Wolfgang Elšik - Rainer Hampp Verlag

Wolfgang Elšik - Rainer Hampp Verlag Wolfgang Elšik - Rainer Hampp Verlag

hampp.verlag.de
von hampp.verlag.de Mehr von diesem Publisher
06.01.2014 Aufrufe

Elšik: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 331 Wolfgang Elšik * Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte für das Personalmanagement ** Im Zusammenhang mit Konzepten wie Lean Management, Total Quality Management oder Business Process Reengineering werden personalwirtschaftliche Fragen in der Regel aus einer Implementierungsperspektive gestellt und diskutiert. Der vorliegende Beitrag kehrt diese Perspektive um und fragt, welche Funktion diese Produktionsund Organisationskonzepte im Hinblick auf die Legitimität des Personalmanagements erfüllen können. Auf der Basis des organisationstheoretischen Neo-Institutionalismus und der Diskussion zur organisationalen Legitimität wird argumentiert, daß diese Managementkonzepte Rationalitätsmythen darstellen, welche dem vorwiegend im mehrdeutigen, symbolischen Kontext agierenden Personalmanagement zur Schaffung und Bewahrung seiner erforderlichen Legitimität dienen können. In the context of Lean Management, Total Quality Management or Business Process Reengineering, HRM related issues are typically dealt with from an implementation oriented perspective. The present paper employs the reverse approach and looks at the legitimacy Human Resource Management could gain from these management concepts. Based on the New Institutionalism in organization theory and the discussion on organizational legitimacy, it is argued that the management concepts can be viewed as rationalized institutionalized myths. They could help HRM, which acts in a highly symbolic context, to build up and maintain its requisite legitimacy. ______________________________________________________________________ * Dr. Wolfgang Elšik, Jg. 1958, Universitätsassistent an der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung für Personalwirtschaft, Augasse 2-6, A-1090 Wien. Arbeitsgebiete: Organisationstheoretische Grundlagen der Personalwirtschaftslehre, Karriereplateauforschung, Strategisches Personalmanagement. ** Der Artikel stellt die überarbeitete Fassung eines am 13. Oktober 1995 im Rahmen der Herbsttagung der Kommission Personal des Hochschullehrerverbandes in Bamberg gehalten Vortrags dar. Artikel eingegangen: 12.3.96 / revidierte Fassung eingegangen und akzeptiert: 29.6.96.

<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 331<br />

<strong>Wolfgang</strong> <strong>Elšik</strong> *<br />

Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und<br />

Organisationskonzepte für das Personalmanagement **<br />

Im Zusammenhang mit Konzepten wie Lean Management, Total Quality Management<br />

oder Business Process Reengineering werden personalwirtschaftliche Fragen in<br />

der Regel aus einer Implementierungsperspektive gestellt und diskutiert. Der vorliegende<br />

Beitrag kehrt diese Perspektive um und fragt, welche Funktion diese Produktionsund<br />

Organisationskonzepte im Hinblick auf die Legitimität des Personalmanagements<br />

erfüllen können. Auf der Basis des organisationstheoretischen Neo-Institutionalismus<br />

und der Diskussion zur organisationalen Legitimität wird argumentiert, daß diese Managementkonzepte<br />

Rationalitätsmythen darstellen, welche dem vorwiegend im mehrdeutigen,<br />

symbolischen Kontext agierenden Personalmanagement zur Schaffung und<br />

Bewahrung seiner erforderlichen Legitimität dienen können.<br />

In the context of Lean Management, Total Quality Management or Business Process<br />

Reengineering, HRM related issues are typically dealt with from an implementation<br />

oriented perspective. The present paper employs the reverse approach and looks at<br />

the legitimacy Human Resource Management could gain from these management concepts.<br />

Based on the New Institutionalism in organization theory and the discussion on<br />

organizational legitimacy, it is argued that the management concepts can be viewed as<br />

rationalized institutionalized myths. They could help HRM, which acts in a highly symbolic<br />

context, to build up and maintain its requisite legitimacy.<br />

______________________________________________________________________<br />

* Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Elšik</strong>, Jg. 1958, Universitätsassistent an der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung<br />

für Personalwirtschaft, Augasse 2-6, A-1090 Wien.<br />

Arbeitsgebiete: Organisationstheoretische Grundlagen der Personalwirtschaftslehre, Karriereplateauforschung,<br />

Strategisches Personalmanagement.<br />

** Der Artikel stellt die überarbeitete Fassung eines am 13. Oktober 1995 im Rahmen der<br />

Herbsttagung der Kommission Personal des Hochschullehrerverbandes in Bamberg gehalten<br />

Vortrags dar.<br />

Artikel eingegangen: 12.3.96 / revidierte Fassung eingegangen und akzeptiert: 29.6.96.


332 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

1. Einleitung<br />

Neue Produktions- und Organisationskonzepte wie Total Quality Management,<br />

Lean Management oder Business (Process) Reengineering sind zum festen Bestandteil<br />

der Managementdiskussion in Theorie und Praxis geworden. Die Personalwirtschaftslehre<br />

befindet sich im Zusammenhang mit solchen Managementkonzepten in einer doppelt<br />

reaktiven Position. Bei der Diskussion dieser theoriearmen und normenreichen<br />

Konzepte werden Personalfragen zumeist am Rande und unter der reaktiven Implementierungsperspektive<br />

(„HRM follows ______ “) diskutiert 1 . Üblicherweise lautet die Fragestellung<br />

„Welchen Beitrag kann die Personalfunktion zur Umsetzung von _____ leisten?“<br />

oder „Welche Anforderungen stellt _____ an das Personalmanagement?“ Zweitens<br />

werden diese Themen und Konzepte regelmäßig von der (Beratungs-)Praxis als<br />

Reaktion auf den dort wahrgenommenen Problemdruck entwickelt, diskutiert und damit<br />

der Personalwirtschaftslehre vorgegeben, die sich mangels genügend eigenständiger,<br />

theoriegeleiteter Initiativen oftmals in die Rolle des „Nachhinkens und Aufgreifens“<br />

drängen läßt. Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag eine Umkehrung der Problemperspektive<br />

vorgenommen, indem die neuen Produktions- und Organisationskonzepte<br />

aus einer originär personalwirtschaftlichen Perspektive und vor einem spezifischen<br />

Theoriehintergrund betrachtet werden. Konkret lautet die Frage: Welche Funktion können<br />

die neuen Produktions- und Organisationskonzepte im Hinblick auf die Legitimität<br />

des Personalmanagements erfüllen? Die Relevanz (bzw. Legitimität) dieser Fragestellung<br />

kann mit zwei Argumenten begründet werden. Zum einen stellt die Umsetzung der<br />

neuen Produktions- und Organisationskonzepte, z.B. durch Outsourcing, bisweilen sogar<br />

die Existenzberechtigung von Personalfachleuten und Personalabteilungen in Frage<br />

und gefährdet damit zunehmend deren in der Regel ohnehin nicht allzu hohen Stellenwert<br />

innerhalb der Organisation. Zum anderen geraten Organisationen insgesamt in ihrem<br />

Umfeld verstärkt unter Legitimationsdruck. Diese Entwicklung findet ihren Ausdruck<br />

in einer wachsenden, fast ausschließlich in den USA geführten Diskussion zur<br />

„Organizational Legitimacy“.<br />

Der Beitrag ist in drei Abschnitte gegliedert. Zunächst werden die Grundgedanken<br />

des Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie beschrieben, der mit Fragen der<br />

organisationalen Legitimität eng verbunden ist. Dabei werden auch personalwirtschaftlich<br />

relevante, in der personalwirtschaftlichen Fachdiskussion aber kaum beachtete Untersuchungen<br />

in dieser Theorietradition referiert (Abschnitt 2). Dann werden die Hauptaussagen<br />

der Diskussion zur organisationalen Legitimität dargestellt (Abschnitt 3). Auf<br />

diesen Grundlagen wird in Abschnitt 4 argumentiert, daß und wie die neuen Produktions-<br />

und Organisationskonzepte eine Legitimitätsfunktion für das Personalmanagement<br />

erfüllen (können).<br />

2. Neo-Institutionalismus<br />

1<br />

An diesem Befund ändern auch die notorischen Beteuerungen über den Menschen im Mittelpunkt<br />

oder über die erfolgskritische Relevanz der Humanressourcen nichts.


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 333<br />

Der Neo-Institutionalismus stellt eine von mehreren Spielarten der Theorie des Institutionalismus<br />

dar, wie er in der Ökonomie, Soziologie und Organisationstheorie zu<br />

beobachten ist (DiMaggio/Powell 1991: 3 ff.). Auch wenn man die Zweige in der Ökonomie<br />

(Transaktionskosten- und Principal-Agency-Ansatz) und in der Politologie (z.B.<br />

March/Olsen 1989) beiseite läßt, bleibt noch immer ein breites Spektrum an institutionalistischen<br />

Beiträgen in der Organisationstheorie. „Wenn jemand eine institutionalistische<br />

Analyse ankündigt, sollte die nächste Frage lauten: Unter Verwendung welcher<br />

Version?“ (Scott 1987: 501). Daher wird im folgenden auch kein umfassender Überblick<br />

zum Theorieangebot des Neo-Institutionalismus angestrebt, sondern es werden einige<br />

grundsätzliche, immer wiederkehrende und für die vorliegende Fragestellung unmittelbar<br />

relevante Hauptaussagen skizziert.<br />

2.1 Theoretische Grundzüge<br />

Die Hauptaussagen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie lassen sich<br />

in vier Punkten zusammenfassen (vgl. Abb. 1): (a) Organisationen agieren in unterschiedlichen<br />

Kontexten, (b) auf der symbolischen Ebene der Organisationsumwelt existieren<br />

Rationalitätsmythen, (c) diese Mythen werden in die Organisationsstruktur übernommen<br />

(Isomorphismus) und (d) organisationsintern verläuft der Institutionalisierungsprozeß<br />

durch „Ansteckung“. Ausgangspunkt ist wie bei so vielen Organisationstheorien<br />

die Kritik am Rationalitätsparadigma. Dieses besagt u.a., daß Organisationen<br />

formale Strukturen (Regeln, Prozeduren, Verfahren) ausbilden, um sowohl ihre Beziehungen<br />

zur Umwelt, als auch ihre internen Aktivitäten zu koordinieren und zu steuern.<br />

Aus institutionalistischer Sicht stellt dies jedoch nur eine Funktion formaler Organisationsstrukturen<br />

dar. „Der Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie und Soziologie<br />

umfaßt die Ablehnung von Rationalakteur-Modellen, das Interesse an Institutionen<br />

als unabhängige Variablen, die Hinwendung zu kognitiven und kulturellen Erklärungen<br />

und das Interesse an Merkmalen überindividueller Analyseeinheiten, die nicht<br />

auf Aggregationen oder direkte Konsequenzen individueller Merkmale oder Motive reduziert<br />

werden können“ (DiMaggio/Powell 1991: 8 f.). Mit dieser Perspektivenverschiebung<br />

entsteht eine eigentümliche Diskrepanz: Auf der einen Seite gibt es in Organisationen<br />

formal-rationale Strukturen und Verfahren, und es ist unbestreitbar, daß in<br />

Organisationen eine Rationalitätssemantik verwendet wird. Ebenso unbestreitbar ist<br />

aber auch, daß das Leben in Organisationen (zumeist?) wenig rational abläuft, daß das<br />

Abweichen von formalen Regeln häufig vorkommt und daß dies oft die Voraussetzung<br />

für das Funktionieren der Organisation darstellt. Daher liegt es nahe, zwischen den formalen<br />

Organisationsstrukturen und den tatsächlich ablaufenden Aktivitäten in der Organisation<br />

klar zu unterscheiden (Meyer/Rowan 1977: 341 ff.). Insbesondere ist von der<br />

Vorstellung Abschied zu nehmen, daß formale Strukturen und Zweckrationalität die alltäglichen<br />

Routineabläufe und Arbeitstätigkeiten in der Organisation koordinieren und<br />

steuern.<br />

Abb. 1: Neo-Institutionalismus in der Organisationstheorie


334 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

Mythos<br />

•<br />

Struktur<br />

•<br />

Mythos<br />

<br />

Struktur<br />

•<br />

Mythos<br />

•<br />

Organisation<br />

Struktur<br />

<br />

Struktur<br />

<br />

Struktur<br />

<br />

Ansteckung<br />

Ansteckung<br />

<br />

Zwang, Norm<br />

Imitation<br />

<br />

Mythos<br />

<br />

Materieller und symbolischer Kontext<br />

Organisationen bewegen sich in zwei Kontexten (Umweltebenen). Im materielltechnischen<br />

Kontext laufen die materiellen Produktions-, Austausch- und Interaktionsprozesse<br />

ab, er ist durch die Verwendung eindeutiger, routinehafter Technologien (Ursache-Wirkungs-Beziehung<br />

zwischen Input und Output) und klarer Beurteilungskriterien<br />

für den Output charakterisiert. Der Erfolg der Organisation hängt von ihrer technischen<br />

Effizienz ab, die Steuerung erfolgt über Ergebniskontrolle. Im symbolischeninstitutionellen<br />

Kontext geht es um die akzeptable Darstellung und Rechenschaftslegung<br />

der organisationalen Aktivitäten zur Erlangung von Legitimität. Die verwendeten<br />

