

Defizite und Einseitigkeiten des dritten Ansatzes freilegen.<br />

Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, habe ich drei Paradigmen unterschieden:<br />

die Paradigmen der Objektivität, Intersubjektivität und Subjektivität.<br />

Ich werde darauf im folgenden kommentierend eingehen, ohne im einzelnen<br />

alle Überlegungen, die in der Tabelle 1 ausgeführt sind, zu wiederholen.


Tab. 1:<br />

Personalpraxis: Drei theoretische Perspektiven


Tab. 1:<br />

Personalpraxis: Drei theoretische Perspektiven (fortgesetzt)


Tab. 1:<br />

Personalpraxis: Drei theoretische Perspektiven (fortgesetzt)


I. Zum Paradigma der Objektivität (Systemtheoretische Perspektive).<br />

Die Bezeichung "Objektivität" habe ich gewählt, um die fundamentale<br />

Leistung dieses Ansatzes zu charakterisieren: Es geht darum,<br />

Organisationen zu entmenschlichen. Menschen werden unter dem Regime<br />

instrumenteller Vernunft zu Objekten (Produktionsfaktoren) versachlicht,<br />

bei denen nur ganz bestimmte leistungsrelevante Aspekte interessieren.<br />

Als spezielle Funktion ist Personalwesen eingebaut in den Gesamtprozeß<br />

der betrieblichen Leistungserstellung, der sich aus systemtheoretischer<br />

sozialwissenschaftlicher Perspektive darstellen läßt als die (zum Teil<br />

unüberschaubare) Gleichzeitigkeit aneinander angeschlossener Handlungen<br />

(bzw. Entscheidungen, Kommunikationen, Erwartungen usw.).<br />

Weil dieser Prozeß nicht streng deterministisch abläuft, sondern wegen<br />

seiner Komplexität, Kontingenz und Lernfähigkeit störbar ist, wird er<br />

ununterbrochen vom System selbst überwacht oder allgemeiner gesagt:<br />

beobachtet. Die fortwährende Selbstbeobachtung von Unternehmen wird<br />

besonders eindrucksvoll belegt durch die ebenfalls ausdifferenzierte<br />

Funktion des Controlling, das die Abbildung betrieblicher Geschehnisse in<br />

Kennziffern etc. betreibt und laufend überprüft, ob Ist-, Soll- und<br />

Plandaten den erwarteten Bezug zueinander haben.<br />

Der betriebliche Leistungsprozeß ist so komplex, daß er in seiner<br />

Gesamtheit nicht lückenlos und verzögerungsfrei überschaut und abgebildet<br />

werden kann. Die Aufmerksamkeit ist vielmehr spezifisch gerichtet;<br />

bestimmte Organe beschäftigen sich mit bestimmten Problemen und<br />

entwickeln dafür auch bestimmte Beschreibungen. Dies ist ein allgemeiner<br />

Name für alle Semantiken, Sprachen, Medien usw., die eingesetzt werden,<br />

um (Selbst-)Beobachtungen zu kommunizieren. Die verfügbaren oder<br />

gewählten Beschreibungen beinhalten und spiegeln wider die Interessen,<br />

Werte und Ideologien spezifischer Interessenten ("stakeholders"). Es gibt<br />

keine umfassende, wertfreie, richtige oder wahre Beschreibung, weil es<br />

das Anliegen der beteiligten Interessengruppen ist, ihre jeweilige Sicht<br />

der Dinge (Beobachtung) durchzusetzen und allgemeinverbindlich zu machen.<br />

Zu diesem Zweck muß die Beobachtung kommuniziert werden, d.h. sie muß in<br />

Sprache oder ein anderes Medium übersetzt und es muß dafür gesorgt<br />

werden, daß alle Beteiligten diese Mitteilung verstehen und zur Grundlage<br />

ihres Erwartens, Entscheidens und Handelns machen.<br />

Beobachtungen richten sich auf vorhandene Wirklichkeiten, die spezifische<br />

Realisierungen aus einem Reich denkbarer Möglichkeiten sind. Beobachtbar<br />

ist nur, was so und nicht anders ist bzw. diese Fest-Stellung oder Ab-<br />

Grenzung konstitutiert sowohl Beobachtung wie Beobachtetes. Prinzipiell<br />

gibt es für jede Wirklichkeit die Möglichkeit des Andersseins - alles ist<br />

kontingent. Das heißt auch, daß das Bestehende, Positive konfrontiert<br />

werden kann mit Alternativen - und zwar aus zwei Motivationen: Das<br />

Bestehende kann als ein Schlechtes oder Störendes ("Problem") bezeichnet<br />

werden, für das Verbesserungen gesucht werden. Das Vorhandene kann aber<br />

auch als gut akzeptiert werden, ohne daß diese Bewertung zu Zufriedenheit<br />

und Untätigkeit führte, sondern als Ausgangspunkt für die Suche nach<br />

neuen Möglichkeiten ("Chancen") dient.<br />

In beiden Fällen (Problemen und Chancen) werden beobachterspezifische<br />

Suchrichtungen gewählt; es werden Zuschreibungen (Attributionen,<br />

Zuständigkeitserklärungen) vorgenommen, die für die weitere Bearbeitung<br />

Verantwortung zuteilen. Damit werden Beobachtungen herausgenommen aus der<br />

blinden Faktizität des Seins und zur Kenntnis gebracht ("thematisiert"),<br />

so daß sie mit systemeigenen Operationen behandelbar werden.


