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Ann Elisabeth Auhagen Kompetenz und Verantwortung

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230 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

<strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong> *<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> **<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> sind zentrale Aspekte professionellen Handelns.<br />

Beide Begriffe werden zunächst theoretisch erläutert in Bezug auf Gemeinsamkeiten<br />

<strong>und</strong> Unterschiede. Dann werden Ergebnisse aus drei empirischen Untersuchungen,<br />

zwei Feldstudien <strong>und</strong> einem Experiment, vorgestellt. Dabei wird auf über 500 Situationen<br />

von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> bei 140 Untersuchungsteilnehmerinnen<br />

<strong>und</strong> Untersuchungsteilnehmern rekurriert. Zu den zentralen Ergebnissen zählen, dass<br />

eine doppelt positive Beziehung zwischen <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> besteht <strong>und</strong><br />

dass besonders die subjektive situative <strong>Kompetenz</strong>erwartung den Umgang mit <strong>Verantwortung</strong><br />

begünstigt. Die Resultate werden unter anderem diskutiert im Zusammenhang<br />

mit verschiedenen Arten <strong>und</strong> Aspekten von <strong>Kompetenz</strong> in Relation zu <strong>Verantwortung</strong><br />

sowie dem Handlungskontext, der für entsprechende Situationen günstig<br />

ist. Außerdem werden Praxistipps für den Umgang mit <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

gegeben.<br />

Competence and responsibility<br />

Competence and responsibility are key concepts in professional life. In this<br />

paper, both constructs are firstly theoretically analysed. Then data from three<br />

empirical studies, two field studies and one experiment, are presented. These include<br />

over 500 situations concerning competence and responsibility with 140 respondents.<br />

Key results are that there seems to be a twofold positive relationship between<br />

competence and responsibility and that self-efficacy is conducive in dealing with<br />

responsibility. The results are discussed in relation to different kinds of competence<br />

in combination with responsibility. Also the contextual conditions for acting in<br />

relation to competence and responsibility are considered. Recommendations for<br />

practitioners are suggested.<br />

____________________________________________________________________<br />

* PD Dr. <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>, Freie Universität Berlin, erwarb zunächst die Qualifikation<br />

zur Redakteurin <strong>und</strong> studierte anschließend Psychologie in Grenoble, Hamburg <strong>und</strong> Düsseldorf.<br />

Es folgten die Promotion <strong>und</strong> Habilitation im Fach Psychologie. Zu <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong><br />

<strong>Auhagen</strong>s derzeitigen Lehr- <strong>und</strong> Forschungsinteressen zählen <strong>Verantwortung</strong>, Kommunikation,<br />

zwischenmenschliche Beziehungen, Sozialpsychologie, Angewandte Sozialpsychologie,<br />

Organisationspsychologie <strong>und</strong> Pädagogische Psychologie sowie quantitative <strong>und</strong> qualitative<br />

Forschungsmethoden.<br />

** Artikel eingegangen: 11.9.2001.<br />

revidierte Fassung akzeptiert nach zweifachem Begutachtungsverfahren: 1.10.2001.


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 231<br />

Zielsetzungen<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> gelten als zentrale Aspekte professionellen<br />

Handelns. Beide Begriffe sind allerdings ebenso schillernd wie unscharf. Während<br />

<strong>Kompetenz</strong> sich auf Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten bezieht, bildet <strong>Verantwortung</strong> einen<br />

Bezugspunkt innerhalb eines ethisch-moralischen Referenzsystems. <strong>Kompetenz</strong> (z.B.<br />

Beltz/Siegrist 1997; Meifert/Piehl 2000) <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> (z.B. Hoff/Lappe 1995;<br />

Schmidt 1992; Witt 2001) werden jedoch meist getrennt voneinander betrachtet <strong>und</strong><br />

analysiert. Dabei gibt es gute Gründe, beide gemeinsam zu untersuchen. Die Zielsetzung<br />

dieser Arbeit ist es, theoretische <strong>und</strong> empirische Verknüpfungen von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> herzustellen, zu analysieren <strong>und</strong> für die Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />

professionellen Handelns in Organisation <strong>und</strong> Wirtschaft nutzbar zu machen. Dafür<br />

werden, erstens, die beiden Begriffe auf ihre Bedeutung hin betrachtet <strong>und</strong> expliziert.<br />

Zweitens werden anhand der Fachliteratur theoretische Verbindungen zwischen ihnen<br />

herausgearbeitet. Drittens werden Daten aus drei empirischen Studien präsentiert, die<br />

die Beziehung zwischen <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> näher charakterisieren. Viertens<br />

werden aus den Ergebnissen Optionen für die Praxis professionellen Handelns<br />

abgeleitet.<br />

<strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>Kompetenz</strong> wird als unabdingbare Komponente professionellen Handelns gesehen.<br />

Davon zeugen aktuelle Ansätze <strong>und</strong> Maßnahmen, die sich um die Vermittlung<br />

von <strong>Kompetenz</strong>en bemühen (z.B. Beltz/Siegrist 1997; Bergmann 1999; Marggraf<br />

1995; Tenbusch/Bracht 1998; Weßling 1999). Als Konzept ist <strong>Kompetenz</strong> vielschichtig.<br />

So kann, erstens, <strong>Kompetenz</strong> als allgemeine Fähigkeit gesehen werden: „... <strong>Kompetenz</strong><br />

kann allgemein definiert werden als die Motivation <strong>und</strong> Befähigung eines Individuums<br />

zur selbständigen Weiterentwicklung von Wissen <strong>und</strong> Können auf einem<br />

Gebiet, so dass dabei eine hohe Niveaustufe erreicht wird, die mit Expertise charakterisiert<br />

werden kann“ (Bergmann 1999, 32). Außerdem kann <strong>Kompetenz</strong> sich auf spezielle<br />

Fähigkeiten beziehen, wie sie in ganz bestimmten Berufsbildern oder Positionen<br />

benötigt werden (z.B. Schwarz-Govaers 1997). Die „berufliche <strong>Kompetenz</strong>“ oder<br />

„berufliche Handlungskompetenz“ (Bergmann 1999, 36) kann noch weiter unterteilt<br />

werden, zum Beispiel in Fach-, Sozial-, Methoden-, Personal- oder Selbstkompetenz<br />

(Bergmann 1999, 36).<br />

Eine zweite relevante Ausdifferenzierung des Konzeptes von <strong>Kompetenz</strong> ist die<br />

Unterscheidung zwischen den tatsächlichen Fähigkeiten einer Person <strong>und</strong> deren subjektiver<br />

Überzeugung, <strong>Kompetenz</strong>en zu besitzen. Was unter dem Begriff der „tatsächlichen“<br />

<strong>Kompetenz</strong> einer Person zu verstehen sein könnte – in Abgrenzung zu<br />

deren subjektiven <strong>Ann</strong>ahmen über ihre <strong>Kompetenz</strong> – , ist nicht einfach zu bestimmen.<br />

Ulich <strong>und</strong> Baitsch (1987) bieten auf einer tätigkeitspsychologischen Gr<strong>und</strong>lage im<br />

Sinne von Leontjew (1959/1973, 515) folgende Explikation an: „Als <strong>Kompetenz</strong> wird<br />

dabei das System subjektiver Voraussetzungen verstanden, das sich in der Qualität<br />

der Handlungen niederschlägt <strong>und</strong> diese reguliert“. Auf der Basis einer empirischen


232 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

Studie zur <strong>Kompetenz</strong>entwicklung zeigen Frei, Duell <strong>und</strong> Baitsch (1984, nach<br />

Ulich/Baitsch 1987), dass für die Entwicklung von <strong>Kompetenz</strong>en drei kritische Momente<br />

zusammentreffen müssen: Erstens müssen Widersprüche in der Arbeitssituation<br />

<strong>und</strong> neue Ziele formuliert werden. Zweitens müssen für die Entwicklung neuer<br />

Ziele Informationen über Alternativen zur Verfügung stehen. Drittens muss der praktische<br />

Vollzug der neuen Tätigkeit gegeben sein. Daneben ist ein ausreichender Spielraum<br />

für individuelle <strong>und</strong> kollektive Selbstregulation wichtig (Ulich/Baitsch 1987).<br />

Die Relevanz für eine Person, neben tatsächlichen <strong>Kompetenz</strong>en auch die subjektive<br />

Überzeugung zu haben, <strong>Kompetenz</strong>en zu besitzen, wurde von Bandura (1977) unter<br />

dem Namen Self-Efficacy (hier auch als Selbstwirksamkeitserwartung, <strong>Kompetenz</strong>erwartung<br />

oder subjektive situative <strong>Kompetenz</strong> bezeichnet) in die Fachliteratur eingeführt.<br />

Das Konstrukt der Selbstwirksamkeitserwartung beinhaltet die kognitiven<br />

Selbsteinschätzungen von Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten. Es handelt sich<br />

um die Überzeugung, „spezifische Anforderungen durch eigenes kompetentes Handeln<br />

unter Kontrolle zu bringen“ (Schwarzer 1993a, 15). Nach Bandura (1992) übt<br />

Selbstwirksamkeitserwartung Einflüsse auf menschliche Motivation, Emotionen, Gedanken<br />