Technologien und Evaluationskriterien sind variabel und mehrdeutig. Hier hängt der<br />

Erfolg der Organisation vom Vertrauen und der Stabilität ab, die durch die Konformität<br />

mit den institutionellen Regeln entstehen. Die Steuerung erfolgt hier in Form von Prozeßkontrolle<br />

(„Legitimität durch Verfahren“, vgl. Luhmann 1993).<br />

Organisationen sind unterschiedlich stark in diese beiden Kontexte eingebunden.<br />

Produktionsunternehmen agieren mehr in einem materiellen, Krankenhäuser und Bildungsinstitutionen<br />

mehr in einem symbolischen Umfeld. Die Relevanz der Anforderungen<br />

des technischen Kontexts ist aus zwei Gründen variabel. Erstens sind die technischen<br />

Merkmale des Outputs sozial konstruiert, nicht der Bleigehalt im Benzin „an<br />

sich“, sondern die ihm zugeschriebene (und sich im Laufe der Zeit verändernde) Bedeutung<br />

ist für die Beurteilung relevant. Zweitens werden die Verfahren und Outputs von<br />

der Organisation oder ihrer Umwelt redefiniert, was zu einer geringeren Operationali-


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 335<br />

sierbarkeit ihrer Effizienz führen kann, wenn bspw. (Weiter-)Bildungsziele nicht (nur)<br />

die Vermittlung konkreter Fähigkeiten, sondern (auch) den Erwerb von Metaqualifikationen<br />

wie z.B. soziale Kompetenz oder Handhabung komplexer Problemstellungen<br />

beinhalten. Die beiden Kontexte stellen divergierende Anforderungen an die Organisation<br />

und erfordern unterschiedliche Handlungslogiken. Die Effizienzkriterien der technischen<br />

Aktivitäten stehen in Widerspruch zur zeremoniellen Übernahme von institutionalisierten<br />

Regeln, weil sie zumindest kurzfristig reine (Mehr-)Kosten verursachen<br />

(wenn z.B. eine Universität einen Nobelpreisträger beruft) und weil die Regeln so allgemein<br />

sind, daß sie in konkreten Situationen oft nicht passen (z.B. Behandlung von<br />

Patienten im Krankenhaus). Darüber hinaus können die institutionalisierten Regeln untereinander<br />

in Konflikt stehen, wenn unterschiedliche Professionen innerhalb einer Organisation<br />

vertreten sind, wie dies etwa in Krankenhäusern und Universitäten der Fall<br />

ist (Meyer/Rowan 1977: 354).<br />

Wenn die Organisation sich einer der beiden Anforderungen auf Kosten der jeweils<br />

anderen zuwendet, riskiert sie ihre Effizienz bzw. Legitimität. Wenn sie die Widersprüchlichkeit<br />

von Strukturen und Arbeitsanforderungen zugibt, gefährdet sie ebenso<br />

ihre Legitimität, wie wenn sie Strukturreformen in Aussicht stellt. Daher schlagen<br />

Meyer/Rowan (1977: 356 ff.) zwei Strategien zum Umgang mit den widersprüchlichen<br />

Anforderungen vor: Entkopplung und Vertrauensbildung. Beide Strategien sollen das<br />

an den materiellen Kontext gebundene Geschehen durch eine Legitimationsfassade im<br />

symbolischen Kontext abschirmen. Entkopplung der technisch-materiellen und symbolisch-institutionellen<br />

Kontexte erfolgt durch Verselbständigung der symbolischen Repräsentationen<br />

mittels Verfahren der Selbstdarstellung, Zeremonien und Rituale. Beispiele<br />

dafür sind die Trennung produktiver und repräsentativer Funktionen oder Abteilungen,<br />

die Arbeit am eigenen Unternehmensimage, die Verlautbarung der Unternehmensphilosophie<br />

oder die Delegation von Tätigkeiten an Experten (Professionelle). Ziele<br />

werden mehrdeutig und nichtssagend formuliert, Ergebnisziele werden durch Verfahrensziele<br />

ersetzt (z.B. Behandeln statt Heilen von Patienten). Integration wird vermieden,<br />

die Implementation von Programmen vernachlässigt, Inspektionen und Evaluationen<br />

ritualisiert. Menschliche Beziehungen gewinnen an Bedeutung, indem die technisch<br />

erforderliche, aber strukturell nicht leistbare Koordination der Arbeitsaktivitäten informell<br />

über persönliche Kontakte, z.T. auch unter Verletzung der formalen Regeln erfolgt.<br />

Die zweite Strategie zum Umgang mit den widersprüchlichen Kontexten besteht in<br />

der Bildung von Vertrauen darauf, daß alle in guter Absicht handeln. Vertrauen wird<br />

dadurch aufrechterhalten, daß alle ihr Gesicht wahren können. Daher werden Inspektionen<br />

und Evaluationen auf ein Mindestmaß gebracht und ritualisiert, wie die Beispiele<br />

der jährlichen Rechnungslegung und Aktionärsversammlungen illustrieren. Durch die<br />

Bildung autonomer Organisationseinheiten (z.B. Profitcenters) wird der allzu genaue<br />

Blick vermieden und Diskretion gefördert. Werden dennoch Unzulänglichkeiten und<br />

Inkonsistenzen wahrgenommen, so kann darüber - weil ja guter Wille unterstellt wird -<br />

wohlwollend hinweggesehen werden (Meyer/Rowan 1977: 358 f.).


336 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

Rationalitätsmythen<br />

Eine grundlegende Unterscheidung im Rahmen der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie<br />

betrifft die Frage, ob die Organisation oder Elemente in der Umwelt als<br />

Institutionen verstanden werden. Werden Teile der Umwelt als institutionalisiert betrachtet,<br />

so liegt das Augenmerk auf der organisationalen Reproduktion dieser durch<br />

gesellschaftliche Rationalisierung entstandenen, der Organisation auferlegten, aber<br />

durch sie kaum beeinflußbaren Formen. Formale Organisationsstrukturen reflektieren<br />

aus der Sicht des Neo-Institutionalismus nicht die technischen Anforderungen der konkret<br />

ablaufenden Arbeitsaktivitäten, sondern Mythen, die in der Umwelt institutionalisiert<br />

sind. Meyer und Rowan (1977: 345) bezeichnen diese institutionalisierten Regeln/Mythen<br />

als Bausteine, die in der sozialen Landschaft verstreut liegen und von Unternehmern,<br />

Organisatoren und Managern nur mehr zu einer Organisationsstruktur zusammengebaut<br />

werden brauchen. Institutionalisierte Regeln werden unter Rückgriff auf<br />

Berger und Luckmann (1969: 58) als reziproke Typisierung von habitualisierten Handlungen<br />

und Typen von Handelnden verstanden. „Institution postuliert, daß Handlungen<br />

des Typus X von Handelnden des Typus Y ausgeführt werden“ (Berger/Luckmann<br />

1986: 58), also daß bspw. Vorauswahl von Bewerbern von externen Personalberatern<br />

vorgenommen werden (können). Allgemein sind Institutionen kulturell bedingte Regeln,<br />

die bestimmten Dingen und Aktivitäten Sinn geben und Wert zusprechen, damit<br />

soziales Verhalten stabilisieren und in einen übergeordneten Rahmen integrieren und<br />

von den Akteuren als ihnen äußerlich (extern) und als objektiv erlebt werden (Berger/<br />

Luckmann 1969: 64; Meyer et al. 1994: 10; Scott 1995: 33 f.; Zucker 1977: 728). Die<br />

Übernahme dieser institutionalisierten Bausteine (Mythen, Regeln) erfolgt in Form von<br />

Ritualen und Zeremonien.<br />

Rationalität ist demnach kein Wesensmerkmal von Organisationen, sondern findet<br />

ihren Ausdruck in den in der Umwelt/Gesellschaft existierenden, ungeprüften Annahmen<br />

und Zuschreibungen. Sie enthalten Aussagen darüber, wie Organisationen strukturiert<br />

sein sollen, welche Verfahren sie zu verwenden haben, wenn ihnen Rationalität<br />

zugeschrieben werden soll. Beispiele dafür sind Vorstellungen über Hierarchie, Arbeitsteilung,<br />

Abteilungsbildung, Planungsverfahren, Personalbeurteilungssysteme, Buchhaltungssysteme<br />

und vieles andere mehr. Formale, zweckrational gestaltete Organisationsstrukturen<br />

stellen symbolische Repräsentationen von gesellschaftlich akzeptierten<br />

und institutionalisierten Handlungsorientierungen und Situationsdeutungen dar. „Als<br />

allgemein gesellschaftlich akzeptiertes und erwartetes Muster dient Rationalität der<br />

symbolischen Repräsentation organisational ‘ordentlichen Handelns’“ (Türk 1989: 38).<br />

Rationalitätsmythen weisen zwei Merkmale auf, die für die Ausbildung formaler<br />

Organisationsstrukturen besonders relevant sind. Sie sind rational, indem sie einen regelhaften<br />

Zusammenhang von (sozialen) Zielen und (technischen) Mitteln postulieren.<br />

Sie sind Mythen, weil dieser Zusammenhang institutionalisiert ist, d.h., von den Akteuren<br />

als objektiv gegebene, nicht mehr hinterfragbarer Bestandteil der sozialen Wirklichkeit<br />

betrachtet wird. Sie werden als gegeben und legitim hingenommen. Ihre Wirksamkeit<br />

hängt vom geteilten Glauben der Akteure an ihre Wirksamkeit ab und wird<br />

nicht objektiv überprüft (Walgenbach 1995: 275).


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 337<br />

Beispiele für Mythen als Elemente formaler Organisationsstrukturen sind Professionalisierung,<br />

Programme und Technologien. Professionen und Berufe werden über Zutrittsbedingungen<br />

(z.B. Zertifizierung) kontrolliert und nicht über ihren Output. Sie bestehen<br />

aus einem Set unpersönlicher Techniken und umfassen ein Set von Tätigkeiten,<br />

die ihnen als „zuständig“ zugeordnet werden. Die funktionale Gliederung von Organisationen<br />

liegt ebenfalls vorgefertigt in der Umwelt bereits vor, z.B. welche Funktionen<br />

(wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb, etc.) ein Unternehmen zu erfüllen hat und wie<br />

diese Funktionen zu erfüllen sind. Technologien wie z.B. Produktionsverfahren, Rechnungslegungs-<br />

oder Personalauswahlprozeduren stehen ebenfalls bereits als selbstverständliche<br />

Instrumente zur organisationalen Zielerreichung zur Verfügung, ihr Einsatz<br />

per se verleiht der Organisation ein rationales und modernes Image.<br />

Isomorphismus<br />

Die zunehmende Ähnlichkeit von Organisationen in einem bestimmten organisationalen<br />

Feld (z.B. einer Branche) wird als „Isomorphismus“ bezeichnet. Diese allmähliche<br />

Angleichung der organisatorischen Strukturen kann durch kompetitive oder institutionelle<br />

Argumente erklärt werden. Der Populationsökologie-Ansatz (vgl. z.B. Hannan/Carroll<br />

1992) betont den Effizienzdruck des freien Wettbewerbs, der die Organisationen<br />

einer Population gemäß des Darwinschen Überlebenskriteriums (survival of the<br />

fittest) zur Erhöhung ihrer Fitneß zwingt. Aber „Organisationen konkurrieren nicht nur<br />

um Ressourcen oder Kunden, sondern auch um politische Macht und institutionelle Legitimität,<br />

um soziale ebenso wie um ökonomische Fitneß“ (DiMaggio/Powell 1983:<br />

150). Institutioneller Isomorphismus erklärt die Homogenisierung organisationaler<br />

Strukturen durch drei Mechanismen: Zwang, Imitation und normativer Druck (Di-<br />

Maggio/Powell 1983: 150 ff.). Der Zwang zur Übernahme von institutionellen Regeln<br />

kann direkt erfolgen, wie bei gesetzlichen Auflagen oder der Vorgabe standardisierter<br />

Prozeduren (z.B. Berichtswesen) durch die Muttergesellschaft. Indirekt wirkt dieser<br />

Zwang zur Schaffung/Übernahme bestimmter Rollen bspw. durch die starke, kulturell<br />

abgesicherte Erwartung von Akteuren in anderen Organisationen, in Verhandlungen auf<br />

einen „üblichen“ Ansprechpartner zu treffen, der in erkennbarer Weise vergleichbaren<br />