Ein Problem kann z.B. etikettiert oder thematisiert werden als eines der<br />

Finanzierung, der Logistik, der Produktion oder eben: als ein<br />

Personalproblem. Personalprobleme sind Diskrepanzen in der Ausstattung<br />

mit und dem Funktionieren von Personal. Von besonderer Bedeutung sind<br />

Transformationsprobleme: Das beschaffte "Arbeitsvermögen" der vorhandenen<br />

"Arbeitskräfte" muß in Arbeitsleistungen umgesetzt und in den<br />

betrieblichen Leistungsprozeß integriert werden.<br />

Nicht der einzelne Mensch interessiert, sondern sein Einbau in den<br />

betrieblichen Leistungsprozeß und -zusammenhang. Das bedeutet: Es geht um<br />

technisch-organsatorisch-soziale Koordination. Vor allem die<br />

Schnittstellen sind wichtig, an denen die Verbindungen von Einzelbeiträgen<br />

erfolgen. Ein hochkompetenter und -motivierter Spezialist ist<br />

gesamtbetrieblich gesehen unökonomisch plaziert, wenn nicht die anderen<br />

Handelnden und Einrichtungen (Maschinen, Strukturen) seine Potenzen<br />

erschließen und verwerten können, indem sie angemessene Voraussetzungen<br />

bereitstellen und Anschlußhandlungen gewährleisten können. Es geht also<br />

prinzipiell nicht um den Einzel-, sondern nur um den "Gesamtarbeiter".<br />

Wenn schon etwas - aus betrieblicher Sicht - im Mittelpunkt steht, dann<br />

nicht der einzelne Mensch, sondern das Personal.<br />

Personal wird hier nicht amorph als die "Gesamtheit der Menschen im<br />

Unternehmen" ("die Personen"), sondern als Kollektivsingular ("das<br />

Personal") betrachtet, das die Besonderheit dieser Zusammenfassung von<br />

Personen ausdrückt. Menschen werden zu Personal, wenn und soweit sie<br />

durch die Mitgliedschaft in einer Organisation in bestimmten relevanten<br />

Aspekten ihres Denkens und Handelns auf betriebliche Ziele und Aufgaben<br />

beschränkt sind bzw. werden (s. <strong>Neuberger</strong> 1990).<br />

Die allgemeinen Personal-Probleme, die eine kompetente Bearbeitung<br />

erfahren müssen, sind bekannt und werden in den personalwirtschaftlichen<br />

Lehrbüchern differenziert behandelt (P-Politik, P-Planung, P- Marketing,<br />

P-Beschaffung, P-Auswahl, P-Einsatz, P-Entwicklung, P-Abbau bzw. P-<br />

Anpassung, P-Kontrolle, P-Controlling, P-Führung, Bezahlung,<br />

Arbeitsbewertung ...). In der Abbildung 1 sind diese Problembereiche<br />

aufgeführt und mit den Lehrveranstaltungen (und Basistexten), die wir an<br />

der Universität Augsburg im Vertiefungsfach "Personalwesen" anbieten, in<br />

Beziehung gesetzt. Für die Überwachung und Steuerung dieser allgemeinen<br />

typisier- und vorhersagbaren Personalprobleme sind Abbildungsvorschriften<br />

und Routineprogramme etc. entwickelt worden. Sie sind die "harten S"<br />

(systems, structures, strategies) die den Kern des Spezialistentums des<br />

Personalwesens ausmachen. Im wesentlichen sind es zwei Hauptaufgaben,<br />

konstitutive und exekutive. Konstitutiv sind die Aufgaben, die den<br />

"Personalkörper" herstellen (Planung, Beschaffung, grundsätzliche<br />

Ausrichtung etc.). Zur Wahrnehmung der exekutiven Aufgaben<br />

("Personalbewegungen") werden Kennziffern und Frühwarnsignale festgelegt,<br />

kontinuierlich erhoben und rückgemeldet (Anwesenheit, Produktivität,<br />

Lohnkosten, Qualifikationsniveau, Fluktuation usw.). Werden Abweichungen<br />

(Probleme) festgestellt, greifen Routinen ein, also vorbereitete<br />

standardisierte Problemlösungen. Meist werden die einlaufenden<br />

Informationen in einer bestimmten betrieblichen Stelle ("Personalabteilung")<br />