<strong>und</strong> Handlungen aus. Die Beziehung von individueller „tatsächlicher“ <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> individueller Selbstwirksamkeitserwartung dürfte vielschichtig sein. Sie<br />

ist jedoch empirisch noch wenig untersucht.<br />

Eine dritte wichtige Unterscheidung in Bezug auf <strong>Kompetenz</strong> ist, ob es sich bei<br />

<strong>Kompetenz</strong>en um mittelfristig stabile Persönlichkeitseigenschaften handelt oder um<br />

situationsbezogene erlernbare Fertigkeiten. Ulich <strong>und</strong> Baitsch (1987) diskutieren die<br />

Analyse von Tätigkeiten im Zusammenhang mit Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Ähnlich konzipiert auch Schwarzer eine generalisierte <strong>Kompetenz</strong>erwartung<br />

als Persönlichkeitsvariable (Schwarzer 1993b). Selbstwirksamkeitserwartung,<br />

wie sie dagegen von Bandura gesehen wird, ist eine situative Variable (Bandura<br />

1992), deren Ausprägungsgrad in jeder Situation von der betreffenden Person neu<br />

eingeschätzt werden kann.<br />

<strong>Verantwortung</strong><br />

Der Begriff der <strong>Verantwortung</strong> zeichnet sich ebenfalls durch eine außerordentliche<br />

Komplexität aus (umfassende Übersichten bieten <strong>Auhagen</strong> 1999; <strong>Auhagen</strong>/Bierhoff<br />

2001; Bayertz 1995). Drei Aspekte der <strong>Verantwortung</strong> sollen hier hervorgehoben<br />

werden. Sie sind im Hinblick auf das Zusammenspiel von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> besonders relevant.<br />

Erstens: Es gibt <strong>Verantwortung</strong> für Vergangenes oder für Zukünftiges. <strong>Verantwortung</strong><br />

als ein Begriff der Ethik, der sich mit moralischen Anforderungen auseinandersetzt,<br />

lässt sich historisch aus zwei Richtungen herleiten (Bayertz 1995; Ropohl<br />

1994), die beide zum heute aktuellen <strong>Verantwortung</strong>sbegriff beitragen. Die entwicklungsgeschichtlich<br />

ältere fokussiert auf <strong>Verantwortung</strong> im Sinne von Schuld, Tadel<br />

<strong>und</strong> Rechenschaft <strong>und</strong> auf <strong>Verantwortung</strong> als zugeschriebene abstrakte Entität für<br />

Geschehenes. Die entwicklungsgeschichtlich jüngere Richtung bezieht sich auf eine


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 233<br />

<strong>Verantwortung</strong>sethik, die sich mit den Konsequenzen von in der Zukunft liegenden<br />

Taten befasst (Jonas 1979/1989; Weber 1919/1968).<br />

Zweitens: <strong>Verantwortung</strong> hat einen ausgeprägten Bezug zur Handlung. Beide<br />

Perspektiven der <strong>Verantwortung</strong>, diejenige auf etwas, das bereits getan ist, <strong>und</strong> diejenige<br />

auf etwas, das noch zu tun ist, implizieren eine starke Handlungsorientierung<br />

von <strong>Verantwortung</strong>. Somit lässt sich <strong>Verantwortung</strong> unter theoretischen <strong>und</strong> praktischen<br />

Gesichtspunkten im Zusammenhang mit Handlung betrachten (<strong>Auhagen</strong> 1999).<br />

Diese Sichtweise ist besonders im Rahmen professioneller Tätigkeit von Gewinn.<br />

Denn bei professionellem Handeln sind wichtige Aspekte von Handlung wie Zielgerichtetheit,<br />

Handlungsspielraum oder Handlungskontrolle besonders bedeutsam.<br />

Drittens: <strong>Verantwortung</strong> kann sich auf verschiedene Ebenen beziehen. Ebenfalls<br />

wichtig für das Alltagshandeln in beruflichen Kontexten ist, dass <strong>Verantwortung</strong> auf<br />

mehreren Ebenen übernommen <strong>und</strong> getragen werden kann. Bekannt ist die <strong>Verantwortung</strong>,<br />

die mit einer bestimmten Position verb<strong>und</strong>en ist, auch Rollenverantwortung<br />

genannt. Diese <strong>Verantwortung</strong> ist im Prinzip von äußeren Bedingungen her definiert.<br />

Der äußere Rahmen <strong>und</strong> die berufliche Position bestimmen, welche Verantwortlichkeiten<br />

vorliegen <strong>und</strong> vor welcher Instanz eine Rechenschaftspflicht besteht. Viele<br />

Autoren (z.B. <strong>Auhagen</strong> 1999; Kirchhoff 1978; Weischedel 1933/1958) sind allerdings<br />

der Ansicht, dass „wahre“ <strong>Verantwortung</strong> nicht ausschließlich von außen an<br />

Menschen herangetragen werden kann, sondern immer auch vom Inneren des Menschen<br />

ausgehen muss. In diesem Sinne ist <strong>Verantwortung</strong> eine innere Antwort auf eine<br />

äußere Gegebenheit. Die möglichen unterschiedlichen Ebenen von <strong>Verantwortung</strong><br />

können im professionellen Alltagshandeln verschieden kombiniert sein. So kann zum<br />

Beispiel jemand, der die Rollenverantwortung innehat, im Einzelfall verantwortlich<br />

handeln oder nicht. Oder eine Person kann sich für eine bestimmte Aufgabe verantwortlich<br />

fühlen, obwohl diese Aufgabe nicht ausdrücklich in ihrem Rollenprofil vorgesehen<br />

ist. Im Zuge der schnellen Veränderung der Strukturen in Organisation <strong>und</strong><br />

Wirtschaft halten Koch <strong>und</strong> Kaschube (2000) ein Konzept für wichtig, das sie „eigenverantwortliches<br />

Handeln in Organisationen“ nennen. Hierbei bestimmen Führungskräfte<br />

unter Einbeziehung formeller Vorgaben der Organisation ihr verantwortliches<br />

Handeln selbst. Ähnlich sieht auch das Konzept des „freiwilligen Arbeitsengagements“<br />

vor, dass Personen in Organisationen aktiv Aufgaben übernehmen, die<br />

nicht unbedingt direkt im Zusammenhang mit ihrer Position stehen (Bierhoff/Müller<br />

2000; Hertel/Bretz/Moser 2000).<br />

Zum <strong>Verantwortung</strong>sbegriff liegen verschiedene Explikationen vor (zusammenfassend<br />

<strong>Auhagen</strong>/Bierhoff 2001, Bierhoff/<strong>Auhagen</strong> 2001). Hier wird folgende Bedeutung<br />

von <strong>Verantwortung</strong> vorgeschlagen (vgl. <strong>Auhagen</strong> 1999, 37): „<strong>Verantwortung</strong> ist<br />

ein soziales Phänomen unter Menschen mit dem Charakter eines Interpretationskonstruktes.<br />

<strong>Verantwortung</strong> ist als Relationsbegriff mit mindestens drei Relationen beschreibbar:<br />

für etwas, gegenüber jemandem, im Hinblick auf eine Instanz verantwortlich<br />

sein. <strong>Verantwortung</strong> schließt Aspekte der Moral, der Handlung <strong>und</strong> der Berücksichtigung<br />

der Handlungsfolgen ein: Ein Mensch handelt verantwortlich, wenn er unter<br />

der Berücksichtigung ethisch-moralischer Gesichtspunkte handelt <strong>und</strong> bereit ist,


234 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

für die Folgen beziehungsweise Konsequenzen seines Handelns einzustehen. <strong>Verantwortung</strong><br />

kann sowohl zugeschrieben als auch erlebt werden.“<br />

Zur Beziehung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

Die Verbindung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> kann – ähnlich wie die beiden<br />

Einzelkonstrukte – von mehreren Perspektiven aus betrachtet werden. Eine erste<br />

hier relevante Perspektive ist, dass die Verbindung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

mit der beruflichen Position assoziiert ist. Dabei gilt die Ansicht – die nicht unbedingt<br />

immer stimmen muss –, dass mit höherer Position auch mehr <strong>Verantwortung</strong><br />

einhergeht. Eine Möglichkeit, die Verbindung von <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> <strong>Kompetenz</strong> im<br />

Zusammenhang mit der beruflichen Position zu beschreiben, ist, verschiedene Arten<br />

von <strong>Verantwortung</strong> zu postulieren. So unterscheidet Schmidt (1992) zum Beispiel die<br />

Führungsverantwortung des Vorgesetzten <strong>und</strong> die Handlungsverantwortung des Mitarbeiters.<br />

Preisendörfer (1985) kam in einer Befragungsstudie über <strong>Verantwortung</strong> in<br />

Unternehmen zum Ergebnis, dass eine als verantwortungsvoll angesehene Position<br />

gedanklich mit vielen Gratifikationen, aber auch mit einer erhöhten psychischen Beanspruchung<br />

verknüpft wird.<br />

In jüngerer Zeit taucht in der Diskussion um <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> der<br />

manchen noch unbekannte Begriff des Downward Movement auf. Er bezeichnet die<br />

bislang eher ungewöhnliche, jedoch offenbar zunehmende Entwicklung von beruflichen<br />