Status und Kompetenz signalisiert.<br />

Isomorphismus durch Imitation („mimetische“ Prozesse) ist eine Möglichkeit für<br />

die Organisation, mit Unsicherheit umzugehen. Dabei wählt sie andere Organisationen,<br />

die sie als erfolgreich, rational, legitim, etc. wahrnimmt, als Modell, an dem sie sich<br />

orientieren und von dem sie bestimmte strukturelle Merkmale kopieren kann. Damit<br />

wird die Variationsbreite organisationaler Strukturen verringert. So wählen Organisationen<br />

ab einer bestimmten Größe nur mehr zwischen wenigen, renommierten Beratungsgesellschaften,<br />

die wohl - ungeachtet ihrer verkaufsfördernden Rhetorik von „individuellen,<br />

maßgeschneiderten Lösungen“ - ein begrenztes Repertoire an Managementmodellen<br />

und Verfahrensweisen anbieten. „Diese Entwicklungen haben auch einen<br />

rituellen Aspekt; Unternehmen übernehmen diese ‘Innovationen’, um ihre Legitimität<br />

zu erhöhen und um zu demonstrieren, daß sie zumindestens versuchen, die Arbeitsbedingungen<br />

zu verbessern“ (DiMaggio/Powell 1983: 151). Die Nachahmung der Prakti-


338 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

ken anderer Organisationen erfolgt aber nicht immer so absichtsvoll, sondern ergibt<br />

sich auch als „Nebenprodukt“ von Personaltransfer und Fluktuation.<br />

Isomorphismus durch normativen Druck erfolgt in erster Linie über Professionalisierung,<br />

vor allem des Managements und der Spezialisten in den Stabsabteilungen.<br />

Normative Regeln professionellen Handelns werden in Ausbildungsinstitutionen wie<br />

z.B. Universitäten erworben, die bekanntlich nicht nur der Wissensvermittlung, sondern<br />

auch als Sozialisationsinstanzen dienen, und über Netzwerke der Professionellen (z.B.<br />

Berufsverbände) verbreitet und abgesichert. Daneben tragen auch personalwirtschaftliche<br />

Rekrutierungs- und Selektionspraktiken zur Verbreitung relativ einheitlicher professioneller<br />

Verhaltensnormen bei. Beispiele dafür sind die Nutzung des sozialen Netzwerks<br />

der eigenen Belegschaft (homosoziale Reproduktion im Sinne Kanters, 1977),<br />

die Vereinheitlichung der Anforderungsprofile für die unterschiedlichen Kategorien<br />

von Bewerbern (z.B. Hochschulabsolventen), die Rekrutierung bei den immer gleichen<br />

Ausbildungsinstitutionen sowie die Homogenisierung managerieller Karrierepfade.<br />

„Viele professionelle Karriereverläufe werden sowohl an ihrem Anfang als auch in ihrem<br />

weiteren Verlauf so eng überwacht, daß diejenigen Personen, die es bis zur Spitze<br />

schaffen, praktisch kaum mehr zu unterscheiden sind“ (DiMaggio/Powell 1983: 152 f.).<br />

Institutionalisierung innerhalb der Organisation<br />

Werden Organisationen selbst als Institutionen verstanden, so läuft der Prozeß der<br />

Institutionalisierung entweder durch Imitation ähnlicher Organisationen ab, und/oder<br />

die bereits institutionalisierten Elemente der Organisationsstruktur (z.B. Standardverfahren,<br />

Stellen oder Abteilungen) „infizieren“ andere Elemente innerhalb der Organisation.<br />

Legitimität ist ansteckend (für Institutionalisten ist Legitimierung weitgehend synonym<br />

mit Institutionalisierung, vgl. Suchman 1995: 576). Werden neue organisatorische<br />

Formen mit bestehenden Institutionen in Verbindung gebracht, so geht deren Legitimität<br />

auf sie über. Neue Verfahren brauchen ihre technische Effizienz nicht unter Beweis<br />

stellen, wenn sie, wie z.B. regelmäßige Updates von PC-Programmen, mit bestehenden,<br />

institutionalisierten Verfahren in Verbindung gebracht werden. Die Institutionalisierung<br />

einer Personalabteilungen legitimiert den Einsatz unterschiedlichster, rationaler<br />

Personalmanagementverfahren und den Bedarf an entsprechend qualifizierten Personalfachleuten.<br />

Ist einmal eine Frauenförderstelle in der Organisation eingerichtet, so<br />

braucht deren Inhaberin ein von ihr initiiertes Frauenförderprogramm weitaus weniger<br />

begründen (legitimieren), als wenn sie dasselbe Programm ohne diese institutionelle<br />

Basis umsetzen wollte. Aus dieser Sicht fördert Institutionalisierung via Handlungsroutinen<br />

die Effizienz, solange effizientere Alternativen nicht ignoriert werden (Zucker<br />

1987: 444 ff.).<br />

Neben diesen Beispielen aus dem Personalbereich kann die personalwirtschaftliche<br />

Relevanz des Neo-Institutionalismus auch anhand folgender empirischer Studien demonstriert<br />

werden.<br />

2.2 Neo-Institutionalismus und Personalmanagement


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 339<br />

In diesem Abschnitt werden empirische Untersuchungen referiert, die in der Tradition<br />

des Neo-Institutionalismus stehen und personalwirtschaftlich relevante Fragestellungen<br />

bearbeiten. Damit sollen einerseits die Relevanz dieser Theorierichtung für die<br />

Personalwirtschaftslehre belegt und andererseits inhaltliche Schlußfolgerungen im Hinblick<br />

auf die Problemstellung des vorliegenden Beitrags vorbereitet werden.<br />

Baron und Bielby (1986) gingen der Frage nach, von welchen Faktoren das Ausmaß und die<br />

Differenziertheit unterschiedlicher Stellenbezeichnungen in einer Organisation im Vergleich zu<br />

den Unterschieden bei den jeweils tatsächlich vollzogenen Arbeitsaufgaben abhängen. Die Ausbreitung<br />

differenzierter Stellenbezeichnungen kann vertikal und horizontal erfolgen. Horizontal<br />

werden gleichartige Stellen je nach ihrem „Ort“ in der Organisation (z.B. Sparte) unterschiedlich<br />

benannt, vertikal dient die Klassifikation von Positionen der Abbildung von Status- und Einkommensunterschieden.<br />

Die vier betrachteten Einflußfaktoren waren (a) technisch-administrative<br />

Erfordernisse, (b) Macht und Kontrolle, (c) das institutionelle Umfeld und (d) der Markt. Die Untersuchung<br />

von 368 Unternehmen oder Unternehmensteilen (z.B. Werke, Niederlassungen, etc.)<br />

ergab folgendes Bild: Bei den technisch-administrativen Erfordernissen ist die Unternehmensgröße<br />

der bei weitem bedeutendste Faktor, sie erklärt in Produktionsbetrieben 40% der Varianz.<br />

Auch die Abhängigkeit von höheren, firmenspezifischen Qualifikationen und die Existenz eines<br />

internen Arbeitsmarktes erhöhen die Ausdifferenzierung der Stellenbezeichnungen. Aus der<br />

Macht- und Kontrollperspektive resultiert das in der Organisation praktizierte Maß an Arbeitsteilung<br />

aus der politischen Auseinandersetzung diverser Gruppen, die ihr jeweiliges Macht- und<br />

Kontrollpotential aufrechterhalten wollen. Tendenziell weisen jene Unternehmen stärker fragmentierte<br />

Stellenbezeichnungen auf, die einen höheren Anteil an professionell qualifizierten Mitarbeitern<br />

beschäftigen (weil diese feinere Statusdifferenzierungen durchsetzen wollen und können),<br />

deren Belegschaft hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses ausgewogen ist (um dadurch<br />

indirekt die übliche geschlechtsspezifische Arbeits- und Statusteilung aufrechterzuhalten), in denen<br />

Personalfachleute tätig sind (die mit Hilfe der bürokratischen Kontrollstrategie „Stellendifferenzierung“<br />

gewerkschaftliche Einflußversuchen abzuwehren) und deren gewerkschaftlich organisierte<br />

Belegschaft gering qualifiziert ist. Hinsichtlich des institutionellen Umfelds ist die Differenzierung<br />

der Stellenbezeichnungen in Unternehmen in den Sektoren öffentliche Hand, Handel,<br />

Transport, Kommunikation, Finanz, Versicherung, Immobilien, Gesundheitswesen, Erziehungswesen,<br />

Kultur und Non-Profit-Bereich höher als in Landwirtschafts- und Produktionsunternehmen.<br />

Schließlich erhöht die Marktkomplexität die Komplexität der unternehmensinternen Aufgaben<br />

und die Verschiedenartigkeit von Stellen (insbes. sog. boundary-spanning roles) durch<br />

Marktsegmentierung.<br />

Baron, Dobbin und Jennings (1986) untersuchten den Einsatz von formalisierten und standardisierten<br />

(„bürokratischen“) Personalmanagement-Methoden in U.S.-Unternehmen in der Zeit<br />

zwischen 1927 und 1947. Zu diesen Instrumenten und Praktiken gehörten formelle Personalabteilungen,<br />

Arbeitsanalyse, Arbeitsbewertung, Testverfahren zur Personalauswahl, Personalbeurteilung,<br />

Zeit- und Bewegungsstudien, Laufbahnsyteme und Altersversorgung. Zwischen 1927 und<br />

1939 waren diese Praktiken unterschiedlich stark verbreitet, vor allem in größeren Unternehmen<br />

des Dienstleistungsbereichs (Banken, Versicherungen, Handel, Energieversorgung, Transport)<br />

und in Branchen mit Massenproduktion, z.B. Elektronik- und Autoindustrie. Während des Zweiten<br />

Weltkriegs ist jedoch eine erhebliche Zunahme und Verbreitung dieser Praktiken in allen<br />

Wirtschaftszweigen (nicht nur die für den Krieg strategisch relevanten) und auch bei kleineren<br />

Unternehmen zu beobachten. Üblicherweise wird die Einführung formaler Personalpraktiken mit<br />

Effizienzerfordernissen begründet, die aus der wachsenden Unternehmensgröße und einer erhöhten<br />

Personalfluktuation resultieren, es konnten diesbezüglich aber keine signifikanten Zusam-


340 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

menhänge festgestellt werden. Der Einsatz der verschiedenen Instrumente erfolgte während des<br />

Krieges relativ einheitlich, unabhängig von den höchst unterschiedlichen Fluktuationsraten in den<br />

einzelnen Branchen und Unternehmen. Der entscheidende Impuls zur raschen und umfassenden<br />

Diffusion moderner Personalmanagementmethoden zwischen 1939 und 1945 waren Interventionen<br />

seitens der Regierung. Diese hatte eine Interesse an einer Regulierung der Arbeitsmärkte zur<br />

Sicherung der Personalbereitstellung für die kriegswichtigen Industrien. So wurde bspw. ein Plan<br />

zur Beschäftigungsstabilisierung im Schiffsbau eingeführt, um die Konkurrenz zwischen den Unternehmen<br />

am Arbeitsmarkt und die daraus folgende Fluktuation und den Lohnwettbewerb zu beschränken.<br />

Dazu wurden branchenweite, standardisierte Richtlinien bezüglich Lohn, Schichtbetrieb,<br />

Arbeitszeit, Streikrecht und Lehrlingsausbildung erlassen. Da die Arbeiter in den nichtkriegswichtigen<br />

Betrieben nur die Wahl hatten, in kriegswichtige Betriebe oder in den Krieg zu<br />

ziehen, waren die Unternehmen gezwungen, Personalabteilungen zu gründen oder auszubauen,<br />

die gegenüber den Behörden ihren Arbeitskräftebedarf zu rechtfertigen hatten. Dies förderte die<br />

rasche und relativ einheitliche Verbreitung von formalisierten und standardisierten Arbeitsanalyse-<br />

und Stellenklassifikationssystemen. Nach dem Krieg wurden diese Innovationen institutionalisiert<br />

und weiter verbreitet, da sie auch anderen Interessen der Akteure (Staat, Management, Gewerkschaften)<br />

dienten. Insbesondere die Personalspezialisten fürchteten um ihren Fortbestand<br />

und entdeckten noch vor Kriegsende Probleme, zu deren Lösung sie erforderlich waren (Wiedereingliederung<br />

der Heimkehrer in die Betriebe, Anwendung von Selektionstechniken bei einem<br />

zunehmend vollen Arbeitsmarkt). Danach erklärten sie sich für die dauerhafteren Probleme der<br />

Produktivitätsmessung und Arbeitsbeziehungen zuständig und entwickelten eine eigene, professionelle<br />

Identität. Die in den Kriegstagen eingeführten bürokratischen Personalmanagementmethoden<br />

wurden auch bei veränderten Problemen und Rahmenbedingungen weiter verwendet und<br />

verbreitet, institutionalisiert und zum state-of-the-art moderner Personalarbeit.<br />

Dobbin et al. (1994) erhoben die Bedingungen zum Aufbau interner Arbeitsmärkte. Dieser<br />

erfolgt durch den Einsatz formaler Personalmanagementmethoden. Stellenbeschreibungen informieren<br />

interne Kandidaten über die zu erfüllenden Anforderungen, schriftliche Personalbeurteilungen<br />

dienen als Informationsgrundlage für Beförderungsentscheidungen, Lohn- und Gehaltsgruppen<br />

schaffen vergleichbare Kategorien in den verschiedensten Unternehmensbereichen und<br />

unterstützen damit die interne Mobilität, Laufbahnsysteme zeichnen erwartbare, vertikale Positionsabfolgen<br />

vor, und Testverfahren stellen die Eignung der Bewerber bei Rekrutierungs- oder<br />

Beförderungsentscheidungen fest. An einer Stichprobe von 279 Organisationen mit mindestens<br />

50 Beschäftigten aus drei U.S.-Staaten und unterschiedlichen Sektoren (öffentliche und private<br />

Organisationen verschiedener Branchen) überprüften die Autoren für den Zeitraum von Mitte der<br />

sechziger bis Anfang der achtziger Jahre drei verschiedene Ansätze zur Erklärung des Entstehens<br />

interner Arbeitsmärkte (d.h. des Einsatzes der genannten Instrumente). Rationalistische Ansätze<br />

argumentieren mit Effizienzvorteilen: Interne Arbeitsmärkte führen zu Aufbau und Erhaltung unternehmensspezifischer<br />