gesammelt, ausgewertet und bearbeitet. Es ist aber auch<br />

möglich, daß in dieser Stelle nur die Problemlösungs-Verfahren erarbeitet<br />

werden; an dezentraler Stelle sind die "Pakete" dann anzuwenden, wenn<br />

bestimmte definierte Problemsituationen auftreten ("Wenn ein Mitarbeiter<br />

mehr als 10 min zu spät kommt, dann ist dies festzuhalten und dem<br />

Lohnbüro zu melden"). Die Zuordnung konstitutiver und exekutiver Aufgaben<br />

wurde im historischen Verlauf der Unternehmensentwicklung unterschiedlich<br />

vorgenommen: Zuerst lagen alle Aufgaben beim Unternehmer oder den von ihm<br />

eingesetzten Führungskräften, dann haben sich einzelne Funktionen


ausgegliedert (Lohnbuchhaltung, Rechtsfragen, Beziehung zu Gewerkschaften)<br />

bis schließlich für die immer komplexer werdenden Probleme<br />

eigene Stabsabteilungen (zusammengefaßt: Personalabteilung) eingerichtet<br />

wurden. Die damit verbundene Zentralisierung von Aufgaben und die<br />

Bevormundung von (Linien-)Vorgesetzten wird in jüngster Zeit vielfach als<br />

Ursache von Unflexibilität und Praxisferne erkannt, so daß Bestrebungen<br />

eingeleitet werden, Personal-Arbeit wird zu dezentralisieren und zu<br />

wesentlichen Teilen von den unmittelbaren Vorgesetzten wahrnehmen zu<br />

lassen (s. ein konkretes Beispiel dazu in Schartner 1990).<br />

Abb. 1: Die sieben Veranstaltungen des Vertiefungsfachs<br />

"Personalwesen" an der Univer-sität Augsburg und ihr Bezug zu<br />

personalwirtschaftlichen Aufgabenstellungen


Die standardisierten Problemlösungsroutinen des spezialisierten<br />

Personalwesens sind Evolutionsprodukte, die sowohl Problemsituationen wie<br />

Interessenslagen widerspiegeln. Sie sind als kristallisierte oder<br />

sedimentierte Lösungen gespeichert (WEICK würde hier von "Retention"<br />

sprechen, womit er bei seinem evolutionstheoretischen Ansatz eine Art<br />

genetischer Programmierung meint). Bewähren sich solche Lösungen für<br />

spezifische ("selektierte") Problemlagen nicht mehr, entsteht Irritation<br />

und die Suche nach alternativen Bewältigungsformen. Dies ist die Stelle<br />

des Versagens von Personalwesen und der Rückgriff auf ein mitlaufendes<br />

anderes Steuerungssystem, das genetisch früher und robuster ist, die<br />

Personalarbeit. Diese Funktion von Personalpraxis könnte plastisch<br />

beschrieben werden als "Schutt wegräumen", "Lücken füllen", "Erste Hilfe<br />

bieten", "Kompromißformeln entwickeln", "Härten puffern", "Schmieröl-<br />

Funktion" usw.<br />

II. Paradigma der Intersubjektivität (interaktionstheoretische<br />

Perspektive)<br />

Die Differenz zwischen Personalwesen und Personalarbeit, die hier<br />

konstatiert wird, läßt sich ins Verhältnis setzen zur Differenz zwischen<br />

"funktionaler Systemintegration" und "normativer Sozialintegration".<br />

Personalwesen folgt allgemeinen Systemimperativen (Universalismus,<br />

affektive Neutralität, Eigennutz-Orientierung, Funktionalität usw.).<br />

Diese Systemintegration gelingt nie bruchlos, weil ihre Zielkriterien in<br />

sich widersprüchlich, mehrdeutig und instabil sind; diese Inkonsistenzen<br />

konfrontieren mit unvorhersehbaren Folgeproblemen. In dieser Situation<br />

kann zurückgegriffen werden auf basale Integrationsformen, die allgemeine<br />

kulturelle Wertmuster, gesellschaftliche Normen und individuelle Motive<br />

aktivieren und Regelungslücken oder -konflikte mit der Konsequenz<br />

systemischer Lähmung verhindern. Es melden sich übersehene<br />

Geltungsansprüche aus scheinbar vereinnahmten und stillgelegten Bezirken,<br />

weil die Menschen (!, nicht das Personal), die integriert werden sollen,<br />

Eigensinn und Eigenwert haben und in ihrer Interaktion eine politische<br />

Dynamik entsteht, die "irrational" ist.<br />

Die Überbrückungs- und Anpassungsleistung durch (symbolische) Interaktion<br />

ist nicht kostenlos, denn damit werden in systemische Operationen<br />

Fremdkörper eingeschmuggelt, die sich nicht mehr vertreiben lassen und<br />

ihre spezifischen Rechte fordern: Verständigung, Ausnahme, Verhandlung,<br />

Kompromiß, Dankbarkeit, Geduld, Repräsentation ...<br />

Personalarbeit ist weniger als das formalisierte und strukturierte<br />

Personalwesen auf die Logik des Geldcodes festgelegt; sie kann andere<br />

Steuerungsmedien (Freundschaft, Macht, Vertrauen etc.) einsetzen. Wenn


hier von Steuerungsmedien die Rede ist, dann ist folgendes gemeint: Im<br />

Unternehmen müssen Akteure ( genauer: Handlungen und Erwartungen) berechenbar<br />