Laufbahnen, die mit einer Verringerung von <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> <strong>Kompetenz</strong> in<br />

der Position einhergehen (Brehm 1999). Bisher ging in fast allen Fällen eine berufliche<br />

Veränderung auch mit einer beruflichen Verbesserung einher. Durch die häufig<br />

vielfach veränderte Situation in Unternehmen <strong>und</strong> am Arbeitsmarkt überhaupt,<br />

scheint dies stärker als bislang in Frage gestellt. In Fällen von Downward Movement<br />

gilt es, für die davon betroffenen Personen einen individuell angemessenen Umgang<br />

mit der Situation zu erleichtern (Brehm 1999).<br />

Die zweite im vorliegenden Rahmen relevante Perspektive in der Verbindung<br />

von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> ist, sowohl in <strong>Kompetenz</strong> als auch in <strong>Verantwortung</strong><br />

ein prozessuales Geschehen zu sehen <strong>und</strong> zu analysieren (z.B. Mieg 1994). Damit<br />

ist gemeint, dass beide, also <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>, keine punktuellen<br />

Ereignisse sind, sondern psychologische sowie auch zeitliche Prozesse umfassen.<br />

Eine dritte Perspektive, von der aus eine mögliche Verbindung von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> betrachtet werden kann, ist die Handlungsperspektive. Die Bedeutungen<br />

der beiden Begriffe (siehe oben) legen nahe, dass eine wichtige Gemeinsamkeit<br />

von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> im nahen Bezug zum Handlungskonzept<br />

gesehen werden kann. Nach Preiser (1988,43) lässt sich eine Handlung auffassen „als<br />

eine Kette oder ein System von Verhaltensweisen, die durch ein gemeinsames Ziel integriert<br />

<strong>und</strong> nach einem Plan gesteuert werden“. Im Falle von möglicher <strong>Verantwortung</strong>sübernahme<br />

sollte das Ziel der Handlung mit der zu tragenden <strong>Verantwortung</strong> in<br />

Verbindung stehen. Für die Handlungen, die <strong>Verantwortung</strong> als Ziel haben, sollten<br />

neben moralischen Motiven (z.B. Mieg 1994) auch <strong>Kompetenz</strong>en bedeutsam sein,


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 235<br />

weil Letztere der Zielerreichung dienen können. Beide Konzepte, <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong><br />

auch <strong>Kompetenz</strong>, stehen mit weiteren Begriffen aus der Handlungstheorie in Verbindung.<br />

Hierzu gehören die Motivation für Tätigkeiten (z.B. Bergmann 1999; Heckhausen<br />

1980), die wahrgenommene Kontrolle über Situationen (z.B. Hoff 1995; Schwarzer<br />

1993a) sowie das Selbst eines Menschen (z.B. <strong>Auhagen</strong> 1999; Bergmann 1999).<br />

Auch die kognitive Handlungstheorie nach Bandura (z.B. 1986) liefert Beiträge zur<br />

Verbindung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>. Diese Theorie besagt unter anderem,<br />

dass verschiedene Arten von kognitiven Bewertungen Menschen helfen, in<br />

stressreichen Situationen die Anforderungen zu bewältigen. Sowohl <strong>Kompetenz</strong> als<br />

auch <strong>Verantwortung</strong> lassen unter bestimmten Bedingungen – zum Beispiel, wenn<br />

das Ausmaß der <strong>Verantwortung</strong> oder der erwarteten <strong>Kompetenz</strong> dasjenige der handelnden<br />

Person zu überschreiten droht – Bezüge zu Stress herstellen. Selbstwirksamkeitserwartung<br />

(siehe oben) kann dabei als eine Ressource der Stressminderung<br />

betrachtet werden. So wiesen Jerusalem <strong>und</strong> Schwarzer (1992) experimentell nach,<br />

dass eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung eine Pufferwirkung gegenüber Stresserleben<br />

hat <strong>und</strong> dass eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung das Risiko von Bedrohungsgefühlen<br />

erhöht.<br />

Fragestellungen<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> – so wurde gezeigt – sind komplexe, eigenständige<br />

Konzepte, die von besonderer Bedeutung im professionellen Leben sind. Obwohl<br />

theoretisch gut voneinander abgrenzbar, weisen beide Begriffe eine Reihe von<br />

Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Verbindungen auf. Es gilt nun, diese Verbindungen auch empirisch<br />

zu zeigen. Dabei werden drei Hauptfragestellungen untersucht, die noch in<br />

weitere Fragen unterteilt werden.<br />

Erste Fragestellung: Lässt sich die theoretisch plausible Verbindung von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> empirisch zeigen? Damit wäre weitere Evidenz geliefert<br />

für die gemeinsame Bedeutung der Konzepte.<br />

Zweite Fragestellung: Wie können die Verbindungen von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> empirischer Evidenz näher charakterisiert werden? Eine nähere<br />

Analyse der Verbindungen der beiden Konzepte kann im Verstehen der Alltagspraxis<br />

<strong>und</strong> im Umsetzen von professionellen Handlungen nützlich sein.<br />

Dritte Fragestellung: Kann <strong>Kompetenz</strong> die Übernahme von <strong>Verantwortung</strong> fördern?<br />

Da <strong>Verantwortung</strong>sübernahme ein häufig gewünschtes Ziel ist (Schmidt 1992),<br />

soll der mögliche Beitrag von <strong>Kompetenz</strong> hierbei untersucht werden.<br />

Datenbasis<br />

Als Datenbasis werden Teile von drei empirischen Studien herangezogen, die im<br />

Rahmen eines größeren Forschungsprojektes über <strong>Verantwortung</strong> von der Autorin<br />

durchgeführt wurden (für eine detaillierte Darstellung <strong>und</strong> Evaluation der Studien des<br />

Projektes siehe <strong>Auhagen</strong> 1999).


236 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

1) Interviewstudie: Ziele <strong>und</strong> Konzeption. Die Interviewstudie hatte zum Ziel,<br />

<strong>Verantwortung</strong> im menschlichen Alltag systematisch zu erfassen <strong>und</strong> zu analysieren.<br />

Wie kann ein so abstraktes Konstrukt wie <strong>Verantwortung</strong> überhaupt im Alltag gemessen<br />

werden? Zwei besondere theoretische Schritte waren hierfür notwendig. Erstens:<br />

Es musste eine Einheit gef<strong>und</strong>en werden, mit deren Hilfe die zunächst wenig<br />

„greifbare“ <strong>Verantwortung</strong> so unterteilt werden kann, dass sie empirisch zu erfassen<br />

ist. Zweitens: Es musste ein theoretischer Rahmen entwickelt werden, der die vielen<br />

Aspekte abdecken kann, die der <strong>Verantwortung</strong> – laut einschlägiger Fachliteratur –<br />

innewohnen. Zu erstens: Als „Maßeinheit“ für <strong>Verantwortung</strong> wurde die sogenannte<br />

„<strong>Verantwortung</strong>ssituation“ entwickelt: „Eine <strong>Verantwortung</strong>ssituation liegt dann vor,<br />

wenn sich ein Mensch verantwortlich glaubt innerhalb einer zeitlichen <strong>und</strong> im weiteren<br />

Sinne räumlichen Einheit in Bezug auf ein Ereignis oder einen Sachverhalt,<br />

das/der durch einen bestimmten Inhalt oder Sinn charakterisiert ist“ (<strong>Auhagen</strong> 1999,<br />

72). Aus dieser Explikation geht hervor, dass <strong>Verantwortung</strong> in dieser Untersuchung<br />

als subjektiv wahrgenommene Kategorie gesehen wird <strong>und</strong> dass man <strong>Verantwortung</strong><br />

gewisse räumlich-zeitliche Grenzen zuschreiben kann. <strong>Verantwortung</strong> wird außerdem<br />

nicht als punktuelles Ereignis gesehen, sondern als zeitlicher <strong>und</strong> psychologischer<br />

Prozess. Zu zweitens: Ein Ansatz, der sich besonders gut dafür eignet, komplexe<br />

Sachverhalte für konkrete Untersuchungen zu ordnen <strong>und</strong> zu strukturieren, ist die Facettentheorie<br />

(Borg 1992; Guttmann 1959). Bei der Facettentheorie wird in einem sogenannten<br />

Abbildungssatz dem Untersuchungsgegenstand eine sinnvolle, plausible<br />

Struktur gegeben – <strong>und</strong> zwar theoretischen Gesichtspunkten folgend sowie auch<br />

„Mutter Natur“ (Borg 1992). Für die Strukturierung von <strong>Verantwortung</strong>ssituationen<br />

wurde ein Abbildungssatz nach facettentheoretischem Vorbild ausgearbeitet. Wichtige<br />

Kategorien in dem Abbildungssatz (für den gesamten Abbildungssatz siehe <strong>Auhagen</strong><br />

1999) waren – hier nur als Beispiele gebracht – unter anderem die Bedeutsamkeit<br />

einer <strong>Verantwortung</strong>ssituation, die wahrgenommene Verursachung der Situation, die<br />

Art der <strong>Verantwortung</strong>sübernahme, die moralischen Aspekte in der Situation, die<br />