Qualifikationen, vermeiden hohe (Ein-)Schulungskosten bei komplexen<br />

Technologien und helfen im Konkurrenzkampf am externen Arbeitsmarkt mit anderen Arbeitgebern,<br />

die (auch) interne Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Konfliktorientierte Ansätze betonen Interessensunterschiede:<br />

Die Verbreitung und Anwendung formalisierter personalwirtschaftlicher<br />

Instrumente weitet den Aktivitäts- und Einflußbereich der Personalmanager aus und engt jenen<br />

von Betriebsräten bzw. Gewerkschaften ein. Daher sollte in einer Organisation die Existenz einer<br />

Personalabteilung den Aufbau eines internen Arbeitsmarktes fördern, die Existenz eines Betriebsrates<br />

ihn eher unterdrücken. Beide Ansätze erhielten nur geringe empirische Bestätigung, im Gegensatz<br />

zu den von den Autoren favorisierten institutionellen Erklärungen. Demnach entwickelte<br />

sich ab den frühen sechziger Jahren eine neue soziale Konstruktion des Individuums als ein sich<br />

selbstverwirklichendes, zukunfts- und karriereorientiertes, gleichberechtigtes, psychologisch


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 341<br />

komplexes, beruflich mobiles, etc. Wesen. Dies fand seinen Niederschlag in entsprechenden gesetzlichen<br />

Regelungen hinsichtlich Bürgerrechte, Gleichbehandlung und Chancengleichheit (Civil<br />

Rights Act, Equal Employment Opportunity Law, Affirmative Action). Diese gesetzlichen<br />

Veränderungen beeinflußten, gemeinsam mit der sich herausbildenden Spruchpraxis der Gerichte,<br />

stärker die Wahl bestimmter Instrumente zum Aufbau interner Arbeitsmärkte als Effizienz- oder<br />

Konfliktüberlegungen. Stellenbeschreibungen, Personalbeurteilungen und Lohn- bzw. Gehaltsgruppensysteme<br />

setzten sich somit durch, im Gegensatz zu Quotenregelungen für diskriminierte<br />

Gruppen, Laufbahnsystemen und psychologischen Testverfahren. Wesentlicher Motor und Distributionskanal<br />

dafür waren die Personalabteilungen und die professionellen, interorganisatorischen<br />

Netzwerke der Personalmanager. Sie konnten die Unternehmensleitungen davon überzeugen,<br />

mit dem Einsatz der genannten Personalmanagementinstrumente nicht nur den gesetzlichen<br />

Anforderungen gerecht zu werden, sondern darüber hinaus auch zu einem rationaleren Einsatz<br />

der Humanressourcen beizutragen.<br />

2.3 Produktions- und Organisationskonzepte als Rationalitätsmythen<br />

Die wohl vorherrschende Vorstellung von Managementkonzepten liegt darin, daß<br />

sie Werkzeuge zur rationalen Lösung von Managementproblemen darstellen, daß sie im<br />

Rahmen von Gestaltungsmaßnahmen reale Veränderungen in der Organisation bewirken<br />

und somit dem technisch-materiellen Kontext zuzuordnen sind. Der Anspruch dieser<br />

Konzepte liegt darin, rationale Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität, Optimierung<br />

der Arbeitsabläufe, Senkung der Kosten, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit etc.<br />

bereitzustellen. Dies ist sicherlich auch der Fall. Die neoinstitutionalistische Perspektive<br />

informiert aber darüber, daß Organisationen in unterschiedlichem Ausmaß immer auch<br />

in einem institutionellen Kontext agieren. Das Management muß also nicht nur materielle,<br />

sondern auch symbolische Probleme lösen. Managementkonzepte können daher<br />

auch als symbolische Problemlösungen oder, in der Sprache von Meyer/Rowan (1977),<br />

als Rationalitätsmythen verstanden werden, wobei bei dieser Interpretation weniger die<br />

Rationalität als der Mythos begründungspflichtig ist. Die neuen Produktions- und Organisationskonzepte<br />

weisen mehrere, charakteristische Merkmale von Rationalitätsmythen<br />

auf: Sie sind institutionalisiert, symbolisch, werden zeremoniell übernommen und<br />

führen durch Zwang, Imitation und normativen Druck zu strukturellem Isomorphismus.<br />

Auf den ersten Blick erwecken diese Konzepte den Eindruck, als handle es sich<br />

dabei um rationale Lösungshilfen für materielle Probleme. Dies liegt zum einen daran,<br />

daß sie zumeist wenige klare Regeln und Prinzipien vermitteln und diese eindeutigen<br />

(und damit Ambiguität und Unsicherheit absorbierenden) Botschaften durch keinerlei<br />

Relativierung (etwa durch Gegenüberstellung von Alternativen) trüben. So wird bspw.<br />

im Lean Management der Abbau von „unnötigen“ (Personal-)Kapazitäten generell<br />

empfohlen, ohne die potentiellen Vorteile eines organizational slack zu diskutieren<br />

(Staehle 1991; Fallgatter 1995). Im Business Reengineering - um ein anderes Beispiel<br />

zu nennen - wird das Organisationsprinzip der Objektorientierung als „one-best-way“<br />

der Gestaltung von Arbeitsabläufen propagiert, ohne es situativ zu relativieren oder mit<br />

anderen Organisationsprinzipien zu vergleichen. Zum anderen wird das Rationalitätsimage<br />

dieser Konzepte durch den Gebrauch einer „technischen“ Terminologie gefördert,<br />

wie es am deutlichsten in der Bezeichnung Business Reengineering zum Ausdruck


342 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

kommt. Eine Ursache dafür dürfte darin liegen, daß die meisten Konzepte als Antwort<br />

auf spezifische, eher technisch interpretierte Probleme entwickelt wurden. Konzepte<br />

wie Outsourcing und Downsizing wurden zunächst bei der Dezentralisierung der automatisierten<br />

Datenverarbeitung diskutiert (Meyer/Leuppi 1992; Nippa/Sedran 1992),<br />

Business Reengineering wurde zunächst im Zusammenhang mit der verstärkten Nutzung<br />

moderner Informationstechnologien für die Gestaltung von Verwaltungsabläufen<br />

(z.B. Bearbeitung einer Police in einer Versicherung) entwickelt (Hammer 1995), die<br />

Anfänge des Qualitätsmanagements (etwa in Qualitätszirkeln) waren zunächst durch<br />

den Einsatz statistischer Erhebungstechniken und die Lösung konkreter Probleme im<br />

alltäglichen Arbeitsablauf gekennzeichnet (Zink/Schildknecht 1989; Grant et al. 1994:<br />

26 f.).<br />

Das „zunächst“ in diesen Ausführungen verweist darauf, daß die neuen Produktions-<br />

und Organisationskonzepte eine Entwicklung erfahren haben, sie wurden - und das<br />

deutet auf ihre Institutionalisierung hin - generalisiert und objektiviert. Aus ihrem ursprünglichen<br />

Problemzusammenhang herausgelöst, wird ihnen nun von ihren Vertretern<br />

weitreichende, wenn nicht gar allgemeingültige Problemlösungskraft zugeschrieben. Je<br />

genereller der Geltungsanspruch, je diffuser die Anwendungsbedingungen, desto unüberprüfbarer<br />

wird auch die Erfolgswirksamkeit dieser Maßnahmen. Lean, Qualität<br />

oder Reengineering schweben als Vokabel relativ frei und leicht in der einschlägigen<br />

Diskussion, sie passen (fast) immer und sind bis zu ihrer Ablösung durch neue Konzepte/Begriffe<br />

als Ausdruck von Kompetenz und Modernität (beinahe) unentbehrlich. Dies<br />

kann durch eine kleine Übung plausibel gemacht werden. Im folgenden finden Sie sieben<br />

Originalzitate aus der aktuellen Literatur zu Produktions- und Organisationskonzepten,<br />

bei denen der jeweilige Namen des Konzeptes fehlt. Bitte setzen Sie jeweils den<br />

richtigen Begriff ein, wobei Sie zwischen Total Quality Management, Lean Management<br />

und Business (Process) Reengineering wählen können: 2<br />

1. Im Rahmen eines ____________- Projektes bereitet der Verlust des (eingebildeten) Status<br />

sicherlich einigen Managern Kopfzerbrechen (...).<br />

2. ____________ ist eine besondere Denkweise, eine besondere Geisteshaltung unseren Unternehmen<br />

gegenüber (...).<br />

3. ____________ beginnt mit einem strategischen Gebot: Prognostizieren Sie (...) die Strömungen<br />

und Gegenströmungen der Kundenanforderungen, -bedürfnisse und -wünsche.<br />

4. De facto gibt es im Arbeitsleben nach dem ____________ in unseren beruflichen Laufbahnen<br />

lange Zeitspannen, in denen es gar nicht möglich ist, überhaupt von einem „Aufstieg“<br />

zu sprechen.<br />

5. Wie immer im ____________ spielt auch bei den Wertvorstellungen die „Kommunikation“<br />

eine entscheidende Rolle.<br />

6. Empowerment ist zwangsläufig ein Bestandteil des ____________ .<br />

7. Nach ____________ - Grundsätzen dürfen Mitarbeiter nicht mehr wie früher nach der Zeit<br />

bezahlt werden (...).<br />

2<br />

Die Anregung zu dieser kleinen Übung verdanke ich Karl Weick (1985). Die Auflösung befindet<br />

sich am Ende dieses Beitrags.


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 343<br />

Auf der gleichen Ebene liegen die schier unbeschränkten Möglichkeiten, Lean mit<br />

anderen Begriffen zu kombinieren und damit von Lean Production (der ursprünglichen<br />

Verwendung) zu Lean Management, Organization, Banking, Hospital, Administration,<br />

Government, etc. zu gelangen. Die Bezugnahme auf Lean oder Qualität signalisiert per<br />

se Rationalität und braucht nicht extra diskutiert oder begründet zu werden.<br />

Einige Merkmale der Produktions- und Organisationskonzepte verweisen auf ihre<br />

symbolische Funktion. Unrealistische Ziele wie Totale Qualität, Null-Fehler, 70% kürzere<br />

Durchlaufzeiten, 25% Marktanteilszuwachs, etc. können wohl kaum für sich in<br />

Anspruch nehmen, jemals erreichbar zu sein, d.h. Zustände zu beschreiben (bzw. vorzuschreiben),<br />

die auf der materiellen Ebene tatsächlich eintreten (können) (Neuberger<br />

1993; Hammer/Champy 1994). Zudem werden Redefinitionen organisationaler Outputs<br />

vorgenommen und von der technisch-materiellen auf die symbolische Ebene verlagert.<br />

In diesem Sinne ist Qualität nicht mehr eine technische Eigenschaft wie z.B. hohe Haltbarkeit<br />

von Materialien oder geringe Ausfallhäufigkeit von Geräten, sondern wird als<br />

„Erfüllung von Kundenanforderungen“ explizit zur sozialen Konstruktion (Zink 1989:<br />

15; Hand 1992: 26). In gleicher Linie beziehen sich die Normen der ISO 9000 ff. auch<br />

nicht auf inhaltliche (Qualitäts-)Merkmale von Produkten oder Dienstleistungen, sondern<br />

auf die Dokumentation von Verfahrensschritten bei der Leistungserstellung (z.B.<br />

Petrick 1995) und erfassen somit eher die Qualität des Qualitätsmanagements.<br />

Die ISO 9000 ff. ist auch ein besonders deutliches Beispiel für die zeremonielle<br />

Übernahme von Institutionen in die offizielle, formale Organisationsstruktur. Das Zertifizierungsverfahren<br />

selbst wirkt als rituelle Inszenierung des Qualitätsmanagements vor<br />

allem nach innen, die Adressaten sind Mitarbeiter und Führungskräfte in der Organisation.<br />

Die erfolgreiche Zertifizierung muß hingegen deutlich nach außen kommuniziert<br />

und zelebriert werden. Sie wird als eine Art höhere Weihe dargestellt, als neugewonnene<br />

Zugangsberechtigung zu einer (Noch-)Elite.<br />

Solche Zertifizierungen erfolgt jedoch nicht immer aus freien Stücken. Damit sind<br />

wir beim letzten „rationalitätsmythischen“ Merkmal angelangt. Die neuen Produktionsund<br />

Organisationskonzepte führen zu strukturellem Isomorphismus, ihre Diffusion verläuft<br />

über Zwang, Imitation und normativen Druck. Mächtige Abnehmer (z.B. Automobilhersteller)<br />

können ihre Zulieferer dazu zwingen, sich nach ISO 9000 ff. zertifizieren<br />

zu lassen. Die Vorgabe detaillierter und standardisierter Normen im Rahmen des Justin-Time-Konzepts<br />

zwingt die Lieferanten zum Aufbau der gleichen Organisationsstrukturen<br />

wie die des Abnehmers. Die rasche und globale Diffusion der Produktions- und<br />

Organisationskonzepte verläuft auch über Imitation, indem einige wenige international<br />

renommierte Beratungsgesellschaften von vielen Organisationen mit der Einführung<br />

und Umsetzung dieser Konzepte beauftragt werden. Schließlich transportieren Schwerpunkthefte<br />

von (Fach-)Zeitschriften, Tagungsthemen u.ä. die aktuellen Normen für professionelles<br />