miteinander verbunden werden, um zu gewährleisten, daß Handlungen<br />

in der ökonomisch besten (oder in sinnvoller, produktiver, effektiver)<br />

Form ausgeführt und aufeinander bezogen werden. Diese Ko-Ordination kann<br />

erfolgen durch Sprache, aber auch durch den Einsatz von Macht, Gewalt<br />

oder Zwang, durch den Tausch von Geld gegen Leistung, durch Herausbildung<br />

verbindlicher Wertnormen, durch sozialen Einschluß und Zugehörigkeit usw.<br />

In kapitalistischen Marktwirtschaften ist das dominante (nicht das<br />

einzige) Steuerungsmedium Geld. Transaktionen müssen sich letztlich<br />

rechtfertigen können, ob und wie sehr sie dazu betragen, daß das<br />

Kapitalverwertungsziel erreicht wird (wobei Grenzbedingungen - z.B. Recht<br />

- zu beachten sind). Im Personalwesen schlägt sich das konkret darin<br />

nieder, daß die Personalkosten (als der in manchen Branchen größte<br />

Kostenblock überhaupt) von fundamentaler Bedeutung ist für das<br />

Gesamtergebnis, so daß versucht werden muß, auch hier produktiv und<br />

effizient zu wirtschaften und das heißt ständig nach kostengünstigeren<br />

Lösungen zu suchen. Dabei werden die spezifischen Eigenheiten des Faktors<br />

Personal in Rechnung zu stellen sein: Personal kann man nicht wie<br />

Maschinen einfach abschreiben und abbauen, es geht nicht ins Eigentum des<br />

Unternehmens über, Personal ist in seinem Einsatz zeitlich beschränkt,<br />

weniger disponibel und mobil, schlechter berechenbar und kompliziert<br />

bewertbar, eigen-sinnig usw.<br />

Der Umgang mit Personen in Rollen erfordert neben den standardisierten<br />

und typisierten Lösungsschemata Adhoc-Strategien. Personalarbeit kann<br />

andere als (eigentlich) vorgeschriebene Wege gehen; das Vorhandensein<br />

dieser Möglichkeit belegt, daß es keinen Determinismus, sondern<br />

Handlungsspielräume und Optionen gibt. Gerade wenn etablierte Schemata<br />

versagen, müssen Systeme über Einrichtungen verfügen, die es ihnen<br />

erlauben, sich an neue Situationen anzupassen (zu verlernen) und<br />

gespeicherte Lösungen durch neue zu ersetzen. Es gibt also grundsätzlich<br />

(der Komplexität und Kontingenz der betrieblichen Leistungsprozesse<br />

geschuldet oder gedankt) Freiheitsgrade. Aus den Intransparenzen und<br />

Widersprüchen der Leistungsprozesse werden fortwährend neue Chancen und<br />

Risiken geboren, auf die z.T. nicht mit standardisierten Routinen<br />

geantwortet werden kann. Wäre die Personalfunktion allein auf die<br />

formalisierten Problemlösungen angewiesen ("Personalwesen"), würde sie<br />

Gefahr laufen, schnell unangepaßt und unökonomisch zu werden.<br />

Es besteht also eine beständig aktive Spannung zwischen Personalwesen und<br />

Personalarbeit, die als fruchtbarer Gegensatz von Verfestigung<br />

(Personalwesen) und Verflüssigung (Personalarbeit) beschrieben werden<br />

kann. Die beiden Pole bedürfen einander: kein "System" des Personalwesens<br />

funktionierte, wenn nicht Anwender und Betroffene es interpretierten, mit<br />

gesundem Menschenverstand handhabten, in Sonderfällen außer Kraft setzten<br />

oder sinnvoll modifizierten. Genauso fehlte aber der Personalarbeit das<br />

Skelett, gäbe es keine Richtlinien, Normen, Formulare, Verfahrenswege. In<br />

einem Unternehmen muß es Befreiung von stets erneuter Konsensfindung<br />

geben, es muß auf einen Bodensatz weitgehend fraglos akzeptierter<br />

Situationsdefinitionen und Handlungsschemata zurückgegriffen werden<br />

können.<br />

Neue Lösungen werden möglicherweise von einzelnen ersonnen und angewandt,<br />

sie müssen aber, um durchgesetzt werden zu können, sozial akzeptiert<br />

werden. Es muß also der Anschluß an systemische Operationsmodi gefunden<br />

werden; die anderen Akteure müssen sich darauf einstellen (können), sie<br />

erwarten (können), sie als Prämissen ihrer eigenen Entscheidungen<br />

akzeptieren (können). Personalwesen ist im wesentlichen auf die<br />

verallgemeinerte Bindungswirkung gegründet. Sind Aktionen nicht


anschließbar, werden sie als "Fremdkörper" buchstäblich eliminiert,<br />

ausgegrenzt, abgestoßen. Damit werden einmal mehr Prozeß und Notwendigkeit<br />

der sozialen Validierung sichtbar: Wirklichkeit und<br />

Problemdefinition sind keine automatischen Prozesse, sondern müssen<br />

durchgesetzt und verbindlich gemacht werden können und dominante<br />

Interessen befriedigen.<br />

Um das bislang Gesagte zusammenzufassen: Die Unternehmung beobachtet sich<br />

fortwährend mit vorgegebenen Semantiken selbst und reagiert mit ebenso<br />

vorgegebenen Routinen auf Abweichungen (Personalwesen); sie hat auch für<br />

nicht standardisierte Problemfälle Ausweichlösungen oder kreative<br />

Neuerungen verfügbar (Personalarbeit), mit denen sie Ersatz- oder<br />

Nebenroutinen, die sich bewähren, lokal zuläßt oder gar fordert.<br />

III. Paradigma der Subjektivität (identitätstheoretische Perspektive)<br />

Dem System Unternehmen, das aus Handlungen, Kommunikationen,<br />

Entscheidungen etc. - jedenfalls nicht aus Menschen - besteht, kann das<br />

System Mensch gegenübergestellt werden. Der einzelne ist nicht Teil der<br />

Unternehmung und er interessiert auch nicht als "ganzer" Mensch mit<br />

Körper, Geist und Seele. Der "ganze" Mensch ist prinzipiell nicht<br />

erfaßbar; zu ihm gehörte etwa der Blutkreislauf, die Träume, die<br />

religiösen Haltungen, die Hobbies, die Beziehungen zu Eltern und<br />

Verwandten .... Dem Betrieb ist fast alles davon gleichgültig; er<br />