Wahrnehmung von Aspekten der Kontrolle in der Situation, die Beschreibung von<br />

Handlungselementen <strong>und</strong> sozialen Elementen in der Situation, die Wahrnehmung von<br />

Gefühlen in der Situation <strong>und</strong> die Bewertung der Situation.<br />

Interviewstudie: Instrument <strong>und</strong> Teilnehmer: Aus dem oben beschriebenen Ansatz<br />

wurde ein standardisiertes Interview, ein <strong>Verantwortung</strong>sinterview, entwickelt,<br />

das insgesamt 55 Items enthielt. Zu Beginn wurde den Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmern<br />

folgende Frage gestellt: Gab es gestern eine Situation, in der Sie sich verantwortlich<br />

glaubten? War eine Situation gef<strong>und</strong>en – diese konnte auch aus den anderen<br />

vorangegangenen Tagen stammen –, so wurde die Situation in eigenen Worten<br />

inhaltlich von den Interviewten geschildert. Dann folgten die 55 Items des Interviews.<br />

Die im vorliegenden Zusammenhang wichtigen Items werden im Ergebnisteil berichtet.<br />

Aus der Interviewstudie resultierten insgesamt 60 Situationen, die dann die Datenbasis<br />

für die statistische Auswertung bildeten. Eine Evaluation der Güte des <strong>Verantwortung</strong>sinterviews<br />

ergab, dass das Instrument hinreichend valide <strong>und</strong> reliabel ist<br />

(<strong>Auhagen</strong> 1999).


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 237<br />

Untersucht wurden mit dem Interview 60 berufstätige Erwachsene, 30 Frauen<br />

<strong>und</strong> 30 Männer. Die Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer übten Berufe aus, die mit<br />

Schreibtischtätigkeiten verb<strong>und</strong>en waren. Unter den Interviewten waren zum Beispiel<br />

Jurist(inn)en, Lehrer/innen, Ärzte, Bankangestellte <strong>und</strong> Ingenieure. Der Altersdurchschnitt<br />

betrug 42,6 Jahre.<br />

2) Tagebuchstudie: Ziele <strong>und</strong> Konzeption. Die Tagebuchstudie hatte die gleichen<br />

Ziele <strong>und</strong> die gleiche theoretische Konzeption wie die Interviewstudie. Die beiden<br />

Studien sind jeweils als Replikation voneinander zu verstehen. Interviewstudie <strong>und</strong><br />

Tagebuchstudie sind insofern innovativ, als sie in Ergänzung zu anderen theoretischen<br />

<strong>und</strong> empirischen Arbeiten der Fachliteratur <strong>Verantwortung</strong> nicht nur allgemein,<br />

sondern ganz spezifisch in konkreten Situationen untersuchen. Die Tagebuchstudie<br />

ging insofern über die Interviewstudie hinaus, als sie nicht nur ein einmaliges Interview<br />

beinhaltete, sondern zudem das Führen eines Tagebuches über einen Zeitraum<br />

von zwei Wochen.<br />

Tagebuchstudie: Instrument <strong>und</strong> Teilnehmer: Untersuchungsinstrument war in<br />

der Tagebuchstudie zunächst auch das oben beschriebene Interview. Es diente dazu,<br />

die Teilnehmer <strong>und</strong> Teilnehmerinnen in die Thematik <strong>und</strong> die Methode einzuführen.<br />

Das <strong>Verantwortung</strong>stagebuch, das die Versuchspersonen dann zwei Wochen an jedem<br />

Tag abends auszufüllen hatten, war in Inhalt <strong>und</strong> Struktur genau identisch mit<br />

dem Interview. Daher waren die Teilnehmer aufgefordert, jeden Tag eine Situation,<br />

in der sie sich verantwortlich glaubten, in freien Worten zu beschreiben <strong>und</strong> die 55<br />

Fragen darüber zu beantworten. Gesonderte Instruktionen gab es, wenn an einem Tag<br />

gar keine oder mehrere Situationen erlebt worden waren. Aus der Tagebuchstudie resultierten<br />

insgesamt 455 Situationen, die dann die Datenbasis für die statistische<br />

Auswertung bildeten. Eine ausführliche Evaluation der Methode des <strong>Verantwortung</strong>stagebuches<br />

ergab, dass dieses Erhebungsinstrument im Sinne verschiedener Gütekriterien<br />

für die Erfassung von <strong>Verantwortung</strong> geeignet ist (<strong>Auhagen</strong> 1999).<br />

<strong>Kompetenz</strong> wurde in dieser Studie auf zwei unterschiedliche Arten erhoben.<br />

Zum einen wurde das gleiche Item wie in der Interviewstudie zur Erfassung der situativen<br />

Selbstwirksamkeitserwartung verwendet. Zum anderen wurde eine Skala<br />

(Cronbachs Alpha im Bereich von .75 bis .90) zur Erfassung der generalisierten<br />

Selbstwirksamkeitserwartung im Sinne einer Persönlichkeitsvariablen eingesetzt<br />

(Schwarzer 1993b). Ein Beispielitem hieraus lautet: „In einer unerwarteten Situation<br />

weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll.“<br />

Untersuchungsteilnehmer <strong>und</strong> Untersuchungsteilnehmerinnen waren 40 berufstätige<br />

Erwachsene, 22 Frauen <strong>und</strong> 18 Männer. Das Durchschnittsalter betrug 37,2<br />

Jahre. Die Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmer gehörten verschiedenen teils akademischen,<br />

teils nicht-akademischen Berufsgruppen an wie etwa Maskenbildner/in, Bildhauer/in,<br />

Serviererin, Kaufmann oder Wissenschaftler/in.<br />

3) <strong>Verantwortung</strong>sübernahmeexperiment: Ziele, Konzeption, Teilnehmer <strong>und</strong><br />

Design. Ziel des <strong>Verantwortung</strong>sübernahmeexperimentes war die Überprüfung folgender<br />

Hypothese: Wenn sich Menschen kompetenter fühlen, werden sie eher dazu


238 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

neigen, <strong>Verantwortung</strong> zu übernehmen, als wenn sie sich weniger kompetent fühlen.<br />

Die Plausibilität <strong>und</strong> Relevanz dieser Hypothese leitet sich aus mehreren Quellen ab.<br />

Erstens gibt es theoretische Hinweise dafür, dass <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> im<br />

Zusammenhang stehen (siehe oben). Zweitens liefern die Resultate der Interview<strong>und</strong><br />

der <strong>Verantwortung</strong>sstudie empirische Hinweise auf einen solchen Zusammenhang,<br />

nämlich auf positive Relationen zwischen erlebter eigener <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> dem<br />

Erleben von <strong>Verantwortung</strong> (siehe unten). Drittens erscheint es im Alltag professionellen<br />

Handelns von besonderer Bedeutung zu wissen, ob <strong>Kompetenz</strong> die <strong>Verantwortung</strong>sübernahme<br />

fördert: Das Fördern von <strong>Kompetenz</strong> sollte einfacher sein als das<br />

von <strong>Verantwortung</strong>sübernahme, da sich Fähigkeiten leichter trainieren lassen als e-<br />

thisch-moralische Gesinnungen. Schließlich ist <strong>Verantwortung</strong>sübernahme als solche<br />

ein erwünschtes Verhalten im Berufsleben (Schmidt 1992). Es sollte daher untersucht<br />

werden, was sie begünstigt.<br />

Um die Hypothese zu überprüfen, wurde <strong>Kompetenz</strong> als unabhängige <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

als abhängige Variable realisiert. Der Gr<strong>und</strong>gedanke bestand darin, die<br />

Versuchsteilnehmer unterschiedlich kompetent zu machen im Hinblick auf bestimmte<br />

Situationen <strong>und</strong> danach die Bereitschaft zur <strong>Verantwortung</strong>sübernahme zu erfassen,<br />

welche dementsprechend unterschiedlich ausfallen sollte (für eine detaillierte Schilderung<br />

des komplexen Experimentes siehe <strong>Auhagen</strong> 1999). Versuchspersonen waren<br />

64 Studierende der Freien Universität Berlin, 32 Frauen <strong>und</strong> 32 Männer. Der Altersdurchschnitt<br />

betrug 25,4 Jahre.<br />

Die unabhängige Variable, <strong>Kompetenz</strong>, wurde wie folgt realisiert. Es gab insgesamt<br />

vier Versuchsgruppen mit je 16 Teilnehmern. Zwei Gruppen, die Experimentalgruppen,<br />

erhielten ein spezielles <strong>Kompetenz</strong>training. Die beiden anderen Gruppen<br />

waren Kontrollgruppen, von denen eine ein für die Fragestellung irrelevantes Treatment<br />

erhielt. Bei der anderen Kontrollgruppe wurde über einen Text die sogenannte<br />

<strong>Verantwortung</strong>snorm (Berkowitz/Daniels 1964) sensibilisiert, ein von <strong>Kompetenz</strong>,<br />

nicht jedoch von <strong>Verantwortung</strong> unabhängiges Treatment. Die <strong>Kompetenz</strong>manipulation<br />

erfolgte für die beiden Experimentalgruppen identisch, aber in zwei unterschiedlichen<br />