Managementhandeln. Damit steigt der Erwartungsdruck an Manager, diese<br />

Konzepte in ihrem Arbeitsfeld umzusetzen oder zumindest deren Begrifflichkeit in ihrer<br />

beruflichen Kommunikation zu übernehmen.<br />

Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Organisationen und organisatorische<br />

Teileinheiten (wie z.B. das Personalmanagement) agieren in unterschiedlichen Kontex-


344 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

ten, die jeweils unterschiedliche, im Zweifelsfall nicht kompatible Anforderungen stellen.<br />

Daher ist es auch nicht möglich, eine eindeutige, von allen geteilte, „objektive“ Beurteilung<br />

der Leistung und Rationalität der Organisation(seinheit) vorzunehmen. Als<br />

Substitut liegen Rationalitätsmythen wie bspw. die derzeit heftig diskutierten Produktions-<br />

und Organisationskonzepte bereit, deren Übernahme und Befolgung der Organisation<br />

das verleiht, was sie vor diesem Hintergrund zu ihrer Bestandssicherung dringend<br />

benötigt: ihre Legitimität. Der folgende Abschnitt dient dazu, die theoretischen Grundzüge<br />

des Konzepts der organisationalen Legitimität darzustellen, um damit die Basis für<br />

die daran anschließende Erörterung der Legitimation des Personalmanagements durch<br />

neue Produktions- und Organisationskonzepte zu legen.<br />

3. Organisationale Legitimität<br />

Während organisationale Legitimität in der angelsächsischen Literatur ein eigenständiges<br />

(wenn auch nicht homogenes) Forschungsfeld darstellt, wird dieses Thema in<br />

der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre nur am Rande behandelt.<br />

3.1 Definition und Funktion organisationaler Legitimität<br />

Nach dem in der einschlägigen angelsächsischen Diskussion vorherrschenden Verständnis<br />

ist organisationale Legitimität ein Status, den Anspruchsgruppen 3 der Organisation<br />

zuschreiben, wenn für sie die Aktivitäten und Ziele der Organisation mit den von<br />

ihnen vertretenen, allgemein anerkannten gesellschaftlichen Werten und Normen übereinstimmen<br />

(Allen/Caillouet 1994: 45; Ashforth/Gibbs 1990: 177; Chaison/Bigelow/<br />

Ottensmeyer 1993: 140; Elsbach/Sutton 1992: 700; Epstein/Votaw 1978: 72; Dowling/<br />

Pfeffer 1975: 122; Martin 1993: 297; Richardson 1985: 143).<br />

Gegenstand der Beurteilung (als Basis der Legitimitätszuschreibung) ist entweder die<br />

gesamte Organisation oder einzelne ihrer Merkmale, wie z.B. Ziele, Aktivitäten, Verfahren,<br />

Produkte oder Dienstleistungen. Organisationale Legitimität hängt als generalisierter<br />

Status nicht von Einzelereignissen ab. Als Zuschreibung ruht sie - ähnlich wie die Schönheit<br />

- im Auge des Betrachters (Ashforth/Gibbs 1990: 177), d.h., nicht die „tatsächlichen“<br />

Merkmalen und Aktivitäten der Organisation sind ausschlaggebend, sondern die Wahrnehmungen<br />

oder Annahmen der Anspruchsgruppen. Diese Beurteilungs- und Zuschreibungsprozesse<br />

sind kollektiver Natur, d.h., Einzelbeobachtungen und -zuschreibungen berühren<br />

die organisationale Legitimität nicht (Suchman 1995: 574).<br />

Die Anspruchsgruppen existieren außerhalb (z.B. Lieferanten, Kunden, Behörden,<br />

Medien, Bürgerinitiativen) und innerhalb (z.B. Mitarbeiter, Betriebsrat, Fachabteilungen)<br />

der Organisation. Je nach Adressaten kann daher zwischen externer und interner<br />

Legitimität unterschieden werden. 4 Im ersten Fall, der Legitimität von Organisationen,<br />

3<br />

4<br />

Dieser Begriff entstammt dem „Stakeholder“-Konzept des strategischen Managements<br />

(Freeman 1984). Verwandte Bezeichnungen wie Bezugsgruppen oder Konstituenten werden<br />

in diesem Text synonym verwendet.<br />

In der angelsächsischen Diskussion zu organizational legitimacy wird durchwegs nur die<br />

externe Legitimität betrachtet.


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 345<br />

geht es für die Organisation darum, ihren Verbrauch an gesellschaftlichen Ressourcen<br />

zu rechtfertigen. Da diese Ressourcen auch anders verwendet werden könnten, ist ihre<br />

Nutzung akzeptanzpflichtig. Diejenigen Gruppen in der Gesellschaft, die von der Organisation<br />

in irgendeiner Weise betroffen sind und daraus ihr gegenüber Ansprüche erheben,<br />

beurteilen die Angemessenheit und Nützlichkeit der Organisation anhand der in<br />

der übergeordneten Sozialeinheit geltenden Werte, Normen und Standards (Parsons<br />

1956; Pfeffer/Salancik 1978: 24).<br />

Im zweiten Fall, der Legitimität in Organisationen, wird die Organisation selbst als<br />

(eine Metapher für) eine soziale Ordnung betrachtet (z.B. Sandner/Meyer 1994: 202).<br />

Die Organisation als soziale Ordnung ist legitim, wenn ihre Mitglieder diese Ordnung<br />

für vorbildlich (affektueller Glaube) und verbindlich (positiv gesatzte Legalität) halten<br />

und deshalb ihr Handeln daran orientieren. Die Akzeptanz und Befolgung der Ordnung<br />

aufgrund des Legitimitätsglaubens verleiht ihr mehr Stabilität, als wenn diese Akzeptanz<br />

und Befolgung lediglich aus Gewohnheit (Tradition) oder Interesse (Kalkulation)<br />

erfolgt (Weber 1985: 16 ff.).<br />

Die Funktion organisationaler Legitimität liegt in der Bestandssicherung der Organisation,<br />

indem sie Unterstützung durch die Anspruchsgruppen mobilisiert. Das Spektrum<br />

der Unterstützung reicht von passiver Toleranz bis zu aktiver Förderung (Stryker<br />

1990: 856 ff.; Suchman 1995: 574 f.). Bei passiver Unterstützung verzichten die Anspruchsgruppen<br />

auf Widerstand und Veränderung. Sie halten die Organisation nicht für<br />

sonderlich wichtig oder nützlich, fühlen sich aber in ihren Zielen oder Werthaltungen<br />

auch nicht beeinträchtigt. Organisationsintern werden die bestehenden Ziele, Systeme,<br />

Programme und Entscheidungen in einem bestimmten Toleranzbereich hingenommen<br />

(Luhmann 1993: 28), auch wenn sie nicht vollständig gutgeheißen werden. Die Innere<br />

Kündigung stellt einen Extremfall der passiven Unterstützung dar, denn durch die innere<br />

Distanzierung wird die Legitimität der bestehenden Ordnung nicht offen in Frage gestellt<br />

(vgl. z.B. Krystek et al. 1995). Die aktive Unterstützung erfolgt dadurch, daß die<br />

Organisation mit materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen versorgt wird.<br />

Im Innenverhältnis werden die geltenden Normen und Regeln von den Mitarbeitern aktiv<br />

vertreten, verbreitet und gegebenenfalls verteidigt. Die Orientierung des Handelns<br />

der Akteure an diesen Regeln und Normen führt zu deren indirekter rekursiver Stabilisierung<br />

(Giddens 1992: 52; Ortmann 1995: 81 ff.).<br />

3.2. Arten organisationaler Legitimität<br />

Die in Abb. 2 dargestellten Arten organisationaler Legitimität unterscheiden sich<br />

danach, worauf sich die Anspruchsgruppen bei ihrer Beurteilung der Konformität der<br />

Organisation beziehen.<br />

Abb. 2: Arten organisationaler Legitimität<br />

kognitive Legitimität normative Legitimität instrumentelle Legitimität<br />

Bezugsgröße kognitive Modelle Normen, Werte Interessen<br />

Mechanismus Verständnis Verpflichtung Kalkulation


346 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

Logik Gültigkeit Angemessenheit Instrumentalität<br />

Zuschreibung<br />

(selbst-)verständlich,<br />

sinnvoll<br />

richtig, wünschenswert<br />

nützlich, brauchbar<br />

Kognitive Legitimität bezieht sich auf kulturell verfügbare Wissensbestände (Modelle,<br />

Begriffe, Kategorien, Schemas, etc.) hinsichtlich der Aktivitäten, Ziele, Strukturen<br />

etc. von und in Organisationen (Aldrich/Fiol 1994: 645 ff.). Um akzeptiert werden<br />

zu können, müssen sie in irgendeiner Form bekannt sein und verstanden werden. Dabei<br />

sind zwei Formen von Wissen zu unterscheiden: Verständlichkeit und Selbstverständlichkeit.<br />

Dieses Wissen ist jedoch immer sozial konstruiert und validiert (Scott 1995: 40<br />

ff.). Verständlichkeit ist bei Vorliegen von Erklärungsmodellen gegeben, mit deren Hilfe<br />

die Organisation „Sinn macht“ und berechenbar erscheint. Selbstverständlich werden<br />

Merkmale der Organisation, wenn sie die Akteure für ganz normal und natürlich halten<br />

und sich keine Alternativen dazu vorstellen können (Zucker 1977: 728). Die Anschlußfähigkeit<br />

an bestehendes Wissen (Ein- und Zuordenbarkeit) ist vor allem für neue Formen<br />

(neu gegründete Unternehmen, Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen,<br />

Einsatz neuer Verfahren und Technologien) von hoher Relevanz.<br />

Normative Legitimität 5 ist die in der einschlägigen Literatur mit Abstand am häufigsten<br />

behandelte Legitimitätsform. Sie wird durch Konformität mit allgemein anerkannten<br />

Werten, Normen, Regeln und Standards in einem gesellschaftlichen Teilbereich<br />

erworben. Normativ legitime Organisationen werden für richtig und wünschenswert<br />

gehalten. Dabei kann es sich um die richtigen Produkte und Dienstleistungen, die<br />

Einhaltung akzeptierter Verfahrensweisen, die Einrichtung wünschenswerter Strukturen<br />

(z.B. eines Umweltschutzbeauftragten) oder den Einsatz geeigneter Personen handeln<br />

(Suchman 1995: 579 ff.).<br />

Instrumentelle Legitimität erwirbt eine Organisation dadurch, daß sie für die Anspruchsgruppen<br />

(nicht nur für einzelne!) nützlich und brauchbar ist, weil sie ihnen bei<br />

der Realisierung ihrer Interessen dient. Sie ist das Ergebnis von Kosten-Nutzen-<br />

Kalkülen, die entweder zur Erwartung von erhofften Vorteilen oder Vermeidung von<br />

befürchteten Nachteilen (z.B. Sanktionen bei einem Regelverstoß) führen (Scott 1995:<br />

35 ff.; Stryker 1994: 856 ff.; Suchman 1995: 578 f.).<br />

3.3 Legitimation<br />

Organisationale Legitimität kann durch substantielle und symbolische Maßnahmen<br />

erworben werden (vgl. Abb. 3). Beim substantiellen Management geht es um reale materielle<br />

Veränderungen. Diese Veränderungen (Anpassungen) können an zwei Seiten<br />

ansetzen: bei den Zielen, Aktivitäten, Outputs der Organisation, um sie den Bezugsgrößen<br />

(Normen, Wissen, Interessen) anzupassen und/oder an den Bezugsgrößen, um sie<br />

den Aktivitäten der Organisation anzupassen, wobei letzteres schwieriger durchzuführen<br />

ist (Ashforth/Gibbs 1990: 178 ff.; Dowling/Pfeffer 1975: 126 f.; Richardson 1985).<br />

5<br />

Sie wird auch als soziopolitische oder moralische Legitimität bezeichnet.