interessiert sich primär für den wirksamen Leistungsbeitrag. Für die<br />

Behandlung körperlicher Erkrankungen z.B. hat das System Unternehmen<br />

normalerweise keine inhaltlichen Hilfen (außer "Krankschreibung")<br />

vorgesehen. Nur wenn irgendwelche anderen Aspekte des Menschen den<br />

Leistungsbeitrag stören (z.B. aggressives Werben für eine<br />

Glaubensgemeinschaft im Betrieb, das Unruhe unter der Belegschaft<br />

auslöst), wird der Betrieb aktiv.<br />

Durch diese Überlegungen soll verdeutlicht werden, daß "der Mensch" nicht<br />

Mittelpunkt des Unternehmens ist. Was ist schon "der Mensch"? Er tritt<br />

wie der wandlungsfähige Meergott Proteus je nach Gelegenheit in<br />

verschiedenen Gestalten auf, nämlich z.B. als<br />

- Arbeitgeber und Arbeitnehmer,<br />

- Produzent und Konsument,<br />

- Unternehmensinterner und Unternehmensexterner,<br />

- Mit-Mensch (Du, Alter-Ego) und Mittel-Mensch (Objekt, Ware,<br />

Instrument) ...<br />

Hat etwa der Mensch "Arbeitgeber" dieselben Interessen wie der Mensch<br />

"Arbeitnehmer"? Und wenn nicht, wer von beiden Menschen steht dann im<br />

Mittelpunkt? Würde "der Mensch" in jeder der genannten sich<br />

widersprechenden Sichtweisen im Mittelpunkt stehen, d.h. die Aktionen des<br />

Systems determinieren, wäre dieses handlungsunfähig.<br />

Der Mensch als reflexives Subjekt und Aktionszentrum ist insofern - wie<br />

Luhmann schon vor 25 Jahren festgestellt hat - Umwelt des Systems<br />

Unternehmung. Zum System Unternehmung gehören gehören nicht "ganze<br />

Menschen", sondern Handlungen, die an andere Handlungen angeschlossen<br />

werden; Handlungen - nicht Menschen - wären dann Element des Systems.<br />

Element ist nur, was durch selbstreferentielle Operationen des System<br />

erzeugt wird (Autopoiesis). Das System Unternehmen kann Handlungen<br />

(Entscheidungen, Kommunikationen etc.) erzeugen, jedoch nicht Menschen.<br />

Aber es benutzt für diese Erzeugungsarbeit Menschen und "schlachtet" sie<br />

demgemäß aus (ähnlich wie beim Stoffwechsel fremdes Eiweiß nicht einfach<br />

eingelagert, sondern erst zerlegt und dann in geeigneter Form integriert


wird). Vielleicht steht in einem anderen Sinn der Mensch im Mittelpunkt,<br />

weil er wichtige Bezugsgröße für Alternativrechnungen ist: Wenn andere<br />

Faktorkombinationen günstiger, sicherer, billiger, effizienter sind, dann<br />

wird der unbequeme, sperrige, eigensinnige Faktor Mensch sukzessiv ersetzt<br />

werden (wobei natürlich die Vorteile dieses Faktors genauso in<br />

Rechnung zu stellen sind: seine Elastizität, Flexibilität, Lernfähigkeit,<br />

Kreativität usw.).<br />

Das (reflexive, empfindungsfähige, bewußtseinsfähige) Subjekt kann die<br />

Unternehmung imaginieren, symbolisieren, phantasieren als<br />

gegenüberstehende "Ganzheit". Das selbstreferentielle Subjekt kann sich<br />

in seinen systembezogenen Leistungen irritiert fühlen durch Umwelt-<br />

Einflüsse (hier: Vorgänge im System Unternehmen) oder durch<br />

interpersonelle Beziehungsstörungen, fehlenden Konsens usw. In der<br />

Selbsterfahrung können Erfahrungen wie Angst, Freude, Leid, Entfremdung,<br />

Trauer seinen Zustand charakterisieren und als "Störung" oder<br />

"Bereicherung" erfahren werden. Werden diese Erfahrungen external<br />

attribuiert, also der Umwelt (hier: dem Unternehmen zugeschrieben), dann<br />

kann diese Problem-Definition (!) oder Attribution problemlösende<br />

Aktionen des Subjekts begründen (z.B. Fehlzeiten, Identifikation,<br />

Leistungsrestriktion, Motivationsschub, Rückzug ...). Diese Subjekt-<br />

Aktionen sind Gegenstand der Selbstbeobachtung und -beschreibung des<br />

Systems Unternehmung und werden - beim Überschreiten von Toleranzgrenzen<br />

- "erfaßt" und beantwortet (sei es durch "Personalwesen" oder<br />

"Personalarbeit").<br />

Dem steht nun als ein "nicht-kolonialisierter Rest" jener Bereich der<br />

Persönlichkeit gegenüber, der sich widerspenstig gegen<br />

Vereinnahmungsversuche zeigt. Menschen haben ein unveräußerliches Recht<br />

auf Eigen-Art, Eigen-Wert und Eigen-Sinn, das sie auch fortwährend<br />

wahrnehmen. Die Elemente, aus denen sich Subjektivität bildet und die sie<br />

formt, sind Gedanken, Gefühle, Erlebnisse, Erfahrungen, Empfindungen,<br />

Phantasien, Handlungsimpulse, Pläne usw. Jeder Mensch hat seinen eigenen<br />

Stil, zu denken, zu spüren und zu handeln und diese Besonderheit macht<br />

sich trotz und neben aller vereinheitlichenden Reglementierung und<br />

sozialer Vereinbarung geltend, zumindest als ein Anspruch, der<br />

systemischen und intersubjektiven Integrationsversuchen ebenso sehr<br />

Widerstand leistet wie er sie - gerade deshalb - herausfordert.<br />

Stünde tatäschlich "der Mensch" im Mittelpunkt, dann müßte sich für jeden<br />

einzelnen Mitarbeiter unter anderem das folgende feststellen lassen: Er<br />

hat einen interessanten, sicheren, gutbezahlten, gesunden usw.<br />

Arbeitsplatz! Wenn alles Bemühen um den Mitarbeiter kreiste, müßte sich<br />

das auch im unternehmerischen Ziel- und Controlling-System widerspiegeln;<br />

die Erreichung oder Verfehlung "menschlicher" Ziele müßte<br />

operationalisiert, dokumentiert, mit Konsequenzen verbunden, einklagbar<br />

sein. Davon sind wir weit entfernt, weil finanzwirtschaftliche Ziel- und<br />

Meßgrößen ganz eindeutig im Vordergrund stehen. Insofern ist die beliebte<br />

Formulierung "Der Mensch steht im Mittelpunkt" entweder eine Verbrämungsund<br />