Inhaltsbereichen. Bei dem einen Bereich handelte es sich um eine Vorurteilsproblematik<br />

in Bezug auf Ausländer, kurz Inhaltsbereich Ausländer, bei dem anderen<br />

um eine Vorurteilsproblematik in Bezug auf Ernährung, kurz Inhaltsbereich Ernährung.<br />

Dabei wurde eine „Cover-Story“ verwendet, die eine Situation in der Mensa<br />

schilderte, in der das aggressive Benehmen eines Studenten in Bezug auf entweder<br />

die Ausländer- oder die Ernährungsproblematik gegenüber einem Mitstudenten ein<br />

Aktiv-Werden <strong>und</strong> Eingreifen von Seiten der Versuchspersonen sinnvoll machte. Die<br />

<strong>Kompetenz</strong>en, um bei den Problembereichen Ausländer <strong>und</strong> Ernährung aktiv zu werden,<br />

wurden den Versuchspersonen über schriftliche Informationen für den jeweiligen<br />

Inhaltsbereich <strong>und</strong> über Rollenspiele vermittelt, die in Bezug auf die berichtete<br />

Situation in der Mensa mit den Versuchspersonen durchgeführt wurden. Der Manipulation-Check,<br />

ein Fragebogen zur Erfassung der <strong>Kompetenz</strong> im Sinne von Wissen,<br />

ergab, dass die Experimentalgruppen tatsächlich objektiv kompetenter waren als die<br />

Kontrollgruppen. Die vier Gruppen unterschieden sich jedoch nicht in der subjektiven


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 239<br />

<strong>Kompetenz</strong>, ebenfalls erfasst mit einem Fragebogen (64 Items). Deshalb erfolgte die<br />

Auswertung auf der Basis der subjektiven <strong>Kompetenz</strong> mit Hilfe einer Mediandichotomisierung.<br />

Die Versuchspersonen wurden hierbei für jede <strong>Kompetenz</strong>variable entweder<br />

in subjektive <strong>Kompetenz</strong> hoch oder subjektive <strong>Kompetenz</strong> niedrig eingeteilt.<br />

Trennendes Kriterium hierfür war der Median der jeweiligen Variablen. Das Testen<br />

der Hypothese erfolgte mit Varianzanalysen.<br />

Die abhängige Variable, Bereitschaft zur <strong>Verantwortung</strong>sübernahme, wurde<br />

folgendermaßen erfasst. Als verantwortliches Verhalten wurde die Bereitschaft zur<br />

Teilnahme bei Aufklärungsarbeiten in der Mensa in Bezug auf die Problembereiche<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ernährung verwendet. Eine spätere schriftliche Befragung zeigte, dass<br />

die Versuchspersonen dies tatsächlich als <strong>Verantwortung</strong> empfanden, was der abhängigen<br />

Variablen Validität bescheinigt. Die Aufklärungsarbeiten in Bezug auf die<br />

Problembereiche Ausländer <strong>und</strong> Ernährung wurden als zweiter Teil der Untersuchung<br />

bezeichnet. Die Versuchspersonen sollten auf einem sehr detaillierten Fragebogen<br />

angeben, ob, <strong>und</strong> wenn, wann <strong>und</strong> welche Arbeiten sie als Beitrag zur Aufklärung<br />

freiwillig leisten würden. Durch die sehr genauen Angaben mussten sich die Versuchspersonen<br />

wirklich entscheiden, <strong>und</strong> so entstand der Eindruck, dass die Aufklärungsarbeiten<br />

wirklich stattfinden würden. Aus technischen Gründen war dies aber<br />

nicht möglich. Die in dem Fragebogen angebotenen Arbeiten entsprachen den <strong>Kompetenz</strong>en,<br />

die in den Experimentalgruppen trainiert worden waren. Der Fragebogen,<br />

der die abhängige Variable erfasste, bestand aus über 40 Items. Zwei Beispiele lauten:<br />

„Ich bin bereit, mich an der Erstellung eines Informationsblattes in Bezug auf<br />

Ernährungsverhalten zu beteiligen.“ „Ich bin bereit, mich an einem zehnminütigen<br />

Rollenspiel zum Thema Ausländerfeindlichkeit zu beteiligen.“<br />

Resultate<br />

Erste Fragestellung: Lässt sich die theoretisch plausible Verbindung von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> empirisch zeigen?<br />

Für die Antwort auf die erste Fragestellung werden Daten aus der Interviewstudie<br />

(60 <strong>Verantwortung</strong>ssituationen, also von Menschen im Alltag wirklich erlebte Situationen,<br />

in denen sie sich verantwortlich glaubten, siehe oben) <strong>und</strong> der Tagebuchstudie<br />

(455 <strong>Verantwortung</strong>ssituationen, siehe oben) herangezogen.<br />

a) Lässt sich eine Verbindung von erlebter <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> situativer<br />

Selbstwirksamkeitserwartung zeigen? Das Item, mit dem <strong>Kompetenz</strong> im Sinne von situativer<br />

Selbstwirksamkeitserwartung in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen gemessen wurde,<br />

lautet: „Hatten Sie den Eindruck, dass Sie die <strong>Kompetenz</strong> besitzen, die Situation erfolgreich<br />

zu meistern?“ Antwortmöglichkeiten waren „ja, nein, nicht abschätzbar“.<br />

In beiden Studien ergaben sich vom Zufall abweichende Verteilungen für diese Frage.<br />

Mit „ja“ beantworteten diese Frage in der Interviewstudie die Personen in 88.3<br />

Prozent der Situationen. In der Tagebuchstudie sagten in 75 Prozent der <strong>Verantwortung</strong>ssituationen<br />

die Teilnehmer, dass sie die <strong>Kompetenz</strong> zu besitzen glaubten. In 6.7<br />

beziehungsweise 4 Prozent der Fälle glaubten sie nicht, die <strong>Kompetenz</strong> zu besitzen.


240 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

Und in 5 respektive 21 Prozent meinten sie, es nicht abschätzen zu können. In alltäglichen<br />

<strong>Verantwortung</strong>ssituationen haben Menschen also überzufällig häufig (Interviewstudie<br />

Chi Quadrat 81.7, df =2, p < .001; Tagebuchstudie Chi Quadrat 372.8 , df<br />

=2, p < .001) den Eindruck, dass sie die <strong>Kompetenz</strong> für die Situation besitzen.<br />

Erlebte <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> situative <strong>Kompetenz</strong>erwartung hängen zusammen.<br />

b) Lässt sich eine Verbindung von <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> generalisierter Selbstwirksamkeitserwartung<br />

zeigen? Nachdem sowohl in der Interview- als auch der Tagebuchstudie<br />

eine Beziehung zwischen situativer Selbstwirksamkeitserwartung <strong>und</strong><br />

<strong>Verantwortung</strong> nachgewiesen werden kann, ist es eine interessante Frage, ob auch eine<br />

Verbindung zwischen generalisierter Selbstwirksamkeitserwartung <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

empirische Evidenz besitzt. Die generalisierte <strong>Kompetenz</strong>erwartung, die im<br />

Sinne einer stabilen Persönlichkeitsvariablen konzipiert <strong>und</strong> mit einer Skala erfasst<br />

wurde (Schwarzer 1993b, siehe oben), wurde nur in der Tagebuchstudie <strong>und</strong> nicht in<br />

der Interviewstudie erhoben. Überraschenderweise scheint die generalisierte <strong>Kompetenz</strong>erwartung<br />

keine oder nur eine geringe Bedeutung beim Erleben von <strong>Verantwortung</strong>ssituationen<br />

zu haben, denn es wurden keine überzufälligen statistischen Zusammenhänge<br />

zwischen generalisierter <strong>Kompetenz</strong>erwartung <strong>und</strong> Aspekten der <strong>Verantwortung</strong><br />

gef<strong>und</strong>en.<br />

Es zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen erlebter <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong><br />

generalisierter <strong>Kompetenz</strong>erwartung.<br />

Zweite Fragestellung: Wie können die Verbindungen von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> empirischer Evidenz näher charakterisiert werden?<br />

Es werden im Folgenden ebenfalls Daten aus der Interviewstudie (60 <strong>Verantwortung</strong>ssituationen)<br />

<strong>und</strong> der Tagebuchstudie (455 <strong>Verantwortung</strong>ssituationen) verwendet.<br />

c) Lassen sich handlungstheoretische Elemente in der Beziehung von <strong>Kompetenz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> zeigen? Die theoretische Analyse ergibt, dass eine Gemeinsamkeit<br />

von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> in der Nähe zur Handlung beziehungsweise<br />

zur Handlungstheorie liegt (siehe oben). Es liegt deshalb nahe, nach handlungstheoretischen<br />

Elementen in der Beziehung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> Ausschau zu<br />

halten. In der Tat konnten wichtige Aspekte von Handlung im Zusammenhang mit<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> in der Interviewstudie als auch in der Tagebuchstudie<br />

identifiziert <strong>und</strong> auch in beiden Studien gezeigt, also repliziert werden. Mit folgenden<br />

handlungstheoretischen Elementen hing die situative <strong>Kompetenz</strong>erwartung in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen<br />

signifikant positiv in beiden Studien zusammen:<br />

Erstens mit dem Erleben eines inneren Motivs, bestimmte Dinge in der <strong>Verantwortung</strong>ssituation<br />

tun zu wollen: Das entsprechende Item lautete: „Haben Sie in der<br />

Situation so etwas wie eine innere starke Motivation wahrgenommen, zum Beispiel<br />

bestimmte Dinge tun oder lassen zu müssen?“ (signifikante statistische Zusammen-


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 241<br />

hänge p < .05, Kontingenzkoeffizient CC, ein Zusammenhangsmaß für Daten auf<br />