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 347<br />

Symbolisches Management bezeichnet den Versuch, der Bedeutung, die organisationale<br />

Handlungen in den Augen der Anspruchsgruppen haben, durch Entkoppeln und/oder<br />

Impression Management zu beeinflussen.<br />

Abb. 3: Organisationale Legitimationsstrategien<br />

Legitimation<br />

substantiell<br />

symbolisch<br />

Anpassung der<br />

Organisation<br />

Anpassung der<br />

Bezugsgrößen<br />

Entkoppeln<br />

von Aktivitäten und<br />

Strukturen bzw.<br />

Entscheidungen<br />

Impression<br />

Management<br />

Entkoppeln bedeutet, die alltäglichen, realen Aktivitäten (in) der Organisation<br />

nicht an ihren formalen Strukturen und/oder Entscheidungen auszurichten und sie somit<br />

gegenüber inkonsistenten Normen und Erwartungshaltungen abzuschirmen. Die offiziellen<br />

Ziele und Verfahren tangieren somit die tatsächlichen Abläufen in der Organisation<br />

allenfalls peripher (Meyer/Rowan 1977: 356 f.; Elsbach/Sutton 1992). Analog dazu<br />

löst die Entkopplung von Entscheidungen und Handlungen das Dilemma widersprüchlicher<br />

Anforderungen dadurch, daß Entscheidungen den einen und Handlungen den anderen<br />

Normen entsprechen (Brunsson 1990: 55 ff.).<br />

Mit Impression Management werden in diesem Zusammenhang die Bemühungen<br />

der Organisation bezeichnet, den (negativen) Eindruck, den sich die Anspruchsgruppen<br />

von der Organisation bilden bzw. gebildet haben, im Sinne der Organisation zu verbessern.<br />

Beispiele für solche Strategien und Taktiken sind die Betonung der positiven Aspekte<br />

der verfolgten offiziellen Ziele, das Dementieren von behaupteten Verfehlungen,<br />

die Unterdrückung von Informationen, die positiv getönte ex-post Bewertung von kritisierten<br />

Maßnahmen, Rechtfertigungen und Entschuldigungen für eingestandene Pannen<br />

sowie die demonstrative, bisweilen jedoch folgenlos bleibende Konformität mit den herangetragenen<br />

Forderungen, etwa durch Schaffung einer Frauenbauftragtenstelle oder<br />

einer Qualitätsabteilung (Allen/Caillouet 1994; Ashforth/Gibbs 1990; Elsbach/ Sutton<br />

1992; Elsbach 1994; Richardson 1985). Eine im vorliegenden Zusammenhang besonders<br />

wichtige Form der Eindruckssteuerung ist der Versuch seitens der Organisation,<br />

ihre Identifikation mit Symbolen, Werten oder Institutionen, die über eine starke Legitimität<br />

verfügen, zu erreichen (Dowling/Pfeffer 1975: 126 f.).


348 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

3.4 Legitimität im Personalmanagement<br />

Die folgenden Ausführungen zur Legitimität im Personalmanagement orientieren<br />

sich entsprechend der Logik dieses Abschnitts an drei Fragen: Was ist Legitimität im<br />

Personalmanagement und welche Funktion erfüllt sie? Wann wird Legitimität im Personalmanagement<br />

zum Problem? Wie kann Legitimität im Personalmanagement geschaffen<br />

werden?<br />

Legitimität im Personalmanagement<br />

Analog zur organisationalen Legitimität wird hier die Legitimität im Personalmanagement<br />

als ein Status verstanden, den die Anspruchsgruppen dem Personalmanagement<br />

zuschreiben, wenn für sie die personalwirtschaftlichen Aktivitäten und Ziele mit<br />

den von ihnen vertretenen, allgemein anerkannten gesellschaftlichen Werten und Normen<br />

übereinstimmen. Personalmanagement als Objekt und Adressat der Beurteilung ist<br />

hier im institutionellen Sinne gemeint und bezieht sich auf die Personalabteilung (und<br />

die in ihr tätigen Personalfachleute), auf die in der Organisation institutionalisierten<br />

Programme und Systeme (z.B. Einführungs- oder Schulungsprogramme, Entlohnungsoder<br />

Beurteilungssysteme) sowie auf die daraus fließenden personalwirtschaftlichen<br />

Entscheidungen.<br />

Das Personalmanagement sieht sich unterschiedlichen Anspruchsgruppen gegenüber.<br />

Organisationsextern sind hier Gewerkschaft, Arbeitgeberverband, akademische Personalexperten<br />

zu nennen. Innerhalb der Organisation sind die Mitarbeiter (Arbeiter, Angestellte,<br />

Professionelle), der Betriebsrat, die Führungskräfte in der Linie sowie die Unternehmensleitung<br />

wichtige Konstituenten. Im Fall einer operativen Personalabteilung tritt die<br />

Personalabteilung auf Gesamtunternehmensebene noch hinzu (Tsui 1987: 37 ff.).<br />

Legitimität erfüllt für das Personalmanagement eine Versorgungs- und eine Herrschaftsfunktion.<br />

Sie fördert die kontinuierliche Versorgung mit Ressourcen seitens der<br />

anderen Gruppen im Unternehmen und sie unterstützt die Geltung der durch sie<br />

(mit-)geschaffenen Ordnung. Die Personalabteilung steht mit ihren Konstituenten in<br />

Austauschbeziehungen und ist auf die Ressourcenzufuhr einiger dieser Konstituenten<br />

angewiesen. Sie liefert ihnen Produkte und Dienstleistungen wie z.B. Trainingsprogramme,<br />

Beurteilungsverfahren, arbeitsrechtliche Information und Karriereberatung,<br />

etc. Dafür erhält sie finanzielle und/oder politische Unterstützung seitens der Linienmanager<br />

und der übergeordneten Personalabteilung auf Gesamtunternehmensebene, die<br />

aber auch bestimmte Anforderungen (z.B. Lieferung personalplanungsrelevanter Daten<br />

aus dem eigenen Bereich) stellen (Tsui/Milkovich 1987: 521 f.). Die personalwirtschaftlichen<br />

Systeme und Programme müssen in den Augen der Betroffenen und der<br />

Beobachter grundsätzlich „vorbildlich und verbindlich“ (Weber 1985: 16) sein, sollen<br />

sie die gewünschte, (transaktions-)kostengünstige Steuerungswirkung entfalten. Dies<br />

heißt aber nicht, daß alle Akteure jede Einzelentscheidung gutheißen müssen, denn Legitimität<br />

ist generalisert und wird kollektiv zugeschrieben.<br />

Legitimität im Personalmanagement als Problem


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 349<br />

Legitimität wird für das Personalmanagement aus mehreren Gründen zu einem aktuellen<br />

und dringlichen Problem. Erstens findet Personalarbeit vornehmlich im symbolischen<br />

Kontext statt. Die Leistung der Personalabteilung ist nur schwer und unvollkommen<br />

objektivier- und operationalisierbar und durch ambivalente Ziele, unscharfe<br />

Ziel-Mittel-Beziehungen und durch lange, nicht-lineare Wirkungsketten der ergriffenen<br />

Maßnahmen gekennzeichnet. Leistungserbringung als funktionales Äquivalent zur Legitimität<br />

steht nur in eingeschränktem Ausmaß zur Verfügung. Was eine „gute“ bzw.<br />

„erfolgreiche“ Personalmaßnahme ist, läßt sich oft erst relativ spät und mit z.T. erheblichem<br />

Interpretationsspielraum beurteilen. Zweitens sieht sich das Personalmanagement<br />

eine Mehrzahl von Bezugsgruppen mit (potentiell) widersprüchlichen Interessen und<br />

Ansprüchen gegenüber. Diese werden ein und diesselbe Maßnahme vermutlich höchst<br />

unterschiedlich bewerten. Dieses Spannungsfeld zwingt das Personalmanagement einerseits<br />

dazu, seine Ressourcenabhängigkeiten genauer zu erkennen, andererseits eröffnen<br />

sich dadurch auch Ansatzpunkte für Legitimationsstrategien (siehe unten).<br />

Drittens hat sich der Druck seitens wichtiger Bezugsgruppen erhöht. Unternehmensleitungen<br />

und Linienmanager stellen dem Personalmanagement ein schlechtes<br />

Zeugnis aus, beklagen seine mangelnde geschäfts- und unternehmensbezogene Orientierung<br />

und machen mit Bezeichnung wie „Traumtänzer“, „Bremsklotz“ oder „Prediger<br />

ohne Gefolgschaft“ seine geringe Akzeptanz und seinen dürftigen Status innerhalb des<br />

Unternehmens deutlich (Detlefs 1990; Henkel 1990; Lattmann 1985; Tigges 1991).<br />

Darin kommt auch die zunehmende Brüchigkeit bisheriger Legitimationsgrundlagen<br />

zum Ausdruck. Technisch-verfahrensbezogene Rationalitätsmythen wie bspw. psychologische<br />

Tests, Arbeitsanalyse oder Stellenbeschreibungen verlieren ihre legitimierende<br />

Kraft, die Anwendung und weitere Verfeinerung solcher Instrumente wird weniger als<br />

fachliche Expertise, sondern eher als Ignoranz der Bedürfnisse der Linie interpretiert.<br />

Die drei großen Lügen dieser Welt lauten „Ich werde dich immer lieben“, „Der<br />

Scheck ist schon in der Post“ und „Ich bin von der Personalabteilung, und ich bin da,<br />

um Ihnen zu helfen“ (Legge 1995: 7). Demgemäß werden viertens die Aktivitäten der<br />

Personalabteilung vielfach nicht als Unterstützung, sondern als zusätzliche Arbeitsbelastung<br />

oder als Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen wahrgenommen. Schließlich stellen<br />

die Rationalisierungsmaßnahmen im Zuge der neuen Produktions- und Organisationskonzepte<br />

eine existentiell ernsthaftere Bedrohung der Personalabteilung dar. Unter<br />

den Stichworten Outsourcing und Downsizing wird die Ausgliederung von personalwirtschaftlichen<br />

Teilfunktionen bis hin zur gesamten Personalabteilung diskutiert (z.B.<br />

Schuler 1990).<br />

Legitimation im Personalmanagement<br />

Zur Legitimation des Personalmanagements stehen alle in Abb. 3 genannten Strategien<br />

zur Verfügung. Das Anpassen der Leistung (Ziele, Aktivitäten, Output) an die<br />

Erwartungen der Anspruchsgruppen hängt natürlich von der jeweiligen Gruppe und deren<br />

spezifischen Erwartungen ab. Dabei geht es aber nicht um die Erfüllung von Einzelerwartungen,<br />

sondern um grundlegendere Normen und Standards, die in den Erwartungen<br />

zum Ausdruck kommen. Benutzerfreundlichere Programme, kostengünstigere Leis-


350 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

tungen, Personalpläne, die mit der Unternehmensplanung abgestimmt sind, sozialverträgliche<br />

Personalabbaumaßnahmen, etc. können als Beispiele dienen. Dabei wird aber<br />

auch deutlich, daß die Personalabteilung leicht gegensätzlichen Erwartungen ausgesetzt<br />

sein kann, insbesondere bei jenen Entscheidungen (z.B. Personalabbau), bei denen Legitimität<br />

besonders wichtig ist.<br />

Die Anpassung der Bezugsgrößen der Konstituenten, d.h. die Manipulation ihrer<br />

Leitdifferenzen (z.B. Willke 1994: 146 f.), ist eher schwer zu erreichen und kann vor allem<br />

über Aufklärungsarbeit laufen. Dazu zählt u.a., der Unternehmensleitung den Unterschied<br />

zwischen finanziellen und personellen Ressourcen klarzumachen, sachliche<br />

Argumente dafür zu finden, Weiterbildungsaufwand als Investition zu betrachten und<br />

längere Amortisationszeiträume zu akzeptieren, bei den Führungskräften für die Nützlichkeit<br />

von systematischer Personalbeurteilung zu werben, sich mit Betriebsräten auf<br />

für beide akzeptable Beurteilungskriterien für geplante Personalmaßnahmen zu einigen<br />

oder Mitarbeiter von der Gerechtigkeit des bestehenden oder des geplanten Lohn- und<br />

Gehaltssystems zu überzeugen. In all diesen Fällen handelt es sich um irgendeine Form<br />

von Verhandlung, denn soziale Ordnungen sind ausgehandelte Ordnungen (Strauss<br />

1978), und interne Institutionalisierungsprozesse laufen über Verhandlungen (Zucker<br />

1987: 447).<br />

Das Entkoppeln von Strukturen/Entscheidungen und Aktivitäten gelingt nur in<br />

dem Maße, in dem die Bezugsgruppen keinen Einblick in die alltäglichen Arbeitsabläufe<br />

der Personalabteilung haben. Vor allem Entscheidungen, die extern (bspw. von der<br />

Unternehmensleitung oder der Personalabteilung in der Zentrale) getroffen werden,<br />

können von diesen in ihrer Umsetzung nur begrenzt überwacht werden. Es ist in diesen<br />

Fällen möglich, formal die Entscheidung (Anordnung, Vorgabe) der übergeordneten Instanz<br />

zu befolgen, ohne damit die täglichen Arbeitsabläufe nennenswert oder nachhaltig<br />

zu verändern. Moralisch kann diese „Insubordination“ mit der „Praxisferne der Zentrale“<br />

u.ä. gerechtfertigt und damit legitimiert werden. Theoretisch kann das, muß aber<br />

nicht mit Änderungswiderstand, Trägheit, Borniertheit, Unredlichkeit, etc. der Mitglieder<br />

der betrachteten Personalabteilung verbunden sein. Das Abschirmen der laufenden<br />

Aktivitäten ist dann funktional, wenn die Ansprüche, welche die einzelnen Konstituenten<br />

an die Personalabteilung herantragen, inkonsistent oder widersprüchlich sind. Die<br />

Chancen dafür sind gar nicht gering einzustufen, da nicht unterstellt werden kann, daß<br />

Unternehmensleitung, (mittlere) Führungskräfte, Betriebsrat und „gewöhnliche“ Mitarbeiter<br />

die gleichen Kriterien („Leitdifferenzen“) bei der Beurteilung der Leistung der<br />

Personalabteilung anlegen. Diese Widersprüchlichkeit birgt für die Personalabteilung<br />

einerseits die Gefahr in sich, laufend zwischen den Stühlen zu sitzen und niemals ein<br />

Bein auf den Boden zu bekommen. Andererseits liegt darin auch die Chance begründet,<br />