Beschwichtigungsformel oder ein unerreichbares Ziel - eine jener<br />

Utopien, die die betrieblichen Pragmatiker, stolz auf ihren sogenannten<br />

Realismus, immer so abschätzig kommentieren.<br />

Jedenfalls re-agieren sowohl Subjekt wie Unternehmen auf je spezifisch<br />

diagnostizierte "Probleme" mit Aktionen, die die Probleme beseitigen<br />

sollen. Das Ergebnis wird wiederum beobachtet und führt bei Erfolg zur<br />

Stabilisierung des Prozesses und seiner Wiederanwendung, bei Mißerfolg<br />

zur erneuten Suche nach einer erfolgreicheren Strategie.


Entscheidend bei den Vorgängen der Selbst-Beobachtung des Systems<br />

"Unternehmen" und des Systems "Subjekt" ist die Rolle der Sprache<br />

(Symbolisierung, Semantik). Durch sie wird Wirklichkeit konstituiert und<br />

bearbeitbar.<br />

Wirklichkeitskonstruktion läßt sich bezeichnen als "ausgrenzende<br />

Stabilisierung": Handeln kann man nur, wenn man nicht alles weiß und<br />

berücksichtigt, sich nicht für "alle Möglichkeiten" offenhält. Zum<br />

Handeln benötigt man Verfestigung, Strukturen, Ausblenden von Alternativen,<br />

Reduktion von Kontingenz und Komplexität. Die Verfestigung birgt<br />

den Keim ihrer Selbstzerstörung durch Erstarrung. Deshalb muß der Prozeß<br />

der Stabilisierung in Schach gehalten werden durch einen Prozeß der<br />

Flexibilisierung, der bestehende Routinen mit Alternativen konfrontiert<br />

und das Bestehende durch anderes ersetzt. Allerdings darf die Aufweichung<br />

der "harten S" nicht beliebig und beliebig lange vollzogen werden, weil<br />

sonst kollektives soziales Handeln (das Struktur voraussetzt, weil an es<br />

angeschlossen werden muß) nicht mehr möglich ist. Damit sind auch die<br />

Grenzen genannt, die der subjektiven Selbsterfahrung und<br />

Selbstverwirklichung in Organisationen gesetzt werden, Grenzen, die nicht<br />

unüberschreitbar sind, deren Passage aber Klugheit, Mut und<br />

Unsicherheitstoleranz voraussetzt.<br />

Aus dieser Perspektive ergibt sich:<br />

Personalwesen ist nicht durch Sorge um den Menschen gekennzeichnet.<br />

Personalwesen hat einen "kalten Blick": es geht ihm uns Generelle,<br />

Allgemeingültige, Abstrakte, Neutrale. Das Personalwesen von dieser<br />

"Sachlichkeit" auf "Menschlichkeit" (Liebe, Wärme, Vertrauen ... )<br />

umzustellen, bedeutete, es als Institution aufzulösen.<br />

Andererseits ist intersubjektive Personalarbeit durchaus in der Lage,<br />

andere Codes der Handlungsverkettung zu nutzen. Die Errichtung<br />

privilegierter Beziehung zwischen zwei Mitarbeitern oder einer<br />

Führungskraft und einem Mitarbeiter kann sich gründen auf Freundschaft,<br />

Vertrauen etc. Aber dies nur auf dem Hinter- und Untergrund des Geld-<br />

Codes. Würde über die privilegierte Beziehung hinaus die<br />

Allgemeingültigkeit des Freundschafts-Codes eingeklagt, würde das Prinzip<br />

scheitern. Dies läßt sich demonstrieren, wenn man sich personalwirtschaftliche<br />