Nominalskalenniveau, Interviewstudie .39 <strong>und</strong> Tagebuchstudie .15).<br />

Zweitens mit dem Erleben von persönlichem Einfluss in der Situation: Das entsprechende<br />

Item lautete: „Wie haben Sie das Ausmaß Ihres eigenen persönlichen<br />

Einflusses auf die ganze Situation wahrgenommen? a) eher hoch, b) eher niedrig c)<br />

von mittlerem Niveau“ (signifikante statistische Zusammenhänge p < .05, Kontingenzkoeffizient<br />

CC Interviewstudie .44 <strong>und</strong> Tagebuchstudie .36).<br />

Drittens mit dem Erleben von subjektiver Sicherheit in der <strong>Verantwortung</strong>ssituation:<br />

Das entsprechende Item lautete: „Fühlten Sie sich in der Situation insgesamt a)<br />

eher sicher b) eher unsicher c) mittelsicher“ (signifikante statistische Zusammenhänge<br />

p < .05, Kontingenzkoeffizient CC Interviewstudie .56 <strong>und</strong> Tagebuchstudie .47).<br />

Viertens mit einer positiven Bewertung der <strong>Verantwortung</strong>ssituation in Bezug<br />

auf die eigene Person: Das entsprechende Item lautete: „Wie haben Sie diese <strong>Verantwortung</strong>ssituation<br />

für sich selbst erlebt? Wie war sie in Bezug auf ihre Person a) eher<br />

positiv b) eher negativ c) gemischt, also positiv wie auch negativ d) neutral“ (signifikante<br />

statistische Zusammenhänge p < .05, Kontingenzkoeffizient CC Interviewstudie<br />

.53 <strong>und</strong> Tagebuchstudie .31).<br />

Fünftens mit einer Zufriedenheit mit dem Ausgang des <strong>Verantwortung</strong>sereignisses:<br />

Das entsprechende Item lautete: „Sind Sie zufrieden mit dem Ausgang des Ereignisses?<br />

a) eher ja b) eher nein c) teils ja, teils nein d) kann ich noch nicht beurteilen“<br />

(signifikante statistische Zusammenhänge p < .05, Kontingenzkoeffizient CC Interviewstudie<br />

.42 <strong>und</strong> Tagebuchstudie .40).<br />

Wenn Personen in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen sich selbst als kompetent erleben,<br />

dann erleben sie außerdem signifikant häufiger handlungsleitende innere Motive,<br />

hohen persönlichen Einfluss <strong>und</strong> subjektive Sicherheit. Außerdem bewerten<br />

sie die Situation positiv in Bezug auf sich selbst <strong>und</strong> sind zufrieden mit deren<br />

Ausgang.<br />

d) Gibt es Verbindungen zwischen <strong>Kompetenz</strong>, <strong>Verantwortung</strong> <strong>und</strong> Emotionen?<br />

<strong>Verantwortung</strong> wird selten im Zusammenhang mit Emotionen untersucht. Dabei ist<br />

<strong>Verantwortung</strong> oft keine emotionslose Angelegenheit: In vielen <strong>Verantwortung</strong>ssituationen<br />

spielen vor allem Gefühle des Ärgers <strong>und</strong> auch der Freude eine Rolle (<strong>Auhagen</strong><br />

1999). Wie verhält es sich in Bezug auf <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>? Lassen<br />

sich in diesem Zusammenhang Emotionen beobachten? Diese Frage wird ausschließlich<br />

mit Daten aus der Tagebuchstudie beantwortet. Vermutlich wegen der geringen<br />

Anzahl der Fälle konnten die Ergebnisse in der Interviewstudie hier nicht repliziert<br />

werden. Da <strong>Verantwortung</strong> theoretisch als zeitlicher Prozess aufgefasst wurde (siehe<br />

oben), wurden die Teilnehmer/innen der Tagebuchstudie dreimal nach dem Vorhandensein<br />

von Gefühlen gefragt: zu Beginn der <strong>Verantwortung</strong>ssituation, in deren Mitte<br />

<strong>und</strong> als deren Konsequenz. Als Beispiel wird hier das erste diesbezügliche Item vorgestellt.<br />

Es lautete: „Hatten Sie zu Beginn der Situation Gefühle? a) eher ja b) eher<br />

nein“. Als Resultat ergab sich, dass für den Beginn <strong>und</strong> die Mitte der Verantwor-


242 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

tungssituation ein positiver statistischer Zusammenhang zwischen Emotionen <strong>und</strong><br />

subjektiver situativer <strong>Kompetenz</strong> bestand. Wenn sich Personen in der <strong>Verantwortung</strong><br />

als kompetent erleben, dann geht dies überzufällig oft mit dem Erleben von Emotionen<br />

einher.<br />

Neben diesem allgemeinen ergab sich aber noch ein differenzieller Zusammenhang<br />

zwischen Emotionen, <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>. Wenn die Befragten angegeben<br />

hatten, dass sie Gefühle gehabt hatten, wurden sie aufgefordert, diese Gefühle<br />

in ihren Worten zu benennen. Diese wurden in einer aufwändigen Prozedur nach<br />

dem Ordnungssystem von Shaver/Schwartz/Kirson/O’Connor (1987) von zwei unabhängigen<br />

Kodiererinnen inhaltsanalysiert. Die berichteten Gefühle wurden in sechs<br />

Emotionskategorien zusammengefasst: Liebe/Zuneigung, Freude, Überraschung, Ärger,<br />

Traurigkeit <strong>und</strong> Angst. Die Kodiererüberstimmung ergab .81 unter Verwendung<br />

des Koeffizienten Kappa von Cohen (1960). Als Ergebnis hiervon im Zusammenhang<br />

mit <strong>Kompetenz</strong> lässt sich festhalten: Zwischen Angst zu Beginn der <strong>Verantwortung</strong>ssituation<br />

<strong>und</strong> der Wahrnehmung der eigenen <strong>Kompetenz</strong> als nicht abschätzbar bestand<br />

ein überzufälliger statistischer Zusammenhang (p < .05, Kontingenzkoeffizient<br />

CC .24).<br />

Wenn Personen in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen sich selbst als kompetent erleben,<br />

dann geht dies überzufällig oft mit Gefühlen einher. Stellen Personen ihre eigene<br />

<strong>Kompetenz</strong> in Frage, hängt dies signifikant mit Emotionen der Angst zusammen.<br />

e) Kann <strong>Kompetenz</strong>erwartung im Rahmen von <strong>Verantwortung</strong> vorhergesagt<br />

werden? Lässt sich vorhersagen, unter welchen Bedingungen sich Personen in einer<br />

<strong>Verantwortung</strong>ssituation kompetent fühlen? Bei den aus der Tagebuchstudie vorliegenden<br />

Daten ist dies mit einem Logit-Modell möglich. Dieses Verfahren sagt für<br />

Nominal- <strong>und</strong> Ordinaldaten – ähnlich einer Regression – ein Kriterium mit Hilfe<br />

mehrerer Prädiktoren vorher. Dabei wird errechnet, wie groß der Beitrag der Prädiktoren<br />

am Zustandekommen des Kriteriums ist. Das Kriterium ist hier die <strong>Kompetenz</strong>erwartung,<br />

wie sie unter a) beschrieben ist. Als Prädiktoren wurden die Variablen<br />

persönlicher Einfluss <strong>und</strong> Sicherheit in der Situation verwendet, die mit der situativen<br />

<strong>Kompetenz</strong>erwartung relativ hoch positiv korrelieren (siehe c). Wie erwartet, lässt<br />

sich die situative Selbstwirksamkeit in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen recht gut mit diesen<br />

beiden Variablen vorhersagen. Beide Variablen haben einen eigenen signifikanten<br />

Beitrag an der Varianzaufklärung: Wer sich sicher (Z-Wert 4.86) <strong>und</strong> einflussreich<br />

(Z-Wert 2.49) erlebt, nimmt sich auch als kompetent wahr. Das Logit-Modell<br />

klärt 22 Prozent der Varianz auf (Entropie <strong>und</strong> Konzentration .22). Dies ist ein bedeutsamer<br />

Beitrag an aufgeklärter Varianz, da in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen viele<br />

Variablen eine Rolle spielen (<strong>Auhagen</strong> 1999).<br />

Wenn Personen sich in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen sicher <strong>und</strong> einflussreich<br />

fühlen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auch als kompetent<br />

einschätzen.