„Unsicherheitszonen“ (Crozier/Friedberg 1979: 43) auf- bzw. auszubauen und damit<br />

den eigenen Handlungsspielraum auszuweiten oder abzusichern.<br />

Das Ziel von Impression Management ist es, die Aktivitäten der Personalabteilung<br />

so darzustellen, daß sie in den Augen der verschiedenen Bezugsgruppen (unter Bezugnahme<br />

auf die jeweils von ihnen vertretenen Kriterien) positiv beurteilt werden. Dabei


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 351<br />

ist zwischen offensiven und defensiven Maßnahmen zu unterscheiden, die kurzfristig<br />

(Taktiken) oder langfristig (Strategien) angelegt sein können (Witte 1989: 349).<br />

Offensiv geht es darum, als verläßlicher und kompetenter Partner dazustehen. Gegenüber<br />

der Geschäftsleitung heißt das, die Orientierung an den Unternehmensbedürfnissen<br />

glaubhaft zu machen. Dazu gehört die Verwendung einer anschlußfähigen Sprache<br />

zur Darstellung der eigenen Bemühungen und Erfolge. Dies ist die Sprache des<br />

Rechnungswesens bzw., allgemeiner (und systemtheoretischer) ausgedrückt, die Leitdifferenz<br />

„zahlen/nicht zahlen“ (Luhmann 1989: 243 ff.). Die Bereitschaft so mancher<br />

Personalfachleute zur Verwendung dieser Sprache könnte durch ihre Erkenntnis gesteigert<br />

werden, daß viele Bereiche des „klassischen“ Rechnungswesens (inklusive Investition<br />

und Finanzierung) mit einer Fülle von Annahmen, Voraussetzungen und weichen<br />

Kriterien operieren. Die Zahlen des Personalcontrollings brauchen nicht „härter“ zu<br />

sein die des allgemeinen Controllings (bzw. Finanz- und Rechnungswesens) im Unternehmen.<br />

Und ebensowenig brauchen sie die Denk- und Arbeitsweise der Personalabteilung<br />

vollständig zu durchdringen. Aus der Perspektive des Impression Management<br />

geht es nicht um die (sicherlich in gewissem Ausmaß eintretende) Veränderung der tatsächlichen<br />

Orientierungen und Abläufe, sondern um deren verständliche und akzeptable<br />

Glaubhaftmachung.<br />

Diese Semantik läßt sich auch zum Legitimieren der eigenen Arbeit gegenüber anderen<br />

Anspruchsgruppen bis zu einem gewissen Grad nutzen. Auch Mitarbeiter, ihre<br />

Vertretung und die Führungskräfte im operativen Bereich können sich der Argumentationskraft<br />

von (Kenn-)Zahlen nicht völlig entziehen. Darüber hinaus sind aber zusätzliche<br />

Symbolisierungen der eigenen Leistung und Leistungsbereitschaft vonnöten. Führungskräfte<br />

und Mitarbeiter schätzen bedürfnisorientierte/n Service und Beratung. Die<br />

Verdeutlichung der diesbezüglichen Bereitschaft seitens der Personalabteilung z.B.<br />

durch Einrichtung einer Hot-Line für „Notfälle“, durch Management-by-Wandering-<br />

Around der Personalfachleute und durch die allgemeine Pflege der Beziehungen zu den<br />

Konstituenten über den unmittelbaren sachlichen Anlaßfall hinaus tragen zur Akzeptanzsteigerung<br />

bei. Die öffentliche Verkündung „geschätzter“ (Pilot-)Projekte (z.B.<br />

„Verwaltungsreform“ im Personalwesen, Einführung eines Personalcontrollingsystems,<br />

Qualifizierungsprogramm für bedrohte Mitarbeitersegmente, Installierung einer Gleichbehandlungsbeauftragten,<br />

etc.) nimmt gezielter auf die spezifischen Interessen der diversen<br />

Gruppen Bezug. Dabei sind jedoch zwei Dinge zu beachten.<br />

Erstens können analog zu der Weisheit, daß man manchen Menschen immer und<br />

allen Menschen manchmal, aber nie allen Menschen immer etwas vormachen kann, Impression<br />

Management-Techniken nicht unbegrenzt ohne materielle Prozesse erfolgreich<br />

wirken. Der gesteuerte Eindruck muß irgendwann zumindest partiell eingelöst werden,<br />

d.h., manche Formulare oder Prozeduren müssen einfacher, die Qualifikationen und<br />

Beschäftigungssicherheit muß bei einigen Beschäftigten gestiegen sein, die Situation<br />

von benachteiligten Gruppen muß sich in Teilaspekten verbessert haben, etc. Andererseits<br />

gilt das Motto: Tue Gutes und rede darüber! Auch die engagiertesten Projekte mit<br />

den erstaunlichsten Erfolgen nützen (der Personalabteilung) nichts, wenn sie von den


352 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

anderen nicht (gebührend) wahrgenommen und der Personalabteilung zugeschrieben<br />

werden.<br />

Zweitens gibt es wohl nur wenige Maßnahmen der Personalabteilung, die bei allen<br />

Bezugsgruppen ungeteilte Zustimmung finden werden. Die Einführung von Personalcontrolling<br />

stößt vermutlich bei der Geschäftsleitung auf positive Resonanz, läßt aber<br />

u.U. die Führungskräfte zusätzlichen administrativen Arbeitsaufwand und den Betriebsrat<br />

unzulässige Kontrollmöglichkeiten seitens des Managements befürchten. Die Qualifizierung<br />

von Teilen der Randbelegschaft mag diese und den Betriebsrat erfreuen (nach<br />

dem Motto: „Gefordert - Erhalten!“), das Management mag sich aber dadurch in seinem<br />

beschäftigungspolitischen Handlungsspielraum eingeschränkt fühlen. Eine Konsequenz<br />

daraus ist, daß die Botschaften an die Zielgruppen nicht zu eindeutig (operationalisiert)<br />

ausfallen dürfen, da sie auch von anderen Gruppen wahrgenommen und vor dem Hintergrund<br />

ihrer Interessen bewertet werden.<br />

Defensive Maßnahmen des Impression Management eignen sich nur bedingt für<br />

eine nachhaltige Absicherung der Legitimität der Personalabteilung, da sie reaktiv auf<br />

bereits erhobene Vorwürfe bzw. Imageprobleme bezogen sind. Sicherlich bringt die<br />

verbreitete Praxis, bei strategischen Unternehmensentscheidungen Personalfragen relativ<br />

spät im Zusammenhang mit Implementierungsfragen zu berücksichtigen, die Personalabteilung<br />

immer wieder in die Lage, kurzfristige Feuerwehraktionen mit eingeschränkten<br />

Erfolgsaussichten liefern zu müssen (Frost 1989: 5 f.). Der Verweis auf diese<br />

Leistungsbedingungen kann zwar eine gewisse Zeit als Rechtfertigung dienen, wird<br />

aber auf lange Sicht nicht genügen, um das schlechte Image und die mangelnde Akzeptanz<br />

der Personalabteilung in vielen Unternehmen nachhaltig zu verbessern.<br />

4. Legitimation des Personalmanagements durch neue Produktions- und<br />

Organisationskonzepte<br />

Die neuen Produktions- und Organisationskonzepte können als Rationalitätsmythen<br />

verstanden werden, denen ein hohes Maß an Legitimität anhaftet. Anstatt wie der<br />

Hase den oft stacheligen „Konzept-Igeln“ hinterherzuhetzen, kann das Personalmanagement<br />

aktiv diese Konzepte verwenden, um die eigene, dringend erforderliche Legitimität<br />

abzusichern bzw. wiederzugewinnen. Dabei macht es sich den Umstand zunutze,<br />

daß Legitimität ansteckend wirkt: Durch Herstellen einer plausiblen Beziehung („Berührung“)<br />

personalwirtschaftlichen Handelns mit den Managementkonzepten geht (zumindest<br />

ein Teil) deren Legitimität auf das Personalmanagement über.<br />

Das Personalmanagement kann die neuen Produktions- und Organisationskonzepte<br />

im Rahmen dreier Legitimationsstrategien nutzen, wobei die Grenzen zwischen den<br />

einzelnen Strategien fließend sind: Anwendung „in eigener Sache“, symbolische Legitimationsfassade<br />

und Impression Management.<br />

Im ersten Fall werden durch Anwendung der Managementkonzepte substantielle<br />

Änderungen im Personalmanagement vorgenommen. Die Reorganisation der Personalarbeit<br />

nach dem Objektprinzip führt zur Einführung eines Personalreferentensystems<br />

und verwirklicht damit einen Grundgedanken des Reengineerings. In manchen Fällen<br />

ist auch der Werkschutz, die Putzkolonne und die Kantine dem Personalbereich zuge-


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 353<br />

ordnet, gemäß der Logik, daß mehr Personal auch mehr Gewicht innerhalb des Unternehmens<br />

bedeutet. Die Ausgliederung dieser Bereiche macht die Personalfunktion<br />

schlanker. Die Umwandlung der Personalabteilung in ein Servicecenter, welches<br />

Dienstleistungen für die internen Kunden gemäß deren Bedürfnissen und Anforderungen<br />

erbringt, orientiert sich am Qualitätsbegriff des Total Quality Management.<br />

Im zweiten Fall übernimmt das Personalmanagement die Managementkonzepte,<br />

beläßt sie aber als Legitimationsfassade auf der symbolischen Ebene und entkoppelt sie<br />

damit von den tatsächlich ablaufenden Aktivitäten. Damit können widersprüchliche<br />

Erwartungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen gleichzeitig erfüllt werden. In die<br />

gleiche Richtung wirkt die bloße Umbenennung von bereits so oder ähnlich existierenden<br />

Zielen, Aktivitäten und Systemen, wenn bspw. nicht mehr Evaluation, sondern<br />

Qualitätssicherung der Weiterbildung betrieben wird. Die Vielfalt und Vagheit der in<br />

den verschiedenen Konzepten verwendeten Begriffe bietet eine breite Auswahl an Etiketten<br />

bei gleichzeitig geringer Gefahr, sich durch die Verwendung einer bestimmten<br />

Etikette zu sehr auf bestimmte (Begriffs-)Inhalte festzulegen.<br />

Im dritten Fall benützt das Personalmanagement die Managementkonzepte, um<br />

Impression Management zu betreiben. Die Personalfachleute streichen die große Bedeutung<br />

der Humanressourcen für die erfolgreiche Umsetzung der Konzepte heraus und<br />

leiten daraus den Anstieg der eigenen Bedeutung als die dafür zuständigen Experten ab.<br />

Die Reklamation der Schlüsselkompetenz des Personalmanagements für die Implementierung<br />

wird dadurch erleichtert, daß in den Konzepten regelmäßig auf die Mitarbeiter<br />

als die kritische Erfolgsvariable verwiesen wird. Personalwirtschaftliche Entscheidungen<br />

werden unter Verweis auf die Managementkonzepte gerechtfertigt. Dies ist insbesondere<br />

dort nützlich, wo es sich um sozial problematische Maßnahmen wie z.B. Personalabbau<br />

handelt. Bislang nicht oder nur schwer durchsetzbare Veränderungen können<br />

mithilfe der Managementkonzepte (leichter) realisiert werden. Die Durchführung<br />

struktureller Reformen (z.B. im Lohn- und Anreizsystem, in der Arbeitsorganisation,<br />

bei der Arbeitszeit, etc.) wird dadurch wesentlich erleichtert, daß es sich dabei nicht um<br />

„gewöhnliche“ Veränderungen, sondern um Lean-, Qualitäts- oder Reengineering-<br />

Projekte handelt. Diese Konzepte bzw. ihre Namen stellen eine Art Legitimationsschirm<br />

dar und verringern potentielle Widerstände. Auch hier stellt die Übernahme der<br />

(anerkannten) Sprache der anderen nicht nur die Anschlußfähigkeit der eigenen Kommunikationen<br />

sicher, sondern nutzt sie strategisch als legitimierendes Immunisierungsund<br />

Imprägnierungsmittel.<br />

Die Realisierungschancen dieser Strategien werden von Fall zu Fall verschieden<br />

sein, je nach den konkreten Bedingungen wird manches leichter fallen und anderes unmöglich<br />

erscheinen. In allen Fällen sind Produktions- und Organisationskonzepte Instrumente,<br />

die dazu dienen, durch Handeln in Organisationen bestimmte Ziele zu erreichen<br />

und Interessen zu realisieren. Kein Instrument kann nur auf eine einzige Art und<br />

nur für ein einziges Ziel eingesetzt werden. Personalfachleute brauchen nicht unreflektiert<br />

davon auszugehen, daß die hier skizzierten Möglichkeiten der Interpretation und<br />

Nutzung der Produktions- und Organisationskonzepte schlechter oder falscher sind als<br />

die Intentionen anderer Akteure in der Organisation.