Problemlösungen daraufhin näher ansieht, z.B.<br />

Personalabbau, Lohnsysteme, Beförderungspolitik usw. Beispiel: Was wären<br />

die Konsequenzen, wenn für Personalabbau prinzipiell und vorrangig nicht<br />

Kostensenkung und/oder ökonomischer Nutzen, sondern soziale Rücksichten<br />

oder soziale Beziehungen ("Vetterles-Wirtschaft") ausschlaggebend wären?<br />

Um einen Kommentar, der ursprünglich auf irreführende Werbung gemünzt<br />

war, durch Ersetzen des Wortes "täuschen" mit "lieben" umzuformulieren:<br />

Man kann einige Menschen immer lieben und alle Menschen manchmal lieben,<br />

aber nicht alle Menschen immer lieben. Liebe ist eine privilegierte<br />

Beziehung, die definitionsgemäß nicht generalisiert werden kann.<br />

Daher ist "menschliche Beziehung" besonderer Ausnahmefall und nicht Regel<br />

und Routine. Ein ökonomisch fundiertes Sozialsystem könnte damit nicht<br />

stabilisiert werden. Dies läßt sich leicht zeigen, wenn die "Liebes-<br />

Logik" zu Ende gedacht und oder generalisiert würde. Sie schlägt um in<br />

eine Lüge, die ablenken soll von dem zugrundeliegenden<br />

Steuerungsmechanismus Geld (andere Auffassungen dazu äußern Binder 1989,<br />

Rieckmann 1989, 1990). Betriebe expandieren und schließen, weil sie<br />

finanziellen (Miß-)Erfolg haben und nicht, weil der Arbeitgeber die Leute<br />

liebt oder haßt. Den menschenfreundlichen Unternehmer erwartet - das hat<br />

schon Marx festgestellt - die Strafe des Untergangs. Arbeitgeber oder<br />

ihre Beauftragten handeln kapitalorientiert nicht aus Bösartigkeit oder


Menschenverachtung, sie werden vielmehr dazu gezwungen, weil sie immer<br />

dem Alternativenkalkül unterworfen sind, dessen allgemeine Regel ist:<br />

"Gibt es eine günstigere Kombination von Produktionfaktoren, in der der<br />

Mensch eine geringere Rolle spielt, dann wähle sie - bevor der Konkurrent<br />

es tut und du aus dem Markt ausscheidest".<br />

In Tabelle 2. ist am Beispiel der Beurteilung skizziert, welche<br />

Verfahrensmöglichkeiten mit den drei beschriebenen Paradigmen vereinbar<br />

sind und wie jeder dieser drei verschiedenen Vorschläge aus der Sicht der<br />

konkurrierenden Ansätze kritisiert werden kann.<br />

Dieses Beispiel soll illustrieren, was grundsätzlich gilt:<br />

- Zu jedem Ansatz der Personalpraxis gibt es Alternativen: Man kann<br />

es (auch) anders machen (wenn man den Standpunkt wechselt)! Dieser<br />

Perspektivenwechsel muß trainiert werden, weil ansonsten die Beharrung<br />

auf dem Vertrauten Innovation verhindert.<br />

- Die vergleichende Betrachtung legt Stärken und Schwächen offen und<br />

sensibilisiert für eine differenzierende Bewertung, der auch Ansatzpunkte<br />

für konkrete Verbesserungen zu entnehmen sind.<br />

- Wenn Alternativen als "nicht realisierbar" erscheinen, dann wird<br />

deutlich, daß (oder gar: welche) Kräfte und Interessen den Status Quo<br />

stabilisieren.<br />

Die Verwobenheit und das Gegeneinander-Ausspielen der drei Perspektiven<br />

Objektivität, Intersubjektivität und Subjektivität läßt sich an einer<br />

Kontroverse veranschaulichen, die im Heft 1 (1990) der Zeitschrift<br />

"Personalführung" dokumentiert ist: Dort habe ich bei der Beschreibung<br />

des Personalwesens einseitig systemtheoretisch argumentiert; Rieckmann<br />

betont in seiner Replik ebenso einseitig den subjektiven Standpunkt der<br />

"Persönlichkeit"; Wächter regt


Tab. 2:<br />

Beispiel Beurteilung


eine Vermittlung an durch stärkere Berücksichtigung der<br />

Intersubjektivität (Konsens, Politik, Mitbestimmung), während Schröder<br />

auf die wechselseitige Konstitution von Personal und Persönlichkeit<br />

setzt.<br />

Warum hält sich bei dieser Gemengelage von Argumenten die von<br />

Mitarbeitern des Personalabteilungen bevorzugte Selbstcharakterisierung<br />

als "Zuständige fürs Menschliche"? Hier ist an fundamentalistische<br />

Selbstberuhigungsversuche zu denken. Sie bieten die simple Lösung aller<br />

komplexen Fragen durch ein Heils-Prinzip an, sei es nun "kooperative<br />

Führung" oder "Gottesfurcht" oder "Wertewandel" oder "Humanisierung" ...<br />

Das Problem "Unternehmenssteuerung" ist derart komplex und<br />

widersprüchlich, daß es Ratlosigkeit, Angst, Minderwertigkeit erzeugt. Es<br />

ist erleichternd, wenn als Allheilmittel angeboten wird, an "das Menschliche"<br />

zu glauben, das alle Probleme zu lösen hilft.<br />

Es bleibt jedoch ein Rest. Das Menschliche erschöpft sich nicht in der<br />

Tauglichkeit oder Zurichtbarkeit für Rollen oder Funktionen, es wird<br />

nicht in erfolgs- oder verständigungsorientierten Kommunikationen restlos<br />

eingebracht. Es gibt ein Privates, Eigenes, Besonderes, das nicht<br />

umstandslos als Ressource in Dienst genommen werden kann, weil es als<br />

Leben, Spontaneität, Authentizität einen Eigenwert besitzt, der der<br />

Rechtfertigung durch Nützlichkeit und Soziabilität nicht bedarf.<br />

Schluß<br />

Die vorgeschlagene Betrachtungsweise soll Widersprüche offenlegen. Sie<br />

bietet keine glatte Lösung aller Personalprobleme an, die dogmatisch<br />

übergestülpt werden könnte. Sie fordert von den Betroffenen Anstrengungen<br />

zur Selbst-Konstruktion einer veränderten Wirklichkeit, die kein Paradies<br />

sein wird, aber erkannte Ungerechtigkeiten eher beseitigen kann. Die perfekte<br />