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 243<br />

Dritte Fragestellung: Kann <strong>Kompetenz</strong> die Übernahme von <strong>Verantwortung</strong> fördern?<br />

Für die Beantwortung dieser Fragestellung werden Daten aus dem <strong>Verantwortung</strong>sübernahmeexperiment<br />

herangezogen (siehe oben).<br />

f) Kann <strong>Kompetenz</strong>erwartung die Übernahme von <strong>Verantwortung</strong> fördern? Am<br />

<strong>Verantwortung</strong>sübernahmeexperiment nahmen 40 Studierende teil. Ihnen wurden<br />

zwei fiktive, bis auf den Inhaltsbereich identische Situationen in der Mensa der Universität<br />

vorgestellt, die verantwortliches Eingreifen erforderlich machen könnten: eine<br />

Situation, in der ein ausländischer Student beschimpft wurde, Inhaltsbereich Ausländer,<br />

<strong>und</strong> eine Situation, in der ein Student für sein Ernährungsverhalten angepöbelt<br />

wurde, Inhaltsbereich Ernährung. Die abhängige Variable, die Bereitschaft zur <strong>Verantwortung</strong>sübernahme,<br />

war das Angebot, in der Mensa Aufklärungsarbeiten zu diesen<br />

beiden Problembereichen, Ausländer <strong>und</strong> Ernährung, zu übernehmen. Diese <strong>Verantwortung</strong><br />

konnte in vielerlei Hinsicht ganz detailliert übernommen werden, zum<br />

Beispiel durch das Herstellen <strong>und</strong> Verteilen von Informationsblättern, durch Rollenspiele<br />

zu den Thematiken oder durch Übernahme von Konsequenzen der Mitwirkung.<br />

Die über 40 Einzelitems der abhängigen Variablen wurden in acht Summenvariablen<br />

zusammengefasst, zum Beispiel generelle Mitwirkung oder Rollenspiel. Die unabhängige<br />

Variable, <strong>Kompetenz</strong>erwartung, wurde, wie oben beschrieben, durch Mediandichotomisierung,<br />

subjektive <strong>Kompetenz</strong> hoch <strong>und</strong> subjektive <strong>Kompetenz</strong> niedrig,<br />

realisiert. Die Items des Fragebogens, der die subjektive <strong>Kompetenz</strong>erwartung erfasste,<br />

wurden für die Hypothesenprüfung in vier Summenvariablen aufgeteilt, die verschiedene<br />

<strong>Kompetenz</strong>aspekte darstellten: in Bezug auf die Erstellung des Informationsblattes,<br />

in Bezug auf die Durchführung von Rollenspielen, in Bezug auf generelle<br />

<strong>Kompetenz</strong>en <strong>und</strong> in Bezug auf besondere inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>en. Die statistische<br />

Hypothesenprüfung erfolgte mit 32 (acht mal vier) univariaten parametrischen Varianzanalysen,<br />

wobei die Irrtumswahrscheinlichkeit auf 5 Prozent festgelegt wurde.<br />

Dabei ergab sich: Bei 28 der 32 Tests bestehen mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit<br />

von maximal 5 Prozent überzufällige Zusammenhänge in der erwarteten Richtung<br />

zwischen der subjektiven <strong>Kompetenz</strong>einschätzung <strong>und</strong> der intendierten Bereitschaft,<br />

<strong>Verantwortung</strong> zu übernehmen. Daher kann geschlossen werden:<br />

Wenn Personen sich kompetenter fühlen, sind sie eher bereit, <strong>Verantwortung</strong> zu<br />

übernehmen, als wenn sie sich weniger kompetent fühlen.<br />

g) Ist spezielle inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>erwartung hilfreich bei der Übernahme<br />

von <strong>Verantwortung</strong>? Ist es für Bereitschaft zur <strong>Verantwortung</strong>sübernahme förderlich,<br />

wenn Personen die Überzeugung haben, ganz spezielle inhaltliche Fähigkeiten<br />

für eine Aufgabe zu besitzen? Diese Frage wurde geprüft, indem berechnet wurde,<br />

ob hohe <strong>Kompetenz</strong>erwartung im Inhaltsbereich Ausländer (Mediandichotomisierung<br />

<strong>Kompetenz</strong>erwartung im Inhaltsbereich Ausländer hoch oder niedrig) zu verstärkter<br />

Bereitschaft zur <strong>Verantwortung</strong>sübernahme im Bereich Ausländer führte,<br />

nicht jedoch im Inhaltsbereich Ernährung. Analog wurde mit dem Inhaltsbereich


244 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

Ernährung verfahren. Für die Hypothesentestung von diesmal für die Inhaltsbereiche<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ernährung getrennt je zweimal 32 univariaten parametrischen Varianzanalysen<br />

(siehe oben, je 32 Tests für die abhängige Variable in den Bereichen<br />

Ausländer <strong>und</strong> Ernährung) wurde die Irrtumswahrscheinlichkeit erneut auf 5 Prozent<br />

festgelegt. Erwartet wurde, dass sich bei größerer inhaltlicher <strong>Kompetenz</strong>erwartung<br />

in Bezug auf Ausländer mehr signifikante Zusammenhänge zu Variablen der <strong>Verantwortung</strong>sübernahme<br />

in diesem Inhaltsbereich zeigen würden als zu Variablen im Inhaltsbereich<br />

Ernährung. Das Umgekehrte sollte für die größere <strong>Kompetenz</strong>erwartung<br />

im Inhaltsbereich Ernährung gelten.<br />

Die Resultate fielen den Erwartungen entsprechend aus: Von den jeweils 32<br />

Tests, die die Zusammenhänge zwischen <strong>Kompetenz</strong>aspekten im Bereich Ausländer<br />

mit <strong>Verantwortung</strong>saspekten im Bereich Ausländer als auch Ernährung beschrieben,<br />

ergaben sich für die <strong>Verantwortung</strong>saspekte im Bereich Ausländer 24 überzufällige<br />

Zusammenhänge in der erwarteten Richtung, für die <strong>Verantwortung</strong>saspekte im Bereich<br />

Ernährung jedoch nur 12. Umgekehrt ergaben sich für die jeweils 32 Tests, die<br />

die Zusammenhänge zwischen <strong>Kompetenz</strong>aspekten im Bereich Ernährung mit <strong>Verantwortung</strong>saspekten<br />

im Bereich Ernährung als auch Ausländer beschrieben, für die<br />

<strong>Verantwortung</strong>saspekte im Bereich Ernährung 26 überzufällige Zusammenhänge in<br />

der erwarteten Richtung, für die <strong>Verantwortung</strong>saspekte im Bereich Ausländer jedoch<br />

nur 10. Die subjektiv wahrgenommene <strong>Kompetenz</strong> in einem inhaltlichen Bereich begünstigt<br />

also die <strong>Verantwortung</strong>sübernahme in diesem Bereich.<br />

Wenn Personen sich für spezielle Inhalte kompetent fühlen, sind sie eher bereit,<br />

<strong>Verantwortung</strong> in diesen Inhaltsbereichen zu übernehmen.<br />

Diskussion <strong>und</strong> Tipps für die Praxis professionellen Handelns<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>, zwei Schlüsselbegriffe professionellen Handelns,<br />

wurden theoretisch <strong>und</strong> empirisch untersucht. Die theoretische Analyse ergibt,<br />

dass beide Begriffe Unterschiedliches beinhalten <strong>und</strong> klar trennbar sind. Dennoch besitzen<br />

sie auch gemeinsame Aspekte: Beide stehen im Zusammenhang mit Merkmalen<br />

der beruflichen Position, beide können als Prozess betrachtet werden <strong>und</strong> beide<br />

können mit Aspekten von Handlung assoziiert werden. <strong>Kompetenz</strong> als auch <strong>Verantwortung</strong><br />

sind vielschichtige Konstrukte, die – auch im Berufsalltag – von verschiedenen<br />

Perspektiven aus betrachtet werden können. Die empirische Analyse mit – zum<br />

Teil replizierten – Resultaten aus drei Studien bestätigt <strong>und</strong> ergänzt die theoretischen<br />

Überlegungen über <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong>. Dabei sind es vor allem drei<br />

zentrale Bedeutungsaspekte, die sowohl für das prinzipielle Verständnis der Beziehung<br />

von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> wichtig sind als auch für deren praktische<br />

Umsetzung in Aufgaben im Alltag professionellen Handelns.<br />

Erstens, die Bedeutung der doppelt positiven Beziehung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Verantwortung</strong>: Die Beziehung von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> erscheint doppelt<br />

positiv insofern, als zum einen das Erleben von <strong>Kompetenz</strong> die Übernahme von Ver-


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 245<br />

antwortung begünstigt <strong>und</strong> zum anderen bereits übernommene <strong>Verantwortung</strong> dann<br />

als zufriedenstellend <strong>und</strong> für die eigene Person als positiv erlebt wird, wenn die eigenen<br />

<strong>Kompetenz</strong>en für die mit der Situation verb<strong>und</strong>enen Anforderungen als ausreichend<br />

wahrgenommen wurden. Komplementär kann die Einschätzung der eigenen<br />

Fähigkeiten als zweifelhaft in Bezug auf die <strong>Verantwortung</strong>ssituation Emotionen der<br />

Angst hervorrufen. Diese in von Menschen tatsächlich erlebten Situationen dokumentierten<br />

Resultate stehen im Einklang mit den experimentellen Bef<strong>und</strong>en von Jerusalem<br />