354 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

Anmerkung: In allen Fällen ist die richtige Antwort „Business Reengineering“. Die zitierten<br />

Sätze stammen aus Champy (1995: 37, 42, 51, 91, 105, 131, 182).<br />

Literatur<br />

Aldrich, Howard E.; Fiol, C. Marlene (1994): Fools rush in? The institutional context of industry<br />

creation. In: Academy of Management Review, Vol. 19 (1994), 4, 645-670<br />

Allen, Myria Watkins; Caillouet, Rachel H. (1994): Legitimation endeavors: impression management<br />

strategies used by an organization in crisis. In: Communications monograph, Vol.<br />

61 (1994), 1, 44-62<br />

Ashforth, Blake E.; Gibbs, Barrie W. (1990): The double-edge of organizational legitimation. In:<br />

Organization Science, Vol. 1 (1990), 2, 177-194<br />

Baron, James N.; Bielby, William T. (1986): The Proliferation of Job Titles in Organizations. In:<br />

Administrative Science Quarterly, Vol. 31 (1986), 4, 561-586<br />

Baron, James N.; Dobbin, Frank R.; Jennings, P. Devereaux (1988): War and Peace: The Evolution<br />

of Modern Personnel Administration in U.S. Industry. In: American Journal of Sociology,<br />

Vol. 92 (1986), 2, 350-383<br />

Berger, Peter L.; Luckmann, Thomas (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit.<br />

Frankfurt/M.: Fischer 1969 (im Original 1966)<br />

Brunsson, Nils (1990): Deciding for responsibility and legitimation: alternative interpretations of<br />

organizational decision-making. In: Accounting, Organizations and Society, Vol. 15 (1990),<br />

1/2, 47-59<br />

Chaison, Gary N.; Bigelow, Barbara; Ottensmeyer, Edward (1993): Unions and legitimacy: a<br />

conceptual refinement. In: Research in the Sociology of Organizations, Vol. 12 (1993), 139-<br />

166<br />

Champy, James (1995): Reengineering im Management, Frankfurt/M.: Campus 1995<br />

Crozier, Michel; Friedberg, Erhard (1979): Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven<br />

Handelns. Königstein/Ts.: Athenäum 1979<br />

Detlefs, Berndt (1990): Personalleiter. Prediger ohne Gefolgschaft. In: Personalwirtschaft, 17. Jg.<br />

(1990), 8, 22-25<br />

DiMaggio, Paul J.; Powell, Walter W. (1983): The iron cage revisited: institutional isomorphism<br />

and collective rationality in organizational fields. In: American Sociological Review, Vol.<br />

48 (1983), 2, 147-160<br />

DiMaggio, Paul J.; Powell, Walter W. (1991): Introduction. In: Powell, Walter W.; DiMaggio,<br />

Paul J. (Eds.): The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago: University of<br />

Chicago Press 1991, 1-40<br />

Dobbin, Frank; Sutton, John R.; Meyer, John W.; Scott, W. Richard (1994): Equal Opportunity<br />

Law and the Construction of Internal Labor Markets. In: W. Richard Scott; Meyer, John W.<br />

(Eds.): Institutional Environments and Organizations. Thousand Oaks: Sage 1994, 272-300<br />

Dowling, John; Pfeffer, Jeffrey (1975): Organizational Legitimacy: Social Values and Organizational<br />

Behavior. In: Pacific Sociological Review, Vol. 18 (1975), 1, 122-136<br />

Elsbach, Kimberly D. (1994): Managing Organizational Legitimacy in the California Cattle Industry:<br />

The Construction and Effectiveness of Verbal Accounts. In: Administrative Science<br />

Quarterly, Vol. 39 (1994), 1, 57-88<br />

Elsbach, Kimberly D.; Sutton, Robert I. (1992): Acquiring organizational legitimacy through illegitimate<br />

actions: a marriage of institutional and impression management theories. In: Academy<br />

of Management Journal, Vol. 35 (1992), 4, 699-738


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 355<br />

Epstein, Edwin M.; Votaw, Dow (1978): Legitimacy. In: Epstein, Edwin M.; Votaw, Dow (Eds.):<br />

Rationality, Legitimacy, Responsibility. Santa Monica: Goodyear 1978, 69-82<br />

Fallgatter, Michael (1995): Grenzen der Schlankheit: Lean Management braucht Organizational<br />

Slack. In: Zeitschrift Führung und Organisation, 64. Jg. (1995), 4, 215-220<br />

Freeman, R. Edward (1994): Strategic Management. A Stakeholder Approach. Boston: Pitman<br />

1984<br />

Frost, Peter J. (1989): The Role of Organizational Power and Politics in Human Resource Management.<br />

In: Nedd, A. (Hrsg.): Research in Personnel and Human Resources Management,<br />

Suppl. 1: International Human Resources Management. Greenwich, London: Jai Press 1989,<br />

1-21<br />

Giddens, Anthony (1992): Die Konstitution der Gesellschaft, Frankfurt, New York: Campus 1992<br />

(engl. Orig. 1984)<br />

Grant, Robert M.; Shani, Rami; Krishnan, R. (1994): TQM’s Challenge to Management Theory<br />

and Practice. In: Sloan Management Review, Vol. 35 (1994), Winter, 25-35<br />

Hammer, M. (1995): Der Sprung in eine andere Dimension. In: Harvard Business Manager, 17.<br />

Jg. (1995), 2, 95-103<br />

Hammer, M./Champy, J. (1994): Business Reengineering - Die Radikalkur für das Unternehmen.<br />

Frankfurt: Campus 1994<br />

Hand, Max (1992): Total quality management - one God but many prophets. In: Hand, Max;<br />

Plowman, Brian (Eds.): Quality Management Handbook. Oxford: Butterworth-Heinemann<br />

1992, 26-46<br />

Hannan, Michael T.; Carroll, Glenn R. (1992): Dynamics of organizational populations: density,<br />

legitimation, and competition. New York: Oxford Univ. Press 1992<br />

Henkel, Regina-C. (1990): Traumtänzer. In: manager magazin 1990, 12, 332-337<br />

Kanter, Rosabeth Moss (1977): Men and Women of the Corporation. NewYork: Basic Books<br />

1977<br />

Krystek, Ulrich; Becherer, Doris; Deichelmann, Karl-Heinz (1995): Innere Kündigung. München<br />

und Mering: <strong>Hampp</strong> 1995<br />

Lattmann, Charles (1985): Die Personalabteilung. Ihre gegenwärtige Stellung in der Unternehmung<br />

und ihre künftige Entwicklung. In: Die Unternehmung, 39. Jg. (1985), 3, 192-211<br />

Legge, Karen (1995): Human Resource Management. Rhetorics and Realities. Basingstoke:<br />

Macmillan 1995<br />

Luhmann, Niklas (1989): Die Wirtschaft der Gesellschaft, 2. Aufl., Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989<br />

(1. Aufl. 1988)<br />

Luhmann, Niklas (1993d): Legitimation durch Verfahren, 3. Auflage, Frankfurt/Main: Suhrkamp<br />

1993 (zuerst erschienen 1969)<br />

March, James G.; Olsen, Johan P. (1989): Rediscovering Institutions: The Organizational Basis of<br />

Politics. New York: Free Press 1989<br />

Martin, Joanne (1993): Inequality, Distributive Injustice, and Organizational Illegitimacy. In:<br />

Murnighan, J. Keith (Ed.): Social Psychology in Organizations. Englewood Cliffs: Prentice-<br />

Hall 1993, 296-321<br />

Meyer, John W.; Boli, John; Thomas, George M. (1994): Ontology and Rationalization in the<br />

Western Cultural Account. In: W. Richard Scott; Meyer, John W. (Eds.): Institutional Environments<br />

and Organizations. Thousand Oaks: Sage 1994, 9-27<br />

Meyer, John W.; Rowan, Brian (1977): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth<br />

and Ceremony. In: American Journal of Sociology, Vol. 83 (1977), 2, 340-363


356 <strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96)<br />

Meyer, Urs; Leuppi, Remo (1992): Outsourcing - ein neuer Megatrend in der Informatik. In: Management<br />

Zeitschrift IO, 61. Jg. (1992), 4, 49-51<br />

Neuberger, Oswald (1993): Das Nullfehler-Ziel - ein Nullfehler-Spiel. Total Quality Management<br />

als mikropolitische Arena. Augsburger Beiträge zu Organisationspsychologie und Personalwesen,<br />

Heft 16/1993<br />

Nippa, Michael; Sedran, Thomas (1992): Restrukturierung von DV-Leistungen in der Praxis - ein<br />

Blick hinter die Schlagworte. In: Information Management, 7. Jg. (1992), 4, 6-13<br />

Ortmann, Günther (1995): Formen der Produktion. Opladen: Westdeutscher <strong>Verlag</strong> 1995<br />

Parsons, Talcott (1956): Suggestions for a Sociological Approach to the Theory of Organizations.<br />

In: Administrative Science Quarterly, Vol. 1 (1956), 63-85<br />

Petrick, Klaus (1995): Die Bedeutung der ISO 9000-Normenfamilie und der Zertifizierung von QM-<br />

Systemen in den Wirtschaftsbranchen. In: Preßmar, Dieter B. (Hrsg.): Total Quality Management<br />

II, Schriften zur Unternehmensführung, Band 55, Wiesbaden: Gabler 1995, 141-168<br />

Pfeffer, Jeffrey; Salancik, Gerald R. (1978): The External Control of Organizations. A Resource<br />

Dependence Perspective. New York: Harper & Row 1978<br />

Richardson, Alan John (1985): Symbolic and substantive legitimation in professional practice. In:<br />

Canadian Journal of Sociology, Vol. 10 (1985), 2, 139-152<br />

Sandner, Karl; Meyer, Renate (1994): Verhandeln und Struktur: Zur Entstehung organisierten<br />

Handelns in Unternehmen. In: Schreyögg, Georg; Conrad, Peter (Hrsg.): Managementforschung<br />

4. Berlin: de Gruyter 1994, 185-218<br />

Schuler, Randall S. (1990): Repositioning the Human Resource Function: Transformation or Demise?<br />

in: Academy of Management Executive, Vol. 4 (1990), 3, S. 49 - 60<br />

Scott, W. Richard (1987): The Adolescence of Institutional Theory. In: Administrative Science<br />

Quarterly, Vol. 32 (1987), 4, 493-511<br />

Scott, W. Richard (1995): Institutions and Organizations. Thousand Oaks: Sage 1995<br />

Staehle, <strong>Wolfgang</strong> H. (1991): Redundanz, Slack und lose Kopplung in Organisationen: Eine Verschwendung<br />

von Ressourcen? in: Staehle, <strong>Wolfgang</strong> H.; Sydow, Jörg (Hrsg.): Managementforschung<br />

1. Berlin: de Gruyter 1991, 313-345<br />

Strauss, Anselm (1978): Negotiations. Varieties, Contexts, Processes, and Social Order. San<br />

Francisco: Jossey-Bass 1978<br />

Stryker, Robin (1994): Rules, Resources, and Legitimacy Processes: Some Implications for Social<br />

Conflict, Order, and Change. In: American Journal of Sociology, Vol. 99 (1994), 4, 847-<br />

910<br />

Suchman, Mark C. (1995): Managing Legitimacy: Strategic and Institutional Approaches. In:<br />

Academy of Management Review, Vol. 20 (1995), 3, 571-610<br />

Tigges, Gerd (1991): Die Personalabteilung, Bremsklotz der strategischen Personalarbeit? in:<br />

Management Zeitschrift IO, 60. Jg. (1991), 11, S. 103 - 104<br />

Tsui, Anne S. (1987): Defining the Activities and Effectiveness of the Human Resource Department:<br />

A Multiple Constituency Approach. In: Human Resource Management, Vol. 26<br />

(1987), 1, 35-69<br />

Tsui, Anne S.; Milkovich, George T. (1987): Personnel department activities: Constituency perspectives<br />

and preferences. In: Personnel Psychology, Vol. 40 (1987), 519-537<br />

Türk, Klaus (1989): Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung. Ein Trend-Report.<br />

Stuttgart: Enke 1989<br />

Walgenbach, Peter (1995): Institutionalistische Ansätze in der Organisationstheorie. In: Kieser,<br />

Alfred (Hrsg.): Organisationstheorien, 2. Aufl., Berlin: Kohlhammer 1995, 269-301


<strong>Elšik</strong>: Zur Legitimationsfunktion neuer Produktions- und Organisationskonzepte (ZfP 4/96) 357<br />

Weber, Max (1985): Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß einer verstehenden Soziologie, 5.<br />

Auflage, Tübingen: Mohr 1985 (1. Auflage 1922)<br />

Weick, Karl E. (1985): The significance of corporate culture. In: Frost, P.J. et al. (Eds.): Organizational<br />

Culture. Beverly Hills: 1985, 381 ff.<br />

Willke, Helmut (1994): Systemtheorie II: Interventionstheorie. Stuttgart: Fischer 1994<br />

Witte, Erich H. (1989): Sozialpsychologie. München: Psychologische <strong>Verlag</strong>s Union 1989<br />

Zink, Klaus J. (1989): Qualität als Herausforderung. In: Zink, Klaus J. (Hrsg.): Qualität als Managementaufgabe.<br />

Landsberg/Lech 1989, 9-46<br />

Zink, Klaus J.; Schildknecht, R. (1989): Total Quality Konzepte - Entwicklungslinien und Überblick.<br />

In: Zink, Klaus J. (Hrsg.): Qualität als Managementaufgabe. Landsberg/Lech 1989,<br />

67-100<br />

Zucker, Lynne G. (1977): The role of institutionalization in cultural persistence. In: American<br />

Sociological Review, Vol. 42 (1977), 5, 726-743<br />

Zucker, Lynne G. (1987): Institutional theories of organization. In: Annual Review of Sociology,<br />

Vol. 13 (1987), 443-464

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!