Lösung ist utopisches Fernziel, aber nie konkret realisierbar; dies<br />

zu vergessen hieße dem "Gotteskomplex" anheimzufallen. Aber - im Sinn des<br />

Programms der Aufklärung - es ist ein Fortschritt, sich aus der<br />

selbst(?)verschuldeten Unmündigkeit befreien zu wollen - und sei es nur<br />

dadurch, daß Spielräume genutzt, Optionen erkannt, Mängel im kleinen<br />

tastenden Schritten abgestellt werden. Der Optimismus der Aufklärung, daß<br />

bei redlichem Bemühen und Anstrengung aller vernünftige Lösungen gefunden<br />

werden könnten und daß durch Einsicht die gesellschaftlichen<br />

Angelegenheiten zum Guten zu befördern seien, ist längst als Mythos<br />

entlarvt. Wenn vieles besser wird, dann heißt das noch nicht, daß alles<br />

gut wird! Lokal rationale Lösungen versprechen keine rationale Gesamtoder<br />

Endlösung - der Totalüberblick ist uns grundsätzlich verwehrt. Weder<br />

die internen Beziehungen, noch die externen Bedingungen können überschaut<br />

werden, so daß immer mit unerwarteten und unbeherrschbaren Entwicklungen<br />

zu rechnen ist. Aber auch wenn dies möglich wäre, garantierte die<br />

Einsicht in gute Wege und Ziele nicht, daß sie verwirklicht werden.<br />

Soziale Probleme berühren Interessen und Werte, die nicht durch die<br />

Leerformel vom Gesamtwohl harmonisiert werden können. Es kann also nicht<br />

um das End-Ziel gehen, sondern um Zwischenziele und nächste Schritte.<br />

Personalwesen-Lehre hat somit nicht die Funktion, Wahrheiten dogmatisch<br />

zu verkünden oder Bestlösungen anzubieten, sondern die Verhältnisse<br />

systematisch und kritisch zu beschreiben, d.h. an Alternativen, an<br />

Unterscheidungen zu vergleichen. Damit ergibt sich auch, daß durch das<br />

Aufzeigen von Widersprüchen, Mehrdeutigkeiten und Instabilitäten Handlungsmöglichkeiten<br />

und Spielräume sichtbar werden, die zur Besserung des<br />

derzeitigen Zustands genutzt werden können.<br />

Jede personalwirtschaftlich relevante Situation kann im skizzierten<br />

Spannungsdreieck von Objektivität, Intersubjektivität und Subjektivität


gesehen werden. Durch die Triangulierung in diesem Kraftfeld kann ein<br />

Problem verortet und die Standpunktgebundenheit jedes spezifischen<br />

Diagnose- und Lösungsansatzes sichtbar gemacht werden. Es wird dann auch<br />

deutlich, daß zum Beispiel "Menschlichkeit" mit "Sachlichkeit" nicht<br />

harmonisierbar ist, sondern daß es sich um eine grundsätzlich<br />

unversöhnliche, spannungsgeladene Beziehung handelt, in der jeweils<br />

gegensätzliche Geltungsansprüche thematisiert werden. Es zeigt sich<br />

zudem, daß die durch die drei Perspektiven eröffneten Optionen des Sehens<br />

und Handelns nicht gleich-gültig sind. Wer sich für eine bestimmte<br />

dominante Sichtweise entschieden hat, hat damit auch eine Entscheidung<br />

getroffen, sich selbst, seine Mitmenschen und die Tat-Sachen in eben<br />

dieser Bestimmtheit zu behandeln.<br />

Literatur<br />

Binder, K. (1989): Brauchen Manager eine neue Ethik? Personalführung, 7,<br />

680-685.<br />

Luhmann, N. (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation. Berlin<br />

(Duncker & Humblot)<br />

<strong>Neuberger</strong>, O. (1990): Der Mensch ist Mittelpunkt. Der Mensch ist Mittel.<br />

Punkt. Personalführung, 1, 3-10.<br />

Rieckmann, H. (1989): Organisationsentwicklung als Element strategischer<br />

Personalpolitik und Personalentwicklung. Personalführung, 7, 686-693.<br />

Rieckmann, H. (1990): Sieben Thesen und ein Fazit. Personalführung, 1,<br />

12-17.<br />

Schartner, H. (1990): Eine neue Rolle des Personalwesens bei BMW?<br />

Personalführung, 1, 32-37.<br />

Schröder, W. (1990): Wenn Thomas Gottschalk in der Konstruktion arbeiten<br />

würde ... Personalführung, 1, 24-31<br />

Türk, K. (1980): Pathologie der Organisation. In: Grochla, E. (Hrsg.):<br />

Handwörterbuch der Organisation. Stuttgart, S. 1855-1864.<br />

Wächter, H. (1990): Personal oder Menschen als Gegenstand einer<br />

Personalwirtschaftslehre? Personalführung, 1, 18-23


* Prof. Dr. <strong>Oswald</strong> <strong>Neuberger</strong> (48) ist Ordinarius für Psychologie an<br />

der WiSo-Fakultät der Universität Augsburg. Er studierte in München<br />

Psychologie und BWL, promovierte 1970, habilitierte 1975 und ist seit<br />

1977 Professor (zuerst an der Universität der Bundeswehr, seit 1980 an<br />

der Universität Augsburg.<br />

Arbeitsgebiete: Führung, Organisation, Motivation, Kommunikation.<br />

Wichtige Veröffentlichungen: Theorien der Arbeitszufriedenheit<br />

(1974), Messung der Arbeitszufriedenheit (1974), Führungsverhalten und<br />

Führungserfolg (1976), Arbeit (1985), Wir, die Firma. Das Unbehagen an<br />

der Unternehmenskultur (1987), Was ist denn da so komisch? Der Witz in<br />

der Firma (1988), Führen und geführt werden (1989).

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