<strong>und</strong> Schwarzer (1992). Mangelndes <strong>Kompetenz</strong>erleben kann zu Stress <strong>und</strong> Bedrohung<br />

führen, während eine positive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten die Anforderungen<br />

der Situation eher als Herausforderung erleben lässt. Es ist wahrscheinlich,<br />

dass Situationen, die als Herausforderung erlebt werden, von professionell handelnden<br />

Personen eher aufgesucht werden als Situationen, die bedrohen. Erstere bieten<br />

stärker die Chance für – lerntheoretisch gesehen – positive Verstärkung sowie Erfolgserleben.<br />

Bei Letzteren könnte stärker ein Misserfolg antizipiert werden, der lieber<br />

gemieden wird (Schwarzer 1993a).<br />

Aus diesen Erkenntnissen lassen sich folgende Tipps für die Praxis professionellen<br />

Handelns ableiten:<br />

Praxistipps:<br />

‣ Tipp 1: Wenn Personen <strong>Verantwortung</strong> übernehmen oder übertragen bekommen,<br />

sollten sie die damit verb<strong>und</strong>enen <strong>Kompetenz</strong>en einschätzen<br />

können <strong>und</strong> sie besitzen oder erwerben können.<br />

‣ Tipp 2: Wenn sich die Verantwortlichkeiten für Personen im Zuge der<br />

Veränderung von Positionen verändern, sei es durch Aufstieg oder durch<br />

Downward Movement, sollte darauf geachtet werden, dass die Personen<br />

die entsprechenden <strong>Kompetenz</strong>en besitzen <strong>und</strong> dies auch selbst so einschätzen<br />

oder die Gelegenheit haben, ihre <strong>Kompetenz</strong>en entsprechend zu<br />

erweitern.<br />

‣ Tipp 3: Möchte man das freiwillige Arbeitsengagement fördern, also dass<br />

Personen Aufgaben <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten übernehmen, die nicht direkt<br />

im Zusammenhang mit ihrer Position stehen, kann die Förderung von<br />

<strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> Selbstwirksamkeitserwartung hilfreich sein.<br />

Zweitens, die Bedeutung der Arten von <strong>Kompetenz</strong>: Drei spezielle Aspekte <strong>und</strong><br />

Arten von <strong>Kompetenz</strong> stehen nach den Ergebnissen der drei empirischen Studien bedeutsam<br />

im Zusammenhang mit <strong>Verantwortung</strong>: erstens die subjektiv erlebte <strong>Kompetenz</strong>,<br />

zweitens die <strong>Kompetenz</strong> im Zusammenhang mit der Situation <strong>und</strong> drittens die<br />

inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>. Erstens: Wie im theoretischen Teil ausgearbeitet, kann <strong>Kompetenz</strong><br />

die tatsächlichen Fähigkeiten einer Person umfassen als auch deren subjektive<br />

Überzeugungen über ihre <strong>Kompetenz</strong>en. Letzteres wurde von Bandura (1977) als<br />

Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung in die Literatur eingeführt. Die Empirie hat<br />

im vorliegenden Fall gezeigt, dass insbesondere diese subjektiven Überzeugungen im<br />

Zusammenhang von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> bedeutsam sind. Inwieweit sub-


246 <strong>Ann</strong> <strong>Elisabeth</strong> <strong>Auhagen</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

jektiv erlebte <strong>Kompetenz</strong>en mit tatsächlichen zusammenhängen, ist eine schwierige<br />

Frage. Den Beobachtungen im <strong>Verantwortung</strong>sübernahmeexperiment zufolge scheint<br />

es jedenfalls keine vollständige Entsprechung zu geben. Es ist also wichtig, im Kontext<br />

von <strong>Verantwortung</strong> im professionellen Handeln neben den tatsächlichen <strong>Kompetenz</strong>en<br />

von Personen deren subjektive Überzeugungen, solche zu besitzen, zu beachten<br />

<strong>und</strong> zu fördern. Möglichkeiten der Umsetzung hierfür bestehen im Rahmen von<br />

Coaching (z.B. Vogelauer 1999), von Trainings (z.B. Weßling 1999) oder von Führungsverhalten<br />

(z.B. Neuberger 1995). Zweitens: Die vorliegenden Resultate haben<br />

gezeigt, wie wichtig die situative Selbstwirksamkeitserwartung ist, also die speziell<br />

auf eine bestimmte <strong>Verantwortung</strong>ssituation bezogene Überzeugung, <strong>Kompetenz</strong>en<br />

zu besitzen. Überzeugungen, die sich auf allgemeine <strong>Kompetenz</strong>en im Sinne einer<br />

längerfristigen Persönlichkeitsvariable bezogen, waren von geringerer Bedeutung in<br />

Bezug auf den Umgang mit <strong>Verantwortung</strong>. Und drittens: Die Ergebnisse sprechen<br />

dafür, dass für die <strong>Verantwortung</strong>ssituation spezielle inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>en <strong>und</strong><br />

die Überzeugung, diese zu besitzen, für die Übernahme von <strong>und</strong> den Umgang mit<br />

<strong>Verantwortung</strong> förderlich sind. Die unter zweitens <strong>und</strong> drittens berichteten Zusammenhänge<br />

eröffnen für den praktischen Umgang mit <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

konstruktive Möglichkeiten. So lassen sich spezielle inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>en im<br />

Rahmen von Aus- <strong>und</strong> Fortbildungsmaßnahmen, Schulungen oder Traineeangeboten<br />

erwerben. Situative Selbstwirksamkeitserwartung kann gefördert werden durch die<br />

unter erstens geschilderten Maßnahmen. Zwei wichtige Aspekte sollten allerdings im<br />

theoretischen <strong>und</strong> im praktischen Umgang mit <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> als<br />

Basis immer berücksichtigt werden. Der eine: Die Übernahme von <strong>Verantwortung</strong> als<br />

innerem Prozess erfolgt letztendlich freiwillig (siehe oben). Der andere: Für die Übernahme<br />

von <strong>und</strong> den Umgang mit <strong>Verantwortung</strong> ist nicht ausschließlich <strong>Kompetenz</strong>,<br />

sondern außerdem eine Reihe weiterer Bedingungen <strong>und</strong> Variablen relevant (<strong>Auhagen</strong><br />

1999).<br />

Praxistipps:<br />

‣ Tipp 4: Neben der Förderung von tatsächlichen Fähigkeiten sollte die subjektive<br />

Überzeugung von Personen, <strong>Kompetenz</strong> – insbesondere für die<br />

jeweilige Situation – zu besitzen, beachtet <strong>und</strong> gefördert werden. Dies<br />

kann im Rahmen, von Coaching, Trainings, Schulungen <strong>und</strong> durch Führungsverhalten<br />

geschehen.<br />

‣ Tipp 5: Neben allgemeinen sollten auch spezielle inhaltliche <strong>Kompetenz</strong>en<br />

in Bezug auf die Anforderung <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> gefördert werden.<br />

Drittens, die Bedeutung des Handlungsfeldes im Rahmen von <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Verantwortung</strong>: <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong> stehen beide in Zusammenhang mit<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> Handeln (siehe oben). Deshalb ist es sinnvoll, auf die Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> Bedingungen des Handlungsfeldes hinzuweisen, in dem sich <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Verantwortung</strong> bewegen. Es ist ein wichtiges Ergebnis, dass Personen, die sich selbst<br />

in <strong>Verantwortung</strong>ssituationen als kompetent wahrnehmen, signifikant häufiger hand-


Zeitschrift für Personalforschung, 16. Jg., Heft 2 2002 247<br />

lungsleitende innere Motive, hohen persönlichen Einfluss <strong>und</strong> subjektive Sicherheit<br />

erleben. <strong>Kompetenz</strong>erwartung kann sogar durch persönlichen Einfluss <strong>und</strong> subjektive<br />

Sicherheit gut vorhergesagt werden. An anderer Stelle wird gezeigt, dass umgekehrt<br />

auch persönlicher Einfluss unter anderem durch <strong>Kompetenz</strong>erwartung vorhergesagt<br />

werden kann (<strong>Auhagen</strong> 1999). Diese, sich offenbar wechselseitig bedingende, Beziehung<br />

von Einfluss <strong>und</strong> <strong>Kompetenz</strong>erwartung weist auf die Bedeutung des Feldes <strong>und</strong><br />

des Kontextes des professionellen Handelns hin. Wenn der Umgang mit <strong>Verantwortung</strong><br />

als erfolgreich gelten kann, dann sollten auch die äußeren Bedingungen des<br />

Handelns hierfür optimal gestaltet sein. Dies heißt vor allem, dass die handelnde Person<br />

mit dem entsprechenden Handlungsspielraum (z.B. Preisendörfer 1985) ausgestattet<br />

sein sollte, der ihr die Möglichkeiten gibt, alle für die <strong>Verantwortung</strong>sanforderung<br />

erforderlichen Aktivitäten zu entfalten.<br />

Praxistipp:<br />

‣ Tipp 6: Für den professionellen Umgang mit <strong>Kompetenz</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

sollten die Personen mit optimalen äußeren Bedingungen hierfür<br />

ausgestattet sein – insbesondere mit einem maximalen äußeren Handlungsspielraum.<br />

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